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Welt ohne Grenzen

von

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Auf Augenhöhe (Ravus Nox Fleuret)

Es ist lange her, dass ich Insomnia zum letzten Mal betreten habe, und die Erinnerung ist schmerzhaft. Fast unwillkürlich lege ich die Hand auf meine neue Prothese. Das Metall ist glatt und angenehm, es fühlt sich weniger brutal und böse an als der alte Magitecharm. Fast kann ich die Schmerzen von damals noch spüren, und auch das habe ich verdient.
 

Die Vergangenheit kann ich nicht ändern. Aber die Götter haben mir eine neue Chance gegeben… eine Chance, um Vergebung zu bitten und es besser zu machen. Ich hatte nicht erwartet, dass man mich gerne in die Welt zurücknimmt… im Gegenteil. Aber tatsächlich wurde ich überall mit offenen Armen empfangen und in Tenebrae sofort als neuer König eingespannt. Nach all der guten Arbeit, die Kanzler Populus soweit geleistet hat fühle ich mich dort fast überflüssig, aber die Leute waren erfreut, und meine Rückkehr scheint die Moral im Land deutlich verbessert zu haben.
 

Dabei habe ich in den letzten drei Wochen kaum regiert, nur Hände geschüttelt, gelächelt und gewunken wie eine hübsche Schaufensterpuppe. Haus Fenestala wurde fast schöner neu erbaut als es vorher war, und selbst Lunafreyas geliebte Blumen haben vorsichtig wieder zu wachsen begonnen. Auch Tenebrae selbst ist aus der Asche neu entstanden, die Einflüsse des Imperiums nur noch dort sichtbar, wo sie von Nutzen waren. Die Demokratie scheint gut zu funktionieren in meinem Land, aber wenn das Volk einen König will, bin ich gerne bereit, mit meiner Anwesenheit zur guten Stimmung beizutragen.
 

Insomnia dagegen scheint weniger gut davon gekommen zu sein. Zwischen den frisch restaurierten Appartements, Hotels und Firmengebäuden liegen noch immer ganze Viertel in Schutt und Asche, die Spuren des Krieges haben die Stadt noch nicht verlassen. Immer wieder muss mein Fahrer Umwege in Kauf nehmen, weil die Hauptstraßen zerstört oder gesperrt sind. Schuld zerrt an meinem Herzen, aber ich zwinge mich, hinzusehen. Bis schließlich die Kapelle in Sicht kommt… das alte, einst so stolze Gebäude sieht aus wie eine Ruine. Als hätte man es seit seiner Zerstörung vor zwanzig Jahren einfach dem Zahn der Zeit überlassen.
 

Kein Respekt für den König des Lichts.
 

Die Reifen knirschen auf dem provisorisch gekiesten Parkplatz, mein Fahrer steigt aus und wirft einen eigens mitgebrachten Teppich vor meine Tür, damit ich mir beim Aussteigen die Schuhe nicht dreckig machen muss. Wenn der arme Mann wüsste, dass sein feiner König noch vor drei Wochen wie eine Ratte durch die Kanalisation gekrochen ist…
 

Die Männer des lucischen Königs sind weniger pragmatisch, oder sie haben im Moment einfach größere Probleme; die Uniformen der Palastwachen sehen aus, als würden sie, so an der Tür nichts los ist, beim Beiseiteräumen des Schutts helfen. Ich raffe den Saum meines Mantels hoch und nicke den Männern zu, als ich an ihnen vorbei gehe. Alle verbeugen sich tief vor mir, ein Mann in der Uniform der Königsgleven bietet mir seine Begleitung in den Thronsaal an.
 

Schon die Eingangshalle lässt mich schaudern – ein tiefes Loch klafft in ihrer Mitte, und noch andere Stellen sind mit Absperrband und Warnschildern gesichert, als ob sie ebenfalls jederzeit einbrechen könnten. Der Gleve führt uns sicher an weiteren Warnschildern vorbei, mehrere Stockwerke hoch, und nun bin ich doch dankbar für die Begleitung – unter normalen Umständen hätte ich den Weg in den Thronsaal allein gefunden, aber heute ist er ein Mienenfeld.
 

Zumindest der Thronsaal selbst scheint einigermaßen aufgeräumt, abgesehen von den Löchern in der Decke. Immerhin liegen hier weder Schutt noch Scherben herum…
 

„Seine Majestät, König Ravus Nox Fleuret von Tenebrae“, werde ich angekündigt.
 

Mein Blick fällt auf Noctis, der bis eben eher lässig auf dem Thron gesessen hat, sich nun aber gewandt aufrichtet, um mir ehrerbietend ein paar Schritte entgegen zu kommen. Ich verbeuge mich, hauptsächlich, um seinem Blick auszuweichen, muss mich letztlich aber doch wieder aufrichten und diesen scharfen blauen Augen standhalten.
 

„Euer Majestät“, grüße ich, und versuche, die Gefühle aus meiner Stimme herauszuhalten.
 

„Euer Mejestät“, grüßt er zurück und hält mir lächelnd die Hand hin, „Es ist lange her.“
 

Ich nicke und ergreife die mir dargebotene Rechte ungeachtet der Furcht, die der Ring daran in mir auslösen will. Aber die Berührung schmerzt nicht – nicht, solange der Ring an der Hand seines wahren Helden ruht. Es war dumm und vermessen zu glauben, dass ich seiner würdig sein müsste.
 

Mit einem kurzen Wink schickt Noctis die anderen Männer im Raum nach draußen, nur zwei der Gleven bleiben zurück. Ich erkenne Ignis Scientia und Gladiolus Amicitia, aber ich hatte erwartet, dass noch einer mehr hier sein sollte. Noctis war immer von drei Männern umgeben. Er bemerkt meinen Blick und lächelt traurig.
 

„Wie du siehst, sind wir nicht ganz vollzählig“, gibt er zu und setzt sich wieder auf seinen Thron zurück. Irgendwie wirkt er plötzlich müde und geschafft.
 

„Prompto ist noch nicht zurück?“, frage ich, in der kleineren Runde endlich fähig, offener zu sprechen. Jeder hier im Raum weiß von meiner Schuld, und abseits fremder Augen können sie es entsprechend zeigen. Trotzdem tun sie es nicht, stattdessen ernte ich verwirrte Blicke.
 

„Ich entnehme deinen Worten“, spricht schließlich Ignis, „dass du von der Maschine erfahren hast, die hier in Insomnia zu unser aller Schande gebaut wurde? Sie hat Prompto vertrieben und wir haben den Kontakt verloren, ja.“
 

„Umbra hat es einmal geschafft, mit ihm in Kontakt zu treten“, erklärt Noctis, „und uns eine Speicherkarte gebracht. Die Daten waren beschädigt, aber unsere Techniker haben es geschafft, einen Teil der Fotos wiederherzustellen. Leider geben sie bislang keinen Aufschluss, wo wir nach ihm suchen sollen…“
 

Der König nimmt einen Stapel Papier auf, der neben seinem Thron auf einem kleinen Tisch liegt, und jetzt kann auch ich die Fotos erkennen. Als ich hereingekommen bin, hat er sie gerade erst weg gelegt.
 

„Die meisten sind unscharf, schlecht belichtet oder verwackelt“, gesteht Ignis, „ein sicheres Zeichen für den schlechten Zustand, in dem Prompto die letzten vier Monate gewesen sein muss. Was wir an Geodaten retten konnten weist auf den westlichen Kontinent hin, etwa auf Höhe…“
 

„… von Zegnautus“, beende ich den Satz, „Ich bin ihm dort begegnet.“
 

Die Worte verschaffen mir die absolute Aufmerksamkeit aller Anwesenden. Und sie scheinen zu überraschen.
 

„Deswegen hatte ich auch erwartet, ihn hier anzutreffen“, spreche ich weiter, weil Noctis und seinen Freunden im Moment wohl die Worte fehlen, „Als ich ihn verabschiedete, war er auf dem Weg hierher.“
 

„Wo, und wichtiger noch, wann genau war das?“, fragt Ignis und hat sofort einen Notizblock in der Hand.
 

„Wie ging es ihm?“, unterbricht Noctis mit der für ihn wichtigeren Frage.
 

„Furchtbar, als wir uns begegnet sind, besser, als das Pfeifen aufgehört hat“, beantworte ich Noctis Frage zuerst, „Er schien mehr durch Willenskraft als Blut am Leben als er mich in den Tunneln aufgegriffen hat, nach ein paar Elixieren ging es ihm aber schnell besser. Zeitweise war er direkt munter, nachdem Umbra ihm das Foto gebracht hat sogar richtig ausgelassen und fröhlich. Zuletzt gesehen habe ich ihn am Bahnsteig von Tenebrae. Der Zug, in den er gestiegen ist, hätte ihn direkt zur Fähre auf den östlichen Kontinent bringen sollen. Cap Shawe, wenn ich mich recht erinnere… von dort wollte er ein Auto mieten um direkt nach Insomnia zu fahren.“
 

Ich habe die Strecke nicht genau im Kopf, aber recht viel mehr als eine Woche hätte er nicht brauchen dürfen. Ignis, der sich eilig Notizen macht, scheint derselben Ansicht zu sein.
 

„Mit etwas Glück hat der Autoverleih ihm ein niflheimer Modell gegeben und er ist unterwegs nur ein paar Mal liegen geblieben. Gladio, haben wir Gleven in Cap Shawe, die bei den Autovermietern nachfragen können?“
 

„Wenn nicht schick ich Talcott hin“, antwortet der große Mann und zieht ein Gerät aus der Tasche, in dem er eifrig herum tippt. Etwas scheint es ihm zu sagen, denn er hat sofort eine Antwort: „Monica und Dustin sind vor Ort, um neue Rekruten auszubilden. Sie werden sich umhören.“
 

Die Erleichterung ist allen dreien anzumerken, sicher haben sie sich große Sorgen um den verlorenen Freund gemacht.
 

„Gibt es etwas womit wir dir helfen können, Ravus, oder bist du nur der Höflichkeit wegen gekommen?“, fragt Noctis schließlich. Seine Stimme ist ungewohnt sanft. Ich blicke hoch in das Gesicht des Mannes, den ich bis zu meinem Tod für einen dummen Jungen gehalten hatte, und erkenne einen König, zu dem ich aufsehen kann.
 

„Ich hatte gehofft…“, beginne ich, aber meine Stimme versagt, zu schwer wiegt die Angst, meine Frage könne anders beantwortet werden als erhofft. Noch einmal atme ich tief ein für den nächsten Versuch: „Ich habe durch Prompto von deiner Rückkehr erfahren, und auch ich selbst bin wieder am Leben. Ich dachte, ich würde meine Schwester in Tenebrae antreffen, aber…“
 

Aber niemand hatte Lunafreya dort gesehen. Welchen Sinn hätte es gehabt, mich ins Leben zurück zu rufen, wenn nicht auch sie? Lunafreya hat es so viel mehr verdient als ich. Meine Finger zittern bei dem Gedanken, da spüre ich plötzlich eine fremde Hand an meinem Arm. Noctis steht mir direkt gegenüber, und sein Blick ist freundlich.
 

„Sie ist in Altissia“, sagt er schlicht und reicht mir ein Notizbuch. Es sieht neu aus und wie eines der ledergebundenen Hefte voller weißer Seiten, die man selbst füllen kann. Auf der ersten Seite klebt ein Zeitungsausschnitt über die Rückkehr des lucischen Königs. Ich blättere um und finde vier winzige Fotos, wie es sie an den für Touristen so attraktiven Sofort-fotomaten in Altissia gibt. Jedes davon zeigt Lunafreya mit ihren beiden Hunden, ausgelassen lachend vor der gemalten Kulisse der Stadt. In einem der Fotos hält sie eine zerknautscht wirkende Pyrna ins Bild, ein anderes wird dominiert von Umbras breitem Grinsen. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen.
 

„Den Zeilen nach, die sie mir geschrieben hat, geht es ihr sehr gut“, meint Noctis und nimmt mir das Heft wieder ab, „Die Leute in Altissia scheinen sie noch nicht recht gehen lassen zu wollen, aber sie genießt die Zeit dort und wie schön alles wieder aufgebaut worden ist. Ich bin sicher, sie wird sich freuen zu sehen, dass auch du wieder zurück bist.“
 

„Das hoffe ich“, gebe ich zu, „Und werde mich sofort auf den Weg machen.“
 

„Ich meine, der kürzeste Weg führt über den Galdin-Kai“, informiert mich Ignis, „Es ist allerdings schon etwas spät, wenn du also die Nacht in Insomnia verbringen willst, können wir dir gerne ein Zimmer im Caelum Via anbieten. Die Gästezimmer der Zitadelle sind leider im Moment eher unbewohnbar.“
 

„Erzähl den Leuten draußen aber nicht unbedingt, dass ihr König noch auf der Couch seines besten Kumpels campen muss“, bittet Noctis mich zwinkernd, „Mein Zimmer ist auch noch im Wiederaufbau… Hier hat sich all die Jahre die Regierung eher selbst im Weg gestanden.“
 

Und das ist noch nett ausgedrückt, wie ich finde. Selbst jetzt, wo der König zurück ist, wird das Bild der zerstörten Stadt dominiert von Wahlplakaten, voll mit Parolen, die gegen Monarchie hetzen wollen und Politiker anpreisen, die in zehn Jahren nichts erreicht haben.
 

„Ich verstehe. Danke für das Angebot, aber ich wäre lieber früher als später bei meiner Schwester. Und ohne Siecher sollte es auch kein Problem sein, durch die Nacht zu fahren um gleich am frühen Morgen eine Fähre zu erwischen.“
 

Meine Schuldgefühle beim Anblick der zerstörten Metropole sind schon schlimm genug ohne dass ich die Nacht hier verbringe, und die Sorge um meine kleine Schwester lässt mich ohnehin kaum schlafen. Ich verbeuge mich noch einmal, bevor ich den Raum verlasse. An der Tür wartet bereits der Gleve von vorhin, mich wieder sicher hinauszuführen.
 

Altissia… ich kann es Luna nicht verdenken, dass sie noch eine Weile dort bleiben und von ihrer Hochzeit träumen will, bevor man sie wieder mit Verantwortung und Pflichten belädt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sargeras
2018-11-21T20:36:24+00:00 21.11.2018 21:36
Wo ist Prompto?! Das war das erste was ich mich gefragt habe als das Thema aufkam. Du spannst einen ganz schön auf die Folter.
Nun, das Ravus zum König gemacht wird, habe ich schon im letzten Kapitel erwartet, scheinbar wird er auch gut aufgenommen. Ich vermute mal sehr, das Tanabrae nun auf eine konstituelle Monarchie hinaus läuft, also eine in der die Monarchen sich die Macht mit den gewählten Vertretern des Volkes teilen. Das hat sehr lange im britischen Empire funktioniert und es hätte ebenso lange im deutschen Kaiserreich funktioniert (wenn da nicht ein Krieg dazwischen gekommen wäre).
Bei der Erwähnung der Plakate aber ahne ich schon worauf das hinaus läuft. In Lucis wird es zwischen den Anhängern der Monarchie und den Anhängern der (leider unfähigen) Demokratie noch ordentlich krachen...
Antwort von:  SoraNoRyu
01.12.2018 08:54
Ja, mit der Konstitutionellen Monarchie liegst du ganz richtig. Wie es in Lucis weitergeht möchte ich noch nicht verraten, da bin ich noch am weiterspinnen und Pläne schmieden - die Geschichte wird doch NOCH länger als anfangs gedacht. Erwarte aber nicht zu viel, Politik ist nicht gerade meine Stärke.

Cliffhanger dagegen... das kann ich schon eher. [insert evil laugh]


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