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Das Volk unter DER BLUME

von

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Absturz

Niemand ist zu sehen. Nirgends.

Sie sind ganz alleine.

Sie betrachten den Tempel und sind völlig überwältigt. So etwas haben sie noch nie gesehen.

Es durchflutet ihre Herzen mit zutiefstem Stauen. Mit Erfurcht für die Großartigkeit dessen, was Menschen zu schaffen in der Lage sind.

Aus dem kristallinen Material, aus dem der Tempel besteht, sind Gesichter herausgearbeitet.

Hunderte von Gesichtern.

Jedes einzelne mit ganz individuellen Zügen.

Frohe, traurige, ängstliche, glückliche, verzückte Gesichter.

Jedes gibt es nur ein mal.
 

Sie sind wunderbar gearbeitet, mit feinen Details, zarten Linien, Falten, Merkmalen...

Jedes einzelne sieht aus, als hätte es den Menschen, den es darstellt, wirklich gegeben.

„Das ... das ist wunderschön ...“, stottert Fro fasziniert.

Und Jaks Künstlerseele ist nicht in der Lage, irgendetwas in Worte zu fassen.

Sie stehen dort, zutiefst gepackt von der Schönheit, und halten sich bei den Händen, um sich nah zu sein und diese Erfahrung miteinander zu teilen.
 

Nur langsam kommen sie wieder zu sich.

„Es ist niemand hier“, sagt Jak. Fro nickt.

Und er zeigt mit der Hand zum Tempel. „Schau mal, dort.“

Ja, er hat recht. Wenn man genau hinsieht, kann man an dem Bauwerk vereinzelte Spuren des Verfalls wahrnehmen. Abgebröckelte Stellen, abgefallene Teile, verwitterte Gesichter.

„Es scheint sich schon lange niemand mehr um den Tempel gekümmert zu haben.“
 

„Was tun wir jetzt?“, fragt Jak.

„Wir sollten uns weiter umschauen. Vielleicht finden wir ja doch noch Leute. Komm.“ Fro zieht ihn hinter sich her.

Jak zuckt mit den Schultern und folgt ihm.

Langsam gehen sie auf den Tempel zu.

An der Vorderseite ist ein Priester aus dem Stein gehauen. Ähnlich wie der, den sie von zu Hause kennen, und doch anders: das Gesicht nicht so verhangen, der Blick offenerer. Die Hände nach vorn gerichtet, in einer einladenden Geste.

Ob das ein Zeichen ist? Ein Zeichen dafür, dass die Menschen hier glücklicher waren, das Verhältnis zu den Herrschenden freundlicher war, es mehr Freiheit gab?

Sie denken beide „war“, so als wären sie sicher, dass das alles schon Vergangenheit sei ...
 

Das Licht fällt von schräg oben auf das Tempelportal.

Sollen sie hineingehen? Sie bleiben stehen und versuchen sich darüber klar zu werden, ob sie das tun sollten. Sie versuchen, Mut zu finden für den nächsten Schritt.
 

Plötzlich verdunkelt sich die Welt.

Ein Rauschen durchdringt die Luft.

Der Boden bebt.

Sie schauen nach oben und starren entsetzt auf das, was sich dort von oben nähert.

„Scheiße, was ist das?“, schreit Jak durch das tosende Geräusch, das immer lauter und lauter wird.

Riesige Wasserkugeln scheinen vom Himmel zu fallen. Jede einzelne von ihnen größer als der gesamte Tempelbau ...

„Oh Mein Gott“, schreit Fro, „das ist … Regen!“
 

Regen. Davon hatten ebenfalls Legenden berichtet. Verbotene Legenden. Sie hatten nicht daran geglaubt, hatten nicht gedacht, dass es ihn wirklich gibt.

„Was machen wir jetzt?“, schluchzt Jak voller Angst.

Fro hält seine Hand fester.

Und sie tun ... nichts. Es gibt nichts, was sie tun können. Sie können dem nicht entkommen. Es gibt keine Chance.

Die riesigen Wasserkugeln kommen näher und näher.

Die ersten treffen auf, reißen auf an zackigen Vorsprüngen, hohen Felsstrukturen.

Überfließen alles um sie herum.

Eine unfassbare, alles überrollende Flutwelle erfasst sie, reißt sie mit sich.
 

Sie versuchen, die Luft anzuhalten. Und als hätte er nie in seinem Leben etwas anderes getan, macht Fro Schwimmbewegungen und schafft es, trotz des tosenden Chaos um sie herum an die Oberfläche zu kommen, mit Jak, den er am Gurt seiner Tasche gepackt hat.

Sie schnappen nach Luft, schlagen um sich, gehen unter, kämpfen sich wieder an die Luft.
 

Es ist ein verzweifelter und doch aussichtsloser Kampf.

Die Flutwelle schafft es nicht, sie zu ertränken.

Und doch haben sie keine Chance.

Sie werden von den rasenden Wassern über den Rand der Blüte gespült und gnadenlos in die Tiefe gerissen.

Mit einem Schrei auf den Lippen fallen sie, und es ist eine Gnade, dass ihnen beim endlosen Sturz die Sinne schwinden, bevor beim furchtbaren Aufprall der Tod allen Träumen, Wünschen und Hoffnungen ein Ende macht.
 

Fros letzter Schrei ... es ist ein Fluch, und er gilt dem Licht, das all ihre Hoffnungen betrog.

Jaks letzter Schrei gilt Lix, den er wie einen Bruder geliebt hat.
 

Dann ist alles vorbei.
 

* * *
 

Eine Stimme schwebt über den Wassern.
 

„Dies ist nicht das Ende ...“
 

Die Stimme des Lichts?
 

„Eure Freundschaft, euer Mut wird belohnt werden ...“
 

Die Stimme des Schicksals?
 

„Dereinst, in einer anderen Zeit ...“
 

Die Stimme des Lebens?
 

„An einem anderen Ort.“
 

Die Stimme der Hoffnung?
 

„Gebt nicht auf. Hoffnung endet nie.“



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