Zum Inhalt der Seite

Camp Kawacatoose

Boston Boys 1
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Bevor wir anfangen, noch eine kleine Vorbemerkung:
Auch wenn es sich bei dieser Geschichte um eine Vorgeschichte zu Samsas Traum handelt, sollte sie auch ohne Vorkenntnisse lesbar und verständlich sein. Sollten dennoch Fragen offen bleiben, werde ich diese natürlich beantworten :)
Außerdem möchte ich mich noch einmal herzlich bei meiner Betaleserin bedanken.
Und nun wünsche ich euch viel Spaß. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der sich weigert

Gelangweilt sah ich aus dem Busfenster, während mich die Musik aus den Kopfhörern von den anderen Jugendlichen abschottete. Um mich herum waren alle Sitze frei. Mir war es nur recht, ich hatte nicht vor, mich mit jemandem zu unterhalten. Wie lange würde die Fahrt wohl noch dauern? Hatte ich auch genug Batterien für den Walkman eingepackt? Wir waren seit bald fünf Stunden unterwegs und hatten bereits in New Haven und Providence Halt gemacht, damit noch weitere Jugendliche dazu steigen konnten, jetzt steuerten wir auf Boston zu.
 

Wer war denn bitte auf die blöde Idee gekommen, eine Horde Jungs gemeinsam mit ihren Betreuern in einem Bus fast die gesamte nördliche Ostküste entlang bis nach Maine zu karren? Wäre es nicht einfacher gewesen, uns am nächstgelegenen Flughafen einzusammeln und von dort in die Pampa zu verfrachten? Immerhin fuhren einige schon seit Washington mit. Aber man war wohl der Meinung, dass man uns nicht einfach auf das Flugzeugpersonal loslassen konnte.

Gut, vermutlich wäre wirklich nicht einmal die Hälfte von uns angekommen. Denn freiwillig saß wohl niemand hier im Bus. Ich hatte keine Ahnung, was die anderen angestellt hatten, dass das Jugendamt oder ihre Eltern der Meinung gewesen waren, es sei eine gute Idee, sie in das Camp zu schicken. Ein Camp für delinquente, männliche Jugendliche, wie sie es nannten. Ich hatte keine Ahnung, was ich mir darunter vorstellen sollte, aber ich wusste, es hatte etwas damit zu tun, dass wir alle Mist gebaut hatten. Wir sollten dort mal dem Einfluss der Großstädte entfliehen und uns austoben, ein paar Wochen nicht auf dumme Gedanken kommen. So hatten sie es zumindest meinen Eltern angepriesen.
 

Pft, Einfluss der Großstädte, nicht auf dumme Gedanken kommen. Verdammt, ich hatte doch lediglich versucht, eine Packung Kondome zu klauen. Und definitiv nicht vor es noch einmal zu versuchen. Das eine Mal dabei erwischt zu werden, hatte mir gereicht. Was sollte ich also dort, zusammen mit anderen, die vermutlich viel Schlimmeres getan hatten?

Dennoch hielten es meine Eltern für eine gute Idee, meinten es könne mir auch helfen, etwas selbstständiger zu werden. Wie sollte es mich selbstständiger machen, mit einer Horde Jungs in ein Camp an den Arsch der Welt zu fahren? Das hieß für mich lediglich, sechs Wochen ohne meine Freunde auskommen zu müssen. Zwar hatte mir mein bester Freund Terrence versprochen, mir zu schreiben, und ich mir auch vorgenommen, zurückzuschreiben, aber es war nicht dasselbe, wie mit ihm Zeit zu verbringen. Es würde sicher deutlich weniger witzig werden als die Sommercamps mit ihm zusammen.
 

„Hey, Langer, Kopf runter!“, hörte ich hinter mir jemanden rufen. Automatisch zog ich den Kopf ein. Fast immer war ich damit gemeint. Das blieb wohl mit fast eins neunzig nicht aus. Und lieber wurde ich Langer oder ähnliches genannt als Fetti, Specki oder Moppelchen.

Aber die Zeiten waren zum Glück vorbei. Es war harte Arbeit gewesen, aber mittlerweile sah man nichts mehr davon. Jetzt gaben nur noch meine Zahnspange und meine Größe Anlass zu dummen Sprüchen. Und erstere würde ich hoffentlich auch bald loswerden. An der Größe ließ sich ja leider nichts machen, aber die allein war selten ein Grund mich zu ärgern. Auf die meisten in meinem Alter wirkte sie eher einschüchternd.
 

Ich sollte recht behalten. Denn eine Tasche flog über meinen Kopf hinweg, kaum dass ich ihn eingezogen hatte, und landete vorne bei den Betreuern. Sofort sprang der Getroffene auf und schrie, wer sie geworfen hätte. Natürlich war es nicht auszumachen, welcher der über zwei Dutzend Jungen es gewesen war.

Anderseits, was hätten sie auch tun sollen? Sie durften uns nicht schlagen und uns von dem Camp auszuschließen, wäre eine Freude gewesen.
 

Noch eine Weile zeterte er, dann hielt der Bus an einem recht großen Platz. Ich hätte mir gerne die Beine vertreten, aber wir durften den Bus nicht verlassen. Wir hätten ja stiften gehen können.

Also sah ich lieber aus dem Fenster und beobachtete die Personen, die dort standen. Scheinbar gab es hier nicht viele Zusteiger. Ich sah lediglich zwei Familien, die ihre Söhne mehr oder weniger herzlich verabschiedeten, und einen älteren Herrn, sicher schon gute fünfzig, der zwei Jungen umarmte und sie wohl ermahnte, denn beide nickten ihm ernst zu, nachdem sie sich gelöst hatten. Er hob ihre Reisetaschen vom Boden auf und trug sie zum Bus.
 

Ich lächelte, denn ich hatte heute schon ganz andere Abschiede gesehen. So wie den sehr schmächtigen Jungen, der gerade noch eine Ohrfeige von seinem Vater zum Abschied erhielt und dann seinen riesigen Koffer alleine zum Bus zerren durfte. Ein Wunder, dass er unter dem Gewicht nicht zusammensackte. Dasselbe schien sich auch der ältere Herr zu denken und ging zu dem Jungen, um ihm zu helfen, nachdem er die Koffer seiner Söhne eingeladen hatte.
 

Zum Schluss gesellte sich auch der vierte Junge dazu, sowie ein Betreuer mit einer Liste. Ich kannte das Spiel von meinem eigenen Einstieg. Er würde abhaken, dass die Jungen da waren, sich von ihnen alle wichtigen Bevollmächtigungen geben lassen und sie in die Regeln einweisen.

Es durfte nicht geraucht und kein Alkohol getrunken werden, während der Fahrt hatten wir sitzen zu bleiben und durften den Bus nicht verlassen, außerdem durfte die Tür der Bustoilette nicht abgeschlossen werden. Den Sinn verstand ich zwar nicht ganz, aber gut, wenn sie meinten.

Dann wurden die Jungs nach scharfen und spitzen Gegenständen abgesucht und auch ihr Handgepäck wurde kurz durchsucht. Alles zur Sicherheit, damit wir uns nicht gegenseitig oder den Betreuern etwas taten. Als wären wir Schwerverbrecher. Und wie man gesehen hatte, half es auch nicht viel.
 

Die Neuzugänge stiegen in den Bus und suchten sich einen Platz. Das Geschwisterpärchen setzte sich hinter mich und fing direkt an miteinander zu diskutieren. „Scheiße, wie lang ist die Fahrt?“

„Chris hat gesagt sechs Stunden.“
 

Genervt seufzte ich. So lange musste ich es noch aushalten? Na toll. Als würden die nächsten Wochen nicht schlimm genug werden, musste ich noch volle sechs Stunden im stickigen, engen Bus bleiben.
 

„Sechs Stunden?! Wie soll ich denn sechs Stunden ohne Kippen aushalten? Was soll denn der Mist?“

Wie er wohl reagierte, wenn er erfuhr, dass er seine Kippen auch im Camp nicht würde rauchen dürfen?

„Mat, beruhig dich! Es sind nur sechs Wochen. Wenn es gar nicht mehr geht, dann kommt Chris uns abholen.“
 

„Warum müssen wir den Mist überhaupt mitmachen?“

Wow, das konnte ja eine Fahrt werden, wenn der die ganze Zeit so rummeckerte. Da würde wohl nicht mal mein Walkman helfen. Wie hielt sein Bruder das nur aus?
 

„Am besten sollte sich Chris schon mal auf den Weg machen, damit er uns gleich wieder mitnehmen kann.“

„Du weißt doch, mindestens zwei Wochen müssen wir durchhalten. So war es mit Mrs. Estrada abgesprochen.“

Oh, was die beiden wohl ausgefressen hatten? Das klang doch ganz eindeutig nach irgendeiner Behörde. Aber immerhin schienen sie eine Option zu haben, frühzeitig abzubrechen.
 

„Blabla, schon klar. Aber sie glaubt doch nicht wirklich, dass wir da Freunde finden.“

Stimmt, mit so einer Stimmungskanone wollte sich sicher keiner anfreunden.

„Die will uns nur ein paar Wochen loswerden, das schwör ich dir! Sicher will die nur wieder irgendwelchen Mist ankurbeln, den wir nicht gleich mitbekommen sollen. So wie diese komische Jugendgruppe Anfang des Jahres. Bin ich froh, wenn ich mir das alles demnächst nicht mehr geben muss.“
 

„Ach komm, jetzt beruhig dich mal. Hier nimm, dann kommst du ein bisschen runter.“

Neugierig ließ ich meine Augen etwas nach hinten wandern und sah, wie ein Paar Kopfhörer herübergereicht wurde. Gut, dann war jetzt hoffentlich Ruhe.
 

Doch ich hatte mich etwas zu früh gefreut. Nicht nur, dass scheinbar ein paar Jungs den Schmächtigen ärgerten, auch fing einer der beiden hinter mir zu summen an. Nicht, dass es wirklich schlecht geklungen hätte, seine Stimme war sogar angenehm, aber das war schon sehr merkwürdig.

Dennoch döste ich irgendwann weg.
 

Ich erwachte wieder, als meine Musik plötzlich ausging. Ich kramte in meiner Tasche nach neuen Batterien und wurde recht schnell fündig. Ich wechselte sie aus und lehnte mich wieder zurück in den Stuhl. Kaum hatte ich mich angelehnt, berührte mich eine Hand ganz leicht an der Schulter. Es hätte auch einfach nur ein Lufthauch sein können, so leicht war die Berührung. Ich setzte den Kopfhörer ab und drehte ich mich langsam um.
 

„Hey. Sorry, aber kannst du mir auch ein paar leihen? Ich komm grad nicht an meine Tasche.“ Der Junge hinter mir strahlte mich mit unglaublich grünen Augen an. Ich hatte das Gefühl, es war so intensiv, dass es auf mein Braun übergehen würde.

Eine Weile musterte ich das feingeschnittene Gesicht, durch dessen linke Braue ein kleiner Metallstecker ging, und die zarte Gestalt, die in einem langärmeligen, schwarzen Shirt steckte. War das mitten im Sommer nicht etwas warm?

Auf seiner Schulter lag ein geflochtener Rattenschwanz und über der Brust sein schlafender Bruder, dessen Gesicht von den eigenen blonden, dauergewellten Haaren bedeckt wurde. Irgendwie wirkte das Bild falsch, wie der etwas kräftigere von seinem dünnen Bruder gehalten wurde, während er schlief. Ich beneidete sie. Mit meiner kleinen Schwester hatte ich mich nie so gut verstanden.
 

Als ich merkte, dass ich starrte, fuhr ich mir schuldbewusst durch die kurzen Haare und lächelte verlegen zurück. „Ehm... klar...“
 

Schnell drehte ich mich wieder nach vorne und kramte noch mehr Batterien hervor, die ich dann nach hinten reichte. Mit einem weiteren Lächeln bedankte sich der Junge.

Ich fragte mich, ob er der ältere oder der jüngere der beiden war. Sie sahen eigentlich beide fast gleich alt aus. Aber irgendwie auch nicht nach Zwillingen. „Danke, bekommst du wieder, sobald Mat aufgewacht ist.“
 

„Nur keine Eile ich hab genug dabei.“ Wie blöd lächelte ich zurück und drehte mich dann hastig um.

Was sollte das denn bitte werden? Ich konnte doch hier nicht irgendeinen Jungen so blöd angrinsen! Das ging doch nicht. Ich hatte mir geschworen, das ganze ohne Ärger durchzustehen. Und dazu gehörte zunächst einmal, nicht zu zeigen, dass ich auf Jungs stand.

Eigentlich tat ich das nicht und ging sehr offen damit um, doch ich hatte schon mitbekommen, dass es in Sommercamps manchmal problematisch wurde. Und hier war es mir einfach zu riskant. Immerhin glaubte ich nicht, dass die anderen auch nur irgendwelche kleineren Ladendiebstähle begangen hatten. Den beiden hinter mir zum Beispiel, traute ich auch zu, schon mal jemanden angegriffen zu haben. Andererseits war der Grünäugige so schmal... Wen sollte der denn verprügeln? Aber sein Bruder konnte sicher gut austeilen.
 

Ich konzertierte mich wieder auf die vorbeiziehende Landschaft, die mittlerweile fast ausschließlich aus Wäldern bestand. Wir hielten noch einmal in Portland, wo ein ziemlich bullig aussehender Junge dazu stieg, aus dessen Hose die Betreuer ein Messer fischten, bevor wir nach einiger Zeit und vielen weiteren Bäumen, und mittlerweile auch vielen Seen, endlich am Camp ankamen.
 

„Ich rufe euch jetzt nacheinander auf und ihr steigt dann bitte hinten aus, holt eure Tasche und bringt sie zu Christian und Luther, die werden sie einmal kurz durchsuchen, dann sammelt ihr euch bei Derrick und Hank“, wies uns einer der Betreuer an, während die anderen den Bus verließen. „Jack Archer... Hinten raus hab ich gesagt... Simon Ayers... Jeremy Beard... Toby Blanchett...“
 

Ich packte meine letzten Sachen in den Rucksack und verließ dann den Bus. Gierig atmete ich die frische Luft, während ich zur Gepäckklappe ging und meine Tasche suchte, die recht weit hinten lag, da ich ja schon früh eingestiegen war. Ich zerrte sie hervor und brachte sie zu den beiden Betreuern. Betend, dass sie meine Zigaretten nicht fanden, stand ich daneben, während sie grob alles durchsuchten. Nachdem sie nichts gefunden hatten, nahm ich sie wieder an mich und ging zum Sammelpunkt.
 

Ich sah, dass sich auch das Geschwisterpaar bereit machte langsam auszusteigen, doch erst als schon gut ein Dutzend Jugendliche den Bus verlassen hatten, stand der Braunhaarige auf und verließ den Bus. Während der Taschenkontrolle schienen einige Fragen wegen irgendwelcher Medikamente aufzukommen, doch er zeigte einen Zettel vor, woraufhin die Tasche auch ohne weitere Beanstandungen durchgewunken wurde.
 

Ich war deutlich irritiert, als statt seinem Bruder ein Typ mit Froschaugen und Föhnfrisur als nächstes den Bus verließ. Auch als nur noch eine Hand voll Jugendlicher im Bus saß, war er noch nicht herausgekommen und es schien weder seinen Bruder noch die Betreuer zu verwirren.

Hatte sein Bruder einen anderen Nachnamen? Nein, das wäre schon sehr ungewöhnlich. Oder waren sie keine Brüder? Aber sie waren offensichtlich beide von dem älteren Mann gebracht worden und hatten sich beide herzlich von ihm verabschiedet. Das war merkwürdig, aber es ging mich wohl auch nichts an.
 

Als der Hänfling ausstieg, löste ich mich aus der Gruppe und ging direkt auf ihn zu, um ihm mit der Tasche zu helfen, da keiner der Betreuer sich dafür zuständig zu fühlen schien. Nachdem sie kontrolliert worden war, trug ich sie auch zum Sammelpunkt.

Natürlich zerrissen sich einige das Maul, aber ich konnte darüberstehen. Ja, ich hatte Muskeln, und ja, ich bildete mir etwas darauf ein, denn ich hatte sie mir hart erarbeitet. Dann konnte ich sie auch zu etwas Sinnvollem nutzen und nicht, wie wohl die meisten hier, für Prügeleien.
 

Erst als vorletztes stieg auch der blonde Bruder aus. Jetzt hatte ich umso mehr Zweifel, dass sie tatsächlich Geschwister waren. So wirklich Ähnlichkeit hatten sie nicht. Nicht nur, dass der zweite kräftiger gebaut und blond war, er hatte auch ganz andere Gesichtszüge. Ich konnte mir nur nicht erklären, wie sie sonst zueinander stehen sollten.
 

Er gab seine Tasche ab und auch bei ihm wurden irgendwelche Tabletten gefunden, die wohl Fragen aufwarfen. Aber auch er konnte nachweisen, dass er sie brauchte. Was ihm jedoch, wie einigen anderen zuvor auch, zum Verhängnis wurde, waren die Zigaretten in der Tasche. Auch bei ihm wurden sie eingesackt.

Natürlich regte er sich wieder auf. „Ey, was soll der Mist?! Gib die wieder her, du Pisser!“
 

„Mathew, für dich gelten dieselben Regeln wie für alle anderen: Im Camp wird nicht geraucht. Sieh es als Herausforderung und Möglichkeit damit aufzuhören“, redete einer der beiden Kontrolleure auf ihn ein.

„Alter, fick dich mit Herausforderung! Ohne die Dinger bin ich tot!“

Wow, wie er sich über ein paar Schachteln so aufregen konnte. Es würde sicher irgendwo eine Möglichkeit geben, sich neue zu besorgen.
 

„Jetzt übertreib mal nicht so und geh zu den anderen. Rogelio möchte auch noch heute aussteigen.“ Der Betreuer drückte dem Rohrspatz seine Tasche in die Hand, der noch immer fluchend von seinem Bruder in Empfang genommen wurde.

Nachdem ihm sein Bruder etwas ins Ohr geflüstert hatte, beruhigte er sich etwas, starrte aber noch immer böse in die Gegend.
 

„Wir werden euch jetzt auf die Hütten und Zimmer aufteilen. Dazu zieht jeder einen Zettel aus dem Hut und geht danach zu dem jeweiligen Guide. Damit es keine Streitereien um die Betten gibt, haben wir diese ebenfalls schon verteilt, das ist die zweite Zahl auf dem Zettel“, verkündete einer der beiden, die am Sammelpunkt gewartet hatten, nachdem auch der letzte aus dem Bus gestiegen und kontrolliert worden war.

Die Betreuer stellten sich im Viereck ein Stück voneinander entfernt auf und hielten einen Zettel mit einer Zahl vor ihre Brust. In derselben Reihenfolge, in der wir aus dem Bus gestiegen waren, zogen wir einen Zettel und verteilten uns. Diejenigen in Zimmer fünf blieben in der Mitte, der Rest stellte sich außen herum.
 

Als der stämmigere der Brüder an der Reihe war und auf die Gruppe für Zimmer 2 zukam, sah ich die Wut in den Augen des anderen aufflammen, der bei Zimmer 5 stand. Sein Bruder hatte keine zwei Schritte gemacht, da rannte er ihm hinterher, sah kurz auf den Zettel und kam dann auf unsere Gruppe zu.
 

„Wer von euch hat die sechs?“ Ich sah, wie einer der etwas größeren Jungs schluckte und sich ganz kleinlaut meldete.

Ja, der Typ konnte einem gerade wirklich Angst machen. Ohne weiter etwas zu sagen, entriss er dem Größeren den Zettel und drückte ihm seinen in die Hand. „Viel Spaß.“
 

Alle waren viel zu perplex von der Aktion, um irgendwie darauf zu reagieren. Irgendwo bewunderte ich ihn, das für seinen Bruder zu tun, anderseits fand ich das nun schon sehr übertrieben. Sie würden es doch wohl aushalten mal sechs Wochen nicht dauerhaft bei ihrem Bruder zu sein. Und ich hatte schon gedacht, dass ich verrückt war, mich schon nach ein paar Stunden zurück nach Hause zu sehnen, aber das war irre.
 

Aber es schien akzeptiert zu werden. Die Betreuer sagten nichts dagegen und der bullige Junge ging zur anderen Gruppe. Na das konnte ja heiter werden, mit den beiden in einem Zimmer zu sein. Vielleicht wurden die sechs Wochen ja doch noch ganz witzig, wenn zwei so Vögel dabei waren.
 

„Wir bringen euch jetzt zu euren Zimmern. Dort habt ihr eine halbe Stunde Zeit euch einzurichten und euch auszuruhen. Dann holen wir gemeinsam mit den anderen Gruppen die Flagge ein und gehen dann zum Essen. Nach dem Essen gehen wir in unseren Gemeinschaftsraum und besprechen noch ein wenig Organisatorisches.“

Nach dieser letzten Ansage setzten sich die Zimmer in Bewegung. Da der Schmächtige nicht in meinem Zimmer und auch in einer anderen Hütte war, konnte ich ihm nicht helfen, aber dafür schien es andere angestachelt zu haben und der vierte Junge aus Boston, der mit ihm in einem Zimmer war, nahm sich seines Koffers an.
 

Das „Organisatorische“ bestand zum Großteil aus den Regeln des Camps und einigen Spielchen mit denen wir uns Kennenlernen sollten. Da ich bis auf die Geschwister, ja, sie sagten tatsächlich, dass sie Geschwister waren, und dem Jungen, der unter mir im Doppelstockbett schlief, mir auf die Schnelle niemandem von unserem Zimmer gemerkt hatte, bekam ich auch nur ihre Namen mit.

Die Geschwister hießen Mathew, er wollte aber lieber Mat genannt werden, und Peter, der unter mir wurde Zack genannt. Von den anderen über dreißig Namen konnte ich mir nicht wirklich welche merken, aber das würde sich wohl noch ergeben. Der für unser Zimmer zuständige Betreuer war Luther. Blöderweise war es der, den Mat als Pisser bezeichnet hatte.
 

Nach der großen Runde wurden wir noch auf dem Gelände herumgeführt, dann durften wir uns noch ein wenig draußen aufhalten. Ich schmuggelte meine Zigaretten nach draußen und verzog mich ein Stück in den angrenzenden Wald, während viele ihre Schwimmsachen holten, um noch etwas schwimmen zu gehen. Ich genoss die Ruhe im Wald, nachdem den ganzen Tag so viele laute Jungen um mich herum gewesen waren. An einen Baum gelehnt machte ich mir eine der Zigaretten an.
 

Irgendwann hörte ich die immer meckernde Stimme von Mat - Konnte er eigentlich auch normal reden? - und die beruhigende Stimme von Peter. Auch sie schienen etwas Abstand vom ganzen Trubel zu brauchen, denn sie liefen ebenfalls in den Wald hinein. Nachdem sie ein Stück gelaufen waren, aber in eine etwas andere Richtung als ich, blieben auch sie an einem Baum stehen und der Rattenschwänzige fischte zwei Zigaretten aus einer Schachtel.

Na da hatten sie doch welche.
 

Als die Glocke des Camps läutete und damit anzeigte, dass alle in ihre Zimmer zu gehen hatten, begab ich mich zurück. Die beiden Geschwister hatten sich schon vor einer ganzen Weile weiterbewegt, sodass ich sie aus den Augen verloren hatte.

Natürlich war das Einfinden im Zimmer nicht mit dem Schlafengehen gleichzusetzen. Dennoch legte ich mich auf mein Bett und holte einen Zettel und Stift heraus, um meinen ersten Brief an Terrence zu verfassen. Ich wusste noch nicht wirklich, was ich ihm schreiben sollte, aber mir würde schon etwas einfallen. Ansonsten erzählte ich ihm eben von den ungleichen Geschwistern.
 

„Ehm, Toby, oder?“, wurde ich auf einmal vom anderen Bett an meinem Kopfende angesprochen.

Ich hob den Kopf. Dort lag Peter, ebenfalls auf dem Bauch und mit dem Gesicht zu mir liegend, und streckte mir seine Hand entgegen, in der zwei Batterien lagen. „Ich hab ganz vergessen dir die zurückzugeben.“
 

„Danke, wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.“ Ich nahm sie entgegen und legte sie erst mal neben mein Kopfkissen. Gerade hatte ich keine Lust deswegen aufzustehen.
 

„Du bist ’n ziemlich netter Kerl, oder? Du hast dem Dürren bei seinem Koffer geholfen, obwohl du nicht gemusst hättest.“ Die grünen Augen leuchteten mich freundlich an.
 

„Ich... Naja, warum auch nicht. Euer Vater hat ihm doch auch geholfen.“

„Ja, aber Chris muss auch nicht in so ein Camp hier.“ Er grinste mich an und irgendwie wirkte es so ansteckend, dass ich einfach zurück grinsen musste.
 

„Hey, ich hab ’n Busenwunderquartett mit. Wollt ihr mitspielen?“, rief einer der anderen Jungs dazwischen.
 

Peter nickte und schwang sich aus dem Bett, um zu den anderen zu gehen. Ich sah ihm nach und konnte dabei sehen, dass sein Bruder es genauso tat und die Nase rümpfte. Aber eine Antwort auf die Frage, die definitiv auch an ihn gestellt war, gab er nicht.

Ich nahm die nächstbeste Ausrede, die mir einfiel: „Nee, sorry, ich muss den Brief fertig schreiben. Hab meinen Eltern versprochen, dass ich gleich schreibe, sonst gibt’s Stress.“
 

„Kein Ding, sind ja noch ein paar Abende, dann spielst wann anders mit.“ Damit ging der Fragende wieder zu den anderen.

Oh ja, welche Freude. Ich wollte mir unbedingt die Brüste irgendwelcher Pornodarstellerinnen ansehen. Nein, danke. Wenn wenigstens ein paar Ärsche von männlichen Darstellern dabei gewesen wären, dann hätte es ja wenigstens noch etwas Reiz gehabt, aber so sicher nicht. Aber ich würde wohl auch nicht die gesamten Wochen drumherum kommen.
 

Während sich die anderen die Maße, Gewichte und sonstige Angaben zu den Damen um die Ohren warfen und ab und zu anzügliche Kommentare machten, schrieb ich an meinem Brief und lauschte der Musik aus Mats Walkman, den er so laut gestellt hatte, dass ich sie bis hier hören konnte.

Aber es störte mich nicht. Die Musik war gut und deutlich angenehmer als das Busengeschwätz. Noch angenehmer wäre es gewesen, wenn er dabei nicht die ganze Zeit im Takt auf dem Buch herumgetrommelt hätte, in dem er las, aber ich wollte ihn nicht wieder wütend machen, er hatte sich ja gerade erst beruhigt, also sagte ich nichts dazu.
 

Ich hatte gerade den Brief fertig, als Luther den Raum betrat und uns mitteilte, dass in einer halben Stunde Zeit für die Bettruhe sei. Mit viel Genörgel aber ohne großes Theater machten sich alle für das Bett fertig. Irgendwie befürchtete ich, dass es sich im Laufe der Zeit noch ändern würde und nicht alles so ruhig bleiben würde.
 

Luther kam nach der halben Stunde noch einmal herein und sah sich im Zimmer um. Vor dem Bett von Peter und Mat blieb er sehen. „Warum habt ihr euch nicht umgezogen?“

„Geht dich nichts an, Pestbeule. Wir können schlafen wie wir wollen.“

Boah, war der immer so auf Streit aus?
 

„Wir ziehen uns gleich um“, versuchte es Peter etwas sanfter.

„Wenn es heißt Bettruhe, dann habt ihr umgezogen zu sein! Also Umziehen und zwar etwas plötzlich!“

Ui, na in deren Haut wollte ich jetzt nicht stecken.
 

Natürlich waren alle Augen auf sie gerichtet, während sie widerwillig aufstanden und sich schnell aus- und wieder anzogen. Ich versuchte wegzusehen, aber meine Augen wurden magisch angezogen.

Und ich verstand, warum sie sich nicht hatten mit allen anderen umziehen wollen. Es war nur einen Moment gewesen, aber auf ihren Rücken zeichneten sich rote Striemen ab. Da sie mit dem Rücken zu ihrem Bett gestanden hatten, hatte nur ich sie sehen können und sie erschreckten mich. Wer hatte ihnen das angetan? Außerdem trug Peter unter seinem langen Shirt einen Verband am Arm.
 

Nachdem sie sich wieder hingelegt hatten, ging Luther zurück zur Tür und wünschte allen eine gute Nacht, bevor er das Licht löschte. Bis auf leises Schimpfen von Mat war nichts mehr im Raum zu hören und auch er verstummte recht schnell.
 

Am nächsten Morgen wurden wir von Luther geweckt und machten uns fertig. Als ich einen Blick in den Duschraum warf, entschied ich mich, später in der Freizeit duschen zu gehen, wenn hoffentlich nicht so viele dort waren. Da die Duschbaracke von unserer ganzen Gruppe genutzt wurde, tummelten sich dort gerade sicher gut dreißig Jungen unter den Duschen. Das musste ich mir nun wirklich nicht antun.
 

Dann wurde die Fahne gehisst und wir gingen zum Frühstück, das – wie schon das Abendessen – in einem riesigen Saal stattfand. Nach dem Frühstück mussten wir unser Zimmer aufräumen und dann ging es zu unseren Aktivitäten.
 

Am Vormittag stand für mich Wandern auf dem Plan. Wenn ich mich schon in der Pampa aufhalten musste, dann wollte ich wenigstens etwas für mich tun. Wir waren nur eine kleine Gruppe von fünf Leuten aus verschiedenen Jungengruppen des Camps, da die meisten natürlich eher angesagtere Aktivitäten gewählt hatten, aber so war es auch gut.
 

Rechtzeitig zum Mittagessen kamen wir zurück. In der folgenden Pause verzog ich mich wieder unauffällig zum Rauchen. Und wieder hatten auch die Geschwister die gleiche Idee.

Am Nachmittag war dann für mich Kanufahren angesagt. Es war nicht so ganz mein Sport, aber es war okay. Immerhin trainierte es ganz nebenbei die Arme.
 

Im zweiten Teil des Nachmittags hatten wir mit dem gesamten Zimmer eine gemeinsame Gesprächsrunde. Wie Luther uns erklärte, sollte sie dazu dienen, uns auf unsere Zukunft vorzubereiten und bla...

Ich hörte ihm nicht wirklich zu. Aber irgendwas musste dieses Camp ja von einem normalen Sommercamp unterscheiden. Gut, dass wir diese Runden nur zweimal die Woche hatten. Dienstags mit Luther und dem Zimmer und donnerstags mit der ganzen Gruppe. Da würden dann wohl zum Teil auch Referenten kommen. Vielleicht hatten die ja etwas Spannenderes zu erzählen.
 

In dieser Stunde sollten wir uns zuerst genauer vorstellen, wie alt wir waren, was wir machten und ob wir wüssten, was wir werden wollten. Tatsächlich waren wir alle zwischen fünfzehn und siebzehn und von den acht Jungen wussten nur Mat, Peter und noch ein weiterer, er hatte den bescheuerten Namen Guy, was sie nach der High School machen wollten.

Guy wollte Mechaniker werden und in der Werkstatt seines Vaters einsteigen. Mat hatte tatsächlich schon angefangen an seinem Berufswunsch zu arbeiten und ließ sich zum EMT ausbilden. Und Peter wollte Musiker werden. Gut, wir wurden ja auch gefragt, was wir uns wünschen würden, daher war es wohl erlaubt, so etwas zu äußern. Aber immerhin hatte er die Stimme und die Ausstrahlung dafür, dass konnte man nicht abstreiten.

Was mich verwunderte, war, dass Mat und Peter im nächsten Schuljahr gerade einmal das zweite High School Jahr anfangen sollten. Da Peter genauso alt war wie ich, hätte er eigentlich auch das letzte anfangen und Mat, da er ein Jahr älter war, schon fertig sein müssen. Was hatten sie getan, um so viel Zeit zu verlieren?
 

Der Abend verlief wie schon zuvor mit Flagge streichen, Abendbrot und etwas Freizeit. Da diese diesmal etwas länger war, entschied ich mich erst im See zu schwimmen und dann während der Zimmerzeit duschen zu gehen.
 

So entging ich auch der gemeinschaftlichen Abendgestaltung, die wohl wieder aus irgendwelchen Spielen bestanden hatte, die für mich ziemlich uninteressant gewesen wären. Kurz vor Luthers Abendrunde kam ich im Zimmer an und zog mich direkt um. Mat und Peter verschwanden mit ihren Sachen auf dem Klo. Gerade rechtzeitig kamen sie umgezogen wieder.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  diab67
2018-01-23T12:46:14+00:00 23.01.2018 13:46
Hi,
oh man ich komme nicht dazu deine 1. ff zu lesen (bis auf die ersten 3 Kapis) und nun postet du schon die zweite *gg*. Aber gut ich denke ich werde jetzt einfach versuchen am Ball zu bleiben und die andere ff lesen, wenn ich Urlaub hab :D
so erstmal du schreibst super gut, fesselnd und packend. Die Idee mit so einem Jungencamp ist klasse... Da lässt sich bestimmt sehr viel lustiges, spannendes und auch dramatisches zu tippen... Zu mal Tobis ja schwul ist. ich kenn Tobi schon aus der anderen ff und der Kerl gefällt mich total. ich mochte bloß seinen Freund nicht wirklich ... Wohl auch ein Grund warum ich es mit dem lesen so schleifen ließ...
Freue mich jetzt aber um so mehr Tobis Vorgeschichte zu lesen. Bin gespannt warum er dort gelandet ist. Weil er doch eigentlich nichts getan hat ... Ich hoffe du klärst das später auf. (ja, ich bin sehr neugierig)
Mat ist auch knuffig. So ein Meckerer braucht wohl jedes Camp XD und sein Bruder gefällt mir auch. Bin gespannt was ihre Geschichte ist ... Tobi scheint ja ziemlich geschockt zu sein, von ihrem 'aussehen' ...
Ich bi. Echt gespannt Du schreibst wirklich super gut
LG Dia
Antwort von:  Vampyrsoul
30.01.2018 17:18
Hallo,

danke dir für das Lob. Schön, wenn dir die Geschichten gefallen.
Schade, dass du Tobys Freund in der anderen Geschichte nicht magst, aber gut, man kann ja nicht jeden Charakter immer toll finden. Wobei ich mich wirklich frage, was dich an ihm stört?

Mach ruhig langsam, ich will ja hier niemanden hetzen :)
Nur da ich selbst es mag, wenn bei Geschichten wöchentlich was neues kommt, mag ich das natürlich auch ganz gern einhalten ^^

Warum Toby ins Camp musste, hat er doch bereits erwähnt? Versuchter Diebstahl. Als "nichts" würde ich das jetzt nicht bezeichnen...
Er kann froh sein, dass er dafür nur als erzieherische Maßnahme dorthin musste.

Schöne Grüße,
Vampyrsoul
Antwort von:  diab67
05.02.2018 13:29
Das mit den Päckchen Kondome hatte ich total überlesen :| *g*


Zurück