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Misteln sind giftig.

von

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Humbug!

Die Arme locker vor der Brust verschränkt beobachtete Edward Kinder, die glänzenden Streifen an den Ast eines Nadelbaumes hängten. Woher hatten die diesen Flitterkram überhaupt? Genauer in Augenschein genommen waren es zerschnittene Plastiktüten.

Wie kam man auf eine solche Idee? Oder besser: Warum kam man auf eine solche Idee? Der anstehenden Weihnachtszeit wegen? „Humbug!“, urteilte der Mann, konnte aber nicht den Blick davon lassen und hob die Augenbrauen, als ein paar Erwachsene herankamen und bunte Kugeln an die Kinder verteilten. Die Kugeln – Nicht die Kinder! – hingen kurz darauf ebenfalls an dem Baum.

In dem Moment, in dem keiner guckte, pflückte Ed eine der Kugeln wieder ab und betrachtete diese. Pappmaché. Aus Altpapier. Zeitungsartikel und Werbung blitzten hervor. „Humbug!“, tat er neuerlich kund, hängte das Dingelchen zurück und kehrte den Kindern und dem Baum, dem Flitterkram und den Kugeln den Rücken. Eiligen Schrittes machte er sich davon.
 

Dieses Mal vermied er Nähe, betrachtete sie aus der Ferne und achtete darauf, dass es so blieb. Ihm tat sich der Gedanke auf, sie war eine Hexe und hatte ihre Kräfte auf ihn Wirken lassen. Was auch anders? Seit einiger Zeit fühlte er sich so anders, wenn er sie sah. So eigenartig. Wie verhext.

Ein warmes Gefühl bildete sich in seiner Brust. Sein Herz schlug schneller. Seine Knie wurden weich. Vielleicht wurde er krank? Wie Edward feststellte, schmerzten ihm Mundwinkel und Wangen, wenn sie ihn entdeckte und ansah, wie sie ihn ansah. Weil er lächelte. „Humbug!“, murrte er leise, wandte sich ab und huschte davon.
 

Wer hatte sich das ausgedacht?

In der Kantine gab es so etwas, wie eine Weihnachsfeier. Eine Kuh hatte man für diesen zweifelhaften Anlass geschlachtet.

Edward sah das bunte Treiben. Was sollte er davon halten? Damit hatte er sich nie zuvor auseinandersetzen müssen. Wie auch mit ganz anderen Dingen. Im Grunde war er schon zu lange hier und Appetit auf tote Kuh hatte er auch nicht. „Humbug!“, ließ er verlauten und sah die Tür als sein Ziel. Einen Schritt tat Edward. Am Arm zurückgehalten blieb es dabei.

Ein Blick über die Schulter und der Mann hörte sein eigenes Japsen. Sie hatte sich angeschlichen. Sie hatte ihn gepackt. Sie ließ nicht los. Sie lächelte. Sie zeigte nach oben.

Edward hob den Kopf und sah den Mistelzweig. Da hatte sich also wer die Mühe gemacht, das Grünzeug aufzuhängen. Und das warum...? Damit einem die Beeren auf den Kopf fielen? Eine Augenbraue gehoben und den Blick auf sie gerichtet deutete Edward ein Schulternzucken an. „Na und...?“

Sie lächelte wieder, wie sie lächelte. Nein. Doch nicht. Sie lächelte so anders. So eigenartig. Sofort wusste Ed, was passierte. Sie verhexte ihn wieder. Schwindelig war dem Mann nämlich. Heiß wurde ihm. Und seine Knie schwächelten. „Misteln sind giftig.“ Er war sich nicht bewusst, das laut ausgesprochen zu haben.

Sie lächelte nur und nahm ihn damit gefangen. Wegsehen? Dazu war er nicht in der Lage. Ihre Hand von seinem Arm zu streifen? Das konnte er irgendwie nicht. Und irgendwie wollte er das auch nicht. Und ehe er wusste, wie ihm geschah, küsste sie ihn.

Auf – den – Mund!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Desty_Nova
2019-12-22T16:11:46+00:00 22.12.2019 17:11
Also der Titel ist definitiv gelungen. Ohne diesen hätte ich diese Geschichte kaum wahrgenommen. Im Text ist er auch geschickt eingebettet. Den Hauptcharakter kann man nur schwer einen Misanthropen nennen, da er sonst nicht zu einer Weihnachtsfeier - wenn auch nur in der Kantine - erschienen wäre. Ich kenne persönlich midestens einen und der ist zumindest konsequent und meidet wirklich jegliche Gesellschaft. Im Grunde geht es in der Geschichte darum, dass einem Weihnachtsmuffel langsam die harte Schale um seinen weichen Kern bricht.


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