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Apfelblüte

Inu no Taishō / Izayoi
von

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Dahlienschimmer

Apfelblüte

- Dahlienschimmer -
 

Autor: Morgi

Beta: -

Fandom: Inu Yasha

Genres: Romantik (Hetero), Drama, Epik, Alternate Timeline

Triggerwarnungen: Gewalt, Tod, Trauma

Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld.

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Das Prickeln in ihrem beschuppten Nacken wich einem heißen, feurigen Ziepen. Gereizt neigte die Drachendämonin ihr Haupt, bevor sie den Kopf schleichend wie der Tod zur Seite drehte und den Kiefer zu einem Lächeln aushakte. "Sieh an."

Da stand er, der weiße Schatten. Sein stolz vorgerecktes Kinn und die gezackten Streifen auf den Wangenknochen, ja, all das hätte ihn bereits verraten. Dennoch beeindruckte er durch die Schulterrüstung, den Brustpanzer und die feingewobene Kimonoseide unter den Armschützern, als wäre das Gewicht auf seinen Knochen keiner Rede wert. Die Bänder hielten sein Haar straff im Pferdeschwanz - und doch weigerte sie sich, seinen Namen zu flüstern. Diese Ehre verdiente er nicht!

Der Inu no Taishou war ein Narr, wenn er sich mit ihr messen wollte. Ein Fürst unter Fürsten vielleicht, aber Narr blieb Narr.

Schlangengleich glitt ihr Leib in die Höhe und es erfüllte die Dämonin mit Schadenfreude, ihren Kontrahenten um etliche Manneslängen zu überragen. Wäre die Luft nicht bereits durch den Geruch des Blutes besudelt gewesen - spätestens jetzt wäre die Ahnung einer unvermeidbaren Auseinandersetzung wie ein Fieber über den Erdboden gekrochen.

"Welch reizende Aufwartung", raunte Ligosh süffisant. "Ein kleiner Welpe, der sich offenkundig verlaufen hat."

"Spar dir die Floskeln", knurrte der Weißhaarige ungerührt, bevor er seine Klinge in die Waagerechte zog und damit das unheilvolle Grollen des Lindwurms heraufbeschwor.

"Du wagst es?", zischte Ligosh scharf. "Du, der mir nicht einmal bis zur Brust reicht? Dummkopf!" Pfeilschnell schoss ihr Körper vorwärts, aber da wo ihr gewaltiger Rachen niederstieß, brach nur Gestein in die Höhe.

Elender Welpe! Als ob ihm dieser lächerliche Fluchtversuch sein mickriges Leben verlängern würde!

Ungezähmt spie sie die Gräser und Kieselsteine aus, um noch im gleichen Atemzug nach links auszubrechen und um wenige Handbreit sein helles Schulterfell zu verfehlen. Im Gegenzug fuhr die Schwertschneide haarscharf an ihren Augen vorbei; eine Dreistigkeit, die ihr ein donnerndes Fauchen entlockte.

Noch während der Boden unter ihrem gewaltigen Leib erzitterte, raffte an ganz anderer Stelle Izayoi entsetzt die zerrissenen Lagen ihres Kimonos. Es wäre irrsinnig gewesen zu behaupten, dass sie mehr als einen weißen Blitz sehen konnte: Ha, als ob! Der Gegner dieses abscheulichen Wesens war viel zu schnell für ihre geschundenen Sinne. Aber wer immer es auch war, sie hoffte, dass ihm nichts geschehen würde.

Haltlos stolperte die Fürstentochter schließlich auf die Füße, nahm die ersten Schritte mehr schlecht als recht und ließ die Senke hinter sich. In ihren Ohren rauschte das Blut, bevor sie einen ausblutenden Leichnam ihrer Leibwache erkannte. Sie durfte ihn nur nicht ansehen, sie durfte …

Der scharfe Atemzug, den ihre Lungenflügel über sich ergehen ließen, ging in ein Würgen über. Sie hatte sich als kleines Mädchen oft davor gefürchtet, dass irgendjemand aus der Dienerschaft vor ihren Augen sterben würde, aber das hier ... das war ein lebendig gewordener Albtraum.

Jäh presste sie die Fingerknöchel gegen die Lippen und versuchte krampfhaft nicht den Verstand zu verlieren. Der ganze, ausgetretene Weg war übersät von staubbedeckten Rüstungen, verdrehten Hälsen und vier dampfenden Drachenleibern, dazu das Ächzen ... bei allen Göttern!

Im nächsten Moment schrie sie jedoch auf, da sie irgendetwas an der Hüfte packte und unweigerlich mit sich fortriss. Die hinter ihr explodierenden Gesteine drangen kaum zu ihr hindurch, sodass Ligoshs wutschnaubendes Brüllen das einzige Geräusch war, das ihr Herz panisch zusammenpresste.

"Bleib stehen, du Feigling!", keifte die Dämonin, um zornig den Drachenschwanz auf einen Toten niederfahren zu lassen. Wie ein Pfirsich platzte der unter ihrem Gewicht auf, während ihre Stimme umso schriller erklang: "Das ist meine Beute!"

Donnernd fuhr der massige Leib hinterher, aber der Herr der Hunde hatte dafür nur ein knappes Lächeln übrig, während er mühelos über ein panisch aufwieherndes Pferd setzte. Die Drachenyoukai war in ihrem Blutdurst nicht halb so gefährlich wie die wild um sich schlagende Frau, die durch ihr Kreischen fast sein Trommelfell zum Platzen brachte.

Fast dankbar setzte er sie ein Dutzend Meter weiter vor einer Kiefer wieder ab, um sich noch im gleichen Moment mahnend vorzubeugen: "Was immer Ihr tut, wartet hier!"

Das Wimmern wertete er als Zustimmung, bevor er zurück ins Gefecht sprang und den Drachen mit einer ausufernden Wolke aus Staub und Youki in Empfang nahm. Eine funkensprühende Klinge, das lauthalse Brüllen des Lindwurms - die Fürstentochter war längst unfähig geworden, das eine Bild mit dem anderen in Verbindung zu bringen. Alles was in ihrem Kopf gerade aufblitzte, war ein goldenes Augenpaar. Gold! Wie irrsinnig!

Es gab keine goldenen Augen unter Menschen, das wusste doch jedes Kind.

Fahrig strich sie eine Strähne beiseite, schnitt sich noch an einer scharfen und abgeplatzten Haarnadel, bevor sie abermals nach Atem rang. Ein Traum. Genau! Das alles hier war ein Traum, sie hatte es vorhin doch schon geahnt.

Sie musste nur aufwachen. Nur die Augen aufschlagen. Wo war Mashiko, wenn man sie einmal brauchte? Die alte Dienerin wurde es doch sonst nicht müde, sie in den frühen Morgenstunden zu wecken, um ihr das Ankleiden anzukündigen.

Kaum, dass sich Izayoi dazu entschieden hatte, in dieser absolut lächerlichen und vollkommen unmöglichen Welt nach ihrer Amme zu suchen, fuhr vor ihr ein Schatten nieder. Ihr entsetzter Aufschrei wölbte ihre Brust, aber sie hatte nicht den Kopf dafür, sich die Angst auszureden, die in ihren Knochen lauerte.

"Geht weg!", verlangte sie stattdessen. "Geht einfach nur weg!" Heiser schnappte sie nach Luft, doch das Holz des Kiefernbaumstamms in ihrem Rücken machte es Izayoi unmöglich, noch mehr Abstand zwischen sich und den weißhaarigen Mann zu bringen. Der bloße Versuch, nach hinten zu greifen und sich an der von Pilzen überwucherten Rinde entlang zu tasten, kostete sie das Gleichgewicht und brachte sie ungelenk auf die Knie.

Der Herr der Hunde hatte unterdessen überrascht die Augenbrauen gehoben, bevor er sich in einem Lächeln versuchte. Da die Luft noch immer von dem gärenden Gestank der getöteten Drachenbrut erfüllt war, dankten ihm seine Sinne das nicht im Geringsten – aber die zutiefst verängstigte Miene der Frau schien es erforderlich werden zu lassen.

„Seid Ihr-?“

„Nein.“

„Nein?“ Sie antwortete, obwohl er noch nicht einmal die Frage beendet hatte?

Erstaunt musterte er die blassen Züge, aber ihre Lippen blieben nunmehr geschlossen. Je länger er ihr schmales Gesicht betrachtete, desto ratloser wurde er selbst. Trotz des Staubs an ihr sah er deutlich, dass die schwarzen Haare noch vor Kurzem aufwendig gekämmt und gesteckt, die Seidenlagen parfümiert und unberührt gewesen waren. Er konnte ja nicht ahnen, wie sehr die Enkeltochter des Daimyos gerade damit rang, nicht einfach aufs Geratewohl fortzulaufen. Wäre die scharfe, blutverschmierte Schneide in seiner Hand nicht gewesen, oh, wahrscheinlich hätte sie den Plan längst umgesetzt.

„Habt Ihr einen Namen, Menschenkind?“

Schockiert weiteten sich Izayois Pupillen, aber wenn der Hundeyoukai eine Antwort erhofft hatte, wurde er durch ihre Miene enttäuscht. Nun, offenbar war sie behütet genug aufgewachsen, um die letzten Geschehnisse nicht allzu leichtfertig wegzustecken. Seufzend strich er die Klinge an einem nahen Farnbüschel ab, dann schob er sie zurück in die Hülle aus doppelt verstärktem Leder, bevor er an Ort und Stelle in die Hocke sank. "Ihr braucht Euch nicht vor mir zu fürchten, Mädchen. Ich werde Euch nichts tun, darauf gebe ich Euch mein Wort."

Die Augenbrauen der Schwarzhaarigen zuckten ungläubig, während ihre Fingerspitzen etwas von ihrer Anspannung verloren. Er gab ihr sein Wort? Hoffte er womöglich auf ihre Unaufmerksamkeit, um sich ähnlich wie die Streuner in Takemarus Erzählungen dann auf sie zu stürzen?

Hart schluckend nahm sie letztlich ihren Mut zusammen und versuchte ein zaghaftes Nicken. Worauf sich das bezog, wusste sie selbst nicht so recht, aber es erschien ihr klüger, diesen Mann nicht zu verärgern. Sie bemerkte wohl, dass er sich die Zeit nahm, ihren Überkimono zu mustern, der an den Säumen zerrissen war. Die Bambusschößlinge waren blutbespritzt und dreckverkrustet, und um ihre feinen Söckchen war es nicht besser bestellt.

"Wollt Ihr nicht wenigstens aufstehen, wenn Ihr schon Euren Namen für Euch behaltet?" Der Herr der Hunde neigte so langsam wie möglich seinen Kopf, damit sie nicht erneut zu schreien begann. Ihr die Hand zu reichen, hätte wohl den Regeln des dämonischen Anstands entsprochen, aber allein das abrupte Krächzen neben seinem linken Ohr ließ das Vorhaben fallen.

"Meister! Wie konntet Ihr nur so unverantwortlich sein! Ihr hättet sterben können!", ereiferte sich dort die wohlbekannte Stimme seines Beraters. "Hätte das Euer Vater gesehen, dann-"

"Myouga", unterbrach der Daiyoukai ihn ruhig, "selbst Sesshoumaru hätte nicht anders gehandelt."

Der winzige Flohgeist biss sich auf die Lippen, um nicht minder skeptisch zu seinem Herrn zu spähen. Wollte er damit sagen, dass sich der einzige Sohn des Inu no Taishou dazu bewogen gefühlt hätte, einen Tross Menschen zu retten?

Abrupt musste er husten, um nicht etwas Unflätiges von sich zu geben. Wohl kaum! Sesshoumaru unterschied sich darin um keinen Fingernagel von seiner Mutter. Ehe er für jemanden einstand, mussten schon die jährlichen Regenfälle Blümchen zur Erde schicken.

"Ihr ... ihr seid ein Dämon", erklang es da schwach und wie auf Befehl richteten die beiden Youkai ihre Blicke auf die Frau.

Eingeschüchtert zog Izayoi die Schultern empor, weil sie nicht wusste, ob sie den hüpfenden, schwarzen Punkt ebenfalls fürchten sollte. Sie fühlte sich ohnehin einfältig und blind: Die goldenen Augen, die schweren Rüstungsteile am Körper und weißes Haar, obwohl er offensichtlich in der Blüte seiner Jugend stand. Das ließ kaum einen anderen Schluss zu. Kein Mensch hätte einen Drachen besiegen können, und so nahm sie das Nicken des Mannes fast mit Erleichterung wahr.

Ein Dämon also ... nein, zwei. Was für ein seltsames Gespann. Aber wer war sie, darüber zu urteilen? Sie kannte nur die handbemalten Rollbilder ihres Großvaters, auf denen sich Oni und mächtigere Geschöpfe an die Kehlen sprangen, ehe Pfeile sie durchbohrten. Dazu gab es viele Geschichten um raubende und mordende Gestalten, die bei Nacht und Nebel in schlechtbewachte Herrenhäuser eindrangen. Wenn Gefahren einen Namen erhielten, konnte man sich die Furcht vor ihnen besser einteilen. Takemarus Männer hatten davon gesprochen, als sie klein war. Seine treuen Männer hatten ... hatten ...

Die Bilder ihrer Leichen sprangen sie vor ihrem geistigen Auge so unwirsch an, als könnte ihnen jemand neues Leben einhauchen. Die Gedärme, das dampfende Blut! Angst griff nach ihr. Wie sollte sie darüber jemals sprechen, wenn ihr Großvater danach verlangte? Sie wusste nicht einmal, welcher Pfad heim und welcher zu ihrer Schwester führte. Hierzubleiben, nein, niemals. Gab es ein Dorf in der Nähe, in dem sie um Schutz und Geleit bitten könnte? Doch halt: Die Drachendämonin hatte von 'Beute' gesprochen, als der Fremde sie ihrem gewaltigen Maul entriss. Vielleicht ließ er sie nie wieder gehen?

Izayoi kannte den Wert einer Frau unter Menschen und wusste, wie man über Bäuerinnen und Hofdamen dachte, doch nicht unter seinesgleichen.

Die Kälte, die sich unverhofft über ihren Unterarm schob, ging in ein grausames Frösteln über. Rasch zog sie an dem Seidenkrepp in ihren Ärmelschleppen, um sich davon nicht überwältigen zu lassen. Dann schöpfte sie schaudernd Atem. Himmel! Sie hatte genug von diesen Ereignissen. Wirklich genug.

"Meister, was habt Ihr nun vor?"

"Ich warte", erwiderte der Inu no Taishou mit einem langen Blick auf die junge Frau, die sich wie ein Aal an ihrem Platz wandte. Er kannte diesen Ausdruck, immerhin ähnelte er dem von gefangenen Wildvögeln, bevor man ihnen die Flügel ausriss. Der dümmliche Ausdruck Myougas entging ihm dabei freilich.

"Worauf-?"
 

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Schweigend sah Sesshoumaru auf die sanft im Wind wiegenden Blätter und Äste, durch die sich das Sonnenlicht auf die Erde schob. Die Witterung stand so schwach in der Luft, dass es ihm unnütz schien, sich ihrer überhaupt zu bemühen. Nun, er hatte es kaum anders erwartet.

Sein Vater wäre nicht der Mann, als den er ihn schätzte, wenn er hier sang- und klanglos gestanden oder ihm gar zugewunken hätte. Die Sinne seiner Familie hatte er nie auf herkömmlichem Wege schulen wollen, immer war eine Überraschung oder eine Finte dabei gewesen. Jahrhundertelang das gleiche Muster, immer und immer wieder. Eine Schnitzeljagd für Arme.

Ausdruckslos senkte der junge Dämon den Blick, um den mit Rochenhaut bespannten Griff seines Schwertes zu berühren und auf die verbliebenen Umgebungsgeräusche zu lauschen. Es lag auf der Hand, dass der Inu no Taishou viele seiner Einfälle von den Spielen der Menschenkinder entlehnt hatte, aber auch dieser Umstand würde Sesshoumaru nicht den Erfolg nehmen, ihn aufzuspüren.

Enttäuschungen waren etwas für zweitgeborene Söhne.

Doch wohin hatte sich der Herr der Hunde gewandt? Sesshoumaru zweifelte nicht daran, dass sein verehrter Herr Vater ebenfalls die Rauchschwaden und niedergebrannten Hütten entdeckt hatte. Derlei anzurichten, lag ihm fern: Eisige Zugluft preschte an Steinmauern vorbei, denen Brocken fehlten, als wollten sie Zahnlücken entblößen. Dazwischen kauerten Gestalten und suchten in den Ruinen mit bloßen, fieberhaft grabenden Händen nach ihresgleichen. Manche schleppten Leiber wie Reissäcke. Sesshoumaru hob das Kinn und entließ ein verächtliches Schnauben. Tze. In diesem Menschendorf war nichts unversehrt geblieben - außer einem knorrigen Kirschblütenbaum.

Augenblicke später wurden er auf einen abgeknickten Grashalm neben seinen Füßen aufmerksam, an dessen Blattunterseite ein zertretenes Insekt klebte. Ein Fühler flatterte träge und zeigte nach Norden. So viel zum Thema des versteckten Hinweises. Interessant.
 

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Das konnte doch nicht wahr sein. Er musste sich den Kopf gestoßen haben, eindeutig! Mürrisch nagte Myouga auf seiner Unterlippe, die gewiss schon die ein oder andere Scharte für die Ewigkeit davon getragen hatte. Es wurmte ihn, sichtbar sogar! Wie konnte man nur derart verbohrt und stur sein? Noch dazu gerade wegen eines Menschenmädchens, das schneller starb, als er selbst blinzeln würde. Wie frustrierend!

Er hatte ja schon immer geglaubt, dass sich der Inu no Taishou viel zu sehr für die Belange der schwächeren Rasse interessierte, aber diese Verzögerung entbehrte jedweder Vernunft. Die Drachen lagen erschlagen im Staub. Welchen Grund gab es noch zu warten? Wenn seine Gefährtin hiervon erfuhr, würde sie zu Recht ungehalten darüber sein. So weit man in der Residenz des Westens tuschelte, erzürnte sie das weichherzige Auftretens ihres Mannes gegenüber der Dienerschaft von Jahrhundert zu Jahrhundert mehr.

Er duldete Menschen dort. Welcher Fürst tat das? Manchmal ließ er sich sogar von ihnen berichten, was ihre Herzen schwer werden und ihre Münder zaudern ließ. Die Grenzen des Standes verschwammen in ihren Augen wohl zu leicht – und in denen Myougas war es eine seltsame Beschäftigung, um sich von der Vergangenheit abzulenken. Natürlich hatte er noch die Erklärung seines Herrn im Kopf: 'Nur wer sich nach allen Seiten umsieht und dazulernt, kann bessere Entscheidungen treffen. Ich führe nicht jeden Kampf mit dem Schwert, Myouga.'

Nein, manchen sprang er auch aus dem Weg, um an der nächsten Schwierigkeit zu feilen, doch solche Hinweise überhörte er. Hmpf!

Wenn er die Spuren der Flucht an der Frau ignorierte, erkannte Myouga dichtgewebte Stoffe, die am Halskragen von einem dunklen Pflaumenton in gelb, orange und rot übergingen. Unter Menschen musste sie einen hohen Rang bekleiden. Wahrscheinlich war sie die Tochter eines Fürsten oder aber dessen verehrte Schwester. Wenn er an den Tross dachte und die Gefallenen, erschien es ihm trotzdem unklug, in ihrer Nähe zu verweilen. Wo waren die vielen Hofdamen, die Dienerinnen und allerlei Zierrat, welcher sonst einflussreichen Familienmitgliedern auf dem Fuße folgte? Drachen trugen ihre Beute nicht fort wie es Falkendämonen bevorzugten. Zudem hatte er aus seinem Versteck, direkt hinter einer umgestürzten Lacktruhe am Bambusfenster des Palankin, genau beobachten können, wie ein einzelner Reiter in Waffen während des Angriffs davongestürmt war. Wenn man das Menschenkind nicht bald suchen kam, würden ihnen andere Dämonen und Aasfresser Scherereien machen.

Seufzend rieb sich Myouga mit seinen vier Händen die Schläfen und zupfte danach an seinen Bartenden, um schließlich einen Blick auf den Herrn der westlichen Länder zu werfen, der sich lächelnd zu ihr ins Gras gesetzt hatte.

Wo sollte das nur enden?
 

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Scharf fuhr die Schneide nieder, ehe sie in die Waagerechte gerissen wurde und der Mann einen Ausfallschritt zur Seite probte. Für Setsuna no Takemaru war es keine ungewöhnliche Art, den Ärger der Ernte auf diese Weise zu vergessen. Die Kraft, die allein in dieser Geste lag, brachte seine Atmung in eine grimmige Bredouille, aber er hatte Besseres zu tun, als auf solch eine Nebensächlichkeit zu achten. Der nächste Hieb ließ eine Fontäne aus Sand und Kies im Hof emporfliegen, sodass sich etliche Körner in seinem kurzen, geölten Haar verfingen, das er aus dem Gesicht gebunden trug.

Diese Bauern!

Im letzten Jahr war ihnen der Fleiß in die sonnengegerbten Gesichter gebrannt gewesen und nun ließ man ihn einen ganzen Morgen auf die Saatlisten warten, als hätten sich die Götter selbst gegen sein Vorhaben verschworen. War er zu anmaßend? Zu entschlossen, den Tross und Izayoi-sama noch vor der Dämmerung des dritten Abends einzuholen, um seinen Stellvertreter abzulösen?

Das ungute Gefühl in seinem Magen gärte wie Reiswein, dem das Tageslicht und die Frischluft verwehrt wurden. Er vertraute dem drahtigen Mann, denn dieser war wie ein Blätterreigen um ihre gemeinsamen Feinde getanzt und hatte sie vernichtend schlagen können. In den hohen Bergen jenseits der Ebene Musashis marschierten sie einst gemeinsam durch Schneewehen, entkamen Hinterhalten und kämpften sich zurück zum Daimyo der südwestlichen Gefilde - ihrem Fürsten.

Dennoch zweifelte sein Verstand an, dass es einen anderen Mann geben konnte, der bereitwilliger als er für Izayoi-sama in die nächste Welt einkehren würde.

Das Training bot da einen mehr als ehrhaften Zeitvertreib, der die Geschicklichkeit schulte und seine Nerven stählte.

Nein, mehr noch: Es würde ihn für jede Auseinandersetzung formen, die in der Zukunft auf ihn lauern konnte.

Nachlässig zu werden oder gar einen freien Tag damit zu verbringen, nichtsnutzig in seinen Räumen zu knien, war keine Option. Eine einzige Stunde mochte einst darüber entscheiden, ob er das Leben der jungen Herrin schützen könnte.

Allein diese Aufgabe forderte alles von ihm!

Entschlossen setzte er den rechten Fuß nach, hob ein zweites Mal die Klinge empor und ließ sie in raschen Schwüngen und Kehrtwenden durch die Luft fahren. Das Rauschen der Schneide, das Brennen seiner Muskeln: Nichts konnte gut genug sein, um sich weiter zu entwickeln.
 

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Federweich schlugen die Grashalme gegen den Stoff seiner Hosen, tanzten an der Seite der Schwerter und vermittelten dem Herrn der Hunde eine beinahe trügerische Ruhe. Hätte man sich einzig und allein auf die Geräusche der Natur besonnen, so wäre ihm mühelos der vorangegangene Kampf entfallen.

Dass Myouga sich unter einer Ausrede zurückgezogen hatte, war nicht weiter überraschend gewesen. Nein, was ihn vielmehr erstaunte, war die Tatsache, dass sich die junge Frau auch nach etlichen Minuten des Schweigens nicht dazu berufen fühlte, ihren Platz zu verlassen.

Eigenartig.

Bisher hatte er nur Menschen gesehen, die sich wie wild geworden gebärdeten, weinten und schrien oder aber auch ganz andere, dumme Dinge taten. Offensichtlich schien sie sich davon jedoch abzugrenzen, denn bis auf einige, kurze Blicke, die dem Weg hinter ihm galten, blieb sie erstaunlich in sich gekehrt. Wahrscheinlich sah sie in diesem Flecken Erde eine Sicherheit, die anderswo nur Schall und Rauch sein konnte. Es gab schlechtere Gesellschaft als das Harz am Kieferstamm.

"Ihr werdet Euch verkühlen, wenn Ihr bis zum Einbruch der Nacht hier sitzen bleiben wollt", merkte er an, und konnte sich prompt ihrer Aufmerksamkeit sicher sein.

Ihre braunen Augen fuhren nervös die Linie seines Kinns ab, bis sie bei den Streifen auf seinen Wangenknochen innehielt. Dann erinnerte sich Izayoi daran, dass man dergleichen bei einem Fremden nicht tat. Nie! War sie denn so durcheinander? Vielleicht durfte sie es als Frau bei Dämonen wagen, aber sie wollte ihr Glück nicht strapazieren. "Ihr ... Ihr müsst Euch nicht um mich sorgen, hoher Herr", flüsterte sie in einer Tonlage, die rauer als unpoliertes Eisen klang. Fast wollte sie die Hand vor die Lippen schlagen, weil sie sich vor ihrer vom Schreien heiser gewordenen Stimme erschrak, aber da war der Satz bereits vernommen worden.

"Hoher Herr?" Sie wusste, wer er war? Das überraschte ihn. Menschenkinder jenseits der Residenz bevorzugten andere Anreden - und auch das nur, wenn er sie zuvor selbst ansprach.

Gedankenversunken neigte er den Kopf, sodass die zusammengebundenen, schneeweißen Haare träge von der Schulter glitten. Die Spannung, die er bis dato in seine Haltung gelegt hatte, wich einem durch und durch nachdenklichen Gesichtsausdruck, ehe der Daiyoukai das Kinn auf die Handfläche stützte.

Izayoi, die aufgrund des Knirschens der Rüstung verstohlen den Blick gehoben hatte, musste mit Schrecken erkennen, dass er dadurch viel harmloser aussah. Ein Dämon und harmlos! Oh, hoffentlich konnte er keine Gedanken lesen.

"Seid Ihr immer so schweigsam, Menschenkind?"

"Ich ... verzeiht", flüsterte sie zurück, ehe sie die zusammengepressten Fingerknöchel in die Ärmelschleppen zurückzog, weil diese einem weißen Schimmer anheimfielen. Unglücklicherweise blieb es nicht bei der Stille zwischen ihnen, da er leise seufzte. Sollte sie etwas erwidern? Doch was? "Hoher Herr?"

Der Herr der westlichen Länder hob flugs eine Augenbraue, bevor er ein Lächeln auf die Lippen bettete, von dem er hoffte, es würde sie nicht gleich wieder verängstigen. "Wollt Ihr mir sagen, wohin Eure Reise gehen sollte?"

"Zu ... zu meiner Schwester", erwiderte die Fürstentochter stockend. "Sie hat vor zwei Monden einen Sohn geboren und nach mir geschickt."

Der Inu no Taishou nickte ihr warmherzig zu. "Eine freudige Nachricht."

"Ja, hoher Herr." Ob er sich damit zufrieden geben würde? Sie hoffte es inständig. Obwohl man sie in vielen mühseligen Stunden in den Grundregeln der Konversation unterrichtet hatte, beschränkten sich ihre Aufgaben auf das Spielen des Shamisen und der Zubereitung des Tees in geselliger Runde. Wurden Gäste empfangen, ließ man sie niemals allein mit ihnen zurück. Etwas, dass sie nun jedoch vor die Frage stellte, worüber sie sich mit einem Mann - ja, mit einem Dämon - unterhalten sollte. Er schien neugierig zu sein, ohne dass seinem Tonfall Ärger anhaftete. Bevorzugten es Wesen wie er überhaupt zu sprechen? Vielleicht waren sie geübter im Schweigen oder erwarteten, dass man ihnen nur zuhörte. Angestrengt versuchte sie sich an die alten Geschichten zu erinnern, die ihr Mashi-

Mashiko!

Ihr Gesicht verlor mit einem Mal an Farbe, bis sie so blass wie eine Totenmaske ins Nichts starrte. Izayoi glaubte erneut zu sehen, wie die alte Dienerin aus dem Palankin gerissen und unter einem markerschütternden Schrei davongeschleudert wurde. Dazu ihr eigener, vergeblicher Versuch, sie zu finden, bevor der Dämon sie an der Hüfte gepackt und fortgerissen hatte. Bei allen Göttern! Sie hatte sich nur ein einziges Mal gefragt, was aus ihrer Amme geworden war.

Hastig sah sie auf, vorbei an der Schulterrüstung des Daiyoukais, der sie lediglich still musterte.

Der Geruch, der bis dahin von ihr ausgegangen war, hatte eine Note angenommen, den Menschen mit dem scharfen Meerrettich verglichen hätten. Sie war in Aufruhr, ja. Aber weswegen?

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Tja, das wird unser Inu no Taishou wohl erst in Kapitel #5, "Jasminsilber", erfahren. Es sei denn, es kommt noch irgendetwas Niederträchtiges dazwischen ...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Dudisliebling
2020-04-05T19:46:35+00:00 05.04.2020 21:46
Hey hey
Es ist kein Wunder das izayoi hier total verstört ist und ersteinmal kein Wort herausbringt.. taisho ist aber sehr einfühlsam und spricht beruhigend auf sie ein.. setz sich neben sie und bleibt bei ihr.. warum nur? Will er einfach sichergehen das ihr nichts mehr geschieden bis der Bote zurück in die Residenz gelaufen war und die Rettung zu izayoi kommt? Ich denke mal das takemaru bald auf den weg sein wird..

Da das nächste Kapitel ein Namensvetter meinerseits ist, werde ich auch dieses noch lesen.. ich muss gestehen, das du mich mit deiner Geschichte in den Bann ziehst.. sie ist wundervoll!
Deine Dudisliebling
Antwort von: Morgi
08.04.2020 12:23
Bei den Kapiteln sind überall Blumen und ihre Bedeutungen am Werk, und ich hoffe, mir fallen noch genügend ein, bis die Geschichte beendet sein wird. Das ist später eine ziemliche Herausforderung, um ehrlich zu sein.

Anstelle Izayois hätte ich auch Besseres als Konversation zu tun: Solch eine todbringende Situation steckt man nicht weg. Als Dämon mit größerer Lebensspanne ist man abgehärteter und - ein Glück - geduldiger.
Die Idee mit dem Boten fand ich verteufelt interessant!

Viele Grüße, Morgi
Von:  JoMarch
2020-03-22T00:01:09+00:00 22.03.2020 01:01
Da sieht man was passiert, wenn ein Gegner den gegenüber unterschätzt: Man verliert! Trotz der Sticheleien um den Gegner zu verwirren, schafft sie es nicht und wird zurecht besiegt. Izayoi zu sehr unter Schock um das geschehen zu Begreifen. Denn, wenn sie es direkt Begriffen hätte wäre sie bestimmt weggelaufen. Und sie Begreift erst von wem sie gerettet wurde als der Kampf vorbei ist und ist vom geschehen immer noch geschockt, obwohl sie merkt das er keine bösen Absichten hat. Der Inu no Taishou ist vor ihr sehr freundlich und darauf bedacht ihr keine Furcht zuzufügen auch, wenn Myouga deswegen nicht begeistert ist. Mit der Zeit beruhigt sie sich aber dann fällt ihr wieder ein, was mit Mashiko passierte. Sie wird garantiert geschockt sein, wenn sie sieht was mit ihr passiert ist.
 
Noch weiß Takemaru nicht vom dem was in der zwischen zeit passierte aber sobald es bekannt wird, wird nicht nur er in Aufruhr geraten. Sein Bauchgefühl sagt ihm schon das was nicht stimmt, wenn er weiß das es zurecht einen Grund gibt, wird er alles tun um wieder an Izayois Seite sein zu können und für sie zu Kämpfen.
Antwort von: Morgi
29.03.2020 15:59
Da ist man bei der heißgeliebten Überheblichkeit, genau. Rückblickend auf die Szene wäre ich sehr neugierig, wie sich das beim Schreiben angefühlt hätte, alle sechs Drachen gleichzeitig auf einen Hund losgehen zu lassen... ob das besser ausgegangen wäre, als bei den Soldaten gegenüber der Übermacht?

Takemaru tat mir gerade in der Situation leid. Er lädt nicht zur Herzlichkeit ein, doch hat durch das Pflichtbewusstsein etwas sehr Interessantes an sich.

Viele Grüße, Morgi
Von:  Kerstin-san
2020-02-26T16:40:21+00:00 26.02.2020 17:40
Hallo,
 
hmm, ist der Taishou im Vergleich zu Ligosh wirklich so jung, um in ihren Augen als Welpe durchzugehen oder ist das nur ihre respektlose Art ihm deutlich zu machen, dass sie ihn nicht für voll nimmt?
 
Der Anblick der ganzen Zerstörung und vor allem all der Toten, die stellenweise bsetimmt grauenvoll zugerichtet sind, ist nicht ohne. Hast du echt gut beschrieben, ohne dass es für meinen Geschmack zu ausgeschmückt wurde.
 
Und ich mag Izayois konfuse Panik, die sie gegenüber dem Taishou empfindet. Macht völlig Sinn. Ein ihr unbekannter Mann bzw. Dämon, der dazu noch mit nem blutverschmierten Schwert vor ihr auftaucht. Alles andere als Erschrecken und Angst wäre da für jemandn mit Izayois Charakter fehl am Platz.
 
Tja, gute Frage, wie Sesshoumaru an Stelle des Taishou reagiert hätte. Klar, er hätte sicherlich den Kampf mit den Drachen aufgenommen, aber wohl eher, weil die auf dem Gebiet nix zu suchen haben und weniger weil ihm die Menschen so am Herzen liegen.
 
Ahh und da klärst du auch die Dienerfrage bei der Inu no Kimi :)
 
Oh weia, da wird Takemaru sich bestimmt heftige Vorwürfe machen, dass er Izayois Tross nicht begleiten konnte - besonders weil er wohl davon ausgehen wird, dass sie verletzt wenn nicht sogar tot ist. In der Haut des unglückseligen Boten will ich da bestimmt nicht stecken.
 
Ach geh, ist er nicht nett? Da macht er locker plaudernd etwas Konversation, als wären sie gerade bei einem Gartenfest oder so. Mal sehen, wie weit es um sein Einfühlungsvermögen bestellt ist, wenn um Izayois tote Dienerin geht.
 
Ein kleiner Fehler noch, der mir aufgefallen ist: Bei "Bevorzugten es Wesen wie er überhaupt über zu sprechen?" fehlt ein Wort zwischen über und zu.
 
Liebe Grüße
Kerstin
Antwort von: Morgi
26.02.2020 20:28
Die Drachendame wollte nur respektlos sein. Leider war es das letzte, was sie in diesen Sphären zustande brachte - hätte sie lieber weiter Blätter trudeln lassen. (Q.Q)

Mit dem Laufburschen wollte ich genauso wenig tauschen wie mit demjenigen, der den Tross im Stich ließ. Der eine ist nur der arme Dritte, der informiert, und der andere unehrenhaft geflohen. Welch Ironie (der Autorin :D), dass Takemaru verspätet aufbrechen hätte sollen ... vielleicht sollten auch die Bauern einen Schritt rückwärts in Erwägung ziehen, wenn der General schon für Saaten usw. abkommandiert wird.

Sesshoumaru vor Rin, Jaken und Ah-Uhn zu schreiben, kann ich dir nur ans Herz legen! *_*

P.s. Das überflüssige Wort wurde sofort entfernt. Danke. <3


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