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Nur ein paar Tage

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Es hat mir viel Spaß gemacht diese Story zu schreiben und mir vorzustellen wie es Ethan nach all der Sache ergangen sein könnte. Hier war wirklich eher der Gedanke: Auch Nebencharas verdienen ein Ende.
Als sonst eine Intension und grade Ethan hat mich sehr berührt. Es ist nicht leicht, dass mir so etwas so stark im Gedächtnis bleibt, dass es mich zu einem OS treibt/zwingt. XD Komplett anzeigen

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Nur ein paar Tage


 

Nur ein paar Tage
 

Ruhe legte sich über das von der Hitze geplagte Land. Die Sonne begann mit ihrem Abstieg vom Himmel. Die erschöpften Tiere des Tages suchten sich eine sichere Bleibe für die Nacht und die wachen Tiere der späten Stunde bereiteten sich auf ihre Nachtschicht vor. Die Vögel begannen mehr und mehr zu verstummen und überließen den Grillen mit ihrem Streichkonzert die Bühne der Natur. Der Himmel färbte sich bereits in flammendes Orangerot und am anderen Ende des Horizonts verhießen der Vollmond und die Sterne Klarheit in die Dunkelheit zu bringen. In diesen kleinen Moment von Frieden der Welt mischte sich das leise Klackern von Pferdehufen und gelegentlich das Knarzen einer Kutsche. Für einen Augenblick schien es, als hätte es das Grillenorchester unterbrochen, doch es dauerte nicht lange und auch diese Geräusche wurden in die Musik der zur Ruhe kehrenden Natur mit eingeflochten.

Müde fuhr sich der junge Mann, welcher auf der Kutsche saß, über die Augen. Seinen breitkrempigen Filzhut schob er dabei unbeabsichtigt noch ein Stück weiter nach hinten, als er zur Stirn herauf fuhr und sich den Schweiß wieder einmal von dieser wischte. Seine Augen starrten über sein treues Pferd hinweg ins Leere. In seinem Kopf arbeitete es dafür unermüdlich, auf der Suche nach einer guten Nachtstätte. Für ihn würde es eine weitere Nacht in der unbequemen Kutsche werden und für sein Pferd eine weitere gefahrvolle. Das Heulen eines Kojoten ließ seine Augen umher huschen. Die Teufel waren heute ja besonders früh auf der Pirsch. Die Sonne hatte noch nicht einmal der Erde einen Abschiedskuss gegeben und schon bereiteten sie sich vor.

„Komm Kasper, hier entlang“, sprach er mit seinem Begleiter und lenkte die Kutsche in Richtung Bergwand.

Dort erhoffte er sich ein wenig Schutz. Zumindest würde man sie nicht von allen Seiten überraschen können.
 

Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachtete er Kasper, wie sich dieser im noch Wärme abstrahlenden Sand umher wälzte. Er straffte die Schultern und spannte die Muskeln an, als er das Geschirr seines Pferdes auf den Bock seiner Kutsche hievte und die Trense mit ein wenig Wasser aus seiner Flasche abspülte. Danach verkeilte Ethan die Räder seines Gefährts mit Steinen, damit dieses über Nacht nicht doch ins Rollen kam.

„Such dir schon mal was zu Essen mein Freund, ich bin gleich wieder da“, rief er dem Hengst zu, welcher ihm nur kurz nach sah, um sich dann weiterhin ausgiebig zu wälzen.

Ethan und Kasper verband eine innige Freundschaft, ein starkes Band, welches es nicht oft zwischen Mensch und Tier gab. Sie konnten sich auf den jeweils anderen verlassen. Kasper würde ihn stets vor Fremden warnen, dafür band Ethan ihn nicht an, damit Kasper in der Nacht, wenn ihm Fleischfresser auflauern würden, in der Lage war, zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Kojoten und was es sonst noch hier draußen gab, sollten nicht eine Sekunde glauben, dass sie hier ein wehr- und hilfloses Tier vor sich hatten.

Der blonde junge Mann streifte ein wenig entfernt von seiner Kutsche durch das Gelände, um ein wenig Feuerholz zu sammeln, etwas Essbares zu finden und natürlich, um seinen Wasservorrat aufzufüllen. Grade Letzteres gestaltete sich mit jedem Tag schwieriger. Die Hitze und damit einhergehende Trockenheit, machten das Finden von Wasser immer schwerer, nahezu unmöglich. Wenn er heute nichts fand, würde er wohl doch auf den Morgentau hoffen und dann mehr als nur sparsam sein müssen. Doch der Allmächtige schien es ausnahmsweise einmal gut mit ihm zu meinen, als er das beruhigende Plätschern einer kleinen Quelle vernahm. Gierig hielt er seine Handflächen unter diese und trank das kühle Nass, welches ihm die Erde gab. Als er sich satt getrunken hatte, erfrischte er sein Gesicht. Ethan schien förmlich spüren zu können, wie die angestaute Hitze auf seiner Haut in die Tropfen überging und mit diesen weg gespült wurde. Für ein paar Minuten gab er sich der Idylle hin und verweilte ohne ein Regung zu tätigen. Erst danach füllte er seine Flaschen so voll es möglich war. Er nahm sich vor, Kasper ebenfalls hier her zu bringen, damit auch dieser seinen brennenden Durst stillen konnte.
 

So hatte er sich das Leben außerhalb der Gemeinde wirklich nicht vorgestellt. Dass es für ihn nicht leicht werden würde, war ihm durch aus bewusst gewesen, doch so schwer? Mit einer Hand legte er einen weiteren Ast in das knisternde Feuer, welches mit Freude diesen zu verschlingen begann. Kasper, welcher die angrenzende, spärlich bewachsene Wiese noch weiter ausgedünnt hatte, hatte sich mittlerweile hingelegt und schlief ausgiebig. Es war an Ethan, nun Wache zu halten. Er würde sowieso noch kein Auge zu bekommen, selbst wenn er es versuchen würde. Seine Gedanken kreisten wie jede Nacht um das Geschehen von vor sechs Monaten. Besonders, wenn er alleine irgendwo im Nirgendwo unterwegs war, wie jetzt.

Wie schafften es einige andere, wie Reuben, sich in dieser so fremden Welt zurecht zu finden? Ihren Platz zu finden? Ethan bereute es ein wenig, dass er vor sechs Monaten nicht doch zusammen mit Reuben und Jessica Fletcher gereist war. Aber Kasper zurücklassen? Das kam nicht einmal im Ansatz in Frage für ihn. Nein, er hatte es Kasper zuliebe vorgezogen, eigene Wege zu gehen. Doch bisher schienen es nur verschlungene Pfade ins Nichts zu sein. Es schien, als würde Gott versuchen, ihn mit aller Macht zurück in die Gemeinde zu drängen. Zurück zu seinem Vater Franz Kaufmann. Der Mann, der ihn für einen Versager hielt. Der Mann, der sich für ihn schämte. Der Mann, dem er nie etwas recht machen konnte. Der Mann, der ihn ins Gefängnis gebracht hatte, obwohl er unschuldig gewesen war. Wäre Jessica nicht gewesen, wäre ihm für ein Vergehen der Prozess gemacht worden, welches er nicht begangen hatte.

Das Verhältnis zu seinem Vater war schon immer schwierig gewesen, weil er lebhafter und neugieriger als andere Kinder gewesen war. Doch als seine Mutter von ihnen ging, er war zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt gewesen, wurde es nur noch schlimmer. Der einzige Ort, an dem er sich in der Gemeinde frei fühlte, war diese kleine Höhle. Wo er sich auch gerne mit Kasper die Nächte über aufgehalten hatte, wenn sein Vater und er wieder aneinander geraten waren. Etwas, was mit zunehmendem Alter immer mehr die Regelmäßigkeit war, als die Ausnahme.

Doch als er ihn, auf Grund der gefundenen Mordwaffe in der Höhle, einfach so der Justiz ausgeliefert hatte, waren die letzten Fäden aus Respekt, Liebe und Vertrauen in seinen Vater zerrissen worden. Die Bilder waren trotz der vergangenen Zeit immer noch lebendig und würden es wohl immer bleiben. Wie sein Vater ihn im Wohnzimmer anklagte, den Beweis in der Hand vor ihm hin und her schwang. Ihn ohrfeigte, wie ein Schlachtvieh zum Wagen zog und ihn in diesen sperrte. Er hatte ihm seine Unschuld entgegen geschrien, gefleht und gebettelt, ihm zu glauben. Doch sein Vater hatte ihm nicht einmal zugehört und so hatte er begonnen, zu resignieren, um sich gebrochen in eine Zelle sperren zu lassen.

Mord war eines der schlimmsten Verbrechen, die man als amischer Mensch nur tun konnte und für seinen Vater hatte er dies getan. Durch die Autorin kam nach einer kurzen Zeit zum Glück jedoch heraus, dass nicht er, sondern Sarah es gewesen war, die das Schwein Jacob zu seinem Gott gesandt hatte, damit dieser ihn im Himmel richten konnte. Er konnte ihr nicht böse sein. Sie hatte Furchtbares durchgemacht und war in einer Notsituation. Das Schwein hatte sie geschwängert und sie zum Schweigen gezwungen. Wegen ihm war sie aus der Gemeinde ausgeschlossen worden und dies war hart, verdammt hart, besonders für jemanden in ihren Umständen. Niemand hatte mit ihr reden dürfen, niemand hatte ihr helfen dürfen. Sie war unter so vielen Leuten gewesen und doch völlig allein. Manchmal, wenn es keiner gesehen oder mitbekommen hatte, hatte er mit ihr gesprochen und ihr auch versucht schwere Sachen abzunehmen. Er hatte es nicht über das Herz gebracht, sie so leiden zu sehen und auch wenn sie Angst um die Konsequenzen für ihn gehabt hatte, hatte er die Freude in ihren Augen gesehen und bemerkt, wie gut es ihr getan hatte. Dass Jacob, der tolle Diakon und Älteste der Gemeinde, der Chef sozusagen, der Vater ihres Kindes war, hatten alle erst erfahren, als Jessica Fletcher den Mord und dessen Umstände aufgeklärt hatte. Der Bishop der Gemeinde, welcher ihm wesentlich sympathischer war, hatte Sarah daraufhin im Gefängnis besucht und ihren Bann aufgehoben. Er freute sich für sie, dass sie wieder anerkannt war, besonders da die Schwangerschaft schon so weit gewesen war. Eine Haftstrafe würde sie nicht erwarten, dafür würde notfalls gesorgt werden. Mittlerweile müsste Sarah schon Mutter geworden sein, kam ihm wieder einmal in den Sinn. Was es wohl geworden war? Und wie musste es sich anfühlen, wenn plötzlich alle taten, als wäre nie etwas gewesen? Wenn alle mit einem sprachen, man wieder Teil der Gesellschaft war, die einen noch wenige Tage zuvor geschnitten hatte? Ein gewisses Gespür, wie es sein musste, hatte er am eigenen Leib erfahren müssen. Als er aus dem Gefängnis, zu Fuß zurück ins Dorf kam, klar war, dass er es nicht war, empfing ihn sein Vater, als sei er nur kurz in die Stadt zum Einkaufen gewesen. Kein Wort der Entschuldigung, kein Wort der Erleichterung, keine Umarmung, keine Freudentränen. Nichts!

Ohne ein weiteres Wort hatte er seine Sachen gepackt. Sein Entschluss war mit jedem Schritt zurück nach Hause klarer geworden. Und erst als er seinen Kasper vor seine Kutsche spannte, hatte sein Vater begonnen, zu reagieren. Erst entsetzt, dann mit Wut und Beschimpfungen, er würde es nie weit schaffen und irgendwann zurück gekrochen kommen. All dies hatte ihn nicht interessiert und als er davon fuhr, seinen Vater aus den Augenwinkeln hinter sich her laufen sah und sein Flehen zu bleiben hörte, schlich sich ein Lächeln mit der unfassbaren Kraft an Genugtuung auf sein Gesicht. Mit jedem Schritt seines Kaspers wurde die Stimme seines Vaters leiser und das Gefühl von Freiheit immer größer.

Doch mittlerweile kamen ihm die Worte seines Vaters immer mehr ins Gedächtnis zurück. Anscheinend hatte der alte Herr Recht gehabt. Er war wirklich nicht weit gekommen und er musste wohl zurückkehren. Zurück in diese kontrollierte Welt, zurück zu ihm. Und es würde seinem Vater ein Lächeln der Genugtuung auf die Lippen zaubern. Allein der Gedanke daran machte Ethan wütend.

Ein leichtes Stupsen gegen seine rechte Schulter holte ihn zurück ins Hier und Jetzt. Kasper schnaubte ihm in den Nacken und scharte mit einem Vorderhuf.

„Na mein Freund, übernimmst du nun?“, fragte er lächelnd und tätschelte ihm den Hals.

Mit einem herzhaften Gähnen stand er auf und begann dann das Feuer mit Sand zu löschen, damit er nicht noch einen Großbrand auslösen würde. Bevor er die Kutsche bestieg, um zu nächtigen, wandte er sich noch einmal Kasper zu.

„Dann bis morgen, ruhige Nacht Kasper“, sprach Ethan mit seinem Pferd und legte seine Stirn an die des Hengstes.

`Mein einziger Freund auf dieser Welt.´
 

Die Luft über der Asphaltstraße flackerte in der brühenden Hitze, die auch diesen Tag wieder zu regieren schien. Es war Mittag und die Sonne hatte ihren Zenit erreicht. Kasper und er lagen im Schatten einiger Bäume, welche zu einem angrenzenden Waldstück gehörten, welches neben der Straße lag. Ethan konnte es nicht über das Herz bringen, seinen Freund in dieser Hitze ihn und die Kutsche ziehen zu lassen. Sie hatten sowieso alle Zeit der Welt. Niemand erwartete sie, niemand vermisste sie. Wozu sich also durch die Mittagshitze quälen? Während Kasper vor sich hin döste, blickte Ethan schläfrig unter seiner Hutkrempe hervor zum Horizont. Immer noch war er sich nicht sicher, wohin es nun gehen sollte. Die nächste große Stadt war noch einige Meilen entfernt, doch was, wenn es dort auch nicht klappen würde? Bisher hatte er es nie länger als nur ein paar Tage ausgehalten. Manches Mal hatte es mit den Leuten zu tun gehabt, welche ihn genauso einengten, wie es sein Vater getan hatte. Manches Mal lag es aber auch an ihm selbst, weil er sich einfach nicht wohl gefühlt hatte und ihn ein komisches Gefühl des Weiterreisens fort gedrängt hatte. Bisher hatte er noch nicht den Platz gefunden, diesen einen, der für ihn von Gott bestimmt war. Sofern es diesen überhaupt außerhalb der Gemeinde für ihn gab.

Er rechnete sich auch nicht mehr Erfolg in der nächsten Stadt aus. Vielleicht war es sein Schicksal zurückzukehren. Vielleicht gab es für ihn nur diese eine Heimat. Der Blonde strich sich eine Haarsträhne von seinem schulterlangen Haar wieder hinter das Ohr und seufzte leise. Wieder glitt sein Blick Richtung Horizont und betrachtete auf den Weg zu diesem flüchtig die Landschaftsgestaltung um sich. Bäume, Sträucher, Insekten, eine endlose Straße zu beiden Seiten, ein schriller Schrei und empor fliegende Vögel.

Moment Mal!

Irritiert richtete sich Ethan auf und schob seinen Hut weiter hoch. Er drehte sich um, in die Richtung aus der der Schrei gekommen zu sein schien. Hatte er sich vielleicht verhört? Hatten seine Ohren eine Art Sinnestäuschung? Er lauschte, konnte aber nichts weiter vernehmen. Gerade als er es mit einem Kopfschütteln abtun wollte, drang ein weiterer Schrei an sein Ohr. Dieses Mal war er sich sicher, dass er es sich nicht eingebildet hatte. Vielleicht brauchte dort jemand Hilfe. Ethan beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Um seine Kutsche brauchte er sich keine Sorgen machen. Niemand stahl in dieser Zeit noch so etwas altertümliches und seine Wertsachen waren sicher verschlossen.

„Ich bin gleich wieder da Kasper“, meinte er zu seinem Hengst.

Ob dieser ihn gehört hatte, wusste er nicht, denn er erhielt nur ein kurzes Zucken mit dem Ohr seitens des Rappen. So ging Ethan einfach los, nicht wissend wohin überhaupt, denn nun war wieder Ruhe eingekehrt. Er folgte einfach seinem Instinkt und musste schnell feststellen, dass der Wald an dessen Rande er rastete, gar nicht so dicht und weit war, wie er angenommen hatte. Nach einer kleinen Lichtung konnte er bereits das Ende erkennen. Je mehr darauf zuging, desto deutlicher zeichnete sich ein breiter See hinter den Bäumen ab. Wieder ein Schrei, doch diesmal konnte er auch ein Lachen vernehmen. Ein wenig verunsichert, versteckte er sich hinter einem der Bäume und lugte hinter diesem leicht hervor. Seine Augen erblickten drei Frauen. Das Alter ließ sich aus seiner Entfernung schwer schätzen, zumal sie sich wild im Wasser umher bewegten. Tief schien der See nicht zu sein, denn sie schienen umher zu laufen. Nun zum Teil. Immer wieder versuchten sie, sich gegenseitig unter Wasser zu tauchen und lachten dabei ausgelassen. Wobei gelegentlich ein Aufschrei ertönte, wenn eine von ihnen das Tauchopfer wurde. Ethan fühlte sich ein wenig dumm und lächerlich, dass er dem Schrei nachgegangen war und nun einfach Frauen beim Baden zusah. Eigentlich hatte er schon längst vorgehabt, wieder zurück zugehen, denn Hilfe wurde hier nicht gebraucht und doch konnte er seine Augen nicht von den Dreien wenden. Es war eine komische Ansammlung von Gefühlen, welche sich bei diesem Anblick meldete. Sehnsucht nach Gesellschaft, durch die Luft übertragende Freude, Lust und Neid auf ihren Spaß, den sie hatten, Schamgefühl, dass er sich hier hinter einem Baum versteckte und sie beobachtete. So etwas tat man nicht, klopften ihm die erzieherischen Worte seines Vaters an den Kopf. Langsam drehte er sich um zum Gehen, doch noch immer war sein Kopf zu den elfengleichen Wesen gerichtet, welche nicht viel mehr trugen, als Badeanzüge, welche ihren Körpern sehr schmeichelten. Es kam, wie es kommen musste und sein Fuß verhakte sich in einer überirdisch verlaufenden Baumwurzel.

„Wah!“, entwich es seiner Kehle.

Mit fuchtelnden Armen versuchte er, irgendwie das Gleichgewicht zu halten und mit dem anderen Fuß irgendwo Halt zu finden. Doch das Glück schien ihm selbst jetzt nicht hold zu sein und so rutschte er mit dem anderen Fuß auf einem rundlichen Stein aus und purzelte einfach aus seiner Deckung hervor. Instinktiv schloss er die Augen und spürte kurz darauf, wie er unsanft auf dem trockenen, harten Waldboden auf kam. Als er seine Augen wieder öffnete, erblickte er Grashalme. Das Gelächter war verstummt. Es herrschte absolute Stille. Langsam rappelte er sich wieder auf.

„Hey Sie! Macht es ihnen Spaß, Frauen heimlich zu beobachten?“, vernahm er plötzlich eine herrische Frauenstimme.

Wie vom Donner berührt, richtete er seinen Blick zum See, aus welchen nun nur noch drei Damenköpfe heraus guckten. Sofort schüttelte er vehement den Kopf und senkte den Blick zu Boden.

„Und was machen Sie dann da hinter dem Baum?“

„Ich… ähm… also“, begann Ethan leise zu stottern.

Er fühlte sich, wie ein kleiner Junge, den man bei einem Streich ertappt hatte. Dabei hatte er wirklich keine bösen Absichten gehabt.

„Wir verstehen Sie nicht. Kommen Sie dichter oder sprechen Sie lauter!“

Nervös blickte Ethan auf, wendete den Blick aber rasch wieder ab, da die Frau, welche mit ihm sprach, nun nur noch bis knapp zur Hälfte im Wasser war und ihre Arme in die Hüfte stemmte. Scheu und beschämt kam er ein wenig dichter und stand kurz darauf direkt am Seeufer.

„Ich… ich hatte einen Schrei gehört und… nun ja.. ich… . Ich dachte, jemand bräuchte Hilfe… und deswegen kam ich hier her. Aber… ich hab gesehen, dass Sie keine Hilfe benötigen und wollte grade wieder weg gehen. Ich schwöre es!“

Kurz hatte er bei den letzten Worten zu den drei Frauen gesehen, doch lange hatte er dies nicht aushalten können und starrte nun wieder zu Boden. Innerlich wünschte er sich, eben dieser würde sich auf tun und ihn verschlucken. Wäre er doch bloß nicht dem Schrei nachgegangen.

Sein Ohr vernahm ein angeregtes Tuscheln, gepaart mit einem amüsierten Gekicher. Aufzusehen traute er sich dennoch nicht.

„Das ist aber sehr fürsorglich von Ihnen“, flötete eine andere Frauenstimme, „Wieso kommen Sie nicht zu uns und leisten uns Gesellschaft? Das Wasser ist nur am Ufer ziemlich tief. Aber wenn sie ein Stück geschwommen sind, können Sie wie wir stehen.“

Ein lauteres Gekicher folgte und wieder schüttelte Ethan energisch den Kopf und er spürte, wie ihm in diesen langsam das Blut stieg.

„Wieso denn nicht? Das Wasser ist herrlich“, erklärte die Stimme und kurz darauf hörte er ein angeregtes Platschen.

„Nein. ... Nein mir... ist nicht ….nach ... Baden. Vielen Dank … für ihr Angebot. Bitte, entschuldigen Sie mich“, stammelte Ethan mühevoll zusammen und wollte sich eigentlich endgültig umdrehen, um zügig die Szenerie zu verlassen.

Doch als er zurück treten wollte, spürte er einen Widerstand hinter sich. Es folgten entzückte Ausrufe und ein demonstrativer Schubser von hinten. Ehe Ethan wusste wie ihm geschah, tauchte er auch schon ins Wasser ein und sank in die Tiefe. Ein wenig hektisch bewegte er seine Arme und Beine, um die Oberfläche wieder zu erreichen, nur um dann von einer Eintauchfontäne überrollt zu werden. Nach Luft japsend hielt er sich über Wasser und wischte sich mit einer Hand ein wenig des kühlen Nass aus den Augen, bevor er Kasper auftauchen sah, um welchen sich die Damen nahezu rissen. Ein wenig ungläubig sah er zu seinem Gefährten hin, welcher neben der Abkühlung im Wasser auch eben dieses zu trinken begann. Während die Aufmerksamkeit der Frauen auf dem Rappen lag, griff er mit den Händen ans Ufer und hievte sich ein wenig schwerfällig aus dem Gewässer heraus. Nur um dann so schnell er konnte, vom See zu verschwinden. Das Gehen gestaltete sich schwieriger, als er gedacht hatte, was zum Großteil an seiner schweren, vollgesogenen Kleidung lag und natürlich an der Menge an Kleidung, die er trotz des warmen Wetters trug. Lediglich seine Jacke lag in der Kutsche. Doch die Schuhe, Socken, die Hose samt Hosenträgern, Unterwäsche, das Hemd und die Weste hatte er angehabt. Nun konnte er wohl alles ausziehen, erstmal. Das einzig Gute, das ihm blieb, war, dass bei der Wärme seine Sachen schnell trocknen würden. Auf der Lichtung, welche er schon auf den Hinweg passiert hatte, blieb er stehen und lehnte sich gegen einen Baum. Neben der Anstrengung in den Sachen zu laufen, spürte er jetzt erst, wie wild noch immer sein Herz vor Schreck schlug. Wieso war Kasper überhaupt dort hingekommen? Hatte er ihn gehört, als er gestolpert war? Wieso hatte er Kasper dann nicht gehört? Ach ja… die Frauen.

„Entschuldigen Sie.“

Entgeistert und mit einem wieder zu nehmenden Herzschlag fuhr Ethans Kopf herum, in die Richtung aus der er eben gekommen war. Eine der Frauen schien ihm nachgekommen zu sein. Erst jetzt bemerkte er, wie jung diese zu sein schienen. Zumindest sie schien es. Er schätzte sie so auf sein Alter vielleicht auch jünger. Zugegeben er war recht schlecht in solchen Dingen. Auf jeden Fall war sie jung und ihr nasses, brustlanges, dunkles Haar hing seitlich herab und das Ende von diesem verschwand unter dem Saum des um den Körper geschlungenen Handtuchs. Obwohl das Handtuch sicherlich weiter war als der Badeanzug, konnte er dennoch ihre Körperrundungen gut erahnen. Überall an ihr hingen funkelnde Wassertropfen. Ihr Gesicht hatte weiche Konturen, einen vollen Mund und eine Stupsnase, auf welcher er kleine Sommersprossen erkennen konnte. Doch am meisten faszinierten ihn ihre Augen. Ein solches helles Grün hatte er wahrlich noch nie gesehen und er spürte, wie in ihm Hitze hoch stieg und eine gewisse Nervosität sich über seine Hände mit einem leichten Zittern entlud. Mit ein wenig Mühe riss er sich von diesem Anblick los, als er bemerkte, dass seine Augen wieder mehr und mehr an ihrem Körper herunter zu wandern begannen. So etwas war wirklich gegen die christlichen Lehren, die er gelernt hatte und auch zu befolgen vermochte.

„Verzeihung, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich… ich wollte Ihnen nur ihren Hut wieder geben“, sagte die Dunkelhaarige und hielt ihm kurz darauf seinen ebenfalls durchtränkten Filzhut hin.

Irritiert blickte er auf seinen Hut und riss diesen ein wenig zu ruckartig an sich, als er merkte, dass sein Blick wieder einmal auf ihren Körper zu wandern begann.

„… Danke.. vielen… Dank. Sehr… freundlich“, murmelte er verlegen hervor und wrang den Hut einmal aus.

Kurz überlegte er, ihn wieder aufzusetzen, entschied sich aber dann doch dagegen, da wohl auch dieser trotz Auswringen immer noch schwer sein würde.

„Ich wollte mich auch entschuldigen für die barsche Art meiner Freundin Mary und die Aufdringlichkeit von Grace.“

„Ist… ist.. kein Problem… . Wirklich nicht.“

„Ich heiße im übrigen Louisa. Und Ihr Name ist?“

Ethan sah kurz zu der Dunkelhaarigen herüber, welche sich ihm nun vorgestellt hatte. Auf den Lippen von Louisa lag ein sanftes Lächeln und irgendetwas schien sie noch auszustrahlen, denn Ethan merkte, wie die Nervosität langsam kleiner wurde. Sein Herz jedoch schlug ihm nach wie vor bis zum Hals.

„Ethan.“

„Freut mich. Ich hoffe, das „du“ ist in Ordnung?“

Ethan nickte rasch, vielleicht ein wenig zu schnell, denn Louisa wirkte kurz verwirrt, begann dann jedoch wieder ihr bezauberndes Lächeln zu zeigen.

„Ist das dein Pferd gewesen?“

Ein wenig verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und begann unruhig auf der Stelle zu treten.

„Ähm… nun ja… ja. Ich hoffe er hat … keinen verletzt. Kasper ist eigentlich ein Lieber… .“

Er wusste partout nicht was in diesen gefahren war, weswegen er ihn ins Wasser geschubst hatte. Ein leises Lachen vernahm er von seiner Gegenüber. Ein leichtes Rot schoss ihm in die Wangen. Es war ihm unsagbar peinlich, was geschehen war.

„Keine Sorge, alles bestens. Kasper heißt er also? Ein komischer Name. Klingt gar nicht so amerikanisch.“

„Es … es… ist auch keiner… . Ich weiß … aber auch nicht, woher er kommt“, gestand Ethan ein.

„Nun ja, man muss ja nicht alles wissen. Aber der Name ist wirklich schön, passt zu einem solch schönen Tier.“

„Danke.“

Das aufkommende Schweigen war merkwürdig. Doch Ethan wusste nicht, was er noch sagen sollte. Smalltalk lag ihm nicht sonderlich, die Sachen an seinem Körper fühlten sich mehr und mehr unangenehm an und dem Drang zu widerstehen, Louisa nicht anzustarren wurde immer schwerer.

„Lou~!?“, rief die Stimme einer ihrer Freundinnen und durchbrach die Situation.

„Ich komme, Gracie!“, antwortete Louisa mit lauterer Stimme dieser, ehe sie sich wieder Ethan zuwandte.

„Also, ich muss dann wohl wieder. Vielen Dank für das nette Gespräch, Ethan. Es war schön dich kennenzulernen.“

„Danke… ganz meinerseits“, brachte er noch hervor, bevor die hübsche Dunkelhaarige ihm den Rücken zukehrte.

Vorsichtig blickte er ihr nach und zuckte kurz zusammen, als sie sich noch einmal lächelnd umdrehte und ihm zuwinkte. Ein wenig zögerlich hob auch Ethan die Hand, jedoch war er sich nicht sicher, ob sie es noch gesehen hatte, bevor sie sich wieder zurück drehte. Die Hitze, die er vorhin in sich hochsteigen gespürt hatte, hatte nun endgültig seine Wangen erreicht und für einen kleinen Moment fragte er sich, ob es Fieber sei. Doch dann schüttelte er diesen Gedanken ab. Wovon sollte er Fieber haben? Es war gewiss diese Sommerhitze, die ihm grade zu schaffen machte. Ja, ganz bestimmt.

Nachdem er seinen Weg zur Kutsche fortgesetzt und sich in dieser mit trockenen Sachen ausgestattet hatte, hörte er das dumpfe Geräusch von Pferdehufen auf sich zu kommen. Kurz darauf kam ein ziemlich nasser, mit Sand panierter Kasper zurück zu ihm.

„Na, auch wieder da?“

Kasper scharrte mit den Hufen und schüttelte sich einmal durch, wobei neben ein paar Wassertropfen auch einige Sandkörnchen durch die Gegend flogen. Ethan wandte sich ein wenig ab, bis sein Rappe fertig war.

„Sag mal, was war das eben eigentlich für eine Aktion von dir? Musste das sein?“

Kasper schob die Lippen hoch, sodass man seine Zähne gut sehen konnte, wieherte, was in Ethans Ohren ein wenig schadenfroh klang, und nickte dann ausgiebig mit dem Kopf.

„Ha ha. Sehr lustig. Das war total peinlich. Wenn du nicht mein Freund wärst und derjenige, der die Kutsche ziehen muss, würdest du heute nichts zu essen bekommen. Mach das nie wieder, hast du gehört?“, tadelte Ethan den Rappen mit erhobenen Zeigefinger.

Dann jedoch seufzte er und ging auf seinen Hengst zu, um diesem ein wenig Zuneigung zukommen zu lassen. Sein Kasper hatte es gewiss nicht böse gemeint.
 

Das Klackern der Hufe auf dem Asphalt, der aufgehenden Sonne entgegen, wurde von einem vorbei fahrenden Auto übertönt, doch Ethan schenkte diesem keinerlei Aufmerksamkeit. Viel zu sehr ratterte es in seinen Kopf, wie es weiter gehen sollte. Seit der Begegnung mit Louisa hatte er abends nur noch sehr selten an seinen Vater gedacht. Nun jedoch war dieser wieder präsenter, als es ihm lieb war. Zwei Tage später, nach dem unfreiwilligen Bad, hatte er die Stadt erreicht, welche nun im Schatten seines Rückens begann, immer kleiner zu werden. Er hatte nicht erwartet, hier Arbeit für lange Zeit zu finden, wenngleich diese Hoffnung im Unterbewusstsein immer mal wieder aufzuflackern versuchte. Vielmehr hatte er sich dort nur ein paar Tage ausgerechnet, aber diesmal waren nicht einmal diese ihm gegönnt. Zwei ganze Tage hatte er sich durch die Stadt gefragt, doch niemand hatte etwas für ihn oder wollte ihn gar. Er hatte schon an einigen Orten bemerkt, wie misstrauisch Leuten gegenüber Fremden waren. Er konnte es ihnen nicht einmal verübeln, war seine ursprüngliche Gemeinde doch genauso gewesen. Aber so gar nichts zu finden, war ermüdend. Sein letztes Geld hatte er für ein wenig Proviant ausgegeben und nun, nun stand er vor der wohl schwersten und zu gleich wichtigsten Frage in seinem bisherigen Leben. Wohin sollte es gehen? Zurück zu seinem Vater, zurück in den Schoß der Gemeinde? Oder doch noch einmal das Schicksal herausfordern?

„Ho~h. Ha~lt“, wies er Kasper an, stehen zu bleiben, als die Straße vor ihnen sich gabelte und in zwei Richtungen führte.

Während Kasper unruhig mit dem Vorderhuf scharrte, blickte Ethan die Schilder an, welche ihm sagten, in welcher Richtung was lag. Er hatte gehofft, dass die Entscheidung wohin es gehen sollte, ihm nicht so schnell über den Weg laufen würde. Aber Gott schien die Entscheidung sofort zu wollen. Er hatte sich in den vergangenen sechs Monaten immer wieder die Frage gestellt, ob er zurück sollte oder nicht. Er hatte Für- und Wider-Argumente gesammelt in seinem Kopf und doch immer wieder die Entscheidung vertagt, immer mit der stillen Hoffnung, dass sie sich von alleine erledigen würde, doch dem schien nicht so zu sein.

Angespannt schob er seinen Hut ein Stück nach hinten und fuhr sich über die Augen. Sollte er Kasper die Entscheidung überlassen? Nein, nein er musste sie selbst fällen. Wie oft hatte er mit seinem Vater gestritten, dass er alt genug war, um selber über sein Leben zu bestimmen und wie oft hatte ihm sein Vater das Gegenteil bewiesen. Nun war es wirklich an der Zeit, zu entscheiden. Allein.

Noch einmal ging er alle Argumente in seinem Kopf durch, doch keines schien wirklich zu überwiegen. Was sollte er tun? Er beugte sich nach hinten und zog seinen letzten Nickel aus seiner Hosentasche. Dieser, so beschloss er, sollte über sein Schicksal entscheiden. Der darauf abgebildete Thomas Jefferson würde für die Heimreise stehen, das auf der anderen Seite abgebildete Monticello für den Aufbruch in die neue Stadt und die endgültige Entscheidung, nie mehr nach Hause zurück zu kehren, ganz gleich, ob er über die Runden kam oder nicht. Er zog die Bremse der Kutsche zur Sicherheit an und drückte den Nickel noch einmal fest in seiner Hand. Mit einem tiefen Ein- und Ausatmen versuchte er, sein Herzklopfen runter zu fahren. Er fühlte, wie sich etwas Schweres um dieses legte. Er würde die Entscheidung akzeptieren, egal wie sie ausfiel. Dennoch hatte er Angst.

Mit einer schnellen Handbewegung warf er die Münze in die Luft und fing sie dann geschickt wieder auf, nur um sie dann auf seinem einen Handrücken aufzuschlagen. Ein weiteres tiefes Durchatmen erfolgte und ganz langsam hob er die Hand.

Monticello.

Ethan war überrascht, wie auf einmal die Schwere von ihm abfiel und erleichtert schloss er die Augen. Weiterziehen also und nie wieder zurück. Er wusste nicht, wie es weitergehen würde und ob er jemals aufhören würde, mit dem Umherziehen. Aber er war froh, eine endgültige Entscheidung zu haben, wenngleich eine Münze ihm diese abgenommen hatte. Mit einer leichten Euphorie steckte er den Nickel wieder zurück, lockerte die Bremse und gab Kasper das Zeichen, wieder vorwärts zu gehen. Dabei lenkte er geschickt die Kutsche auf die linke Straßenabbiegung. Die Meilenanzahl verriet ihm, dass er, je nachdem wie heiß es weiterhin sein würde, bis zu vier oder fünf Tagen zur nächsten Stadt brauchen würde.
 

„So ein verdammter Drecksmist! Mist Ding. Sturer Bockmist!“

Ethan, dessen Gedanken irgendwann begonnen hatten, die Kreise um seinen Vater und seine Entscheidung nicht mehr weiter zu verfolgen, sondern zurück zu Louisa zu kehren, blinzelte wach werdend einige Male und rieb sich über die Augen. Er war überrascht, dass er so sehr in seine Gedanken vertieft war, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, dass sich die Sonne bereits zum Abschied aufgemacht hatte. Noch hing sie in voller Pracht am Himmel. Doch einer Stunde später würde sie in Horizont eintauchen und versinken. Eigentlich hätte Ethan nun begonnen, sich nach einem Nachtlager umzusehen, doch das Fluchen, welches an sein Ohr drang, brachte ihn von diesen Gedanken vorerst ab. In der näher kommenden Ferne sah er eine Person hektisch hin und her laufen und, wie er bereits feststellen durfte, ordentlich laut fluchen. Was dem Menschen wohl fehlte? So ganz genau konnte er es noch nicht ausmachen, weswegen er ein paar Mal mit der Zunge schnalzte und Kasper somit in den Trab trieb.

Nach wenigen Minuten war die Entfernung überbrückt und nun konnte Ethan endlich sehen und auch verstehen, wieso die Person so sehr fluchte. Die Person, bei der es sich um einen Mann handelte, welchen er ein wenig jünger schätzte als seinen Vater, blickte mit einer Mischung aus Wut und Verwirrung zu ihm, als er Kasper anhalten ließ.

„Guten Abend, Sir. Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Ethan und nickte mit dem Kopf zu dem in einen Graben gerutschten Traktor hinüber.

Der Mann beugte sich ein wenig vor und zurück, runzelte dann die Stirn und warf ihm einen skeptischen Blick zu.

„Ich denke nicht, Jungchen. Außer du versteckst irgendwo in oder hinter deiner Kutsche eine Zugmaschine.“

„Ähm nein… so etwas habe ich nicht, aber Kasper kann vielleicht ihr Fahrzeug herausziehen.“

„Das Pferd da? Bist du sicher, dass es noch dazu in der Lage ist? Sieht so aus, als sei es den ganzen Tag mit dir umhergefahren.“

Ethan blickte ein wenig ertappt zu Boden. Es war wahr. Er hatte so sehr seinen Gedanken nach gehangen, dass er gar nicht darauf geachtet hatte, seinem Freund eine Pause zu können. Er fühlte sich schlecht, diesen so vergessen zu haben. So etwas war ihm doch noch nie passiert.

„Nun… dann vielleicht Sie und ich, zu zweit?“

Der Mann vor ihm lachte laut auf, ehe er zu reden begann: „Ich möchte dich wahrlich nicht beleidigen, aber wir zwei und mein schwerer Traktor? Das wird nichts. Ich brauche eine kräftige Zugmaschine und eine weiter Person um das Mistding wieder rauszubekommen.“

Damit wandte sich der Mann wieder ab und wanderte um sein Fahrzeug herum, anscheinend immer noch auf der Suche nach einer Idee, wie er nun weiter machen sollte. Ethan schien er dabei schon wieder vollkommen zu vergessen. Der Blonde selbst ging zu seinem Rappen und tätschelte diesem den Hals.

„Es tut mir Leid, Kasper, dass du heute keine Pause bekommen hast. Dafür werden wir morgen einen Rasttag einlegen, versprochen“, flüsterte er diesem ins Ohr.

„Aber sag, meinst du, du hast noch genug Kraft, dem Mann zu helfen?“, fragte er weiter mit einem Blick auf diesen, welcher ihm jedoch keinerlei Aufmerksamkeit schenkte.

Ein leichtes Nicken mit dem Kopf und ein zartes Stupsen mit den Nüstern an Ethans Brust war die Antwort, welche ihm Kaspar zukommen ließ.

Der Blonde wisperte ein Danke und begann, seinen Freund auszuspannen. Dann kramte er im Bockfach der Kutsche nach einem starken Seil, das Stärkste was er hatte, und hoffte, es würde halten.

„Entschuldigen Sie, aber wo genau kann ich das Seil fest machen, ohne dass es beim Ziehen Beschädigungen an ihrem Gefährt gibt?“, fragte Ethan und riss den Mann aus seinen Gedanken.

„Bist du immer noch hier, Junge? Ich dachte, du wärst schon weiter gezogen. Hartnäckig, was? Hm, du willst es also wirklich versuchen mit deinem Gaul?“

Ethan biss sich auf die Lippe und zog merklich Luft ein. Er hasste es, wenn man seinen Freund so abfällig betitelte, doch er schwieg und nickte dann demonstrativ mit dem Kopf.

„Na gut, dann binde den mal ans Seil und ich werde das andere Ende befestigen.“

Während Ethan der Aufforderung nach kam, vernahm er noch ein gemurmeltes „Zeitverschwendung“ hinter sich. Doch er war zuversichtlich, dass Kasper sie nicht enttäuschen würde, wenn sie zusätzlich mithalfen.

Als alles verbunden war, machten sich die zwei Männer bereit, das Fahrzeug von hinten mit hoch zu schieben.

„Na dann Jungchen, zeig mal was dein Rappe drauf hat. Auf drei. Eins… zwei… drei!“

„Vorwärts Kasper! Zieh mein Junge“, rief Ethan auf das Kommando hin zu diesem.

Zuerst schien es, als würde sich nichts bewegen wollen, doch grade in dem Moment, als der Mann bereits den Plan als gescheitert erklären wollte, gab der Traktor seinen Widerstand langsam auf. Millimeter für Millimeter begannen sie, das Ungetüm vorwärts zu bewegen.
 

Es hatte länger gedauert, als sie alle gedacht hatten, doch letzten Endes stand der Traktor mit seinen Rädern wieder sicher auf der Straße. Ethan löste die Verbindung von Kaspers Kutschen-Zaumzeug auf, als der Mann hinter ihn trat und den Hals des Rappen ausgiebig klopfte.

„Ich gebe es ungern zu, aber… ich bin beeindruckt von deinem Pferd. Hengst oder Wallach?“

„Hengst, Sir“, beantwortete Ethan brav die Frage und wickelte das Seile mit Hilfe seiner Schulter wieder auf.

„Aha. Sag mal Bursche, wie heißt du eigentlich und wohin reist du? Bist du auf den Weg nach Hause?“

„Ich heiße Ethan Kaufmann, Sir und ich ähm… nein Sir ich… ich reise durch die Lande auf der Suche nach Arbeit... und einer neuen Heimat.“

„Kriminelle Flucht?“

Ethan sah den Mann schockiert an und schüttelte dann mit ernster Miene energisch den Kopf.

„Nein, Sir.“

„Familiäre Probleme? Abgehauen von Zuhause? Selbstfindung?“

Ethan schwieg und verstaute sein Seil wieder in seinem Kutschbock.

„Hm… verstehe. Gut, sei es drum. Ich danke dir für deine Hilfe.“

„Gern geschehen, Sir. Komm her Kasper, mein Junge, wir müssen noch ein Stück.“

Es würde wohl schwierig werden, einen guten Platz zum Verweilen zu finden, denn mittlerweile küsste die Sonne den Horizont und der Himmel hatte sich in ein feuriges Orangerot gekleidet. Aber irgendwas würden sie schon finden, da war sich Ethan sicher. Sie hatten bisher immer etwas gefunden, als Team.

„Du willst doch wohl dein armes Pferd nicht wieder vor die Kutsche spannen“, stellte der Mann ein wenig vorwurfsvoll fest.

„Doch, Sir. Ich muss mit ihm noch ein Stück weiter, um ein passendes Nachtlager zu finden.“

„Ach, müsst ihr nicht. Weil du so hilfsbereit warst, lade ich dich ein die heutige Nacht in meinem Hause zu verbringen. Dein Pferd kann sich in meinen Stall ausruhen. Komm wir machen die Kutsche an meinem Traktor fest und lassen dein Pferd hinter dieser gehen. Er hat nun wahrlich genug getan für heute.“

„Ich ähm… das ist wirklich sehr freundlich Sir, aber ich...“

„Keine Widerworte, ich muss mich schließlich revanchieren,. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz in meiner Familie. Mein Name ist im Übrigen Jean Moreau“, stellte sich nun der andere vor.

Ethan nickte verstehend, schüttelte dem anderen die dargebotene Hand und tat, wie ihm geheißen.
 

Kurze Zeit später saß er hinter dem Mann auf dem Traktor und nach einer Weile näherten sie sich anscheinend ihrem Zielort. Die Fahrt über herrschte zwischen beiden Männern Schweigen. Ein unangenehmes war es nicht. Ethan selbst genoss diese andere Art des Reisens und blickte hin und wieder zu Kasper hin, welcher dem Gespann treu und bieder folgte, wenngleich der Rappe ziemlich erschöpft wirkte. Es war doch eine gute Idee gewesen, dass Angebot anzunehmen.

„Was für Arbeiten tätigst du denn?“, durchbrach die Frage des Mannes die Stille wie aus dem Nichts heraus.

„Ich… ach ich mache eigentlich alles mögliche.“

„Auch landwirtschaftliches?“

„Natürlich, Sir. In meinem Heimatort, habe ich viel auf den Äckern geholfen oder Reparaturen vorgenommen.“

„Ah also mit Autos kennst du dich auch aus, sehr gut.“

„Ähm nein Sir, bedaure, aber ich reparierte nur Kutschen oder Möbelstücke.“

„Oh, nun gut. Immerhin besser als nichts. Weißt du, mein letzter Knecht hat vor einigen Wochen gekündigt und ich selbst habe nur ein einzige Tochter, die sich zwar sehr viel Mühe gibt, mich zu unterstützen, doch ich kann ihr natürlich nicht alles zumuten.“

Ethan nickte verstehend, verstand jedoch nicht, worauf das Ganze hinaus laufen sollte, als sie das Eingangstor der Ranch von Jean Moreau passierten.

„Wenn du Arbeit suchst, kannst du gerne bei mir anfangen. Ich kann dir zwar nicht viel zahlen, aber Kost und Logier würdest du bei uns kostenlos dafür bekommen. Also wenn du möchtest, überlege es dir bis morgen.“

Ethan wollte nicht unhöflich sein und dieses Angebot sofort ablehnen, aber eigentlich wollte er nicht hier verweilen. Diese eine Nacht würde er bleiben, doch morgen früh würde er ihm höflich sagen, dass er weiter ziehen musste. Er musste in die nächste Stadt und dort nach Arbeit suchen. Allerdings… Zweifel kamen in ihm auf. Wer wusste schon ob er in der nächsten Stadt überhaupt Arbeit finden würde? Vielleicht sollte er doch das Angebot annehmen. Er musste ja nicht für ewig bleiben. Nur ein paar Tage. Mehr würden es gewiss nicht werden, so wie er sein Glück kannte.

„Ich würde es gerne hier versuchen“, lenkte er deshalb ein.

„Das klingt gut. Dann werde ich deinem Kasper gleich nach unserer Ankunft eine richtige Box zuweisen. Ich zeig dir dann wo Heu und all das ist.“

Der Traktor kam vor einer Scheune, welche direkt neben den Wohnhaus stand zum Stehen. Erst jetzt kam Ethan dazu, sich ein wenig genauer um zu sehen. Die Ranch war bei weitem größer, als es noch wenige Momente vorher den Anschein erweckt hatte. Neben der Scheune neben dem Haus gab es noch zwei große Ställe und einen kleineren. Über den Hof huschten einige Gänse und Hühner, als sie vom Traktor stiegen und zum Haus herüber gingen.

Mister Moreau öffnete die Tür und lauschte kurz, ehe er zu rufen begann.

„Olivia?! Liebling, komm bitte ein mal her“, rief er nach seiner Frau.

Es dauerte keine paar Sekunden, da hörte Ethan, wie jemand die Treppen herunter kam, doch aus Jean Moreaus Reaktion konnte er schnell schließen, dass es nicht um seine Frau dabei handelte.

„Ah, Prinzessin, sag wo ist deine Mutter?“

„Zur Nachbarin, Vater. Ihr war die Butter ausgegangen, aber sie sollte bald zurück sein.“

Ethan runzelte beim Klang der Stimme leicht die Stirn. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor, doch er wusste nicht genau, woher. Das Rätsel löste sich als Jean die Tür weiter aufmachte und ihm nun seine Tochter vorstellen wollte.

„Ich hab nämlich jemanden mitgebracht. Das ist Ethan Kaufmann, er hat mir geholfen meinen Traktor, dass olle Mist Ding, wieder aus dem Graben zu ziehen. Ich schwöre dir, morgen werde ich in die Stadt fahren und dem Mechaniker die Lenkung um die Ohren knallen. Ethan, das ist meine Tochter… .“

Den nachfolgenden Worten hörte Ethan schon gar nicht mehr zu, als eine dunkelhaarige junge Frau aus dem Schatten der Tür hervor trat und ihre hell grünen Augen auf seine blauen trafen. Ein leichtes, knielanges Sommerkleid, umspielte ihre Figur.

Louisa… .

Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen, bis sie es war, die ihre Stimme erhob.

„Hallo Ethan, wie schön dich wieder zu sehen“, erwiderte sie mit diesem liebevollen Lächeln auf den Lippen, welches ihm schon vor einigen Tagen so sehr gefallen hatte.

„E...e...ebenso“, brachte er mühselig hervor und schnell huschten seine Augen zur Seite doch ihr Vater schien bereits zurück zum Traktor gegangen zu sein.

Und so nahm er es sich noch einen Moment Zeit, Louisa noch einmal anzusehen, langsam und zaghaft erwiderte er dann ihr Lächeln.

„Ethan!? Wo bleibst du? Wir müssen deine Sachen noch irgendwo unterbringen.“

Ethan fuhr mit dem Kopf herum und spürte, wie ihm wieder einmal das Blut in diesen stieg.

„Ich komme sofort, Sir“, erwiderte er.

Dann wendete er sich noch einmal Louisa zu, welche nur ein verständnisvolles Kopfnicken von sich gab.

„Geh. Wir sehen uns gleich beim Essen wieder“, sagte sie leise.

Ethan nickte und begab sich auf den Weg zu Jean. Als er sich noch einmal umdrehte, sah er Louisa bereits wieder ins Haus gehen. Vielleicht würde er doch ein wenig länger hier bleiben und aushalten können. Vielleicht würde er dieses Mal länger bleiben, als nur ein paar Tage.



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