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Der Held von Aranor

Der König von Kalaß
von

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Teil 2: Keine Ehre

Ein paar Wochen lang treffen sich Nico und Eria alle drei Tage in „Rosheas Rose“, während Mina weiter ihrer neuen Tätigkeit als Tänzerin nachgeht. Es dauert nicht lang, bis Nico bei seinen unregelmäßigen Besuchen in der Kaserne mitbekommt, wie sich zwei andere Offiziere auf dem Hof, hinter seinem Rücken über die Arbeit seiner Freundin tuscheln. Nico kann das Gespräch deutlich verfolgen, da die Männer nicht allzu leise sprechen.

"Da ist Dugar. Ich habe gehört seine Perle tanzt jetzt in irgend so einem Schuppen am Hafen" flüstert der eine, während der andere zurück gibt:

"Dass er sich das bieten lässt? Hätt' ich bei ihm nicht gedacht. Aber warte, soll er nicht schon wieder eine Neue haben?"

Nico schreitet ein. Wutentbrannt geht er zu den beiden hinüber, grüßt Sie mit dem obligatorischen militärischen Gruß, der ihm erwidert wird und beginnt zu schimpfen:

"Oberleutnant Jaras, Leutnant Merandis, Sie beide sollten Privatgespräche dieser Art unterlassen, solange Sie im Dienst sind. Sollten Sie ein Statement von mir zum Sachverhalt wünschen, dann treffen Sie sich mit mir nach Dienstschluss.“

„Vorbildlich, darauf komme ich zurück."

entgegnet Jaras, der sich nun verabschiedet. Mit so etwas hatte Nico gerechnet, doch es stellt eine schwierige Situation für ihn dar, denn von einer festen Partnerin wünscht er sich einen angesehenen Ruf, doch wirklich bewusst wird ihm das erst jetzt. Er hat ein ungutes Gefühl und besucht Mina am späten Abend unangekündigt im "Mitternachtstraum".
 

Er betritt das schummrige Lokal und muss mit Erschrecken feststellen, dass Mina mitnichten nur für die Männer tanzt. Im Licht der wenigen Kerzen und funkelnden Glaskristalle, findest er seine leicht bekleidete Freundin auf dem Schoß eines offensichtlich gut betuchten, aber trotzdem unerwartet jungen Herren, vor. Er will weder sich noch sie vorführen, doch es fällt ihm schwer diesen Anblick zu ertragen. Er atmet tief durch und gibt sich alle Mühe sich selbst zu beherrschen.

Besonders aufrecht geht er zu ihr, stellt sich neben sie und sieht tadelnd zu ihr herab, was sie nicht gleich bemerkt.

„Auf ein Wort, Mina“

befielt er kalt. Da sie ihn erst jetzt bemerkt, fährt sie in sich zusammen. Als ihr ein geschocktes „Nico!“ entfährt, ist er schon ein Stück voraus zur Tür gegangen.

Sie folgt ihm in die Nacht hinein und ruft ihm, mit einem verzweifelten, aber auch leicht vorwurfsvollem Ton hinterher:

„Was soll ich denn machen Nico? Du rührst mich ja seit dem…dem Unglück nicht mehr an! Du zwingst mich dazu mir wo anders Nähe zu suchen.“

Er wendet sich zu ihr um, packt unsanft ihren Arm und zieht sie an sich heran.

„Zunächst einmal solltest du mit mir darüber sprechen, wenn du solche Gedanken hast!“

schimpft er verständnislos, doch sie kontert:

„Wann denn? Wir sehen uns ja kaum noch.“

In einer aggressiven Bewegung löst sie sich von seinem Arm und versucht sich weiter zu verteidigen:

„Ich habe Bedürfnisse!“

„Die du gleich beim Nächstbesten zu stillen vermagst, wie ich sehe.“

entgegnet er gespielt belustigt. Er ist noch niemals betrogen worden und weiß nicht wie er mit der Situation umgehen soll. Nicht die Eifersucht spricht aus ihm, sondern gekränkte Ehre.

„Er ist nicht der Nächstbeste. Er ist Baron von Frelangs Sohn...ein, ein echter Prinz.“

Nico dreht sich von ihr weg, weil er sich gar nicht vorstellen will was sie mit diesem Jungen niederen Adels schon alles getrieben haben mag.

„Das kann nicht dein Ernst sein, Mina. Du leugnest es ja noch nicht einmal.“

„Wieso auch? Er hat mehr Geld als du und er hat eine Villa mit Dienern, so wie ich früher. Ich will das alles wieder haben. Du liebst mich doch sowieso nicht mehr und hast selber schon eine andere. Es ist in aller Munde.“

brüllt sie, worauf er sich verteidigt:

„Eria ist nur eine Geschäftspartnerin. Aber das ist ohnehin egal. Kannst du bei Kaede unterkommen oder bei diesem Prinzen?“

Sie geht einen Schritt an Nico heran, der ihr immer noch den Rücken zugewendet hat.

„D-du kämpfst gar nicht um mich?“

Nun beginnt sie leise zu weinen, was sein erkaltetes Herz nicht zu erreichen vermag. Nach einem kurzen Moment der Stille schluchzt sie:

„Ich- ich dachte das weckt dich auf. Ich dachte du entschuldigst dich bei mir, wenn ich so tue, als ob ich mit 'nem anderen mitgehen würde. Ich dachte dann erinnerst du dich wieder an deine Liebe zu mir.“

„Da hast du falsch gedacht, Mina. Ich erwarte von dir, dass ich dir vollkommen Vertrauen kann, aber das hast du gebrochen.“

entgegnet er kalt, worauf sie etwas verzweifelt lachend flüstert:

„Das musst gerade du sagen. Kalja hat dir vertraut und nun ist er tot.“

„Das war sehr verletzend, Mina“

sagt er nach einer kleinen Pause, in der er erst mal schlucken musste. Gerade als sie Luft holen will, um etwas zu sagen, fügt er emotionslos hinzu:

„Es bringt nichts mehr. Du hast recht, Mina. Meine Liebe zu dir ist erloschen.“

Als sie weinend in sich zusammenbricht, lässt er sie hinter sich zurück und verschwindet ohne sie in der Schwärze der Nacht. Anscheinend glaubte sie ihn ernsthaft auf diese Weise wieder auf sich aufmerksam machen zu können. Sie war schon immer ein verrücktes Mädchen, das wusste er, doch auf Dauer kann er das nicht ertragen. Bei sich selbst sucht er keine Schuld. Er wüsste nicht was sein Fehler gewesen wäre.
 

Am nächsten Tag kommt, etwa zur Mittagszeit, Kaede an Nicos Zimmer in der Herberge vorbei, um die Sachen ihrer Schwester abzuholen. Sie erklärt ihm, dass Mina bei ihr unterkommen könnte, ohne ihm einen allzu großen Vorwurf zu machen. Sie scheint sogar ein bisschen erleichtert zu sein ihre Schwester wieder bei sich zu haben, denn noch immer misstraut sie dem jungen Mann, der sie vor ein paar Monaten erst so schwer hintergangen hatte. Trotzdem hasst sie ihn nicht, denn sie kennt auch seine warme und zerbrechliche Seite und im Grunde ihres Herzens weiß sie auch, dass er das Richtige getan hat.
 

Nun kann sich Nico vollständig auf die Zerstreuung der Diebesbande am Lanima konzentrieren. Es fiel ihm unerwartet leicht die Trennung von Mina zu verarbeiten und das auch ohne wieder mit dem Trinken anzufangen. Mit ihr zusammen zu sein brachte ihn gehen Ende eher auf den Gedanken wieder damit anzufangen, denn er wollte sich nicht eingestehen mit ihr als Freundin so verkehrt gelegen zu haben. Er versteht einfach nicht wie sie ihn erst so faszinieren und dann doch so schnell anöden konnte. Sie war eben doch nicht so eine besondere Persönlichkeit wie er zunächst dachte.

Einen neuen Tagesrhythmus sucht er sich unterdessen nicht, denn er trifft sich weiterhin nach Dienstschluss zwei mal in der Woche mit Eria, sieht sich ihren Auftritt an und lässt sich danach von ihr mit wertvollen Informationen zu den beiden Legenden und auch der Diebesbande beliefern. Sie hat damit begonnen sich noch stärker mit ihren Gästen zu unterhalten, als sie es zuvor schon tat, wodurch ihr allerhand Gerüchte zu Ohren kommen.
 

Etwa zwei Wochen ist es her, dass sich der junge Mann von der Tänzerin getrennt hat, als er gemeinsam mit der roten Rose Eria an seinem Stammplatz, dem Tisch an der Bühne, nach ihrem Auftritt, mit ihr über verschiedene Dinge spricht.

„Gute Nachrichten, Nico. Ich habe eine Schwachstelle in den Reihen dieser Diebesbande finden können. Barbas, der Anführer, hat eine neunzehnjährige Tochter, die total auf Uniformen abfährt.“

präsentiert Eria ihre neueste Erkenntnis, doch Nico runzelt verdrießlich die Stirn.

„Nein, Eria. Ich weiß was jetzt kommt. Bitte vergiss es gleich wieder.“

Sie sitzt zwar schon nah an ihm, doch lehnt sie sich nun noch näher zu ihm und fragt verständnisvoll:

„Ist die Trennung zu frisch?“

Er schnalzt mit der Zunge und antwortet:

„Ach, darum geht es nicht. Du willst, dass ich sie aushorche oder mich als ihr Liebhaber ausgebe, damit sie mich ihrem Vater vorstellt. Was in der Art schwebt dir doch vor, oder nicht?“

„Hm, na im Prinzip schon.“

antwortet sie ehrlich und Nico fährt sich angespannt durchs Haar, bevor er sagt:

„Vielleicht können wir das trotzdem ausnutzen. Ich denk darüber nach.“

„Hör mal, Nico. Ich denke du weißt um deine Ausstrahlung. Es sollte kein Problem sein sie zu verhören, ohne ihr auch nur den kleinen Finger zu reichen. Lass sie einfach an der Leine zappeln.“

erklärt sie ganz nüchtern, woraufhin er trotzdem noch angespannt reagiert.

„Ich sagte doch, ich denke darüber nach, Eria. Also lass es! Reden wir zur Abwechslung mal über dich! Du bist doch aus guten Hause, die Tochter des Stadthalters und trotzdem singst du in so einem Lokal?“

„Wie du willst, aber irgendwann musst du mir auch mal was von dir erzählen, hörst du? Die Antwort deiner Frage liegt doch auf der Hand. Natürlich singe ich, weil es mir Spaß macht. Schon in meiner Kindheit war der Gesang meine Leidenschaft. Vor Menschen zu singen, das war mein Traum. Ich eröffnete dieses Lokal, um ihn wahr werden zu lassen. Hast du auch einen Traum, Nico?“

stellt sie ihm die Gegenfrage, die ihn vor ein großes Nichts stellt.

„Einen Traum?“

Wenn er einen hat, dann keinen, der sie etwas anginge. Keinen, der überhaupt irgendjemamden etwas anginge, deshalb ist er auch nicht gewillt ihr eine Antwort zu geben, wo er doch selbst keine kennt. Eria bemerkt seine Verunsicherung, aber auch die Ablehnung im Gesicht des jungen Offiziers und lächelt sanft.

„Schon gut, Nico. Du bist noch so jung. Du hast noch genug Zeit einen Traum zu finden.“

Auf diese Aussage hin fragt er sich wieder wie alt Eria wirklich sein mag. Stark geschminkten Frauen wie ihr misstraut er üblicherweise, weil er glaubt, dass sie etwas zu verbergen hätten. Wahrscheinlich ist sie Mitte dreißig, doch totzdem scheint sie weder Mann noch Kinder zu haben. Das Erbe ihres Großvaters und „Rosheas Rose“ scheinen alles zu sein, was sie braucht, um glücklich zu sein. Vielleicht sind der selbstbewussten Unternehmerin aber auch die Männer davon gerannt, vermutet er. An ihrem Aussehen sollte es jedenfalls nicht liegen, denn ihre Schönheit macht dem Namen des Lokals alle Ehre.

„Dabei hätte ich gerade von dir gedacht, dass du einen Traum hättest, weil du mir sehr zielstrebig an etwas zu arbeiten scheinst. Warum beschäftigst du dich mit dem Relief in der kalasser Kathedrale? Es ist etwas persönliches, stimmts?“

bohrt sie nun doch nach, aber er bleibt hart.

„Natürlich ist es das und genau deshalb spreche ich auch nicht darüber.“

„Das ist sehr schade.“

entgegnet sie sichtlich getroffen. Dann lehnt sie sich wieder zu ihm, wie sie es zu tun pflegt und ergänzt:

„Wenn du etwas auf dem Herzen hast, kannst du dich mir anvertrauen. Ich höre dir gern zu und ich bin äußerst schweigsam, wenn es nötig ist.“

„Danke, aber nicht jetzt. Ich weiß deine Freundschaft wirklich zu schätzen, Eria. Trotzdem gehe ich jetzt. Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken.“

Ihr wird klar, dass sie ihn mit ihrer Aufdringlichkeit vertrieben hat, was sie jäh bereut. Auch wenn dieser Mann mehr als zehn Jahre jünger ist als sie und sie normalerweise auf ältere Männer steht, hat er irgendetwas besonders an sich, das sie anzieht und sie diese dummen Fragen stellen lässt, als sei sie ein einfältiges Schulmädchen. Hat Eria, die rote Rose etwa ihren Zenit überschritten? Früher hatte sie unzählige Verehrer aus den besten Häusern, aus denen sie auswählen konnte und heute erobert sie nicht einmal einen jungen rangniederen Offizier. Es ist nicht wirklich schlimm, denn sie glaubt ihn nicht zu lieben. Es ist eher eine Art merkwürdiger Anziehung. Nichtsdestotrotz bleibt ein bitterer Nachgeschmack bei ihr zurück.
 

Als Nico ein paar Tage später die Meldung erreicht die Diebesbande hätte wieder an Territorium gewonnen und er immer noch keine bessere Idee hat, als jene, über die Tochter an den Bandenführer Barbas heran zu kommen, sucht er Eria erneut auf.

Er trägt seine Uniform, dessen Jacke er nicht angezogen hat, um nicht zu viele Blicke auf sich zu lenken, denn ein Besuch von Vergnügungslokalen ist ihm uniformiert normalerweise nicht gestattet. Er lässt sich auf seinem Stammplatz nieder. Da er zu früh ist, singt Eria noch mit ihrer wunderbaren sanften Stimme traurige Liebesballaden aus vergangenen Zeiten, die in ihm oft große innere Trauer hervorrufen, mehr als jedes andere Lied, das er je hörte.

Diesmal bestellt er sich einen schweren Rotwein, was der Sängerin sofort auffällt. Sichtlich mit sich unzufrieden, lauscht er ihrem melancholischen Gesang.

Wie auch an den anderen Tagen, verlässt der Großteil der Gäste das Lokal, nachdem sie ihren Gesang beendet hat. Sie setzt sich noch kurz an den Tisch einiger Gäste, die sie heute zum ersten mal gesehen hat, um mit ihnen einen Plausch zu halten und kommt im Anschluss zu Nico, vor dem sie stehen bleibt und ihn besorgt anschaut.

„Wein? Ist etwas nicht in Ordnung, mein Lieber?“

„Ich versuche mich nur gerade selbst davon zu überzeugen Barbas‘ Tochter über den Tisch zu ziehen.“

entgegnet er verbittert.

„Oh, ich verstehe. Zumindest ein wenig. Traust du es dir nicht zu oder wo liegt das Problem?“

„Geht dich nichts an.“

antwortet er knapp, bevor er einen großen Schluck aus seinem Weinglas nimmt und damit leert. Um den verstimmten jungen Mann zu beruhigen erklärt sie sanft:

„Janka, ist ihr Name. Es reicht doch, wenn du in Erfahrung bringst wann ihr Vater den sicheren Bau verlässt, um ihn dann später in einen Hinterhalt zu locken. Wir werden sehen, ob andere auf seinen Platz nachrücken.“

„Zu unsicher. Alle, die das Zeug zum Anführer haben, müssen isoliert werden. Wenn ich das nur oberflächlich erledige, habe ich gar nichts gekonnt und die Überfälle und Erpressungen gehen in anderem Namen weiter... Ich muss wissen wer die Schlüsselfiguren sind. Das wird wieder eine unangenehme Mission für mich, aber ich sehe einfach keine andere Möglichkeit. Ich finde mich gerade damit ab, Eria, also hilf mir, oder lass es bleiben!“

„Wieso sollte ich dich auf einmal nicht mehr unterstützen wollen? Janka ist zur Zeit mit Hauptgefreitem Herash liiert, aber ihre Beziehungen halten meist nicht länger als ein paar Wochen. Ein Mann wie du wird sie ihn schnell vergessen lassen. Sie versucht ihre Geliebten vor Barbas geheim zu halten, aber jeder weiß davon, auch er. Sei vorsichtig, denn Barbas ist sehr gefährlich. Du findest das Mädchen um diese Zeit in der ‚Nachkatze‘.“

erklärt Eria bereitwillig, wenn auch etwas verärgert, woraufhin Nico sich erhebt, um zu gehen, doch sie hält ihn zurück.

„Warte bitte einen Augenblick. Gibt es etwas, das dich an mir stört? Du wirst abweisend, sobald ich versuche dich näher kennen zu lernen.“

„Nein, du bist eine gute Freundin. Mir ist nur nicht danach zu reden.“ antwortet er schon halb im Gehen und ein weiteres Mal geht sie dazwischen und diesmal so nah an ihn heran, dass die beiden fast zusammenstoßen.

„Und als Frau?“

fragt die eigentlich so gestandene Frau unsicher.

„Kein Makeup und keine Steckfrisuren- das würde dir besser stehen. Aber du musst auch nicht mir gefallen, sondern deinen Gästen.“

antwortet er knapp und nun lässt sie ihn gehen.
 

Die „Naschkatze“ ist eine stickige Spelunke, in der sich Soldaten und Matrosen zum Betrinken treffen. Entgegen des Namens werden hier keine guten Speisen serviert, sondern er bezieht sich eher auf das angrenzende Rotlichtviertel, an dem auch Nico gerade vorbei laufen muss. Für Prostitution kann er überhaupt kein Verständnis aufbringen. Er verurteilt die Frauen sogar dafür, dass sie nichts ordentliches gelernt haben, denn er glaubt in einer Welt zu leben, in der jeder alles werden kann, wenn er sich nur genug anstrengt. Mit Abscheu im Blick geht an den aus seiner Sicht verlorensten Wesen dieser Gesellschaft vorbei. Er ignoriert ihre lockenden Zurufe und flüchtet sich hinein in die „Naschkatze“, in der er nach einem kurzen schweifendem Blick angewidert ausatmet.

Auch hier ist eine ganze Schar an Frauen versammelt, die sich an die jungen Männer schmiegt, welche offensichtlich ihren gesamten Sold versaufen, von dem sie etwas abhaben wollen. Immerhin brummt das Geschäft, denn das Lokal ist auch um diese Uhrzeit noch stark besucht, was die Atmosphäre sehr ausgelassen und unruhig macht.

Nico setzt sich an den letzten verbleibenden Platz an der Theke. Er sieht sich noch ein mal um, weil er hofft Janka in der Masse der betrunkenen und erheiterten Menschen ausmachen zu können. Mehrere leichte Mädchen, die ihn ansprechen, weist er mir einem:

„Kein Interesse“ ab.

Als ein Mann an einem vollbesetzten Tisch aufsteht, gibt er den Blick auf eine junge Frau mit sehr auffälligen, hellen und grünlich schimmernden Haaren frei, die von mehreren Männern umringt wird, was in diesem Lokal sonst eher umgekehrt der Fall ist. Das muss sie sein, denn nur sie entspricht der Beschreibung, die er von Eria erhalten hat. Es wird nicht leicht sein an sie heranzukommen, wo sie so begehrt zu sein scheint, doch sie hat bereits den interessierten Blick des neuen, unbekannten und gutaussehenden Offiziers bemerkt. Nico hatte extra seine Jacke wieder angezogen, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, was anscheinend besser funktioniert, als gedacht. Sie sagt sich von der Masse los und kommt von ganz allein auf Nico zu.

„Was macht den ein Offizier in einem Laden wie diesem?“

„Was macht eine junge Dame wie du in einem Laden wie diesem?“ kontert er.

„Oh, touché!“ kichert sie. Die junge Frau scheucht den Gast, der neben Nico saß, von seinem Platz und setzt sich.

„Ich bin hier so etwas wie eine Prinzessin und die Jungs da hinten sind meine Ritter“

ergänzt sie und er lügt:

„Tja und ich mache eine Kneipentour.“

„Ach und wie ist die Konkurrenz so?“

will sie ernsthaft interessiert wissen, worauf er antwortet:

„Weniger bezaubernd.“

was ihn selbst verwundert, weshalb er sich direkt im Anschluss einen Wein bestellt. Er glaubt dieses Schmierentheater könne sie ihm gar nicht abkaufen, doch ihre Augen beginnen zu funkeln.

„Oh, Danke schön. Das von einem Offizier zu hören, freut mich unheimlich.“

Sie ist offenbar sehr viel naiver als er zunächst dachte. Dass er das irgendwie süß findet, kommt ihm gelegen, denn dadurch braucht er sich nicht zu verstellen, sondern nur etwas charmanter als sonst zu sein. Er glaubt, dass er das nette Blabla abkürzen kann, denn er hat die junge Frau ohnehin schon an der Angel.

„Ist einer dieser Ritter dein fester Freund?“

„Na, Sie sind aber direkt, Herr Offizier. Eine Prinzessin vertreibt sich mit Rittern nur die Zeit so lange sie auf ihren Prinzen wartet.“

antwortet sie strahlend.

Auch Kaljas Tochter Landra hatte ihn schon einmal als Prinzen bezeichnet und er kann es nicht leiden an sie erinnert zu werden. Im Normalfall würde er die junge Frau nun bitten diese Formulierung zu unterlassen, solange bis er den Schmerz über Landras Tod überwunden hat, doch er will Janka nicht zurückweisen, jedenfalls jetzt noch nicht. Er nimmt einen Schluck von dem billigen Wein, den er bestellt hat, um seinen Ärger zu überspielen. Wieder etwas ruhiger fragt er:

„Bist du eine echte Prinzessin?“

Über diese Frage freut sie sich, denn sie ist stolz darauf irgendwie schon eine zu sein und behauptet:

„Aber natürlich bin ich das.“

Berechnend nimmt Nico ihre Hand und gibt ihr einen zärtlichen Handkuss. Dann sagt er sanft:

„Verzeiht, Eure Hoheit, dass ich Euch nicht zuordnen kann.“

Ihr Herz hat mindestens drei Aussetzer, während er diese kleine Zeremonie durchführt, die bei Hofe tatsächlich so korrekt gewesen wäre.

„Das macht nichts. Ich bin in zivil unterwegs. Ganz im Gegensatz zu Ihnen. Wie darf ich Sie denn nennen? Was ist das da für ein Abzeichen?“

fragt sie nach Luft japsend mit hochrotem Gesicht. Nico bleibt schmierig und entgegnet:

„Ich bin Oberleutnant Nico Dugar. Das ist ein Verdienstorden. Nichts besonderes. Wie darf ich Euch nennen, Prinzessin?“

„Einfach Janka, wäre mir Recht.“

antwortet sie unbedacht, denn dieser Mann hätte sie vermutlich weiterhin Prinzessin genannt, was ihr nur zu gut gefallen hätte.

„Dann nenn' mich Nico! Darf ich dich nach draußen entführen, Janka? Es ist sehr laut hier“

fragt er ehrlich, um endlich aus dieser Spelunke herauszukommen. Sie folgt ihm aufs Wort und die beiden gehen eine Runde durch die erfrischende Nacht am Hafengelände entlang. Das ergibt, ganz zu Nicos Erleichterung, einen riesigen Kontrast zur stickigem und überfüllten "Naschkatze", der er so schnell wie möglich entfliehen wollte. Keine Menschenseele treffen sie hier mehr und nur die sanften Klänge der ruhigen Wellen, wenn sie an den Steg schlagen, sind noch zu hören.

Die junge Frau spielt nervös am Rock ihres knappen, hellgrünen Kleides herum, das in diesem schwächen Licht grau zu sein erscheint.

„Ähm, Herr Offizier, Nico, du hast noch gar nicht gefragt aus welcher Familie ich komme. Das interessiert dich doch bestimmt“

fragt sie nach einer Weile.

„Ich hatte dich zuvor schon mit meiner forschen Frage überrumpelt, was ein Versehen war. Da ging es wohl mit mir durch. Ich möchte dich nicht noch weiter bedrängen.“

antwortet er abwägend, was ihr wohl am besten gefallen würde und trifft damit genau ins Schwarze.

„Oh, bedräng mich ruhig, also ich meine das…also das ist kein Problem, wenn es mit dir durchgeht. Ahh, oje. Also ich, ich bin die Tochter des Räuberkönigs Barbas. Das ist nicht das was du dir vorgestellt hast, oder? Bestimmt arbeitest du gegen ihn.“

Nico findet es sehr interessant, dass Barbas sich schon als König bezeichnet, aber noch interessanter findet er, dass Janka ganz genau weiß, dass das Königlich Rosheanische Militär gegen ihren Vater vorgeht und sie trotzdem seine Nähe sucht. Diesen paradoxen Fakt muss er herausstellen, sonst macht er sich unglaubwürdig. Er ist unbewaffnet, doch er fasst mit der Rechten an die Stelle an der sonst sein Schwertgriff sitzt.

„Barbas ist dein Vater? Muss ich mit einem Hinterhalt rechnen? Stehst du unter Beobachtung?“

Die junge Frau kichert:

„Nein, tue ich nicht, keine Angst… Nico. Weißt du, ich mag es gar nicht was er tut. Wir kommen von weit oben aus dem Norden und haben uns erst vor einem Jahr hier niedergelassen. Deshalb auch meine hellen Haare... Vater hat seinen ganzen Stamm mitgenommen. Oh, irgendwann hatte er die Idee einen Damm zu bauen und Aranor zu erpressen. Aber wenn die Menschen hier dann zu wenig Wasser haben, sterben sie doch, oder? Das finde ich nicht richtig.“

„Ich auch nicht, Janka. Willst du dagegen vorgehen oder stumm rebellieren?“

fragt er nun ohne sich verstellen zu müssen, denn er ist überrascht von ihrer Ansicht, die er so nicht erwartet hätte.

„Ach, das weiß ich auch nicht. Ich find' es nicht gut, aber das sind meine Leute, meine Familie, sogar mein eigener Vater, gehen die ich mich stelle. Ich hab doch keine Ahnung was ich tun soll. Ich weiß nur, dass es so nicht richtig ist.“

schimpft sie, ohne ihn damit zu adressieren. Jetzt wieder in die Rolle schlüpfend geht er auf das unsichere Mädchen ein, das schlaff und kraftlos vor ihm steht. Er stellt sich nah vor sie und lehnt ihren hell gelockten Kopf gegen seine Brust. Sie ist genau einen Kopf kleiner als er.

„Glaubst du an das Schicksal, Janka? Vielleicht sind wir uns genau deshalb begegnet.“

Sie bricht unvermittelt und völlig unerwartet in Tränen aus. Nico hat ja keine Ahnung, dass sie seit mindestens fünf Jahren keine einzelne Träne mehr vergossen hat und immer so getan hat, als sei sie stark. Auf ihn wirkt sie weich und zerbrechlich. Sie weint sein Shirt nass, an das sie sich zwischen die geöffnete Jacke gedrückt hat. Der junge Offizier hat Mühe nicht an seine eigene Schwafelei zu glauben, denn es war so einfach an sie heran zu kommen, dass man es tatsächlich als Schicksal bezeichnen könnte. Er hätte niemals gedacht, dass er bereits beim ersten Treffen so weit kommen würde und versucht das verunsicherte Mädchen weiter in seine Richtung zu lenken.

„Ich unterstütze dich, wenn du möchtest. Egal wofür du dich entscheidest. Deine andvoll Ritter kann nicht viel ausrichten, aber ich kann viele von ihnen befehligen, sie koordiniert anleiten. Wir müssen niemanden töten, das will ich genau so wenig wie du. Vielleicht können wir den Konflikt durch deine Hilfe beilegen ohne irgendwelches Blut zu vergießen.“

„Ah, aber mein Vater…was passiert… dann mit… ihm?“

japst sie und er antwortet sanft:

„Er wird vor ein Gericht gestellt.“

Sie nickt und erholt sich langsam von ihrem Weinkrampf. Die beiden machen sich auf den Rückweg.

Wieder an der „Naschkatze“ angekommen, verabschiedet sich Nico erneut mit einem Handkuss. Sie reißt die Tür auf, geht zu dem Tisch an dem sie vor einer Stunde schon saß, an dem die jungen Soldaten schon ungeduldig auf ihre Rückkehr warten. Ohne sich zu setzen, geht sie zu einem der jungen Männer und verkündet halb verständnis- und halb vorwurfsvoll:

„Dariel, das mit uns beiden ist vorbei. Tut mir leid.“

Noch bevor dieser zornig zur immer noch offenen Tür und somit zu dem Verursacher der Trennung sehen kann, schließt Nico die Tür umgehend und sucht das Weite, um zu verhindern, dass er vielleicht noch in einen Faustkampf verwickelt wird. Er kennt den Hauptgefreiten Dariel Harash nicht näher und findet, dass dies nicht der geeignete Zeitpunkt ist dies zu ändern.



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