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Kaze no Uta

Das Lied des Windes
von

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Aki

Uta no kaze
 

Prolog:

Aki
 

Eigentlich hätte er sich freuen müssen: Sein Vater hat nach über vier Jahren endlich wieder Arbeit gefunden. Und verdiente nicht mal schlecht mit seinem Job. Seit vier Jahren hatten er und seine Eltern einen Engpass nach dem anderen durchleben müssen. Vor vier Jahren saß er das letzte Mal in einem Flugzeug und machte in einem andern Land Urlaub. Vier Jahre war es her, seit er sein letztes Taschengeld bekommen hatte; wenn man es schon so nennen konnte. Er war damals erst fünf Jahre alt und ging seit wenigen Wochen in die Schule. Seine Eltern hatten ihm versprochen, dass er Taschengeld bekäme, wenn er in die Schule kommt. Leider konnten sie ihr Versprechen nur wenige Wochen halten; sein Vater verlor seine Arbeit, weil das Unternehmen bankrott ging und die Situation der Familie verschlechterte sich für vier Jahre drastisch. Daher wollten sie nun alles nachholen, worauf sie in den letzten Jahren verzichtet hatten und es wurde ein ausgiebiger Urlaub in Japan gebucht, der die gesamten Sommerferien einnahm. Seine Eltern hatten das gesamte letzte halbe Jahr von nichts Anderem gesprochen als diesem tollen Urlaub. Aber war er wirklich so toll, wie sie es immer erzählt hatten? Hier saß er nun; auf einem knorrigen Baum, dessen Geäst weit über das Meer hinausragte. Verträumt beobachtete er, wie die rote Abendsonne im Meer verschwand und dabei unzählige orangerote Lichter auf der ruhigen See zurückließ. Er saß jeden Abend hier, denn die Sonne sah zu dieser Zeit aus, als würde sie weinen, weil sie sich von der Welt verabschieden musste. Dieses Bild erinnerte ihn immer an seinen eigenen Wunsch - endlich nach Hause zurück zu kehren, wo seine Freunde auf ihn warteten. In London gab es zwar nicht so schöne Landschaften wie hier an der japanischen Küste, aber selbst die Schönheiten, die die Natur hier zeigte, konnten die Sehnsucht nach seinem Zuhause nicht stillen. Egal, wo er hinging - niemand wollte mit ihm zu tun haben. Dauernd hörte er andere Kinder hinter sich lachen und sich gegenseitig ,Ausländer' zuflüstern. Manche warfen ihm sogar böse Blicke zu, wenn er ihnen nahe kam. Selbst, wenn er auf offener Straße beleidigt wurde, griff niemand ein. Er HASSTE dieses Land mit all seinen ignoranten Menschen. Und das sollte seine zweite Heimat sein.... Er lachte säuerlich und lehnte sich auf seinem Ast zurück. Die Sonne war schon fast untergegangen, der achte Tag seit seiner Ankunft neigte sich dem Ende.... Das bedeutete, dass er es noch 33 Tage hier aushalten musste, bis er im Flugzeug Richtung Heimat sitzen konnte. Wie sollte er das nur aushalten? Er hasste die Einsamkeit....

"...ny! Danny! Komm endlich rein! Wir wollen essen und außerdem wird es draußen immer kälter. Du willst doch nicht, dass du krank wirst und wir vorzeitig zurück nach Hause müssen?"

Ja... das wäre schön. Zurück nach Hause, dahin, wo meine Freunde sind.... "Nein, natürlich nicht. Ich komme gleich."

Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich von seinem Lieblingsplatz und trottete zurück zu dem kleinen Bungalow, in dem seine Familie den Urlaub verbrachte. Der Abend verlief nicht anders als die bisherigen: Seine Eltern plauderten und freuten sich, was sie an diesem Tag für aufregende Dinge gesehen hatten und Danny hörte ihnen zu, antwortete gelegentlich mit ,Ja', wenn seine Meinung gefragt war. Auch die nächsten Tage verliefen nicht anders. Tagsüber war er mit seiner Familie unterwegs und abends saß er auf seinem Baum und sehnte sich nach seinen Freunden.

Gegen Ende der zweiten Woche ereignete sich allerdings etwas, was seine Meinung über das Land der aufgehenden Sonne grundlegend änderte. Seine Eltern hatten beschlossen, Tokio zu besichtigen und so machte sich die Familie bereits in aller Frühe auf den Weg, da dies ein sehr langer Tag werden würde. Die Hauptstadt war nicht nur riesengroß, sondern auch überfüllt mit Menschen, sodass es schwierig war, den Anschluss nicht zu verlieren. Als sie gegen Abend mit der U-Bahn fuhren, um zu ihrem Auto zurückzukommen, passierte es doch, wovor Danny sich den ganzen Tag über gefürchtet hatte: Im Gedränge verlor er den Überblick und stieg an der falschen Haltestelle aus. Rings um ihn waren so viele Menschen, dass er es erst gar nicht gemerkt hatte, dass seine Eltern nicht mehr bei ihm waren. Als die U-Bahn längst weiter gefahren war und sich die Menschenmasse um ihn herum aufgelöst hatte, bemerkte er, dass er völlig allein war. Panik schnürte ihm die Kehle zu und er schaute benommen von einer Seite auf die Andere. Obwohl er seinen Kopf kaum bewegte, war ihm mit einem Mal so schwindelig, dass er nach hinten taumelte und ehe er sich versah, auf einer hinter ihm stehenden Bank saß. Dort blieb er eine Weile sitzen und wartete darauf, dass seine Eltern vielleicht mit einer entgegenkommenden Bahn zu ihm zurückkamen und ihn abholten.

Die Stunden vergingen, ohne dass er einen Hinweis auf seine Eltern erhalten hatte. Letztendlich beschloss er, nach draußen zu gehen und eine Polizeiwache oder ähnliches zu suchen, damit er dort nach seinen Eltern fragen konnte. Es war mittlerweile so dunkel draußen, dass man kaum fünf Meter weit sehen konnte.

Ob ich es überhaupt bis zur Polizei schaffe...?

Nach den Häusern zu urteilen, befand er sich entweder am Rand Tokios oder in einem Vorort, das wusste er nicht genau, aber die Häuser und Straßen zeigten deutlich, dass es sich um eine recht arme Gegend handeln musste.

Warum habe ich mich ausgerechnet hier verirrt? Wahrscheinlich gibt es hier noch nicht mal ein Polizeirevier oder so was. Auf jeden Fall werde ich hier kaum jemanden finden, der mir zuhören würde, wenn schon die Leute in der Stadt so abweisend sind. Ich wünschte, wir wären nie hergekommen!

Da es bereits auf Mitternacht zuging, war keine Menschenseele mehr auf der Straße zu sehen. Auch in den Häusern brannte kaum noch Licht. Wenn sich um diese Zeit noch Leute draußen rumtrieben, dann nur ein paar heruntergekommene Banden, die im Schutz der Dunkelheit randalierten oder ihre Streitigkeiten untereinander austrugen. Danny hoffte inständig, dass ihm solch eine Begegnung erspart blieb, doch wie jedes Mal an diesem Tag wurde auch jetzt sein Wunsch nicht erhört. Schon von weitem konnte er das laute Gelächter einer Gruppe von Jungen in seinem Alter und das Scheppern von umgeworfenen Gegenständen hören. Er blieb abrupt stehen und lief ein paar Schritte rückwärts, als er plötzlich gegen etwas Großes, Weiches stieß und sich erschrocken umdrehte. Hinter ihm stand ein Junge, der fast zwei Köpfe größer und fast zweimal so breit war wie er und nun seine monströsen Pranken nach ihm ausstreckte. Danny war vor Angst wie gelähmt; er bekam kaum noch mit, was um ihn herum geschah. Alles, was er dann noch merkte, war, dass der Kerl ihn kopfüber hängen ließ und zu der grölenden Gruppe brachte.

Nun ist es wirklich aus.... Ich werde meine Eltern nie wieder sehen... ...

Ein schwerer Schleier legte sich um seinen Kopf. Was auch immer jetzt kommen möge... er hatte keine Möglichkeit, es zu beeinflussen.

Vielleicht habe ich ja Glück und ich erwache morgen irgendwo in einer Mülltonne.... Oder sie ertränken mich irgendwo, wenn ich ihnen zu langweilig geworden bin -

Er hatte den Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da sauste die erste Faust auf sein Gesicht nieder. Sterne funkelten in seinen Augen. Er stöhnte etwas auf unter der Betäubung, die die Faust verursacht hatte. Eine Träne rann über seine gerötete Wange. Wirklich weinte er jedoch nicht, dazu fehlten ihm längst die Kraft und der Mut. Er flehte die Jungen auch nicht an mit ihren Schlägen aufzuhören, den Atem konnte er sich sparen. Wahrscheinlich würden sie ihn doch nur auslachen, wenn er eine solch lächerliche Bitte vortragen würde. Ein weiterer Tritt in die Magengrube folgte, die ihr einige Sekunden die Luft anhalten ließ. Er war noch nicht richtig zu sich gekommen, als einer der Jungen ihn an den Haaren packte und ihm ins Gesicht rotzte. Alle umstehenden lachten laut auf und schon war der nächste da, der diese tolle Vorführung nachmachen wollte. Er hatte bereits Luft geholt und wollte gerade seinen Mund auf Dannys Gesicht entleeren, als dieser plötzlich wie ein Stein zu Boden sackte und sich an seiner eigenen Spucke verschluckte. Den Rest hatte er nicht mehr richtig mitbekommen; er spürte nur noch, wie er plötzlich zu Boden fiel und hörte, wie alle Jungen plötzlich in einem wilden Durcheinander aufkreischten, dann war alles still und er spürte, wie er sanft von zwei Händen aufgerichtet wurde. Danny hob - so weit er dazu noch in der Lage war - das Gesicht und erkannte schemenhaft eine Gestalt, deren Kopf von einem langen Pferdeschwanz umweht wurde und eine Hand, die sich langsam seinem Gesicht näherte, um mit einem kühlen, weichen Tuch vorsichtig sein Gesicht abzutupfen. Ohne weiter nachzudenken, schlang er sich um den Körper dieser fremden Person und weinte aus voller Kehle. Als die Gestalt, die ihn gerettet hatte, seine Umarmung erwiderte und ihn noch näher an sich heran drückte, war Danny überhaupt nicht mehr in der Lage, seine Gefühle zu kontrollieren und weinte, während er seine Finger immer stärker in die Jacke seines Gegenüber krallte, bis sein Kopf vollständig vernebelt und er eingeschlafen war.
 

Der Duft von frisch gebrühtem Tee mit Honig...

Eine weiche Decke, die sanft meinen Körper umhüllt...

Etwas Kaltes auf meiner rechten Wange... ...!

Plötzlich fielen Danny die Ereignisse vom vorigen Tag wieder ein: Wie er seine Eltern verloren hatte; wie er mitten in der Nacht durch die Straßen lief und wie er von den Straßenjungs verprügelt worden war, bis er von dieser fremden Gestalt gerettet wurde. Aber was war danach geschehen? Vorsichtig hob er den Kopf und versuchte, sich umzusehen um herauszufinden, wo er jetzt war, doch schon bei der kleinsten Bewegung durchfuhr ein stechender Schmerz seinen Körper. Es hatte ihn wohl schlimmer erwischt, als er es zunächst angenommen hatte.... Doch dies war nicht der richtige Moment, um über sowas nachzudenken. Er musste einen Weg finden, wie er zu seinen Eltern zurückkam; und das am besten ohne den Straßenjungs noch einmal zu begegnen. Also biss er die Zähne zusammen und richtete sich langsam auf. Erst als saß, bemerkte er, dass jemand neben ihm an der Bettkante kniete und mit dem Gesicht auf dem Bettrand schlief. Er erkannte sofort, dass es sich um dieselbe Person handelte, die ihn gestern gerettet hatte. Sie hatte die langen schwarzen Haare noch immer zum Zopf gebunden und die einzelnen Strähnen fielen ihr wie schwarze Seide über das hübsche Gesicht. Verzaubert von diesem Anblick strich Danny ihr ganz vorsichtig eine der Strähnen aus dem Gesicht.

Ihr Haar ist so wunderbar weich...

Er hätte noch ewig so dasitzen und seinen Retter betrachten können, wäre das Mädchen von dieser sanften Geste nicht wach geworden. Als Danny dies bemerkte, zog er beschämt seine Hand zurück und sah wieder auf das Bett, wobei er sah, dass der Arm des Mädchens die ganze Zeit über auf seiner Hüfte gelegen hat. Wieder versank Danny in seinen Gedanken...

"Good morning!", vernahm er in gebrochenem Englisch.

"O-hayo gozaimas", gab er zurück.

Er erntete einen verwunderten Blick. Dann sprach das Mädchen in ihrer Muttersprache weiter.

"Du sprichst Japanisch?"

"Ja... ein bisschen. Meine Mutter kommt aus Japan. Sie hat es mir beigebracht."

"Dann bist du Halbjapaner! Wie heißt du?"

"Danny Willis."

"Hast du auch einen japanischen Namen?

"...Ja. Aki." Das war das erste Mal, dass er jemandem seinen japanischen Namen gesagt hatte, seit er in der ersten Klasse deswegen ausgelacht und als ,Schlitzauge' beschimpft wurde.

"Also Aki.... Ein schöner Name. Ich bin Kohaku Yuki."

,Ein schöner Name...'. Sie ist die erste, die das zu mir sagt.

"Schön, dich kennen zu lernen, Yuki-san."

"Du kannst das ,san' ruhig weglassen", kicherte sie.

"Na gut,... Yuki."

In diesem Moment meldete sich eine weitere Stimme zu Wort. "Bist du endlich wach?" Bei diesen Worten lief Yuki zur Tür, um sie für einen alten Mann zu öffnen.

"Opa, das ist Aki. Aki, das ist mein Opa."

Danny verbeugte sich so gut es ging und bedankte sich bei beiden dafür, dass sie sich um ihn gekümmert hatten, obwohl er dabei mehr an Yuki als an ihren Großvater dachte.

Der alte Mann verbeugte sich ebenfalls leicht und fragte dann, warum er gestern zu so später Stunde noch auf der Straße war. Danny erzählte ihm, wie er sich verlaufen und dann nachts in dieser Straße gelandet war. Er schämte sich etwas, vor Yukis Ohren diese Geschichte erzählen zu müssen. Jetzt hielt sie ihn sicher für einen Schwächling. Aber wenn dem so war, dann konnte sie dies gut verbergen.

"Wo liegt denn dein Hotel? Wir könnten dort anrufen, damit sich deine Eltern keine Sorgen mehr machen müssen."

"Wir haben ein kleines Ferienhaus in der Nähe von Hakone gemietet, aber dort gibt es kein Telefon."

Während Danny dies sagte, begannen Yukis Augen zu leuchten. "Ich weiß, wo das ist! Ich wohne nämlich in Hakone und gehe dort öfters vorbei. Ich bringe dich hin, wenn ich nach Hause fahre."

Eine unheimliche Last fiel Danny vom Herzen. Er konnte endlich zurück zu seinen Eltern... und wohnte noch 4 Wochen in der Nähe von Yuki. Vielleicht war ein so langer Urlaub in Japan doch nicht so schlecht....

Gleich nach dem Frühstück brachen die beiden Richtung Hakone auf. Jetzt war Danny endlich wieder allein mit Yuki und konnte wieder freier sprechen. Vor ihrem Großvater wollte er nicht einfach so drauf los reden.

"Wie hast du es eigentlich geschafft, die ganzen Jungs zu vertreiben?"

Sie lächelte etwas. "Nun... mein Großvater lehrt mich seit fünf Jahren Karate. Jeder von den Jungs gestern hat sich schon mit mir angelegt, aber sie beherrschen keine Kampfkunst. Sie haben mich noch nie besiegen können und es irgendwann aufgegeben, mir irgendwo aufzulauern und sich für die letzte Niederlage zu ,rächen'. Eigentlich habe ich gestern gar nicht viel gemacht. Ich glaube, sie haben sich erschrocken und sind deshalb so schnell weggelaufen."

"Ich bin dir echt dankbar. Jetzt hast du etwas gut bei mir."

"Nicht doch! Ich wollte dir nur helfen."

"Doch! Sonst ich komme mir blöd vor, wenn ich dich ansehe und weiß, dass ich dir nicht mal für deine Hilfe danken konnte. Oder möchtest du, dass ich dir nie mehr in die Augen sehen kann?"

Ihr Lächeln wurde noch breiter. "Na gut. Ich werde irgendwann darauf zurückkommen. Versprochen."

Als er ihre Lippen auf seiner Wange spürte, wurde er augenblicklich rot und wandte schnell das Gesicht ab.

"Du bist süß!"

Der Satz hallte noch lange in Dannys Kopf nach...

,Du bist süß'

Plötzlich war alles andere um ihn herum egal. Den ganzen Weg über konnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Da war nur noch dieses Gefühl in seinem Bauch... Dieses Kribbeln... irgendwie komisch... aber angenehm warm.

Seine Eltern reagierten genau, wie er es sich vorgestellt hatte: Seine Mutter stürzte unter Tränen aus dem Haus und musterte ihn am ganzen Körper, um zu sehen, ob noch alles dran war. Die blauen Flecke, die er überall hatte, sorgten sie sehr und so war sie umso glücklicher, als sie erfuhr, dass Yuki ihm geholfen hatte. Sie schien die kleine Japanerin sofort ins Herz geschlossen zu haben. Dannys Vater verhielt sich wesentlich sachlicher als seine stürmische Mutter, doch auch ihm standen Sorge und Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Yuki wartete noch ein paar Minuten und verbeugte sich dann.

"Ich muss jetzt gehen. Meine Eltern erwarten mich."

Als Danny dies hörte, verschwand seine Freude schlagartig.

"Kannst du nicht noch ein paar Minuten bleiben? Wir sind doch gerade erst angekommen."

Sie überlegte kurz und antwortete dann: "Sie warten sicher schon auf mich. Ich muss jetzt wirklich los. Aber ich werde mich beeilen und meine Eltern fragen, ob ich wiederkommen darf."

"... Na gut." Danny wollte trotzdem nicht, dass sie ging, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als erst mal abzuwarten und zu hoffen, dass sie bald wiederkommen würde. Yuki verbeugte sich noch einmal und lief Richtung Stadt davon. Danny sah ihr noch lange nach; selbst als sie längst außer Sichtweite war, machte er keine Anstalten, ins Haus zurückzugehen. Seine Eltern betrachteten den Jungen vom Haus aus, ließen ihn allerdings in Ruhe.

Er hatte sich gegen die Hauswand gelehnt und ließ sich dabei immer wieder Yukis Worte durch den Kopf gehen.

,Aki... ein schöner Name.'

,Du bist süß...' Er spürte, wie er erneut errötete, als er an diese Worte dachte.
 

Rund anderthalb Stunden später kam Yuki zurück. Danny stand immer noch draußen und erwartete sie bereits.

"Warst du die ganze Zeit hier?"

"Na ja..."

Wieder musste Yuki lachen. Danny mochte ihr Lachen. Es hatte etwas ganz besonderes an sich. Was das war, wusste er nicht, aber immer, wenn er sie lachen oder lächeln sah, war auch er glücklich.

"Komm!"

Mit diesen Worten nahm ihn die Japanerin an der Hand und lief mit ihm den Strand entlang. Bei einem kleinen Boot, das an einem Pfahl im Sand befestigt war, ließ Yuki Dannys Hand los und begann, das Tau von dem Pfahl zu lösen.

"Wessen Boot ist das?"

"Meins. Hast du Lust auf eine kleine Seefahrt?"

"Dein eigenes Boot? Kannst du es steuern?"

"Ja. Mein Vater ist Fischer. Er hat mir alles beigebracht, was man wissen muss: Steuern, Navigieren - ich fahre oft allein hinaus aufs Meer um Fische zu fangen."

Inzwischen schob sie das kleine Holzboot ins Meer. Dann drehte sie sich noch einmal zu Danny um.

"Willst du nun Boot fahren oder nicht?"

Noch einmal ließ er sich nicht auffordern und stieg ein. Während Yuki weiter ins Meer hinausruderte, bewunderte Danny das türkisblaue Wasser um sich herum. Von hier aus wirkte es sogar noch schöner als nachmittags auf seinem Baum. Aber abends war es doch am schönsten....

"Hast du schon mal geangelt?"

"Nein. Ich bin das erste Mal am Meer."

"Wirklich? Du siehst das Meer zum ersten Mal? Wo kommst du her?"

"Aus London. Kennst du das?"

"Nein. Nie gehört...."

"Und England?"

"Ja! Das kenn ich! Das ist doch eine Insel in Europa, oder?"

So ähnlich.... "Ja. London ist die Hauptstadt."

"Du kommst von einer Insel und hast noch nie das Meer gesehen?" Sie sah ihn ungläubig an."

"Nein. Echt nicht. London liegt nicht am Meer. Und dies ist mein erster Urlaub seit vier Jahren."

"Ich bin auch noch nicht sehr weit gereist. Von Japan habe ich zwar schon recht viel gesehen; ich war auch schon auf Hokkaido, aber das Land habe ich noch nie verlassen.... Oh, ich wollte dich fragen, ob du Lust hast zu angeln!"

"J...Ja, warum nicht. Zeigst du mir, wie es geht?"

Yuki hatte mittlerweile die Angelsehne entknotet und den Köder - ein Stück Mais - befestigt. Sie gab Danny die Angelrute und erklärte ihm, was er zu tun hatte: "Zuerst wickelst du die Sehne ein Stück auf.... Ja, genau so. Nun holst du Schwung und wirfst die Rute aus. Dabei musst du aufpassen, dass du die Kurbel festhältst. Wenn die Angel 50 bis 45° über dem Wasser ist, lässt du die Kurbel los. Bei dem Winkel fliegt die Schnur am weitesten."

Er warf die Schnur wie sie es ihm beschrieben hatte aus. Es war gar nicht so leicht, den richtigen Winkel zu finden, aber Yuki war der Meinung, er habe das ganz gut gemacht.

"Jetzt müssen wir ein bisschen warten. Wenn du merkst, dass ein Fisch angebissen hat, zieh mit einem Ruck an der Angel, damit der Haken stecken bleibt, sonst verlierst du ihn."

Danny war ziemlich aufgeregt. Was für einen Fisch er wohl fangen würde? WENN er einen fangen konnte....

Yuki lehnte sich zurück, spielte mit einer Hand im Wasser und beobachtete verträumt die kleinen Schleierwolken, die den blauen Himmel zierten. Auch Danny entspannte sich etwas, hielt die Angel dabei jedoch fest in der Hand, denn man konnte ja nie wissen, wann vielleicht ein Fisch anbeißt.

Der Köder musste mehrmals erneuert werden, bis Yuki plötzlich aufmerksam wurde und zum Schwimmer am Ende der Angelschnur schaute. Danny folgte ihrem Blick und bemerkte sofort, dass sich im Wasser etwas bewegte. Keiner von beiden sagte ein Wort, sie starrten nur gebannt auf den Fisch, der gemütlich den Köder umschwamm und hin und wieder daran pickte, bis er ihn endlich verschluckte. In diesem Moment sprang Danny auf und zog mit einem kräftigen Ruck an der Angel.

"Ja!! Sehr gut! Du hast ihn! Zieh ihn langsam ran, aber lass ihn zappeln, damit er müde wird", rief Yuki freudig.

Der Fisch schien stärker zu sein, als es zuerst aussah. Danny hatte alle Mühe, das Gleichgewicht zu halten. So konnte er ihn unmöglich einholen. Durch diesen wilden Kampf hatte er gar nicht mitbekommen, dass Yuki bereits hinter ihn getreten war und so hätte er um ein Haar die Angel losgelassen, als das Mädchen ihre Arme um ihn herumschlang und ihre Hände stützend um seine legte.

"Halt gut fest! Das muss ein Riesenbrocken sein."

Danny versuchte, sich wieder auf den Fischfang zu konzentrieren, doch es gelang ihm nicht wirklich. Der Gedanke, dass Yuki so nah bei ihm war, ließ sein Herz schneller schlagen. Er wusste, dass sein Gesicht knallrot war und dass Yuki dies mit Sicherheit sehen würde, wenn der Fisch im Boot war, aber es fiel ihm nichts ein, was diese Röte verschwinden lassen könnte.

Im Endeffekt war es eher Yuki, die den Fisch aus dem Wasser gezogen hatte. Dies bedeutete jedoch nicht, dass sich der Gefangene schon geschlagen gab - im Gegenteil - jetzt wehrte er sich erst recht. Es dauerte noch knapp fünf Minuten, bis der Fisch tot war und auf dem Boden hinter Yuki landete.

"So einen riesigen Lachs sieht man selten. Du wärst ein guter Angler", sagte Yuki, nachdem sie sich einen Moment ausgeruht hatte.

"Ach was. Das war nur Glück."

"Die ersten paar Fische zeigen meist, wie tauglich man als Angler ist. Ich bin gespannt, was wir heute noch so fangen."

Im Prinzip war es Danny egal, was für Fische sie fingen. Hauptsache, er konnte mit Yuki zusammen sein. Über sein Gesicht hatte sie nichts gesagt, was Danny sehr begrüßte. Er steckte erneut einen Köder an den Haken und warf die Angel wieder aus.
 

Ein paar Stunden später - sie hatten insgesamt fünf Fische gefangen - fuhren sie zum Strand zurück und zeigten Dannys Eltern, was sie gefangen hatten. Diese bereiteten gleich darauf eine Feuerstelle vor, an der sie später zu viert die Fische aßen. Es war nun schon ziemlich spät, die Sonne stand bereits knapp über dem Meer. Danny wollte diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen und zeigte seiner neuen Freundin seinen Lieblingsplatz. Auch ihr schien der Anblick der untergehenden Sonne sehr zu gefallen. Sie saßen lange schweigend da und genossen dieses Bild, bis die Sonne vollständig im Meer versunken war.

"Hast du schon eine Idee, was du mal machen willst, wenn du groß bist?", fragte Yuki nach einer Weile.

"Nein... darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Mal sehen, was kommt. Und du?"

"Nach der Schule gehe ich auf die Budo-Uni in Osaka. Ich weiß, das ist ein ziemlich ausgefallenes Lebensziel, aber ich möchte Japans bester Karatemeister werden; wenn ich es schaffe, sogar der beste der Welt."

"... Dann gehe ich auch auf diese Uni."

Bei diesen Worten musste Yuki so herzhaft lachen, dass sie fast vom Ast gefallen wäre, hätte Danny sie nicht am Arm festgehalten.

"Du beherrschst doch noch nicht mal eine Kampfkunst! Wie willst du es da auf die Uni schaffen?"

"Das war kein Witz! Ich meine es absolut ernst! Es gefällt mir hier. Ich hätte kein Problem damit, in Japan zu leben. Außerdem habe ich dir schon gesagt, dass ich eh keine Ahnung hab, was ich später mal machen will. So habe ich zumindest ein Ziel, für das ich lerne. In London gibt es genug Orte, an denen ich eine Kampfsportart lernen kann." Er schaute wieder hinaus aufs Meer und fügte dann leise hinzu: "Außerdem kann ich dich dann wieder sehen."

Es war ihm wirklich ernst, was er gerade gesagt hatte, dass begriff Yuki sofort, als er seine Worte ausgesprochen hatte. Sie zog ihn näher an sich heran und flüsterte ihm dann etwas ins Ohr: "Ich will nicht, dass du wieder gehst...."

Nachdem sie dies ausgesprochen hatte, legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und schaute wieder hinaus aufs Meer. Danny legte schweigend seinen Arm um ihre Hüfte und lehnte seinen Kopf an ihren. Er wollte nicht mehr weg. Am liebsten hätte er die Zeit angehalten, sodass sie für immer hier zusammen sein konnten. Aber das ging nicht; das wussten sie beide. Also versuchten sie, die vier Wochen, in denen Danny noch in Japan war, so schön wie möglich zu gestalten, damit sie für beide in ewig in guter Erinnerung blieben.
 

Yuki kam jeden Tag sehr früh zu Danny und holte ihn zum Fischen oder spazieren gehen ab. Wenn Dannys Eltern einen Ausflug machten, war seine Freundin jedes Mal herzlich eingeladen. Danny begleitete Yuki sogar, wenn sie zwei Mal die Woche zu ihrem Großvater ging, um mit ihm zu trainieren. Sie hatte mit ihren Eltern ausgehandelt, dass der Karateunterricht für die nächsten vier Wochen nicht so oft stattfand, was sie allerdings später nachholen musste.

Obwohl sie sich täglich sehen konnten und die Zeit zusammen bestmöglich nutzten, waren die vier Wochen viel schneller rum, als sie erwarteten. Der Tag der Abreise kam immer näher.
 

Danny musste schon sehr früh aufstehen. Eigentlich hätte er gestern schon packen müssen, aber er wollte sich den letzten Tag, an dem er mit Yuki zusammen sein konnte, nicht durch so etwas verderben.

So saß er bereits kurz nach drei mit halb geschlossenen Augen vor seiner Reisetasche und räumte seine Sachen ein. Es dauerte ziemlich lange, bis er alles verstaut hatte. Immer wieder fiel ihm ein, dass er noch etwas vergessen hatte, nachdem er die Tasche bereits geschlossen hatte. Es kam auch nicht selten vor, dass er aufstand, weil ihm etwas eingefallen war, was er noch nicht eingepackt hatte, und im nächsten Moment im Raum herumstand und nicht mehr wusste, was er holen wollte. Er konnte seine Gedanken einfach nicht ordnen. Egal, was er tat; dauernd dachte er an Yuki und daran, dass er sie diesen Morgen zum letzten Mal sehen konnte. Als es bereits nach um sechs war, hatte er es schließlich geschafft, die Reisetasche vollständig zu packen. Er ging zurück zu dem Tisch in seinem Zimmer und setzte sich dort hin. Dann öffnete er das Schubfach an der Tischunterseite und nahm den einzigen Gegenstand, der sich noch darin befand - eine kleine Schachtel - heraus. Er nahm den Ring, den sein Großvater bereits von seinem Vater bekommen hatte und der nun, zwei Generationen später, ihm gehörte, vom Finger und legte ihn in die schwarze Plastikschachtel. Diese umwickelte er mit weißem Seidenpapier und band dies dann mit einem weißen Band zusammen. Danach steckte er die Schachtel in seine Hosentasche und stellte seine Reisetasche in den Flur, wo bereits das Gepäck seiner Eltern wartete.

Er hatte noch etwas Zeit, bis sie gehen mussten. Also beschloss er, nach draußen zu seinem Lieblingsplatz zu gehen und dort auf Yuki zu warten. Als er dort ankam, saß seine Freundin bereits auf dem Ast des alten Baumes und wartete auf ihn. Er kletterte wortlos zu ihr hinauf. Heute war ihm nicht nach Sprechen zumute. Ein dicker Kloß hatte seinen Hals verschnürt. Auch Yuki sagte eine Weile nichts; sie ergriff nur wortlos seine Hand und starrte weiter hinaus auf das orangerote Meer. Danny war der erste, der nach langem Schweigen das Wort ergriff: "Ich habe noch etwas für dich."

Mit diesen Worten zog er sein Geschenk aus der Hosentasche und reichte es seiner Freundin. Sie schaute ihn erst erstaunt an und nahm dann mit einem leisen ,danke' das winzige Päckchen entgegen. Vorsichtig wickelte sie es aus und öffnete die Schachtel.

"Aber das ist doch...! Dieser Ring ist ein altes Erbstück deiner Familie. Du kannst ihn nicht einfach weggeben."

"Ich gebe ihn auch nicht EINFACH weg. Ich möchte ihn niemandem außer dir schenken."

Wieder trat eine kurze Pause ein.

"Ich wollte dir auch etwas zum Abschied geben."

Mit diesen Worten nahm Yuki ihre silberne Kette mit dem zierlichen Drachenanhänger vom Hals und hängte sie Danny um. Er wusste, wie viel sie Yuki bedeutete: Es war das Hochzeitsgeschenk eines lange verstorbenen Verwandten an dessen Frau. Die Kette war - wie Dannys Ring - bereits über 100 Jahre alt. Seither wurde sie immer als Hochzeitsgeschenk an den Geliebten oder die Geliebte verschenkt und dann dem erstgeborenen Kind vererbt.

Danny war von dieser Geste so gerührt, dass er keine Worte finden konnte, um sich zu bedanken. Stattdessen umarmte er Yuki und versprach ihr: "Ich werde regelmäßig schreiben und irgendwann komme ich wieder und besuche dich."

"Nein.... Als nächstes bin ich dran. ICH komme irgendwann nach London und besuche DICH. Und bis es so weit ist, werde ich dir immer schreiben."

"Na gut. Aber ich komme trotzdem wieder. Ich möchte ja in Osaka studieren, schon vergessen?"

"Ich freu mich schon drauf!"

Sie saßen noch eine Weile schweigend da und genossen die letzten Minuten, die sie gemeinsam verbringen konnten.

Es dauerte nicht mehr lange, da hörten sie von weitem Dannys Eltern rufen, die bereits ungeduldig auf ihren Sohn warteten. Als dieser gerade vom Baum klettern wollte, hielt Yuki ihn zurück und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange.

"Wenn wir uns wieder sehen, bekommst du einen richtigen Kuss von mir."

Er lächelte verlegen und erwiderte nach kurzem Zögern diese Geste.

"Ich freu mich schon drauf."

Sie gingen gemeinsam zu Dannys Eltern, die nun schon ungeduldig auf die Uhr sahen und am Auto auf und ab liefen.

"Da bist du ja endlich! Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir zu spät zum Flughafen."

Er warf Yuki noch einen letzten Blick zu und stieg dann widerwillig in den Wagen. Die Scheiben waren abgedunkelt, sodass man ihn nun nicht mehr sehen konnte. Während sich seine Eltern noch von Yuki verabschiedeten, umklammerte Danny die Kette, die sie ihm geschenkt hatte und richtete seinen Blick zu Boden. Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen, als seine Eltern einstiegen und sich der Wagen in Bewegung setzte. Er wagte nicht, noch einmal aufzusehen, weil er befürchtete, seine Gefühle würden ihn überwältigen, wenn er noch einen weiteren Blick auf Yuki warf.

Mit Mühe gelang es ihm während der Autofahrt, weitere Tränen zu unterdrücken und sein Gesicht zu trocknen, sodass man beim Aussteigen nicht mehr sehen konnte, dass er geweint hatte.

Der Rückflug war nicht angenehmer für ihn. Hätte man ihm auf dem Hinflug gesagt, dass er nicht mehr weg wollen würde, Danny hätte ihn mit Sicherheit ausgelacht. Zu diesem Zeitpunkt konnte er sich nichts Schöneres vorstellen, als wieder nach Hause zu kommen und seine Freunde wieder zu sehen, doch nun... nun hatte sich seine Lage geändert. Er wäre gern für immer in Japan geblieben, wenn es möglich gewesen wäre, doch noch war das nicht möglich. Es würde noch sehr lange dauern, bis er für immer nach Japan zurückkehren konnte. Bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig, als viel zu lernen, damit er den hohen Anforderungen in Japan gerecht werden konnte. Und er musste eine Kampfschule besuchen, denn wenn er keine Kampfkunst beherrschte, konnte er niemals auf die Budo-Uni gehen.
 

Noch bevor Danny seine Sachen auspackte, nahm er sich Stift und Zettel und schrieb einen Brief an Yuki, den er sofort darauf abschickte. Eine Woche wartete er auf eine Antwort seiner Freundin, doch es kam keine aus Japan. Er dachte sich, dass der Brief vielleicht bei der Post weggekommen ist und Yuki ihm deshalb nicht antworten konnte und schrieb ihr erneut. Doch auch diesmal erhielt er keine Antwort. Langsam machte er sich ernsthafte Sorgen, was wohl in Japan los war, dass sie ihm nicht schrieb. Er wollte ihr nicht auf die Nerven gehen, also schrieb er Yuki einen dritten Brief, in dem er erklärte, dass er sie nicht belästigen wolle und daher nicht mehr schreiben würde, wenn er auch diesmal keine Antwort erhielt. Wieder keine Antwort....
 

to be continue...

Verwechselt

*Hikari-chan setzt sich vor ihren Rechner (obwohl sie eigentlich lernen sollte) und begrüßt die Leser*

So. Das zweite Kapitel ist also fertig! Extra für dich, Aya-san *knuddldrück*! Ich freue mich, dass meine Langeweileausgeburten zumindest dir gefallen haben. Und ich hoffe, der erste Eindruck wird jetzt nicht wieder versaut...

Noch was zum ersten Kapitel: Da ist deshalb kein Kommi von mir, weil ich super unkreativ bin und außerdem stinkendfaul. Ich werde da also auch keinen einfügen. Und die Schule macht mir im Moment auch echt zu schaffen. Als ich das erste Kapitel hochgeladen hab, war das erste schon fertig. Ich musste eigentlich nur noch mal nach der Rechtschreibung sehen (OK... das hat jemand anders für mich gemacht, sodass ich es bloß noch korrigieren musste). Jetzt hab ich aber genug gefaselt *sieht schon den letzten Leser einschlafen*. Viel Spaß beim Lesen! (*noch mal Aya-san knuddl*)
 

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Kapitel 1:

Verwechselt
 

Eigentlich müsste er sauer sein. Sehr sauer sogar. Und trotzdem konnte er seine Ankunft kaum erwarten. Zehn Jahre hatte er darauf gewartet. Zehn nicht enden wollende, furchtbar anstrengende Jahre. Ein leises Lächeln huschte über Akis Lippen, doch gleich darauf wurde sein Blick wieder ernst.

,Ich muss mich ein bisschen zusammenreißen. Sie soll zumindest im ersten Moment das Gefühl haben, dass ich sauer bin.'

Er hatte sich schon lange nicht mehr so entspannt gefühlt. Verträumt schaute er aus dem Fenster und beobachtete die feinen Wolken, die über dem Türkis des Meeres vorüberhasteten. Obwohl er bereits kurz nach Mitternacht aufgestanden war und nun schon über neunzehn Stunden in diesem Flugzeug saß, war er kein bisschen müde. Immerhin hatte er zehn Jahre auf diesen Tag gewartet... ganze zehn Jahre. Ohne es wirklich zu merken, griff er nach dem silbernen, mit Diamanten verzierten Anhänger an der Kette, die er seit zehn Jahren stets um seinen Hals trug.

,Was sie wohl sagen wird, wenn wir uns wieder sehen...? Hoffentlich mag sie mich noch. Ich will die letzten zehn Jahre meines Lebens nicht um sonst gelebt haben.'

Es machte ihm Sorgen, dass sie die ganze Zeit über nie geschrieben hatte und es schmerzte ihn, wenn er daran dachte, dass sie ihn vielleicht vergessen hatte. Deshalb hatte er diesen Gedanken die ganze Zeit über verdrängt. Und außerdem... hätte sie ihm niemals ihre wertvolle Kette geschenkt, wenn er ihr egal gewesen wäre. Ja... das war die Hoffnung, an der er immer festgehalten hatte. Und nun würde er bald erfahren, was seine Jugendliebe all die Jahre gemacht hatte, dass sie nicht einmal Zeit gefunden hatte, um ihm zu schreiben.

Die ersten Seevögel flogen bereits an den Fenstern des Flugzeuges vorbei. Bis zur Küste konnte es also nicht mehr weit sein. Da es gerade Sonntag war, konnte er erstmal in ein Hotel gehen und sich ein bisschen in Osaka umsehen und seine baldige Uni suchen.

Die schriftliche Prüfung hatte per Post stattgefunden. Alle Bewerber hatten eine Kopie ihres Abschlusszeugnisses an die Universität schicken müssen und dann einen Brief mit Fragebögen, den sie innerhalb einer bestimmten Zeit ausgefüllt zurückschicken mussten, bekommen. Von den 500 ersten Einsendern wurden wiederum die 200 besten ausgewählt, die zur praktischen Prüfung an die Budo-Uni eingeladen wurden... und diese Prüfung fand kommenden Montag statt. Ein Lehrer der Universität nahm diese Prüfung ab. Wer dieser war, hing davon ab, welche Kampfsportart man beherrschte. Man musste den Lehrer nicht besiegen, hieß es in dem letzten Brief, den Aki erhalten hatte, aber sich eine bestimmte Zeit gegen ihn behaupten können.

,Dann gehe ich auch an diese Uni... Yuki wird Augen machen, wenn sie mich wieder sieht!'
 

Nach einem fast fünfstündigen Flug kam Aki endlich auf dem Flughafen von Osaka an. Nachdem er sein Gepäck vom Fließband genommen hatte, machte er sich auf den Weg in die Innenstadt. Da er weder ein Auto hatte noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren wollte, machte er sich, sein Gepäck über der Schulter, auf die Suche nach einem Hotel. Der Fußmarsch störte ihn nicht weiter, immerhin hatte ihn sein Sensei, ein Japanischer Kampfmeister, die letzten zehn Jahre genug strapaziert. Die Anfangszeit hatte er sogar richtige Angst vor ihm und seinen fiesen Trainingsmethoden gehabt, doch irgendwann hatte er sich daran gewöhnt. Und wenn er so daran zurückdachte... wie er immer für seinen Sensei innerhalb einer halben Stunde ins Nachbardorf hatte laufen und für ihn einkaufen müssen, obwohl es in seinem Dorf ebenfalls eine Kaufhalle gab... und immer, wenn er es nicht geschafft hatte, durfte er noch eine Siedlung weiter rennen und einen Kasten Wasser holen.... Ja, Hikawa-Sensei hatte höchst ungewöhnliche Trainingsmethoden, doch sie zeigten bessere Wirkung als manch herkömmliche Trainingsart.
 

Während er durch die Stadt schlenderte, holte er sich an einem kleinen Imbissstand etwas Nigiri, denn seit er von zu Hause aufgebrochen war, hatte er nichts Richtiges gegessen. Das Instant-Zeug im Flugzeug hätte man kaum als ,Essen' bezeichnen können und da er früh nie Hunger hatte, hatte er nur eine Schale Cornflakes gegessen, bevor er losgegangen war.

Nachdem Aki fast zwei Stunden herumgelaufen und trotzdem kein einigermaßen preiswertes Hotel gefunden hatte, probierte er es näher am Stadtrand. Hier sah es schon wesentlich besser aus. Die Gegend, in der das ausgewählte Hotel stand, war zwar nicht die schönste, aber es war ja nur für einen Tag. Außerdem war das Zimmer billig. Aki warf sein Gepäck auf das Bett und machte sich auf die Suche nach der Uni. Laut Stadtplan musste sie irgendwo in der Nähe sein. Es dauerte auch nicht lange, bis er sie gefunden hatte. Die Universität bestand aus mehreren Gebäuden, die alle recht nah beieinander lagen und zum Teil durch Korridore in verschiedenen Etagen miteinander verbunden waren. Ein Stück hinter dem Hauptteil lag noch ein weiteres großes, flaches Gebäude, an das sich ein riesiger Sportplatz anschloss.

Bis zum Abend sah sich Aki noch in der Umgebung um, unter anderem beim Studentenwohnheim. Es war nicht sehr weit von der Universität entfernt, man konnte in wenigen Minuten dorthin laufen. Als er so vor dem Haus stand, fragte er sich, ob Yuki wohl auch in einer der Wohnungen hier wohnte und schaute auf den Klingelschildern nach ihrem Namen. Er war etwas enttäuscht, als er ihren Namen nirgends finden konnte, doch wahrscheinlich hätte er eh nicht bei ihr geklingelt. Er wollte sie morgen auf der Uni überraschen. So ging Aki mit gemischten Gefühlen zurück zu seinem Hotel.

,Was soll ich überhaupt zu ihr sagen, wenn ich sie morgen wieder sehe? Was, wenn sie bereits einen Freund hat? Sie hat mir zwar bei unserem letzten Treffen zum Abschied ihre Kette geschenkt, aber das liegt nun schon zehn Jahre zurück. Da wäre es nur verständlich, wenn sie sich neu verliebt hat.... Außerdem bin ich ein Jahr jünger als sie.'

Die Gedanken, die er so lange versucht hatte zu unterdrücken, drangen nun doch alle in sein Bewusstsein vor. Er hatte Angst vor ihnen.... Er hatte Angst vor dem morgigen Tag. Aber wenn er seine Freundin nicht wieder sah, würde er niemals Gewissheit haben, wie seine Chancen jetzt standen. Selbst wenn sie ihn nicht mehr liebte, diese Gewissheit war immer noch besser als die ganze Grübelei. Besonders jetzt, wo er wieder in Japan war, spürte er den Druck, den seine Sorgen auf ihn ausübten. Nun... morgen würde er ja erfahren, was Yuki von ihm hielt und warum sie sich nie gemeldet hatte.

Langsam spürte Aki die Anstrengungen der Reise in seinen Gliedern. Er hatte nicht nur kaum geschlafen, er war auch seit gut 20 Stunden auf den Beinen. Daher war er heilfroh, dass es gerade Abendessen gab, als er in sein Hotel zurückkam. Er nahm sich einen Teller Chop Suey und genoss sein Abendbrot, bevor er in sein Zimmer zurückging und sich in sein Bett fallen ließ. Es war nicht sehr komfortabel, die Bettwäsche bestand aus schlichter, weißer Baumwolle und dem Holzrahmen nach zu urteilen, schien es hier Mode zu sein, seinen Namen und einen Gruß dort einzugravieren. Zum Schlafen reichte es jedoch alle Mal.
 

Um acht war die Prüfung. Damit er keinen schlechten Eindruck hinterließ, wollte er bereits etwas eher an der Uni sein und stand daher schon halb sieben auf. Aki hatte also genug Zeit, um sich fertig zu machen, gemütlich zu essen und dann mit seinem Shinai [Bambusschwert für Kendo] zur Budo-Uni zu gehen. Es war erst kurz nach halb acht, als er ankam, aber er war wohl nicht der Einzige, der einen guten ersten Eindruck machen wollte. Die anderen Uni-Anwärter - alle Japaner - musterten den Jungen mit den grünen Augen und den braunen Haaren misstrauisch. Die Mädchen von der nahe gelegenen Mädchenschule hingegen schien er zu gefallen. Anscheinend hatten sie gerade Pause, denn sie beobachteten ihn aus einiger Entfernung und versuchten, einen seiner Blicke zu ergattern. Auch das schienen die anderen Jungen in seiner Nähe bemerkt zu haben; und es gefiel ihnen ganz und gar nicht.

Bis dahin standen kaum Leute auf dem Gelände der Uni, doch nun ertönte das Klingelzeichen und die Studenten strömten aus den Gebäuden. Zu Akis Überraschung waren es nur Jungs, die er sehen konnte. Es mussten bereits über 500 Studenten über den Hof gelaufen sein, doch nicht ein einziges Mädchen war unter ihnen.

,Ist das etwa eine reine Jungen-Uni...? Das kann nicht sein! Yuki wollte doch hier studieren. Wusste sie das etwa nicht? Oder ist sie am Ende...'

Nein! An sowas wollte er gar nicht erst denken und verwarf den Gedanken so schnell, wie er ihm gekommen war.

,Bestimmt hat sie sich damals geirrt. Aber wie soll ich sie dann wieder finden?'

Aki hatte alle Mühe, einen aufkommenden Seufzer zu unterdrücken. Er war froh, als endlich ein Lehrer kam und sie zum Sportplatz, dem Austragungsort der Prüfung, brachte. Einige Studenten - oder besser gesagt ziemlich viele - hatten sich dort versammelt und warteten gespannt auf die kommenden Kämpfe. Zuerst wurde eine Gruppe von Jungen aufgerufen, die einen Wettkampf im Judo austrugen. Die acht besten hatten gewonnen. Genau so ging es weiter mit Ju-Jutsu, Karate, Aikido, Sumoringen, Fechten und schließlich auch Kendo. Dies war die erste Möglichkeit für Aki, sich mit anderen Kendo-Schülern seines Alters zu messen. Akis Sensei hatte - warum, dass wurde ihm bis heute verschwiegen - ihn niemals gegen andere Leute kämpfen lassen. Daher war er ganz schön aufgeregt, als sein erster Kampf bevorstand. Allerdings stellte Aki bald fest, dass er um einiges besser war als sein Gegner. Auch die nächsten Kämpfe gewann er, ohne sein gesamtes Können einsetzen zu müssen. Gegen den Lehrer hatte er nicht mehr so leichtes Spiel, doch es dauerte nicht lange, bis dieser den Kampf abbrach und Aki somit bestanden hatte. Insgesamt wurden 51 neue Studenten an die Uni aufgenommen.
 

Den Rest des Tages hatte Aki Zeit, sich die Universität anzusehen. Am Dienstag würde für ihn bereits das erste Semester beginnen. Den Sportplatz kannte Aki ja nun schon, also nahm er sich Zeit, die Gebäude von innen zu besichtigen. Als er so durch die Gänge ging, kam ihm die Uni noch größer und verwirrender vor als von außen. Die Mensa hatte er bereits gefunden; irgendwann zu Beginn seines Rundganges, doch nun konnte er sich nicht mehr daran erinnern, in welchem Teil des Kellergeschosses sie lag. Auch wo der Weg lag, den er gekommen war, hatte er vergessen. Und überhaupt hatte er keine Ahnung, wo er sich gerade befand. Es war zum Heulen!

Letztendlich kam er an eine offene Tür, die Einblick in einen kleinen Aufenthaltsraum gewährte. Von der Tür aus konnte Aki nur leere Stühle sehen und schloss daraus, dass gerade niemand da war, was ihm sehr zusagte. Er wollte nicht, dass irgendwer mitbekam, dass er sich in der Universität verlaufen hatte. So etwas Peinliches noch bevor er überhaupt angefangen hatte zu studieren - nein, das wollte er sich ersparen. Als er allerdings den Raum betrat, stellte er fest, dass sich doch jemand dort befand. Leise ging er in eine entfernte Ecke, um sich dort auszuruhen, doch auf halbem Wege sprach ihn der Student an.

"Das ist der Pausenraum für die Clubleiter. Hier hast du nichts verloren. Bist wohl einer der Neuen, was?"

"Tut mir Leid.... Ich geh gleich wieder."

Er war schon fast an der Tür, da schaute der andere Student doch auf und klappte sein Buch, in dem er gerade noch gelesen hatte, zu. Seine Augen weiteten sich ungläubig beim Anblick des gerade gehenden jungen Mannes. Mit einem leisen knarren erhob er sich von seinem Stuhl und starrte den Halbjapaner weiter ungläubig an. Erst, als dieser die Tür erreicht hatte, fand der Student seine Stimme wieder.

"Aki...?" Eigentlich hatte er ihn laut ansprechen wollen, doch es war eher ein gehauchtes Flüstern aus seinem Mund gekommen. Der Angesprochene bemerkte es trotzdem und drehte sich verwundert um. Bis jetzt hatte er von dem anderen Studenten kaum Notiz genommen, doch nun, als er ihm direkt ins Gesicht sah, durchfuhr ihn ein leichter Schauer gemischt mit einem seltsamen Gefühl, dass er nicht zu deuten vermochte. Vor ihm stand ein junger Mann mit langen Haaren, die wie schwarze Seide als geflochtener Zopf über seine Schulter fielen. Sein Gesicht hatte feine, weiche Züge, was ihm einen sehr erotischen, sogar leicht weiblichen Touch verlieh. Er starrte ihn noch immer aus ungläubig geweiteten Augen an; wunderschönen grauen Augen, wie er sie erst einmal im Leben gesehen hatte. Das war vor zehn Jahren, als er das letzte Mal in Japan gewesen war.... Wie von selbst löste sich sein Blick von den Augen des Anderen und wanderten herab zu dessen linker, dann rechter Hand. Und da war er tatsächlich... der silberne Ring, den er einst seiner Liebe aus dem Land der aufgehenden Sonne geschenkt hatte. Eigentlich hätte er gar nicht nach dem Ring sehen brauchen, schon vom ersten Moment an, als sein Blick den des Anderen begegnet war, hatte er gewusst, wem er gegenüber stand. Aki war wie paralysiert. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Alles war plötzlich durcheinander. Die Gedanken überschlugen sich in seinem Kopf. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er seine Stimme wieder fand und endlich einen Ton herausbrachte.

"...Yuki...?"

Nun zeichnete sich ein Lächeln auf den Lippen des Anderen ab.

"Es ist lange her, was? Ehrlich gesagt, hätte ich nicht gedacht, dass du doch kommst."

Noch immer hatte Aki alle Mühe, seine Gedanken einigermaßen beisammen zu halten. Er war hier hergekommen... auf diese Uni, fernab von zu Hause, gegangen, um seine erste und einzige Liebe wieder zu sehen, und nun stand er vor ihr... und musste feststellen, dass er sich all die Jahre nur eingebildet hatte, verliebt zu sein. Oder nein, er hatte sich eingebildet, dass seine große Liebe ein Mädchen war.... Ohne darüber nachzudenken, was sein Mund tat, antwortete er auf Yukis Bemerkung.

"Ich hatte es dir doch versprochen, dass wir zusammen studieren würden."

,Was mache ich überhaupt!? Das klingt ja wie ein Liebesgeständnis! Was ist los mit dir, Aki? Yuki ist ein Kerl, verdammt! Reiß dich zusammen, sonst hält er dich am Ende noch für einen Homo!'

"Ich kann es immer noch nicht glauben... du bist wirklich hier. Wann bist du angekommen?"

Das war einfach zu fiel für den Halbjapaner. Er spürte, wie ihm die Situation immer weiter entglitt. Ein unangenehmes Stechen breitete sich in seinem Kopf aus.

"G...gestern."

Die Freude verschwand aus Yukis Gesicht und er schaute Aki besorgt an, während er zu ihm hinüber lief.

"Was hast du? Ist dir nicht gut?"

Nun schien sich aus dem Gewirr von Akis Gefühlen langsam etwas Eindeutigeres herauszubilden: Das schmerzliche Gefühl eines großen Verlusts.

"Geht schon." Eigentlich wollte er Yuki beruhigen, doch er konnte die Worte nur flüsternd herauspressen, was sie nicht sehr überzeugend wirken ließ.

"Du siehst geschockt aus. Was ist los?"

Doch Aki brauchte ihm gar nicht zu antworten; selbst wenn er es gewollt hätte. Es schien, als hatte Yuki bereits die Antwort gewusst, als er seine Frage kaum zu Ende gesprochen hatte.

"Du... hast mich für ein Mädchen gehalten, stimmt's?" Er wollte es eigentlich nicht so direkt aussprechen, doch nachdem ihm nach zehn endlos erscheinenden Sekunden immer noch nichts Sanfteres eingefallen war, riskierte er eine so direkte Frage einfach.

Aki war das überaus peinlich, sodass er nicht verhindern konnte, dass ihm die Röte ins Gesicht stieg. Yuki kicherte leise. Als Aki ihn so betrachtete, dachte er unbewusst, dass Yuki dabei noch genauso aussah wie früher. Genau so niedlich.... Jetzt hatte er schon wieder solche Gedanken! Wieso konnte er sich nicht einfach damit abfinden, dass Yuki ein Mann war? Wieso tat dieser Gedanke nur so weh...?

"Mach dir nichts draus. Du bist nicht der Erste, der mich für ein Mädchen gehalten hat. Die meisten Menschen, die mich nicht kannten, dachten ich sei eins."

"Warum hast du mich dann nicht aufgeklärt?"

"Dachte, du wusstest es", sagte er mit einem Schulterzucken. Plötzlich näherte sich seine Hand ganz langsam Akis Körper. Als dieser das bemerkte, bekam er einen leichten Schrecken, den er allerdings mit Mühe verbergen konnte. Er beobachtete, wie sich die Hand des Japaners langsam seiner Brust näherte und hielt dabei vor Anspannung unmerklich den Atem an. Aki war irritiert; er wollte nicht glauben, was Yuki gerade im Begriff war zu tun... bis dieser den Drachenanhänger ergriff und ihn sich ansah.

"Hast du ihn die ganze Zeit getragen?" Er musterte das Schmuckstück verwundert. Es kam Aki vor, als wäre gerade ein tonnenschweres Gewicht von seinen Schultern gefallen. Jetzt kam er sich richtig lächerlich vor, als er sich durch den Kopf gehen ließ, was er gerade noch von Yuki gedacht hatte. Die Röte, die gerade erst zu verschwinden begonnen hatte, schoss nun schlagartig in seinen Kopf zurück.

"Ja."

Nun nahm Aki Yukis rechte Hand und sah sich sein Abschiedsgeschenk an.

"Und du?"

Ein Grinsen machte sich auf dem Gesicht seines Gegenübers breit.

"Natürlich! Der Ring ist immerhin ein Geschenk meines besten Freundes."

Aki sah ihn ungläubig an. ,Sein bester Freund?'

"Aber wir haben uns doch erst vier Wochen gekannt."

"Ja, aber in diesen vier Wochen habe ich mit dir mehr unternommen als mit meinem gesamten Freundeskreis in einem Jahr." Nach einer kleinen Pause sprach er weiter. "Ich stamme von einer sehr angesehenen Samurai-Familie ab. Die meisten Menschen, denen ich bis jetzt begegnet bin, sahen in mir nur meine ruhmreichen Vorfahren, nicht ,Yuki Kohaku'. Du warst der erste, der mich richtig als eigenen Menschen gesehen hatte. Ich hatte immer viele Freunde, das will ich nicht bestreiten, aber sie bewunderten mich mehr, als dass sie mich mochten. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert."

"So ein Blödsinn! Für mich bist du Yuki und niemand anders! Mich interessieren deine Ahnen nicht, die habe ich nie kennen gelernt. Als ob die Herkunft einen Menschen ausmacht!"

Aki wusste selbst nicht, warum er deshalb so bestürzt war; auf jeden Fall gefiel ihm diese Einstellung ganz und gar nicht. Niemals wirkliche Freunde zu haben... das kann er sich gar nicht vorstellen.

"Das mag ich so an dir. Du beurteilst die Leute nach ihrem Charakter. Das ist mir schon vor zehn Jahren aufgefallen. In deiner Gegenwart konnte ich stets so sein, wie ich wirklich war. Wenn ich mich woanders so verhalten hätte, hätte ich mir wieder Bemerkungen wie ,Sei vernünftig! Du stammst von großartigen Samurai ab, also bring ihnen keine Schande' oder so anhören dürfen. Ich kann dir sagen... das hat so genervt! Besonders die Lobe von meinem Großvater: ,In dir fließt wahrhaftig das Blut deiner Vorfahren, bla bla', habe ich gehasst."

"Das kann ich mir vorstellen. Zu mir sagte man auch dauernd: ,Sei doch einmal so lieb, fleißig oder sonst was wie deine Schwester!' Ich hab es auch total gehasst, dass man mich dauernd mit ihr verglichen hat."

Das seltsame Gefühl, welches Aki bis vor ein paar Minuten noch hatte, war Gott sei dank verschwunden. Endlich konnte er wieder klar denken und wusste, wie die Dinge standen.

,Es war wohl nur die allgemeine Verwirrung, die Yuki in mir ausgelöst hatte, als ich so plötzlich erfahren habe, dass er ein Mann ist. Ich traure nicht dem ,Mädchen' Yuki nach, nein, ich habe viel mehr einen guten Freund wieder gefunden.'

Diese Gedanken beruhigten Aki ungemein. Endlich war wieder alles in Ordnung. Er freute sich bereits auf die gemeinsame Studienzeit mit seinem Freund. Zwischen ihnen hatte sich nichts verändert. Sie verstanden sich nach wie vor sehr gut.

"Wo wohnst du eigentlich?"

"Im Moment noch in einem Hotel ganz in der Nähe, aber ich wollte so schnell es geht ins Studentenwohnheim umziehen. Ist billiger."

"Wenn du willst, kannst du zu mir ziehen. Ich hab zwar keine große Wohnung, bin dort allerdings alleine. Ist stinklangweilig. Wenn du also Lust hast, ich würde mich freuen. Dann kommt da mal etwas Leben rein."

Als der Halbjapaner das hörte, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen. In einer Wohnung zusammen mit seinem besten Freund.... Die Studienzeit versprach lustig zu werden.

"Das wäre toll! Dann können wir nachholen, was wir in den letzten zehn Jahren verpasst haben." Nachdem er das ausgesprochen hatte, verdüsterte sich Akis Gesicht.

"Was ist denn?"

"Warum hast du dich eigentlich nie gemeldet?"

"Es tut mir Leid. Ich wollte dir schreiben, aber meine Eltern haben es nicht erlaubt. Ich habe es auch heimlich versucht, aber sie haben mich erwischt und mir deine Adresse und den Brief, an dem ich grad gesessen hatte, weggenommen. Ich weiß nicht, warum, aber sie wollten unter allen Umständen verhindern, dass ich mit dir in Kontakt bleibe. Hast du mir eigentlich geschrieben?"

"Na klar!" Aki war etwas irritiert von dem, was Yuki ihm gerade gesagt hatte.

"Das dachte ich mir.... Ich habe nie einen deiner Briefe zu Gesicht bekommen. Ich vermute, meine Eltern haben sie verschwinden lassen, damit ich sie nicht bekam. Außerdem sind wir wenige Wochen nach deiner Abreise nach Tokio, in die Nähe meines Großvaters, gezogen. Ich versteh nicht, was meine Eltern gegen dich hatten. Sie sind zwar streng, aber in meinen Freundeskreis haben sie sich sonst nie eingemischt." Er schüttelte deprimiert den Kopf. Aki schwieg; er wusste, dass er den Grund für das Verhalten von Yukis Eltern wohl nie erfahren würde und außerdem wollte er seinen Freund nicht weiter damit belästigen. Man sah ihm an, dass er Schuldgefühle hatte, obwohl er nichts dafür konnte.

Um die bedrückende Spannung zu lösen, schnitt Aki ein anderes Thema an.

"Kennst du jemanden, der noch einen Job zu vergeben hat? Ich brauche Geld, deshalb sollte ich mir so schnell wie möglich Arbeit suchen."

"Ja, ich glaube, da kann ich dir helfen. Ich kenne einen Konditor, der noch eine Aushilfskraft braucht. Er beschwert sich zumindest dauernd, dass er alles allein machen muss und manchmal gar nicht weiß, wie er alles schaffen soll. Vielleicht hast du Glück und er stellt dich ein."

"Ja, das wäre prima! Wo ist dieser Konditor?"

"Es ist ein kleiner Laden drüben im Shoppingcenter. Also nicht sehr weit von hier entfernt. Er meint, der Umsatz ist gut, weil dort so viele Leute vorbei kommen, aber allein schafft er es kaum. Wenn du zu ihm gehst, bestell ihm am Besten schöne Grüße von mir. Dann wird er schon wissen."

"Danke. Ich schau gleich mal vorbei. Wann hast du Schluss?"

"Um vier. heute hab ich meinen langen Tag."

"Gut, dann hol ich dich um vier ab."

"Hast du so viel Zeit?"

"Ja, heute schon. Ich will mich noch ein bisschen umsehen. Mein Studium fängt ja morgen erst an."

Damit verabschiedeten sich die Beiden und Aki verließ den Raum. Als er wieder auf dem Gang stand, fiel ihm ein, dass sich ja verlaufen hatte und nur zufällig bei Yuki gelandet war.... Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und irgendwie einen Weg nach draußen zu finden.
 

Schließlich gelang es ihm doch, dem Gebäude zu entkommen, woraufhin sich Aki sofort auf den Weg zum Shoppingcenter machte. Die Konditorei war größer, als Aki sie sich vorgestellt hatte: Allein hinter der Theke war eine menge Platz und eine Tür führte in einen weiteren Raum, wo anscheinend gebacken wurde, denn einen Ofen und Backzutaten konnte der Halbjapaner nirgends entdecken. Wie Yuki bereits gesagt hatte: der Konditor war sehr im Stress und wusste gar nicht so recht, was er zuerst machen sollte: Nach dem frischen Kuchen im Ofen sehen oder die Leute bedienen? So kam es, das er dauernd hin und her rannte; von einer Ecke in die nächste und hin und wieder hinüber in den anderen Raum, aus dem er jedes Mal mit einem Blech warmer, duftender Kuchen oder Plätzchen herauskam. Aki stellte sich geduldig am Ende der langen Schlange an und wartete, bis er an der Reihe war. Wie bereits die Leute vor ihm begrüßte der Konditor auch Aki mit einem freundlichen "Hallo! Was würden sie gern haben?" Dabei lächelte es so, als ob er den ersten Tag in diesem Laden arbeitete und sich über die zahlreiche Kundschaft gar nicht genug freuen konnte.

"Guten Tag! Mein Name ist Willis Aki und ich wollte fragen, ob sie vielleicht eine helfende Hand gebrauchen könnten. Außerdem soll ich ihnen einen schönen Gruß von Yuki Kohaku ausrichten." Aki hatte inzwischen mitbekommen, dass ,Yuki' sein Nachname war...

Der beschäftigte Mann Mitte 30 sah ihn einen Moment lang fragend an. Dann fiel sein Blick auf die Schlange hinter ihm und er nickte leicht.

"Haben Sie schon mal etwas Ähnliches gemacht?"

"Ja, ich habe über ein Jahr in einem kleinen Imbiss gearbeitet."

"Na gut. Kommen Sie erstmal rein. Mal sehen, wie Sie sich anstellen. Vielleicht überleg ich es mir."

Dabei machte er eine Kopfbewegung zu seiner Rechten und kramte gleichzeitig ein Schlüsselbund aus seiner Tasche. Als er Aki hereinließ, sagte er noch leise zu ihm: "Sie sind also ein Freund von Haku.... Dann werden Sie wohl in Ordnung sein. Kümmern Sie sich bitte kurz um die Kundschaft, damit ich nach den Kuchen sehen kann."

Gesagt, getan. Der Konditor verschwand wieder hinter der anderen Tür, während Aki hinüber zur Theke ging und die Kunden genau so freundlich begrüßte wie der Konditor. Er hatte, während er in der Schlange gestanden hatte, genau beobachtet, was getan werden musste, wo welches Gebäck stand und wie man es verpacken musste. Zwei Stück Kuchen zu verkaufen würde er ja wohl schaffen, solange er allein war. Außerdem war es nicht das erste Mal, dass er einen Nebenjob im Gastronomiebereich angenommen hatte.

Es dauerte auch nicht lange, bis Mizuta-san mit einem Blech warmer duftender Kuchenstücke in den Händen wieder nach vorn kam und Aki einen Großteil seiner Arbeit wieder abnahm, ihm Anweisungen und Ratschläge gab und sie sich schließlich langsam aufeinander abstimmten. Der Halbjapaner packte, nachdem er die Namen all der Gebäcke soweit zugeordnet hatte, die bestellten Waren ein und überreichte sie den Kunden. Wenn Servietten, Tüten oder anderes zur Neige ging, sorgte er auch dafür, dass gleich wieder Nachschub vorhanden war. Der Chef des Ladens übernahm die Bezahlung und das Backen, half aber auch, wann immer es die Zeit zuließ, bei Akis Aufgaben mit.

Wie bereits vor der Uni bekam er auch hier freundliche Blicke von den Frauen (besonders den jüngeren) und es kam ihm so vor, als kämen einige von ihnen nach einer Weile wieder, manchmal in Begleitung einer Freundin. Der Konditor, er stellte sich zwischendurch als Mizuta-san vor, kam gelegentlich herüber und brachte neue Ware. Er schien zufrieden mit Akis Arbeit zu sein; jedenfalls beschwerte er sich nicht. Aki hatte ihn bei Gelegenheit auch gebeten, ihn zu duzen. Dieses "Sie" klang in seinen Ohren einfach grausam.
 

Als es auf halb vier zuging, wurde der junge Halbjapaner langsam unruhig. Er hatte Yuki versprochen, ihn abzuholen, wenn dieser Schluss hatte, doch so wie es aussah, kam er vor Ladenschluss nicht mehr hier weg. Die Arbeit machte ihm Spaß und selbst wenn sie ihn nicht reich werden ließ, würde er sie gern behalten. Mizuta-san schien sich jedoch gut mit Menschen auszukennen, er hatte den besorgten Ausdruck auf Akis Gesicht bemerkt und fragte ihn, was los sei. Obwohl der junge Mann ihm mehrmals bestätigte, dass alles in Ordnung sei, ließ dieser nicht locker, bis Aki letztendlich erzählte, was er Yuki versprochen hatte.

"Na dann beeil dich! Du hast es ihm versprochen, also musst du es auch halten. Wenn ihr wollt, könnt ihr gemeinsam wiederkommen."

Aki war etwas überrascht, dass der Konditor so freundlich war, bedankte sich aber höflich und machte sich auf den Weg. Er hatte noch 25 Minuten, was bedeutete, dass er sich nun ziemlich beeilen musste, wenn er Yuki nicht warten lassen wollte.
 

Er kam gerade rechtzeitig an der Uni an. Yuki verließ das Gebäude in dem Moment, als Aki es erreichte.

"Hi! Hast du mit dem Konditor gesprochen?"

"Ja. Er ist echt nett. Hat mich gleich helfen lassen, als ich ihn fragte. Ich gehe auch gleich wieder hin. Da ist echt viel los. Mizuta-san hat auch gefragt, ob du mitkommen möchtest."

"Warum nicht? Ich war schon lange nicht mehr bei ihm."

So gingen sie gemeinsam zurück zur Konditorei. Mizuta-san war sehr erfreut, als er Aki und Yuki erblickte. Er begrüßte beide freundlich, Aki machte sich sofort wieder an die Arbeit. Yuki blieb vor der Theke stehen und unterhielt sich bei Gelegenheit mit Akis Chef. Es stellte sich heraus, dass er früher auch hier gearbeitet hatte und hin und wieder noch vorbeikam, um sich mit ihm zu unterhalten und zu helfen.

Kurz nach halb sieben war Ladenschluss und sie brachten zu dritt das Geschäft in Ordnung. Irgendwann sprach Mizuta-san Aki auf die Arbeit in der Konditorei an.

"Wenn du möchtest, kannst du mir eine Weile zur Hand gehen. Du wärst mir eine große Hilfe."

"Ja, das wäre schön. Es macht mir richtigen Spaß hier."

Aki wurde mit einem leichten Lächeln belohnt.

"Dann schlage ich vor, wir einigen uns nachher auf deine Arbeitszeiten und dein Gehalt."

Da Aki seinen Studienplan bereits im Kopf hatte, konnte er seine Arbeitszeiten genau darauf abstimmen. Er würde Montag bis Freitag direkt nach dem Studium herkommen und bis halb sieben arbeiten. Auch die Bezahlung war recht gut für die ,einfache' Arbeit eines Konditors, wobei er ja nur die Aushilfskraft war.

"Du bist sehr beliebt bei den jungen Damen", bemerkte Mizuta-san kurz bevor Aki und Yuki wieder gehen wollten.

"So?" Er hatte das natürlich längst mitbekommen, wollte aber nicht so besserwisserisch wirken.

"Als du nicht da warst, haben einige Frauen nach dir gefragt. Ich glaube, in den nächsten Tagen werden wir noch viel mehr zu tun haben."

Niemand bemerkte es, doch als Yuki diese Worte hörte, verzog er kaum merklich das Gesicht. Aki schien die Nachricht seines Chefs ziemlich lustig zu finden. Yuki klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter und erinnerte ihn daran, dass sie noch etwas zu erledigen hatten. Daraufhin verabschiedeten sich die beiden von Mizuta-san und gingen zu Akis Hotel, um seine Sachen zu holen und in Yukis Wohnung zu bringen. Danach liefen sie hinüber zur Verwaltung und ließen Aki als Mitbewohner des Japaners registrieren.

Was für ein Tag! Und Aki hatte gedacht, der Sonntag wäre stressig gewesen!

Während der Halbjapaner seine Sachen in der Wohnung seines Freundes verstaute, machte dieser ihnen ein warmes Abendessen. Danach begann die große Debatte darüber, wer im Bett und wer auf der Couch schlafen sollte. Yuki bestand darauf, dass sein Freund das Bett bekam, Aki blieb jedoch beharrlich dabei, dass der Japaner dort schlief. Er nutzte seine Gastfreundschaft schon genug aus und wollte nicht, dass Yuki auch noch seinen Schlafplatz an ihn abtrat. Am Ende der Diskussion siegte Akis Starrsinn und der Japaner gab mit einem resignierten Kopfschütteln auf.

Als sie gegen Mitternacht schlafen gingen, durchlebte Aki den ganzen Tag noch einmal. Es war schon ein komisches Gefühl, wenn man 10 Jahre von seiner großen Liebe träumte und stattdessen seinen besten Freund fand. Aki spürte nach wie vor ein leichtes Verlustgefühl in sich, doch es wurde von der Freude, seinen besten Freund gefunden zu haben, überlagert.

,Bin mal gespannt, was noch so alles kommt....'

Willst du... mit mir gehn?

Hallöchen! *puh* Das war vielleicht ein Marathon! Sechs Seiten am Stück! Ich kann nicht mehr... Aber erstmal ein großes DANKESCHÖÖÖÖÖN!!! und *knuddl* an meine Kommischreiber! Nachdem ich das letzte Mal nachgeschaut hatte, war ich so happy, dass ich das Geschichte-Lernen spontan ausfallen ließ. Mal sehen, wie die Arbeit geworden ist (war hauptsächlich Quellenarbeit *^-^* ). Es hat insgesamt ganz schön lange gedauert, dieses Kapitel zu schreiben. Das lag daran, dass ich einfach nicht wusste, wie ich das ganze richtig rüber bringe. Na ja... so wirklich hat's wohl nicht geklappt. Bitte nicht hauen! Ich verspreche, dass ich mich beim nächsten Kapitel mehr anstrenge! Ich will euch aber noch ein bisschen hinhalten *fg*.... Ach, genug gelabert! Mir fällt nichts mehr ein. Also wer noch nicht weggerannt ist, kann jetzt das dritte Kapitel lesen. Viel Spaß!
 

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Kapitel 2:

Willst du... mein Freund werden?
 

...

"...ki!"

Er blinzelte leicht.

"Aki! Wach endlich auf, du Penner! Oder willst du schon an deinem ersten Tag zu spät zur Uni kommen?"

Obwohl es erst gegen halb sieben sein konnte, war es bereits taghell und das weiße Sonnenlicht durchflutete den Raum. Aki öffnete seine Augen ein Stück, doch das dadurch entstandene ekelhafte Brennen zwang ihn, sie gleich wieder zu schließen und sich weiter in die Couch hineinzukuscheln. Yuki, der bereits seit über fünf Minuten vergeblich versucht hatte, seinen Freund wach zu bekommen, riss jetzt endgültig der Geduldsfaden; er zog dem Halbjapaner die Decke vom Leib und nahm ihn hoch. Aki, von dieser plötzlichen Handlung und der Leichtfertigkeit, mit der der Japaner diese ausgeführt hatte, überrascht, war nun mit einem Mal wach und wehrte sich zeternd gegen diese unangenehme Haltung. Yuki schien das Gezappel nicht im Geringsten zu stören. Das grelle Sonnenlicht konnte er jetzt auch als Zimmerlampe identifizieren.

"W... Was soll, das, Yuki!? Lass... mich gefälligst runter! Ich... Ich bin doch nicht deine Freundin!!"

Dabei wurde er rot wie eine Tomate, was seinen ohnehin schon sehr zaghaften Worten den Rest ihrer Ernsthaftigkeit nahm. Yuki amüsierte sich köstlich, als er Aki so durch die Wohnung trug. Er versuchte, es ein wenig zu verbergen, damit sich sein Freund nicht noch weiter aufregte, doch es misslang ihm kläglich. Schließlich kamen sie in dem kleinen Bad der Zweiraumwohnung an, wo Yuki seinen sich heftig wehrenden Freund runter ließ.

"Du solltest dich jetzt endlich waschen. Wir haben nur noch eine halbe Stunde, bis die erste Vorlesung beginnt. Ich mach dir in der Zwischenzeit etwas zu essen. Um richtig zu frühstücken haben wir keine Zeit mehr. Wenn du Hunger hast, musst du es mit auf den Weg zur Uni nehmen."

Langsam beruhigte sich Aki wieder.

"Schon gut. Morgens bin ich nie hungrig."

"Beeil dich ein bisschen, ja? Sonst kommen wir zu spät."

Mit diesen Worten verließ Yuki das Bad und schloss die Tür hinter sich. Während Aki gemütlich in die Dusche stieg, dachte er über das gerade Geschehene nach.

,Warum rege ich mich eigentlich so auf, wenn er in meiner Nähe ist...? Ich habe wohl eine zu lebhafte Fantasie. Ich muss ein bisschen ruhiger werden, sonst denkt er am Ende noch, meine Gesellschaft wäre ihm unangenehm. Und das ist das Letzte, was ich will. Wieso spielen meine Gefühle bloß so verrückt, wenn er mir nah kommt? Ich kann dann gar keinen klaren Gedanken mehr fassen... Argh! Was mache ich hier überhaupt!? Ich denke schon wie ein Mädchen! Die machen auch immer gleich aus einer Mücke einen Elefanten. Genug gegrübelt. Ich sollte mich lieber beeilen, damit ich nicht zu spät komme.'

Dabei beließ er es auch und konzentrierte sich auf den vor ihm liegenden Tag.
 

"Sag mal, Aki..."

"Hm?"

Mittlerweile waren die beiden auf dem Weg zur Uni. Aki hatte sich das mit dem Frühstück doch noch anders überlegt, als er Yukis leckere Reisbällchen gesehen hatte, und war nun fleißig dabei, die Leckereien vor dem Schlechtwerden zu bewahren.

"Hast du dir schon mal überlegt, ob du nicht in den Kendo-Club eintrittst?"

"Phö...." Er beeilte sich, um den Reis, den er gerade im Mund hatte, hinunterzuschlucken und begann dann noch mal von vorn.

"Nö. Wozu auch? Ich mach immerhin täglich meine Übungen und außerdem gehe ich doch jetzt arbeiten."

"Es wäre besser, wenn du einem Club beitreten würdest. Das Niveau der Studenten steigt sehr schnell; fast alle sind mindestens einem Club beigetreten. Es würde nicht sehr lange dauern, bis die ersten Neulinge dich eingeholt haben. Und so oft ist das Training ja nun auch wieder nicht. So zwei, drei Mal die Woche. Je nachdem, wie viel Zeit die Studenten haben. Weil alle einen unterschiedlichen Zeitplan haben, trainieren auch immer nur ein paar Leute zusammen. Du hättest so die Möglichkeit, mit den älteren Studenten zu trainieren und damit bessere Chancen, Fortschritte zu erzielen. Außerdem würde man schlecht von dir denken, wenn du in keinem Club bist. Es gibt nur sehr wenige, die keinem Club beigetreten oder wieder ausgestiegen sind. Aber das sind alles Asse, die bereits sehr gute Platzierungen in den Landesmeisterschaften erreicht haben. Einige von ihnen haben es sogar schon auf Platz eins geschafft! Das war allerdings vor meiner Studienzeit..."

Aki konnte sich das Lachen kaum verkneifen, als Yuki diesen letzten Satz noch angefügt hatte. Sein Freund überhörte die Reaktion des Halbjapaners und beendete seinen Gedanken.

"Jedenfalls wollte ich noch sagen, dass unsere besten Studenten meistens Leiter eines Clubs sind. Und die haben auch nicht viel mehr zu tun als die restlichen Mitglieder. Sie passen bloß ein bisschen auf, dass jedes Mitglied hin und wieder vorbeischaut und wenn jemand große Schwierigkeiten hat, hilft er ihm gelegentlich beim Training. Das kommt allerdings sehr selten vor."

Nachdem er seine Rede beendet hatte, sah Yuki seinen Freund erwartungsvoll an. Dieser hatte bei seinem Frühstück inne gehalten und starrte eine Weile ins Leere.

"Es kann ja nicht schaden, wenn ich mich mal erkundige. Wird schon irgendwie gehen, das neben dem Job noch laufen zu lassen. Ich meine, wenn alle anderen das hinkriegen, wieso sollte ich es dann nicht schaffen?"

Zufrieden mit dieser Antwort lächelte der Japaner und klopfte Aki freundschaftlich auf den Rücken.

"Na also! Geht doch!"
 

Zwischen den Häusern und Bäumen konnte man nun schon das Gelände der Uni sehen. Aki hatte beim letzten Mal gar nicht bemerkt, wie kurz der Weg von Yukis Wohnung bis zur Uni eigentlich war. Er hatte sich viel zu viel Zeit gelassen mit seinem Frühstück und schlang nun so schnell es ging den Rest hinunter.

"So schnelles Essen ist nicht gesund." Yuki warf dem anderen Jungen einen mahnenden Blick zu, doch dieser ignorierte ihn. Er hatte nicht mehr viel Zeit, wenn er die Reisbällchen noch vor Beginn der Lesung essen wollte und das schaffte er tatsächlich noch vor Erreichen der Uni. Wie er das gemacht hatte, wusste er selbst nicht genau, aber das war ja auch unwichtig.

"Siehst du, das hast du nun von deinem Geschlinge!"

Verwundert sah Aki seinen Freund an, er verstand nicht, was dieser meinte.

Der Schwarzhaarige schüttelte nur leicht den Kopf und nahm vorsichtig das Reiskorn, welches Aki an der Wange klebte. Er zeigte es kurz seinem Freund, bevor er es mit einem überflüssigen "Du hattest noch Reis an der Wange" in seinem Mund verschwinden ließ. Der Halbjapaner schaute beschämt zur Seite. Obwohl es sein Freund und nicht irgendein Fremder bemerkt hatte, war ihm die Sache ziemlich peinlich. Nur mit Mühe konnte er die langsam aufsteigende Röte verbergen.

"Ich... muss jetzt los. Die Vorlesung fängt gleich an."

"Okay. Dann bis später."

Aki war ziemlich erleichtert, als er im Gebäude verschwinden konnte. Was allerdings gleich das nächste Problem mit sich brachte: Wo war der dämliche Hörsaal, in den er jetzt gehen musste? Wahrscheinlich hätte er die Suche aufgegeben, bevor er überhaupt damit angefangen hatte, wären nicht zufällig zwei Studenten vorbei gekommen, die anscheinend dasselbe Ziel hatten wie er. Also folgte er ihnen unauffällig und kam tatsächlich am richtigen Hörsaal an. Um sich nicht wieder zu verlaufen, hatte er den Weg dahin ausgiebig beobachtet. So kam er wenigstens allein wieder zurück.
 

Nach der Vorlesung - irgendeiner Abhandlung über die Anfänge Japans - die der Professor mit einem Enthusiasmus rüberbrachte, als würde er jeden Moment selbst einschlafen - suchte Aki nach dem Kendo-Club. Er befand sich in einem der Nebengebäude. Wie der Halbjapaner schnell feststellte, bestand der Club aus mehreren Räumen: Einem kleinen Aufenthaltsraum mit Kühlschrank (der aber dem Leiter des Clubs vorbehalten war) und Teeautomaten, dem Umkleideraum mit anschließendem Bad und einer großen Übungshalle. Ein paar ältere Studenten trainierten gerade. Als Aki eintrat, hielten sie jedoch inne und betrachteten den Besucher. Der eine schien bei Akis Prüfung dabei gewesen zu sein, denn er ergriff sofort das Wort.

"Ah, der Neue, der sich bei der Prüfung ganz gut geschlagen hat! Willst du dem Club beitreten?"

"Ich wollte mich erstmal erkundigen, wie das hier so läuft. Wann das Training ist und so."

"Einmal die Woche solltest du schon vorbei schauen. Wann genau das ist, bleibt dir überlassen. Da sind die Regeln nicht so streng; immerhin haben die meisten Mitglieder verschiedene Zeitpläne. Außerdem haben wir gar nicht genug Platz, um alle mit einmal trainieren zu lassen. Es wäre aber praktischer für dich, wenn du jemanden findest, mit dem du gut üben kannst und dessen Trainingszeiten sich mit deinen überschneiden. So ist es am effektivsten. Du kannst natürlich auch häufiger kommen, wenn du möchtest. Wenn du in der Woche gar keine Zeit hast, kannst du den Leiter fragen, ob du eine Sondergenehmigung bekommst, dann darfst du samstags trainieren."

"Muss man einen Mitgliedsbeitrag zahlen?"

Der Ältere lachte kurz.

"Nein! Der Club gehört ja zur Uni. Du musst dich bloß als neues Mitglied eintragen lassen und regelmäßig herkommen. Wenn du das Training ein paar Wochen ohne Grund vernachlässigst, bist du aber wieder draußen."

"Wo kann ich mich denn eintragen lassen?"

"Komm! Ich zeige es dir."

Mit diesen Worten verließ der Student, dicht gefolgt von Aki, die Übungshalle und ging hinüber in den Aufenthaltsraum. Er öffnete eine Datei auf dem Computer und ließ den Halbjapaner dort verschiedene Daten eintragen. Währenddessen kramte er noch ein kurzes Formular aus einer Schublade und reichte es Aki. Beim Lesen stellte dieser fest, dass dies eine Art Clubordnung war. Nachdem er sie kurz überflogen hatte, unterschrieb er in der letzten Zeile. Dann bekam er eine Art Chequekarte, die er immer, wenn er zum Trainieren kam, durch einen Apparat ziehen und wenn er ging dies wiederholen sollte. Als Nachweis für seine Anwesenheit sozusagen.
 

Bevor der Kendounterricht anfing, hatte Aki noch etwas Zeit. Diese nutzte er, um sich auf dem Geländer der Uni ein stilles Plätzchen zu suchen und dort in Ruhe zu essen. Wirklich allein fühlte er sich jedoch nicht. Schon seit er das Gebäude verlassen hatte, wurde er das Gefühl nicht los, dass ihn jemand beobachtete; er hatte nur noch niemanden entdeckt. Es war ihm trotzdem unangenehm, sodass er sich mit dem Essen beeilte und auf den Weg zur Turnhalle begab. Während er aufstand, glaubte er dann doch jemanden gesehen zu haben, der ihn durch die Sträucher hindurch beobachtete. Als er jedoch genauer hinsehen wollte, verschwand die Gestalt vollends hinter dem dichten Grün und war nicht mehr zu entdecken. Etwas verärgert und beunruhigt über diese Störung machte sich der Halbjapaner auf den Weg zum Sportplatz, um den Studenten, die noch unterricht hatten, zuzusehen, bis seine erste Trainingsstunde mit einem neuen Lehrer begann. Einige Meter von ihm entfernt gingen einige Schülerinnen der benachbarten Mädchenschule derselben Tätigkeit nach.

Als Akis Gruppe auf dem großen Platz trainierte, hatte er das Gefühl, dass sich die Mädchenschar um einiges vergrößert hatte. Und wieder fühlte er sich so beobachtet.... Durch diese Ablenkung konnte er die Schläge des Lehrers diesmal auch nicht so gut parieren wie beim letzten Mal. Daher war er froh, als die Schüler endlich gemeinsam trainieren konnten. Sein Gegner war nicht besonders gut, was wohl vor allem daran lag, dass er sich überhaupt nicht auf das Training konzentrierte.

"Hey, wie heißt du?"

Zuerst ignorierte Aki die Frage des Anderen, doch dieser schien recht hartnäckig zu sein und nicht allzu viel von Regeln zu halten.

"Ach, komm schon! Der Lehrer ist ja nicht mal bei unserer Gruppe. Ich heiße übrigens Taro."

Nach einigem Zögern antwortete Aki dem gesprächigen Jungen dann doch.

"Mein Name ist Aki."

"Dachte ich es mir doch! Du bist Halbjapaner, oder?"

"Ja."

Er deutete leicht in die Richtung der Mädchen.

"Du siehst doch die Kleine dort hinten mit dem weißen Haarband, oder? Die, die dich so anstarrt."

,Diese Mädchen starren doch jeden an.'

"Ja. Was ist mit ihr?"

"Ist dir noch nicht aufgefallen, dass sie dich schon den ganzen Tag beobachtet? Eigentlich hat das gestern schon angefangen, als du zur Prüfung gekommen bist. Seit dem hat sie dich nicht mehr aus den Augen gelassen. Sag bloß, das hast du noch nicht bemerkt!? Diese Schönheit! Deshalb waren die anderen gestern so neidisch auf dich. Sie waren sauer, weil das Mädchen nur Augen für dich hatte."

Aki riskierte einen vorsichtigen Blick in ihre Richtung. Bisher war sie ihm noch gar nicht aufgefallen, doch er stellte sofort fest, dass sie tatsächlich sehr hübsch war. Als sich die Blicke der beiden trafen, wurde die Schülerin mit einem Schlag rot im Gesicht und verwickelte ein neben ihr stehendes Mädchen in ein Gespräch.

"Na, was hab ich dir gesagt? Sie ist total verknallt in dich. Diese Chance solltest du dir nicht entgehen lassen! Sowas findet man nur einmal im Leben."

Während Taro dies sagte, zeichnete sich ein immer breiter werdendes Grinsen auf seinem Gesicht ab. Aki war leicht verwirrt. Ja, hübsch war sie, aber er war nicht in sie verliebt. Aber konnte man sowas denn nach einem Blick beurteilen? Vielleicht hatte Taro Recht und er sollte sie mal ansprechen.... Oder lieber nicht. Er war gerade erst den dritten Tag in Japan, hatte seit gestern einen Nebenjob und auch sonst genug Dinge, um die er sich kümmern musste. Da brauchte er sich jetzt nicht auch noch in eine Beziehung zu verwickeln.

Damit dachte Aki auch nicht mehr über das Mädchen nach. Er konzentrierte sich wieder auf den Unterricht, ging danach zu einer weiteren Vorlesung und hatte dann gerade noch genug Zeit, um etwas zu essen und zur Arbeit zu gehen.
 

Es waren noch keine zehn Minuten vergangen, als das Mädchen, das Aki beobachtet hatte, vor der Theke stand und sich ein Stück Kuchen bestellte. Als der Halbjapaner ihre Bestellung einpackte, nahm das Mädchen all ihren Mut zusammen und erwachte kurz aus ihrer Schweigsamkeit.

"Ich... habe dir heute beim Trainieren zugesehen.... Du bist wirklich gut...."

"Danke, aber eigentlich war ich heute gar nicht richtig bei der Sache."

Mit einem Lächeln reichte er ihr den Kuchen und verabschiedete sich, so wie er es immer tat. Die Schülerin wurde schlagartig rot, bedankte sich ebenfalls kurz und war wenige Sekunden später verschwunden. Aki schaute ihr noch kurz nach, bevor er den nächsten Kunden begrüßte.

,Sie ist wirklich niedlich....'

Mit diesem Gedanken widmete er sich wieder seiner Arbeit.
 

Kurz nach Ladenschluss - Aki säuberte gerade die Theke, während Mizuta-san den Backraum in Ordnung brachte - kam Yuki vorbei, um seinen Freund abzuholen. Sie unterhielten sich, bis Aki seine Arbeit beendet und sich von seinem Chef verabschiedet hatte. Als sie gerade das Gebäude verlassen wollten, kam ihnen das hübsche Mädchen entgegen, das Aki bereits den ganzen Tag hinterher lief.

"Oh, tut mir Leid, aber wir haben schon geschlossen."

"Ich... ich bin nicht hier, weil ich mir etwas kaufen möchte...."

Das Mädchen schien noch schüchterner zu sein, als Aki es bisher angenommen hatte. Obwohl er bereits eine Vermutung hatte, stellte er trotzdem die Frage, die ihm gerade im Kopf umging.

"Und warum bist du dann hier?"

Nach einer weiteren längeren Pause sprach das Mädchen weiter.

"Ich wollte mit dir reden... Mein Name ist übrigens Haruko.... Ich wollte dich fragen, ob... nun....."

Sie holte noch einmal tief Luft, sah dem Halbjapaner dann direkt in die Augen und begann den Satz noch einmal.

"Willst du... mein Freund werden?"

Obwohl er mit so einer Antwort gerechnet hatte, war Aki im ersten Moment viel zu durcheinander, um irgendwie reagieren zu können. Daher hakte das Mädchen hastig nach.

"Seit ich dich gestern zum ersten Mal gesehen habe, gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe mich in dich verliebt. Deshalb... wäre es wirklich schön, wenn du uns zumindest eine Chance geben würdest. Wir könnten ja mal irgendwo hingehen, um uns ein bisschen besser kennen zu lernen."

"Ja, das wäre schön. Aber in der Woche habe ich wenig Zeit wegen dem Studium und dem Job. Geht es am Wochenende?"

Endlich wurde das Mädchen etwas unverkrampfter.

"Das ist prima! Ich habe den ganzen Sonntag Zeit. Da könnten wir uns doch in irgendeinem Café treffen, oder?"

"Sonntag passt mir auch ganz gut. Kennst du ein schönes Café in der Nähe?"

"Das Takano ist sehr gut. Wenn du willst, können wir uns um zwei dort treffen. Findest du dich dort hin?"

"Das wird schon gehen. Am Sonntag um zwei also?"

"Ja. Ich freue mich schon darauf! Mach's gut!"

"Mach's gut! Bis Sonntag."

Obwohl er ursprünglich keine Beziehung eingehen wollte, war er jetzt doch ganz froh, dass er sich anders entschieden hat. Der kommende Sonntag würde sicherlich interessant werden. Während Aki noch in der Eingangshalle herumstand und in seinen Gedanken schwelgte, wurde Yuki langsam ungeduldig. Er setzte sich wieder in Bewegung und warf dem verwunderten Aki noch einen kurzen Blick über die Schulter zu.

"Was ist? Willst du hier Wurzeln schlagen?"

Verwundert hob der Halbjapaner eine Augenbraue, was sein Freund jedoch schon nicht mehr mitbekam.

,Nanu? Woher der plötzliche Stimmungswandel?'

Wie von selbst bewegten sich seine Beine, um den Japaner möglichst schnell wieder einzuholen. Yukis Schweigen erstreckte sich über den gesamten Heimweg, was seinen Freund mehr als beunruhigte, bis er ihn letztendlich darauf ansprach.

"Ich bin nur etwas k.o, okay? Hab einen stressigen Tag hinter mir. Also nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen."

Seit Aki sich mit Haruko verabredet hatte, zeigte Yuki erstmals wieder ein Lächeln. Erleichtert darüber, dass sich die Spannungen so schnell gelöst hatten, legte der Halbjapaner seine Hand auf Yukis Schulter und erwiderte die Geste.

"So gefällst du mir viel besser! Wenn du dich heute nicht so gut fühlst, kann ich ja das Abendessen machen. Ruh dich ein bisschen aus."
 

Nach diesem Gespräch war Yukis schlechte Laune wie weggeblasen. Und daran änderte sich bis zum Ende der Woche auch nichts. Als der erwartete Sonntag jedoch langsam näher kam, benahm sich Yuki wieder seltsamer.

Als Aki am Samstag von seiner ersten Trainingsstunde im Club heimkam, war Yuki, wie so oft, wenn der Halbjapaner gerade nach Hause kam, mal wieder in eines seiner Bücher vertieft. Im Gegensatz zu sonst schaute er diesmal jedoch nicht auf, um seinen Freund zu begrüßen. Auf die Begrüßung von Aki antwortete er auch nur mit einem leichten Nicken und einem dahin genuschelten "Hm. Hi". Die knappe Begrüßung ignorierend machte sich Aki auf den Weg ins Bad, um sich von dem Schweiß zu befreien. Wieder machte er sich Sorgen um seinen Freund. Keine anständige Begrüßung, keine Frage, wie das Training war....

,Was ist bloß los mit ihm? Ich wüsste nicht, dass ich ihm irgendwas getan hätte. Er scheint jetzt sogar noch abweisender zu sein als letzten Dienstag... Dienstag. Ob es vielleicht daran liegt? Er war erst so abeisend, nachdem Haruko und ich uns das Date ausgemacht hatten. Vielleicht ist er eifersüchtig, weil mich ein so süßes Mädchen angesprochen hat. Dann sollte er sich mal umschauen! Es gibt genug Schönheiten, die ihre Köpfe auch nach ihm umdrehen.

Um diese Erkenntnis reicher, beschloss Aki, das Problem gleich nach dem Duschen mit seinem Freund zu besprechen. Er hatte es so eilig damit, dass er gerade mal eine Hose anzog und sich das Handtuch über die Schultern warf. Mit einem entschlossenen "Hey!" nahm er Yukis Buch zur Seite und sah ihn herausfordernd an. Erschrocken schaute der Japaner auf und musterte seinen Freund, wobei seine Blicke lange auf dem gebräunten, muskulösen Oberkörper des Halbjapaners ruhten. Als er dies bemerkte, setzte er schnell eine leicht skeptische Mine auf und sah seinem Gegenüber ins Gesicht.

"Willst du dir nicht erstmal was überziehen? Du holst dir so noch eine Erkältung weg."

"So schnell werd' ich schon nicht krank. Es ist ja warm. Außerdem will ich mit dir reden, Yuki!"

"So? Worum geht's?"

"Kann es sein, dass du eifersüchtig auf mich bist?"

Yukis Augen weiteten sich verwundert.

"Wie kommst du denn darauf?"

"Tu doch nicht so! Nachdem Haruko mich am Dienstag gefragt hatte, ob ich ihr Freund sein will, hast du von einer Sekunde auf die nächste nicht mehr mit mir gesprochen und nun, wo mein Date vor der Tür steht, fängst du wieder damit an! Dabei hast du doch alle Chancen, eine Freundin zu bekommen. Oder... bist du in Haruko verliebt?"

Ein leises Kichern, begleitet mit seichtem Kopfschütteln waren Yukis Reaktion auf Akis Vermutungen.

"Nein! Da hast du was missverstanden. Meine schlechte Laune hat weder mit dir noch mit Haruko zu tun. Tut mir Leid, dass du sie so zu spüren bekommst. Ich halte mich ein bisschen zurück."

Aki schien dies jedoch nicht sehr zu überzeugen. Er sah seinen Freund nach wie vor skeptisch an und wartete auf eine plausible Erklärung. Yuki seufzte schaute Aki auf eine Art an, die dieser nicht zu deuten vermochte.

"Hör mal.... Es tut mir echt Leid. Ich freue mich für dich, dass du so beliebt bist bei den Mädchen. Ich kann mich im Moment aber leider nicht richtig für dich freuen. Der letzte Vergleichstest ist ziemlich mies für mich ausgefallen und wenn ich jetzt nicht richtig hart arbeite, kann es passieren, dass ich ernsthafte Schwierigkeiten bekomme. Deshalb bin ich so schlecht drauf. Es hat also wirklich nichts mit dir zu tun. Du machst dir zu viele Gedanken. Bleib mal ein bisschen lockerer und freu dich auf den morgigen Tag."

Nach diesen Worten bereute es Aki, dass er seinen Freund mit so sinnlosem Zeug aufgehalten hatte. Aber es machte ihn traurig, wenn sein Freund so schlecht gelaunt war. Er hatte dann immer Angst, dass ihre Freundschaft darunter leiden könnte. Nun wollte er sich aber Yukis Rat zu Herzen nehmen und sich nicht weiter so trübe Gedanken machen. Morgen war schließlich ein wichtiger Tag.
 

Die Sonne war angenehm warm und der Himmel leuchtete azurblau. Das Wetter

hätte nicht schöner sein können. Und nicht nur das war herrlich; es schien, als würde sich die ganze Natur mit Aki freuen. Heute war endlich der Tag gekommen, auf den er schon die ganze Woche gewartet hatte. Bereits am Mittwoch hatte er sich darüber erkundigt, wo das Takano lag. Es befand sich im benachbarten Stadtteil, sodass er dorthin laufen konnte. Obwohl er noch fast zehn Minuten Zeit hatte, als er das Café erreichte, wartete Haruko bereits auf ihn.

,Typisch Mädchen', dachte er sich scherzhaft, ,Egal, wie früh man da ist, sie sind immer schneller.'

"Hallo! Wartest du schon lange?"

"Nein. Ich bin auch erst gekommen. Schön, dich zu sehen."

Nachdem sich die beiden in das Café gesetzt hatten, bestellten sie sich eine heiße Schokolade und ein Eis und unterhielten sich ein bisschen. Da beide jedoch ziemlich schüchtern waren, kam kein wirklich langes Gespräch zustande. Die meiste Zeit über sah Aki aus dem Fenster und beobachtete die vorbeigehenden Leute, hauptsächlich Familien oder Pärchen.

,Was Yuki wohl gerade macht? Ob er immer noch lernt?'

"Was ist denn?"

"Nichts, warum?" ,Warum denke ich ausgerechnet jetzt an Yuki?'

"Du warst grad so verträumt."

"Das Wetter ist schön heute. Hast du nicht Lust auf einen Spaziergang?"

"Ja. Wir könnten in den Park gehen."

Sie tranken in Ruhe ihre Schokolade aus und machten sich, nachdem der Kellner die Bezahlung entgegen genommen hatte, wieder auf den Weg. Im Park hielten sich noch mehr Leute auf als auf der Straße. Dicht an dicht drängten sich die Familien, die diesen schönen Tag für einen Picknickausflug nutzten. Während Aki und Haruko gemütlich um den großen See herumschlenderten, schweiften Akis Gedanken erneut ab. Er machte sich schon wieder Sorgen um Yuki. Heute Vormittag hatte er nicht viel bessere Laune gehabt als am Tag zuvor. Zwar hatte er das zu überspielen versucht, doch es war ihm nicht gelungen.

,Ach, verdammt! So werde ich nie ein ordentliches Gespräch mit Haruko anfangen können.'

"Aki.... Wieso bist du eigentlich nach Japan gekommen?"

Aki hatte gehofft, dass Haruko diese Frage nicht stellen würde. Es klang ja recht blöd, wenn er ihr erzählen würde, dass er sich vor zehn Jahren in ein Mädchen verliebt hatte, das er unbedingt wieder sehen wollte, wobei er schließlich herausgefunden hatte, dass dieses Mädchen ein Mann war.

"Ich mag das Land einfach. Als ich das letzte Mal in Japan war, habe ich mir vorgenommen, irgendwann zurückzukommen. Und da machte sich das Studium recht gut. In England gibt es keine Universität mit Kampfsport als Schwerpunkt."

Er fand diese Ausrede ziemlich kläglich, doch anscheinend hatte sie für Haruko gereicht. Sie stellte keine weitere Frage in dieser Richtung.
 

Nach einer Weile entdeckten die beiden einen schönen Platz am See, in dessen Nähe sich noch niemand niedergelassen hatte. Sie saßen eine Weile da und tauschten einige Kindheitserinnerungen aus, die ihnen gerade einfielen. Es wurde eine sehr lustige Unterhaltung daraus. Allmählich kamen sogar ein paar Enten vorbei, die die beiden neugierig beobachteten. Aki erinnerte sich daran, dass er vom letzten Einkauf noch ein Brot in seinem Rucksack hatte, das er vergessen hatte auszupacken. Er brach ein großes Stück davon ab, welches er wiederum teilte, um Haruko die eine Hälfte abzugeben. Dann warfen sie hin und wieder kleine Brotkrümel an das Ufer, um die Enten weiter anzulocken. Langsam schienen auch andere Wasservögel zu bemerken, dass es etwas zu fressen gab, und so vergrößerte sich das gefiederte Grüppchen langsam. Die Tiere waren unheimlich zahm. Einige setzten sich sogar direkt zwischen die beiden, bloß um das beste Futter abzubekommen. Die Enten schienen es bereits gewohnt zu sein, dass einige Leute sie fütterten. Das Schauspiel erinnerte Aki daran, wie er vor zehn Jahren mit Yuki angeln war. An manchen Tagen, wenn nur wenige Fische gekommen waren, haben sie eine Handvoll Insekten oder Mais ins Wasser geworfen, um die Beute anzulocken.

Selbst als das Brot längst alle war, watschelten einige Enten noch immer um sie herum und zupften mit ihren platten Schnäbeln an Akis und Harukos Sachen. Irgendwann gingen auch die letzten ins Wasser zurück, doch um ganz sicher zu gehen, dass sie auch ja nichts verpassten, blieben sie in der Nähe des Ufers und beobachteten die beiden neugierig.

Gegen 21.00 Uhr brachte Aki das Mädchen nach Hause und machte sich anschließend selber auf den Heimweg.
 

"Na? Wie ist's gelaufen?"

Die Fröhlichkeit, mit der Yuki diese Frage stellte, überraschte Aki. Noch stärker hätte er es nun wirklich nicht übertreiben können.

"Hallo erstmal!"

"Entschuldige. Hi! Sagst du mir jetzt, wie es war?"

Es verwunderte ihn, dass Yuki sich plötzlich so brennend für sein Date interessierte, aber er wollte ihn nicht allzu lange hinhalten.

"Schön. Haruko ist wirklich sehr nett. Ich verstehe mich prima mit ihr. Anfangs haben wir nicht viel miteinander geredet, aber als wir dann eine Weile zusammen waren, war es richtig lustig."

"Dann... hast du jetzt also eine Freundin, was? Glückwunsch!"

Aki wusste nicht genau, was es war, aber irgendetwas war seltsam an der Art, wie Yuki den letzten Satz ausgesprochen hatte. Es klang nicht aufrichtig erfreut, aber auch nicht traurig oder gleichgültig oder so. Es war... komisch. Anders konnte er es nicht beschreiben.

"Nein."

"Wie - ,Nein'?"

" ,Nein' heißt, dass wir NICHT zusammen sind."

"Aber wieso? Ich dachte, ihr versteht euch so gut?"

"Das schon. Und ich hab sie wirklich gern, aber es sind rein freundschaftliche Gefühle. Sie hat es erstaunlich gut aufgenommen. Ich hatte erst Angst, dass sie weint, wenn ich es ihr sage, aber sie meinte nur: ,Schade. Aber ich würde mich freuen, wenn wir zumindest Freunde sein könnten.'"

Er wusste nicht, warum, aber das, was sie danach zu ihm gesagt hatte, wollte er Yuki lieber nicht erzählen: ,Schon als wir in dem Café saßen, hatte ich das Gefühl, dass das nichts wird mit uns. Manchmal, wenn du so aus dem Fenster gesehen hast, hatte ich das Gefühl, du bist schon... verliebt.'

Nun... da hatte sie sich zwar geirrt, aber zumindest machte sie sich deshalb keine falschen Hoffnungen.
 

Nachdem Yuki Akis Worte gehört hatte, verhielt er sich plötzlich wieder normal.

,Was den wohl geritten hat? Na egal. Hauptsache, er ist wieder der Alte und es bleibt so.'

"Hast du Hunger?"

"Ja. Hab, seit ich los bin, nur ein Eis gegessen."

"Das dachte ich mir. Deshalb hab ich uns vorhin was gekocht. Ist zwar mittlerweile wieder

kalt, aber das Aufwärmen dauert ja nicht so lange."
 

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Ja, ja... Ich mag den Titel dieses Kapitels. Wollte mal ein paar falsche Hoffnungen machen. <alles lacht>. Oder auch nicht.... i_i Ich hoffe, es ging einigermaßen. Wie gesagt, ich hab mich da echt durchgequält und find es nach wie vor mies. Aber Selbsterkenntnis ist ja bekanntlich der erste Weg zur Besserung! Dieses war an und für sich recht schnell fertig, aber dann wurde es ewig nicht kontrolliert und genau an dem Tag, da ich es kontrollieren wollte, haben meine Eltern ein Computerverbot über mich verhangen. Ich sag euch: Es war schreeeeecklich! Nur gut, dass wir ein Infokabinett in der Schule haben. Da bin ich jetzt so oft es geht (meine schönen Freistunden! *hoil*). Daher warne ich euch jetzt einfach mal wieder: Bis zum nächsten Kapitel kann es etwas länger dauern (aber ich tu, was ich kann; vorausgesetzt, ich bekomme den ein oder anderen Kommi... und das Compiverbot wird aufgehoben). Bis dahin sag ich erst mal Tschüß!

*alle knuddel und winkend verschwind*

Spezialtraining

So, endlich fertig! Hat mal wieder ewig gedauert, ich weiß. Tut mir echt Leid!!! So, meine Ausrede für dieses Mal: mir ist kurz vor Weihnachten der Rechner abgeschmiert und nicht mehr hochgefahren. So wie es aussieht, ist das gesamte Laufwerk hinüber. Ich werde mir in mühevoller Arbeit also alles, was ich einmal hatte, neu zusammensuchen müssen. Aber zum Glück gibt es Freunde, die einem in Zeiten der Not beistehen und helfen. DANKE AN EUCH ALLE!!! Gut, ich will jetzt nicht weiter rumquatschen. Hat auch so schon lange genug gedauert, bis dieses Kappi endlich fertig war, da will ich euch nicht noch länger hinhalten. Also viel Spaß!
 

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Kapitel 3:

Spezialtraining
 

Über einen Monat war Aki nun schon in Japan und der Alltag hatte bereits in seinem Leben Einzug gehalten. Vormittags ging er zur Uni, anschließend arbeiten und alle drei Tage trainierte er im Club mit den älteren Schülern. Samstags traf er sich zum Training sogar mit Taro-Sempai, dem Clubleiter, der ihm ein gemeinsames Üben vorgeschlagen hatte. Seine Fähigkeiten waren längst in der gesamten Universität, ja sogar in großen Teilen Osakas bekannt und geachtet.

Meist kam er sehr spät nach Hause, wo Yuki bereits mit dem Abendessen auf ihn wartete. Wenn sie anschließend nicht an ihren Arbeiten für die Uni saßen, gingen beide oft weg, unternahmen etwas in der Stadt oder trafen sich mit Freunden, um sich vom vielen Stress abzulenken. Auch die zahlreichen Liebeserklärungen, die Aki seit kurz nach seiner Ankunft immer wieder ablehnen musste, hatten mittlerweile nachgelassen.
 

Es war ein ruhiger Samstag Ende September, der Sommer begann bereits, sich zu verabschieden, als Taro-Sempai Aki nach dem Training noch einmal zu sich rief und ihm einen Zettel unter die Nase hielt. Etwas verwundert nahm der Halbjapaner das Blatt Papier an sich und las nach, worum es sich dabei handelte. Noch während er dies tat, begann der Clubleiter ihm den Inhalt des Schriftstückes wiederzugeben.

"Du hast sicher schon mitbekommen, dass in einer Woche ein vierzehntägiges Trainingslager stattfindet."

Er machte eine Pause und wartete auf eine Reaktion von Aki. Diese blieb jedoch aus, da er immer noch in das Schreiben vertieft war. So sprach er schließlich weiter.

"Ich habe mit dem Direktor gesprochen und wir sind uns einig, dass es für deine Fähigkeiten sehr von Vorteil wäre, wenn du auch daran teilnehmen würdest. Du hast viel Talent, das sollten wir besser fördern. Dieses Spezialtraining wäre eine gute Möglichkeit. Was meinst du?"

Nun schaute Aki von seinem Zettel auf. Er hatte schon, als er die ersten paar Wörter auf dem Schriftstück gelesen hatte, geahnt, worauf Taro-Sempai hinaus wollte. Trotzdem war es doch eine ziemliche Überraschung, mit der er bis vor fünf Minuten nicht gerechnet hätte.

"Das kommt etwas plötzlich... Ich meine, es klingt toll, was du mir vorschlägst, aber du hast mich trotzdem ganz schön überrannt damit. Kann ich mit meiner Entscheidung bis Montag warten? Ich würde mich gern noch etwas darüber informieren."

"Na gut....Montag also."

Taro-Sempai konnte den leicht enttäuschten Unterton nicht ganz aus seiner Stimme verbannen, auch wenn die Hoffnung darin klar überwog. Der Clubleiter ging zurück in die Halle, wo noch ein weiterer Student darauf wartete, dass er mit ihm trainieren würde, während Aki sich umzog und zurück nach Hause ging. Seine Gedanken drehten sich dabei nur um eine Sache: Ein zweiwöchiges Training...in Kioto, wie es der Zettel verraten hatte.
 

"Bin wieder da."

Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich und ging ins Schlafzimmer, um sich frische Sachen zu holen. Währenddessen ertönte ein abwesendes "Hi! War's stressig?" aus dem Arbeitszimmer nebenan, was verriet, dass Yuki mal wieder an irgendeinem Programm bastelte, welches er wohl ziemlich bald dem Unternehmen, in dem er angestellt war, zuschicken musste.

"Es ging. Ich habe heute hauptsächlich an meiner Verteidigung gearbeitet."

Mit diesen Worten war Aki im Bad verschwunden und ließ Wasser in die Badewanne. Das Becken war ziemlich groß (was bei Yukis Körpergröße auch nicht weiter verwunderlich ist), sodass es eine ganze Weile dauern würde, bis ein angemessener Wasserstand erreicht wäre. Daher setzte sich Aki erst einen Moment hin und begann dann ganz langsam, sich auszuziehen, während er weiter über das Angebot seines Clubleiters nachdachte. Er hatte lange nicht mehr ernsthaft trainiert, jedenfalls nicht so, wie er es von Hikawa-Sensei, seinem früheren Meister, gewohnt war. Wenn er genauer darüber nachdachte, fehlte ihm dieses Kämpfen bis zum Umfallen richtig. Er war zwar viel im Stress, doch das ersetzte die körperliche Anstrengung nicht, die er bis vor einiger Zeit noch täglich durchgemacht hatte. Dieses Training in Kioto würde ihm sicher gut tun. Und wenn sogar der Direktor es für eine gute Idee hielt... Aki wusste nicht so recht, weshalb er gezögert hatte, als Taro-Sempai ihm diese Frage gestellt hatte. Jedenfalls würde er ihm am Montag seine Zustimmung geben.

Die Wanne war zwar noch nicht voll, aber immerhin voll genug, um sich hinein zu legen und sich aufwärmen zu lassen. Wenn man vom Training kam, tat so ein Bad gleich immer doppelt gut. Kaum dass Aki sich in das dampfende Wasser mit dem angenehm erfrischenden Meeresduft gelegt hatte, spürte er, wie sich seine angespannten Muskeln zu lösen begannen. Genießerisch schloss er die Augen und ließ sich tiefer in die halbvolle Wanne sinken.

Nachdem er eine ganze Weile so verharrt hatte, wollte er sich abtrocknen und mit seiner wiedergewonnenen Kraft an seine Uni-Aufgaben setzen. Genau in dem Moment, als er gerade aufstand, öffnete sich die Tür und sein - gerade mal mit einem Handtuch bekleideter - Freund betrat den Raum. Blitzschnell zog sich Aki in die Wanne zurück, was Yuki so einen Schreck einjagte, dass er sich mit gestottertem "Oh, ich äh...das..." umdrehte und auf dem schnellsten Weg wieder aus dem Bad stolperte. Jedenfalls hatte er es vor, aber in seiner Erschrockenheit hatte er nicht bemerkt, wie er beim Umdrehen die Seife vom Waschbecken geschleudert hatte, welche nun direkt vor seinen Füßen gelandet war. Aki hatte dies bemerkt und schien vorauszusehen, wie Yukis Fluchtversuch enden musste, denn ehe er sich versah, war er aus der Wanne gesprungen und fing im letzten Moment seinen rückwärts fallenden Freund auf. Unglücklicher Weise hatte der Japaner so viel Schwung, dass er Aki gleich mit umriss, sodass dieser ebenfalls rückwärts umfiel und Yuki letztendlich in seinem Schoß liegen blieb. Der Halbjapaner war der erste, der einige Sekunden später den Schreck überwunden hatte und realisierte, in welcher Lage er mit Yuki am Boden lag. Mit einem Schlag wurde er so rot im Gesicht, als wäre kein Blutstropfen mehr im Rest seines Körpers vorhanden. Er spürte, wie sein Herz von einem Augenblick zum nächsten rasend schnell zu schlagen begann und rappelte sich so schnell es ging wieder auf. Auch Yuki schien nun endlich aus seinem Schock herauszufinden, stand ebenfalls auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Bad. Aki war noch immer zu verwirrt um zu begreifen, was genau da gerade geschehen war und trat geistesabwesend einige Schritte zurück. Erst als er gegen die Wanne stieß und sich vorsichtig an ihr abstützte, merkte er, wie sehr er zitterte.

Gott, war das peinlich! Er versuchte, sich irgendwie zu beruhigen, zwang sich, gleichmäßiger zu atmen und ließ sich langsam auf den Boden sinken. Okay, er und Yuki wohnten nun schon über einen Monat zusammen und sie waren die besten Freunde...aber es gab gewisse Dinge, die selbst unter Freunden nicht als Spaß abgestempelt werden konnten. Und das, was da gerade passiert war, gehörte, Akis Meinung nach, zu diesen Sachen. Das war einfach nur peinlich. Hätte das jemand gesehen, er hätte es nie und nimmer für einen Unfall gehalten.

Oh Gott...

Aber es hatte niemand gesehen. Und wenn es IHM peinlich war, was war es dann für Yuki? Immerhin hatte er diese Situation verursacht. Das sollte kein Vorwurf sein; Aki wollte nur sicher gehen, dass es niemand missverstehen könnte.

Er schüttelte den Kopf.

,Ach, was soll das überhaupt? Es war ja sonst niemand dabei. Wieso mache ich mir überhaupt solche Sorgen? Das ist doch völliger Schwachsinn!'

Jetzt fühlte er sich besser. Alles kein Problem... Er richtete sich wieder auf und zog seine Sachen an.

,Yuki war sofort verschwunden, nachdem das passiert ist. Er macht sich bestimmt Vorwürfe....'

Sein letzter Gedanke bestätigte sich, als er das Bad verließ. Auch sein Freund hatte sich wieder angezogen und saß nun im Wohnzimmer, wo er gedankenverloren aus dem Fenster starrte.

"Es...tut mir Leid. Ich hätte vorher sicher gehen sollen, ob das Bad frei ist."

"Ist schon gut. Du konntest es nicht wissen. Es ist ja nichts passiert."

Danach sagte keiner von beiden etwas. Um die Situation nicht noch unangenehmer werden zu lassen, ging Aki ins Schlafzimmer und arbeitete etwas über die japanische Geschichte heraus.
 

Durch das Ereignis am Wochenende hatte Aki völlig vergessen, seinem Freund von dem Training in Kioto zu erzählen. Erst, als Taro-Sempai am Montagmorgen auf den Halbjapaner zutrat und sich nach dessen Entscheidung erkunden wollte, fiel es ihm wieder ein. Obwohl Akis Entschluss bereits feststand und er auch sofort zusagte, fühlte er sich etwas unwohl dabei. Warum eigentlich? Weil er vorher nicht mit Yuki darüber gesprochen hatte? Nein, er hatte nun wirklich keinen Grund, sich Sorgen zu machen. Yuki war sein Freund, nicht sein Vormund. Er würde es schon aushalten, zwei Wochen allein zu sein.

Jedenfalls war Taro-Sempai sehr erfreut über die Entscheidung des Halbjapaners.

"Das ist gut. Sonntagnachmittag wirst du von einem Bus abgeholt, der alle Teilnehmer aus Osaka nach Kioto bringen wird."

"Sind es denn so viele?"

"Ja. Osaka hat einige gute Nachwuchskämpfer zu bieten. Auch wenn die meisten von ihnen in deinem Alter sind, unterschätze sie nicht. Du wirst in Kioto starke Konkurrenten treffen. Auch aus anderen Teilen Japans."
 

"Du willst...WO...hin!?"

Yuki stand starr vor dem Herd und starrte seinen Freund fassungslos an.

"Nach Kioto. Hörst du mir nicht zu? Und tu nicht so, als würde ich einen Vergnügungsurlaub planen. Das werden zwei anstrengende Trainingswochen."

"W...wie lange?!"

"Ach, komm. Vergiss es. Was ist heute los mit dir?"

Langsam wurde es Aki zu bunt. An die zehn Minuten versuchte er seinem Freund nun schon beizubringen, was er vorhatte. Aber dieser schien mit seinen Gedanken überall zu sein, nur nicht bei ihrem Gespräch. Resigniert gab er auf und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer, um sich mit irgendeinem Fernsehprogramm abzulenken, doch Yuki folgte ihm und schien nun endlich in der Lage, vernünftig mit seinem Freund reden zu können.

"Wann fährst du denn nach Kioto?"

"Ich werde am Sonntag an der Uni abgeholt."

"Seit wann steht das denn fest?"

"Seit heute."

"Und wann hast du dieses Angebot bekommen?"

"Am Freitag."

"Warum hast du mir nicht eher davon erzählt?"

"Das hatte ich ursprünglich ja vor, aber...es ist dann irgendwie unter gegangen."

"A-ach so..."

Yuki wusste sofort, wie der letzte Satz gemeint war und beschloss, das Hauptthema schnell weiterzuführen, damit nicht wieder so ein Schweigen entstehen konnte.

"Hast du das überhaupt schon mit dem Direktor abgesprochen?"

"Das hat der Clubleiter getan. Er meinte, der Direktor findet den Vorschlag gut, mich nach Kioto zu schicken."

"Na dann..."

"Was ist eigentlich mit dir los? So wie du vorhin reagiert hast, hätte man denken können, ich komme nie wieder."

"Sag doch so was nicht!"

An der Art, wie Yuki den Halbjapaner darauf hin ansah, konnte dieser genau erkennen, dass er sich gekränkt fühlte. Es tat ihm weh, seinen Freund so zu sehen, also entschuldigte sich Aki sofort darauf.

"Wieso erschüttert es dich so, dass ich für zwei Wochen verschwinde?"

"Es ist langweilig ohne dich."

"Ach so? Was hast du denn dann die letzten zehn Jahre gemacht?"

"Mich gelangweilt."

"Dann hättest du mich ja mal besuchen können."

"Ohne Telefonnummer oder Adresse. Ja klar."

,Stimmt ja. Daran hab ich gar nicht mehr gedacht', überlegte Aki.

Wenn er daran dachte, dass er eigentlich erst einen Monat bei Yuki wohnte, konnte er das kaum glauben. Es kam ihm vor, als wäre es schon immer so gewesen. Die Anwesenheit seines Freundes ist ihm in dieser kurzen Zeit bereits völlig alltäglich geworden. Ob er ihn wohl auch vermissen würde, wenn er die zwei Wochen in Kioto verbrachte?

"Ich freue mich jedenfalls schon auf die zwei Wochen. Seit ich hier bin, habe ich nicht mehr richtig trainiert. Das Training im Club hilft mir zwar auch ein bisschen, aber mit meinem Sensei in London war es viel härter. Da war ich anschließend immer total kaputt und das vermisse ich hier einfach. Ich werde diese angestaute Kraft einfach nicht los. Wenn ich in diesem Speziallager bin, kann ich mich endlich wieder austoben."

Yukis Blick entspannte sich wieder, als er in Akis leuchtende Augen sah.

"Lass den anderen auch eine Chance."

"Keine Sorge. Taro-Sempai meinte, ich würde dort starke Konkurrenz haben."

"Aber jetzt bist du ja noch hier, also lass uns nicht den ganzen Abend darüber reden."
 

Bis zum Tag der Abreise sprach keiner von beiden mehr von diesem Thema. Aki wusste, dass sein Freund nicht besonders begeistert davon war, aber mittlerweile kannte er ihn gut genug um zu wissen, dass Yuki nicht gern über die Dinge sprach, die ihm nicht gefielen. Also verabschiedeten sie sich ganz normal voneinander; als würde Aki am Abend wieder vor der Tür stehen, seine Sachen ins Schlafzimmer werfen und sich an den Tisch setzen, wo Yuki bereits mit dem Abendessen auf ihn wartete. Trotzdem fühlte sich der Halbjapaner nicht ganz wohl dabei. Und Yuki ging es ganz ähnlich, auch wenn er es durch ein aufgesetztes Lächeln zu überspielen versuchte. Es war, wie Aki es längst vermutet hatte: Er würde seinen Freund genau so vermissen wie dieser ihn. Er hatte es sich bis jetzt einfach nicht vorstellen können, ihn nicht mehr den ganzen Tag um sich zu haben. Alles, was der junge Halbjapaner tun konnte, war hoffen, dass das Training ihn so sehr ablenken würde, dass dieses Gefühl bald verschwindet.

Der Fahrer hatte bereits Akis Gepäck verstaut und nun wurde es wirklich Zeit, dass er in den Bus stieg. Einige Insassen beäugten ihn bereits neugierig.

Es waren tatsächlich sehr viele Sportler aus Osaka zu dem Kurs angemeldet. Viele schienen sich zu kennen, denn hin und wieder kam Aki an einem Grüppchen vorbei, das sich in gedämpften Ton unterhielt. Die meisten nahmen kaum Notiz von ihm, als er an den Sitzreihen vorbeiging. In diesem Moment wurde ihm wieder bewusst, dass er eigentlich Halbjapaner war und viele ihn deshalb von vornherein verurteilten. Er hatte diese Kälte schon einmal gespürt; kurz nachdem er in Japan angekommen war, doch durch seine guten Fähigkeiten als Schwertkämpfer und sein akzentfreies Japanisch hatte er sich schnell den Respekt seiner Mitmenschen verdienen können. Nun würde er ihn sich erneut erkämpfen müssen. Doch das entmutigte ihn nicht.

Er ließ sich auf einer freien Sitzreihe nieder und beobachtete die Landschaft, während sich der Bus allmählich dem Zielort näherte.
 

Wie er bald feststellen sollte, lag das Trainingslager etwas außerhalb der Stadt. Das Hotel, in dem die jungen Leute untergebracht waren, schloss direkt an das Lager an. Ein Karatemeister führte die neue Gruppe in ihren Bereich der Unterkünfte und erklärte ihnen auf dem Weg dorthin den Ablauf der kommenden zwei Wochen.

Aki bekam ein Einzelzimmer im Erdgeschoss, wo er gerade mal seine Sachen abstellen konnte, bevor er mit der gesamten Gruppe auch schon zu einem zweistündigen Dauerlauf am nahe gelegenen See gerufen wurde. Dies war allerdings auch schon alles, was an diesem Tag auf dem Programm stand. Zurück bei der Unterkunft gab es auch schon Abendessen, danach konnten die Schüler ihren eigenen Interessen nachgehen. Einige, unter ihnen auch Aki, erkundeten bereits die Übungshallen und testeten die Anlagen. Im Hinterhof hatte jemand den Geländeparcours entdeckt, welcher sogleich eingeweiht wurde. Dabei stellte Aki fest, dass Taro-Sempai völlig richtig gelegen hatte, als er meinte, die anderen Schüler wären ebenfalls überdurchschnittlich gut. Allein ihre Beweglichkeit war erstaunlich. Keiner der anderen stand Aki in irgendeiner Art und Weise nach.

Als es bereits auf elf Uhr zuging, ermahnten die Aufseher die verbliebenen sieben jungen Leute, welche immer noch an den Geräten hingen und Wettkämpfe austrugen, dass sie endlich Schluss machen sollten, sodass ihnen nichts anderes übrig blieb, als in ihre Zimmer zurückzukehren und auf den nächsten Tag zu warten.
 

Das Training war besser, als Aki es sich vorgestellt hatte: Dadurch, dass er mit so vielen gleichstarken Leuten zusammen war, spornten sich alle gegenseitig an und kämpften sich bis zur totalen Ermüdung ab, schliefen bis zum Mittag, aßen dann etwas und kämpften weiter. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis er unter den anderen jungen Männern neue Freunde gefunden hatte.

Wenn er mit ihnen trainierte, konnte er alles um sich herum vergessen, doch sobald er völlig abgekämpft zu seinem Zimmer zurückkehrte und die Tür aufschloss, verspürte er eine seltsame Leere, die den gesamten Raum einnahm. Es fehlte jemand, der ihn begrüßte, jemand, der auf ihn wartete, sich mit ihm unterhielt. Es fehlte einfach jemand, der ihm Gesellschaft leistete. Und genau genommen war es nicht nur irgendjemand, der fehlte; es war Yuki. Immer, wenn Aki allein war, vermisste er seinen Freund, denn dann spürte er die Stille, die Einsamkeit, die die Abwesenheit Yukis hinterließ.

Aki ließ sich schwer atmend auf sein Bett fallen.

,Ob er auch an mich denkt?'

Er schüttelte energisch den Kopf.

,Natürlich! Ihm fiel ja schon der Abschied so schwer. Vielleicht denkt er sogar gerade in diesem Moment an mich.'

Er sah aus dem Fenster. Die Sonne bewegte sich langsam auf den Horizont zu. Aki sah sich jeden Tag den Sonnenuntergang an. Er liebte Sonnenuntergänge. Sie hatten eine angenehm beruhigende Wirkung auf ihn. Wenn er sich einsam fühlte, gab die rote Abendsonne ihm das Gefühl, nicht allein zu sein. Er wusste, dass das recht ungewöhnlich war. Normalerweise waren es die Frauen, die so romantisch vor sich hinschwelgten, wenn sie so etwas sahen. Aber das war ihm egal. Er fühlte sich wohl und das war das Wichtigste für ihn.
 

Nun war es schon Freitag; die erste Woche war fast vorüber. Aki hatte richtigen Spaß an dem Training. Endlich hatte er die unsichtbaren Fesseln sprengen können, die ihn seit seiner Ankunft in Japan immer stärker umschlungen hatten. Er konnte seine Fortschritte seit dem Wochenanfang richtig spüren. So gut hatte er sich schon lang nicht mehr gefühlt.

,Wenn Yuki mich so sehen könnte, er würde sicherlich staunen.'

Aki ertappte sich dabei, wie sich ein Lächeln auf seine Lippen schlich und ließ es so schnell es ging wieder verschwinden.

,Jetzt stehe ich ihm in nichts mehr nach. Ich will ihm auch helfen können, wenn er irgendwann einmal in Gefahr sein sollte. So wie er mich vor zehn Jahren gerettet hat.'

"Träumst du, Willis-San?"

Daran würde er sich wohl nie gewöhnen können: Wenn die Japaner an seinen Nachnamen ,San' dranhängten.

"Wie? Oh, Entschuldigung."

Sofort beschleunigte er seine Schritte wieder, um die entstandene Lücke zu seinem Fordermann zu schließen. Er durfte nicht zu oft an Yuki denken... Zumindest während des Trainings nicht. Er wollte vermeiden, dass jemand seine Gedanken mitbekam. Es war zwar nichts weiter dabei, aber ihm würde es trotzdem nicht sehr behagen. Besonders Leute wie Makoto-San aus Yokohama würden sich sicher freuen zu wissen, was in Akis Kopf so vorging, um dann die tollsten Gerüchte in die Welt setzen zu können. Er war Aki seit dessen Ankunftstag feindlich gesinnt und hatte noch am selben Abend herumerzählt, dass der Halbjapaner keine Ahnung vom Kampfsport hätte, was sich allerdings schon am folgenden Tag als leere Behauptung herausgestellt hatte, wodurch Makoto-San natürlich noch abweisender gegenüber Aki wurde. Er beobachtete ihn sehr oft aus der Ferne, was wahrscheinlich keinem anderen Zweck diente, als irgendeinen Fehler oder eine Schwäche an dem Halbjapaner zu finden, die man dann skrupellos ausnutzen konnte. Daher achtete Aki beim Training besonders darauf, nicht negativ aufzufallen.

So unauffällig wie möglich hielt er nach Makoto Ausschau. Dieser lief einige Meter vor ihm und hatte nichts mitbekommen. Aki atmete erleichtert auf. Bei diesem Menschen konnte man nie wissen....

Nachdem sie einige Runden um den See gedreht hatten, stand Schwimmen auf der Tagesordnung. Der See hatte einen Zufluss von den Bergen, welcher stetig kaltes Wasser nachfüllte, sodass das Gewässer selbst im heißesten Hochsommer nicht wärmer als 15°C werden konnte. Da der Sommer jedoch dem Ende zuging und es in den letzten Tagen nicht mehr so warm war, hatte das Wasser bestenfalls noch eine Temperatur von 10°C, womit die meisten Schüler einige Probleme zu haben schienen. Hier war Aki klar im Vorteil. Sein Sensei hatte ihn selbst im späten Herbst noch baden geschickt und im Winter musste er sogar regelmäßig Eistauchen. Das hatte ihn abgehärtet. Für ihn war dieses Wasser sogar angenehm warm. Natürlich beobachtete Makoto den Halbjapaner noch misstrauischer als sonst, als er ihn so mühelos schwimmen sah.

Nach dem Training am See ging es zurück in das Lager, wo die jungen Leute eine Stunde Zeit hatten, um sich auszuruhen, bevor sie sich, wie jeden Abend, duellierten. Diesmal hatte Aki Pech bei der Auswahl seines Gegners. Ausgerechnet gegen Makoto - den, dem er am liebsten aus dem Weg ging - musste er heute antreten. Und das mindestens vier Stunden lang. Dieser Abend konnte doch nur schrecklich werden! Immerhin hatte auch Aki ihn bereits bei Duellen beobachtet und wusste daher, dass er ein ausgezeichneter Schwertkämpfer war, der seinen Gegnern keine Gnade schenkte. Da würde Aki wohl der letzte sein, bei dem er eine Ausnahme machte. Höchstwahrscheinlich würde er ihn noch härter fordern, nur um ihn irgendwie bloßstellen zu können.

Es kam natürlich, wie Aki es vermutet hatte. Spätestens als Makoto mit diesem lässig-überlegenen Lächeln auf ihn zutrat, war klar, dass diese Übung ein Höllentrip werden würde.

Aki war ihm im Tempo leicht überlegen, dafür hielt Makoto sehr viel aus und war auch ausdauernder als der junge Halbjapaner. Es würde wohl die Technik entscheiden, wer an diesem Abend siegreich sein würde. Und Makotos Technik konnte Aki überhaupt nicht einschätzen. Sie war, genau wie seine eigene Schwerttechnik, eine unbekannte, die wahrscheinlich innerhalb einer Samuraifamilie weitergegeben worden war.

Kaum dass der Kampf begonnen hatte, zeigte der Gegner sein ganzes Können. Daher blieb auch Aki nichts anderes übrig, als ebenfalls ernst zu machen. Dabei stellte der Halbjapaner zu seiner eigenen Verwunderung fest, dass er in diesen fünf Tagen viel besser geworden war, als er es selbst angenommen hatte. Seine Reflexe waren viel schärfer als er es gedacht hätte und auch seine Kraft überstieg seine eigenen Erwartungen. Das er sich mit seinem eigenen Körper so verschätzen konnte....

Auch Akis Gegner schien im ersten Moment sehr verwundert über den plötzlichen Kraftausbruch des Halbjapaners zu sein und wurde einen Moment unvorsichtig. Aber es war nur ein winziger Augenblick, sodass Aki nicht die Zeit hatte, ihn zu nutzen. Beide waren nun wieder voll konzentriert und kämpften wie besessen; Makoto mit dem Ziel, Aki zu besiegen und Aki, um einen Schwachpunkt an der Technik seines Gegners zu finden. Sie bemerkten überhaupt nicht, wie sich in kürzester Zeit immer mehr Schüler nach ihnen umdrehten, die von den Lehrern vergebens zur Konzentration angehalten worden, bis selbst diese schließlich selbst gebannt den Kampf verfolgten.

Das Duell dauerte über zwei Stunden, bis es schließlich, beide Kontrahenten standen kurz vor dem Zusammenbruch, von den Lehrern abgebrochen wurde. Aufgrund ihrer ,glänzenden Leistungen' durften beide den Hof verlassen und sich für den Rest des Tages frei nehmen. Schweigend gingen sie nebeneinander her, bis sich ihre Wege schließlich trennten. Aki wollte die Spannungen zwischen ihnen etwas lösen und verabschiedete sich schließlich mit einem freundlichen "Das war ein großartiges Duell. Vielen Dank". Allerdings wäre es wohl besser gewesen, den Mund zu halten, denn die einzige Antwort darauf war ein gezischtes "Wart's nur ab! Beim nächsten Mal bist du dran!". Gleich darauf war er in einen Treppengang eingebogen und verschwunden.
 

Enttäuscht ließ Aki sich auf sein Bett fallen. Ihm tat alles weh, Makoto hasste ihn jetzt noch mehr als je zuvor und einen richtigen Schwachpunkt hatte er an der Technik des Schwertkämpfers aus Yokohama auch nicht finden können. Das hieß, gefunden hatte er schon einen, doch diesen konnte Aki mit keiner seiner Techniken ausnutzen.

"Scheiße..."

Mit einem schweren Seufzer drehte er sich um und zog sich die weiche Decke über den Kopf.

"Klingt, als hättest du einen anstrengenden Tag hinter dir."

"Hnnnn..."

Moment mal... Diese Stimme...das war doch Yuki! Nein, unmöglich. Seine Nerven spielten ihm wohl einen Streich.

"Bist du taub oder warum ignorierst du mich, Aki?"

Immer noch ungläubig drehte er sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Tatsächlich. Es war wirklich Yuki, der ganz in seiner Nähe am Fenster hing und ihn grinsend ansah.

"Yuki?! Was machst du hier?!"

"Sieht man das nicht? Ich besuche dich."

"Und da fährst du einfach so mal von Osaka hierher?"

"Warum nicht?"

"Warum DOCH? Du hättest mich auch anrufen können."

"Aber dann kann ich dich nicht sehen."

"Wieso ist dir das so wichtig? Es sind doch nur zwei Wochen."

"Ich sagte doch: Es ist langweilig, wenn du nicht da bist."

Aki wollte schon erneut protestieren, da fiel ihm wieder auf, wie sehr auch er die Anwesenheit seines Freundes vermisst hatte. Seine schlechte Laune war mit einem Schlag verschwunden, als er Yuki erblickt hatte. Bei diesem Gedanken konnte sich auch Aki ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

"Und warum lachst du jetzt?"

"Ich lache über deine Dummheit."

"Wie freundlich. Genau deshalb wollte ich dich wieder sehen."

Beim Anblick von Yukis beleidigtem Gesicht lachte Aki kurz auf. Dann lehnte er sich an die Wand neben dem Fenster und deutete mit einer leichten Kopfbewegung in den Raum hinein.

"Willst du nicht langsam reinkommen?"

Yuki kam der Einladung sofort nach, öffnete das Fenster noch ein Stück weiter und kletterte hindurch.

"Schon mal was von einer Tür gehört?"

"Meinst du nicht, das wäre ein bisschen auffällig?"

Da hatte er in gewisser Weise auch wieder Recht. Aki wollte gar nicht erst wissen, was Makoto für ein Gerücht daraus machen würde, sähe er Yuki hier langspazieren.

"Du warst eben so bedrückt. Was war denn los?"

"Ach, nichts weiter. Ich hatte grad einen Kampf mit jemandem, den ich nicht besonders mag. Beruht allerdings auf Gegenseitigkeit."

"Hat er dich geschlagen?"

"Nein. Unentschieden. Aber ich habe das Gefühl, dass er mit allen Mitteln versucht, mich irgendwie bloßzustellen. Keine Ahnung wieso."

Ohne dass Aki es mitbekommen hatte, verfinsterte sich der Ausdruck auf seinem Gesicht wieder. Er starrte abwesend in den Raum und verfiel, wie schon so oft in dieser Woche, in sein Gegrübel über den Kontrahenten.

Yuki klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

"Kopf hoch! Zu allererst braucht er einen handfesten Vorsatz, wenn er dich kränken will. Du solltest dir nicht so viele Gedanken machen. Wenn du willst, können wir ja ein bisschen spazieren gehen. Frische Luft wird dir gut tun."

Aki gefiel die Idee. Bevor Yuki wieder durch das Fenster verschwand, machten sich beide einen Ort aus, an dem sie sich treffen konnten.
 

Aki zeigte seinem Freund den See, zu dem sie jeden Tag liefen um zu trainieren. Jetzt, wo niemand mehr da war und die Sonne schon den Horizont küsste, sah das Gewässer noch viel schöner aus als tagsüber.

Die Freunde gingen eine Weile spazieren und unterhielten sich ein bisschen, bis sie sich unter einer hoch gewachsenen Weide niederließen. Die Ruhe tat richtig gut nach diesem anstrengenden Tag. Und nicht nur die Ruhe. Auch dass Yuki wieder bei ihm war; das vertraute Gefühl, zu Hause zu sein, genoss Aki.

Sie saßen bis zum späten Abend unter dem Baum und beobachteten die Stille der Natur. Gelegentlich unterhielten sie sich dabei, aber die meiste Zeit über saßen sie nur schweigend da.

Schließlich brachte Yuki seinen Freund zurück zu der Stelle, an der sie sich zuvor getroffen hatten und verabschiedeten sich dort. Bevor Aki jedoch ging, gab sein Freund ihm noch ein kleines Kärtchen, auf dem eine Adresse gedruckt war. Zur Erklärung fügte der Japaner hinzu: "Ist ein Hotel ganz in der Nähe. Dort bleibe ich bis Sonntag. Also falls du Lust und Zeit hast, komm vorbei."

"Klar. Danke."

Aki ließ den Zettel in seiner Hosentasche verschwinden und machte sich auf den Weg zu seiner Unterkunft.
 

Gleich nach dem Training am nächsten Tag machte sich der junge Halbjapaner auf die Suche nach der Anschrift, die Yuki ihm am Abend zuvor gegeben hatte. Das Hotel war nicht schwer zu finden. Es war sogar ausgeschildert. Aki erkundigte sich nach dem Zimmer seines Freundes und als er dieses dann betrat, hatte er das Gefühl, wieder in Osaka zu sein. Das Umfeld war zwar vollkommen anders, aber gleich nachdem er die Tür geöffnet hatte, stieg ihm der Geruch von Tempura in die Nase. Aus einem Raum - es musste sich wohl um die Küche handeln - drang das vertraute Geräusch von kochendem Essen an sein Ohr. Neugierig folgte Aki diesen Eindrücken und erblickte - wie erwartet - Yuki, der vor einer kleinen Kochstelle stand und sich um sein Essen kümmerte. Der junge Japaner drehte sich kurz um und begrüßte seinen ungläubig dreinblickenden Freund.

"Hallo, wie war's? Essen ist gleich fertig. Dauert nur noch einen Moment."

"Du...hast für mich mitgekocht? Und wo hast du überhaupt das Teil her?"

"Ich hab gefragt, ob ich so eins bekommen kann. Immerhin habe ich hier nur für die Übernachtungen bezahlt. Und klar koche ich dir was! Du hast mir doch gestern gesagt, wann du in etwa Schluss hast."

"Und was hat dich so sicher gemacht, dass ich auch komme?"

"Ich wusste es einfach."

Aki verstand das nicht ganz, aber eigentlich war es ihm auch egal, was genau im Kopf seines Freundes vorging. Es machte ihn irgendwie glücklich zu wissen, dass Yuki sich so um ihn kümmerte. Auf ihn hatte er sich bis jetzt stets verlassen können. Außerdem konnte er seine Sorgen meist vergessen, wenn er bei dem jungen Japaner war. Er konnte es sich selbst nicht genau erklären, warum er Yuki so sehr vertraute, er hatte es einfach im Gefühl.
 

Auch am Sonntag kam Aki seinen Freund besuchen. Diesmal konnte er sogar schon am Nachmittag zu ihm gehen, weil die Trainer den Nachwuchsmeistern den halben Tag frei gegeben hatten. Allerdings musste Yuki an diesem Tag zurück nach Osaka, sodass sie nicht viel mehr Zeit miteinander verbringen konnten als sonst.

"Kommst du nächsten Freitag wieder?"

Was hatte er sich dabei gedacht?! Nächsten Freitag war das Training schon so gut wie vorüber. Samstagabend würde sich der Bus mit den Leuten aus der Region bei Osaka bereits auf den Weg machen. Wieso fragte er Yuki dann extra, ob er trotzdem kommen würde?

"Klar."

,Klar?!' Wollte er tatsächlich am Freitag noch vorbeikommen? Das würde sich doch überhaupt nicht lohnen.

"Ach, nein. Schon gut. Ich bin doch spätestens Sonntagvormittag wieder da. Hab nicht mitgedacht, als ich dir die Frage gestellt hab."

"Nein, ich komme gern. Sonst muss ich ja noch länger warten, bis ich dich wieder sehe."

Aki warf seinem Freund einen nachdenklichen Blick zu.

"Wir sind doch Freunde. Oder stört es dich, wenn ich wieder komme?"

"Also manchmal bist du echt komisch, Yuki..."

Grinsend zuckte er mit den Schultern.

"Sonst wär's doch langweilig!"

Aki schüttelte, mehr für sich, mit dem Kopf und wechselte dann das Thema.
 

Die nächste Woche verging noch schneller als die letzte. Auch die Abende waren nicht mehr so trübselig. Schließlich kam Yuki bald wieder...

Zwar versuchte Makoto nach wie vor, Aki zu schaden, aber dieser bot ihm keine Möglichkeit dazu. Außerdem hatte der junge Halbjapaner mittlerweile einige gute Freunde gefunden, die ihm gegen Makotos Schikanen zur Seite standen.
 

Der letzte Tag des Trainings, Samstag, verlief anders als die vergangenen zwei Wochen. An diesem Tag traten die Schüler gegen ihre Trainer an. Die gesamte Zeit über wurden sie von geschäftig gekleideten Leuten beobachtet, die den ganzen Tag nichts anderes taten, als in ihren Ecken zu sitzen und ausdruckslos die Kämpfe zu beobachten. Als das Training schließlich vorbei war, verschwanden auch die Fremden für eine Weile, kamen dann allerdings wieder und suchten einige Schüler auf, unter ihnen auch Aki.

"Danny Aki Willis, richtig?"

"Ja."

Der Halbjapaner mochte den Menschen, der sich ohne weiteres in sein Zimmer eingeladen hatte, nicht sonderlich und wollte ihn so schnell wie möglich wieder loswerden. Außerdem wartete Yuki auf ihn.

"Ich gehöre zum Ausschuss der diesjährigen Kendo-Landesmeisterschaften. Wie Ihnen sicher aufgefallen ist, habe ich Sie und Ihre Kameraden beim Training beobachtet. Ihre Fähigkeiten sind mir sehr positiv aufgefallen, weshalb ich ihnen empfehlen würde, an der Meisterschaft teilzunehmen."

Einen Moment lang starrte Aki den älteren Mann fassungslos an, bis ihm die volle Bedeutung der Worte bewusst wurde.

"Sie wollen mich also für die Landesmeisterschaft anmelden... Meinen Sie nicht, dass Sie lieber erfahrene Kämpfer fragen sollten?"

"Genau genommen geht es um die Teilnahme an der Juniorenmeisterschaft, also für junge Leute bis zum Alter von 20 Jahren. Die Anmeldung dafür muss mindestens einen Monat im Voraus erfolgen und Sie müssen außerdem Ihr Können unter Beweis stellen. Deshalb sind wir heute hier. Ich bin von Ihren Fähigkeiten überzeugt und würde Sie registrieren lassen. Vor der Landesmeisterschaft müssten Sie zwar erst die Stadtausscheidungen bestehen, aber ich habe keine Bedenken, dass Sie daran scheitern könnten. Ich muss leider bald wieder los und brauche daher sofort Ihre Antwort."

Aki überlegte noch einen Moment und stimmte dann zu. Das Studium würde durch die Kämpfe sicherlich öfters ausfallen, aber er war sich sicher, dass der Direktor Verständnis dafür haben würde. Und Yuki...was er wohl sagen würde, wenn er ihm davon erzählte...?

"Vielen Dank. Ich entschuldige mich für die Störung und mache mich nun wieder auf den Weg. Ich hoffe, Sie im November in Tokio wieder zu sehen."

Damit gab er Aki noch einen Brief und verließ das Zimmer. Der Umschlag landete kurz darauf ungelesen auf dem Schreibtisch. Der junge Halbjapaner konnte es kaum erwarten, seinem Freund davon zu berichten, zog sich schnell um und machte sich auf den Weg in das Hotel.
 

"Gratuliere! Ich wusste ja, dass du gut bist, aber so gut... Wahnsinn! Ich werde dich auf jeden Fall kräftig anfeuern und wehe, du strengst dich nicht an!"

Als Aki begonnen hatte, seinem Freund von der Begegnung mit dem Komiteemitglied zu berichten, hatte er erst Zweifel, dass Yuki wieder enttäuscht sein würde. Immerhin würde der junge Halbjapaner erneut eine ganze Weile wegfahren und Yuki somit nicht sehen können. Daher war er jetzt eher erleichtert als froh.

"Komm, darauf müssen wir anstoßen!"

"Sorry, geht nicht. Der Bus fährt in zwei Stunden und ich hab noch nicht mal angefangen zu packen."

"Ich kann dich doch auch mitnehmen."

"Danke, aber ich nehm lieber den Bus."

"Wieso?"

"Meintest du letzte Woche nicht selbst, es wäre zu auffällig, wenn man uns dauernd zusammen sieht? Ich find es ja schon komisch genug, dass du extra den weiten Weg auf dich nimmst, nur um mich für ein paar Stunden zu sehen, wenn ich doch am nächsten Tag schon wieder zu Hause bin."

"Ich ertrag diese Stille einfach nicht. Da könnte ich verrückt werden."

Die Ernsthaftigkeit, mit der Yuki dies sagte, machte Aki ein bisschen Angst und er bereute es bereits, diese Bemerkung gemacht zu haben.

"Tut mir Leid."

"Schon gut. Du musst jetzt los, oder?"

"Ja."

"Dann sehen wir uns zu Hause. Lass dir nicht zu viel Zeit. Ich warte mit dem Abendessen, bis du kommst."

"Ja. Danke."
 

Die Heimfahrt bekam Aki gar nicht richtig mit. Er starrte die ganze Zeit aus dem Fenster, während ihm immer wieder Yukis Worte durch den Kopf gingen. ,Ich ertrag diese Stille einfach nicht.' So hatte er seinen Freund noch nie erlebt. Sonst war er immer lustig und scherzte nur herum, sodass Aki ihn schon das ein oder andere Mal gebeten hatte, doch etwas mehr Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen. Aber solch einen deprimierten, ja fast schon verzweifelten Gesichtsausdruck hatte er sich darunter wahrhaftig nicht vorgestellt. Was in diesem Moment wohl in seinem Freund vorgegangen sein mochte?

Aki wusste es nicht.
 

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Soweit, so gut. Ich hoffe, es hat euch ein bisschen gefallen. Ich muss langsam mal zum Thema kommen. Also ein bisschen näher auf die Gefühle von Aki und Yuki eingehen. Da kommt im nächsten Kappi noch ein bisschen mehr. Es wird höchstwahrscheinlich (also wenn ich nicht zwischendurch Verbot bekomme und mir der Rechner wieder kaputt geht) nicht mehr lange dauern, bis es fertig ist. Dann muss ich es nur noch kontrollieren lassen (ich hasse das, mir mein eigenes Zeug noch mal durchzulesen). Also bis dann!

*knuddl**verschwind*

Ein freier Tag

Ich hab in den letzten Tagen mal nachgesehen, wie lange ich nun nicht mehr geupdatet hab... über zwei Monate... mein Gott! *heul* Bin ich nachlässig! Hätte meinem Beta-Leser vielleicht nicht sagen sollen, dass sie sich ruhig Zeit lassen kann, weil ich nicht so schnell posten möchte (das Kappi war kurz nachdem ich das letzte gepostet hab, fertig)... Nun, aber eins kann ich euch (fast) versichern: Das nächste Kapitel (oder besser: Der erste Teil dieses Kapitels. Das ist so schon ganz schön lang, da habe ich es lieber geteilt) wird nicht so lange auf sich warten lassen. Das hab ich schon fertig. Muss nur noch korrigiert werden, aber mein jetziger Beta-Leser ist da immer recht schnell. Also sagen wir... sobald ich vier Kommis hab, poste ich. Es liegt also an euch. Und nun genug gelabert. Ihr habt zwei Monate wegen diesem Kapitel ausgeharrt, da will ich euch nicht noch mit meinem Gelaber zutexten (zu spät ^-^). Viel Spaß!
 

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Kapitel 4:

Ein freier Tag
 

Neun Uhr abends. Yuki saß allein im Wohnzimmer, starrte auf die Tür. Aus der Küche drang der Duft einer frisch gekochten Mahlzeit. Um sie warm zu halten, hatte der Japaner den Herd mit kleinstmöglicher Hitze laufen lassen. Es war nicht das erste Mal, dass er den Abend so verbrachte. Es kam sogar sehr häufig vor. Eigentlich jeden Tag, seit Aki vom Trainingslager zurückgekehrt und die Uni erfahren hatte, dass er für die Landesmeisterschaft registriert war. Der Direktor hatte darauf bestanden, dass der talentierte Kendo-Schüler zusätzlich trainieren sollte, um sein Potential so weit es ging auszuschöpfen. Nun traf er sich jeden Tag mit Taro-Sempai, seinem Clubleiter, der sich bereit erklärt hatte, mit ihm zu trainieren.

Yukis Blick verfinsterte sich bei dem Gedanken. Ihm gefiel es nicht, dass sein Freund so viel Zeit mit diesem Kerl verbrachte. Er hatte das Gefühl, als schenkte der Halbjapaner ihm immer weniger Beachtung. Vielleicht würde er irgendwann gar nicht mehr zu ihm zurückkehren....

NEIN!!! NIEMALS! Wie konnte er so etwas überhaupt denken?!

Yuki schüttelte den Kopf, als wollte er damit die schrecklichen Gedanken einfach von sich werfen.

Er kommt zu ihm zurück. Das war bis jetzt immer gewesen so und daran würde sich auch nichts ändern. Selbst wenn dieser Kendo-Typ versuchen sollte, ihn ihm wegzunehmen. Aki hatte zehn Jahre darauf gewartet, ihn wieder zu sehen. Er hatte nur seinetwegen mit dem Kampfsport begonnen und seinem Heimatland den Rücken gekehrt. Er hatte so viel riskiert, obwohl er nicht im Geringsten gewusst hatte, was ihn erwarten würde. Er war wegen ihm zurückgekommen.... Halt, nein...! Er war wegen dem MÄDCHEN, das er vor zehn Jahren kennen gelernt hatte, zurückgekommen; doch als er hier ankam, musste er feststellen, dass es dieses Mädchen nicht gab.

Ein erneutes heftiges Kopfschütteln unterbrach Yukis Gedankengänge. Er hielt den Gedanken, dass Aki irgendwann vielleicht wieder verschwinden würde, einfach nicht aus. Er zerfraß ihn - jedes Mal, wenn er darüber nachdachte. Und er dachte in der letzten Zeit oft darüber nach. Immer dann, wenn Aki so spät nach Hause kam. Also jeden Tag...

Er wollte nicht mehr daran denken. Es machte ihn verrückt. Diese Ungewissheit... Die Sehnsucht nach Aki machte ihn verrückt. Und er wusste nicht, wie lange er das noch durchstehen würde.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und ein schwer atmender, junger Mann mit kastanienbraunem Haar und grasgrünen Augen betrat die Wohnung. Schweiß durchtränkte seine leichte Kleidung und ließ jedes Detail seines Körpers sichtbar werden.

"Hi! Tut mir Leid, dass es so spät geworden ist. Wie war dein Tag?"

"Ganz gut. Schön, dass du endlich da bist. Hast du Hunger?"

"Ja. Aber vorher geh ich unter die Dusche."

Mit diesen Worten verschwand Aki, Yuki machte sich auf den Weg in die Küche.

So ging es schon seit über zwei Wochen. Daher wusste der junge Japaner auch ziemlich genau, was als Nächstes geschehen würde: Aki kommt irgendwann wieder; sie essen, ohne viel miteinander zu reden, Aki geht in das Schlafzimmer und arbeitet irgendwas für die Uni aus, wenn noch etwas anstand; und wenn nicht, geht er gleich schlafen.

An diesem Abend verhielt es sich nicht anders.
 

"Gut. Für heute reicht es."

Taro-Sempai ließ sein Shinai sinken und ging zusammen mit Aki zum Umkleideraum. Beide waren schweißnass und atmeten schwer.

"Du hast große Fortschritte gemacht in den letzten drei Wochen. Respekt."

"Danke."

Aki setzte sich, verstaute sein Bambusschwert wieder im Rucksack und begann, sich umzuziehen.

"Wir machen Montag weiter. Dann hast du ein bisschen Zeit, um dich zu erholen."

"Keine Sorge! Morgen bin ich wieder fit."

"Das bezweifle ich nicht, aber irgendwann wird auch dein Körper erschöpft sein und ich möchte nicht, dass es ausgerechnet zur Weltmeisterschaft soweit ist. Da wirst du deine gesamte Kraft brauchen. Also mach dir ein schönes Wochenende."

"Danke."

Aki wusste, dass Taro-Sempai Recht hatte. Seit drei Wochen war er nur noch am Arbeiten. Wenn er seine Freizeit nicht mit dem Kendo verbrachte, jobbte er entweder in der Konditorei oder saß an seinen Arbeiten für die Uni. Wenn er schließlich seine Ruhe hatte, war er zu müde, um noch etwas mit Yuki unternehmen zu können. Er hatte sich nicht einmal richtig mit ihm unterhalten können. Und das, obwohl der Japaner ihn die ganze Zeit über umsorgte. Eins stand für Aki fest: Er wollte das Wochenende nutzen, um sich bei seinem Freund zu bedanken. Wie genau sein ,Dankeschön' aussehen sollte, wusste er noch nicht, aber da würde er sich schon etwas einfallen lassen.
 

Aki war leicht überrascht, als er sah, dass jemand auf ihn gewartet hatte: Haruko. Sie hatte sich Sorgen gemacht, weil der junge Halbjapaner neuerdings nur noch so wenig Zeit hatte und daher beschlossen, ihren Freund abzuholen. Aki freute sich sehr über diese Überraschung. Obwohl er ihr an jenem Abend im Park einen Korb gegeben hatte und beide 'nur' gute Freunde waren, verstanden sie sich prima. Haruko war Akis beste Freundin. Er konnte jederzeit mit ihr reden, sie unternahmen viel miteinander. Oder hatten dies zumindest getan, bis Aki auch seine letzte Freizeit dem Training geopfert hatte.

Während sie gemütlich durch die Nacht schlenderten, erzählte Aki dem Mädchen von den letzten Ereignissen (was nicht lange dauerte, weil er jeden Tag das selbe erlebt hatte) und kam schließlich auch auf sein freies Wochenende zu sprechen. Wie er es erwartet hatte, freute sich Haruko riesig über diese Nachricht und wusste natürlich sofort etwas mit der Freizeit anzufangen.

"Lass uns am Samstag auf den Jahrmarkt gehen! Dieses Wochenende hat er noch geöffnet. Oder hast du schon was anderes vor?"

"Nein. Die Idee gefällt mir. Würde es dich stören, wenn wir zu dritt hingehen?"

"Wen möchtest du denn noch mitnehmen?"

"Yuki. Ihr kennt euch zwar noch nicht so gut, aber er ist ein netter Kerl. Ich bin sicher, dass ihr euch verstehen werdet."

"Dein Mitbewohner? Ich hab' nichts dagegen. Also dann bis morgen, ja?"

Sie waren nun an der Kreuzung angekommen, an der sich ihre Wege trennten.

"Gut. Wann und wo wollen wir uns treffen?"

"Um elf am Haupteingang. Wenn was dazwischen kommt, ruf mich an."

"Geht klar. Bis morgen also."
 

"Abend, Yuki!"

"Nanu? So gut gelaunt?"

"Ja. Ich hab für das Wochenende frei bekommen. Hast du morgen schon was vor?"

"Nein. Aber du klingst, als hättest du schon etwas geplant."

"Ich gehe mit Haruko zum Jahrmarkt. Hast du Lust mitzukommen?"

"Ja, gern! Ich weiß gar nicht, wie viele Jahre es schon her ist, seit ich das letzte Mal dort war."

"Dann wird es Zeit, dass du mal wieder hingehst. Wir treffen uns morgen elf Uhr mit Haruko am Haupteingang."

"Die Kleine, die in dich verliebt war?"

"Genau. Sie hat mich vorhin vom Training abgeholt. Ihr werdet euch bestimmt verstehen."

,Sie hat ihn also abgeholt... Ob sie immer noch in ihn verliebt ist?'

"Hast du Hunger?"

"Und wie! Ich mach mich schnell frisch, dann komme ich wieder."

"Beeil dich! Ich stell schon mal das Essen auf den Tisch."

,Falls diese Haruko vorhat, sich an Aki ranzuschmeißen, dann werde ich das auf jeden Fall verhindern! Egal, was ich dafür anstellen muss. Solange er nur bei mir bleibt...'
 

Haruko war so pünktlich wie immer. Als Aki und Yuki den vereinbarten Treffpunkt erreichten, stand sie bereits dort und wartete auf beide. Diesmal war es allerdings nicht sehr außergewöhnlich, dass Haruko die Erste war. So langsam, wie Yuki an diesem Morgen gewesen war... Erst wollte er ewig nicht aufstehen, dann blockierte er stundenlang das Bad und letztendlich brauchte er zum Frühstücken mindestens doppelt so lange wie sonst. Hätte Aki ihm nicht irgendwann angedroht, allein zu gehen, würden sie wohl immer noch zu Hause herumsitzen.

Als das Mädchen ihre Begleiter entdeckte, kam sie ihnen ein Stück entgegen.

"Hallo Aki! Und du musst Yuki sein, oder?"

"Ja. Hallo."

Nachdem er sie kurz betrachtet hatte, lief er ohne eine weitere Geste Richtung Eingang weiter. Fragend drehten sich die verbliebenen Personen nach ihm um.

"Was hat er denn?"

Haruko war klar, dass er ihretwegen so reagiert hatte und fragte sich, was sie wohl falsch gemacht hatte.

"Schon gut. Mach dir nicht so viele Gedanken. Er ist manchmal etwas komisch, aber eigentlich ist er ganz nett. Ich weiß nicht, was er jetzt schon wieder hat."

"Er sieht aus, als wäre er eifersüchtig."

Aki sah sie fragend an.

"Auf wen denn?"

"Schon gut."

Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen nahm sie den Halbjapaner an der Hand und führte ihn ebenfalls zum Eingang. Als Yuki dies sah, wurde sein Gesichtsausdruck wieder freundlicher, er legte sanft eine Hand auf Harukos Schulter und wies mit der anderen Richtung Kasse.

"Ladies first."

"Danke."

Haruko ließ Akis Hand los und kam der Geste des Japaners nach, welcher sich gleich darauf hinter sie stellte und somit verhinderte, dass sie Aki wieder so nah kommen konnte. Nachdem alle drei bezahlt hatten, erkundeten sie das Gelände, um zu sehen, was es alles gab. Dann entschieden sie sich, mit einer Geisterbahnfahrt anzufangen. Anschließend war die Achterbahn an der Reihe. Sie war sehr groß für eine Jahrmarktsachterbahn und befand sich daher auch am Rand des Platzes, wo sie fast die gesamte Länge einnahm. Als die drei die Attraktion erreichten, stellten sie fest, dass sie sehr beliebt sein musste, denn die Schlange, die ebenfalls darauf wartete, irgendwann damit zu fahren, erstreckte sich meterweit.

"Das kann dauern."

Yuki, der größte von allen dreien, hatte kurz die Lage überblickt und drehte sich seufzend zu den anderen beiden zurück.

"Wollen wir woanders hingehen?"

Haruko, die zwischendurch eine Übersichtskarte gekauft hatte, entfaltete diese nun, um nach einer Alternative zu schauen.

"Dann kommen wir sicherlich nie dazu, mit der Achterbahn zu fahren. Hat jemand Lust auf ein Eis? Ich geh' welches holen", warf Aki ein.

"Ich nehme Zitrone und Apfel", entschied sich Haruko.

Yuki überlegte kurz, dann entschied er sich für Schokolade und Haselnuss. Gleich darauf war Aki verschwunden. Die ideale Möglichkeit für Haruko, mit dem Japaner zu reden.

"Er ist wirklich nett."

Yuki sah sie prüfend an. Ihm war klar, dass sie auf irgendwas hinaus wollte, doch er wusste nicht, worauf. Also spielte er erstmal mit.

"Ja. Aki denkt immer zuerst an andere."

"Dieses Gefühl hatte ich schon, als er gerade erst in Japan angekommen war. Ich glaube, deshalb habe ich mich in ihn verliebt."

Dem Japaner gefiel dieses Thema nicht. Er musste aufpassen, dass er nichts Falsches sagte.

"...Liebst du ihn immer noch?"

"Nein. Für mich ist er unerreichbar. Das ist mir an dem Tag klar geworden, als wir das Date hatten. Aber ich schätze ihn als guten Freund. Nicht mehr und nicht weniger. Du hast also keinen Grund, eifersüchtig zu sein."

Yuki spürte, wie sein Inneres einen Moment erstarrte. Dann entstand aus dieser Leere eine Mischung aus Angst und Erleichterung.

"Ich bin nicht eifersüchtig."

"Sicher? Warum liegt dir dann so viel daran, dass ich Aki nicht zu nah komme?"

"Das bildest du dir nur ein."

Harukos Fragen gefielen ihm ganz und gar nicht. Um sich nicht weiter in Widersprüche zu verstricken, tat er, als hätte die letzte Bemerkung des Mädchens ihn beleidigt und er drehte sich von ihr weg. Die Japanerin merkte, dass es auf diese Art schwieriger würde, an Yuki heranzukommen und wurde daher offener.

"Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verärgern. Eigentlich wollte ich dir nur Mut machen."

Langsam drehte sich der Japaner zu dem Mädchen zurück und sah ihr skeptisch in die Augen. Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter.

"Weißt du, warum ich Aki aufgegeben habe?"

"Nein."

"Weil mir an diesem Tag klar geworden ist, dass sein Herz jemand anderem gehört. Wahrscheinlich ist ihm das selbst noch nicht klar geworden, aber ich bin mir ganz sicher. Ich habe es in seinen Augen gesehen. Er schien nicht wirklich bei mir gewesen zu sein, sondern irgendwo anders. Damals wusste ich noch nicht, an wen er dachte, aber mit der Zeit kam mir eine Vermutung. Als ich ihn am Eingang an der Hand genommen hatte, wollte ich nur sehen, ob ich richtig lag."

Sie machte erneut eine Pause und sah Yuki dabei fest in die Augen. Sie spiegelten eine Mischung aus Verwirrung, Unglauben und Hoffnung wieder. Schließlich ergriff Haruko erneut das Wort.

"Ich habe doch Recht, oder?"

Der Japaner lächelte sanft, fast schon ein wenig traurig.

"Ja...."

Haruko erwiderte das sanfte Lächeln und nahm Yuki an der Hand.

"Ich will versuchen, dir ein bisschen zu helfen. Ich weiß nicht, wie lange es sonst dauern würde, bis Aki seine eigenen Gefühle versteht. Ich glaube, er ist ein wenig... begriffsstutzig, was das angeht."

Nun verwandelte sich Yukis Gesichtsausdruck in ein richtiges Lächeln. In diesem Moment wurde ihm klar, was für eine gute Freundin Aki hatte.

"Danke, Haru-chan."

"Mach ich doch gern."

"Hab ich was verpasst? Seit wann versteht ihr euch so gut?"

Sie hatten nicht gemerkt, dass der junge Halbjapaner plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war; in der einen Hand das Eis für seine Freunde, in der anderen sein eigenes, welches bereits ein Stück kleiner war als die beiden anderen Eistüten. Als er den irritierten Gesichtsausdruck der Begleiter bemerkte, sah er sie prüfend an.

"Was ist denn los? Störe ich?"

"N...nein, nein. Wir waren nur ein wenig erschrocken, als du so plötzlich hinter uns aufgetaucht bist."

Yuki hoffte inständig, dass sein Freund nichts von dem Gespräch mitbekommen hatte. Er warf einen kurzen Blick hinüber zu Haruko, welche dasselbe zu denken schien wie er.

"Das passt gar nicht zu dir. Du bist doch sonst nicht so schreckhaft, Yuki."

"Du schleichst dich ja sonst auch nicht an mich ran."

Aki begriff, dass dieses Gespräch zu nichts führen würde. Wahrscheinlich hatte er es sich ja wirklich nur eingebildet. Daher wechselte er spontan das Thema und hielt seinen Freunden ihr bestelltes Eis entgegen. Beide atmeten innerlich auf, als der Braunhaarige diese Geste vollzog und verwarfen damit ebenfalls die Diskussion. Vorerst zumindest.
 

Das Warten auf die Achterbahn hatte sich gelohnt. Durch diese Fahrt war auf einmal sämtlicher Stress der letzten Wochen aus Akis Kopf herausgefegt worden. Als ob er ihn irgendwo auf der Strecke verloren hätte. Plötzlich sah er das Geschehen um sich herum aus einem völlig anderen Blickwinkel, den er fast schon vergessen hatte. Aki dachte nicht mehr daran, was am nächsten Tag auf ihn zukommen würde. Er wollte diese Unbeschwertheit mit seinen Freunden einfach genießen. Die drei alberten die ganze Zeit herum. Im Geisterhaus versteckten sie sich voreinander und warteten, bis einer der Begleiter vorbeikam, und versuchten dann, ihn so gut es ging zu erschrecken. Beim Autoscooter waren ihre einzigen Beschäftigungen wilde Verfolgungsjagden und Zusammenstöße.

So verging allmählich der schöne Tag und die drei überlegten, wie sie ihn wohl ausklingen lassen könnten. Haruko war für das Spiegellabyrinth, Yuki wollte unbedingt noch zum Freien Fall. Aki gefiel die Idee seiner Freundin um einiges besser, doch da sie, um zum Labyrinth zu gelangen, am Freien Fall vorbeikamen, willigte Haruko ein, vorher noch damit zu fahren. Nur Aki gefiel das ganz und gar nicht. Er sah sich verstohlen in der Gegend um, bis er etwas entdeckte, was er für eine Ausrede nutzen konnte, und meinte dann:

"Ich geh erst mal was essen. Ihr könnt ja in der Zwischenzeit fahren. Solange warte ich hier auf euch."

"Komm schon, Aki! Zu dritt macht es doch am meisten Spaß!"

An Harukos Stimme konnte man erkennen, dass sie etwas enttäuscht von seinem Vorschlag war.

"Hast wohl Höhenangst?"

Bei diesen Worten durchdrang ein eisiger Schauer Akis Körper. Yuki hatte damit so ziemlich ins Schwarze getroffen. Höhe allein störte ihn nicht, sonst würde er die Achterbahnen nicht so lieben. Aber wenn er unter sich nur winzige Punkte sah, die mit etwas Fantasie als Menschen bezeichnet werden konnten...und dann die sichere Gewissheit, dass man wie ein Stein auf diese Menschen - und damit verbunden den Boden - zuraste...davor hatte Aki Angst. Und es war nicht nur Angst; es war Panik, die in ihm aufstieg, wenn er daran denken musste. Aki hatte sein Gesicht zu dem Imbisstand gedreht, damit seine Freunde ihn nicht so sehen mussten, doch Yuki schien trotzdem zu spüren, was in dem Halbjapaner vorging, denn er fing an, es zu bereuen, überhaupt hier her gewollt zu haben und bestand nicht länger auf Akis Begleitung.

"Okay, du kannst auch hier warten, wenn dir das lieber ist. Haru-chan und ich können ja mal allein fahren. Wir kommen dann rüber, wenn wir wieder draußen sind."

"Gut, bis dann."

Aki war kurz davor, noch ein ,Danke' anzufügen, doch er wollte es nicht noch offensichtlicher machen, weshalb er nicht mitwollte. Sie sollten sich nicht zu große Gedanken darum machen. Aki hatte es die letzten Jahre geschafft, allein damit zu leben. Daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern. So ging er zum Imbisstand und bestellte sich eine Nudelsuppe, während Yuki und Haruko sich auf den Weg zum Eingang machten.

Der Japaner machte sich weiterhin Vorwürfe, diesen Vorschlag überhaupt gemacht zu haben. Er wollte, dass Aki einen schönen Tag hat und nun hatte er damit die Stimmung verdorben. Haruko blieben Yukis Grübeleien natürlich nicht verborgen.

"Denk nicht zu viel darüber nach. Du konntest es nicht wissen."

"Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen machen muss. Nicht heute."

"Es war halt ein dummer Zufall. Aber wenn du jetzt weiter so grübelst, wird sich Aki Gedanken um dich machen, und das macht den Tag nicht schöner."

"Ja, du hast Recht, Haru-chan. Es wäre wohl das Beste, wenn ich nicht mehr darüber nachdenke. Aber ich wüsste trotzdem gern, weshalb er solche Angst vor dem Freien Fall hat. Die Achterbahnfahrt hat ihm doch auch Spaß gemacht."

"Warte einfach ab. Irgendwann wird er es dir sicherlich erzählen."
 

Aki hatte sich mittlerweile einen Tisch ausgesucht, von dem aus er die Attraktion gut beobachten konnte. Er konnte einfach nicht da mitfahren, aber er hatte ein sehr ungutes Gefühl, wenn er die riesige Stange mit der immer höher steigenden Gondel betrachtete und daran dachte, dass seine besten Freunde dort waren.

,Ihnen passiert schon nichts. Das Ding ist sicher', versuchte er sich immer wieder einzureden; leider ohne Erfolg. Die vor ihm auf dem Tisch stehende Nudelsuppe hatte er völlig vergessen. Er rührte zwar gedankenverloren darin herum, doch dies bekam er gar nicht mit, während er das unheilvolle Monstrum, welches Yuki und Haruko gefangen hielt, beobachtete. Erst, als die Gondel wieder auf dem Boden war und dort blieb, fiel ihm ein, dass er sich ein - mittlerweile kaltes - Essen bestellt hatte und aß dieses schnell auf. Wenige Augenblicke später standen seine Freunde bereits wie verabredet vor ihm.
 

Das Spiegellabyrinth versprach lustig zu werden. Als die drei Freunde ankamen, hörten sie bereits, wie innerhalb des Irrgartens jemand gegen eine Scheibe lief und laut fluchte. Die einen oder anderen Leute, welche das Labyrinth gerade verließen, kühlten sich eine Beule oder lachten über die blauen Flecken des Begleiters.

Gemütlich schlenderten sie hinein. Der Anblick der vielen verzerrten Spiegel und Scheiben war überwältigend. Die drei Freunde ließen sich alle Zeit der Welt, um das Spiel des Lichts zu beobachten. Schnell konnten sie sowieso nicht laufen, sonst würde es ihnen mit Sicherheit so wie all den kleinen Kindern ergehen, die kontinuierlich gegen eine der fast unsichtbaren Glasscheiben rannten und dann wie Gummibälle davon zurückprallten. Ein wirklich ulkiger Anblick.

Sie waren noch nicht sehr weit gekommen, als die erste Weggabelung in Sicht kam. Unschlüssig blieben sie davor stehen, bis sie sich entschieden hatten, dass Haruko den rechten und Yuki und Aki den linken Weg nehmen würden. Doch auch die jungen Männer wurden bald voneinander getrennt. An der folgenden Kreuzung nahm Aki den Weg geradeaus, Yuki ging nach rechts. So irrten alle drei voneinander getrennt weiter zwischen den Spiegelwänden umher. Man konnte nie erkennen, ob man an einer bestimmten Stelle schon einmal vorbeigekommen war oder nicht, weil alles gleich aussah. Aki stellte nach einer guten Viertelstunde jedoch fest, dass er nicht die ganze Zeit im Kreis gelaufen sein konnte. Leider war sein Weg trotzdem nicht der richtige gewesen. Er endete in einer Sackgasse.
 

Yuki wurde das ungute Gefühl nicht los, dass es falsch gewesen war, Aki allein gelassen zu haben. Er konnte sich nicht erklären, warum. Vielleicht war er schon zu abhängig von ihm geworden. Auf jeden Fall machte er sich immer größere Sorgen, bis er sein Vorhaben, das Herz des Labyrinths zu finden, völlig vergessen hatte und nur noch teilnahmslos durch die Gänge lief; in der Hoffnung, irgendwo in diesem riesigen Irrgarten wieder auf Aki zu treffen, um sich vergewissern zu können, dass es ihm gut ging.
 

Aki stand eine Weile in der Mitte des runden Raumes, in den er geraten war, und sah sich um. Dadurch, dass hier fast überall Spiegel waren, konnte sich der Halbjapaner in allen Ecken des Raumes sehen. Außerdem spiegelte sich das Licht der orangeroten Abendsonne sanft im Raum und wurde so überall hin verstreut. Auch Aki selbst hatte eine angenehm leuchtende Farbe angenommen. Es war eine richtig bezaubernde Atmosphäre. Wie in einem Märchen. Plötzlich verschwand dieses beruhigende Gefühl und hinterließ dafür eine leichte Anspannung; als ob irgendwo ganz in der Nähe etwas lauern würde. Aki konnte sich nicht erklären, was dieses Gefühl hervorgerufen hatte, doch er war sich sicher, dass irgendetwas Bedrohliches in seiner Nähe war. Er...spürte es einfach. Vorsichtig sah er sich um. Seine Anspannung wuchs rasant. In seinem Nacken bildete sich eine Gänsehaut. Er verharrte ganz ruhig in der Mitte des Raumes, machte nicht die kleinste Bewegung, bis er mit sich mit einem Ruck zu Boden warf. Im selben Moment vernahm er das Splittern von Glas und als er sich in die Richtung dieses Geräusches drehte, sah er ein Wurfmesser in der Scheibe stecken, die dadurch einige Risse bekommen hatte. Sein Herz begann schneller zu schlagen, doch Aki zwang sich krampfhaft zur Ruhe. Er wusste, dass er sonst keine Chance hatte hier lebend heraus zu kommen. Allmählich gelang es ihm, seine Sinne wieder zu sammeln und erst jetzt spürte er das leichte Kribbeln an seiner linken Wange. Blut. Er war gerade noch rechtzeitig ausgewichen. Das Messer hatte ihn leicht gestreift, kaum spürbar, doch hätte er einen einzigen Moment gezögert, wäre er nicht so einfach davongekommen.

Wieder spürte er eine Bewegung hinter sich, sprang blitzartig auf und landete ganz in der Nähe des Ganges, aus dem er gekommen war. An der Stelle, wo der Halbjapaner gerade noch gelegen hatte, steckte nun ein weiteres Messer im Boden. Um genau zu sein, dort, wo sich vor wenigen Sekunden noch sein Kopf befunden hatte. Wer auch immer sich hier versteckte, er meinte es bitterernst. Aki zögerte keine Sekunde länger, drehte sich blitzartig um und sprintete den Gang entlang. Weiter kam er jedoch nicht, denn gleich an der ersten Kurve stieß er hart mit jemandem zusammen und riss diesen zu Boden. Der Aufprall war so hart, dass Aki für einen Moment die Orientierung verlor und bewegungslos auf der Person liegen blieb, bis er eine vertraute Stimme an seinem Ohr vernahm.

"Aki...! Ist alles in Ordnung?"

"Yuki...?" Ja. Es...es geht schon.... Komm, lass uns verschwinden!"

Er versuchte sich aufzurichten, doch sein Körper zitterte so sehr, dass er ihn kaum unter Kontrolle hatte. Der Schwarzhaarige umfasste vorsichtig den Rücken seines Freundes und zog ihn sacht mit hoch. Dann betrachtete er ihn lange mit einem Blick, den Aki nicht zu deuten vermochte, bis er ihn schließlich sanft an sich drückte. Aki war viel zu verwirrt, um etwas erwidern zu können, irgendwie tat es ihm sogar gut, so nah bei Yuki zu sein.

"Ist gut. Ich pass auf, dass dir nichts geschieht. Was ist denn passiert?"

"Ach... Ist schon gut..."

Aki war selbst noch viel zu verwirrt und wollte nicht, dass sein Freund sich um ihn sorgt, deshalb wandte er sich ab und tat so, als wäre nichts weiter gewesen. Weit kam er jedoch nicht, denn Yuki hielt ihm am Arm zurück.

"Aki, du bist verletzt! Und dieser Kratzer sieht nicht unbedingt so aus, als wärst du gegen eine der Scheiben geknallt. Das sieht mir eher nach einer Schnittverletzung mit einem scharfen Gegenstand aus. Hier könnte irgendein Verrückter sein, der es auf dich oder sonst wen abgesehen hat und du tust so, als wäre nichts!", belehrte der Japaner seinen Freund empört.

Die kleine Moralpredigt schien Akis Kopf ein wenig abgekühlt zu haben. Sein gehetzter Ausdruck verschwand und machte entschlossener Ernsthaftigkeit platz.

"Du hast Recht, Yuki. Ich benehme mich hier wie ein aufgescheuchtes Huhn, während irgendwo im Labyrinth ein Verrückter rumläuft, der den Leuten mit Messern auflauert. Wir müssen hier schnellstmöglich raus und der Aufsicht bescheid sagen. Und die Polizei benachrichtigen."

Yuki stimmte seinem Freund widerspruchslos zu. Schnell zückte Aki sein Handy und wählte die allgemeine Nummer der Polizeizentrale, berichtete kurz, worum es ging. Nachdem er an die lokale Einsatzstelle weitergeleitet wurde, erzählte er das ganze noch einmal, gab außerdem seinen Namen und den genauen Ort an, wo sich der Vorfall ereignet hatte. Als alles geklärt war, legte er auf und machte sich mit Yuki auf den Weg Richtung Ausgang.
 

Anfangs wussten sie noch, welche Gänge sie nehmen mussten, um nach draußen zu gelangen, doch je weiter sie kamen, desto mehr nahm ihre Erinnerung an den gekommenen Weg ab. Glücklicherweise trafen sie, als sie gerade wieder unschlüssig an einer Ecke standen, auf Haruko, die von irgendwo her eine Karte ergattert zu haben schien. Als sie Akis linke Wange erblickte, wurde ihr Gesicht um einige Nuancen bleicher.

"Oh Gott, Aki, was ist mit dir passiert?!", fragte sie erschrocken.

"Hier muss sich irgendein Spinner verstecken, der Leute mit Messern angreift. Die Polizei haben wir schon informiert. Hoffentlich ist niemandem mehr etwas passiert", klärte er sie kurz auf.

Nachdem sie ihren anfänglichen Schock überwunden hatte, fasste sich die junge Japanerin wieder und zeigte ihren Freunden die Karte, mit deren Hilfe sie schnell den richtigen Weg fanden. Noch auf halbem Wege ertönte eine Durchsage über die Lautsprecher des Irrgartens, in der angekündigt wurde, dass die Attraktion in Kürze geschlossen werden müsse, weshalb sich alle Besucher zum Ausgang zu begeben hätten. Von den Gründen wurde nichts gesagt. Kein Wunder. Würde hier in diesem Glashaus eine Panik ausbrechen, würde das die Situation um ein Vielfaches verschlimmern. Da war es besser, wenn die Leute erstmal nichts genaueres wussten - auch wenn sie ziemlich schlechtlaunig dreinblickten, wie Aki und seine Freunde an den Mienen der Vorbeigehenden erkennen konnten.

Als sie endlich draußen waren, war - wie vermutet - die Polizei schon angefangen und stand mehr oder weniger ratlos in der Gegend herum oder versuchte, die Schaulustigen fernzuhalten. Als die Beamten Aki entdeckten (was anhand seiner Wange nicht sonderlich schwierig war), kamen sie auch gleich auf ihn zu und begannen, die üblichen Fragen zu stellen. Da der Halbjapaner leider niemanden gesehen hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als relativ allgemeine Angaben zu machen. Die größte Hoffnung wurde in die beiden Messer, die wahrscheinlich noch im Boden und in der Scheibe stecken würden, gesetzt. Vorausgesetzt, der Schütze hatte sie nicht irgendwie unbemerkt wieder mitgenommen.

Es wurden auch andere Leute befragt, ob diese eventuell angegriffen worden wären oder ob ihnen jemand aufgefallen wäre, der Wurfmesser bei sich trug, doch niemand konnte dies bestätigen. Das Einzige, was sie daraus schlussfolgern konnten, war, dass diese Tat wohl keine ziellose Aktion gewesen, sondern nur auf Aki gerichtet war. Besonders Yuki bekam bei dieser Aussicht ein unheimlich flaues Gefühl im Magen. Er musste arg mit sich Ringen, um dem Drang, Aki beschützend in seine Arme zu schließen, widerstehen zu können.

Egal, wie sehr der Halbjapaner auch nachdachte, ihm fiel niemand ein, der einen solchen Groll gegen ihn hegen könnte, dass er sogar planen würde, ihn umzubringen. Oder umbringen zu lassen - denn nach der Arbeit eines Amateurs hatte das nicht ausgesehen. Und etwas besonders Wertvolles hatte er auch nicht, wofür es sich lohnen würde, ihn zu beseitigen.
 

Nachdem an diesem Abend nichts mehr erreicht werden konnte, wurden Aki, Yuki und Haruko unter polizeilicher Begleitung nach Hause gebracht und noch einmal darauf hingewiesen, dass sie in nächster Zeit vorsichtig sein sollten, es besser vermieden allein und zu spät irgendwo hinzugehen, einen möglichen Verdacht gleich unter einer bestimmten Nummer (die auf einer Visitenkarte stand, welche der leitende Kommissar ihnen gegeben hatte) zu melden etc.

Selbst als Yuki und Aki wieder allein in ihrer Wohnung waren, spürten sie deutlich die düstere Atmosphäre, die über ihnen hing. Diesen Schreck würden sie beide wohl so schnell nicht vergessen können.

Aki ging hinüber zum Fenster und lehnte sich hinaus. In der Ferne konnte er noch die Lichter des Erlebnisparks sehen. Das Spiegellabyrinth leuchtete besonders schön. Vermutlich waren noch immer einige Beamten dort drin, die nach irgendwelchen Spuren suchten. Plötzlich spürte Aki einen Arm auf seinen Schultern ruhen. Yuki war neben ihn getreten.

"Ich bin froh, dass dir nichts weiter passiert ist."

Ein stummes Nicken war die einzige Antwort, die er erhielt. Nach einer Weile erneuten Schweigens sprach Yuki weiter:

"Es tut mir Leid."

Verwundert drehte Aki sich zu ihm um.

"Was meist du?"

"Dass ich dich allein gelassen habe. Wäre ich bei dir geblieben, wäre das vielleicht nicht passiert."

"Mach dir keine Vorwürfe. Das konnte doch niemand ahnen. Außerdem bin ich dir unendlich dankbar, dass du mich so schnell gefunden hast. Das hat mich irgendwie unheimlich beruhigt. Wie auch immer du es geschafft hast, mich so schnell zu finden."

,...Und warum du es überhaupt versucht hast. Auf deinem Weg lag diese Sackgasse definitiv nicht', fügte er in Gedanken hinzu, doch er sparte es sich, dies laut auszusprechen. Er war einfach zu müde, sich jetzt in längere Gespräche verwickeln zu lassen. Die ganzen letzten Wochen waren eine einzige Strapaze gewesen, er war nur von einem Tag zum nächsten gehetzt, ohne richtig dabei gelebt zu haben. Und nun, da er einmal einen Tag für sich und seine Freunde gehabt hatte, wurde dieser auch noch durch so etwas verdorben. Nein...heute konnte er einfach nicht mehr.

Gedankenverloren lehnte er seinen Kopf an Yukis Schulter, um ein wenig Ruhe zu bekommen. Es tat ihm irgendwie gut, den Japaner in seiner Nähe zu haben. Yuki, der zuerst überrascht war über die plötzliche Handlung seines Freundes, spürte eine wohlige Wärme in sich aufsteigen, als er dessen entspanntes Gesicht so betrachtete. Vorsichtig nahm er seinen Arm von Akis Schultern und legte ihn beschützend um dessen Taille, beobachtete dabei die Reaktion seines Freundes, welche nur in einem tiefen Atemzug bestand, sonst war er völlig ruhig.

Sie standen lange so da. Keiner von beiden sagte ein Wort. Yuki hoffte, seinem Freund ein wenig helfen zu können und genoss gleichzeitig die Wärme, die von ihm ausging. Aki war unendlich dankbar, dass es jemanden gab, der ihn auffing, wenn er fiel, und nicht mehr losließ, bis er wieder richtig fliegen konnte.
 

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Ja, das war's dann erstmal wieder, aber wie gesagt, es liegt an euch, wann ich poste. Und an Ann-chan, aber ich glaube nicht, dass sie mit dem korrigieren länger braucht als ihr mit den Kommis. Bis dahin verabschiede ich mich erstmal.

Eure Lady_Ocean.
 

@evelAngel: Ich hoffe, du bist noch nicht verhungert. Will doch keinen meiner Leser verlieren! Und so sicher war mein Aufbau übrigens gar nicht. Sowas wie ein Script hab ich erst ab dem letzten Kapitel aufgeschrieben (irgendwie bekam ich dann doch Angst, dass ich den Überblick verliere und sich die Handlung verliert) und die Geschichte an und für sich hab ich nur aus einer kurzen Eingebung heraus, als ich grad voll im Shounen-ai-Wahn war, angefangen. Ich saß dann an dem ersten Kapitel und wusste gar nicht so recht, was da jetzt passieren sollte. Aber irgendwie wird das schon. Hoffe ich.

Die Meisterschaft, Teil 1

So, wie versprochen das nächste Kapitel. Und vielen Dank für die Kommis!!! Hey, jetzt sind es schon über 10! Teil 2 dieses Kapitels ist in Arbeit, aber ich weiß noch nicht, wann ich fertig werde. Will es aber noch in den Ferien schaffen.

An dieser Stelle möchte ich meiner Beta-Leserin noch mal für ihren Fleiß danken. Ist ja doch recht lang, dieses Kapitel. Und so, wie es bis jetzt aussieht, wird das nächste nicht viel kürzer. Sorry... ich hoffe, es stört euch nicht, wenn die Kapitel im Einzelnen so lang sind. Ich mag lange Kapitel an und für sich. Ist immer schade, wenn man mit dem Lesen aufhören muss, weil das Kappi fertig ist. Ich kann es immer kaum erwarten herauszufinden, wie es weiter geht. Nur beim rumstöbern hab ich meist keine Lust, gleich so viel Text auf einmal zu lesen.... Hab ja noch mehr vor. ^^v

Aber jetzt erstmal genug geredet. Viel Spaß!
 

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Die Meisterschaft (Teil 1)
 

Nun war es also soweit. Der November war nach Japan gekommen und damit auch die Meisterschaft. Für Aki bedeutete dies, dass die nächsten Wochen noch stressiger werden würden als bisher. Aber das störte ihn wenig. Ihm war klar, worauf er sich einlassen würde, als ihm das Angebot für die Teilnahme unterbreitet wurde. Durch den Brief, der vor wenigen Tagen im Briefkasten gelegen hatte, wusste Aki, dass die Vorausscheidungen in zwei Tagen beginnen würden. Schauplatz war seine Uni. Man hatte sie ausgewählt, so meinte der Direktor, weil sie Japans führende Kampfsport-Universität war. Aus über 100 Teilnehmern sollte dort derjenige ausgewählt werden, welcher Osaka in den Hauptrunden vertreten und nach Tokio fahren sollte.

Einerseits freute sich Aki mit jedem Tag mehr auf die Ereignisse, die ihm bevorstanden. Andererseits wuchsen auch seine Befürchtungen. Auch Yukis ermutigende Worte halfen nicht sehr. Ihm war klar, dass sein Freund recht hatte, wenn er meinte: "In den Vorrunden kann dir gar nichts passieren. Mit deinen Fähigkeiten steckst du selbst Taro-San in die Tasche." oder "Du bist in der vierten Gruppe. Dadurch hast du genug Zeit, dir einen Überblick zu verschaffen, bis du dran bist. Und außerdem bin ich ja auch noch da."

Irgendwie spendete Yukis letztes Argument immer den meisten Trost, wenn er, wie so oft in den letzten Tagen, versuchte, seinen aufgeregten Freund zu beruhigen.

Es war schon eine Weile her, seit das letzte Mal ein so viel versprechendes Talent von der Uni an den Meisterschaften teilnahm. Die Studenten wollten sich diese Chance natürlich nicht entgehen lassen und hatten, nachdem sie sich untereinander beraten hatten, den Direktor gebeten, ihnen für die Vorrunden frei zu geben. Es hatte auch nicht sehr lange gedauert, den Leiter zur Zustimmung zu bewegen. Schließlich gab es neben 2000 drängenden Studenten noch die Tatsache, dass das Studium sehr darunter zu leiden hatte, wenn die größte Turnhalle nicht genutzt werden durfte und den ganzen Tag gestresste Schiedsrichter, Reporter und andere Menschen quer durch die Gebäude hasteten. Was die nächste Sorge für Aki darstellte. Er hatte die Gegenwart von Reportern schon immer gehasst. Oder besser: Seit er einmal von welchen belagert wurde. Als ob es nicht schon schwer genug gewesen war, mit anzusehen, wie Jimmy... NEIN! Er hatte lange gebraucht, um diese Geschichte hinter sich zu bringen. Und er war nicht sehr scharf darauf, jetzt wieder daran zu denken.

Dazu kam der junge Halbjapaner im nächsten Moment sowieso nicht mehr, als sich zwei Arme sacht um seine Hüfte schlangen und eine vertraute Stimme an seinem Ohr erklang.

"Du grübelst ja schon wieder..."

Blitzschnell trat Aki einen Schritt vor und drehte sich um, um sich aus der Umarmung zu lösen. Sein Herz hatte augenblicklich angefangen, schneller zu schlagen.

"Musst du mich so erschrecken?"

Nein... eigentlich war es gar nicht der Schreck. Aki hatte sofort gewusst, wer da hinter ihm gestanden hatte. Yuki tauchte öfters aus heiterem Himmel auf und riss ihn damit aus seinen Gedanken, aber er hatte sich noch nie deshalb erschrocken. Aber warum schlug sein Herz dann so schnell...?

"Du machst dir zu viele Gedanken. Sei ein bisschen lockerer, dann klappt schon alles."

"Ich komm schon klar."

Yuki bemaß seinen Freund mit einem prüfenden Blick.

"Siehst aber nicht so aus."

"Wundert dich das? Immerhin hast du mich grad aus heiterem Himmel angefallen."

"Und?"

"Was >und<?"

"Was war so schlimm daran? Du bist doch sonst nicht so zimperlich."

Yuki war sichtlich verwirrt durch die kühle Art seines Freundes, was Aki natürlich nicht verborgen blieb, sodass sich seine Gesichtszüge wieder entspannten und er in wesentlich wärmerem Tonfall weitersprach.

"Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist."

Er schüttelte sanft den Kopf und seufzte leise.

"Du hast sicherlich Recht. Jeder sagt, dass ich mir keine Sorgen wegen der Vorrunden zu machen brauche, aber das ist nicht einfach. Und selbst, wenn es wirklich so einfach wird; was ist dann mit den Finalrunden? Habe ich überhaupt eine Chance, gegen die besten Kämpfer Japans zu bestehen?"

Yuki grinste und klopfte seinem besorgten Freund aufmunternd auf den Rücken.

"Das wird sich zeigen, wenn es soweit ist. Aber bis dahin dauert es noch eine Weile. Konzentrier dich erst mal auf das, was nun auf dich zukommt."

"Stimmt. Mit meiner Einstellung kann das nichts werden."

Irgendwie schaffte es Yuki jedes Mal, Akis Laune aufzubessern. Wie er das machte, wusste er nicht, aber im Grunde war es ihm auch egal.
 

"AKI!!!"

Plötzlich kroch unaufhaltsam eine unangenehme Kälte an ihm empor. Mehr aus einem Reflex heraus drehte er sich auf die Seite und umklammerte schützend mit den Armen seinen Körper. Er wusste überhaupt nicht, was plötzlich los war, doch in diesem Moment wurde es taghell in dem bisher stockfinsteren Raum, sodass er seine Augen nur noch weiter zukniff, anstatt sie zu öffnen. Erst, als einige immer kräftiger werdende Stöße seine Schulter malträtierten, schaffte er es, sich aufzuraffen und aus dem Bett zu springen. Ihm gegenüber ein sichtlich genervter Yuki.

"Sag mal, spinnst du? Was fällt dir ein, mich so grob zu wecken?"

"Was fällt DIR ein, so lange zu pennen? Ich versuche dich schon seit einer halben Stunde aus dem Bett zu bekommen, aber du reagierst gar nicht!"

Nun kehrten auch die letzten Lebensgeister in Akis Körper zurück. Es war Montag... DER Montag...!

Mit einem flüchtigen Blick sah der Halbjapaner auf seine Armbanduhr. 8.45 Uhr. 9.00 musste er an der Uni sein. Und der Weg dorthin dauerte 12 Minuten - wenn man rannte, als ginge es um sein Leben. Blieben also noch drei Minuten, um sich anzuziehen, die Tasche zu packen und zu waschen, wenn er nicht zu spät kommen wollte. An Frühstück war gar nicht mehr zu denken. Und verspäten durfte er sich heute auf keinen Fall, wenn er nicht vorzeitig wegen Fernbleiben vom Kampf disqualifiziert werden wollte. 9.00 würde sein erster Kampf beginnen. Die erste Runde der Vorausscheidung für das Finale in Tokio.

"Shit! Warum hast du mich nicht eher geweckt!?"

"Hörst du mir nicht zu? Das versuche ich seit über einer halben Stunde!"

Aki wusste, dass dieser Streit zu nichts führen würde. Und irgendwie war Yuki sogar im Recht, musste er sich widerwillig eingestehen. Aber jetzt hatte er keine Zeit für so was. Jede Sekunde zählte. Mit wenigen Schritten war er am Schrank, hatte sich einen Trainingsanzug gegriffen und verschwand damit im Bad. Yuki blieb gerade noch genug Zeit, ihm "Ich habe deine Tasche schon gepackt" hinterher zu rufen, dann war die Badtür auch schon zugefallen und er bekam nur noch ein gedämpftes "Danke" zu hören.
 

Der Weg zur Uni war ein einziger Marathon. Aki hatte das Gefühl - er war sich sogar ziemlich sicher - noch nie im Leben so schnell gerannt zu sein. Genau 9.00 Uhr erreichten die Sprinter das Gelände der Universität. Jetzt mussten sie nur noch an den laut jubelnden Studenten vorbei (Akis Teilnahme an der Meisterschaft war schließlich ein gut gehütetes Geheimnis), quer über den Platz rennen und sich durch die maulende Menge vor und in der Turnhalle boxen, bis sie schließlich am Zielort angelangten. Dort wurden die keuchenden Freunde mit skeptischen, erleichterten und vor allem fragenden Blicken gemustert. Aki hasste es, angestarrt zu werden und spürte, wie ihm unaufhaltsam die Hitze in den Kopf stieg. Allerdings war er sich sicher, dass dies keiner der Anwesenden erkennen konnte; nicht, nachdem er gerade erst seine ,Erwärmung beendet hatte'.

Mit einem gespielt lauten Räuspern zog der Schiedsrichter Akis Aufmerksamkeit auf sich, während sich Yuki so unauffällig wie möglich an die Seite gesetzt hatte.

"Können wir nun endlich beginnen?"

"Warten wir doch noch fünf Minuten! Ich kann unmöglich gegen ihn kämpfen, wenn mein Gegner in einer solch schlechten Verfassung ist. Das wäre unfair und ich möchte nachher nicht seinen Zorn auf mich ziehen, weil er aufgrund seiner schlechten... Verfassung... unterliegt."

Während Akis Gegner dies sagte, setzte er ein schmalziges Lächeln auf und betrachtete den Halbjapaner abwertend. Die Art, wie jener das Wort ,Verfassung' ausgesprochen hatte, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte ihm damit unbestreitbar mangelnde Fähigkeiten unterstellen wollen. Aki, der sich in seinem Stolz verletzt fühlte, zwang sich zur Ruhe und schüttelte besonnen den Kopf.

"Wir werden gleich kämpfen. Würde mich dieser kleine Lauf schon so beeinträchtigen, dass ich eine Pause bräuchte, dann würde ich nicht an der Meisterschaft teilnehmen."

Der Schiedsrichter nickte leicht, und leitete die erste Runde ein - welche eindeutig an Aki ging. Die zweite Runde konnte er ebenfalls für sich entscheiden, und zwar noch schneller als die erste. Die dritte Runde hatte kaum begonnen, als Aki erneut seinen Gegner besiegte. Dieser, sichtlich irritiert von seiner schmachvollen Niederlage, sagte kein Wort mehr. Er wartete die nötigen Formalitäten ab und verschwand. Aki hätte am Liebsten mit ihm getauscht, denn gleich nachdem alles vorbei war, stürmte eine Horde von Leuten auf ihn ein, um ihm zu gratulieren, nervige Fragen zu stellen und für den weiteren Verlauf der Wettkämpfe alles Gute zu wünschen. Viele versprachen auch, weiterhin zu seinen Kämpfen zu kommen. Manche (vor allem die Mädchen) brachten ihm sogar Geschenke. Als ihm eine sogar einen Kuss auf die Wange drückte, wurde es Yuki zu bunt und er schleifte Aki einfach hinaus aus dem Getümmel und verzog sich in einem der Arbeitszimmer der Universität. Erleichtert atmete der Halbjapaner aus.

"Ich danke dir. Dagegen war der Kampf zuvor reine Entspannung."

"Das glaub ich dir gern. Glücklich sahst du zwischen all den Menschen jedenfalls nicht aus."

"Du weißt gar nicht, wie Recht du hast!"

So unauffällig wie möglich sah er aus dem Fenster. Yuki hatte einen Raum mit Blick auf die Turnhalle ausgewählt, sodass man die Menschen in deren Umgebung gut beobachten konnte.

,Wie lange müssen wir wohl hier warten, bis ich endlich mein Zeug holen kann?'

Als hätte Yuki die Gedanken seines Freundes gelesen, trat er zu ihm, ließ seinen Blick kurz über das Umfeld schweifen und trat dann wieder zurück.

"Das kann noch Stunden dauern. Ich hol deine Sachen, dann versuchen wir uns irgendwie rauszuschleichen."

Mit diesen Worten ging er zur Tür, drehte sich dann aber noch einmal zu Aki um und verschwand schließlich. Von seinem Fenster aus konnte der Braunhaarige sehen, wie Yuki sich mühsam durch die Menge schlug. Nach ihrem Auftritt bei der Ankunft war natürlich jedem klar, dass er zu Aki gehörte, sodass sie gleich auf ihn zugestürmt kamen und sicherlich fragten, wo sich der Gesuchte befand.

Es dauerte gut zehn Minuten, bis der Japaner mit den langen, schwarzen Haaren endlich zurückkehrte, Akis Tasche wie eine wertvolle Beute stolz in die Höhe haltend.

"Die führen sich auf wie ausgehungerte Piranhas."

Er gab sie seinem Freund und warf einen abschätzenden Blick aus dem Fenster.

"Sieht nicht so aus, als ob wir hier bald wegkommen. Aber zumindest finden sie dich in diesem Raum nicht."

Aki nickte ihm mit einer Mischung aus Besorgnis und Erleichterung zu.

"Danke, Yuki."
 

Die Hoffnung, dass die Fremden ihre Universität bald verlassen, hatten die Freunde mittlerweile begraben. Zwar streunten sie nun nicht mehr überall auf dem Gelände herum, dafür hatten sie sich nun auch in den Gebäudekomplex vorgewagt und durchkämmten auch dort jeden Winkel. Wozu dieser ganze Aufwand? Weil er eine Vorrunde gewonnen hatte? Aki konnte darüber nur den Kopf schütteln. Reporter waren echt das Letzte.

Plötzlich öffnete sich die Tür. Ganz leise, doch die Geflüchteten bemerkten es sofort. Der Raum bot keine Versteck- oder Fluchtmöglichkeit, sodass es kein Entkommen mehr gab, würden die Reporter sie hier tatsächlich finden. Die Tür wurde nicht vollständig geöffnet. Jediglich so weit, dass der Kopf des Mannes, welcher vor dem Raum stand, hindurch passte. Ein zufriedenes Lächeln glitt über sein Gesicht, als er den Aki und Yuki erblickte, gleich darauf trat er gänzlich ein und schloss vorsichtig die Tür hinter sich. Auch die beiden jungen Männer atmeten erleichtert auf.

"Erschrecken sie uns doch nicht so, Direktor!"

Auch auf Yukis Gesicht machte sich nun ein Lächeln breit.

"Ich dachte mir schon, dass ihr noch irgendwo hier seid. Zum Glück habe ich euch endlich gefunden."

Er machte eine kurze Pause; die Blicke seiner Zuhörer wurden mit jedem Augenblick bohrender. Schließlich sprach er weiter.

"Ich habe den Reportern erzählt, dass ihr bereits gegangen seid. Die ersten sind darauf hin verschwunden, doch einige liefen immer noch hier herum und fragten die Studenten nach euch aus. Schließlich haben auch sie sich über diese Belästigung beschwert, sodass ich den Presseleuten Hausverbot geben konnte. Es sind zwar immer noch ein paar draußen auf dem Hof, aber innerhalb des Gebäudes befindet sich keiner mehr. Ich denke, ihr könnt jetzt gehen."

Erleichtert atmete Aki auf.

"Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dankbar ich ihnen bin, Direktor."

Der ältere Mann nickte zur Antwort und verließ den Raum wieder. Kurze Zeit später machten sich auch der Halbjapaner und sein Freund wieder auf den Weg. Sie mussten allerdings einen Umweg in Kauf nehmen und die Universität über den Notausgang verlassen, weil einige übrig gebliebene Reporter noch immer die restlichen Eingänge belagerten.

"Reporter müsste man sein."

"Warum?"

Aki sah ihn fragend an. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie sein Freund Sympathie für diesen Beruf hegen konnte."

"Du kannst den ganzen Tag rumstehen und plaudern und bekommst auch noch Geld dafür. Ist doch super!"

Ein belustigter Laut drang aus Akis Kehle und er verzog die Mundwinkel zu einem leichten Grinsen.

"Ach so."

Den Rest des Weges schwiegen sie. Erst, als sie zu Hause waren, stellte Yuki die Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.

"Was hast du eigentlich gegen Reporter?"

"Ich mag sie einfach nicht."

Zur Unterstützung seiner Worte schüttelte Aki sacht mit dem Kopf.

"Immer müssen sie dich mit ihren dämlichen Fragen nerven, drängeln und zerren an dir rum, weil jeder der Erste sein will und alle halten sie dir ihre Mikros und Diktiergeräte unter die Nase. Ich hasse das einfach."

Während Aki dies sagte, verfinsterte sich seine Miene zusehends. Yuki nickte daher nur verständnisvoll und vermied es, dieses Gespräch fortzusetzen.

Aki warf achtlos seine Sachen in eine Ecke und schaltete den Fernseher ein, Yuki verschwand in der Küche und bereitete das Mittag vor. Oder das Abendessen. Mittlerweile war es schließlich nach 16.00 Uhr und bis die geplante Mahlzeit fertig war, würde es noch eine Weile dauern. Der Japaner wollte seinen Freund in der kommenden Zeit so gut es ging unterstützen und verwöhnen, um ihn ein bisschen von der langsam beginnenden Meisterschaft abzulenken. Und er musste sich dringend einfallen lassen, wie er die Reporter von seinem Freund fernhalten konnte. Wenn dieser auch nur das Wort ,Reporter' hörte, nahmen seine Augen einen seltsam getrübten Ausdruck an, als ob eine alte Wunde dabei war, wieder aufzureißen. Und dieser Gedanke zerriss ihn. Er wusste nicht, weshalb Aki auf dieses Thema so reagierte, aber im Moment interessierte es ihn auch nur nebensächlich. Das Wichtigste war, dass er ihn, so weit es ging, davon fernhielt. Irgendwie.

Aki hatte den Fernseher nur kurz laufen lassen. Denn kaum war die Serie, die er zufällig entdeckt hatte, zu ende, begannen die Nachrichten, welche neben einem Erdbeben irgendwo in der Türkei und einem Amokläufer in Israel nur über ein Thema berichteten: Die ersten Ergebnisse der Meisterschaften. Zuerst wurden die Vorrundenkämpfe der anderen Städte eingeblendet, aus jedem Kampf ein kleines Stück. Dann kam die Frau hinter dem Bildschirm zu den Ergebnissen in Osaka. Bereits an ihrem ersten Satz wurde deutlich, dass dies ein wesentlich längerer Bericht als die vorangegangenen werden würde.

"Kommen wir nun zu den ersten Vorausscheiden in Osaka. Wie nicht anders zu erwarten, hat unter anderem das neu entdeckte Talent Aki Willis die erste Runde bestanden. Der Student von der Budo-Universität, in der auch die Kämpfe der Stadt ausgetragen werden, ist seit seiner Aufnahme an Japans bedeutendster Kampfsportuni bereits ein Geheimtipp in der Stadt, nach dem nationalen Trainingslager in Kioto hat sein Name auch landesweit an Bedeutung gewonnen. Unter Experten wird er bereits als Sieger des diesjährigen ..."

Aki konnte es nicht mehr hören. Er nahm die Fernbedienung und suchte einen anderen Kanal, doch es war überall das Selbe: Bilder und Fakten über Aki und seinen ersten Kampf. Schließlich schaltete er den Fernseher aus und stellte dafür die Musik an. Vorsichtshalber nahm er gleich eine CD. Im Radio würden die Nachrichten sicherlich nichts anderes bringen als im Fernsehen.

Obwohl er sich heute nicht sonderlich angestrengt hatte, war sein Körper ungewöhnlich schwer und ausgelaugt. Der Halbjapaner legte sich auf die Couch und schloss die Augen. Schlafen konnte er jedoch nicht. Seine Gedanken kreisten um den kommenden Tag. Diesmal war es jedoch nicht der Kampf, um den er sich Sorgen machte, sondern die Frage, wie er sich wohl vor der Presse in Sicherheit bringen konnte. Aber er fand keine Antwort darauf. Irgendwie fiel Aki letztendlich doch in einen leichten Schlaf.
 

Als Yuki Stunden später das Essen fertig hatte, ging er zu Aki hinüber, um ihn zu wecken. Doch sein Vorhaben hatte er schnell vergessen, als er seinen Freund so friedlich schlafen sah. Verträumt strich er ihm eine seiner samtbraunen Haarsträhnen aus dem Gesicht.

Weich...

Seine Fingerspitzen glitten zärtlich über die Wange des Schlafenden und wanderten weiter zu seinen Lippen, als dieser plötzlich die Augen zusammenkniff und tief durchatmete. Erschrocken zog Yuki seine Hand wieder weg und legte sie dafür auf Akis Schulter.

"Hey, aufwachen! Es gibt Essen!"

Langsam öffnete der Halbjapaner die Augen und sah seinen Freund fragend an. Dann schien er dessen Worte endlich verstanden zu haben, streckte sich noch einmal und stand schließlich auf.

"Danke. Was gibt es denn?"

"Wirst du gleich sehen."

Aki machte sich auf den Weg zur Küche, um zu sehen, was Yuki diesmal gezaubert hatte. Yuki folgte ihm. Der Halbjapaner schien die Zärtlichkeiten seines Freundes nicht mitbekommen zu haben. Erleichtert schloss er für einen Moment die Augen.

Als Aki das Ergebnis von Yukis Arbeit sah, blieb ihm im ersten Moment die Sprache weg. Dann drehte er sich ungläubig zu dem Schwarzhaarigen um, welcher ihm mit einem Nicken andeutete, sich zu setzen.

"Ist das echt Sushi!?"

"Klar! Wonach sieht es sonst aus?"

"Wahnsinn! Sieht das lecker aus!"

Aki hatte zwar noch nie selbst welches gemacht, aber er wusste, wie arbeits- und zeitaufwändig Sushi war. Seit er in Japan war, hatte er auch erst ein einziges Mal welches gegessen. Es war eine der teuersten Speisen, die es hier gab und somit konnte sich ein Student solchen Luxus auch nur in Ausnahmefällen leisten.

Yukis Sushi schmeckte genau so gut, wie es aussah. Aki aß sehr langsam, um jeden Bissen genießen zu können. Dadurch bekam er auch nur am Rande mit, dass Yuki ihn beobachtete. Eigentlich starrte er ihn sogar die ganze Zeit über an. Der Japaner war überglücklich, Aki endlich wieder mit einem unbeschwerten Gesichtsausdruck zu sehen. Er hatte dies schon so lange nicht mehr gesehen, dass er selbst in eine Art Grübelei versunken war und nun kam es ihm vor, als würde dieses schwere Gewicht, das auf seinen Schultern lastete, endlich verschwinden. Während des Essens unterhielten sich die beiden Freunde so unbeschwert wie schon lange nicht mehr. Auch danach alberten sie noch herum. Später am Abend rief Haruko an, um Aki Glückwünsche zu überbringen und ihn für die nächsten Runden aufzumuntern. Auch sie hatte seinen Kampf gesehen, aber die Massen hatten sich so schnell um ihn gesammelt, dass sie keine Möglichkeit hatte, sofort zu ihm zu kommen. Aki bot ihr an, das jetzt nachzuholen, sodass es für die drei noch ein langer Abend wurde.
 

Da der Montag nur eine Art Einführung auf das Kommende war, erwartete Aki am Dienstag ein wesentlich härteres Programm. Er musste bereits sechs Uhr aufstehen, da sieben Uhr sein erster Kampf begann, der nächste fand elf Uhr statt und der letzte fünfzehn Uhr. Dazwischen würden die Reporter sicherlich wieder wie eine darauf warten, Aki zu Gesicht zu bekommen, wie eine hungrige Katze, die vor dem Mauseloch ihrer Beute auflauert. Aber jetzt sah Aki dem gelassen entgegen, zumal auch Haruko ihr Bestes tun wollte, um ihm zu helfen.
 

Yuki war sogar vor Aki aufgestanden und hatte ihm Frühstück gemacht, sodass sie diesmal alle Zeit der Welt hatten, bis sie sich auf den Weg zur Uni machen mussten. Als sie alles fertig hatten, war immer noch eine viertel Stunde übrig, die er zum Meditieren nutzte, um Geist und Körper vor den Kämpfen zu entspannen. Yuki hatte versprochen, ihm Bescheid zu geben, wenn sie los mussten. Und dies tat er auch, indem er ihm einen Integralhelm auf den Schoß legte. Verwundert betrachtete Aki erst den Helm, dann seinen Freund, der ebenfalls einen Helm bei sich hatte und seine Motorradjacke trug.

"Du willst dieses kurze Stück fahren?"

"Das wäre jedenfalls die einfachste Möglichkeit, heute auch wieder nach Hause zu kommen. Sonst können wir wahrscheinlich gleich in der Uni übernachten."

"Wo du Recht hast..."

Mit einem Grinsen stand Aki auf und nahm auch für sich eine windfeste Jacke aus dem Schrank. Als er sich auf dem Weg zur Garage den Helm aufsetzte, begannen Yukis Mundwinkel zu zucken. Neugierig, jedoch ohne ein Wort darüber zu verlieren, beobachtete der Braunhaarige dieses seltsame Verhalten. Als sie an der Haustür angekommen waren, wurde sein Grinsen jedoch so breit, dass Aki es einfach nicht mehr aushielt und die Frage doch stellte.

"Was ist denn mit dir los? Das macht einem ja Angst."

"Sekunde noch. Du wirst gleich wissen, was los ist."

Mit diesen Worten schloss er die Tür auf und was Aki dann sah, verschlug ihm völlig die Sprache. Vor ihrem Eingang warteten fünf Motorräder, alle von ihnen mit Sozius. Der Halbjapaner schaute nur von einem Rad zum nächsten und wieder zu Yuki, dessen Grinsen nun zu einem unterdrückten Lachen geworden war. Da es Aki nach wie vor nicht fertig brachte, seinen Freund die bohrende Frage in seinem Kopf zu stellen und der Wissende zu beschäftigt war, um von sich aus zu antworten, stieg einer der Leute vom vordersten Motorrad und kam auf die Freunde zu. Als die Person den Helm abnahm, kam Akis Freundin Haruko zum Vorschein.

"Guten Morgen. Yuki und ich haben uns gedacht, dass wir dich auch zur Uni begleiten könnten. So dürftest du ungestört hinein und wieder heraus kommen."

Jetzt fing auch Aki herzhaft an zu lachen und fiel seinen Freunden um den Hals. Auf so eine dumme Idee konnten auch nur sie kommen. Aki hätte gern noch gefragt, wer all die anderen Leute waren, die auf den Motorrädern saßen, aber er war so sehr mit Lachen beschäftigt, dass nicht genug Luft übrig war, um noch zu sprechen. Außerdem hätte seine Freundin ihm dies wahrscheinlich gar nicht verraten wollen.
 

Die List von Yuki und Haruko ging auf. Es standen bereits einige Leute am Straßenrand und zwei Pressewagen hatten die Straße stark eingeengt, aber niemand versuchte, sie aufzuhalten und nach Aki zu suchen. Sie ernteten lediglich von allen Seiten neugierige Blicke, aber was war auch anderes zu erwarten, wenn sechs Motorräder auf das Gelände fahren?

Die zwölf Leute betraten problemlos die Umkleideräume und damit den sicheren Bereich. Erst jetzt nahmen alle ihre Helme ab. Vier der Begleiter kannte Aki; es waren ebenfalls Studenten der Budo-Uni. Die restlichen fünf stellte Haruko ihnen vor:

"Das sind ein paar Freunde von mir. Sie gingen bis zum letzten Jahr auf meine Schule, aber wir treffen uns auch jetzt noch gern. Die Wettkämpfe sind daher auch ein guter Anlass, sich mal wieder zu treffen. Außerdem halten auch wir nicht viel von der Presse und unterstützen dich deshalb so gut wir können."

"Ich danke dir, Haruko. Und euch genau so."

Aki machte eine dankende Kopfbewegung in die Runde. Dann verabschiedeten sie sich auch schon wieder.

"Einige von uns müssen jetzt arbeiten. Wir kommen heute Nachmittag wieder und holen euch ab."

Mit diesen Worten setzten die Freunde der Japanerin ihre Helme wieder auf und verließen die Turnhalle. Haruko schloss sich ihnen an. Immerhin hatte sie nichts im Umkleideraum der Männer zu suchen. Die anderen Studenten begleiteten sie zur Halle, um sich für die kommenden Kämpfe gute Plätze zu sichern. Aki war somit wieder allein und zog sich um, doch viel Zeit hatte er nun nicht mehr. Es war fast sieben Uhr und er konnte jeden Moment aufgerufen werden. Noch einmal wollte er nicht zu spät kommen.

Als Aki die Halle betrat, wurde er mit ohrenbetäubendem Geschrei empfangen. Verwundert sah er sich um und stellte fest, dass diesmal viel mehr Mädchen auf den Zuschauertribünen saßen als beim letzten Kampf. Obwohl das Stimmgewirr sehr bunt und nahezu unverständlich war, bekam Aki sofort mit, dass die meisten dieser Mädchen nur seinetwegen gekommen zu sein schienen. Sie winkten ihm zu und riefen wie wild seinen Namen.

Weil er einen Kampf gewonnen hatte...?

Nein. Weil die Medien wieder alles aufputschten! Wie er es hasste!

Aber jetzt war keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sein erster Gegner betrat von einer anderen Tür her die große Halle und lief zielstrebig auf den Schiedsrichter zu, ließ den Halbjapaner dabei keine Sekunde aus den Augen. Eine unverhohlene Feindseligkeit spiegelte sich in ihnen wieder, die Aki innerlich schaudern ließ.

Wie bereits beim letzten Mal erklärte der Schiedsrichter die Regeln, danach mussten sich beide verbeugen und der erste Kampf begann. Zuerst wollte es Aki wie beim letzten Mal kurz und schmerzlos machen, doch dann besann er sich und offenbarte lieber nicht ganz so viel von seinem Können. Sollten lieber alle denken, sie haben sich bei ihm verschätzt und seine Leistung vom Vortag war nur Glückssache. Vielleicht konnte er so auch etwas Abstand von den Reportern gewinnen. Aber eigentlich glaubte er selbst nicht wirklich daran.

Auch mit weniger ausgefeilter Technik hatte Aki keine Probleme, die drei Runden zu gewinnen und kam somit wieder eine Runde weiter. Der Sieg wurde natürlich von einem Sturm kreischender Mädchenstimmen begleitet, und die Sicherheitsleute in Nähe des Kampfplatzes schienen alle Hände voll damit zu tun zu haben, die Leute - sowohl Fans als auch Reporter - auf deren Plätzen zu halten. Aki verabschiedete sich so schnell es ging und verließ dann auf dem kürzesten Weg den öffentlichen Bereich. Zurück im Umkleideraum ließ er sich mit einem erschöpften Seufzer auf den Platz neben seinen Sachen fallen.

"Ja... das ist das Los, wenn man beliebt ist. Und mach dir am Besten keine Hoffnungen, dass das so schnell nachlässt."

Aki drehte sich um. Ein weiterer Teilnehmer - er war wahrscheinlich etwas jünger als der Halbjapaner - saß ein Stück von ihm entfernt und zog sich gerade um. Er war wohl als nächster an der Reihe.

"Ich habe bereits von dir gehört. Bevor die Meisterschaft begonnen hat, meine ich. Aber gesehen habe ich deinen Stil zum ersten Mal. Er gefällt mir. Ich hoffe, wir treten im Laufe des Tages gegeneinander an."

Er hatte sich mittlerweile umgezogen und kam zu Aki hinüber. Mit einem Lächeln im Gesicht gab er ihm die Hand.

"Mein Name ist Yamato. Schön, dich kennen zu lernen."

Aki erwiderte die Geste und lächelte ihn ebenfalls freundlich an.

"Ganz meinerseits. Ich denke, meinen Namen kennst du ja."

"Ja, aber ich habe nicht gewusst, dass du kein Japaner bist. Woher kommst du? Hast du dir deinen Namen nur ausgedacht?"

Der Junge gefiel Aki, obwohl er es eigentlich nicht mochte, auf seinen Namen angesprochen zu werden. Der Halbjapaner konnte es an seinen Augen erkennen, dass sich in seiner Neugier keine Hintergedanken, sondern reines Interesse verbarg. Und dass er sich nicht daran störte, dass in Akis Blut nicht nur japanisches floss.

"Ich bin Halbjapaner. Mein Vater ist Engländer, deshalb habe ich zwei Vornamen - einen japanischen und einen englischen."

"Darf ich fragen, wie dein englischer Name ist?"

In diesem Moment wurde das Gespräch durch die Stimme des Sprechers, die Aki vor einer knapp einer halben Stunde ebenfalls aus dem Raum geholt hat, unterbrochen. Für einen Moment konnte Aki Enttäuschung im Gesicht des Jungen sehen, doch während er sich aufrichtete wurde seine Miene wieder so herzlich wie zuvor.

"Ich muss jetzt gehen. Vielleicht sehen wir uns nachher noch mal."

"Bestimmt. Viel Glück."

"Danke."

Im nächsten Augenblick war Yamato verschwunden. Dafür kam kurze Zeit später Yuki herein.

"Hi! Du siehst aus, als könntest du etwas Gesellschaft gebrauchen."

"Ja. Das ist nett. Ich wäre lieber in der Halle, um mir die anderen Kämpfe anzusehen, aber es ist wohl besser, wenn ich mich da draußen nicht blicken lasse."

Der Japaner nickte verständnisvoll.

"Wie sieht es im Moment aus? Hat Yamato eine Chance?"

"Der Kleine schlägt sich ganz gut. Er ist zwar jünger als sein Gegner, aber ganz schön flink und geschmeidig. Ich denke, er wird gewinnen."

Aki lächelte erleichtern und schloss für einen Augenblick die Augen.

"Er ist ganz nett. Ich würde gern gegen ihn antreten."

Plötzlich schienen Yukis Gedanken in weiter Ferne zu liegen. Aki sah ihm direkt in die Augen, doch er schien dies gar nicht wahr zu nehmen.

"...Yuki? Alles klar mit dir?"

Er schreckte leicht auf und das Erste, was er sah, als er mit seinen Gedanken wieder im Umkleideraum war, waren Akis Augen. Diese schönen, glänzenden Smaragde.... Im sanften Licht der Morgensonne bekamen sie sogar einen leichten Goldstich. Genau wie sein weiches Haar, das sanft sein Gesicht umschmiegte.

Ohne es zu merken, war Yuki schon wieder in seinen Gedanken versunken. Doch diesmal war es nicht die missmutige Grübelei über Akis Worte zu Yamato, sondern dessen engelsgleiches Gesicht, das ihm gerade so nah war... und immer näher kam....

Diesmal riss ihn der plötzliche Druck an seiner Brust zurück in die Realität. Er war nicht brutal, aber trotzdem bestimmend und Yuki brauchte einige Sekunden, um zu realisieren, was überhaupt geschehen war. Aki sah ihm immer noch direkt in die Augen, doch der leicht besorgte Ausdruck war einer Spur von Verärgerung gewichen. Der Druck an seinem Brustkorb stammte von Akis Hand, die den Japaner anscheinend davon abhielt, den Abstand zwischen ihnen noch weiter zu verringern.

"Was ist nur los mit dir?"

Aki hatte Mühe, seine Stimme ruhig zu halten. Seit Yuki ihn gerade so verträumt angesehen hatte und ihm immer näher gekommen war, hat auch sein Herz mit abnehmender Distanz immer heftiger zu schlagen begonnen. Aki konnte sich dieses Verhalten einfach nicht erklären. Weder von Yuki noch von sich selbst. Auf irgendeine Art machte es Aki Angst, also zog er es vor, sich davon fern zu halten. Gerade in diesem Moment ertönte erneut lautes Geschrei aus der Halle und durch das Mikro erfuhren die Freunde, dass Yamato der Sieger war. Yuki wechselte schnell das Thema.

"Äh... was wollen wir jetzt machen?"

Eine überflüssigere Frage hätte er kaum stellen können. Sie saßen noch sechs Stunden in dieser Turnhalle fest und das Einzige, was sie tun konnten, war zu warten. Warten, bis Aki seinen letzten Kampf hinter sich gebracht hatte und sie endlich nach Hause konnten. In diesem Moment betrat jedoch Yamato den Raum und lenkte die Aufmerksamkeit auf sich.

"Hey, Aki! Hast du gehört? Ich hab es geschafft!"

"Ja, ich weiß. Glückwunsch! Wenn wir die nächste Runde auch noch schaffen, können wir gegeneinander antreten."

Yamato wollte gerade weiter sprechen, als er Yuki bemerkte, der ihn misstrauisch musterte.

"Oh, guten Tag. Wer sind sie?"

"Ich bin ein Freund von Aki. Kohaku Yuki."

"Sehr erfreut, Yuki-San. Ich bin Yamato."

"Ich weiß. Hat man ja gehört."

Etwas verwirrt von diesem harschen Tonfall wandte sich der Junge wieder Aki zu. Dieser warf gerade einen mahnenden Blick in Yukis Richtung, doch dieser schien die frisch verputzte Decke des Raumes plötzlich interessanter zu finden.

"Na ja... ich will sowieso gleich wieder rein gehen und mir die anderen Kämpfe ansehen. Wir sehen uns später."

"OK. Bis dann."

Aki begleitete seine Worte mit einem entschuldigenden Lächeln. Yamato, der bereits wieder an der Tür stand, erwiderte das Lächeln, wartete noch einen Augenblick und ging dann. Yuki hatte es vorgezogen zu schweigen.

"Was sollte denn das schon wieder?"

"Ich mag diesen Knirps nicht."

"Er ist nicht viel jünger als wir und sehr freundlich. Reiß dich bitte ein bisschen zusammen."

Im weiteren Verlauf des Tages sprachen sie kaum miteinander.
 

Wie nicht anders zu erwarten, gewann Aki auch seinen nächsten Kampf. Sobald dieser zu ende war, ging er jedoch in den Umkleideraum zurück. Yuki war diesmal gleich dort geblieben und hatte auf ihn gewartet. Yamato kämpfte wieder direkt nach dem Halbjapaner und auch er gewann seine nächste Runde, sodass sie später mit Sicherheit aufeinander treffen würden, worüber sich besonders der Jüngere sehr freute. Auch Aki war froh, dass er sein Gegner war, warum wusste er allerdings nicht so genau. Wahrscheinlich, weil Yamato sich so freute. Er rechnete zwar damit, dass der Junge mehr zu bieten hatte als seine bisherigen Gegner, aber als ernsthafte Gefahr stufte er ihn nicht ein. Und damit hatte Aki auch Recht behalten, als es schließlich 14.00 Uhr war. Er hatte wieder alle drei Runden für sich entscheiden können und diesmal musste er sogar gelegentlich aufpassen, dass sein Gegner keinen Treffer landete, aber er war trotz allem um Weiten besser als der Japaner. Der Einzige, der ihm bisher ebenbürtig, vielleicht sogar leicht überlegen war, seit er in Japan angekommen war, war Makoto. Aber an diesen wollte er heute nicht denken. Er würde nur wieder in Grübelei verfallen. Wenn er sich jedoch Yamato ansah, konnte er unmöglich Trübsal blasen. Obwohl dieser verloren hatte, schien er sehr glücklich zu sein, dass er es überhaupt so weit geschafft hatte und letztendlich gegen Aki antreten durfte. Als sie sich wieder auf den Weg in den Umkleideraum machten, sah Aki zwischen den ganzen Menschen, die sich in den Gängen zusammendrängten auch Haruko, die ihm mit einigen Gesten andeutete, dass sie draußen wartet. Die Motorradfahrer waren sicherlich bei ihr. Also zog der Halbjapaner sich schnell um und setzte seinen Helm auf. Yuki trug zur Sicherheit dessen Tasche. Doch anscheinend brauchten sie sich keine Sorgen zu machen, dass man sie entdecken würde. Die Motorradfahrer schienen sich gerade bunt mit den restlichen Leuten zu mischen, als wollten sie sich vordrängeln, um auch noch ein Stück hinein zu gelangen. Durch ihr kleines Gerangel hatten sie alle Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, sodass Aki und Yuki sich prima dazugesellen konnten und dann die ,Gefahrenzone' verließen.
 

Als sie wieder zu Hause waren, wurde Yuki endlich wieder offener.

"Das war vielleicht eine Aktion! Und das machen wir jetzt die ganze Woche."

"Hoffentlich kommen die Reporter nicht dahinter. Aber jetzt ist mir das erstmal egal. Morgen steht eh kein Kampf für mich an. Ich bin froh, wenn das vorbei ist und ich mich nicht mehr stundenlang in diesem Raum verstecken muss."

"Du kannst ja auch einfach die Interviews geben, die sie wollen und Schluss."

Aki warf ihm einen bösen Blick zu.

"Schon gut, war nur ein Witz."

Yuki legte wieder sein schelmisches Grinsen auf, was Aki jedes Mal dazu veranlasste, mitzulachen.

Nachdem er sich eine heiße Dusche gegönnt hatte, nahm Aki sich ein Buch, das er sich vor kurzem von Haruko ausgeliehen hatte und verzog sich in das Schlafzimmer, während Yuki seine Arbeit für die Uni fortsetzte. Diese Hausarbeit war der Preis dafür, dass das Studium ausfiel, doch dafür konnte man ihn allemal in Kauf nehmen.
 

Den nächsten Tag nutzen Yuki und Aki, um mal wieder etwas zu unternehmen. Sie fuhren den halben Tag in der Gegend herum, abends waren sie im Kino. Das letzte Vorhaben hatte sich allerdings schon bald als Fehler herausgestellt, denn obwohl sie ziemlich weit weg von Osaka waren, kannte man auch hier bereits Akis Gesicht, sodass der Halbjapaner nach dem Film eine halbe Stunde mit Liebeserklärungen und Geschenken von den Mädchen aus der Gegend zu kämpfen hatte. Jede versuchte ihn irgendwie zu einem Date zu überreden, einige waren sogar richtig hartnäckig und allein wäre der Halbjapaner sicherlich an diesem Ansturm verzweifelt, doch irgendwann wurde es Yuki zu viel und er zerrte Aki einfach mit der Begründung, er müsse jetzt nach Hause und brauche Ruhe, um sich auf die bevorstehenden Kämpfe zu konzentrieren, zum Motorrad und fuhr auf dem schnellsten Weg wieder nach Osaka.
 

"Nirgends hat man seine Ruhe", schimpfte Aki halblaut vor sich hin. Yuki seufzte betrübt.

"Ja. Echt schrecklich. Wenn ich das so sehe, kann es ja kaum noch schlimmer werden."

"Sicher? Wenn ich es bis in die Endausscheidungen schaffe, werden die sich doch alle bestätigt fühlen in ihrem Getue und mich Tag und Nacht beschatten. Es wundert mich, dass sie noch nicht an unserer Wohnung Wache halten."

Er schüttelte resignierend mit dem Kopf.

Diesmal ging Aki recht früh schlafen, obwohl er wusste, dass viel zu viele Gedanken in seinem Kopf herumwirbelten, um ihn ins Land der Träume entgleiten zu lassen. Aber er wollte auch nicht herumsitzen und vor sich hin brüten. Er wusste, dass Yuki sich sonst wieder Sorgen gemacht hätte und wollte ihm zumindest dies ersparen. Seit er in Japan angekommen war, hatte der Japaner alles getan, um ihn eine schöne Zeit zu ermöglichen. Er war immer für ihn da, wenn er Hilfe brauchte, egal, welcher Art sie war. Aki spürte deshalb auch immer leichte Schuldgefühle in sich aufkommen, wenn Yuki ein besorgtes Gesicht machte oder wegen irgendwas sauer war. Er wollte dem Japaner einfach nicht so sehr zur Last fallen.

Mit solchen und ähnlichen Gedanken schlief Aki irgendwann spät in der Nacht ein.
 

Der Donnerstag verlief nicht viel anders als der Dienstag, abgesehen davon, dass er diesmal nur fünf Stunden in der Turnhalle verbringen musste und in dieser Zeit fünf Kämpfe zu absolvieren hatte, die er ebenfalls ohne Schwierigkeiten meisterte. Erneut erwarteten ihn die Schreie hunderter Mädchen, die nur gekommen waren, um ihn kämpfen zu sehen und erneut verwandten elf Leute ihre Zeit und Energie darauf, ihn vor den Kameras und Mikros der Reporter zu retten, die diesmal um einiges hartnäckiger waren als vor zwei Tagen.

Am Freitag fand schließlich der Endausscheid statt. Acht Kämpfer waren aus den Vorrunden übrig geblieben - einer von ihnen Aki. Sein erster Kampf begann 9.00 Uhr, da er wieder in der vierten Gruppe startete. Wie nicht anders zu erwarten, schaffte er es ins Halbfinale und schließlich auch ins Finale, wo er seiner bisher ernsthaftesten Konkurrenz gegenüberstand. Sein Gegner konnte seine Bewegungen gut auf das Shinai übertragen, weshalb er auch ziemlich schnell und sicher kontern konnte. Trotz allem Bemühen des Japaners konnte er es mit Akis Technik nicht aufnehmen und belegte nur den zweiten Platz. Das schien er Aki sehr zu verübeln, denn anstatt sich ordnungsgemäß zu verabschieden, starrte er ihn nur aus hasserfüllten Augen an und verließ ohne ein weiteres Wort die Halle. Aki lief bei dieser Feindseligkeit ein kalter Schauer über den Rücken. Er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass ihm nicht jeder freundlich gesinnt war, aber solch unverhohlene Feindseligkeit hatte er noch nie erlebt. Außer einmal. Makoto hatte sich während der Trainingszeit in Kioto nicht anders verhalten. Er hegte zwar keinen Groll gegen Makoto, doch jedes Mal, wenn er an ihn dachte, beschlich ihn diese unangenehme Ehrfurcht und er hoffte, ihm niemals wieder begegnen zu müssen.

Der immer lauter werdende Tumult und die aufblitzenden Kameras rissen Aki aus seinen Gedanken. Ehe er sich versah, befand er sich inmitten eines rasant enger werdenden Kreises von Reportern, die alle danach strebten, die besten Bilder des Finalisten aus Osaka mit ihren Kameras einzufangen. Obwohl er wusste, dass er kaum eine Chance gegen diesen Ansturm hatte, versuchte Aki, mit aller Kraft dagegen anzukämpfen. Hätte er nicht Hilfe von dem Schiedsrichter und rund einem Dutzend Sicherheitskräften bekommen, wäre er wohl in dieser Hölle erstickt. So gelang es ihm jedoch, in den schützenden Umkleideraum zu flüchten. Dort begegnete er jedoch erneut seinem letzten Kontrahenten. Dieser starrte erhaben auf ihn herab, als wäre Aki nichts weiter als eines seiner Spielzeuge, dass verzweifelt versucht, sich gegen ihn zu erheben.

"Wart's nur ab. Du kommst in diesem Turnier nicht mehr weit... Ausländer."

Mit einem letzten vernichtenden Blick war er an dem wie festgewurzelten Halbjapaner vorbei gegangen und verschwunden. Akis Gesicht war kreidebleich durch den Gedanken, dass sich etwas so unheilvolles anzubahnen schien. Er konnte sich nicht vorstellen, was das sein sollte, und wahrscheinlich war es genau das, was er fürchtete. Er würde es verkraften, wenn man sich an ihm - und zwar nur an ihm - für diese Niederlage rächen wollte. Aber was, wenn man seine Freunde mit hineinzog...?

Erst als er fast gewaltsam in den Umkleideraum gezogen wurde, kehrte Aki in die Realität zurück. Wie aus einem Reflex heraus wollte er sich aus dem Griff des ,Angreifers' befreien und nach dessen Handgelenken greifen, als er das Gesicht seines Gegenüber erkannte und sich nur einen Augenblick später in den Armen desjenigen lag. Allmählich entspannte sich der Halbjapaner wieder und atmete hörbar aus.

"...Danke."

"Mach dir keine Sorgen. Egal, was geschieht, ich bin immer für dich da."

"Ich weiß. Was würde ich nur ohne dich tun, Yuki?"

Zärtlich streichelte der Japaner über das seidige Haar seines Freundes. Aki war vollkommen bewusst, dass man es durchaus missverstehen könnte, würde jetzt jemand den Raum betreten, doch er wollte Yuki nicht loslassen. Er brauchte ihn einfach. Die Nähe seines Freundes gab ihm das Gefühl, nicht allein zu sein und half ihm, seine aufgewühlten Gedanken zu ordnen. Und er spürte, dass es einen Ort für ihn gab, an den er hingehörte.

Wahrscheinlich hätten sie ewig dort gestanden, hätte Yuki sich nicht irgendwann überwunden, seinen Freund loszulassen.

"Du musst gleich raus. Die Siegerehrung fängt bestimmt bald an."

Es tat dem Japaner unheimlich weh, Aki in diesem Moment loszulassen, und er hatte Mühe, das Zittern in seiner Stimme zu verbergen. Aki sah kurz auf die Uhr. Sie hatten sich über zehn Minuten in den Armen gehalten. Eben war es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen; jetzt wie ein winziger Augenblick.

Der Halbjapaner nickte zustimmend. Auch ihm fiel es schwer, sich jetzt von Yuki zu trennen. Was war bloß mit ihm geschehen? Warum tat sein Herz so weh...?

Er versuchte diese Gedanken abzuschütteln und zwang sich zu einem Lächeln.

"Ich bin gleich wieder da. Wartest du hier?"

"Ja."

Er erwiderte das sanfte Lächeln und sah Aki nach, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte und damit aus seinem Blickfeld verschwunden war. Dann ließ er sich erschöpft auf die Bank hinter sich sinken, sein Gesicht in den Händen vergrabend.

Einige Minuten später kam Aki zurück. Er setzte sich neben Yuki und begann, seine Sachen zusammenzupacken.

"Das war's für heute. Am Besten wir beeilen uns und verschwinden, bevor der Sicherheitsdienst die Reporter nicht mehr zurückhalten kann."

Yuki nickte zustimmend.

"Gut. Ich habe schon überlegt, wie wir heute hier wegkommen. Haru-chan meinte, sie würden es nicht vor 15.00 Uhr schaffen, uns abzuholen. Außerdem bezweifle ich, dass das noch ein Mal funktionieren würde. Heute Morgen hätten sie uns ja fast erkannt."

"Deshalb will ich so schnell wie möglich weg."

In weniger als fünf Minuten hatte sich Aki umgezogen und war mit Yuki zu dessen Motorrad am Hintereingang der Turnhalle gegangen. Als sie gerade losfahren wollten, entdeckte sie doch noch ein umherstreunender Reporter, doch er hatte keine Chance mehr, sie einzuholen. Erleichtert atmete Aki auf. Jetzt hatte er erstmal Ruhe. Wenn auch nur zwei Tage. Am Montag fing die eigentliche Meisterschaft in Tokio an, Sonntagabend würde ihn ein Kleinbus abholen, der ihn hinbringt. Es stand Aki frei, eine Begleitperson mitzunehmen und natürlich stand für ihn längst fest, wer das sein würde.
 

Zurück in ihrer Wohnung erzählte Aki seinem Freund vom weiteren Verlauf der Meisterschaft. Wie er es erwartet hatte, freute sich Yuki sehr darüber, dass er ihn bei den folgenden Kämpfen dabei haben wollte. Es gab dem Japaner Hoffnung, dass er eine Chance hatte, Akis Herz für sich zu gewinnen. Und diese Chance wollte er nutzen; ganz gleich, wie diese aussehen mochte oder wie lange er noch darauf warten müsste. Er hatte nicht vor aufzugeben.

Jetzt wollte der Halbjapaner sich jedoch von der vergangenen Woche erholen, damit er gestärkt in die Hauptstadt fahren konnte.
 

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Das war's erstmal. Hoffe, es hat euch gefallen. Ich weiß nicht... irgendwie hab ich mich hier ziemlich durchgewürgt. Ich mag das Kapitel nicht *seufz*. Seid bitte etwas nachsichtig mit mir. Ich weiß auch nicht, was los war.

Jetzt fällt mir nichts mehr ein... an dieser Stelle verabschiede ich mich wieder! Bis bald!
 

@ Doro-chan stimmt schon, Akis Handeln wirkt recht naiv und auch etwas unreell, aber wenn ich es allzu sehr ausweite, hab ich Angst, dass ich den Überblick verliere und mich in Gebiete vorwage, in denen ich mich nicht auskenne. Dann würde es garantiert irgendwann passieren, dass ich mich in Widersprüchen verstricke. Deshalb habe ich diese Oberflächlichkeit in Kauf genommen.

Die Meisterschaft, Teil2

Ja - ich habe es tatsächlich geschafft, das neue Kappi hochzuladen! OK, soooo neu ist es jetzt nicht mehr. Ann-chan *knuddel* hat mir das korrigierte Kapitel schon vor ein paar Monaten zurückgegeben, aber ich wollte mit dem Hochladen noch warten, weil ich

1. auf weitere Kommis gehofft hab (oder wenigstens einen weiteren)

2. Zeit rausholen wollte, um an der Story weiterzuschreiben. Das hab ich dann aber irgendwie doch nicht auf die Reihe bekommen, weil ich voll die Schreibblockade hatte. Sie klingt jetzt so langsam wieder ab (zum Glück). Also falls ich in der Zwischenzeit nicht alle Leser verloren hab, dann wünsche ich den verbliebenen viel Spaß!
 

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Die Meisterschaft (Teil 2)
 

Je weiter sich der Tag seinem Ende zuneigte, desto besser fühlte Aki sich. Seine Gedanken drehten sich kaum noch um das folgende Finale, sondern fast ausschließlich um die Frage, wie er seine Freizeit wohl am sinnvollsten nutzen könnte. Er hatte nicht vor, irgendetwas besonders Aufregendes zu unternehmen (wahrscheinlich wimmelte es in der Gegend noch immer von Fans und Reportern), aber er hatte auch keine Lust, das ganze Wochenende nur herumzugammeln und fern zu sehen. So stand der Halbjapaner geistesabwesend vor der Spüle und wusch das Geschirr ab, bis Yuki gelangweilt zur Tür hereingeschlendert kam.

"Wollen wir nicht irgendwas Interessanteres machen? Ist doch doof, wenn wir das ganze Wochenende nur herumsitzen."

Aki musste Grinsen. Von dieser Reaktion leicht irritiert hob Yuki eine Augenbraue.

"Was denn? Schon eine Idee?"

"Nein, aber genau das habe ich mir auch gerade gedacht."

Es entstand ein langes Schweigen. Schließlich war Aki fertig mit dem Abwasch, ließ das Wasser aus dem Becken und ging zurück ins Wohnzimmer, gefolgt von seinem Freund. Er kam jedoch nicht an seinem Ziel an, denn ein Klopfen an der Tür ließ ihn seinen Kurs ändern.

Es hätte dem jungen Halbjapaner nicht mehr die Sprache verschlagen können, hätte ein Haufen von Reportern vor der Tür sein Lager aufgeschlagen oder Makoto ihm einen Besuch abgestattet. Nie im Leben hätte Aki sich träumen lassen, diese Person vor sich zu sehen: Ein stattlicher Japaner, knapp 1,90m groß und sehr muskulös. Hätte Aki nicht sicher gewusst, wie alt dieser Mann ist, er hätte ihn für weit jünger als 46 Jahre geschätzt. Der Mann hatte kurzes, gepflegtes Haar, trug einen eleganten Kimono und hielt einen Rucksack in der linken Hand, welcher auf einen längeren Aufenthalt hindeutete. Seine rechte Hand... umfasste ein Holzschwert, dass gerade mit hoher Geschwindigkeit auf Akis Kopf zugesaust kam! Hätte Aki eine Sekunde später reagiert und den Angriff nicht mit dem rechten Handrücken pariert, wäre die Waffe mit voller Geschwindigkeit auf ihn niedergesaust. Doch auch der Angreifer bewies Reaktionsschnelle. Kaum dass das Schwert die Hand des Verteidigers gestreift hatte, änderte es seinen Kurs und verpasste ihm einen harten Schlag gegen die Seite. Nach Luft ringend taumelte Aki zur Seite und bekam gerade noch mit, wie ein Schatten an ihm vorbeigesaust kam und auf dem Fremden losging.

"Y...Yuki, nicht!"

Doch es war längst zu spät. Der Fremde wich dem kommenden Schlag mit einer sanften Drehung aus, fing Yukis Faust ab und drehte ihm den Arm auf den Rücken, wobei er ihn hart gegen die Wand stieß. Aki, der sich von dem Schlag und dem anfänglichen Schreck erholt hatte, rappelte sich vollends auf und trat der Person gegenüber.

"Bitte lassen sie ihn los, Sempai."

Der Angesprochene kam der Bitte nach und nahm wieder dieselbe Haltung ein, in der Aki ihn gleich nach dem Öffnen der Tür gesehen hatte. Yuki drehte sich ungläubig zu seinem Freund, dann zu dem Fremden, während er vorsichtig sein Handgelenk massierte.

"Sempai, wieso sind Sie hier?"

Der Japaner schüttelte ärgerlich den Kopf.

"Erst verschwindest du ohne mir zu erzählen, wo genau du hin willst, dann sagst du kein Sterbenswörtchen davon, dass du an der Meisterschaft teilnimmst und jetzt bekomme ich auch noch mit, dass du dein Training vernachlässigt hast. Ich will nicht wissen, was noch alles gekommen wäre, wenn ich jetzt nicht hier wäre. Junge, habe ich dir all das beigebracht!?"

Leicht beschämt ließ Aki den Kopf sinken und antwortete dann leise.

"Nein, Sempai."

"Dann hoffe ich, dass sich deine Disziplin ab sofort wieder ändert."

"Ja, Sempai."

"Gut. Zieh dich um und folge mir. Du hast viel nachzuholen."

Aki traute seinen Ohren kaum. Er hatte doch nicht wirklich vor...? Nein, das kann er nicht so gemeint haben.

"...Wie bitte?"

"Du hast mich schon verstanden. Es sind noch zwei Tage, bis du nach Tokio fährst. Das ist genug Zeit, um dich wieder an das Training zu gewöhnen."

Jetzt unterbrach Yuki das Gespräch. Erst tauchte ein fremder Mann vor seiner Tür auf, der erst seinen Freund angriff, anschließend ihn außer Gefecht setzte, sich dann als der Meister Akis herausstellte und nun wollte dieser den Halbjapaner Hals über Kopf irgendwo hinschleppen, um ihn zwei Tage vor Beginn seiner wichtigen Wettkämpfe bis zur Erschöpfung trainieren zu lassen. So konnte es nicht gehen!

"Vielleicht sollten wir alle erstmal hineingehen, uns hinsetzen und alles in Ruhe besprechen."

Obwohl er seine Worte so freundlich wie möglich gewählt hatte, erntete Yuki für seine Unterbrechung einen abwertenden Blick Seitens des Schwertmeisters. Aki war dafür umso dankbarer für die kurze Pause.

"Ja, das denke ich auch. Sempai, Sie waren so lange unterwegs. Setzen Sie sich kurz. Hier und jetzt können wir eh nichts erreichen."

Er unterzog Aki einem prüfenden Blick, während er die Situation und sein Vorhaben einzuschätzen versuchte. Schließlich nickte er leicht.

"Nun gut. Aber denke ja nicht, dass du dich vor dem Training drücken kannst, Aki."
 

Aki und sein Meister saßen schweigend an dem flachen Tisch im Wohnzimmer und warteten darauf, dass Yuki den frisch aufgebrühten grünen Tee einschenkte. Als alle Platz genommen hatten, ergriff Yuki das Wort.

"Was genau führt Sie eigentlich nach Japan, Hikawa-San?"

"Ich wollte lediglich nach meinem Schüler sehen. Immerhin hat er sich seit fast zwei Monaten nicht mehr bei mir gemeldet..."

Er untermauerte seine Worte mit einem vorwurfsvollen Blick.

"...Außerdem kenne ich ihn nun lange genug, um zu wissen, wie ernst er sein Training nimmt, wenn ich nicht auf ihn aufpasse. Aki hat Talent; das habe ich gleich gemerkt, als ich anfing, ihn zu trainieren, aber Talent allein reicht nicht, um ein guter Schwertkämpfer zu werden. Ich möchte nicht, dass er seine Möglichkeiten verstreichen lässt, deshalb werde ich eine Weile in Japan bleiben und ihn ein wenig fordern."

Leichte Schuldgefühle überkamen den jungen Halbjapaner. Nur seinetwegen hatte sein Meister den weiten Weg bis nach Japan zurückgelegt. Weil er an ihn glaubte. Deshalb hatte er ihn all die Jahre als seinen Schüler behalten. Aki erinnerte sich an die vielen Jungen und Mädchen, die als seine Schüler aufgenommen werden wollten, doch er hatte alle nach der ersten Unterrichtsstunde abgewiesen. Wirklich alle - bis auf ihn. Und wie dankte er ihm das? Indem er das Training vernachlässigte, kaum dass er mehr als eine Ortschaft von seinem Sempai getrennt war.

Als Yuki seinen Freund ansah, bemerkte er dessen Unwohlsein und wechselte schnell das Thema.

"Wohnen Sie in der Nähe?"

"Ich werde mich bemühen, eine Wohnung in der Gegend zu bekommen. Im Moment wohne ich allerdings nirgends."

Aki spürte den Blick seines Freundes auf sich ruhen. Als er diesen erwiderte, erkannte er, dass der Japaner genau dasselbe dachte wie er und nickte ihm kaum merklich zu. Dann wandten sich beide wieder dem Schwertmeister zu und Yuki unterbrachte ihm einen Vorschlag:

"Sie können gern hier wohnen, wenn Sie möchten. Platz ist genug."

"Nein, das ist nicht nötig. Geld habe ich genug, da wird es kein Problem sein, eine eigene Wohnung zu finden."

"Seien Sie sich da nicht so sicher. Diese Gegend ist sehr dicht besiedelt. Ein paar Kilometer weiter könnten Sie Erfolg haben, aber hier sicher nicht."

Er schwieg einen Moment, als überlege er, mit welchem Argument er Yukis Vorschlag entkräften könnte. Doch bevor er etwas erwidern konnte, meldete sich Aki zu Wort.

"Es sind doch eh nur noch zwei Tage bis zur Meisterschaft. Da können Sie auch hier bleiben. Außerdem: Hatten Sie es nicht eben noch sehr eilig, mich zu trainieren? So dringend scheint es ja doch nicht zu sein, wenn Sie sich vorher noch die Zeit nehmen wollen, in Tokio nach einer Bleibe zu suchen."

Dieses Argument schien ihn zu überzeugen. Allerdings mit enormeren Folgen, als Aki es sich gedacht hatte.

"Ja. Du hast Recht Aki. Wir dürfen keinesfalls Zeit wegen einer unbedeutenden Wohnungssuche verlieren. Zieh dich gleich um und komm. Es wird Zeit, dass wir endlich mit dem Training anfangen."

Eigentor.

Aki erschrak innerlich bei den Worten seines Meisters, aber er versuchte gar nicht erst zu widersprechen. Er wusste, dass dieser jetzt keine Ausreden oder Hinauszögerungen dulden würde. Hilfesuchend wandte er sich an Yuki, doch dieser war zu sehr damit beschäftigt, sein Grinsen zu unterdrücken, als dass er ihm hätte helfen können. Somit stand Aki vom Tisch auf, warf im Vorbeigehen noch einen bösen Blick in Yukis Richtung und war im Schlafzimmer verschwunden.

Kurz darauf stand er in Jeans und Jacke, über der Schulter seinen Rucksack haltend, wieder im Eingangsbereich und verließ zusammen mit seinem Meister die Wohnung. Sie gingen in eine öffentliche Trainingshalle in der Nähe der Universität, welche gerade leer war, sodass sie ungestört trainieren konnten. Nachdem Aki 30 Minuten durch die Halle rennen und diverse Hindernisse überwinden musste, folgten 100 Liegestütze und 30 Klimmzüge. Dann folgten Präzisionsübungen zum Schulen der Reflexe und schließlich - eine Stunde später, nahmen beide ihre Shinai zur Hand und trugen den seit Langem ersten Kampf gegeneinander aus. Verschlechtert hatte sich Aki nicht, wie er mit Erleichterung feststellte, doch er hatte auch kaum Fortschritte gemacht. Und er musste sich erst wieder an das ständige Genörgel seines Meisters während des Schlagabtauschs gewöhnen:

"Schlaf nicht ein beim Parieren!", "Du schwingst dein Schwert wie einen Besen!", "Bist du blind!? Wo zielst du denn hin?" ...

So ging es bis spät in die Nacht hinein.
 

Yuki lief zum wiederholten Mal vom Wohnzimmer in die Küche, in das Schlafzimmer, zurück ins Wohnzimmer, sah dann aus dem Fenster, anschließend auf die Uhr, seufzte und begann seine Runde von Neuem. Er hätte erwartet, seinen Freund drei, höchstens vier Stunden später wieder zu sehen, doch nun war es bereits sechs Stunden her, seit dieser mit seinem Meister die Wohnung verlassen und nichts mehr von sich hören gelassen hatte.

Sie konnten doch nicht die ganze Zeit trainieren? Kein Mensch würde das aushalten!

Genau in diesem Moment öffnete sich leise die Tür. Mit einem Satz stand Yuki davor, um die Kommenden zu empfangen, doch als er seinen Freund erblickte, verschlug es ihm die Sprache. Dieser stolperte schweißgebadet und schwer keuchend aus seinen Schuhen und wäre um ein Haar vornüber gefallen, hätte Yuki ihn nicht gehalten. Mit einem leise gehauchten ,Danke' rappelte sich der Halbjapaner wieder auf und torkelte geradewegs ins Bad. Geschockt starrte ihm der Japaner nach, bis eine Bewegung im Augenwinkel vernahm und sich zu Akis Meister umdrehte. Dieser trug ebenfalls ein paar vereinzelte Schweißperlen auf der Stirn, doch ansonsten deutete nichts darauf hin, dass er gerade sechs Stunden gekämpft hatte. Sein Atem war ruhig und regelmäßig und seine Augen blickten sich hellwach um, während er aus seinen Schuhen stieg und leise die Wohnung betritt.

"Was haben Sie mit ihm gemacht!?"

"Das sagte ich doch schon bevor wir losgingen: Trainieren."

"DAS nennen Sie TRAINING!? Sie haben ihn halb umgebracht!"

"Aki ist zäh. So was hält er aus. Zugegeben, als ich ihn regelmäßig unterrichtet hatte, war er anschließend nicht so erschöpft. Seine Ausdauer hat nachgelassen, aber das bekommen wir schon wieder hin."

"Sie haben nicht wirklich vor, ihn morgen derselben Tourtour zu unterziehen!?"

Den leicht drohenden Unterton in Yukis Stimme ignorierte Hikawa. Was hätte der ,Junge' auch dagegen ausrichten können?

"Ich schätze, in einer Woche wird seine Ausdauer wieder so sein wie vor einem halben Jahr. Er muss sich nur ein wenig anstrengen."

"Oh nein! Falls Sie es vergessen haben: Aki ist auch nur ein Mensch, und Menschen haben bekanntlich Grenzen. Außerdem fängt die Meisterschaft übermorgen an. Wie soll er denn richtig kämpfen, wenn Sie ihn zuvor so fertig machen?"

"Ich habe ihn zehn Jahre lang trainiert und ich denke, ich weiß besser als du, was mein Schüler kann und was nicht."

Yuki wollte bereits wieder etwas entgegnen, doch der Blick, den Hikawa dem jungen Japaner entgegenschleuderte, machte unmissverständlich klar, dass das Gespräch beendet war und jede Weiterführung Folgen mit sich brachte. Wie diese aussahen, wollte Yuki lieber nicht wissen.

Wer kam auf die bescheuerte Idee, diesem Tyrannen hier, in Akis und seiner Wohnung, Unterkunft zu gewähren; schlimmer noch: ANZUBIETEN!?

Hätte Yuki eher gewusst, was da auf ihn zukommen würde, hätte er sich eher erschlagen, als diese Frage zu stellen. Doch nun musste er da durch. Oder besser: Aki musste da durch. Und das tat ihm noch viel mehr weh, als selber solch ein Monstertraining absolvieren zu müssen.

Hikawa hatte mittlerweile seine Sachen zusammengesammelt und warf sie auf das Sofa, welches Yuki seit Akis Ankunft als Bett gedient hatte. Das erinnerte Yuki an die bevorstehende Nacht und das Gespräch vom Nachmittag klang in seinem Kopf wider.
 

*~*

"...nur Gast und werde keinesfalls in deinem Bett schlafen."

Dies waren die Worte, die Aki aufgeschnappt hatte, nachdem er sich umgezogen und aus dem Schlafzimmer gekommen war.

"Worum geht es?"

Yuki wollte gerade antworten, doch Akis Meister, Hikawa, schnitt ihm das Wort ab.

"Dein Freund meint, ich solle im Bett schlafen, solange ich hier wohne. Das kommt auf keinen Fall in Frage."

"Von mir aus.... Sie scheinen es ja nicht zu verstehen, wenn man es gut mit Ihnen meint."

"Ich verstehe nicht, warum du es dir so schwer machst. Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nicht im Bett fremder Menschen schlafe, aber du musst ja so stur sein."

"Gib es lieber auf, Yuki. Wenn Hikawa-Sempai sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann kann ihn selbst der Tod nicht mehr umstimmen. Außerdem ist dein Bett bei Weitem groß genug für uns beide. Ich versteh nicht, warum du dich jede Nacht auf diese enge Couch zwängst."

,Ja, warum wohl?', dachte Yuki sarkastisch, ,Vielleicht, weil ich auch meinen Schlaf brauche? Oder denkst du, es würde mich kalt lassen, die gesamte Nacht direkt neben dir zu verbringen, wenn ich schon tagsüber genug mit mir zu kämpfen habe, dass ich mich nicht einfach auf dich stürze und dich küsse?'

Doch Yuki wusste, dass er verloren hatte. Akis Meister war schon stur genug und er bezweifelte, dass er irgendetwas gegen seinen Willen ausrichten könnte, doch wenn Aki derselben Meinung war.... Die Nacht konnte lustig werden!

"...Na gut. Wenn ihr meint."

Ohne zu ahnen, was in Yukis Kopf vorging, schenkte Aki ihm ein dankbares Lächeln. Er war froh, dass Yuki so schnell eingewilligt und damit mögliche Schwierigkeiten im Keim erstickt hatte. Gerade wollte er noch etwas sagen, als ihm sein Meister das Wort abschnitt.

"Da nun alles geklärt ist, können wir ja gehen. Beeil dich, Aki."

Im nächsten Moment hatte er die Tür geöffnet und seinen Schüler hinausgeschoben. Dem Halbjapaner blieb gerade noch Zeit, seinem Freund ein hastiges ,Bis später' zuzurufen, dann fiel die Tür ins Schloss. Yuki seufzte schwer und ließ sich auf den kühlen Boden sinken, das Gesicht in den Händen verbergend.

Es war Freitag... Sonntag würde der Bus kommen. Zwei Nächte also... zwei Nächte musste er nun direkt neben Aki schlafen. Oder besser: Neben Besagtem liegen und sämtliche Willenskraft zusammennehmen, um nicht die Kontrolle über sich zu verlieren. Den fehlenden Schlaf würde er dann tagsüber nachholen, wenn er allein zu Hause war.

,Viel Spaß, Yuki!', dachte er sarkastisch.

*~*
 

Yuki biss sich auf die Zunge, um das aufkommende Stöhnen zu unterdrücken. In diesem Moment drehte sich Hikawa zu ihm um und sah ihn durchdringend an. Wie ertappt fuhr Student leicht zusammen. Ob er ihn bereits durchschaut hatte? Zuzutrauen wäre es dem Schwertmeister. Sein klarer Blick schien alles zu bemerken, und sei es nur ein leichter Windhauch.

"Warum bist du noch wach? Du siehst müde aus."

"Ich habe ja nicht ahnen können, dass ihr so spät wieder kommt. Also wollte ich auf euch warten."

"Warte morgen besser nicht auf uns. Es wird mit Sicherheit wieder so spät."

Yuki wollte bereits wieder demonstrieren, doch bevor er auch nur Luft holen konnte, durchbohrte ihn ein drohender Blick seines Gesprächspartners, und da er mittlerweile verstanden hatte, das jede Diskussion mit diesem Menschen sinnlos war, gab er es von vornherein auf. Außerdem war er wirklich müde und hatte nicht mehr die Kraft, sich gegen Akis Meister aufzulehnen. Also verließ er das Wohnzimmer und wartete darauf, dass Aki aus dem Bad kam. Yuki wollte seinen Freund keinesfalls verpassen, weshalb er noch nicht duschen gehen konnte.

Als Aki das Schlafzimmer betrat, sah er wesentlich besser aus als eine viertel Stunde zuvor. Zwar stand ihm die Erschöpfung und Müdigkeit noch immer ins Gesicht geschrieben, doch zumindest drohte er nicht mehr jeden Moment zusammenzubrechen. Normalerweise wäre Yuki jetzt ein enormes Gewicht von den Schultern gefallen, doch die Tatsache, dass der Halbjapaner mit nicht mehr als seinen engen Shorts bekleidet das Zimmer betrat und sich so ins Bett legte, verstärkte die Anspannung des Japaners eher noch.

"Willst du nicht schlafen, Yuki?", nuschelte Aki, während er sich die Decke bis über das Gesicht zog.

"...Muss noch duschen."

Der Japaner hatte alle Mühe, seine Selbstbeherrschung zu halten, und er war froh, dass Aki bereits am Einschlafen war, sodass er seine gepresste Antwort wohl nur noch am Rande wahrgenommen hat.

"...Hn... Nacht..."
 

Nach einer kalten Dusche kehrte Yuki leise in sein Schlafzimmer zurück. An Akis Atmung erkannte er, dass dieser bereits eingeschlafen war. Wenigstens etwas Positives. Vorsichtig legte sich der Japaner dazu, immer darauf bedacht, seinen Freund nicht zu wecken und auf jeden Fall so weit wie möglich von diesem entfernt zu liegen. Dies hatte natürlich zur Folge, dass er unheimlich aufpassen musste, um nicht aus dem Bett zu fallen.

,So wird mir wenigstens nicht langweilig.'

Ein bitteres Lächeln umspielte Yukis Lippen.

,Und schlimmer kann es auch nicht mehr werden.'

Bereits im nächsten Moment sollte er allerdings eines Besseren belehrt werden, als zwei Arme seinen Körper umfassten und ihn sanft ein Stück in die Mitte zogen. Yuki zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.

"Aki, was soll das?"

Doch er bekam keine Antwort. Stattdessen spürte nun auch schwach die Züge eines Gesichtes in seinem Nacken und den Oberkörper seines Freundes an seinem Rücken. Außerdem streifte etwas Hauchdünnes, Kühles seinen Nacken: Die Kette, die er dem Halbjapaner vor zehn Jahren geschenkt hatte. Ein leichter Schwindel befiel den Japaner. Zumindest hatte er sich ein T-Shirt übergezogen, bevor er sich hingelegt hatte. Auch wenn dies nicht so sehr half, wie er sich erhofft hatte.

"Aki... l....lass mich bitte los...", versuchte er es noch einmal. Jetzt schaffte er es nicht mehr, das Zittern zu unterdrücken. Und nicht nur seine Stimme geriet langsam außer Kontrolle. Die Hitze, die sein Körper plötzlich ausstrahlte, ließ sein Herz noch etwas schneller schlagen und er fühlte sich, als wäre er gerade tausende von Kilometern gelaufen; seine Brust war wie zugeschnürt. Von all dem bekam der Auslöser dieser Welle von Gefühlen jedoch nichts mit. Aki schlief seelenruhig weiter und flüsterte ein paar kaum verständliche Worte in Yukis Nacken.

"... love you..."

Yuki versuchte, sich unter Kontrolle zu bringen und lauschte, ob Aki noch irgendetwas sagen würde.

Was hatte er gerade gesagt? Yuki hatte es nicht verstanden. War es überhaupt japanisch? Es klang irgendwie nach einem seltsamen Akzent. Vielleicht englisch? Yuki wollte diese Sprache einst lernen, um irgendwann nach England fahren zu können und Aki zu suchen. Doch sein Vater hatte nicht geduldet, dass er neben dem Training noch andere Freizeitbeschäftigungen hatte, also musste er bereits nach einer Woche wieder aufhören.

Yuki hätte gern gewusst, was sein Freund gerade gesagt hatte. Er spürte, dass es etwas Wichtiges war, doch er hatte nicht die leiseste Ahnung, was Akis Worte bedeuten konnten.
 

Kaum dass es zu dämmern begann, hörte Yuki, wie sich leise seine Zimmertür öffnete und sich jemand mit sanften Schritten dem Bett nährte.

Akis Meister war anscheinend alles andere als ein Langschläfer.

Ohne ein weiteres Geräusch ging er hinüber auf Akis Seite des Bettes, nahm die Decke ein Stück beiseite und zog Aki an dessen Fußgelenk aus seiner Schlafgelegenheit und erlöste Yuki damit auch aus dessen Umklammerung. Dies war das erste Mal, dass der junge Japaner dem Schwertmeister aus tiefstem Herzen dankbar war, auch wenn er es im gleichen Moment mit der Angst zu tun bekam. Immerhin konnte er sich vorstellen, was seinen Freund nun erwartete. Doch ihm blieb nicht mehr lange die Gelegenheit darüber nachzudenken. Die gesamte Nacht hindurch hatte er einen erbitterten Kampf mit sich selbst führen müssen, dementsprechend erschöpft glitt er jetzt ins Land der Träume, welches er erst am Nachmittag wieder verließ.
 

Aki und sein Meister waren noch nicht zurück. Nicht, dass Yuki wirklich damit gerechnet hätte, aber es ginge ihm besser, wenn er wüsste, ob Aki am Leben war. Gedankenverloren ging er ins Bad, um die Spuren des Schlafs zu beseitigen. Vielleicht sollte er einfach in der Turnhalle vorbeischauen? Nein, lieber nicht... die Gefahr, dass Hikawa ihn durchschauen würde, war zu groß. Und die Folgen, die damit verbunden wären... nicht auszudenken! Hikawa sah nicht aus wie ein Mensch, der solche Gefühle dulden würde. Nüchtern, sachlich, unberechenbar, wie er war. Wahrscheinlich würde er versuchen, ihm Aki so schnell wie möglich wegzunehmen. Und Aki? Was würde er denken, wenn er es auf diese Art erfahren würde? Was würde er TUN?

Yuki wollte niemanden in diese Sache hineinziehen. Es lag allein an ihm, Aki seine Gefühle zu gestehen. Doch noch war der richtige Zeitpunkt dafür nicht gekommen, das spürte Yuki. Er spürte es jedes Mal, wenn er Aki in die Augen sah, denn kaum dass sich ihre Blicke in Momenten der Ruhe trafen, sah der Halbjapaner wieder weg. Und dann diese Anhänglichkeit letzte Nacht... Aki wusste ganz gewiss, dass etwas in ihm vorging; dass es mit Yuki zu tun hatte. Doch er hatte Angst vor diesen fremden Gefühlen und versuchte, sie zu ignorieren.

Yuki seufzte. Das würde noch sehr schwierig werden....
 

Hikawa hatte nicht untertrieben. Es war wieder nach 23 Uhr, wieder lief Yuki in der Wohnung auf und ab und wartete darauf, dass sich die Tür öffnete. Doch als sich diesmal die Tür öffnete, fiel Aki ihm nicht halb bewusstlos entgegen. Stattdessen lehnte er erschöpft am Türrahmen und versuchte, zwischen dem Gekeuche ein einigermaßen deutliches ,Hallo' zustande zu bringen. Der Halbjapaner war wie bereits Tags zuvor schweißüberströmt und wirkte mehr tot als lebendig, doch auf seinen Lippen zeichnete sich schwach ein zufriedenes Lächeln ab. Yukis Blick fiel auf die Person hinter dem Erwarteten und ihm wurde sofort klar, weshalb Aki so entspannt wirkte. Zwar war Akis Sempai nicht annähernd so erschöpft wie er, doch auch er konnte die Erschöpfung nicht ganz verstecken. Mit einer Mischung aus Überraschung und Erleichterung trat Yuki einen Schritt zur Seite, damit Aki, welcher mittlerweile seine Schuhe ausgezogen hatte, eintreten und geradewegs im Bad verschwinden konnte. Sein Meister, der knapp hinter ihm folgte, blieb kurz neben Yuki stehen und grinste herausfordernd.

"Ich habe dir doch gesagt, dass ich meinen Schüler kenne."

Yuki beschloss, nicht weiter auf die Anspielung einzugehen. Ihm war klar, dass das ein eindeutiger Punkt für Hikawa war, da musste er ihm nicht noch den Gefallen tun, es offensichtlich zu bestätigen.
 

Kurz nachdem sich Yuki umgezogen und hingelegt hatte, betrat auch Aki das Schlafzimmer - wie bereits in der Nacht zuvor nur in Shorts. Der Japaner schloss die Augen, um dem Anblick zu entkommen.

"War dein Training früher immer so hart?"

"Ja, aber irgendwann habe ich mich daran gewöhnt. Seit ich hier bin, habe ich allerdings nicht mehr richtig trainiert, das hat mich viel meiner Ausdauer gekostet. Ich denke, in ein paar Wochen geht es wieder."

"Meinst du nicht, dass dich dieses Gehetze so kurz vor der Meisterschaft beeinträchtigt?"

"Ich glaube, es hilft mir eher. Es ist ein bisschen wie beim lernen: Wenn du etwas schon einmal wusstest und es nur vergessen hast, reicht es meist, es dir nur noch mal anzusehen, um es wieder zu können. Und durch den Druck, den ich jetzt habe, werden meine Fähigkeiten, die ich vorher schon hatte, wieder aufgefrischt."

Vorsichtig legte sich Aki mit in das Bett und gähnte ausgiebig.

"Gute Nacht, Yuki."

"Gute Nacht. Und beweg dich nicht so viel."

"Wie?"

"Schon gut..."

Das dachte ich mir... er hat von seiner ,Wanderung' gestern nichts mitbekommen.

Damit versuchten beide einzuschlafen. Der eine erfolgreich, der andere weniger...
 

Schlaftrunken stand Yuki auf, schleppte sich ins Badezimmer und ließ erst einmal warmes Wasser in die Badewanne laufen. Dann schlenderte er zurück in das Schlafzimmer, holte neue Sachen aus dem Schrank und wartete darauf, dass sein Bad fertig war. Dabei fiel sein Blick auf den Ghettoblaster, welchen Aki vor einigen Wochen in diesem Zimmer einquartiert hatte, um im Bad Musik hören zu können.

,Er wird mir schon nicht den Kopf abreißen, wenn ich auch etwas Musik hören möchte.'

Mit diesen Gedanken schaltete er das Gerät ein, doch zu seiner Enttäuschung musste er feststellen, dass gerade Werbung lief. Also setzte er sich, auf das nächste Lied wartend, in die volle Wanne und begann sich den Schweiß von der vergangenen Nacht abzuwaschen.

Nach der scheinbar endlosen Werbung folgten die Nachrichten.

,Na super!', dachte Yuki. ,Ist nicht mein Tag heute....'

Notgedrungen ließ er auch diese Störung über sich ergehen, welche mit den Worten "Es ist 17.00 Uhr. Ich wünsche viel Spaß mit dem folgenden Programm" endete. Bisher nur mit einem Ohr hinhörend, schreckte Yuki plötzlich auf.

,Wie spät!?'

In der Hoffnung, sich verhört zu haben, stand er auf und nahm seine Armbanduhr, um nach der Zeit zu sehen.

17. 01 Uhr.

"Verdammt!"

Mit einem Satz war Yuki aus der Wanne gesprungen, hatte sich in sein Handtuch eingewickelt und den Stöpsel aus der Wanne gezogen. Erst jetzt hatte er bemerkt, dass er völlig verschlafen hatte. Aki hatte ihm nach dem Ende der Vorrunden erzählt, dass sie gegen um sechs mit einem Kleinbus nach Tokio gebracht würden. Zwar war bis dahin noch genug Zeit, alles für die Reise vorzubereiten, doch selbst Hikawa wäre nicht so grausam und würde seinen Schüler bis fünf Minuten vor Abfahrt herumhetzen. Auch Aki hatte seine Tasche noch nicht gepackt und wenn er kommen würde, bräuchte er zudem noch etwas Zeit, um zu duschen und sich auszuruhen; sicherlich hätte er Hunger, und etwas Anständiges zu kochen, selbst wenn es nur etwas Einfaches wäre, schafft man nicht in ein paar Minuten.

Noch während er darüber nachdachte, holte Yuki seine Reisetasche vom Schrank herunter und warf von sämtlichen Kleidungsstücken, die er zu Gesicht bekam, wahllos einige in die Tasche. Dann lief er hinüber in die Küche und setzte Wasser an. Der Japaner hatte beschlossen, Ramen zu kochen. Das ging recht schnell. Das Wasser überließ er vorerst sich selbst und widmete dem Packen erneut seine Aufmerksamkeit. So ging es noch gut eine viertel Stunde hin und her, bis er die Vorbereitungen für die Reise schließlich abgeschlossen hatte, Bad und Schlafzimmer aufgeräumt waren und er sich gänzlich dem Essen widmen konnte.

Kaum eine Minute später öffnete sich die Tür und Aki kam, gefolgt von seinem Meister, herein. Diesmal ging Aki nicht direkt in das Bad, sondern schaute zuerst bei Yuki vorbei und lehnte seinen Kopf neugierig auf dessen Schulter; die Gefühle, die er dadurch bei Yuki auslöste, nicht mitbekommend.

"Ramen? Yuki, du kannst Gedanken lesen!"

"Dann habe ich wohl genau das Richtige ausgesucht?"

"Ja! Ich habe mir gerade gedacht, dass du lange kein Ramen mehr gekocht hast."

Yuki spürte, wie seine Selbstbeherrschung langsam nachließ und wechselte kurzerhand das Thema.

"Du solltest dich jetzt lieber frisch machen. Das Essen ist bald fertig und kalt schmeckt es schließlich nicht."

Mit einem zustimmenden Nicken verschwand Aki und Yuki gestattete sich einen teils erleichterten, teils enttäuschten Seufzer. Der neue Anwohner war in diesem Moment glücklicher Weise nicht in der Nähe.
 

Der Japaner war allerdings nicht so schnell, wie er es seinem Freund wenige Minuten zuvor hatte weismachen wollen. Als Aki wieder aus dem Bad kam, köchelte das Essen noch immer unverändert auf dem Herd. Um keine Zeit zu verlieren, beschäftigte sich der Halbjapaner deshalb mit dem Packen seiner Reisetasche. Er war etwas gründlicher als sein japanischer Freund und brauchte demnach länger für diese Aufgabe als der andere, dafür hatte er die Zeit bis zur Fertigstellung Yukis Mahlzeit sinnvoll überbrückt.

Hikawa bekam natürlich ebenfalls etwas. Yuki mochte ihn zwar nicht sonderlich, doch er besaß genug Anstand, um darüber hinwegzusehen. Außerdem wollte er Aki keine Schwierigkeiten bereiten. Deshalb hatte der Japaner bis jetzt nichts gegen die Sturheit des älteren Mannes unternommen und würde dies auch nicht tun, solange Aki damit klarkam. Außerdem war er ihn bald wieder los. Ein paar Wochen noch... bis zum Ende der Meisterschaft. So lange musste er sich mit ihm vertragen. Danach würden sie zurück nach Osaka fahren, Hikawa zöge aus und der Normalzustand würde weitestgehend zurückkehren.

"...kannst gut kochen. Wo hast du das gelernt?"

Im ersten Moment wusste Yuki weder, wer gemeint war, noch von wem die abgerissenen Wortfetzen, welche er gerade noch mitbekommen, doch der durchdringende Gesichtsausdruck Akis brachte ihn vollends in die Realität zurück und er antwortete Hikawa mit leichter Verspätung.

"Ah... ich habe mich schon immer dafür interessiert. Meine Mutter hat mir die Grundlagen beigebracht und ich durfte immer helfen. Aber sie ist vor Jahren gestorben. Seither habe ich selbst gekocht - anfangs für meinen Vater und mich, mittlerweile nur noch für mich allein."

Für einen winzigen Augenblick bekamen Yukis Augen ein zerwühltes Flackern. Hikawa konnte es nicht gesehen haben, er hatte ihn nicht direkt angesehen, doch Aki hatte genau in diesem Sekundenbruchteil Blickkontakt mit seinem Freund gesucht und die unmerkliche Unstetigkeit gesehen. Oder er glaubte, etwas in Yukis Augen entdeckt zu haben. Denn bereits im nächsten Moment war er sich nicht mehr sicher, ob er es sich nicht doch nur eingebildet hatte. Egal, was es war, Aki spürte ein beklemmendes Gefühl in seinem Herzen, das ihm das Gefühl gab, er wisse im Grunde gar nichts über den Japaner.

Doch nun war keine Zeit mehr, um über unbegründete Gefühle nachzudenken, denn zeitgleich zu Akis aufkeimenden Gedanken bog ein Wagen in die Straße ein. Von dem Motorengeräusch in die Realität zurückgeholt, sah der Halbjapaner auf seine Uhr. Fünf Minuten nach sechs. Während Aki und Yuki den Tisch abräumten, sah Hikawa aus dem Fenster und holte sich die Bestätigung für das, was in diesem Moment alle drei dachten: Die Eskorte zur Hauptstadt war eingetroffen.
 

Wenige Minuten später saßen alle drei in dem Kleinbus und ließen sich vom Fahrer weitere Details erklären. Ankunft in Tokio war gegen 22.00 Uhr. Sie würden direkt in ihr Hotel gebracht, welches nur wenige Meter vom Schauplatz der Meisterschaften entfernt lag. Beginn der Wettkämpfe war Montagmorgen, 9.00 Uhr. Zuvor, zwischen 7.00 Uhr und 8.30 Uhr würde es Frühstück geben.

Obwohl diese Informationen vor allem für Aki bestimmt waren, bekam er kaum etwas davon mit. Dadurch, dass er noch keine richtige Gelegenheit bekommen hatte, sich von dem heutigen Training zu erholen, war er binnen weniger Minuten eingeschlafen. Yuki ertappte sich zum wiederholten Male dabei, wie er Aki gedankenverloren einfach nur anstarrte und sah schnell aus dem Fenster. Der Halbjapaner sah aber auch zu süß aus, wenn er schlief....

Die Straßen in diesem Teil Osakas waren sehr verwinkelt, sodass es nicht selten vorkam, dass der Fahrer scharf wenden musste und die Insassen durch den halben Kleinbus geschleudert wurden. Es dauerte nicht lange, bis Aki etwas seitlich wegkippte, sodass er mehr in seinem Gurt hing als saß, und der Kopf des Halbjapaners auf die Schulter seines Freundes fiel. Am liebsten hätte Yuki jetzt schützend seinen Arm um den Schlafenden gelegt, doch er wollte solch eine Geste in Gegenwart dessen Sempais lieber vermeiden und sah verstohlen hinüber auf die andere Seite der hinteren Sitzreihe. Hikawa saß mit verschränkten Armen und gesenktem Kopf in seinem Sitz. Die Augen hatte er geschlossen. ,Meditationsübungen', folgerte Yuki aus dieser Haltung. Besser, er verhielt sich unauffällig, denn er hatte das Gefühl, der Schwertmeister würde ihn mit einem inneren Auge beobachten.

Die Situation blieb während der gesamten Fahrt dieselbe: Hikawa meditierte, Aki schlief, seinen Kopf an Yukis Schulter lehnend, und in Yukis Kopf drehte sich alles, teils wegen dem seltsamen Schlafrhythmus der letzten Tage, aber vor allem wegen der ,günstigen' Schlafposition seines Freundes. Um sich so gut es ging von den Personen in dem Bus abzulenken, beschäftigte sich der Japaner ausgiebig mit den Geschehnissen außerhalb des Fahrzeuges: Vorbeifahrenden Autos, weidenden Schafen, Städten, Sternen, ...

Als schließlich Tokio in Sicht kam, hätte Yuki die ganze Welt umarmen können. Oder noch lieber: Aki küssen, doch diesen Gedanken verscheuchte er lieber schnell wieder, bevor er so kurz vor dem Ziel die Beherrschung verlor. Stattdessen rüttelte er sanft an Akis Schulter und versuchte, ihn wach zu bekommen. Den tiefen Schlaf seines Freundes hatte er in den letzten Monaten allerdings zu Genüge erleben können, sodass er sich keine allzu schnellen Erfolge auf sein Vorhaben erhoffte. Doch es war bekanntlich noch eine dritte Person im Wagen. Eine, die Aki ebenfalls gut kannte - und bei Weitem nicht so sehr darauf bedacht war, den Halbjapaner zu schonen. Yuki hatte die Hand, die wie aus dem Nichts auf ihn zuschnellte, kaum kommen sehen, und war umso erstaunter, als aus Akis Richtung plötzlich ein Arm den geplanten Schlag blockierte. Als der Japaner seinen Freund ansah, hatte dieser ein Auge geöffnet und funkelte seinen Sempai aus diesem vorwurfsvoll an, welcher nun ein zufriedenes Lächeln auflegte, etwas von "gut" murmelte und sich wieder in seine Meditationsposition begab. Yuki begann sich gerade erneut über die Gewohnheiten Hikawas zu ärgern, als Aki ihn ansprach.

"Sind wir schon da?"

"Ja. Wieder munter?"

"Jetzt schon..."

In Akis Worten lag ein nicht zu überhörender Unterton, und um diesen noch zu unterstreichen, schielte er verschwörerisch zu seinem Sempai hinüber. Yuki konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, welches jedoch sofort wieder verschwand, als Aki sich zu ihm zurückdrehte. Als hätte der Halbjapaner Augen auf dem Rücken, unterzog er seinen Freund einem prüfenden Blick, dann entspannten sich seine Züge wieder und er lehnte sich in etwas in seinem Sitz zurück, um dieselbe Haltung einnehmen zu können wie Hikawa.

Yuki betrachtete ihn noch eine ganze Weile mit einer Mischung aus Unglaube und Bewunderung.

,Soll er wirklich in nur drei Tagen so scharfsinnig geworden sein...?'
 

"AKI!!!"

Es war immer dasselbe mit diesem Langschläfer! Morgens war er einfach nicht wach zu bekommen. Seit geschlagenen fünf Minuten versuchte Yuki nun, seinen Freund aus den Federn zu bekommen - erfolglos. Langsam erreichte seine Geduld ein Ende, sodass er ihm schließlich Decke und Kissen wegzog, um zumindest ein unzufriedenes Murren zu ernten.

"Wenn du nicht sofort aufstehst, kitzle ich dich durch!"

Träge wie er war, hatte Aki diese Warnung kaum wahrgenommen, öffnete benommen ein Auge und sah Yuki fragend an, während er versuchte, die Worte zu verarbeiten. Dies dauerte für den Geschmack des Japaners zu lange, sodass er seine Drohung sofort in die Tat umsetzte und Aki ein schallendes Gelächter entlockte. Diese Maßnahme erfüllte ihren Zweck bestens. Mit einer schnellen Bewegung fasste der Halbjapaner das rechte Handgelenk seines Freundes und versuchte sich zu befreien, doch Yuki reagierte sofort, drehte Akis linken Arm auf dessen Rücken.

"Nicht vergessen: Ich mache auch Kampfsport."

"Na und?"

Akis Augen blitzten verstohlen auf. Im nächsten Moment hatte er Yuki mit seinem Bein umgerissen, sodass sie das Gleichgewicht verloren und vom Bett fielen. Diese Gelegenheit nutzte Aki, um sich zu befreien und fing nun selbst an, seinen Freund durchzukitzeln, welcher nicht weniger empfindlich war als er selbst. Doch auch Yuki lies dies nicht einfach über sich ergehen und versuchte, die Hände des Halbjapaners zu packen. Mit einer geschickten Bewegung befreite sich Aki und versuchte nun selbst wieder, Yuki festzunageln.

So ging es einige Minuten hin und her, ohne dass eine Entscheidung gefällt wurde. Schließlich brach Yuki den kleinen Kampf ab und sie blieben nach Luft ringend auf dem Boden liegen; Yuki mit dem Rücken auf dem filzigen Teppich, Aki halb auf ihm. Der Japaner schloss die Augen und genoss den Augenblick in vollen Zügen, bis Aki schließlich aufstand und nach der Zeit sah. Es war kurz nach acht. Yuki hatte ihm am vergangenen Abend, als sie ihr Zimmer bezogen haben, die Dinge erzählt, welche der Fahrer bereits kurz nach Aufbruch erklärt hatte. Er wusste somit, dass ihm weniger als eine halbe Stunde zum Frühstücken blieb, und ließ nicht noch mehr Zeit unnötig verstreichen. Sein Frühstück wollte er in aller Ruhe genießen.

Auch Yuki erhob sich, nahm eine Strähne aus seinem Gesicht und richtete seine Sachen. Dank der kleinen Rauferei sah er aus, als wäre er gerade erst aufgestanden. Aber es störte ihn nicht weiter.

"Jetzt weiß ich, wie ich dich in Zukunft wach bekomme."

Er musterte seinen Freund mit einem schelmischen Grinsen.

"Beim nächsten Mal krieg ich dich!"

"Das glaube ich aber nicht."

Mit einem amüsierten Grinsen verschwand Aki im Bad.
 

Der Speisesaal war voller Leute. Aki und Yuki hatten Mühe, freie Plätze zu finden, bis sie schließlich in einer entlegenen Ecke Hikawa entdeckten, der so mürrisch über seinem Essen saß, dass sich anscheinend niemand getraut hatte, ihm Gesellschaft zu leisten.

"Guten Morgen, Sempai."

"Guten Morgen, Hikawa-San."

"...Morgen."

Dies waren die einzigen Worte, die die drei miteinander wechselten.

Dadurch, dass das Hotel voll belegt war, hatte man sich darauf geeinigt, dass Akis Sempai, der wie aus dem Nichts zu den Freunden gestoßen war, Yukis Zimmer bekam und der Japaner bei Aki wohnte. Wäre der Schwertmeister nicht Akis Sempai gewesen, hätte er niemals eine Chance gehabt, mit in dieses Hotel zu kommen, doch so hatte er das Recht, seinen Schüler zu begleiten, sodass man eine andere Lösung finden musste - welche Yuki natürlich sehr entgegen kam.
 

Zurück im Hotelzimmer bereitete sich Aki durch Meditation auf das Bevorstehende vor. Er wusste nicht, was ihn erwarten würde, doch Sorgen halfen ihm nicht weiter. Ein ausgeglichenes Ki war äußerst wichtig, um unnötige Fehler zu vermeiden. Yuki saß am Fenster und betrachtete die überfüllte Straße hinter dem Hotel. Auch er war unruhig. Nicht nur, dass er ebenfalls nicht wusste, was nun auf seinen Freund zukam, er wurde das Gefühl nicht los, dass noch etwas anderes, sehr bedeutendes geschehen würde.
 

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Ja, das war's schon wieder. Ich wollte das Kapitel eigentlich damit abschließen, aber dann wäre es noch ein ganzes Stück länger geworden und es wäre einfach zu viel gewesen. Diese Stelle hat sich ganz gut zum Unterbrechen geeignet und ich schätze, mit dem nächsten Teil wird das Kappi dann auch endlich abgeschlossen sein. Ich kann nicht sagen, wann ich das nächste Mal update. Ich hoffe natürlich, dass es nicht so lange dauert wie diesmal, aber da ich jetzt in die Kursstufe gekommen bin und sich der Schulstress demnach noch mal erhöht, wird zu meiner Faulheit in Zukunft noch der Zeitmangel dazukommen. In der Zwischenzeit könnt ihr ja "Bring me back to live" oder andere FFs von KeiraX lesen (falls ihr das nicht schon getan habt) und SilveryRaven schreibt auch einmalige FFs!

Die Meisterschaft, Teil 3

*freuz* Endlich hab ich wieder Internet ^_____^. Ich bin nämlich vor ca. einem Monat umgezogen und ins Internet konnte ich schon seit Anfang Dezember nicht mehr, aber das wisst ihr ja, wenn ihr zwischendurch mal auf meinem Stecki wart. Jedenfalls hab ich in der Zeit das Kapitel geschrieben, Ann-chan auf Diskette zum korrigieren mitgegeben und die Fehler verbessert, sodass jetzt alles fertig ist zum posten.

Gott, ich bin so froh, dass das Kapitel mit diesem Teil endlich abgeschlossen ist. Es ist so voll anstrengend, über irgendwas zu schreiben, wovon man nicht die geringste Ahnung hat. Außerdem möchte ich langsam mal die Beziehung von Aki und Yuki in den Vordergrund rücken. Das soll sich in den kommenden zwei Kapiteln entwickeln, aber jetzt erstmal zu diesem Teil. Dann schauen wir, wie viele Kommis es werden und dann schau ich, ob und wann ich weiter mache.

Also viel Spaß!

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Die Meisterschaft (Teil 3)
 

Es war lange still in dem kleinen Hotelzimmer. Jeder der jungen Männer ging seinen eigenen Gedanken nach. Während Aki sich durch Meditation für den bevorstehenden Tag sammelte, zerbrach sich Yuki den Kopf darüber, weshalb er so ein flaues Gefühl in der Magengegend hatte. An den für seinen Freund völlig unbekannten Gegnern konnte es nicht liegen - es war schließlich nicht das erste Mal, dass die beiden eine Situation nicht einschätzen konnten und es nichts anderes blieb als abzuwarten. Nein... da musste noch etwas anderes sein... irgendwas... nur WAS das war, konnte sich der Japaner einfach nicht erklären. Die Stille wurde jäh unterbrochen, als Aki in einer Bewegung von seinem Bett aufstand und nach den Zimmerschlüsseln griff.

"Wir müssen los."

Yuki sah auf die Uhr, welche ihm dieselbe Antwort gab: 8.50 Uhr, also Zeit zum Aufbruch. Er hatte gar nicht gemerkt, dass die Zeit so schnell vergangen war. Mit einem letzten Blick aus dem Fenster erhob auch er sich und gesellte sich zu dem Halbjapaner, der noch immer im Türrahmen stand und auf ihn wartete. Auch wenn Aki auf den ersten Blick ruhig und ausgeglichen wirkte, so spürte Yuki doch eine leichte Unsicherheit in seinem Freund. Verständnisvoll legte er ihm eine Hand auf die Schulter.

"Wird schon werden."

"Das wird sich zeigen, wenn es soweit ist. Aber... da ist noch etwas anderes, was mir Sorgen macht...."

Aki war einen Moment still, suchte nach Worten, um die Frage, die Yuki deutlich ins Gesicht geschrieben stand, beantworten zu können, doch ihm fiel nichts Greifbares ein.

"Ich weiß es nicht so genau. Vielleicht sind es auch einfach nur die Nerven, die mir vorspielen, es sei etwas nicht in Ordnung."

Yuki hatte mit einer ähnlichen Antwort gerechnet, auch wenn ihn das nicht unbedingt beruhigte, im Gegenteil, es verschlimmerte seine Bedenken sogar, spürte sein Freund doch dasselbe Unbehagen wie er. Doch es half nichts. Im Moment blieb beiden nichts anderes übrig als abzuwarten. Besonders Aki musste seine Bedenken vorerst beiseite schieben, damit er den bevorstehenden Kampf meistern konnte. Zur Aufmunterung schlug Yuki seinem Freund sacht auf den Rücken.

"Kopf hoch! Ich bin doch bei dir! Außerdem willst du bestimmt nicht, dass das Höllentraining der letzten Tage mit diesem Monster, das du Sempai nennst, für die Katz war, oder?"

Aki konnte sich ein Grinsen bei diesem Kommentar nicht verkneifen, welches ihm jedoch sofort wieder verging, da im nächsten Moment von außen die Tür mit einer solchen Wucht aufgerissen wurde, dass sie Yuki ungebremst ins Gesicht schlug.

"Das habe ich gehört...."

Der diabolische Unterton in der Stimme Hikawas ließ selbst Akis Nackenhaare zu Berge stehen, obwohl er den oft recht forschen Ton seines Meisters gewohnt war. Yuki war sogar so eingeschüchtert, dass er sich augenblicklich verbeugte und um Entschuldigung bat. Ein leises Brummen erhielt er als Antwort, aber anhand der letzten Tage wusste er, dass er dies als ein "angenommen" deuten konnte. So machten sie sich zu dritt auf den Weg zur großen Halle, in der die Wettkämpfe stattfinden würden.
 

Der Weg schien endlos zu sein. Zumindest in Yukis Augen. Nachdem die kleine Auseinandersetzung mit Hikawa vorbei war, kehrte das ungute Gefühl zurück, welches ihn schon zuvor geplagt hatte. Der Japaner hoffte, dass zumindest sein Freund von diesen Gedanken im Moment verschont war, doch wirklich daran glauben konnte er nicht.

Es gesellten sich immer mehr Leute zu ihnen, die alle dieselbe Richtung ansteuerten. Am Eingang des Stadions sortierten sich die Menschenmengen allmählich. Zuschauer schlugen den Weg zu den Tribünen ein, während die Sportler mit ihren Begleitern die ihnen zugewiesenen Plätze rund um die Kampfplätze aufsuchten. Kurz bevor Aki und seine Begleiter ihr Ziel erreichten, hörten sie eine Stimme hinter sich, die ihnen das Blut in den Adern gefrieren ließ.

"Aki-chan! Ich wusste doch, dass wir uns hier wieder sehen würden."

Mit gefrorener Mine drehten sich die drei um - Hikawa, weil er eh nie anders dreinschaute, Aki und Yuki, weil sie mit dieser Stimme nur Negatives verbinden konnten und plötzlich das Gefühl hatten, als wüssten sie nun die Ursache ihrer Bedenken. Da stand er nun - die Person, die Aki am liebsten nie wieder gesehen hätte, die Person, die ihm jedes Mal einen kalten Schauer über den Rücken jagte, wenn diese ihn mit seinem eisigen Blick durchbohrte. Ein Schwertkämpfer mit der Kraft und Ausstrahlung eines Dämons. Makoto.

"Hallo Makoto. Du bist also auch hier."

Leicht angewidert verzog der Japaner das Gesicht.

"Natürlich bin ich hier, was hast denn du gedacht? Du solltest mich besser nicht unterschätzen... das könnte gefährlich werden."

Diese Überheblichkeit empörte Aki. Er wollte gerade etwas erwidern, als Yuki das Wort ergriff.

"Wenn du Streit suchst, geh rüber zu den kleinen Kindern und zank dich mit denen."

Makoto funkelte ihn böse an.

"Hast du was gesagt!?"

Der entstehende Streit wurde von einer weiteren Stimme unterbrochen.

"Anstatt eure Kraft in solche Kindereien zu verschwenden, solltet ihr lieber auf eure Plätze gehen und euch vorbereiten."

Mit diesen Worten drehte sich Hikawa um und setzte den Weg fort, den er ursprünglich eingeschlagen hatte. Aki ergriff die Gelegenheit und folgte seinem Meister auf den Fuß, um Makoto schnellstmöglich entgehen zu können. Es war nicht nur Makotos Blick und dessen überhebliche Art, die Aki schaudern ließen. Dahinter steckte etwas viel Tieferes, Entsetzlicheres, eine schlummernde Bestie, die nur darauf wartete, geweckt zu werden, damit sie unerbittert wüten konnte. Das wusste Aki, wenn er auch nur in die Nähe dieses Menschen kam und er war sich sicher, dass auch Hikawa und Yuki dies spüren konnten.

Yuki ließ nicht lange auf sich warten und folgte mit einem letzten drohenden Blick in Makotos Richtung seinem Freund.
 

Da die Kämpfe unmittelbar vor Beginn ausgelost wurden, wusste noch niemand der Teilnehmer, wer sein Gegner sein würde. Jeder Kampf dauerte zwei Runden, falls es ein Unentschieden geben sollte drei Runden, jede Runde war zehn Minuten lang. Sollte in dieser Zeit keiner der Kämpfer aufgegeben haben oder beide die gleiche Punktzahl besitzen, war der Kampf unentschieden. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, auch bei einer Niederlage oder zwei unentschiedenen Kämpfen noch weiter zu kommen.

Im Moment waren die Blicke aller Anwesenden auf die große leuchtende Tafel hoch oben an der Wand gebannt, da dort der Name des ersten Teilnehmers aufleuchtete. Sein Name war Taro Niwa, doch weder Aki noch sein Freund oder sein Meister wussten diesen Namen einem der über einhundert Gesichter zuzuordnen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die leuchtenden Streifen in der Zeile darunter sich dazu entschieden, zu einem der vielen Namen, die sich fortwährend abwechselten, zu werden und damit endlich die ersten zwei Kontrahenten zu erkennen gaben.

Über einhundert Teilnehmer waren für dieses Turnier eingetragen. Aki hatte nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet er es sein würde, der den ersten Kampf bestreiten müsse. Das Schicksal hatte es heute wirklich nicht gut mit ihm gemeint. Mit gemischten Gefühlen tauschte er einen letzten Blick mit Yuki und seinem Sempai aus, bevor er sein Shinai griff und das Kampffeld betrat. Zumindest konnte er jetzt seinen Gegner sehen, einen recht kleinen Jungen, den Aki durch seine Größe und seine zierliche Gestalt jünger als sich schätzte. Er wirkte nicht minder nervös als Aki selbst, was den Halbjapaner ein wenig beruhigte. Während beide langsam auf einander zukamen, stellte eine Stimme, die scheinbar aus allen Richtungen kam, beide vor, doch Aki achtete kaum drauf. Er war viel mehr damit beschäftigt, den anderen zu mustern, seinen Blick, die Haltung und den Gang zu studieren, um so vielleicht etwas über ihn erfahren zu können. Viel brachte es ihm nicht, denn schon nach wenigen Schritten, die sich dennoch wie etliche Kilometer angefühlt hatten, kamen beide an ihren Plätzen an. Sie verbeugten sich voreinander und vor dem Kampfrichter und versprachen diesem, sich einen fairen Kampf zu liefern, bevor sie ihre Kampfstellung einnahmen und auf das Signal des Richters warteten, der den Kampf einleitete.

Nur einen Bruchteil nachdem die erste Runde eröffnet war, griff Taro mit einem eleganten Schwung an, doch Aki hatte ihn kommen sehen und parierte geschickt. Auch die folgenden Angriffe wehrte er sicher ab. Nachdem der Halbjapaner eine Weile ausschließlich defensiv gekämpft hatte, um seinen Gegner ein wenig auszutesten, ging er in die Offensive über und sammelte Punkte. Nach zehn Minuten wurde der Kampf abgebrochen und Aki zum Sieger erklärt, da seine Punktzahl höher war als die von Taro. In dieser ersten Runde wurden die Positionen beider Kämpfer eindeutig, was besonders Taro stark einzuschüchtern schien. In der zweiten Runde war er viel unkonzentrierter und verlor sogar vor den zehn Minuten, da er in nur einem Zug sein Shinai verloren hatte und in einen Fesselgriff Akis geriet.

Zwar war mit diesem Kampf noch nichts endgültig entschieden, doch die Chancen des Halbjapaners standen für das Weiterkommen in den folgenden Runden um Einiges besser als die des anderen Kämpfers. Lautstark umjubelt und sichtlich erleichtert kehrte der Sieger an seinen Platz zurück, wo er von seinen Begleitern mit einer Flasche Wasser und einem frischen Handtuch empfangen wurde.

"Das war klasse, Aki! Vor dir kann man ja richtig Angst bekommen", scherzte Yuki.

Hikawa bemaß seinen Schüler mit einem zufriedenen Blick, nickte leicht und meinte nur: "Gut", bevor er erneut der Leuchtschrift auf der großen Tafel seine Aufmerksamkeit schenkte. Ein Lob aus Hikawas Mund war eine äußerste Seltenheit, das hatte Aki im Laufe der Zeit, seit er mit dem Training begonnen hatte, gelernt. Yuki hatte sich anscheinend noch nicht an die Wortkargheit des Meisters gewöhnt, denn er hatte schon wieder eine patzige Antwort parat.

"Warum sagen Sie überhaupt was, wenn es Ihnen so widerstrebt, irgendetwas Positives über Akis Leistungen zu äußern?"

"Das würde ihm nur zu Kopf steigen", erwiderte dieser gelassen, ohne den Blick auch nur einen Moment von der noch immer flackernden Tafel zu nehmen.

"Ich habe nicht gesagt, dass Sie vor Freude tanzen sollen, aber das ist echt demoralisierend."

Doch anstelle einer Antwort von Hikawa erhielt er nun einen leichten Stoß in die Seite von Aki.

"Lass dir davon doch nicht die Laune vermiesen."

Akis Freude war echt ansteckend, das fand zumindest Yuki, denn auch er konnte nicht anders als wieder lächeln, als er in das grinsende Gesicht seines Freundes sah. Das plötzliche Anschwellen des Stimmpegels in der Arena ließ ihre Aufmerksamkeit zu der schwarzen Tafel zurückkehren. Die nächsten Kontrahenten waren ausgewählt worden. Einen von ihnen erkannte Aki wieder, er hatte ihn bei seinem Training in Kioto bereits gesehen. Er schien in etwa genauso gut zu sein wie sein Gegner, die erste Runde hatte letzterer, die zweite er selbst knapp gewonnen. Die dritte Runde konnte er ebenfalls knapp für sich entscheiden und somit das Feld als Sieger verlassen.
 

Bis ein Uhr nachmittags folgte Kampf auf Kampf, dann gab es zwei Stunden Pause, in denen jeder seinen individuellen Bedürfnissen nachgehen konnte. Die meisten aßen oder schlafen in dieser Zeit, andere unterhielten sich, gingen spazieren oder vertrieben sich auf andere Art die Zeit. Aki nutzte die Pause für eine kalte Dusche und ein kurzes Mittagessen, das aus einem Teller Nudelsuppe und einer Tasse grünen Tee bestand, damit er, falls er noch einmal antreten musste, nicht zu voll war. Diesmal schien das Schicksal jedoch Erbarmen mit ihm zu haben, da sein Name nicht noch einmal auf der schwarzen Tafel erschien. Wahrscheinlich, so vermutete Aki, wurden Namen, die in der aktuellen Runde bereits erschienen sind, aus dem Zufallsgenerator gelöscht, um gleiche Bedingungen für alle zu gewährleisten. Relativ spät am Abend kam schließlich Makoto an die Reihe. Als sein Name an der schwarzen Tafel aufleuchtete, hielt Hikawa für einen Moment den Atem an. Aki, der ebenfalls etwas beunruhigt wurde, stöhnte leise auf.

"Ich habe es geahnt", flüsterte Hikawa seinem Schüler zu.

"Ich auch. Seinen Nachnamen kannte ich bis jetzt noch nicht, aber sein Kampfstil deutete schon darauf hin, dass er ein ,Onichino' ist."

"Könntet ihr mich bitte aufklären?", mischte sich nun auch Yuki ein. Aki sah ihn ungläubig an.

"Sag bloß, du hast noch nie was von den ,Onichino' gehört!"

"Doch... schon. Aber ich kenne keinen von ihnen persönlich. Ich dachte nur, ihr wüsstet vielleicht mehr, so wie ihr geklungen habt."

"Nicht viel mehr. Nur, dass es sich um eine relativ junge Familie handelt, die erst seit dem letzten Jahrhundert an Bedeutung gewonnen hat und, obwohl der Schwertkampf nicht mehr offiziell als Kampftechnik ausgeführt wird, dieser Tradition treu geblieben ist und ihre Techniken immer weiter verfeinert hat. Da ist es kein Wunder, dass viele führende Schwertkämpfer aus dieser Familie stammen."

Das Gespräch wurde an dieser Stelle unterbrochen, da der Kampf in diesem Augenblick begonnen hatte und man ihn sich auf keinen Fall entgehen lassen wollte. Es war klar, dass Makoto, sollten beide aufeinander treffen, einer von Akis härtesten Gegnern sein würde, er konnte es sich also nicht leisten, unaufmerksam zu sein.

Makoto war sich der Tatsache, dass Aki ihm nicht nur zusah, sondern regelrecht studierte, durchaus bewusst, und es störte ihn nicht im Geringsten; nein, er wollte sogar, dass Aki genau sah, was er tat, wie er es tat, um ihm von vornherein zu sagen, dass er ihm nicht das Wasser reichen konnte. Und dementsprechend kämpfte er dann auch: einfach drauf los, mit voller Kraft und ohne Rücksicht auf Verluste - so, wie er es immer tat, doch diesmal genoss er es noch mehr, weil er wusste, dass Aki viel zu subtil war und sich dadurch leicht einschüchtern ließ. Dementsprechend schnell war der Kampf auch entschieden. Es hatte nicht einmal eine Minute gedauert, bis Makoto zum Sieger erklärt wurde und er, begleitet von einem erstaunten Raunen, sich triumphierend grinsend zu Aki umdrehte und anschließend vom Platz ging.

"Das könnte problematisch werden", bemerkte Hikawa trocken, während er nach einer Flasche Wasser griff.

"Tse, so ein Angeber!" Leicht angewidert verdrehte er die Augen und lehnte sich zurück.

"Lass dich von so was bloß nicht einschüchtern, Aki! Das ist doch das Einzige, was er mit der Aktion bezwecken wollte."

"Ich werde das Gefühl nicht los, dass er mich nicht nur nicht leiden kann, sondern richtig hasst! Mich würde mal interessieren, was ich ihm angetan habe."

"Manche Menschen sind halt komisch", antwortete Yuki mit einem kurzen Blick Richtung Hikawa, worauf ihn dieser sofort mit einem Schlag in die Seite bestraft hätte, hätte Aki nicht zwischen ihnen gesessen. "Dieser da ganz besonders (gemeint ist Makoto), dem kann man nicht helfen."
 

Der weitere Verlauf der Kämpfe war relativ unspektakulär. Selbst die Zuschauer schienen nach Makotos Auftritt verhaltener zu sein, anscheinend hatte "der Zirkus dieses Affen", wie Yuki es bezeichnete, seine Wirkung nicht verfehlt. Kurz nach 18.00 Uhr wurde das Turnier für diesen Tag beendet und die Leute zerstreuten sich in alle Richtungen. Aki ging auf dem schnellsten Weg essen, um, so hoffte er, Makoto aus dem Weg gehen zu können. Yuki begleitete ihn, er konnte ihn unter den derzeitigen Bedingungen ja schlecht allein lassen, auch wenn er ihm ohnehin gefolgt wäre. Hikawa war erst einmal verschwunden, tauchte jedoch eine halbe Stunde, nachdem Aki wieder auf seinem Hotelzimmer war, dort auf und betrachtete seinen Schüler mit einer selbst für seine Verhältnisse sehr ernsten Mine.

"Willst du diesen Makoto besiegen?"

"Ich werde mein Bestes geben."

"Das war nicht meine Frage. Willst du ihn besiegen oder nicht?"

"Natürlich will ich! Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das schaffen kann. In Kioto habe ich bereits gegen ihn gekämpft, wir waren etwa ebenbürtig, aber als ich vorhin seinen Kampf gesehen habe, ist mir klar geworden, dass er mich geschont hatte, warum auch immer, und ich befürchte, dass er noch immer nicht sein volles Potential gezeigt hat. In zwei so kurzen Kämpfen war das überhaupt nicht möglich, selbst wenn er es gewollt hätte."

"So habe ich diesen jungen Mann auch eingeschätzt. Aber ich kenne auch dich. Ich weiß, was du kannst und was du noch lernen könntest. Wenn es dir wirklich ernst ist, werde ich dir eine Technik beibringen, mit der es dir möglich sein sollte, besser gegen ihn anzukommen. Ich habe mit der Hotelleitung gesprochen. Sie würden uns eine Halle zur Verfügung stellen, in der wir trainieren könnten. Ich stelle es dir frei, ob du neben deinen wichtigen Kämpfen auch Zeit dafür nutzen möchtest. Ich hatte ursprünglich eh geplant, dir diese Technik erst später zu zeigen."

"Ich wusste gar nicht, dass es noch weitere Techniken gibt. Warum sagen sie mir das erst jetzt?"

"Hörst du mir nicht zu? Weil ich geplant hatte, sie dir SPÄTER erst beizubringen."

"Aber warum?"

"Weil sie ein hohes Maß an Konzentration und Genauigkeit erfordert. Diese Technik ist um einiges schwieriger als die meisten, die du bis jetzt kannst, und ich bin mir nicht sicher, ob du sie in der kurzen Zeit beherrschen wirst, denn wir haben höchstens eine Woche, bis du diesem Makoto gegenüberstehen musst."

"Ich möchte es trotzdem versuchen."

In diesem Moment kam Yuki aus dem Bad. Er erkannte auf den ersten Blick, dass irgendetwas los war und fragte vorsichtig nach dem Grund für die ernsten Gesichter. Nachdem Aki ihm knapp erzählt hatte, was er vorhabe, stimmte Yuki dem sofort zu, zwar mit gemischten Gefühlen, doch er wusste, dass Akis Entschluss feststand und er daran nichts mehr ändern konnte. Außerdem gab ihm das vielleicht das nötige Selbstvertrauen, das er, wenn es zum Kampf zwischen ihm und Makoto kommen sollte, unbedingt brauchte. Er hoffte nur, dass Aki sich in seinem Eifer nicht zu sehr verausgabte, schließlich war das ein bedeutendes Turnier und Makoto nicht sein einziger Gegner.
 

Nach einigen Schwung- und Schlagübungen erklärte Hikawa seinem Schüler die neue Technik. Es war mehr eine Frage der richtigen Griffhaltung als des Schlages, da die Technik vor allem darin bestand, das Shinai mitten in der Bewegung zu drehen und den Schwung des vorangegangenen Schlages für den nächsten auszunutzen. Dadurch wurde das Shinai um einiges schneller und dadurch schwerer kontrollierbar, weshalb Aki unter Umständen auch einen Teil seiner Deckung aufgeben müsste. Doch WENN er diese Technik erst einmal beherrschte, sparte er einiges an Kraft und Ausdauer, da nicht jeder Schlag neu ausgeführt werden musste. Der Halbjapaner konnte nur hoffen, dass er es auch rechtzeitig schaffen würde, und das war schwerer gesagt als getan, da er das Bambusschwert, wenn er versuchte, es in eine andere (von einer gezielten will man an dieser Stelle noch nicht sprechen) Richtung zu lenken, fast gänzlich loslassen musste, um sich nicht zu verrenken und das Schwert abzubremsen.

Aki war wild entschlossen, diese Technik so schnell wie möglich zu meistern und übte die halbe Nacht durch wie ein Besessener. Er hätte auch die ganze Nacht durchgemacht, wäre sein Sempai nach wiederholter Bemerkung, dass es jetzt langsam gut sei, nicht ohne weiteren Kommentar aus dem Raum gegangen, sodass Aki nichts anderes übrig blieb, als ihm zu folgen und zumindest noch fünf, sechs Stunden zu schlafen.
 

Nachdem Aki am nächsten Morgen (mal wieder) verschlafen hatte, musste er sich arg beeilen, um nicht zu spät in der Halle zu sein. Genau genommen hatte er noch 15 Minuten um sich zu waschen, anzuziehen, frühstücken und in das große Gebäude in der Nähe der Hotelanlage zu kommen. Zumindest das Frühstück hätte wegfallen müssen, wenn Yuki nicht vorgesorgt und ihm gleich zwei belegte Brötchen aus dem Speisesaal mitgebracht hätte. Eins aß Aki bereits beim Umziehen, das andere mehr oder weniger in Ruhe auf dem Weg zur Arena. Von Makoto war diesmal keine Spur, was Aki etwas beruhigte. Richtig erleichtert war er, nachdem er es geschafft hatte, sich durch die noch überall herumstehenden Besucher zu schlängeln und pünktlich an seinem Platz anzukommen. Der Kommentar seines Meisters blieb ihm allerdings trotzdem nicht erspart.

"Und du wolltest noch weiter trainieren! Versuch lieber erst einmal, deine Grenzen zu finden, bevor du irgendetwas Neues lernen willst."

Aki entschuldigte sich für seine schlechte Disziplin und versprach es abzuändern, denn Hikawa würde das Training wirklich abbrechen, wenn er merken würde, dass es Aki in irgendeiner Weise beeinträchtige. Während der Studienzeit hätte der Meister sicherlich nicht so sehr auf die Schonung seines Schülers geachtet; er hätte ihn auch nicht so abgeschunden, dass er zum Wrack würde, doch die Meisterschaft war durchaus etwas bedeutsamer als ein normaler Tag an der Universität und mit Sicherheit war Hikawa auch stolz darauf, dass sein Schüler daran teilnahm (auch wenn er dies gut zu verbergen wusste), sodass er darauf achtete, dass Aki keine Dummheiten beging.
 

Den gesamten Vormittag über blieb Aki Zuschauer der Wettkämpfe, da aufgrund der hohen Teilnehmerzahl an der Meisterschaft noch immer nicht alle gekämpft hatten. Mit dem Einläuten der Mittagspause halb eins konnte die erste Runde allerdings endlich abgeschlossen werden. Zwar ging Aki zusammen mit Yuki in den Speisesaal, um gemeinsam mit ihm dort sein Mittag zu essen, doch großen Hunger hatte er von dem langen Herumsitzen nicht bekommen. So saßen beide mehr dort herum und unterhielten sich, als dass sie aßen.

Auch in der zweiten Hälfte der heutigen Ausscheidungen erschien Akis Name nicht auf der Leuchttafel. Nach den ersten paar Kämpfen schien auch klar zu sein, weshalb. Alle Namen die aufleuchteten, gehörten den Teilnehmern, die in der ersten Runde verloren hatten. Sie kämpften nun also um das Weiterkommen in die nächste Runde. Der Junge, gegen den Aki am Tag zuvor angetreten war, schaffte es, in die nächste Runde zu kommen. Aki konnte das Ende der Kämpfe kaum erwarten und schaute alle fünf Minuten auf die Uhr. Einerseits mochte er es nicht, den ganzen Tag herumzusitzen und Däumchen zu drehen (auch wenn er sich so weiterhin über die anderen Teilnehmer informieren konnte), andererseits wollte er unbedingt an seiner neuen Technik arbeiten, denn die Ergebnisse des vergangenen Abends waren mehr als unbefriedigend für ihn gewesen. Obwohl er seine Ungeduld gut verstecken konnte, da er nicht jedes Mal auf seine Armbanduhr schauen musste, um die Zeit zu erfahren, sondern nur einen kurzen Blick auf die schwarze Tafel warf, war es seinem Sempai aufgefallen und er wurde mit einem "Beherrsche deine Gefühle, besonders so unnütze wie Ungeduld, sonst wirst du es nicht weit bringen" zurechtgewiesen. Von da an versuchte der Halbjapaner wirklich, etwas gelassener zu wirken. Die Zeit verging davon trotzdem nicht schneller.
 

Sofort nach Turnierende machte sich Aki auf den Weg in den Speisesaal, anschließend ging er zurück in das Hotelzimmer, wo er sich sofort mit seinem Shinai bewaffnete und einige Griffwechsel probte.

"Es ist ja toll, dass du dich so dafür begeisterst, Aki, aber übertreib es nicht."

"Das verstehst du nicht, Yuki. Diese Technik ist meine einzige Möglichkeit eventuell eine Chance gegen Makoto zu haben. Und die will ich nicht verspielen."

"Warum bist du so wild darauf, ihn unbedingt zu schlagen?"

"Um ihm zu zeigen, dass er mich nicht beherrschen kann wie eine Puppe. Du hast doch gesehen, wie er mich immer anschaut. Ich habe das Gefühl, er macht das alles nur, selbst den Wettkampf, um mich fertig machen zu können. Ich will mir das nicht gefallen lassen. Ich will mich dagegen wehren können."

"Sei trotzdem etwas lockerer. Seine angeberische Art hätte nicht halb so viel Erfolg, wenn du dir nicht dauernd Sorgen deswegen machen würdest. Du solltest es dir mehr zu Herzen nehmen, was dein Meister dir rät."

Er konnte Aki tatsächlich für einige Augenblicke dazu bewegen, in seinen Aufwärmübungen inne zu halten.

"Es ist lieb von dir, dass du dir Sorgen um mich machst, aber es geht mir nicht nur darum, ihm die Stirn zu bieten. Für mich ist es auch eine Frage der Ehre, gegen jemanden wie ihn zu siegen. Ich meine, ich würde es überleben, wenn ich verliere, aber ein Sieg wäre eine große Genugtuung für mich. Auch wenn das jetzt gemein und egoistisch klingt."

"Aber es ist durchaus nachvollziehbar", entgegnete Yuki mit einem nachdenklichen Nicken. Mit einem erfreuten Lächeln umarmte er Yuki für einen Augenblick, ließ ihn gleich darauf wieder los und ging in Richtung Tür.

"Ich muss dann los...."

"J...ja. Viel Spaß. Und mach nicht so lange."

Er schloss die Tür hinter sich und ließ den noch immer perplexen Yuki allein zurück. Sekunden später (oder Minuten, wie es Yuki vorkam), dämmerte ihm allmählich, was genau Aki gerade getan hatte. Er hatte ihn umarmt. Eine Umarmung. Eine ganz einfache Umarmung. Und doch...

Er lehnte sich gegen die Wand, um nicht wegen der plötzlichen Leichtigkeit in seinen Beinen umfallen zu können.

... Es war das erste Mal, dass er ihn umarmt hatte. Der Tag im Vergnügungspark zählte nicht, da war irgendetwas vorgefallen, etwas Bedeutsames, was es gerechtfertigt hatte, dass er, Yuki, ihn umarmen konnte. Er hatte Aki umarmt, nicht umgekehrt. Aki hatte es lediglich zugelassen. Aber diesmal.... diesmal hatte Aki ihn umarmt. Einfach so. Yuki hatte gar nicht damit gerechnet, er war viel zu überrascht, um irgendwie reagieren zu können. Verdammt, hätte er es doch nur eher bemerkt! ... ...

So ging Yuki noch eine ganze Weile seinen Gedanken nach, ohne zu wissen, dass in Akis Kopf gerade genau dasselbe Thema herumgeisterte.
 

Gleich nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, hielt Aki für einen Moment die Luft an und überlegte, ob er gerade wirklich getan hatte, was er glaubte getan zu haben. Er überlegte ein, zwei, drei Mal. Da ihm sein Kopf aber jedes Mal dieselbe Antwort gab, gab er es schließlich auf und setzte sich wieder in Bewegung. Das hieß jedoch nicht, dass er das Thema damit abgehakt hatte; es begleitete ihn den ganzen Weg über bis zur Turnhalle.

Nun gut. Er hatte ihn also umarmt. Warum? Er wusste es nicht. Es war nun einmal so. Er wollte ihn in die Arme nehmen, ihm danken, dass er sich Sorgen machte, ihn unterstützte und immer aufmunterte, wenn er schlechte Laune hatte. Er wollte ihm danken, dass er immer für ihn da war. Aber das hätte er auch einfach sagen können. Warum also die Umarmung? Aber warum eigentlich auch nicht? Eine Umarmung war nichts Verbotenes, eine ganz normale Geste unter Freunden. Taka und Hajime (zwei Freunde aus der Uni) umarmten sich ja auch dauernd.

,Sie sind ja auch schwul', erinnerte ihn die Stimme in seinem Hinterkopf.

Na und? Nicht jeder, der einen Freund umarmt, ist automatisch schwul. Zumal Yuki eine Ausnahme ist, immerhin ist er sein bester Freund.

Nach diesem letzten Gedanken versuchte Aki, sich wieder auf das Training zu konzentrieren, bevor diese nervige Stimme wieder irgendetwas entgegnen konnte oder vielleicht sogar nachfragte, warum sein Herz so heftig schlug und sein Hals wie zugeschnürt war. Das war nämlich nur die Aufregung vor dem Training, weiter nichts. Jawohl.
 

Die strenge Trainingsweise seines Meisters kam Aki heute wie gerufen. Dank eben jener schaffte er es binnen weniger Minuten, seinen Kopf frei zu machen und sich wieder auf andere Dinge zu konzentrieren, wie zum Beispiel die neue Technik. Er spürte, dass es heute schon besser ging als beim letzten Mal. Einige der Griffwechsel konnte man am Ende des Trainings bereits als "sauber ausgeführt" bezeichnen. Jetzt ging es darum, auch die anderen Griffe auf dieses Niveau zu bringen und nach Möglichkeit auch die Richtung des Schwungs nach dem Griffwechsel besser zu kontrollieren, denn auch der beste Schlag brachte nichts, wenn er ins Leere ging. Hikawa schien ebenfalls recht zufrieden zu sein mit Akis Fortschritten.

"Mach weiter so, dann könntest du den Griff rechtzeitig schaffen. Aber werde nicht leichtsinnig und versuche keinesfalls, das schon mal im richtigen Kampf auszuprobieren. Das Schwierigste hast du immer noch vor dir und bedenke auch, dass ich dir ausreichend Möglichkeiten geboten habe, die Schläge sauber auszuführen. Der Kampf gegen Onichino wird viel härter sein als das, was wir bis jetzt gemacht haben."

"Ich weiß, Sempai."
 

Was Aki zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, war, wer sein Gegner am kommenden Tag sein sollte. Er traute seinen Augen kaum, als er las, gegen wen er als nächstes antreten würde. Er hatte gehofft, so sehr gehofft, dass er erst im Finale (falls er es soweit geschafft hätte) gegen ihn hätte antreten müssen, denn diese unglückselige Fügung gefährdete sein Vorhaben erheblich, wenn es dieses nicht sogar beendete. Noch bevor der Halbjapaner aufstehen und auf den Platz hinausgehen konnte, raunte ihm sein Meister die Warnung des letzten Trainings noch einmal zu.

"Du darfst auf keinen Fall diese Technik versuchen! Egal, was geschieht, hast du mich verstanden?"

"Ja."

Mit einem ziemlich flauen Gefühl im Magen betrat er den Kampfplatz, es folgten die obligatorische Begrüßung und die Versicherung, dass man fair kämpfen würde, bevor Aki Haltung einnahm und darauf wartete, dass der Kampf begann. Die Schadenfreude stand Makoto klar und deutlich ins Gesicht geschrieben, er schien es kaum noch erwarten zu können. Kurz bevor der Schiedsrichter die Runde eröffnete, meinte er noch: "Schade, dass wir uns jetzt schon begegnen", dann sausten auch schon die Shinai aufeinander los.

Makotos Schläge waren enorm. Die Wucht, mit der sein Shinai jedes Mal auf Akis traf, verlangten von ihm äußerste Konzentration und Können. Aber auch wenn Aki wenige Aussichten auf einen Sieg hatte, wollte er nicht kampflos aufgeben. Er wollte zumindest zeigen, dass er seinem Gegner nicht hilflos ausgeliefert war und dass er sich wehren konnte. Diese Einstellung gab ihm das nötige Durchhaltevermögen, um die erste Runde wenigstens zu überstehen. Erstaunt stellte er nach dieser fest, dass er sogar zum Sieger dieses ersten Kampfes erklärt wurde, da seine Schläge anscheinend die besseren Punktwerte erzielt hatten. Dafür hatte Makoto ihn auch noch nie mit so hasserfüllten Blicken durchbohrt. In der zweiten Runde merkte Aki, dass er seinen Sieg aus der ersten Runde anscheinend nur Makotos Überheblichkeit zu verdanken wurde, denn der Kampf wurde sogar noch schlimmer, sodass er in den letzten paar Minuten langsam Mühe bekam, dabei noch mitzuhalten. Der Kampf wurde auch, wie nicht anders zu erwarten, diesmal für Makoto entschieden. In der nächsten Runde schien auch Makoto allmählich Kraft zu verlieren, auch wenn es Aki nicht mehr viel nützte, da seine Kraftreserven schon ein ganzes Stück unter denen seines Gegners lagen. Die zehn Minuten konnte er noch durchhalten, aber mit den paar Kontern, die er noch schaffte, holte er nicht mehr sonderlich viele Punkte. Nachdem der Kampf beendet war und der Sieger feststand, war es noch einige Augenblicke totenstill in der Arena, bevor die Menge in schreiende Jubelrufe ausbrach. Auch Aki freute sich innerlich, er brauchte sich nur Makotos Gesicht anzusehen um zu erkennen, dass dieser sich einen eindeutigeren Ausgang des Kampfes gewünscht hatte, und das ärgerte ihn unheimlich. Aki gab dies natürlich Genugtuung; er hatte erreicht, was er erreichen wollte: Makoto die Stirn bieten. Er hatte ihm gezeigt, dass er kämpfen konnte, dass er es schaffte, wenn ihn schon nicht zu besiegen, so aber zumindest zum Schwitzen und schweren Atmen zu bringen.

Unter tosendem Lärm verließen beide das Feld, gingen auf ihre Plätze zurück. Dort sah Aki seinen Sempai zum ersten Mal in seinem Leben richtig entspannt und zufrieden lächeln.

"Das war sehr gut. Ich bin stolz auf dich!"

"Danke, Sempai! Das habe ich dem harten Training der letzten Tage zu verdanken."

"Das war einfach Wahnsinn, Aki! Langsam bekomme ich richtige Angst vor dir", scherzte Yuki.

"Ach was! Das brauchst du nicht."

"Er sieht echt sauer aus. Hatte sich wohl mehr von diesem Kampf erhofft."

"Schätze ich auch."

Zufrieden schloss Aki die Augen, während er sich an der Wand anlehnte und eine Flasche Wasser öffnete. Hikawa hatte seine Gefühle mittlerweile wieder unter Kontrolle und seine alltägliche steinerne Maske wieder aufgesetzt.

"Auch wenn du dich jetzt gut geschlagen hast, vergiss nicht, dass du den Kampf trotz allem verloren hast und nun unbedingt alle folgenden Kämpfe eindeutig gewinnen musst, um es bis in das Finale zu schaffen. Ich bezweifle zwar nicht, dass du das schaffen kannst, aber wenn du die nächsten Runden überstehst, wird dir mit Sicherheit ein weiterer Kampf gegen Onichino bevorstehen und auch diesen müsstest du eindeutig gewinnen, wenn du noch eine Chance auf den ersten Platz haben willst. Das wird ein hartes Stück Arbeit."

Aki öffnete seine Augen wieder und schien mit diesen irgendeinen weit entfernten Punkt zu fixieren.

"Ich weiß. Und wir haben nicht mehr viel Zeit dafür."
 

Wie schon beim letzten Mal, als Makoto gekämpft hatte, änderte sich nach dem vergangenen Zusammentreffen die Stimmung im Publikum schlagartig. Diesmal wirkten die Zuschauer (und auch einige Teilnehmer) jedoch nicht so verängstigt wie beim letzten Mal, sondern eher beeindruckt und folglich nach den kommenden Kämpfen etwas gelangweilt. Man hatte das Gefühl, als hätte man die Endrunde einfach vorgezogen, wie bei einem lang ersehnten Spiel, das man sich unbedingt ansehen wollte, bis einem die Lust dazu verging, weil ein besonders netter Freund einem die Ergebnisse vorher schon gesagt hatte. Aki kümmerte das im Moment allerdings wenig. Er war nicht hier, um die Zuschauer zu beeindrucken, sondern um sein Können auf die Probe zu stellen und, seit er wusste, dass auch Makoto an dem Turnier teilnahm, um eben diesen Menschen zu besiegen, um endlich von ihm respektiert zu werden. So war es auch kein Wunder, dass Aki nach einiger Zeit wieder unruhig wurde und sich zusammenreißen musste, nicht dauernd auf die Uhr zu sehen.

Nach dem Mittag, als er gerade auf dem Rückweg zur Arena war, musste der Halbjapaner feststellen, dass sich zu seinen bisherigen Problemen noch ein weiteres dazugesellt hatte: Die Presse. Mit seinem spektakulären letzten Kampf hatte er es geschafft, das Interesse der Reporter an ihm wieder zu wecken, und nicht nur das Interesse einiger Reporter, sondern das ALLER, so schien es ihm zumindest, als er von einer Schar dieser eingekesselt wurde. Auch wenn Yuki ihm zur Seite stand, war es nicht einfach, sich aus dieser Horde herauszukämpfen. Einige Leute waren sogar so aufdringlich, dass sie ihn regelrecht festzuhalten versuchten und hartnäckig auf ihren Fragen beharrten, bis Aki wenigstens ein paar von diesen halbwegs beantwortet hatte. ,Er versuche einfach, sein Bestes zu geben.' ,Ja, der letzte Kampf war unheimlich spannend und es hätte ihm sehr viel Spaß gemacht.' ,Er könne nicht einschätzen, wie weit er wohl in diesem Turnier kommen würde und würde sich deshalb überraschen lassen.' Solche und ähnliche Antworten gab er ihnen hastig, während er versuchte, dem Blitzgewitter der Fotoapparate und den hungrigen Kameralinsen zu entkommen, was ihm allein sicher nicht rechtzeitig zur Fortsetzung der Ausscheidungen gelungen wäre. Wie er sie hasste, diese Geier! Überall mussten sie ihre Nasen reinstecken und Leute belästigen, wenn sie es am wenigsten gebrauchen konnten!

Aki war so sehr damit beschäftigt, sich über die Reporter aufzuregen, dass er seine Eile völlig vergaß. Er bemerkte auch nicht, wie ihn Yuki immer wieder besorgte Blicke zuwarf, weil diese plötzliche vollkommene Ruhe überhaupt nicht zu Aki passte, genauso wie die Blässe, die sein Gesicht auf einmal angenommen hatte. Auch Hikawa hatte Yuki einen fragenden Blick zugeworfen, als beide auf ihre Bank zurückgekehrt waren. Aki hatte von alldem nichts mitbekommen, viel zu sehr war er in seinen eigenen Grübeleien versunken.
 

Dafür ging der Tag allerdings auch etwas schneller vorbei als die letzten beiden. Wie die letzten beiden Male hatte Aki vor, sich gleich nach einem leichten Abendessen auf dem Weg zum Training mit seinem Meister zu machen, allerdings graulte es ihm diesmal vor den Wegen, die er dafür zurücklegen musste. Schließlich käme er nicht umhin, auch öffentliche Flure und Straßen zu passieren, auf denen sich nun mal auch Reporter aufhalten durften. Seltsamerweise hatte Hikawa an diesem Abend bereits vor dem Ende der Kämpfe das Stadion verlassen, unter dem Vorwand "noch etwas erledigen" zu müssen. Kurz nachdem auch Aki und Yuki gegangen waren, folgte die nächste merkwürdige Entdeckung: Keine Reporter! Nirgends. Nicht einmal auf der Straße, die das Hotel mit der Arena verband. Dabei hatte er sogar einen Kamerawagen entdecken können, aber niemand war herausgesprungen und hatte versucht, ihn wieder mit Mikro und Kamera einzufangen. Diese zwei komischen Ereignisse mussten miteinander zusammen hängen, da waren Aki und Yuki einer Meinung, und auch wenn Yuki am liebsten erfahren hätte, wie der alte Meister das angestellt hatte, so war Aki eher dafür, es einfach dabei zu belassen und die Ruhe zu genießen, solange sie bestand.
 

Beim Training an diesem Abend kamen Aki erneut Zweifel, ob er seine neue Technik bis spätestens Freitag beherrschen würde, denn obwohl er sah, dass er Fortschritte machte, wusste er auch, dass sein Meister ihn noch nicht annähernd so sehr forderte wie im Normalfall, weil er diesen Ansprüchen einfach nicht gewachsen wäre. Das bereitete ihm Sorgen. Schließlich konnte er im entscheidenden Kampf auch nicht einfach Makoto bitten, doch etwas sanfter zu sein, damit er eine neue Technik ausprobieren könne. Das war einfach lächerlich. Und er hatte nur noch einen weiteren Abend Zeit um zu üben....
 

Ehe Aki sich versah, war auch schon der nächste und damit vorletzte Tag des Turniers angebrochen, Donnerstag. Die Anzahl der Teilnehmer hatte sich im Verlauf der letzten Tage um über die Hälfte verringert, die Kämpfe gingen seit die ersten ausgeschieden sind, immer schneller voran. Da wunderte es Aki auch nicht, dass er gegen Mittag erneut einen Kampf zu bestreiten hatte, den er eindeutig für sich entscheiden konnte. Makoto kam nur wenige Runden nach ihm an die Reihe und, welch Wunder, erreichte ebenfalls problemlos die nächste Runde. Am Abend musste Aki einen weiteren Kampf gegen jemanden bestreiten, der in einer der vorigen Runden gewonnen hatte. Er war ganz schön stark, jedoch kein Vergleich zu Makoto, und wurde deshalb auch eindeutig geschlagen.

Am Ende des Tages waren nach Akis Schätzungen noch fünf bis sechs Teilnehmer übrig, von denen nur einer bis jetzt ohne eine Niederlage war. Ich spare es mir an dieser Stelle einfach, den Namen noch einmal zu erwähnen, da es mittlerweile auch der letzte verstanden haben sollte.

Von den Reportern war auch an diesem Tag keine Spur. Langsam hatte Akis Neugier doch überhand genommen, doch als er seinen Meister nach dem Grund für das Verschwinden der Presseleute befragte, beteuerte dieser fortwährend seine Unwissenheit.

Das Training wurde an diesem Abend um einiges anspruchsvoller für Aki. Jetzt schenkte ihm Hikawa nicht mehr so leichte und eindeutige Schläge, die er mühelos parieren konnte. Jetzt musste der Halbjapaner aufpassen, wann sich eine Gelegenheit für die neue Technik ergab und wie er sie umsetzte. Schon die kleinste Unachtsamkeit bot seinem Meister die Möglichkeit, seine Deckung zu durchbrechen und ihn außer Gefecht zu setzen. Kurz nach Mitternacht entließ ihn sein Meister mit der Empfehlung, seinen Stil so beizubehalten und im Zweifelsfall die Technik lieber nicht zu versuchen. Er würde diese zwar schaffen, aber nur, wenn sich eine ausreichende Gelegenheit dafür bieten würde. Aki verließ den Raum mit gemischten Gefühlen. Er bezweifelte, dass diese halb beherrschte Technik gegen Makoto ausreichen würde.
 

"Jetzt iss endlich noch was!"

"Ich habe aber keinen Hunger mehr."

Verständlich war es schon, dass Aki bei so viel Lampenfieber keinen Bissen hinunter bekam, aber es war wichtig, dass er jetzt, am entscheidenden Tag, in Höchstform war. Und da spielte anständiges Essen eine nicht unbedeutende Rolle. Also versuchte Yuki verzweifelt weiter, seinen Freund irgendwie aufzuheitern und seinen Appetit zurückzuholen. Doch langsam verlor auch er die Hoffnung auf diesen Erfolg.

"So wird das nie was!"

Frustriert vergrub er sein Gesicht in den Händen und schüttelte sacht den Kopf.

"Wenn du so weitermachst, verlierst du noch, weil du mitten im Kampf umkippst."

"Ach, komm! Übertreib mal nicht! Außerdem habe ich ja etwas gegessen."

"Eine Scheibe Weißbrot und einen Tee. Pass bloß auf, dass du dich nicht überfrisst."

"Sehr witzig. Mich würde mal interessieren, was du an meiner Stelle getan hättest."

Yuki wollte eigentlich erst wieder irgendeine dumme Bemerkung zurückgeben, doch dann besann er sich eines Besseren und dachte tatsächlich für einen Moment darüber nach. Schließlich setzte er zu einer Antwort an.

"Ich würde mir überlegen, was mir wirklich wichtig wäre. Und dazu müsste ich nicht einmal lange überlegen."

Mehr sagte Yuki dazu nicht. Er war sich sicher, dass Aki verstehen würde, worauf er hinauswollte. Und tatsächlich zeigte sich einige Augenblicke später ein leichtes Lächeln in dessen Gesicht.

"Du hast ja Recht, Yuki."

"Der Einzige, der wirklich von dir erwartet, dass du aus diesem Finale als Sieger hervorgehst, bist du selbst, Aki. Mir ist es egal, ob du am Ende Erster, Zweiter oder Letzter bist. Hauptsache ist doch, dass es Spaß gemacht hat und dass du selbst nichts bereust, weil du alles gegeben hast."

"Stimmt. Und bis jetzt war es auch so. Ich hatte Spaß daran, weil ich getan hatte, was ich konnte. Mehr wollte ich ursprünglich auch gar nicht."

"Aber wenn du nicht langsam mal was isst, wirst du nicht genug Kraft haben, um alles geben zu können."

Auf diesen Kommentar hin nahm sich Aki noch ein paar Brötchen und einige Erdbeeren, die er alle mit den Worten "Das kann ich ja drüben essen" in seinen Rucksack steckte. So ganz war es das nicht, was Yuki erreichen wollte, doch mit einem kapitulierenden "Na immerhin" gab er schließlich auf und folgte seinem Freund nach draußen. Die Reporter waren seltsamer Weise noch immer nicht wieder aufgetaucht.
 

Für den letzten Tag war die schwarze Tafel anscheinend umgestaltet wurden. Wie man nun eindeutig erkennen konnte, gab es noch vier Teilnehmer bei dem Turnier, welche alle im K.o.-System auf der Tafel aufgelistet waren. Oder fast alle zumindest. Aki durfte mit drei weiteren Teilnehmern um den Einzug ins Finale kämpfen; zuerst trat er gegen einen jungen Mann namens Chyba Satoru an, der Gewinner würde, so wurde inzwischen erklärt, eine halbe Stunde später gegen Sakano Taro antreten, wieder eine halbe Stunde später würden die Verlierer der letzten beiden Runden um die Plätze 3 und 4 kämpfen und dreizehn Uhr würde das Finale zwischen den Gewinnern der letzten beiden Runden und Onichino Makoto statt finden.

Kaum war das Ende des Turnierverlaufes erklärt worden, begann die erste Runde. Glücklicherweise bekam Aki dabei endlich seine Kondition zurück, sodass er nach anfänglichen Fehlern problemlos in die nächste Runde kam. Der zweite Kampf verlief für den Halbjapaner ebenfalls problemlos, sodass es dann nur noch galt, das Finale abzuwarten. Zumindest, so empfand es jedenfalls Yuki, hatte sein Freund langsam wieder Appetit bekommen und aß in der Zwischenzeit erst die mitgebrachten Erdbeeren, dann noch ein Honigbrötchen. Nach dem Gespräch mit Yuki im Speisesaal ging es Aki wirklich wieder besser. Er versuchte auch nicht, zwischen den am Rand sitzenden Personen Makoto zu erspähen. Schließlich, so fand er jetzt, musste er sein Gesicht später noch lange genug ertragen. Sollte dieser komische Kerl doch nachher so wütend werden, wie er wollte. Es könnte für ihn selbst nur zum Vorteil sein, da man dann automatisch mehr Fehler machte.
 

Diese Einstellung konnte Aki bis zum Beginn seines entscheidenden Kampfes aufrechterhalten, was ihm schon bei den ersten Schlägen deutliche Vorteile brachte, das spürte er. Er fühlte sich dadurch angenehm erfrischt, was ihm unbewusst irgendwie mehr Kraft verlieh. Aki hatte den Spieß einfach umgedreht. Durch seine kühle, fast gleichgültige Art machte er Makoto rasend, sodass dieser zwar wie wild drauflosschlug, aber dabei auch viele technische Fehler machte. Als Makoto dies bemerkte, war es schon viel zu spät. Aki hatte in dieser Runde bereits so viele Punkte geholt, dass er es in den letzten paar Minuten, die sie noch Zeit hatten, nicht wieder ausgleichen konnte. Aber er hatte begriffen. Und das machte die nächste Runde für den Halbjapaner um einiges schwieriger. Auch wenn er seine Ruhe beibehielt, wurde es für ihn immer schwerer, Makotos mit jedem Schlag heftiger werdenden Angriffen noch standhalten zu können, sodass er nun leider doch versuchen musste, eine Möglichkeit zum Einsetzen (oder eher Ausprobieren) seiner neuen Technik zu finden. Aber es half alles nichts. Makoto gab sich keine Blöße. So schwand Akis Vorsprung wieder zu einem "Ausgeglichen" und man ging in die gefürchtete, alles entscheidende dritte Runde über. Der Halbjapaner wusste, dass er nun, wo Makoto erst einmal richtig in Fahrt war, sich nicht mehr sehr große Chancen für einen Sieg ausrechnen könnte, wahrscheinlich sogar gar keine mehr, sollte es ihm nicht gelingen, seine neue Technik zum Einsatz zu bringen. Mit der Geschwindigkeit und damit verbundenen Effektivität dieser Technik könnte er seine Chancen erheblich steigern.

Dummerweise steigerte sich Aki zu sehr in diesen Gedanken ein und tat das, wovor ihn Hikawa dringlichst gewarnt hatte: Er unterschätzte eine von Makotos Attacken und versuchte sich an dem Schlag, war jedoch um einen winzigen Bruchteil einer Sekunde zu langsam, sodass Makoto ausweichen und kontern konnte. An dieser Stelle machte jedoch auch er einen entscheidenden Fehler. Wäre er fair geblieben, wäre sein Sieg jetzt wahrscheinlich sicher gewesen, doch in seiner nur mühsam unterdrückten Raserei wurde er unachtsam und versuchte nicht nur, Aki das Shinai aus der Hand zu schlagen, sondern traf auch dessen Hand mit voller Kraft, sodass Aki sein Bambusschwert mit einem Schmerzensschrei fallen ließ. Der Schiedsrichter unterbrach augenblicklich den Kampf und wollte wegen dieses unfairen Schlages Aki zum Sieger erklären, doch dieser verweigerte dank seines im Moment völlig unpassenden Stolzes diesen "schmachvollen" Sieg und bat um eine zehnminütige Pause, bis die letzte Runde fortgesetzt werden könnte. Eher weniger begeistert stimmte der Schiedsrichter dem zu und ließ beide Kämpfer noch einmal vom Platz gehen. Aki bekam von seinem Meister sofort eine ordentliche Standpauke über seine beiden Fehler zu hören, während er seine bereits angeschwollene rechte Hand einem Arzt zeigte und auf eventuelle Brüche untersuchen ließ. Gebrochen schien nichts zu sein, meinte dieser, doch arg geprellt und an einigen Stellen gequetscht, was in den nächsten paar Stunden noch um einiges schmerzhafter werden würde. Sowohl Hikawa als auch Yuki versuchten den Halbjapaner zu überreden, dass er den Kampf abbrechen möge und keinesfalls mit dieser Verletzung weiterkämpfen solle, doch der blieb stur und ließ sich durch nichts vom Weiterkämpfen abbringen.

"Ich muss da noch mal raus! Noch EINMAL! Ich weiß, dass ihr das nicht verstehen könnt, aber ich bin mir sicher, dass ich es jetzt schaffen kann. Ich werde Makoto schlagen! Und zwar in einem richtigen Kampf. Daran können mich weder diese Hand noch ihr hindern!"

Schließlich gaben Hikawa und Yuki doch auf. Hikawa war eher beleidigt, Yuki besorgt, aber es lief auf dasselbe hinaus, nämlich darauf, dass beide still wurden und sich wieder auf ihre Bank setzten, während der Arzt Akis Hand noch notdürftig verband und mit einem Eisbeutel kühlte. Dann waren die zehn Minuten auch schon wieder um und er ging auf das Kampffeld zurück. Makoto begrüßte ihn mit einem müden Grinsen.

"Du scheinst immer noch nicht begriffen zu haben, dass das dein Todesurteil war. Irgendwie muss sich mein Schlag wohl auch auf deinen Kopf ausgewirkt haben."

"Das werden wir sehen."

Nachdem die Runde wieder angepfiffen wurde, zögerte Aki gar nicht erst lange herum. Lange konnte er sich nicht auf diesen Kampf einlassen, das war ihm klar. Und seine einzige Chance bestand in seiner neu erlernten Technik. Doch jetzt wusste er, dass es gehen würde. Er wusste noch nicht einmal genau wie; er hatte es einfach gespürt, als er es vor zehn Minuten ausprobiert hatte. Es hatte nicht mehr viel gefehlt, dann hätte er ihn gehabt, und dieses kleine Stück konnte er jetzt überbrücken, das fühlte er.

Makoto hatte kaum zum Schlag ausgeholt, als er auch schon in die Defensive wechseln musste, da Akis Shinai auf ihn niedersauste, doch Zeit zum Kontern blieb ihm nicht, denn genauso schnell, wie er das Schwert geblockt hatte, kam es auch schon zurück; nein - es war sogar noch schneller! In letzter Sekunde wehrte er den ungewöhnlich schnellen Angriff ab, nur um sofort mit einer neuen Attacke konfrontiert zu werden und erst da fiel ihm auf, dass Aki nicht auf ihn, sondern auf sein Shinai zielte. Es folgte ein weiterer zerschmetternder Angriff, dann gleich noch einer, der Makoto sein Shinai mit einem ohrenbetäubenden Bersten aus der Hand schlug und dabei in mehrere Teile riss.

Wie paralysiert starrte der Japaner die auf ihn gerichtete Spitze Akis Shinai an, welche sich durch das schwere Atmen des Halbjapaners leicht hob und senkte. Erst als die ersten Leute anfingen zu jubeln und zu applaudieren, fand auch der Schiedsrichter seine Fassung wieder und erklärte Aki zum Sieger. Auch Makoto schien, je lauter es wurde, Akis spektakulärer Sieg und damit seine schandhafte Niederlage allmählich bewusst zu werden. Mit versteinertem Gesicht nahm er die Reste seines Shinai und kam einen Schritt auf Aki zu, sodass sein Gesicht bis an Akis Ohr heranreichte, in welches er leise "Das wird dir noch Leid tun" hineinzischte, bevor er mit schnellen Schritten verschwand. Aki lief bei diesen so abgrundtief diabolisch gesprochenen Worten ein kalter Schauer über den Rücken, doch der verging schnell wieder, als von allen Seiten die Leute auf ihn zugelaufen kamen, um ihm zu seinem Sieg zu beglückwünschen. Alle umarmten ihn und schüttelten ihm die Hände, natürlich auch Yuki (oder besser: ganz besonders dieser) und selbst Hikawa, der erstaunlich schnell seinen Groll wegen Akis Sturheit abgelegt hatte.
 

Gleich nach den feierlichen Glückwünschen folgte die Siegerehrung, eingeleitet von einer ellenlangen Rede des Leiters des Turniers, anschließend wurden die Teilnehmerurkunden verteilt, dann die Ehrenurkunden und schließlich die Siegerurkunden, bevor man die drei Bestplatzierten ehren wollte. Wie gesagt, WOLLTE. Denn den Vizemeister konnte man nirgends mehr finden, er war nach seiner Niederlage Hals über Kopf verschwunden und von keinem mehr gesehen worden. Daher plante man kurzerhand um, zeichnete nur Platz drei und eins aus und verwahrte die Preise für Platz zwei, bis dieser wieder auftauchen würde. Aki erhielt eine goldene Medaille, auf der ein Schwertkämpfer abgebildet war, sowie einen goldenen Pokal mit der Büste Saigo Takamoris und eine Urkunde. Auch der dritte Platz, den Sakano Taro erreicht hatte, bekam eine Medaille, allerdings aus Bronze, sowie einen kleineren Pokal, ebenfalls aus Bronze und eine Urkunde.

Nachdem dies vorbei war, begann die große Feier für die Teilnehmer im Restaurant des Hotels. Höchst eigenartiger Weise war von den Reportern noch immer nichts zu sehen. Langsam bekam Aki sogar Angst um sie, doch das hatte, sagte er sich, auch später noch Zeit.
 

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So, das war's endlich! Ich hoffe, ich hab es nicht ganz vermurkst. Jedenfalls war das Kappi echt 'ne Qual für mich. Als ich dieses Kapitel anfangs eingeplant habe, hätte ich nie gedacht, dass es so ewig wird. Aber ich denke (und hoffe), die nächsten Teile werden nicht wieder so ellenlang. Jetzt bin ich erstmal hundemüde und mach mich ins Bett. Außerdem kenne ich ja meine Eltern. Die werden bestimmt bald wieder schief gucken, schließlich bin ich nun schon seit ein paar Stunden am Rechner. Nyo, dauert halt seine Zeit, wenn man 45 Mails zu sortieren hat und noch eine Geburtstagsmail (mit einer (fast-)Rekordlänge von 33 KB) schreiben muss).

Also dann macht's gut!

hikari-chan
 

p.S.: Ich wünsche allen noch ein schönes neues Jahr!

Let's have a Party!

Jaaaa! Fertig! *tataaatataaaatataaaa* Also die letzten öhm... ca. 5 Word-Seiten hab ich am Stück geschrieben, was damit endete, dass ich erst früh halb zwei im Bett lag. Und dann hat's Ann-chan, meine treue Beta-Leserin, zum Korrigieren bekommen, und war zu allem Überfluss auch noch krank *in diesem Sinne Ann-chan das Kappi widme*. Ist wohl krank geworden, als sie die ganzen Fehler hier drin gesehen hat. Gott, so viel Blödsinn hab ich auch noch nie zurechtgeschrapelt...

Ich hoffe, euch gefällt es. Das Schreiben hat jedenfalls zur Abwechslung mal wieder Spaß gemacht, zumal ich den ganzen Käse mit dem Gekämpfe jetzt endlich!!! hinter mir hab. Zur Abwechslung wird es in Zukunft mal etwas kuscheliger.

Na? Interesse geweckt? Dann viel Spaß!

p.S.: Hey, ich hab ein kleines Jubiläum! Über 20 Kommentare! Und dass, obwohl ich ja nun eine gänzlich unbekannte Autorin mit einer gänzlich unbekannten Story bin. Ich danke euch!!!
 

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Let's have a Party!
 

Der ereignisreiche Tag neigte sich dem Ende. Die Wettkämpfer hatten am Buffet ausgiebig gefeiert und fuhren nun nach und nach zurück nach Hause. Auch Aki und seine Begleiter würden bald die Heimreise antreten, doch solange Hikawa, der mal wieder verschwunden zu sein schien, nicht von selbst auftauchte, würden der Halbjapaner und sein Freund keine Anstalten machen, die Feier zu verlassen. Wahrscheinlich war der Meister wieder irgendwo in der Gegend spazieren gegangen. Das war eine seiner Vorlieben und seine Art zu meditieren. Akis Sempai war auch eines der Hauptgesprächsthemen an diesem Abend. Die anderen Teilnehmer waren unheimlich neugierig darauf zu wissen, was für ein Mensch Hikawa sei. Seine verschlossene, fast schon menschenfeindliche Art hatten viele bereits bemerkt und so gab es nun natürlich bereits die wildesten Spekulationen darüber, wie grausam seine Trainingsmethoden wohl sein sollten (gut, sanft waren diese wirklich nicht) oder ob er vielleicht sogar ein Sadist sei. Je länger der Abend dauerte, desto mehr Vermutungen kamen Aki zu Ohren. Anfangs war er noch eher entrüstet über die ihm nun zu Ohren kommenden Spekulationen, doch irgendwann konnte er einfach nur noch lachen, wenn er zum Beispiel gefragt wurde, ob der Sempai ein vorbestrafter Perverser sei oder er ein überzeugter Kamikazekrieger. Auch wenn dies nun nicht unbedingt auf ihn zutraf, so gab es doch allerlei lustige Geschichten in der Vergangenheit, von denen Aki nun einige erzählte. Nie würde er vergessen, wie der Sempai ihn bei ihrem alljährlichen Training an einem entfernten Bergsee auf Nahrungssuche geschickt hatte. Natürlich hatten diese Ausflüge immer im Frühjahr stattgefunden, dementsprechend kalt war das Seewasser auch noch gewesen. Ihre Mahlzeiten hatten hauptsächlich aus Fisch bestanden, den Aki mit bloßen Händen fangen musste. Das Problem daran war gewesen, dass sich die Fische nach einigen gescheiterten Versuchen immer in die Mitte des Sees zurückgezogen hatten, sodass er meist dort hatte tauchen und versuchen müssen, die Tiere wieder in flachere Bereiche zu drängen. Und natürlich war Hikawa nie mit dem Ergebnis zufrieden gewesen.
 

Von solchen und ähnlichen Erlebnissen erzählte Aki seiner Zuhörerschaft den gesamten Abend. Erst, als der Meister persönlich, gefolgt von zwei weiteren Personen, die Halle betrat, wurden die Gespräche eingestellt. Nun war also der Zeitpunkt gekommen sich zu verabschieden. Etwas widerwillig ging Aki schon, da er sich bis zur Unterbrechung richtig gut, befreit gefühlt hatte (wozu der Sekt sicher seinen Teil beigetragen hatte), doch er war auch neugierig, weshalb selbst der Direktor seiner Uni und die dritte Person den weiten Weg auf sich genommen hatten, um ihn abzuholen. Nun verabschiedete man sich also, wünschte sich viel Glück, die meisten der noch Anwesenden versprachen Aki, es ihm beim nächsten Turnier nicht so leicht zu machen. Schließlich verließ man zu fünft das Hotel, die fremde Person war Aki und Yuki mittlerweile als der Stadtratsvorsitzende von Osaka vorgestellt worden, und machte es sich in einer sehr geräumigen Limousine gemütlich, die nur darauf wartete, alle Personen nach Hause zurückzubringen. Nachdem die Maschine angefahren war, ergriff der Vorsitzende das Wort.

"Sie haben wirklich sehr viel Können bewiesen, Willis-san."

"Bitte, nennen Sie mich doch Aki."

Es gruselte ihn jedes Mal, wenn irgendjemand ihn so ansprach. "Willis-san" klang so schrecklich in Akis Ohren.

"Nun gut, Aki-san. Jedenfalls sind Ihr Direktor und ich, um Ihren entscheidenden Kampf mit eigenen Augen sehen zu können, nach Tokio gekommen und haben ihn von der Tribüne aus verfolgt. Es war wirklich überwältigend. Allein im Fernsehen wirkten Ihre Leistungen überaus beeindruckend, aber dies mit eigenen Augen zu sehen... einfach unbeschreiblich."

"Vielen Dank, aber ohne meinen Sempai wäre ich niemals so weit gekommen."

"Das bezweifle ich nicht, doch waren es Ihre Leistungen, die ich gesehen habe.

"Aki ist ein guter Schüler. Er hat großes Talent und ist sehr ehrgeizig", mischte sich nun Hikawa in das Gespräch ein. Der Vorsitzende nickte leicht, während er Aki ausgiebig musterte.

"Das glaube ich gern. Ein sportlicher junger Mann."
 

So ging das Gespräch noch eine Weile weiter. Es kam unter anderem auch die Frage auf, was Aki später einmal werden wolle. Ganz konkrete Vorstellungen habe er noch nicht, aber seine Interessen lägen bei der Sportpsychologie, meinte der Angesprochene darauf. Yuki wunderte das nicht. Einerseits weil sie das Thema bereits hatten, andererseits weil es gut zu seinem Freund passte - machte er sich doch dauernd Gedanken über andere Leute und versuchte, denen irgendwie zu helfen.

Aki wurde auch zu einem Besuch im Haus des Vorsitzenden in zwei Tagen eingeladen. Es wurde ihm sogar versichert, dass es sich nur um ein Treffen in relativ kleiner Runde handeln würde, Reporter seien nicht eingeladen. Es hatte also mittlerweile die Runde gemacht, dass Aki eine gewisse Abneigung gegen eben solche hatte...

Die Limousine setzte Aki, Yuki und Hikawa direkt vor ihrer Wohnung ab, bevor sie den Vorsitzenden selbst nach Hause brachte. Kaum war der Wagen verschwunden, ermahnte der Meister seinen Schüler, dass er am nächsten Morgen als allererstes einen Arzt aufsuchen und seine Hand richtig untersuchen lassen solle. Akis Einwand, dass dies nicht nötig sei, da die Schwellung bereits etwas zurückgegangen sei, brachte ihn natürlich nicht von seiner Meinung ab und so gab der Halbjapaner schließlich nach. Sollte er ja erst morgen erledigen. Im Moment wollte er nur noch eines: eine heiße Dusche und ein weiches Bett.

Da sie noch immer zu dritt in der kleinen Wohnung lebten, schlief Aki wieder bei Yuki im Bett. Der Japaner hatte sich fest vorgenommen, nicht mehr so sensibel auf diese an und für sich harmlosen Berührungen Akis, die sich beim Schlafen auf so engem Raum nun mal nicht vermeiden ließen, zu reagieren. Stattdessen versuchte er, sich etwas mehr zu entspannen, die Nähe zu genießen und vielleicht auch den einen oder anderen Vorteil daraus zu gewinnen. Er konnte schließlich nichts dafür, wenn er sich beim Schlafen bewegte und sich dabei zufällig, rein zufällig, auf die andere Seite drehte und sich an die Person neben sich anschmiegte...

Das funktionierte sogar relativ gut, was sicherlich auch mit den Ereignissen der letzten Tage zusammenhing. Die Hinfahrt nach Tokio, die viele gemeinsame Zeit mit Aki (schließlich waren sie die ganze Woche nicht durch den unterschiedlichen Uni-Alltag getrennt worden), die Umarmung... Ja, die Umarmung - wenn Yuki daran dachte, fühlte er sich augenblicklich wohl, so wohl wie schon ewig nicht mehr.
 

Angenehm erfreut stellte der Japaner am nächsten Morgen fest, dass nicht nur er sich im Laufe der Nacht bewegt hatte. Auch sein Freund hatte sich, wie bereits einige Nächte zuvor, im Schlaf herumgedreht und an den anderen Körper neben sich geschmiegt. So lagen sie nun beide in den Armen des anderen; der eine schlafend und der andere sich schlafend stellend, um noch ein Weilchen unbemerkt so liegen bleiben zu können. Als Aki sich irgendwann regte, stand Yuki dann doch auf. Immerhin wusste er nicht, wie der andere auf diese Situation reagieren würde. Dann verlief wieder alles wie gewohnt: Yuki zog sich um und begann, das Frühstück vorzubereiten. Währenddessen stand Aki auch allmählich auf, zog sich ebenfalls frische Sachen über und half Yuki schließlich mit dem Frühstück, soweit noch etwas zu tun war. Der Meister musste irgendwann früher am Morgen bereits die Wohnung verlassen haben, denn als Yuki aufgestanden war, war dieser bereits verschwunden. Doch das wunderte und störte keinen der beiden jungen Männer. Aki kannte das schon ewig und auch Yuki schien sich so langsam an die Eigenbrötelei dieses Menschen zu gewöhnen. Aki wollte das zum Anlass nehmen, seine am Vorabend erhaltene Anweisung nun doch zu ignorieren, aber da war ja immer noch Yuki, der sich um die Gesundheit seines Freundes sorgte, sodass sich Aki trotz allen Widerspruchs doch auf den Weg zum Arzt machen musste. Was dies betraf, war der Halbjapaner schon immer recht nachlässig gewesen. Viele der Verordnungen, die die Mediziner einem verschrieben, hielt er für überflüssig. Das lag wohl größtenteils daran, dass seine Großmutter sehr viel von Krankheiten und Verletzungen verstand und immer ein passendes Hausmittel parat hatte, das besser als jede chemische Salbe wirkte. Aber jetzt konnte er nun einmal nicht auf dieses Wissen zurückgreifen und es blieb ihm nichts anderes übrig als der Besuch beim Arzt. Dieser dauerte zum Glück auch nicht lange und er kehrte bald mit einem Kühlbeutel und einer Salbe heim, die die Schwellung lindern sollte. Aki hatte wirklich Glück gehabt, dass er nur mit einer Prellung davongekommen war. Bei der Wucht von Makotos Schlag hätten locker einige der Knochen seines Handgelenkes gebrochen oder ein Gelenk ausgerenkt sein können.
 

Kaum wieder daheim, klingelte wie auf Kommando das Telefon. Gleich nachdem Aki den Anruf entgegengenommen hatte, wünschte er sich, er hätte es einfach ignoriert. Am anderen Ende der Leitung meldete sich irgend so ein Redakteur einer Zeitung, der unbedingt ein Interview mit Aki haben wollte. Zuerst lehnte der Halbjapaner strikt ab, doch nach mehrmaligem Flehen seitens des Reporters sowie der Versicherung, ihn in keiner Weise zu bedrängen, ließ Aki sich schließlich doch darauf ein. Zeitung ging ja noch einigermaßen. Und wenn er genauer darüber nachdachte, war es vielleicht sogar besser, dass er zugestimmt hatte. Die Presse würde so oder so über ihn berichten und wer weiß, was die so alles schreiben würden, wenn er sich ganz aus der Sache raushalten würde. So hatte er wenigstens etwas Mitspracherecht.

Das Treffen wurde noch für denselben Tag vereinbart. Der Reporter schlug vor, für 15.00 Uhr das Empfangszimmer im Takano, Akis Lieblingsrestaurant, zu mieten, damit sie sich ungestört unterhalten konnten. Der Halbjapaner war einverstanden.

Während der verbleibenden Zeit grübelte er ununterbrochen darüber nach, was sich dieser Reporter wohl alles ausgedacht haben könnte, um ihm irgendwelche Geheimnisse zu entlocken, oder welche weltfremden Behauptungen er bereits in seinem Bericht einarbeiten wollte. Auch Yukis Aufmunterung, dass er doch nicht alles so schwarzsehen solle und Journalisten keine Dämonen seien, änderte Akis Einstellung nicht. Er wusste es schließlich besser, was Yuki wiederum nicht wusste. Er mied dieses Kapitel seiner Vergangenheit lieber, was allerdings dank dem Stress der letzten Zeit recht schwierig wurde.

Wie sich später herausstellen sollte, hatte Yuki mit seinen Worten doch nicht ganz so unrecht gehabt, wie Aki es anfangs vermutet hatte. Die Fragen des Journalisten waren im Großen und Ganzen harmlos gewesen und so formuliert, dass auch er in der Wahl seiner Antwort flexibel reagieren konnte. Die allgemeinen Sachen halt. Was er so in der Freizeit unternahm, wieso er nach Japan gekommen war, was er für Zukunftspläne hatte und natürlich wie er selbst die Meisterschaft empfunden hatte. Der Mann hatte Aki sogar zugesichert, ihm den fertigen Artikel zuzuschicken, bevor er in der regionalen Zeitung erscheinen würde. Anscheinend hatte es nun auch der Letzte verstanden, dass der Halbjapaner den Medien nicht unbedingt wohlgesonnen gegenüberstand. Die Frage nach den Gründen dafür wurde jedoch galant vermieden. So ging der junge Mann am frühen Abend doch einigermaßen beruhigt zurück nach Hause, wo bereits die nächste Überraschung auf ihn wartete, wobei sich nebenbei auch aufklärte, was Hikawa den ganzen Tag getrieben hatte. Er hatte sich in der Stadt nach einer eigenen kleinen Wohnung umgesehen und war dabei offensichtlich fündig geworden. Jedenfalls erwischte Aki ihn gerade noch, als sein Meister seine letzten Sachen zusammensammelte, seine neue Adresse und Telefonnummer hinterließ und schließlich mit den Worten, Aki solle sich melden, wenn seine Hand wieder in Ordnung wäre, die Wohnung verließ. Das alles ging so schnell, dass sowohl der Halbjapaner als auch sein Freund gar nicht richtig wussten, wie sie sich verhalten sollten. Als die Tür ins Schloss fiel, waren beide für einige Zeit still, bis Yuki das Schweigen brach.

"...sprach er und war verschwunden."

"So ist er eben."

"Dass du da so gelassen sein kannst, ist echt beeindruckend. Fast noch beeindruckender als seine Menschenscheu."

"Ich kenne ihn ja nun schon recht lange."

"Gerade deshalb ist es ja beeindruckend! Dass du überhaupt so lange durchgehalten hast..."

"Ach komm schon, so schlimm war er gar nicht!"

"Wie jetzt!? Es geht noch extremer?"

"Mensch, Yuki!"

Aki stieß seinen Freund scherzhaft in die Seite und ließ es dabei bewenden, da er keine Möglichkeit sah, dieses Gespräch noch in irgendeine sinnvolle Richtung zu lenken. Also machte er sich auf den Weg ins Wohnzimmer und surfte durch die verschiedenen Kanäle des Fernsehers. Yuki setzte sich neben ihn und studierte die Fernsehzeitung. Irgendwann unterbrach der Japaner das Schweigen erneut.

"Wie lief eigentlich dein Interview?"

Die Frage kam so beiläufig, dass Aki sie erst gar nicht mitbekommen hatte.

"... Wie? Ach so, ja... ging so...", gab er gedankenverloren zurück und ließ die angenehme Stille damit zurückkehren. Aki genoss die Ruhe, schließlich war es das erste Mal seit Beginn der Meisterschaft, dass er sich richtig zurücklehnen und ausspannen konnte, ohne irgendwelche überflüssigen Gedanken an die nächsten Tage, hartes Training oder mögliche Duelle.
 

Das Einzige, was er nach wie vor vermisste, war das Ausschlafen, was in Akis Sinn so viel hieß wie "bis nach zwölf schlafen und dann im Bett frühstücken". Tags zuvor hatte ihm der Arztbesuch einen Strich durch die Rechnung gemacht, heute war es die Einladung des Stadtratsvorsitzenden. So freundlich, wie er von diesem und seiner Familie empfangen wurde, konnte er ihnen jedoch kein Stück böse sein. Zuerst hatte er mit der ganzen Familie gefrühstückt, was ihm sehr entgegen gekommen war, da er direkt nach dem Aufstehen nie Hunger hatte, sondern immer erst ein, zwei Stunden später. Dabei lernte er auch die Tochter des Vorsitzenden, ein zurückhaltendes Mädchen, das seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, und den jüngeren Sohn kennen. Im Gegensatz zur Tochter war der Junge ein wahres Energiebündel. Und ein großer Fan von Aki. Zuerst brachte er ihm einige Gegenstände - Poster, Fotos und ein T-Shirt -, die Aki signieren sollte. Dann wollte er unbedingt das Geheimnis lernen, wie man ein richtiger Samurai wird. Er wirkte etwas enttäuscht, als Aki ihm erklärte, dass er kein Samurai wäre und ihn auch keine übernatürliche Kraft dazu machen könne. Um ihn ein wenig zu trösten, schlug er vor, dass er am besten einem Sportverein beitreten und immer fleißig üben solle, dann könnte er auch irgendwann sehr stark werden.

Aki blieb recht lange bei der Familie. Im Laufe des Vormittags kamen noch zwei weitere Personen, beide aus dem engeren Freundeskreis der Gastgeber. Auch sie waren umgängliche Leute. Die Dauer von Akis Aufenthalt kam dadurch zustande, dass diesmal nicht nur er aufgefordert war, etwas über sich zu erzählen, sondern auch der Vorsitzende Aki von seiner Jugend berichtete. Wie sich herausstellte, war er ein ziemlicher Heißsporn gewesen. Mit seiner Clique hatte er die verrücktesten Sachen unternommen und sich dadurch in ganz Osaka einen Namen gemacht, wenn auch nicht immer positiv. Später hatten sie eine eigene Band gegründet, die es in der Szene zu viel Anerkennung gebracht hatte. Einer der zwei Männer, die zu Besuch gekommen waren, gehörte zu den ehemaligen Bandmitgliedern. Irgendwie konnte es sich Aki kaum vorstellen, dass diese gut gekleideten Geschäftsmänner, denen er nun gegenübersaß, solch unbeschwerte Teenager gewesen sein sollten, was diese Leute sympathisch erscheinen ließ, gleichzeitig aber auch die leise Frage weckte, was wohl aus ihm und seinen Freunden werden würde, wenn sie erst einmal richtig erwachsen waren. Und wann würde dieser Zeitpunkt wohl kommen würde? Könnten er und Yuki dann immer noch gemeinsame Wege gehen? Oder müssten sie sich erneut voneinander verabschieden? Innerlich gab sich Aki für seinen letzten Gedanken eine Ohrfeige. Sie waren einmal getrennt worden - und hatten wieder zueinander gefunden. Es war ihre Zukunft und es lang ganz allein bei ihnen, was sie daraus machten. Was auch immer das werden würde, es würde auf jeden Fall sie beide betreffen, das nahm sich der Halbjapaner fest vor. Er wollte seinem besten Freund nicht noch einmal Lebwohl sagen müssen.
 

Das Klirren von Geschirr direkt vor sich brachte Aki in die Realität zurück. Die Frau des Hauses hatte einen Korb voller Porzellan auf den Tisch gestellt und begann nun, den Tee vorzubereiten. Das Gespräch begann sich wieder in die Jugendzeit des Vorsitzenden zu bewegen. Er erzählte Aki, wie viele Partys sie damals gefeiert hatten; zu den verschiedensten Anlässen, die eigentlich bloß dazu dienten, die Feier unter irgendeinem Motto laufen zu lassen. So gab es zum Beispiel die "11.09.1978" Feier. Nicht, dass an diesem Tag etwas Besonderes geschehen war - es war einfach der einzige 11.09.1978, den es je geben würde, und da man wieder Lust auf eine Party hatte, wurde das Datum eben zum Anlass genommen. Verhauene Prüfungen waren ebenso willkommen wie zerflossene Lieben.

"Hast du deinen Sieg schon gebürtig gefeiert, Aki?"

Etwas überrascht von der Frage, wusste der Halbjapaner zuerst gar nicht, was er antworten sollte. Daran hatte er bis jetzt noch gar keine Zeit gehabt zu denken, aber wenn man ihn so direkt darauf ansprach... Ja, es war sogar richtig deprimierend, dass dieses Thema noch nicht EIN MAL angesprochen wurde. Und das, obwohl er nicht nur die Meisterschaft gewonnen hatte, sondern auch sein Geburtstag nicht mehr allzu fern lag... Nur noch ein Tag...

"Nein, bis jetzt nicht. Ich bin noch nicht dazu gekommen, etwas zu planen, aber gefeiert wird auf jeden Fall."

Als Aki die letzten Worte sprach, fühlte er sich ein wenig unwohl. Würde es wirklich noch eine große Feier geben? Das Semester würde bald zu Ende gehen und demnach kündigten sich so langsam auch die Prüfungen an. Alle hatten jetzt zu tun. Vielleicht kam das Thema deshalb noch nicht zur Aussprache?

Der Vorsitzende schien Akis Zweifel nicht zu bemerken, denn er nickte verständnisvoll und lächelte dabei auf eine Art, als wolle er sagen, dass er etwas in der Art erwartet hätte.
 

Am späten Nachmittag kehrte Aki nach Hause zurück. Auf halbem Weg änderte er jedoch seine Meinung. Das Surren in seiner Tasche verriet ihm, dass eine SMS angekommen war.

"Bin bei Haru-chan. Kannst ja nachkommen, wenn du willst. Yuki"

Okay, also zu Haruko.

Auf dem Weg zu seiner Freundin kam der Halbjapaner an einer Gruppe Kinder vorbei, die lärmend mit ihren Spielsachen durch die Straßen zogen. Er erinnerte sich an die Gespräche mit dem Vorgesetzten, daran, wie oft dieser in seiner Jugend gefeiert hatte. Plötzlich hatte Aki das Gefühl, er hätte irgendetwas verpasst.

,Ich sollte mal mit den anderen reden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass noch keiner daran gedacht hat, dass wir mal eine Party schmeißen könnten.'

Als Aki am Haus seiner Freundin ankam, waren seine vorherigen Gedanken auf einen Schlag wie weggeblasen und hatten eine Mischung aus blankem Entsetzen, Panik und Leere zurückgelassen. Die Haustür stand einen Spalt breit offen. An der dahinter liegenden Kommode schimmerte ein breiter, blutroter Streifen. Der Halbjapaner spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror und sein Puls schneller ging. Sein Verstand begann sich zu verselbstständigen. Seine Beine trugen ihn automatisch vorwärts. Ob er wollte oder nicht, dass wusste er im Moment selbst nicht.

Ein weiterer roter Fleck. Diesmal breiter, länger. Eine beängstigende Stille lag im Raum.

Sein Verstand setzte jetzt völlig aus. Wie von Sinnen ging er weiter, blickte hastig von einer Ecke in die nächste, ohne etwas Bestimmtes zu fixieren oder auch nur ansatzweise wahrzunehmen, welche Bilder gerade an ihm vorbeizogen. Nur die Blutflecken, die ihn langsam, aber sicher durch die einzelnen Zimmer dirigierten, ließen ihn für einen kurzen Augenblick aufschrecken, nur um ihn gleich danach mit noch größerer Betäubung zurückzulassen. Die Spur führte Aki in den Keller. Dort versperrte ihn eine geschlossene Tür den weiteren Weg. Irgendetwas in Akis Hinterkopf trieb ihn dazu, diese zu öffnen, da er anscheinend noch in der Lage war zu erkennen, dass diese völlig mit Blut beschmierte Tür wohl das Ende seines Weges bedeuten würde. Mit zitternder Hand versuchte er die Klinke zu ergreifen, doch als er sie hinunterdrücken wollte, merkte er, dass sämtliche Kraft aus ihm gewichen war. Übelkeit kroch seinen Magen hinauf, arbeitete sich in Richtung seines Halses voran. Schließlich gab die Tür doch nach und gab den Blick auf den Besitzer des Blutes frei.

Zuerst schrie Aki laut auf, taumelte einige Schritte zurück, stolperte und wurde schließlich von der hinter ihm liegenden Wand aufgefangen. Seine größte Angst hatte sich bestätigt. Dort in der Tür lag regungslos sein bester Freund - über und über mit Blut verschmiert, die langen, schwarzen Haare lagen wirr, zum Teil mit der roten Flüssigkeit verklebt, über dem schlaffen Körper.

"...Nein... Nein...", stammelte Aki fassungslos und stolperte wieder vorwärts - in Richtung des leblosen Körpers. Das konnte nicht wahr sein... Er träumte... Er MUSSTE träumen... Hatte er nicht noch vor zehn Minuten eine Nachricht von Yuki erhalten? Er konnte nicht... Er konnte einfach nicht...

Gerade hatte er die Tür wieder erreicht und wollte sich mit zittrigen Händen dem Körper seines Freundes nähern, da drehte sich dieser in einer Bewegung um und stand mit einem angsteinflößenden Stöhnen auf, die Hände bereit, den Halbjapaner am Hals zu ergreifen. Erneut verließ ein markerschütternder Schrei Akis Mund, wieder taumelte er einige Schritte zurück, geschockt von dem grotesk weiß-bläulichen Gesicht und den Händen. Die Augen des Japaners waren seltsam verdreht und sein Mund war von der roten Flüssigkeit verschmiert.

Das war zu viel für Aki. Ihm wurde schwarz vor Augen, seine Beine gaben nach und er spürte, wie er langsam zur Seite wegknickte.

Der erwartete Aufprall auf dem kalten Betonfußboden blieb jedoch aus, statt dessen wurde er sanft von zwei Armen aufgefangen und von dem warmen, wenn auch völlig verklebten, Körper an seiner Seite gestützt. Aki brauchte einige Sekunden, bis er realisiert hatte, dass das Ganze ein einziger böser Scherz war, dass das klebrige Zeug kein Blut und sein bester Freund weder gestorben, noch ein wiedererwachter Zombie war. Als seine Sinne zu ihm zurückkehrten, drang lautes Gelächter an sein Ohr und er bemerkte, dass das Licht an war, sodass er nun richtig sehen konnte. Der süß-saure Geruch von Ketchup drang an seine Nase. Doch kaum, dass er den ersten Schock überwunden hatte, setzte sein Gehirn erneut aus, wenn auch diesmal nicht aus Panik.

"DU ARSCH!!!"

Er schnellte herum und befreite sich aus Yukis Armen, damit er ihm besser eine Backpfeife verpassen konnte.

"DU ARSCH!!! PENNER!!! VOLLIDIOT!!! DU... DU GEMEINER BASTARD!!! DU... DU...!!!"

Nun fielen Aki spontan keine weiteren Beschimpfungen ein und noch ehe er etwas dagegen unternehmen konnte, fing er hemmungslos an zu weinen.

"Ich hab dir gesagt, du sollst es nicht übertreiben", hörte er Harukos Stimme leicht tadelnd neben sich. Auch Yuki schien nun langsam begriffen zu haben, dass er zu weit gegangen war. Beruhigend strich er seinem völlig aufgelösten Freund über den Rücken und entschuldigte sich dafür, dass er ihn so erschreckt hatte. Auch andere Hände begannen, ihm aufmunternd, besänftigend oder entschuldigend auf den Rücken zu klopfen. Es dauerte jedoch noch eine Weile, bis Aki sich wieder soweit gefangen hatte, dass er seinen Tränenfluss unterbrechen und dem vermeintlichen Toten ins Gesicht sehen konnte. Mit der seltsamen Schminke sah er immer noch zum Fürchten aus, doch diesmal ignorierte der Halbjapaner dies und drehte sich zu den anderen Leuten um. Einer hatte das Spektakel freundlicher Weise sogar gefilmt.

"Ach komm schon, Aki! Es war doch nur Spaß, schau nicht so böse!"

Er brachte tatsächlich ein schiefes Lächeln zustande.

"Echt toller Spaß. Macht das bloß nicht wieder."

"Bestimmt nicht. Und jetzt entspann dich, wir wollen feiern."

Leicht überrascht hob er eine Augenbraue.

"Hast du etwa gedacht, deinen Sieg bei der Landesmeisterschaft lassen wir einfach so enden? Außerdem hast du doch morgen Geburtstag! Da haben wir gleich doppelt Grund zum Feiern!"

Jetzt konnte Aki sich sogar zu einem richtigen Lächeln durchringen. Sogar an seinen Geburtstag hatten sie gedacht!

"Ihr seid echt klasse!"

"Ja, nicht wahr? Im Übrigen hat Haruko das hauptsächlich organisiert. Du solltest dich vor allem bei ihr bedanken."

"Danke, Haruko. Du bist spitze!"

"Jederzeit."

"Ich denke, ich werde mich erst einmal umziehen, bevor ich mitfeiere", meldete sich Yuki zu Wort, doch Aki tat so, als hätte er ihn nicht gehört, drehte sich um und gesellte sich zu den anderen Leuten, die bereits dabei waren, die erste Runde Sekt auszugeben. Yuki, deutlich verletzt, wollte etwas sagen und seinem Freund folgen, doch die Japanerin hielt ihn davon ab.

"Lass ihn. Er beruhigt sich von selbst wieder. Aki ist nicht der Typ, der lange nachtragend ist."

Eher widerwillig stimmt er zu.

"Na gut.... Er hat mich noch nie so seltsam angesehen...."

"Wundert es dich? Aber zumindest hast du jetzt die Antwort, die du dir erhofft hast, oder?"

"Ja, ich denke schon."

Mit einem aufmunternden Lächeln schob Haruko ihn sanft in Richtung Treppe, um ihn zu verstehen zu geben, dass er sich jetzt doch besser umziehen sollte. Der Japaner folgte der Aufforderung ohne weitere Einwände.

"Am Besten wäschst du dir gleich noch die Haare, sonst schmierst du das Zeug überall hin."

"Okay."
 

Nach gut einer halben Stunde kam der Japaner in den Keller zurück, frisch gewaschen und mit neuen Sachen. Haruko war gerade dabei, die Schmiererei, die sie mit dem Ketchup veranstaltet hatten, wieder zu beseitigen. Da der Japaner gerade eh nichts Wichtiges zu tun hatte, beschloss er, ihr dabei zu helfen. Als sie sich schließlich zur feiernden Gruppe gesellten, mussten sie feststellen, dass Aki mittlerweile schon eine beachtliche Menge Alkohol getrunken hatte, so, wie er sich verhielt. Besorgt kam Yuki zu ihm herüber und machte ihn darauf aufmerksam, dass er es nicht übertreiben solle.

"Was kümmert dich das? Ich denke, ich bin alt genug, um auf mich selbst aufpassen zu können."

Verwirrt und gekränkt versuchte er Blickkontakt mit Aki herzustellen, doch der hatte sich schon wieder herumgedreht und das Gespräch mit seinen Nachbarn wieder aufgenommen, als wäre es gar nicht unterbrochen wurden.

"Er hat Recht, Aki. Du hast wirklich schon ganz schön viel getrunken. So kennen wir dich sonst gar nicht", meinte nun allerdings noch ein weiterer Partygast.

"Hey, ich möchte nur mal richtig feiern, das ist doch nicht verboten, oder? Ich passe schon auf, dass es nicht zu viel wird."

Damit war das Thema beendet. Zumindest für die meisten. Yuki beobachtete Aki von einer anderen Ecke der langen Tafel mit zunehmender Sorge, doch nach der letzten Abfuhr traute er sich nicht, ihn noch einmal anzusprechen. Er hatte jetzt schon Mühe, seine Sorge und sein schlechtes Gewissen vor den anderen zu verbergen. Haruko hatte sehr wohl mitbekommen, was in dem Japaner vor sich ging - wusste sie auch etwas mehr als die anderen Leute im Raum - und versuchte, ihm irgendwie Beistand zu leisten. Anfangs hatte sie noch versucht, Yukis Sorgen was den Alkohol betraf zu zerstreuen, doch irgendwann konnte auch sie sich nichts mehr vormachen und musste letztendlich eingestehen, dass Akis Zustand langsam, aber sicher beängstigend wurde. Auch sie war irgendwann, als der Halbjapaner gerade aufgestanden war, um eine neue Flasche Sake zu holen, zu ihm gegangen und hatte ihn unauffällig vor dem Alkohol gewarnt, doch er hatte nur gelacht und meinte freundlich, viel zu freundlich, es ginge ihm bestens und sie müsse sich keine Sorgen machen.
 

Als der Morgen näher rückte, begannen sich nach und nach die Gäste zu verabschieden. Viele mussten noch am Montag wieder in die Uni oder auf Arbeit und konnten es sich daher nicht leisten, ein paar Stunden später völlig gerädert und mit Kater ihrer Wege zu gehen. Yuki nahm dies zum Anlass, um auch Aki zum Gehen zu bewegen, doch der weigerte sich beharrlich, wenn auch mittlerweile nicht mehr so gehässig, "seine" Party vor den anderen Gästen zu verlassen. Auch das Argument, dass Yuki am nächsten Tag wieder in die Uni müsse, half da wenig. Der Japaner könne ja schon mal vorgehen und er würde dann nachkommen, wenn die Party vorbei ist, hatte Aki darauf nur entgegnet. Er hatte es nicht einmal böse gemeint - das hatte man an seiner Stimme gehört - aber irgendwie bereitete ihm genau das noch mehr Sorgen. Aki hatte überhaupt keine Ahnung mehr, was mit ihm los war, geschweige denn, dass er noch zwei Meter geradeaus laufen konnte, wenn ihm schon das freihändige Stehen Schwierigkeiten bereiteten. Der Halbjapaner fand es lustig. Yuki nicht.
 

Schließlich schmiss Haruko die Beiden, zusammen mit den letzten paar Leuten, die komischerweise unbedingt noch beim Aufräumen helfen wollten, gegen 3.00 Uhr aus ihrem Haus, wofür Yuki ihr unendlich dankbar war.

Während ihres Weges nach Hause ging es Aki zusehends schlechter. Allein laufen konnte er schon längst nicht mehr, doch je länger sie liefen, desto mehr hing Aki an seinem Freund, seine Schritte wurden immer schwerfälliger.

"Mir issssschlecht..."

"Tief durchatmen. Und versuch, wach zu bleiben. Dann geht es besser."

Doch anscheinend fühlte sich Aki bereits übler, als Yuki es gedacht hatte, denn wenige Sekunden, nachdem der kurze Dialog beendet war, versuchte Aki, sich von Yuki zu lösen, schaffte es nicht, fiel um ein Haar hin und stolperte schließlich, gestützt von seinem Freund, auf das nächstbeste Gestrüpp zu, wo er keine Sekunde zu früh seinen Magen entleerte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich Akis Körper wieder beruhigte, und je weiter sich dies hinauszögerte, desto schwächer wurde er. Als es endlich aufhörte, war er so fertig, dass er nicht einmal mehr allein stehen konnte, sodass Yuki nichts anderes übrig blieb, als seinen Freund zu tragen. Eine Weile liefen sie schweigend weiter. Yuki, weil er sich Vorwürfe machte, Akis Besäufnis mit seinem Verhalten verursacht zu haben, und Aki, weil er einfach zu abgeschlafft und zu müde war, um noch einen Ton herauszubringen. Irgendwann meldete er sich dann doch wieder zu Wort.

"Tut mir Leid, dass ich dir solche Umstände bereite..."

"Ist schon gut. Hauptsache, dir geht es wieder etwas besser."

"Ich hätte auf Haruko und dich hören sollen... Gott, ich fühl mich so beschissen..."

"Wenn ich dich nicht so erschreckt hätte, wäre es gar nicht erst dazu gekommen."

"Trotzdem... Ich hab überreagiert... Ich war irgendwie gar nicht richtig bei mir... Ich... hatte solche Angst, als ich dich da liegen sah..."

"Ich weiß. Ich hab nicht nachgedacht, als ich das gemacht habe. Mir war nicht bewusst, dass es dich so sehr verletzen würde."

"Yuki..."

"Hm?"

"Bitte versprich mir, dass du immer bei mir bleibst... Das überleb ich nicht, wenn ich dich noch mal verliere..."

Yuki verspürte einen Stich in seiner Brust. Aber es war kein unangenehmes Gefühl, sondern eher ein unheimlich intensives Kribbeln, dass sich nun blitzschnell überall in seinem Körper ausbreitete. Es schnürte ihm regerecht die Kehle zu, so intensiv war es.

"Ich verspreche es..."

Er wollte ihn küssen, ihn umarmen, ihn festhalten und zeigen, wie ernst ihm sein Versprechen war, doch er beherrschte sich... Er musste sich beherrschen. Seine Chancen standen vielleicht doch ganz gut und das wollte er nicht aufs Spiel setzen. Außerdem wollte er Aki keinesfalls verletzen und konnte deshalb nur hoffen, dass er ihm diese Worte im nüchternen Zustand sagen würde, ganz davon abgesehen, dass Aki in seinem jetzigen Zustand zu keiner weiteren Bewegung mehr fähig war.
 

Vorsichtig trug Yuki seinen Freund die Treppe hinauf und legte ihn ebenso behutsam ins Bett.

"Wie geht es dir?", fragte er leise.

"Etwas besser..., aber es dreht sich alles..."

Zärtlich strich er dem Kranken eine Strähne aus dem Gesicht und richtete sich auf.

"Versuch, etwas zu schlafen. Morgen wird es dir besser gehen."

Yuki hatte sich gerade umgedreht und wollte zum Gehen ansetzen, als er spürte, dass ein leichter Widerstand ihn zurückhielt. Fragend drehte er sich noch einmal zu Aki um.

"Was ist denn?"

Doch anstatt zu antworten, griff er nun auch mit der anderen Hand nach dem Shirt des Japaners und zog ihn mit einer Kraft und Geschwindigkeit, die ihm in seinem Zustand keiner zugetraut hätte, zu sich nach unten. Ehe Yuki verstanden hatte, was nun los war, hatte eine Hand Akis das Shirt losgelassen und sich um Yukis Hals geschlungen, seine Lippen legten sich fordernd auf die seines Freundes und fingen ihn in einem leidenschaftlichen Kuss. Yukis letzter Gedanke war, dass es so nicht richtig war, doch weiter kam er nicht mehr, denn der Mund, der so leidenschaftlich seinen liebkoste, raubte ihm den Verstand. Er dachte nicht mehr nach, ließ es einfach zu, erwiderte die Geste und schob nun seinerseits eine Hand unter Akis Kopf, um dieses unbeschreibliche Gefühl, das ihn gerade durchströmte, noch zu intensivieren. Nur noch unterschwellig bekam er mit, wie Akis Zunge nach Einlass forderte und ließ sie wie in Trance gewähren. Es raubte ihm den Verstand, machte ihn schier wahnsinnig und trotzdem konnte er nicht genug davon bekommen. Wie eine Droge, die sich unaufhaltsam in seinem Körper einbrannte. Yuki bekam kaum noch mit, wie sich nun auch Akis zweite Hand von dem Shirt löste und unter dieses wanderte, zu sehr hatte ihm der Kuss bereits die Sinne geraubt. Erst, als sich Aki plötzlich nicht mehr bewegte, begann die Realität langsam wieder zu ihm durchzusickern. Erschöpft von den überwältigenden Gefühlen, die ihn so sehr gelähmt hatten, und von dem Luftmangel, dessen er sich jetzt erst richtig bewusst wurde, stellte er fest, dass Aki eingeschlafen war.

Einerseits war Yuki froh darüber, denn er war sicher, dass Aki in seinem Zustand auch weiter gegangen wäre, und er bezweifelte, dass er es geschafft hätte, sich von selbst von seinem Freund zu lösen. Dass er den Kuss zugelassen hatte, war gefährlich genug. Was, wenn Aki am nächsten Morgen aufwacht, sich daran erinnert und es ihn anwidert...? Aber andererseits... er hatte es sich schon so oft vorgestellt, wie es sich wohl anfühlen würde, Aki so nah sein zu können, doch die Realität hatte alle seine Vorstellungen übertroffen. Hätte dieses wunderbare Gefühl doch niemals aufgehört...

"Aki...! Ich liebe dich..."

Verzweifelt ließ er seinen Kopf neben dem seines Freundes auf das Bett sinken und begann leise zu weinen. Er wusste nicht, wie lange er seine Gefühle noch verstecken könnte, noch hatte er eine Ahnung, wie Aki am nächsten Morgen darauf reagieren würde. So viele Fragen schwirrten unbeantwortet in seinem Kopf herum und nagten an seinem Gewissen. Erschöpft und verzweifelt fiel er schließlich in einen unruhigen Schlaf.
 

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So, ich hoffe, ich bin euren Erwartungen einigermaßen gerecht geworden. Wie ich Ann-chan bereits versprochen hab, versuch ich, bald weiterzuschreiben. Ich werd mich abends immer mal ein bisschen hinsetzen und was machen, tagsüber geht trotz der Ferien schlecht, weil wir alle voll mit der Gartenarbeit beschäftigt sind und immer von früh bis spät zu tun haben. Ich hab sogar schon meinen ersten (leichten) Sonnenbrand im Gesicht!

Ich hoffe auch ein paar Kommis. Kritik erwünscht.

Daran wird sich ja dann entscheiden, wie schnell ich zum Weiterschreiben komme... *fg*.

Hab euch alle ganz doll lieb!

hikari-chan

Weißt du noch... damals?

Sooo, hier jetzt also das nächste Kappi. Und da ich grad so gute Laue hab *in Schwimmen für die 1000m 15 Punkte bekommen hat weil sie nur 19:50min (!) gebraucht hat* (in diesem Sinne auch noch mal großes Dankeschön an Felix, der immer vornweg geschwommen ist und geschaut hat, dass ich hinterher komme ^________^).

Aber jetzt zu Unk: Ähm... die, die meinten, dass das letzte Kappi mit einem Cliffi aufgehört hat, sollten dieses Kapitel vielleicht noch nicht lesen. Das letzte war keiner. Und das hier ist (laut KeiraX) auch keiner, kommt dem aber näher als das andere. Ich hab euch also gewarnt (für die ganz ungeduldigen unter euch). Und ich hab das nächste Kappi noch nicht angefangen. Das liegt wohl an euch, wann das passiert. ^.~

Denen, die es trotzdem lesen wollen, wünsche ich hiermit viel Spaß!
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

Weißt du noch... damals?
 

Das Erste, was Aki am nächsten Morgen bemerkte, waren die Kopfschmerzen und kaum, dass er in die Realität zurückkehrte, gesellten sich Übelkeit und so ein undefinierbares Gefühl von völliger Erschöpfung hinzu. Vorsichtig öffnete er ein Auge, nur um es gleich darauf wieder zu schließen, weil sich alles um ihn herum drehte. Oder in ihm drin, das wusste er nicht so genau, und er wollte auch gar nicht darüber nachdenken, denn Denken machte das Ganze nur schlimmer, hatte er bereits festgestellt. In der Hoffnung, vielleicht wieder einschlafen zu können, drehte er sich ein wenig, um in eine bequemere Lage zu kommen. Dabei stieß er auf etwas Samtig-haariges und als er seine Augen erneut öffnete, stellte er fest, dass es tatsächlich Haare waren. Lange, weiche, ebenholzschwarze Haare... Yukis Haare. Sie lagen teils lose, teils noch als Zopf zusammengehalten, über seinen noch schlafenden Freund und auf dem Bett verteilt. Als Aki den Japaner so betrachtete, kam ihm diese Situation seltsam vertraut vor. Woher nur...?

Nach einigen Augenblicken - Akis Gesundheitszustand schien ihn wirklich arg zu beeinträchtigen - dämmerte es ihm: Genauso hatte er Yuki zum aller ersten Mal gesehen. Damals, vor zehn Jahren, hatte er in genau derselben Position neben ihm am Bettrand gelegen, friedlich schlafend, die schwarzen Haare wie eine Decke auf seinen Oberkörper liegend.

Auch er hatte sich damals nicht viel besser gefühlt, dachte der Halbjapaner bitter. Einziger Unterschied war, dass ihm damals die Verletzungen zuschaffen gemacht hatten, jetzt war es der Alkohol... wofür Aki sich selbst ohrfeigen könnte. Oder auch nicht, denn der Kater war bereits Qual genug.

Ein kurzes Frösteln Yukis, verbunden mit hörbar scharf eingezogener Luft, lenkte Akis Gedanken in das Hier und Jetzt zurück. Im ersten Moment glaubte Aki, sein Freund sei aufgewacht, doch als dieser seine Augen nicht öffnete, wurde ihm klar, dass er wohl träumen musste. Es schien ein ziemlich schlimmer Traum zu sein, was ein Blick auf Yukis ins Bettlaken gekrallte Hand nur bestätigte. Vorsichtig, ohne seine Übelkeit weiter zu steigern, drehte Aki sich auf die Seite, um Yuki direkt ansehen zu können, und legte beruhigend eine Hand auf die verkrampfte Faust, um seinen Freund, so hoffte er, etwas beruhigen zu können. Dazu hatte er unweigerlich den ganzen Arm um seinen Freund gelegt und lag nun eng an diesem gekuschelt, was ihn allerdings wenig störte. Yuki schlief ja...

Um ebenfalls noch etwas Ruhe zu bekommen, schloss Aki seine Augen wieder. Irgendwie hatte er das Gefühl, als ginge es ihm schon ein klein wenig besser. Ob das auch an Yuki liegen könnte? Immer, wenn der Japaner in der Nähe war, fühlte Aki sich sicher und geborgen. Als würde sein Freund ihm sagen, dass er sich auf ihn verlassen könne, dass er auf ihn Acht gäbe. Er mochte dieses Gefühl, auch wenn er es nicht richtig zuordnen konnte. Es war so wohlig warm... und doch... Da war etwas, tief in seinem Innern, das warnte ihn vor diesem Gefühl, es hatte Angst davor, wollte nicht, dass er es genauer kennen lernte. Warum wohl? Was war das nur...?

Mit diesen Gedanken glitt Aki zurück ins Land der Träume.
 

Das plötzlich eintretende Stimmengewirr irgendwo auf der Etage unter ihnen weckte Yuki schließlich auf. An der Helligkeit im Zimmer erkannte er sofort, dass es bereits nach zehn sein musste, denn früher lag das Zimmer noch in einem angenehmen Dämmerlicht. Und noch etwas fiel ihm auf: das zusätzliche Gewicht auf seinen Schultern und die Wärme an seiner rechten Hand. Dies holte seine Sinne vollends in die Wirklichkeit zurück und er erkannte ohne hinsehen zu müssen, dass es Akis Arm war, der da locker über ihm lag, sowie seine Hand, deren Finger sich in seinen verschlungen hatten. Jetzt spürte er auch den ruhigen Atem seines Freundes, der in gleichmäßigen Abständen sein Haar nah am linken Ohr streifte und ihm einen wohligen Schauer über den Rücken prickeln ließ. Spätestens jetzt war es an der Zeit, aufzustehen, denn diese Nähe brachte ihm unweigerlich die Erinnerung an die letzte Nacht zurück. Nicht, dass er dies verschmäht hätte, doch jetzt brauchte er erst einmal einen kühlen Kopf, um seine Gedanken ordnen zu können. Der Kuss kribbelte noch immer auf seinen Lippen, selbst Akis Hand glaubte er noch zu fühlen, wie sie zärtlich über seinen Nacken strich, wenn er die Augen schloss und sich daran zurückerinnerte.

Oh Gott! Wie konnte dieser eine Kuss ihn nur so dermaßen verrückt machen? So könnte er Aki doch nie vernünftig gegenübertreten.

Apropos gegenübertreten... Er sollte jetzt wohl doch lieber aufstehen, denn nachdem er die ganze Nacht so seltsam herumgehangen hatte, tat ihm jetzt von den Schultern an abwärts alles weh. So vorsichtig wie möglich versuchte er demnach, Akis Arm ein Stück anzuheben und seinen Kopf darunter durchzuziehen, damit der Halbjapaner nicht aufwachte. Genützt hatte es nichts. Aki streckte sich ein wenig, drehte sich auf den Rücken und gähnte leise, bis er schließlich die Augen öffnete und Yuki matt ansah. Verlegen sah der Japaner an seinem Freund vorbei und musterte stattdessen die Falten, die die Bettdecke geschlagen hatte.

"Tut mir Leid, hab ich dich geweckt?"

"Das macht nichts. Es ist sicher schon spät genug."

Mit einem kurzen Blick auf den Funkwecker konnte Yuki diese Vermutung bestätigen. Es war bereits kurz vor zwölf.

"Ja... Wir haben es bereits Mittag."

"Musst du nicht zur Uni?" Für einen Augenblick gewannen Akis müde dreinblickende Augen an Leben und betrachteten Yuki skeptisch. Der Japaner schüttelte jedoch beruhigend mit dem Kopf.

"Nein. Ich habe mich für diese Woche bereits abgemeldet. Zum ,Lernen'."

"Damit sollten wir wirklich langsam anfangen. Bald sind Prüfungen."

"Na du brauchst dir darüber bestimmt keine Sorgen zu machen. Du lernst schließlich das ganze Jahr über."

"Trotzdem... uh...!"

Eine kurze Unachtsamkeit, eine etwas zu hastige Bewegung, und schon wurde Aki wieder daran erinnert, dass er sich tags zuvor total betrunken hatte.

"Geht's? Brauchst du irgendwas?" Yukis Besorgnis war deutlich herauszuhören. Um ihn ein wenig zu beruhigen, biss Aki die Zähne zusammen und zwang sich zu einem, wenn auch kläglichen, Lächeln.

"Schon wieder besser, keine Sorge. Aber es ist ja meine eigene Schuld, was musste ich auch so dämlich sein..."

"Da muss jeder mal durch", tröstete ihn Yuki scherzhaft. "Das hatte ich auch schon."

"Ehrlich?" Unglaube schwang in Akis Stimme mit.

"Ja, ehrlich. Ist aber schon eine Weile her."

"Warum?"

"Ach... Das erzähle ich dir ein andern Mal."

Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden Freunden. Aki merkte, dass er mit dieser Frage wohl einen Nerv getroffen hatte, und das war ihm unangenehm. Er hätte zwar gern den Grund erfahren, aber er wollte keinesfalls, dass sein Freund sich unwohl fühlte, ganz besonders nicht seinetwegen. Als die Stille jedoch zu unangenehm wurde, durchbrach Aki sie wieder.

"Wie sind wir eigentlich gestern nach Hause gekommen?"

"Weißt du das denn nicht mehr?"

"... Nein", begann Aki nachdenklich, "ich weiß noch, dass wir ziemlich lange bei Haruko geblieben sind. Die meisten waren irgendwann weg... Aber danach..."

Schließlich schüttelte er resigniert den Kopf, bereute es allerdings gleich danach wieder, weil sich die Kopfschmerzen augenblicklich für diese heftige Bewegung revanchierten. Yuki verschwand kurz aus dem Zimmer und kam gleich darauf mit einem feuchten Tuch zurück, das er dem Kranken auf die Stirn legte.

"Alles Gute zum Geburtstag."

Mit einem amüsierten Grinsen schloss er die Augen wieder und entspannte sich bei der wohltuenden Kühle des Stoffes.

"Danke..."

Durch die geschlossenen Lider bekam Aki nun nicht mehr mit, wie sich Yukis Mine trübte und er in tiefe Grübelei verfiel.

,Er hat alles vergessen... Alles. Verdammt, Aki, kannst du dich denn an gar nichts mehr erinnern? Es muss dir doch etwas bedeutet haben! Du bist nicht der Typ Mensch, der nur aus einer plötzlichen Laune heraus entscheidet. Oder...? Nein, dafür bist du viel zu gewissenhaft. Vielleicht schon so gewissenhaft, dass du dich nicht mehr daran erinnern willst? Hast du Angst davor? Bereust du es etwa...?'

"... Yuki? Hey!"

"J-Ja? Was denn?"

Irritiert schreckte der Japaner aus seinen Gedanken auf und sah seinen Freund fragend an. Dieser schenkte ihm einen vorwurfsvollen Blick, wiederholte dann jedoch seine Frage.

"Ich wollte wissen, was nach der Party gestern noch passiert ist."

"Ach so, ja. Eigentlich war da nichts weiter. Haruko hat irgendwann die letzten paar Leute rausgeschmissen, sie wollte ja auch noch schlafen, und wir sind dann nach Hause gegangen."

Die genaueren Details ließ Yuki aus. Diese Peinlichkeit wollte er Aki ersparen. Die Sache mit dem Kuss behielt er ebenfalls lieber für sich. Sein Gefühl sagte ihm, dass es nicht allzu klug wäre, es Aki auf die Nase zu binden, auch wenn er sich dann vielleicht wieder daran erinnern würde. Blieb ihm also nichts weiter übrig als abzuwarten und zu hoffen, dass sich das Ganze bald klären würde. Am besten ohne Alkohol.

Wieder spürte Yuki diesen Stich in der Brust und eine tiefe Niedergeschlagenheit versuchte, Besitz von ihm zu ergreifen. Er konnte nicht länger hier bleiben. Nicht hier in einem Raum mit Aki. Dieser Kummer machte ihn zu sehr fertig. Dass Aki fragte, warum er denn gehe, als er das Zimmer verließ, hatte er sich bereits denken können und zum Glück war ihm gerade in diesem Moment eine passende Antwort eingefallen.

"Ich möchte Tee kochen. Der beruhigt den Magen."
 

Bevor der Japaner mit besagter Tätigkeit begann, lehnte er sich gegen die kühlen Fliesen an der Wand und ließ sich langsam zu Boden gleiten. Er brauchte jetzt erst einmal Abstand. Abstand von Aki und von seinen Gefühlen. So vieles ging ihm durch den Kopf, alles kam auf einmal und immer, wenn er versuchte es irgendwie zu greifen, verflüchtigten sich die Gedanken wieder. Was dachte er überhaupt? Und was fühlte er? Yuki wusste es nicht. Alles, was er noch wahrnahm, war dieses ungeheure Gewicht, das so schwer auf ihm ruhte, dass er glaubte, davon zerdrückt zu werden.

Einige Minuten saß er auf dem Boden, die Knie angezogen, das Gesicht darauf gebettet und die Arme um die Beine geschlungen. Doch irgendwann musste er sich wieder aufrappeln. So lange brauchte kein Mensch zum Teekochen, selbst wenn er die Kräuter erst aus dem Teeladen geholt hätte. Aki kam das Ganze sicherlich schon spanisch vor.
 

Der leicht fragende Blick des Halbjapaners verriet, dass dieser bereits an Yukis Vorhaben gezweifelt haben musste, doch die entsprechende Frage blieb aus. Stattdessen richtete er sich etwas auf, nahm dankbar die dampfende Tasse entgegen und pustete ein wenig in den heißen Tee, bevor einige Schlückchen daraus nahm und das Getränk neben sich auf dem Tisch abstellte. Obwohl er sich wie ausgedörrt fühlte, verhinderte es die Übelkeit, dass Aki mehr als ein paar Tropfen auf einmal trinken konnte. Trotzdem entfaltete der Kamillentee bereits wenig später seine Wirkung und der Halbjapaner merkte, wie sich sein Magen ein wenig beruhigte. Er ließ sich Zeit mit dem Trinken, heute würde er wahrscheinlich eh nicht mehr viel zustande Bekommen.

Yuki war in der Zwischenzeit wieder aus dem Zimmer gegangen. "Frühstücken gehen", hatte er gemeint. Auch dafür brauchte er viel länger als üblich und Aki begann allmählich, sich Sorgen um seinen Freund zu machen. Fast eine Stunde verbrachte er damit, die offene Tür anzustarren und darauf zu warten, dass der Japaner zurückkommen würde. Schließlich musste Aki doch aufstehen, denn sein Körper nahm keine Rücksicht auf den Kater, der den Halbjapaner plagte, sondern forderte trotzdem die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse.

Als er von der Toilette zurückkam, entschied sich der Halbjapaner, nach Yuki zu sehen, denn mittlerweile wunderte es ihn nicht nur, dass dieser so lange weg war; er machte sich langsam, aber sicher Sorgen um seinen plötzlich so schweigsamen und zurückgezogenen Freund. Inzwischen schon etwas sicherer auf den Beinen ging er in die Küche und ließ sich auf dem freien Stuhl neben einem fragend dreinblickenden Yuki nieder.

"Alles klar bei dir?", fragte Aki ohne Umschweife.

"Das müsste ich dich fragen."

"Ich meine es ernst. Du bist so... seltsam heute. Ich mache mir Sorgen."

Beruhigend schüttelte Yuki mit dem Kopf. Sein seidiges Haar wehte leicht mit, sodass einige provisorisch hinter die Ohren gesteckte Strähnen wieder nach vorn fielen und sein Gesicht umrahmten.

"Nein. Es ist nichts. Ich bin nur noch ein wenig müde. Das gibt sich schon."

"Na gut... Ich geh wieder ins Bett."

"Ja, mach das."

So gern er es auch wollte, diese Ausrede konnte er Yuki nicht abnehmen. Klar, er hatte den ganzen Abend an seinem Bett gelegen und noch dazu schlecht geträumt, da konnte sich Aki gut vorstellen, dass sein Freund müde war. Aber er hatte das Gefühl, dass dies nicht der Grund für sein seltsames Verhalten war. War gestern Abend noch mehr passiert? Irgendetwas, was ihm jetzt nicht mehr einfiel? Was Yuki ihm nicht sagen wollte? War dieses Ereignis der Grund für seine Verschlossenheit? Seine innere Stimme sagte ihm, dass er auf dem richtigen Weg war, doch sie konnte ihm nicht verraten, was dieses bedeutende Ereignis gewesen sein sollte...

Bedrückt öffnete er ein Fenster, beim Betreten des Schlafzimmers war ihm aufgefallen, wie schlecht die Luft da drinnen war, und legte sich zurück ins Bett, die Decke bis über das Kinn gezogen, denn die kalte Dezemberluft kam schnell hereingekrochen und schlich sich in alle Ritzen und Winkel, die sie finden konnte.
 

Yuki wusste nicht, wie lange er sich schon so an den Türrahmen gelehnt und Aki angestarrt hatte. Eigentlich hatte er nur das Fenster wieder schließen wollen, denn irgendwann war es doch recht kühl in der Wohnung geworden, aber als er ihn da so friedlich schlafen gesehen hatte, konnte er nicht anders, als in seiner Nähe zu bleiben und ihn zu betrachten.

Erst, als es leise an der Tür klopfte, kehrte Yukis Aufmerksamkeit in die Realität zurück. Mit einem traurigen Seufzer stieß er sich von dem Holzrahmen ab und schlenderte in Richtung des Geräusches. Vor der Tür stand Haruko. Sie hatte sich, so sagte sie, gleich nach Schulschluss auf dem Weg zu ihnen gemacht, um nachzusehen, ob auch alles in Ordnung sei. Nach dem vergangenen Abend konnte sie sich lebhaft vorstellen, wie es Aki im Moment wohl ergehen mochte, und ein kurzer Blick in das Schlafzimmer genügte, um ihre Vermutung zu bestätigen. Aber noch etwas anderes fiel ihr bei ihrem Besuch auf; sie hatte es sofort in Yukis Augen gesehen, als er ihr die Tür geöffnet hatte, dass da noch mehr sein musste. Also fragte sie ohne Umschweife, was sie dachte:

"Was ist passiert, Yuki?"

Angesprochener versuchte, einen halbwegs verwirrt fragenden Gesichtsausdruck aufzulegen, und fragte zurück:

"Was soll denn passiert sein?"

"Komm schon, Yuki! Raus mit der Sprache! Du weißt, dass ich es sehr schnell spüre, wenn etwas in der Luft liegt. Und dass hier was nicht in Ordnung ist - abgesehen von Akis Zustand - sieht ja wohl jeder Blinde."

"Ich bin dir ja dankbar für deine Führsorge, aber es ist wirklich nichts, Haru-chan."

Yukis Maske begann jedoch bereits zu bröckeln, sodass es nun nicht einmal mehr halbwegs echt herüberkam, was Haruko sofort noch mehr beunruhigte. Sie seufzte, nickte dann resigniert und schaute einen Moment zu Boden, bevor sie einen Schritt auf den Japaner zutrat und ihm direkt ins Gesicht sah, ihr eigenes so nah an seinem, dass Harukos Haare leicht an Yukis Nasenspitze kitzelten.

"Gar nichts ist in Ordnung, Yuki. Das steht dir deutlich ins Gesicht geschrieben. Du siehst aus, als hättest du Liebeskummer..."

Ertappt wich der Angesprochene einen Schritt zurück, um wieder Distanz zwischen sie beide zu bringen. Haruko musste eine Hexe sein. Langsam machte sie ihm wirklich Angst.

"Ich hab ins Schwarze getroffen, nicht?", fragte das Mädchen ruhig.

Nun gab Yuki endlich auf. Er ließ einen resignierten Seufzer hören und deutete mit dem Kopf in Richtung Wohnzimmer, wo sie sich setzen und in Ruhe weiterreden konnten. Haruko ging sofort in die Küche, während Yuki vorher noch einmal in die Küche einbog, um dort frischen Tee aufzugießen und sich und seiner Freundin eine Tasse einzuschenken. Auch als er sich im Wohnzimmer neben der Japanerin auf der Couch niederließ, sagte er vorerst kein Wort. Haruko sah ihn fragend an, forderte ihn jedoch nicht laut auf, weiterzusprechen. Sie wusste, er würde es ihr sagen, suchte aber noch nach dem richtigen Weg, es auszudrücken. Yuki nahm einen kleinen Schluck aus seiner Tasse und begann schließlich.

"Als wir heute früh nach Hause gegangen sind, hat Aki plötzlich ganz unbefangen angefangen zu reden. Er sagte nicht viel, aber mit den wenigen Worten, die er zu diesem Zeitpunkt noch sagen konnte, gab er mir zu verstehen, dass er nie wieder von mir getrennt sein wollte."

In Harukos Augen spiegelte sich leichtes Erstaunen wider.

"Ich hätte ihm gar nicht zugetraut, dass er es schon offen aussprechen würde. Selbst wenn er betrunken war."

"Es geht ja noch weiter. Nachdem ich ihn ins Bett gebracht hatte und sicher gegangen war, dass es ihm halbwegs gut ging, wollte ich wieder gehen. Selber schlafen. Aber Aki hat mich aufgehalten. Er hat plötzlich meine Hand ergriffen, mich zu sich heruntergezogen und... und dann hat er mich geküsst."

Jetzt weiteten sich Harukos Augen vor Erstaunen.

"Ich hätte selbst niemals damit gerechnet, dass er das tun würde, und war auch im ersten Moment dementsprechend überrascht. Und als ich begriffen hatte, konnte ich an gar nichts mehr denken."

Yuki schüttelte resigniert den Kopf, wenn er daran zurückdachte, wie willenlos er plötzlich gewesen war.

"Ich... habe kaum noch etwas um mich herum wahrgenommen. Es kam so plötzlich. Und so verdammt intensiv! Und dann ist er einfach eingeschlafen."

Haruko sah, dass ihrem Freund noch etwas auf dem Herzen brannte, er es aber im Moment nicht aussprechen konnte. Also beendete sie seine Gedanken, um zu sehen, ob sie mit ihren Vermutungen richtig lag.

"Und jetzt kann er sich an nichts mehr erinnern, stimmt's?"

Der Japaner nickte erschöpft.

"Ja...", brachte er flüsternd heraus.

"Du solltest mit ihm reden."

Als Yuki seine Freundin wieder ansah, ihre Augen sich trafen, verstand er, wie ernst dieser Vorschlag gemeint war.

"Auch wenn Aki sich im Moment nicht daran erinnert, was letzte Nacht passiert ist, so hat es doch eindeutig bewiesen, dass er es auch will. Ihm fehlt vielleicht nur noch ein wenig Mut, um sich das einzugestehen, aber er liebt dich - genau so, wie du ihn liebst. Gesteh ihm deine Gefühle. Das sollte ihm auf die Sprünge helfen."

"Bist du dir sicher?"

"Sicher kann man sich da nie sein, sonst wäre Liebe nicht so kompliziert, aber mein Gefühl sagt mir, dass schon alles gut wird."

Zur Unterstützung ihrer Worte nahm sie Yukis Hand aufmunternd in ihre.

"Versuch es. Wenn du immer nur kneifst, nur weil etwas schief gehen könnte, wirst du nie vorwärts kommen."

Nach einem kurzen Moment, in dem er über die Worte seiner Freundin nachdachte, antwortete Yuki.

"Du hast Recht, Haru-chan. So, wie es ist, kann es nicht bleiben. Das halte ich nicht mehr lange durch. Ich muss mit ihm reden."

Ein sanftes Lächeln zierte die Lippen des jungen Mädchens.

"So gefällt mir das. Du bist ein wunderbarer Freund, Yuki. Und Aki weiß das sicher noch besser als ich. Er ist zwar manchmal ein bisschen naiv, aber so sehr nun auch wieder nicht, dass er das nicht zu schätzen wüsste. Jemanden wie dich suchen die meisten Menschen ihr ganzes Leben lang. Viele haben nie das Glück und finden jemanden, der sie so aufrichtig liebt. Aki wäre nicht so dumm, dass er diese Chance verstreichen lassen würde. Sie käme wahrscheinlich nie wieder."

Yuki musste bei diesen netten Worten lächeln.

"Jetzt übertreib aber nicht."

"Nein, ich meine es ernst. Viele Männer hätten allein schon bei dem Gedanken, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hätten, aus Angst vor der Gesellschaft einen Rückzieher gemacht, geschweige denn so geduldig gewartet und sich um ihre große Liebe so hingebungsvoll gekümmert."

Der Japaner schüttelte verärgert den Kopf.

"Diese Menschen verstehen nichts davon zu lieben. Sie spielen nur mit den Gefühlen anderer. Das finde ich absolut widerwärtig."

"Ich auch. Und deshalb mag ich dich so - weil du anders bist."

Mit diesen Worten trank sie die letzten Schlückchen von ihrem Tee und stand auf.

"Ich muss jetzt nach Hause. Hausaufgaben warten..."

Yuki tat es ihr gleich und begleitete sie noch bis zur Tür. Ein kurzer Blick ins Schlafzimmer zeigte ihnen, dass Aki noch immer tief und fest schlief. Nachdem sich die beiden voneinander verabschiedet hatten und Haruko in den Flur hinausgetreten war, gab sie Yuki noch einen letzten Ratschlag mit.

"Du bist doch clever, also lass dir was Schönes einfallen, bevor du mit ihm sprichst. Ich erwarte die Ergebnisse. Bis dann", sprach sie und verschwand.

Sprach sie und verschwand.

,Was Schönes...?', dachte Yuki nach, während er die Tür wieder schloss und in das Wohnzimmer zurückging.
 

"Jetzt sag schon! Wohin fahren wir denn?"

Aki ließ nicht locker. Seit sie vor einer halben Stunde losgefahren waren, kam alle paar Minuten dieselbe Frage aus seinem Mund. Aber auch Yuki blieb eisern.

"Das wirst du sehen, wenn wir da sind."

"Wie lange dauert das denn noch?"

"Ein bisschen musst du dich schon gedulden."

"Ach, Mensch! Du bist fies!"

Yuki kannte diesen Dialog mittlerweile auswendig. Ihm war etwas - so hoffte er zumindest - Passendes für seinen Freund eingefallen. Etwas, was ihm sicher gefallen würde. Und als wäre dies sein Stichwort gewesen, war der Halbjapaner kurz nach Ersinnung dieser Idee aufgewacht und fühlte sich um vieles besser als am Morgen. Er war aufgestanden und hatte sich zu allererst etwas Anständiges zu Essen gegönnt, da sein Magen in der Zwischenzeit regelrecht nach einer anständigen Mahlzeit gefleht und auch seinen Streik beendet hatte. Yuki hatte bis dahin noch Zweifel gehabt, ob er es wirklich versuchen sollte, doch die gute Laune seines Freundes hatte ihn überzeugt. Sie war einfach ansteckend. Also hatte der Japaner ihn gebeten sich umzuziehen, ein paar Sachen zusammenzupacken und mit ins Auto zu bringen, damit er ihm sein Geburtstagsgeschenk noch geben konnte. Vor der Losfahrt wurden dem Halbjapaner zusätzlich die Augen verbunden, damit er nicht sah, wo sie lang fuhren, für den Fall, dass er das Ziel eventuell schon vor der Ankunft erraten würde.

Mittlerweile konnte Aki nur eines mit Sicherheit sagen: Ihr Zielort musste sich außerhalb Osakas befinden, denn sie waren schon zu lange unterwegs, um noch in der Stadt sein zu können.

"Dann verrat mir wenigstens, wie lange wir noch fahren, bis wir da sind."

"Keine Chance."

"Warum nicht? Ich habe doch eh keine Ahnung, wo du mit mir hin willst, aber ich platze vor Neugier, wenn ich nicht langsam erfahre, wie lange ich noch warten muss!"

"Du wirst schon nicht platzen."

"Yukiiiii~", quengelte Aki.

"Wenn du nicht langsam Ruhe gibst, binde ich dir den Mund auch noch zu!"

"Du bist gemein."

"Und du lenkst mich ab."

"Wenn du mir wenigstens eine Antwort geben würdest, müsste ich dich nicht mehr ablenken."

"Du erfährst es doch eh bald!"

"Also ist es nicht mehr weit."

"Nein", grummelte der Japaner verärgert.

Zumindest einen kleinen Erfolg hatte Aki erzielen können. Und das war doch besser als nichts. Also fragte er erstmal nicht weiter. Erst einmal. Vielleicht würde sich das auch wieder ändern. Kam ganz darauf an, wie lange er sich hier noch den Hintern platt sitzen musste.
 

Nach - so schien es zumindest dem Halbjapaner - schier endloser Warterei wurde der Wagen schließlich langsamer. Das fortwährende Holpern ließ darauf schließen, dass sie die befestigte Straße verlassen haben mussten und sich nun auf einem eher provisorischen Weg fortbewegten. Das Ziel konnte also nicht mehr weit sein. Schließlich kam das Auto völlig zum Stehen, doch als Aki Anstalten machte, seine Augenbinde zu lösen, hielt Yuki ihn zurück.

"Wir sind doch da, oder? Warum darf ich immer noch nicht gucken?"

"Weil du das Beste sonst verpasst."

"Verpasse ich es nicht viel wahrscheinlicher, wenn mir die ganze Zeit die Augen verbunden sind?"

"Nein. So meinte ich das auch nicht. Es ist halt... es ist noch nicht ganz perfekt, was ich dir zeigen wollte, und ich möchte nicht, dass du es so halbfertig siehst."

"Hm... ich denke, ich verstehe. Wann ist es denn fertig?"

"Geduld."

"Wie oft habe ich das heute wohl schon gehört?"

"Aki, ich kann nichts dafür, dass das so lange dauert. Ich warte doch auch nur."

"Aha! Du kannst es also nicht beeinflussen...", schlussfolgerte der Halbjapaner geschickt.

"Ich sag nichts mehr!", schmollte Yuki. Aki kicherte.

Sie saßen noch eine Weile schweigend nebeneinander, eine viertel Stunde etwa, auch wenn es Aki mindestens doppelt so lang vorkam, bis Yuki mit einem erneuten "Und nicht das Tuch abnehmen!" aus dem Wagen stieg und auf Akis Seite herüber ging, um ihm ebenfalls herauszuhelfen. Der Halbjapaner legte seine Hand sanft auf die seines Freundes und ließ sich von ihm führen. Zunächst war der Boden unter seinen Füßen noch relativ fest und grobkörnig. Sie liefen also über Schotter. Wenige Schritte später wurde er allerdings von einem feineren, weicheren Untergrund abgelöst. Soweit es der Halbjapaner durch seine Schuhe hindurch spüren konnte, musste es sich dabei wohl um Rasen handeln. Yuki bemerkte, wie sich ein leichtes Grinsen auf Akis Lippen legte.

"Was ist? Vorfreude?"

"Das auch, aber eigentlich liegt es an etwas anderem. Es erinnert mich an früher, wie wir hier so lang laufen. Wir sind damals oft zu zweit spazieren gegangen. Am Strand, auf dem Deich und in den Feldern, die dahinter begannen. Wir haben uns immer darin versteckt, weißt du noch?"

"Klar weiß ich! Wie könnte ich das vergessen? Besonders an das eine Mal, als uns der Bauer fast erwischt hätte."

Yuki lachte bei der Erinnerung daran und sprach weiter.

"Oder sein Hund, wenn man es genau nimmt. Hatten wir ein Glück, dass du den Fisch dabei hattest!"

"Ja. Der war eigentlich fürs Abendessen bestimmt..."

"War er doch auch! Nur, dass er halt zum Abendbrot für den Hund geworden ist."

"So kann man es natürlich auch sehen." Aki lachte kurz auf.

"Ich habe mich immer gefragt, wie du es geschafft hast, dich so leise zwischen dem ganzen Getreide zu bewegen. Ich hab dich nie kommen hören."

"Ich weiß. Es hat auch immer unheimlich viel Spaß gemacht, dich zu erschrecken. Man konnte sich immer sicher sein, dass es klappen würde."

"Hey...!"

"War nicht böse gemeint."
 

Sie liefen weiter. Der Boden wurde nun sandig. Waren sie etwa am Strand?

"Weißt du... ich war ziemlich überrascht, als du plötzlich in der Uni aufgetaucht bist. Insgeheim hatte ich zwar immer so ein bisschen Hoffnung, dass du zurück nach Japan kommen würdest, aber es war nicht mehr als ein Wunsch, ein Hirngespinst. Aber ich bin froh, dass du wieder da bist."

"Ja, das war mal eine Überraschung, nicht? Ich weiß auch nicht so genau, warum, aber es war mir noch nicht einmal sonderlich schwer gefallen, von zu Hause wegzugehen. Ich wusste ja, dass ich weiterhin mit meinen Eltern und Freunden in Kontakt bleiben und sie ab und zu besuchen würde, wenn ich Zeit habe. Dabei wusste ich nicht einmal, ob ich dich überhaupt wieder finde. Immerhin hatten wir zehn Jahre nichts von einander gehört. Wer konnte mir garantieren, dass du wirklich an der Budo aufgenommen worden warst? Oder dass du dich noch an die kurze Zeit, die wir gemeinsam verbracht hatten, erinnern konntest? Manchmal frage ich mich, warum ich dieses Wagnis trotz allem eingegangen bin."

"Und? Bereust du es?"

"Herrgott! Nein!", entfuhr es Aki entrüstet.

"Ich bin froh, dass ich mich so entschieden habe! Das ist eine der wenigen Entscheidungen in meinem Leben, die ich kein Stück bereue!"

Eine Woge des Glücks durchströmte den Japaner und er drückte die Hand seines Freundes unbemerkt für einen kurzen Augenblick etwas fester.

Wieder liefen sie ein Stück schweigend nebeneinander her, doch Aki brannte noch eine Frage auf der Seele.

"Warum... hast du dich eigentlich nie bei mir gemeldet? Du sagtest doch, du hättest meine Briefe bekommen."

Yuki schwieg einen Moment, bevor er zu einer Antwort ansetzte. Das leise Rauschen des Meeres ließ eine angenehme Ruhe entstehen.

"Ich denke, das sollte ich dir mal in Ruhe erklären. Es ist eine längere Geschichte und es muss nicht unbedingt heute sein, an deinem Geburtstag. - Wir sind jetzt übrigens da."

Aki war mit der Antwort einverstanden, ihm war klar, dass es dem Japaner sehr wichtig war, und er wollte ihn keinesfalls dazu drängen, Dinge gegen seinen Willen Preis zu geben. So verscheuchte er die letzten Gedanken aus seinem Kopf und war nun wieder voller Vorfreude auf das, was ihn nun gleich erwarten würde. Yuki hatte seine Hand losgelassen und war hinter ihn getreten, um das Tuch von seinen Augen zu lösen.

"JETZT darfst du gucken."

Aki hatte sich längst die Worte zurecht gelegt, die er seinem Freund hätte sagen können, wenn er sein Geschenk erblickte, doch das, was er nun sah, verschlug ihm vollkommen die Sprache und alles, was er sich in letzter Zeit ersonnen hatte, war wie aus seinem Gedächtnis gelöscht.

"Yuki... das ist... atemberaubend. Damit hätte ich niemals gerechnet..."

"Dann ist meine Überraschung also gelungen?"

"Ja. Das ist echt das beste Geschenk, das du mir machen konntest."

Langsam ging Aki einige Schritte in Richtung des alten Baumes, der am Rand des Wassers wuchs und seine langen, knorrigen Äste darüber reckte, als wolle er nach dem Horizont greifen. Der Halbjapaner blieb kurz stehen und drehte sich ein Stück nach rechts, wo er in einiger Entfernung das kleine Häuschen ausmachen konnte, in dem er mit seiner Familie bei seinem ersten Besuch in Japan gewohnt hatte. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass es sich wirklich um denselben Ort handelte, den er in Erinnerung hatte, drehte er sich zum Horizont zurück, den die untergehende Sonne in flammende Rot- und Orangetöne getaucht hatte, genau wie das sich vor ihm endlos erstreckende Meer.

"Es ist noch genauso schön wie damals..."

Vor dem alten Baum blieb er noch einmal stehen und betrachtete diesen genau. Früher hatte er springen müssen, um an dem untersten Ast hochklettern zu können, jetzt ging ihm dieser gerade noch bis zur Brust.

,Wie klein ich damals noch war...'

Mit einem glücklichen Lächeln schwang er sich auf den Arm des Baumes und lief ein paar Schritte auf diesem entlang, sodass er sich schließlich vollends über Wasser befand und von oben beobachten konnte, wie sich kleine Wellen golden glitzernd am Ufer brachen. Yuki war ihm gefolgt und stand nun dicht hinter ihm.

"Ich dachte mir, das würde dir vielleicht gefallen."

"Das tut es! Ich danke dir, Yuki! Ich danke dir so sehr! Erst jetzt wird mir richtig klar, wie sehr ich diesen Ort vermisst habe."

Auch wenn Aki seinen Blick nicht von dem atemberaubenden Sonnenuntergang abwendete, konnte Yuki die Freude in seinem Freund nur allzu deutlich spüren. Doch im Gegensatz zu ihm beobachtete der Japaner nicht den scheidenden Tag, sondern starrte unentwegt auf seinen Freund. Die Farbe der Abendsonne stand ihm unheimlich gut. Sie tauchte nicht nur die Umwelt in ein unvergessliches Lichtspiel, sondern auch den Halbjapaner. Seine Haare schimmerten golden und kupfern, während seine Haut einen sanft bräunlichen Schimmer annahm. Für einen Moment drehte sich Aki um und schenkte dem Japaner ein aus tiefstem Herzen dankbares Lächeln. Die Farben seiner Haut und der Haare harmonierten so wunderbar mit den leuchtend grünen Augen... Yuki hielt unbewusst den Atem an. Als er seine Fassung wiedererlangt hatte, trat er einen Schritt näher an seinen Freund heran, sodass sein Mund nun nah an seinem Ohr war.

"Erinnerst du dich daran, was ich dir, als wir uns das letzte Mal hier gesehen haben, versprochen hatte?"

Da war eine Menge, die Aki in diesem Moment durch den Kopf schoss. Er hatte ihn in London besuchen wollen, sie wollten sich regelmäßig schreiben, ...

Doch in dem Moment, als Aki sich umdrehte, um Yuki zu antworten, schlangen sich zwei starke Arme um seinen Körper, sanft, aber bestimmt, und zogen ihn in einen innigen Kuss. Akis Herz machte einen Sprung und mit einem Mal hatte er das Gefühl, als würde etwas in ihm explodieren und ihn vollkommen ausfüllen, doch es war keine schmerzhafte, zerstörerische Explosion, sondern eine angenehm warme, die ihm die Sinne vernebelte. Für einen Moment war Aki dabei, einfach abzuschalten, sich diesem Gefühl hinzugeben und es völlig auszukosten, doch da war noch etwas in ihm, eine innere Stimme, aufgeregt, hysterisch, die schrie, immer lauter und dringlicher schrie, dass er zur Vernunft kommen solle, kommen müsse, dass es gefährlich wäre, was er da tat und er unbedingt damit aufhören müsse. Kaum dass Aki diese Stimme gehört hatte, hatte sie die Oberhand über sein Denken gewonnen. Geschockt riss er die fast geschlossenen Augen wieder auf, stieß Yuki grob von sich und stolperte einige Schritte zurück, bis er den Halt verlor und ins knietiefe Wasser fiel. Noch immer geschockt und verwirrt von dem, was gerade geschehen war, blieb er regungslos sitzen und starrte unentwegt auf Yuki, der einen seltsam schmerzvollen Ausdruck auf dem Gesicht trug, vom Ast sprang und auf ihn zulief, um ihm aufzuhelfen.

Jetzt begann Akis Gehirn langsam wieder zu arbeiten, sein Blick verdüsterte sich und er schlug die Hand, die ihm helfend entgegengestreckt wurde, grob beiseite. Verwirrt und gekränkt trat Yuki einige Schritte zurück, sodass Aki allein aufstehen und aus dem Wasser gehen konnte. Dann starrten sie sich einige nicht enden wollende Augenblicke einfach nur an. Yuki mit einer Art schmerzhafter Enttäuschung, Aki mit purem Zorn. Schließlich war er es auch, der das unangenehme Schweigen zwischen beiden brach.

"Was sollte das? Was hast du dir dabei gedacht?", kam es scharf aus seinem Mund.

Yuki blieb einen Moment still und Aki wusste nicht, ob er nun nach einer Ausrede suchen oder er ihm überhaupt nicht auf seine Fragen antworten wollte. Das Gesicht des Japaners nahm zunehmend die Form einer Maske an, an der keine Emotionen mehr zu erkennen sind. Schließlich wurden seine Züge für einen Moment wieder weicher und er sprach in einem leisen, fast flüsternden Ton.

"Ich liebe dich."

"Ach?!", gab Aki spöttisch zurück. "Und deshalb muss ich dich automatisch auch lieben, ja? Bist du vielleicht mal auf die Idee gekommen, dass es noch Menschen gibt, die nicht schwul sind? Oder ist dir das egal? Schließlich hast du mich nicht einmal nach meinen Gefühlen gefragt! Die sind dir wohl total egal, was? Hauptsache, du bist glücklich! Und ich dachte, wir sind Freunde! Wie konnte ich mich nur so in dir täuschen? Dass du mich so benutzt, hätte ich dir nicht zugetraut, Yuki. Ich bin... so dermaßen enttäuscht! Hau ab! Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen!"

Geschockt von dem unerwarteten Gefühlsausbruch seines Freundes war Yuki für einige Sekunden wie erstarrt.

"Nein... du verstehst nicht...", versucht er zu erklären.

"Was gibt es denn daran nicht zu verstehen!? Du hast mich nur benutzt! Die ganze Zeit über!"

Yuki wollte es ihm erklären, wollte ihn wissen lassen, was in seinem Kopf und seiner Seele vorging, damit er es vielleicht verstehen konnte, doch diese Abneigung, diese absolute Kälte, hatte ihn völlig betäubt. Er war wie gelähmt. Körperlich und geistig. Alles in ihm schien taub zu sein. Sein Geist, seine Gefühle, seine Glieder. Aki hatte ihm mit diesen Worten so sehr verletzt, dass er jetzt selbst nicht mehr wusste, was er eigentlich dachte oder fühlte. Wieder hörte er wie von fern diese vertraute und plötzlich doch so fremde Stimme an sein Ohr dringen.

"Geh mir aus den Augen. Mit dir bin ich fertig! Ich will dich nie mehr sehen!"

Jetzt war es endgültig zu viel. Damit hatte Aki ihm den Gnadenstoß versetzt. Ohne wirklich zu wissen, was er tat, nickte der Japaner leicht, fast unscheinbar, drehte sich in geisterhafter Bewegung um und lief leicht taumelnd - oder es kam ihm nur so vor, dass sich alles drehte - in die Richtung zurück, aus der er kaum eine halbe Stunde vorher gekommen war. Aki sah ihm noch ein bisschen mit funkelndem Blick nach, bis die eisige Kälte, die plötzlich überall an ihm nagte, ihn daran erinnerte, dass er mitten im Dezember ein Bad genommen hatte und die triefnassen Sachen, nun schon zum Teil steif gefroren, an seinem Körper klebten. Angespannt und mit stapfenden Schritten ging er auf das kleine Häuschen zu und hoffte, er möge einen Weg finden, hineinzukommen. Dass es leer war, davon konnte er ausgehen, sonst hätte Yuki nicht gewollt, dass sie ein paar Sachen zusammenpackten, bevor sie losgefahren waren.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

Jaaaa, ich weiß, es ist böse, hier abzubrechen. Und (bevor Doro-chan das kritisiert, was sie sicherlich machen wird (bitte nicht angegriffen fühlen, das war spaßig gemeint, ja? ^.~)) ja, Akis Reaktion kam ziemlich spontan und nicht sonderlich nachvollziehbar, weil ich über seine Gefühle/Gedanken bisher recht wenig geschrieben hab und man ihn so ziemlich schwer versteht. Geht ihm aber genauso (er versteht sich nicht richtig, mein ich). Und er hat ja noch ein ganzes Kappi Zeit, über seine eigene Lage nachzudenken. Falls euch das jetzt beruhigt...

So, das wars. Will jetzt nicht weiter rumlabern und lass euch in Ruhe. Wer will, dass das nächste Kappi auch irgendwann online geht, sollte mir 'nen Kommi schreiben.
 

Hel,

hikari-chan
 

(da fällt mir ein... WAAAH! Ich hab das Wasser auf dem Herd ganz vergessen! *davonstürm*)

Die Angst in mir

Tja... Das Kappi hab ich zwar schonmal hochgeladen, aber irgendwie ist's wieder verschwunden. Fragt mich nicht, ich war's nicht! Ich weiß auch nicht, wie lange das jetzt weg war, weil ich es gestern erst mitbekommen hab, aber jetzt ist es jedenfalls wieder da.

Was hier vorher stand, hab ich größtenteils vergessen, aber es war ja auch nicht so wichtig. Also viel Spaß nochmal ^^v.
 

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Die Angst in mir
 

Geistesabwesend schloss Yuki die Tür zu seiner Wohnung auf. Es geschah ganz automatisch, so wie alles, was er bis jetzt getan hatte. Wie er es überhaupt bis hierher geschafft hatte? Er wusste es nicht. Sein Kopf war wie leer gefegt, als hätte darin ein Sturm getobt, nein schlimmer, ein Haufen Tornados, die nur grenzenlose Verwüstung zurückgelassen hatten. Nur gelegentlich durchzuckte ihn ein greifbarer Gedankenfetzen, doch er versuchte gar nicht erst, ihn einzufangen. Es war klar, was dieser Fetzen beinhalten würde. Er war der letzte Rest des Sturms, die Ursache, die für seinen momentanen Zustand verantwortlich war, und jede noch so winzige Aufmerksamkeit an diesen ließ die Schmerzen von neuem auflodern, welche gerade erst am Verklingen waren.

Für den Bruchteil einer Sekunde verzogen sich seine Lippen zu einem ironischen Grinsen. Warum war er überhaupt noch am Leben? Alles, wofür er gekämpft, wofür er zehn Jahre gelebt hatte, war auf einen Schlag vernichtet worden. Wie hatte er den Rückweg nur unbeschadet überstehen können? Normalerweise hätte es unmöglich sein müssen, in diesem Zustand eine so lange Autofahrt zu überleben. Das Schicksal meinte es wahrlich nicht gut mit ihm...

Der Japaner sah aus dem Fenster, betrachtete den Himmel. Dieser hatte sich in den letzten paar Stunden zugezogen und als würde er ihm antworten, begann es nun, leicht zu regnen. Wieder verzog er die Mundwinkel ein wenig, doch diesmal zu einem ehrlichen Lächeln, welches allerdings genauso schnell verschwunden war wie das letzte.

,Ich weiß... so etwas darf ich nicht denken. Tut mir Leid.'

Mit diesen Gedanken wandte er sich einem eingerahmten Bild zu, welches neben dem Monitor auf dem Computertisch stand. Es zeigte eine Frau Ende 20, die gerade einem sich riesig freuenden, kleinen Jungen einen viel zu großen Teddybären schenkte. Der Junge war der sechsjährige Yuki, die Frau bei ihm seine Mutter.

,Du beschützt mich immer noch, was? Dabei bin ich so ein schlechter Sohn... Immer bereite ich dir Sorgen.'

Während er sich in Gedanken mit seiner Mutter unterhielt, ging er langsam auf ihr Abbild zu und berührte es sanft.

,Ich werde weiterleben... für dich.'

Er betrachtete das Bild noch eine Weile, dann sah er wieder aus dem Fenster. Es regnete mittlerweile stärker und so wie es aussah, war das noch nicht alles, was es an diesem Abend geben sollte. Mit einem letzten dankbaren Blick auf das Portrait seiner Mutter nahm Yuki seine Jacke und verschwand wieder aus der Wohnung.
 

"So ein Mistwetter", seufzte Haruko, steckte schweren Herzens ihren Einkaufszettel in die Tasche und nahm sich einen Schirm aus dem Regal.

"Aber es nützt ja alles nichts."

Vorsichtig öffnete sie die Haustür einen Spalt breit. Sofort blies ihr der kalte Wind ins Gesicht, begleitet vom Regen. Mit einem letzten aufmunternden "Augen zu und durch" überwand sie ihren Unmut, trat auf die Straße hinaus und lief mit schnellen Schritten Richtung Einkaufszentrum. Auf halbem Weg fiel ihr gerade noch eine bekannte Gestalt im Augenwinkel auf, bevor diese auch schon wieder verschwunden war. Normalerweise hätte sie sich nicht weiter darum gekümmert, doch etwas sagte ihr, sie solle doch einmal genauer nachsehen, wer diese Person war, die da gerade durch den Regen spazierte. Also drehte sie sich um und lief noch einmal ein paar Schritte zurück, um dann überrascht festzustellen, dass es Yuki war. Ihr erster Gedanke war, ihn einfach zu rufen und sich kurz mit ihm zu unterhalten, doch dieses Vorhaben verwarf sie nur wenige Augenblicke später, als ihr gesunder Menschenverstand bemerkte: Yuki. Allein und im strömenden Regen unterwegs. In eine Richtung, die eindeutig nicht zu ihm nach Hause führte, und mit einem Gang, der sie bei näherer Betrachtung regerecht zum Schaudern brachte.

Das Schlimmste ahnend machte sie sich wieder auf den Weg, um ihr eigenes Vorhaben schnellstmöglich zu erfüllen und dann wieder nach Hause zu kommen. Vielleicht konnte sie von dort aus etwas erreichen...

"Aki, was hast du bloß getan?", flüsterte sie leise in den Regen hinein.
 

In eine warme Decke gehüllt saß Aki vor einem inzwischen warm vor sich hinknisternden Kamin und starrte ins Feuer. Er konnte von Glück reden, dass er den Schlüssel zu der kleinen Hütte im Briefkasten gefunden hatte und bereits das zum Wohnen Notwendigste vorhanden gewesen war.

Doch obwohl er sich seinen nassen, kalten Sachen entledigt hatte und das Feuer eine angenehme Wärme spendete, war sein Gesicht kreidebleich, sein ganzer Körper zitterte. Aki wusste, dass dies nichts mit den äußeren Einflüssen zu tun hatte, sondern aus seinem Innern heraus kam. Gefühle und Erinnerungen, die er seit über zwei Jahren zu verdrängen versuchte und mittlerweile auch endlich Ruhe gegeben zu haben schienen, waren mit einem Mal wieder an die Oberfläche getreten, ganz plötzlich, wie bei einem aufgeblasenen Luftballon, den man mit einer spitzen Nadel anstach, woraufhin sämtlicher Inhalt mit einem lauten Knall herausplatzte. Die "Nadel" für Akis plötzliche Gefühlsentladung war Yukis unerwarteter Kuss gewesen, das war dem Halbjapaner mehr als nur klar. Er hatte es erst gar nicht realisiert, wie sich diese plötzliche Veränderung in seinem Innern abgespielt hatte. Von einem Moment auf den anderen hatte es einfach "Klick" gemacht und der ganze Schmerz, all die Trauer und Verzweiflung waren innerhalb weniger Augenblicke über ihn hereingebrochen und hatten ihn erneut in einen schockartigen Zustand verfallen lassen. Und was dann geschehen war...

"Was habe ich nur getan...?", flüsterte er mit verzweifelter Stimme in seine Hände hinein, in denen er sein Gesicht versteckt hatte. Stumme Tränen rannen ihm über die Wangen. Noch immer spukten die Erinnerungen an jenen verhängnisvollen Tag durch seinen Kopf, zerfraßen ihn, und nun gesellten sich zu den schrecklichen Bildern mehr und mehr die Schuldgefühle Yuki gegenüber.

Warum hatte er das gesagt? Warum hatte er dem Menschen, der ihm am meisten bedeutete, so unendlich wehgetan? Aki war nun endgültig klar geworden, was er tief in seinem Innern schon so lange vermutet hatte, was er sich allerdings nie hatte eingestehen wollen, obwohl es doch so eindeutig gewesen war, die ganze Zeit schon: Er hatte sich in Yuki verliebt, war es vielleicht die ganze Zeit über schon gewesen, seit er zurück nach Japan gekommen war, um ihn hier zu suchen. Warum verstand er es erst jetzt? Warum jetzt, wo er ihn so sehr verletzt, regelrecht zerstört hatte? Warum erst, nachdem er die bodenlose Verzweiflung in den Augen des anderen gesehen hatte? ...Weil er eben diese Verzweiflung gesehen hatte. Yukis Augen brannten noch immer in seinem Kopf und versetzten ihm einen ungeheuren Stich ins Herz. Es tat so weh, so weh, dass es die Grenzen der Freundschaft weit überschritt. Außerdem spürte er neben all diesen niederschmetternden Gedanken und Gefühlen noch immer dieses angenehme Kribbeln in seinem Bauch, ein Nachklingen der Berührung von Yukis Lippen auf seinen eigenen, wenn er an den Kuss zurückdachte. Doch je mehr er sich darauf konzentrierte, desto unbarmherziger kamen seine Erinnerungen zurück, brachen über ihm zusammen und ließen ihn erneut in tiefen Selbstzweifeln versinken. Und mit den Selbstzweifeln kam auch die Angst. Angst um sich selbst und um Yuki. Ja... er hatte Angst, dass sich die Dinge in ähnlicher Art wiederholen könnten, wenn er sich auf diese Liebe einlassen würde. Jimmy... Seinem besten Freund Jimmy hatte es so viel Leid beschert, so viel, dass es selbst ihn, diesen lebensfrohen, stets entschlossenen, kampfbereiten Jungen, der niemals aufgegeben hatte, für das zu kämpfen, was er liebte, in tiefe Verzweiflung und schließlich in den Tod getrieben hatte.

Aki musste schlucken und lenkte seinen Blick in eine andere Richtung, so als könnte er dadurch dem Bild, das sich gerade vor seinem inneren Auge formen wollte, ausweichen. Doch das konnte er nicht. Es brannte sich unbarmherzig in seine Gedanken und schnürte ihm die Kehle zu.

Nein... Nie wieder sollte es zu so etwas kommen! Niemals würde er zulassen, dass er - oder noch schlimmer: Yuki - in solch eine Lage geriet. War das der Grund, weshalb er ihm auf so grausame Art das Herz gebrochen hatte? Yukis Blick, als er schließlich gegangen war, hatte mehr gesagt als tausend Worte. Wahrscheinlich konnte Aki sich nicht annähernd vorstellen, was in seinem Freund in diesem Moment - und jetzt wohl immer noch - vorging. Wieder stiegen ihm heiße Tränen in die Augen. Das hatte er nicht gewollt. Auch wenn es so wohl besser war.

... Besser? Er hatte Yukis Gefühle zertrümmert, ohne auch nur einen Augenblick Rücksicht auf diese zu nehmen, ihn belogen und betrogen, genauso wie sich selbst. Er könnte jetzt nach England zurückkehren, dort ein neues Leben beginnen, Japan und das gemeinsame halbe Jahr mit dem Japaner einfach vergessen. Irgendwann.

Ein Laut, der irgendwo zwischen einem ironischen Lachen und einem Schluchzer lag, entwich seiner Kehle. Yuki vergessen? All die schönen Momente, die er mit ihm zusammen erlebt hatte, seine Hilfe, Fürsorglichkeit, Besorgnis? Seine Liebe? Nein, das würde er niemals vergessen können. Glücklich werden? Ohne Yuki? Das wäre unmöglich. Aber egal, wie sehr er es wollte, er konnte, durfte nicht mit ihm zusammenbleiben. Sicher würde es eine Weile gut gehen, vielleicht ein Jahr, vielleicht auch länger, vielleicht aber sogar weniger als das, wer wusste das schon? Doch irgendwann würde der Tag kommen, an dem "sie" es herausbekommen würden und dann würde sich alles wiederholen. Und das durfte NIEMALS geschehen!

Halt suchend griff Aki nach dem zierlichen silbernen Drachenanhänger an der Halskette, die Yuki ihm vor zehn Jahren geschenkt hatte. So lange hatte die kleine Figur nun schon ihren Platz an Akis Brust, dass sie wie ein Teil von ihm geworden war. Wieder erschienen die vor Schmerz schreienden Augen im Kopf des Halbjapaners. Wieder dieses Gefühl, als würde sein Herz zerreißen.

Doch diesmal war da auch noch etwas anderes. Eine Art Déjà-vu, als hätte er diesen Ausdruck in Yukis Gesicht schon einmal gesehen. Ja... natürlich. Es war erst heute Morgen gewesen. Da hatten seine Augen Ähnliches widergespiegelt. Zwar nicht in dem Maße, in der Intensität, wie er es vor wenigen Minuten - oder war es doch schon eine Stunde her? - erlebt hatte, aber dennoch ähnlich. Akis Griff um den kleinen Drachenanhänger verstärkte sich unbewusst. Plötzlich wusste er auch wieso. Nun, eigentlich wusste er es nicht, es war mehr so, als hätte sich der dichte Nebel, der um den Ereignissen der letzten Nacht lag, um ein winziges Bisschen gelichtet, sodass man vage Schemen dahinter erkennen konnte, aber noch längst keine Formen. So war es auch mehr wie eine Vermutung, ein Gefühl, doch irgendetwas sagte Aki, dass er richtig lag. Er hatte Yuki geküsst. In seinem Rausch musste er plötzlich alle Scheu und Bedenken verloren und einfach seinen Gefühlen nachgegeben haben, von denen er sich bis dahin nicht einmal eingestanden hatte, dass sie da waren! Oh Gott. Schlimmer hätte es doch gar nicht kommen können! Was sollte er nur tun? Ja, er liebte Yuki, wollte bei ihm sein, noch einmal diese weichen Lippen auf seinen spüren, von seinen schützenden Armen gehalten werden. Aber das durfte er nicht. Nicht um den Preis, den es ihn früher oder später kosten würde. Es war aussichtslos. Egal, wie er sich entscheiden würde, Yuki und er könnten niemals dauerhaft glücklich sein. Sein Blick fiel auf sein Handy, welches wie durch ein Wunder trotz des Wassers, das es abbekommen hatte, unversehrt geblieben schien.
 

Mit klopfendem Herzen und völlig durchgeweicht betrat Haruko die Tür zu ihrer Wohnung. Ihre Besorgnis hatte sich mit jeder Sekunde, mit jedem Gedanken, der um Aki und Yuki kreiste, mit jeder Frage vergrößert. Sie hatte die beiden so sehr ins Herz geschlossen, obwohl sie beide erst ein knappes halbes Jahr kannte. Zwar war sie anfangs in Aki verliebt gewesen, doch sie hatte sehr schnell mitbekommen, dass in seinem Herzen kein Platz mehr für sie war. Und obwohl Yuki derjenige war, an den sie Aki verloren hatte, war auch er ihr auf Anhieb sympathisch gewesen und die junge Japanerin wünschte den beiden nichts sehnlicher, als miteinander glücklich zu werden.

Das Klingeln ihres Handys riss die junge Frau aus ihren Gedanken.

,Ausgerechnet jetzt. Warum meldet sich dieses dämliche Ding immer dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann?'

Mit einem frustrierten Seufzer ließ sie ihre Einkaufstasche fallen und suchte in ihrer Handtasche nach dem Gerät. Ein Blick auf das Display ließ ihren Missmut über die Störung jedoch sofort verschwinden, ihr Herz begann aufgeregt gegen ihren Brustkorb zu hämmern.

"Hallo Aki", begrüßte sie den Anrufer in einem einfühlsamen Tonfall.

"Haruko... ich brauche deine Hilfe."

Akis Stimme klang belegt, zittrig. Die Japanerin wusste sofort, dass er geweint haben musste, die Tränen wahrscheinlich auch jetzt nur mühsam unterdrücken konnte. Wie gern wäre sie jetzt bei ihm gewesen und hätte ihn tröstend in die Arme genommen, doch das ging nicht, also versuchte sie, so beruhigend und mitfühlend wie möglich weiterzusprechen.

"Was kann ich für dich tun?"

Eine Weile war es ruhig am anderen Ende der Leitung. Anscheinend suchte der Halbjapaner nach den richtigen Worten, um ihr sein Problem näher zu bringen.

"Yuki... hat sich in mich verliebt, wusstest du das?"

"Ja. Er hat es mir erzählt", antwortete Haruko wahrheitsgemäß. Sie hielt es in dieser Situation für am besten, völlig ehrlich dem anderen gegenüber zu sein. Wieder wartete sie einen Moment, doch es waren erneut nur die leisen Hintergrundgeräusche zu hören. Es musste unheimlich schwer für Aki sein, das, was er auf dem Herzen hatte, ihr vorzutragen. Aber er wollte mit jemandem darüber reden, nein, nicht mit irgendwem, sondern mit ihr, also beschloss sie, von selbst einen Schritt auf den Halbjapaner zuzugehen. Vielleicht würde es ihm dann leichter fallen.

"Ich habe Yuki vorhin gesehen. Er sah sehr..."

Sie suchte nach dem richtigen Ausdruck. Schließlich wollte sie Aki nicht noch mehr wehtun.

"...verletzt?", kam der Vorschlag von der anderen Seite. Sie hatte dieses Wort eigentlich vermeiden wollen, aber letztendlich traf es ihre Gedanken ganz gut.

"Ja. Er sah verletzt aus. Ich weiß nicht, wo er bei diesem strömenden Regen hingegangen ist, aber er wollte sicher nicht zu euch nach Hause. Aki... was ist zwischen euch vorgefallen?"

"... Es ist meine Schuld", kam die leise, mehr geflüsterte Antwort, "Ich habe ihm so wehgetan. Gott, Haruko! Ich habe ihm so schreckliche Dinge an den Kopf geworfen, Dinge, die ich eigentlich gar nicht sagen wollte, weil... weil sie überhaupt nicht stimmen! Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Wie konnte ich ausgerechnet ihm gegenüber so kalt und gefühllos sein? Er ist doch mein Freund..."

"Aki?"

"Ja?"

"Hat er... dich geküsst?"

"... Ja, das hat er. Es kam so plötzlich, ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet und von einem Moment auf den anderen wusste ich nicht mehr, was ich tat oder sagte. Es sprudelte einfach alles aus mir heraus! So etwas ist mir noch nie passiert, Haruko, ich verstehe es einfach nicht! Aber das Schlimmste ist..."

Im Verlauf seiner Erzählung hatte Aki immer aufgeregter und verzweifelter geklungen, doch an dieser Stelle brach er erneut ab. Es kostete ihn unendlich viel Überwindung, diesen Gedanken laut auszusprechen.

"Das Schlimmste ist, dass ich mich auch in ihn verliebt habe."

"Warum sollte das so schlimm sein? Weil er ein Mann ist, genau wie du?"

Wieder folgte eine kurze Pause. So einfach, wie Haruko die Frage stellte, war das Ganze nicht. Es war nicht diese Tatsache direkt, die es für Aki so verdammt kompliziert machte, aber im Grunde war es die Ursache dafür.

"Weil es verboten ist", antwortete er schließlich vorsichtig.

"Du meinst, weil es in der Gesellschaft nicht akzeptiert wird? Weil die meisten Männer, wenn sie es herausfinden würden, dich meiden würden?"

"Wenn es doch nur das wäre! Damit könnte ich leben."

"Aber was soll denn sonst großartig passieren? Niemand hat ein Recht, über deine Gefühle zu urteilen, denn sie sind etwas, was tief aus deinem Herzen kommt, was du nicht beeinflussen kannst. Wenigstens das haben viele Leute mittlerweile begriffen und sie lassen die, die sich in jemanden desselben Geschlechts verlieben, einfach in Ruhe. Es gibt heutzutage so viele gleichgeschlechtliche Pärchen und sie alle verlieben, streiten sich und leben genauso wie Männer und Frauen. Sie sind genauso glücklich."

"Es klingt so einfach, wie du es mir erzählst, und ich zweifle nicht daran, dass du dich nicht von uns abwenden würdest, aber du hast keine Ahnung, wie grausam außenstehende Leute sein können. Dich verfolgen, jagen, bis selbst der letzte Wille gebrochen ist."

Diese Worte schockierten Haruko zutiefst und ihr wurde bewusst, dass hinter Akis Angst mehr als bloße Vorurteile liegen mussten. Irgendetwas Schreckliches musste passiert sein, wenn er sein Vertrauen in die Menschheit so sehr verloren hatte.

"Aki... was ist mit dir passiert, dass du so eine Einstellung hast?"

"Ich..."

Der Halbjapaner rang mit sich selbst. War es so offensichtlich, dass er noch immer nicht von seiner Vergangenheit loskam? Haruko hatte schon immer ein sensibles Gespür für die Gefühle anderer Menschen, aber dass dies so weit ging, hätte er nicht erwartet. Aber dieses Problem... Nein, da konnte sie ihm nicht helfen. Er musste allein damit fertig werden. Denn gerade jetzt, nach dem, was geschehen war, waren die Erinnerungen wieder zu lebendig, die Wunden zu weit aufgerissen, als dass er irgendwem hätte davon berichten können. Nein... Er würde es nicht verkraften, sich die ganze Geschichte noch einmal klar und deutlich ganz von vorn vor Augen führen zu müssen.

Wie schon so oft bewies die Japanerin jetzt wieder, wie gut sie die Gefühle anderer Menschen nachempfinden konnte.

"Wenn du nicht möchtest, musst du nicht mit mir darüber reden, Aki. Du bist mir keinerlei Rechenschaft schuldig. Aber mit Yuki solltest du darüber sprechen, er hat ein Recht darauf zu erfahren, was mit dir los ist. Vielleicht könnt ihr dann auch eine Lösung finden, wie es in Zukunft weitergehen soll. Mehr kann ich dir im Moment leider nicht helfen."

Aki schluckte. Das war ein sehr schwerer Weg, den seine beste Freundin ihm da vorschlug, doch egal, wie lange er noch darüber nachdenken würde, wahrscheinlich würde ihm kein anderer einfallen. Und eigentlich hatte sie auch Recht mit dem, was sie sagte. Er war es Yuki wirklich schuldig.

"Gut... Du hast Recht, Haruko."

"Ich kann dir leider nicht sagen, wo Yuki jetzt ist, also komm lieber so schnell es geht zurück. Wo bist du jetzt überhaupt?"

"In der Nähe von Hakone."

"Was? So weit weg? Dann beeil dich, dass du zurückkommst, hörst du, Aki?"

"Ja... mach ich."

Haruko gab ihm noch ein paar aufbauende Worte mit auf den Weg, bevor sie sich verabschiedeten. Aki sah noch einen Moment auf das nun wieder stille Handy. Es war keine einfache Möglichkeit, die seine Freundin ihm angeboten hatte, doch es war eine und sein schlechtes Gewissen verbot es ihm, diese zu ignorieren.
 

Aki hatte Glück gehabt: Kaum dass er den Bahnhof in Hakone erreicht hatte, fuhr auch schon ein Zug Richtung Osaka. So dauerte es auch nur rund anderthalb Stunden, bis er wieder dort war. An seinem Zielort angekommen verließ ihn allerdings das Glück. Busse fuhren nun kaum noch, besonders in ein so abgelegenes Eck, wie Yuki und Aki es bewohnten, also blieb ihm nichts anderes übrig, als für das letzte Stück ein Taxi zu mieten. Auch seine Hoffnung, dass der Japaner in der Zwischenzeit vielleicht wieder zu Hause war, wurde enttäuscht und Haruko hatte nach wie vor keine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte und wann er zurück sein würde. So blieb Aki nichts anderes übrig, als auf sein Glück zu vertrauen und nachzusehen, ob sich sein Freund an einem seiner Lieblingsplätze aufhielt. Zuerst sah er bei dem hübschen Springbrunnen im neuen Einkaufsgebiet nach, da ihm dieser Ort am nächsten lag. Fehlanzeige.

Auf dem Weg Richtung Stadtrand kam der Halbjapaner an der alten Eiche vorbei, die auf einem kleinen Hügel etwas abseits der Häuser wuchs. Auch hier war Yuki gern, wenn er abspannen oder für die Uni lernen wollte. An diesem ruhigen Ort könne man seine Seele baumeln lassen, ohne allzu weit laufen zu müssen, hatte der Japaner dies begründet. Obwohl längst die Dunkelheit hereingebrochen war und regenschwere Wolken die Sicht zusätzlich behinderten, konnte Aki bereits von weitem erkennen, dass sich dort niemand aufhielt.

Viele Möglichkeiten gab es nun nicht mehr. Das kleine Café in der Altstadt fiel aus; es hatte eh längst geschlossen, genau wie all die anderen Läden, in denen Yuki gern schmökerte. Außerdem wäre er in seiner Verfassung wohl kaum unter die Gesellschaft anderer Leute gegangen. Bliebe noch der künstlich angelegte See, aber der lag so gut wie am anderen Ende der Stadt. Dort nachzusehen würde ihn also wiederum über eine Stunde kosten. Der Park war ganz in seiner Nähe... Hier waren sie oft spazieren gegangen, wenn sie Zeit hatten. Allerdings... Selbst, wenn Yuki dort sein sollte, so wäre es ein Unding, ihn da finden zu wollen. Das Gelände war einfach viel zu groß. Noch dazu in dieser rabenschwarzen Nacht und dem Regen...

Aber eine innere Stimme drängte Aki trotz allem, dort nach ihm zu suchen. So riesig und ausladend wie der Park im Moment war, war dies wohl genau die Art von Ort, an den sich Yuki zurückgezogen haben könnte.
 

Aki wusste nicht, wie lange er durch den strömenden Regen gelaufen war; er fühlte sich total ausgezehrt, war nass bis auf die Knochen und seine Beine fühlten sich vom langen Laufen auf dem aufgeweichten Boden an wie Blei, als er im Dunkel der Nacht die vagen Umrisse einer reglosen Figur ausmachen konnte. Auch wenn er nichts Genaueres sehen konnte, so zweifelte der Halbjapaner keinen Augenblick daran, wer diese Person sein könnte.

Wieder kehrten dieses bedrängende Unbehagen und seine Zweifel zurück, welche der Regen während seiner Suche einfach weggewaschen zu haben schien. Er wollte einen Schritt auf Yuki zugehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht mehr. Was sollte er jetzt sagen? Würde sein Freund ihm überhaupt zuhören? Konnte er überhaupt aussprechen, was er nun schon so lange mit sich herumschleppte? Aki wusste, er musste es tun, doch es fiel ihm so unendlich schwer.

Weitere Minuten verstrichen, ohne dass irgendetwas geschah. Doch schließlich raffte sich der Halbjapaner auf, nicht zuletzt des furchtbaren Anblicks wegen, den sein sonst so fröhlicher und nie den Kopf verlierender Freund gerade bot. Aki war wohl der einzige Mensch auf der Welt, der ihn überhaupt verletzen konnte, und er hatte ihm mehr Leid zugefügt, als er sich überhaupt vorstellen konnte; das wurde ihm in diesem Moment bewusst.

Kaum dass Aki einige Schritte nach vorn getreten war, bemerkte Yuki sein Erscheinen und drehte langsam den Kopf in Richtung der geräuschlosen Bewegung. Auch er schien sofort zu erkennen, wer sich ihm näherte, denn sein Körper spannte sich unmerklich an. Er bewegte sich nicht, als der Halbjapaner unendlich langsam weiter auf ihn zukam. Auch als dieser schließlich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt stehen blieb, sodass beide die Gesichter des jeweils anderen erkennen konnten, zeigte sich keine Regung, kein kleinster Hinweis seiner Gedanken und Gefühle. Er stand einfach nur da, wie eine Statue, die man am Ufer des kleinen Rinnsals aufgestellt hatte, wartete, dass der unerwartete Besucher den ersten Schritt tun, irgendetwas sagen würde. Dieser blieb jedoch stumm, sodass Yuki sich schließlich einen Ruck gab, sich gerade hinstellte und seinen Gegenüber mit einem merkwürdigen Blick von oben herab musterte.

"Was ist los? Schlechtes Gewissen bekommen oder hast du was vergessen, was du mir gern noch an den Kopf werfen würdest?"

Am liebsten hätte Aki jetzt auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre in die Dunkelheit davongestürmt. Yukis schneidender Tonfall war unheimlich verletzend, doch es geschah ihm ganz Recht, das war dem Halbjapaner klar. Da musste er jetzt durch. Er musste mit seinem Freund reden, versuchen, es ihm zu erklären und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, mit der sie beide leben konnten, auch wenn Aki keine Ahnung hatte, wie diese aussehen sollte.

"Yuki, es... es tut mir Leid."

"Ach, auf einmal hast du ein schlechtes Gewissen und ich soll jetzt einfach alles vergessen und dir vergeben, oder wie stellst du dir das vor? Hör zu, Aki, falls es dir immer noch nicht klar sein sollte: Das, was ich vorhin zu dir gesagt habe, war ernst gemeint, todernst. Also wenn du nur gekommen bist, um mich zu bitten, dir zu vergeben und zu fragen, ob wir nicht einfach wieder Freunde sein wollen: So einfach ist das nicht. Ich schleppe diese Gefühle schon sehr lange mit mir herum, habe versucht, sie zu ignorieren, damit ich dich nicht damit belaste. Oder meinst du, ich würde einfach aus einer Laune heraus unsere Freundschaft aufs Spiel setzen? Bestimmt nicht, denn sie bedeutet mir sehr viel, aber ich kann meine Gefühle für dich nicht länger unterdrücken, ich ersticke daran! Dass ich dachte, dir könnte es vielleicht ähnlich gehen, war mein Fehler, keine Ahnung, wie ich darauf gekommen bin, und es tut mir Leid, dass ich dich so erschreckt habe, das wollte ich nicht, aber dass du mir deshalb so wehtun würdest, hätte ich niemals von dir erwartet. Ich dachte, du wärst toleranter, gerade weil wir doch Freunde waren, oder hatte ich mir das auch nur eingebildet?"

An Akis Gesicht konnte Yuki deutlich erkennen, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten. Und irgendwie taten sie ihm auch schon wieder Leid, seine Gefühle für den Halbjapaner hatten sich nicht verändert, obwohl dieser erst wenige Stunden zuvor so auf ihnen herumgetrampelt hatte. Doch noch konnte er nicht nachgeben, Aki einfach alles verzeihen und hoffen, dass am Ende vielleicht noch alles gut würde. So etwas war Wunschdenken, das war ihm selber klar. Und dann war da noch immer diese leise Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn warnte, zur Vorsicht riet, damit er nicht im nächsten Augenblick wieder so sehr verletzt würde. Diese Stimme ließ ihn zögern, seine kalte Maske vom Gesicht zu nehmen und Aki mit sanfter Stimme zu sagen, dass er ihm verziehen hatte, um ihn dann wie zur Bestätigung in seine Arme zu schließen. Nein, zu groß war die Gefahr, dass der andere ihn wieder von sich stoßen würde. Er musste abwarten, wie Aki reagieren würde, vorher konnte er nicht nachgeben.

Diesen hatte jetzt jedoch auch der letzte Mut verlassen, mit Yuki zu reden und ihm sein größtes Geheimnis zu offenbaren. Diese Kälte, die von seinem besten Freund, seiner heimlichen Liebe ausging, schnürte ihm einfach die Kehle zu, brachte ihn total aus dem Konzept.

"Nein, Yuki... Deine Freundschaft ist mir das Wichtigste in meinem Leben. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, als ich dich plötzlich so angefahren habe, aber es tut mir Leid, das musst du mir glauben! Ich verstehe doch selbst nicht, warum ich das alles gesagt habe, denn nichts davon ist wahr! In Wirklichkeit würde ich gern mit dir zusammen sein, aber es geht nicht! Es geht einfach nicht, Yuki!"

Die Worte verließen seinen Mund, ohne dass der Halbjapaner richtig über sie nachgedacht hatte; er hatte einfach loswerden müssen, was so sehr an seinem Herzen nagte. Doch besser wurde es davon nicht, eher im Gegenteil: Eine grenzenlose Sehnsucht durchflutete seinen Körper, ließ sich alles in ihm zusammenziehen. Er spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen und das Zittern seiner Hände immer heftiger wurde. Er musste hier weg.

Und ehe er noch weiter darüber nachgedacht hatte, sprintete er auch schon davon, was Yuki nun endlich aufrüttelte und ihn sämtliche Zweifel vergessen ließ. Er rannte Aki nach, als wäre es das Letzte in seinem Leben. Nur wenige Sekunden später hatte er den Halbjapaner eingeholt und am Handgelenk gegriffen, um ihn zum Stehenbleiben zu bewegen. Sein Gesicht verbarg der Braunhaarige jedoch weiterhin vor seinem Freund.

"Warum geht es nicht, Aki?", fragte der Japaner nun mit so viel Sanftheit und Verständnis in der Stimme, als wäre er niemals wütend auf seinen Freund gewesen.

"Das verstehst du nicht. Und ich mache dir auch gar keinen Vorwurf daraus, du kannst es gar nicht verstehen, aber es geht einfach nicht. Wir könnten niemals glücklich werden."

Langsam bekam er Angst um seinen Freund. Diese Worte machten ihm klar, dass Aki nicht aus purer Ablehnung der Homosexualität so seltsam gewesen war, sondern aus Furcht... Da war irgendeine tief sitzende Furcht in ihm, die ihn nicht losließ. Und genau diese musste er wohl geweckt haben, als er Aki so plötzlich geküsst hatte.

Vorsichtig drehte er den Halbjapaner zu sich um und nahm ihn beruhigend in die Arme. Er fürchtete erst, dass dieser sich wieder wehren würde, doch er ließ ihn gewähren, schmiegte sich sogar noch enger an ihn und kämpfte damit, ein Schluchzen zu unterdrücken.

Vorbei war sein eigener Kummer, seine Wut auf Aki wie weggeblasen, als dieser sich so hilflos an ihn klammerte. Mehr noch, er spürte sogar, wie bereits Schuldgefühle in ihm aufkeimten und er anfing, daran zu zweifeln, dass sein Verhalten eben richtig gewesen war. Rationell und mit Abstand betrachtet war es das wohl, versuchte Yuki eine Erklärung für sich zu finden, doch im Moment hatte er weder Abstand von den aktuellen Geschehnissen noch konnte er objektiv darüber nachdenken, zu viel geschah derzeit in seinem Innern.

Für Außenstehende musste diese Szene gewirkt haben, als hätte jemand die Zeit angehalten, doch blickte man unter die scheinbar ruhige Fassade, konnte man den Sturm erkennen, der in den Herzen der beiden Freunde tobte. Erst als Yuki sich wieder ruhiger fühlte und auch Akis Atmung wieder gleichmäßiger war, sein Griff um das Shirt des Japaners sich gelockert hatte, wagte ersterer, den Bann des Augenblickes zu brechen. Langsam löste er sich von dem Halbjapaner, sodass sie sich wieder in die Augen sehen konnten.

"Erzählst du mir, was dich so sehr bedrückt?"

Zuerst brachte Aki nur ein zögerliches Nicken als Antwort heraus, doch als könnte er sich damit selbst Mut zureden, versuchte er, den zähen Kloß, der sich in seinem Hals gebildet hatte, hinunterzuschlucken und ein leises "Ja" anzufügen. Instinktiv strich Yuki ihm einmal sanft über den Rücken und schenkte ihm ein warmes Lächeln.

"Danke. Aber jetzt sollten wir besser erstmal nach Hause gehen."

So brachen sie langsam in Richtung ihrer Wohnung auf. Dass der Japaner noch immer einen Arm sanft um Akis Hüfte gelegt hatte, störte diesen im Moment nicht. Bei dem Wetter und zu dieser Uhrzeit waren sie wohl sowieso die einzigen Menschen, die auf den Straßen Osakas unterwegs waren. Keiner von beiden sagte noch ein Wort. Sie wussten, dass das Wichtigste für den Moment geklärt war, sie brauchten nicht mehr zu reden, um sich zu verstehen.

Jimmy (Teil 1)

Ich schätze, inzwischen hat wohl schon kaum noch jemand damit gerechnet, aber: Ja, es geht tatsächlich weiter! Das Chap kam grad frisch von meiner Beta und da ihr jetzt sowieso schon so ewig warten musstet, hab ich mich echt beeilt, die Korrektur sofort durchzulesen und das Kapitel hochzuladen. Wie ihr sehen könnt, wird das wieder eine längere Sache, die voraussichtlich drei bis vier Teile lang wird. Mal sehen.

Und dafür, dass ihr so lange warten musstet, ist dieses Kapitel auch besonders lang! Ich hoffe, das tröstet euch ein wenig. Auch wenn es am Anfang recht schleppend voran geht, da ich wegen der neuen Situation sehr viel drum herum erzählt habe. Aber sonst würde hier einfach keine Atmosphäre entstehen und das ist mir hier sehr wichtig.

Ach ja, damit sich keiner wundert: "Jimmy" spielt komplett in der Vergangenheit. Ich weise im Text selbst nich explizit darauf hin, aber ich denke, dass es beim Lesen eigentlich auch klar werden sollte.

Viel Spaß jetzt!
 

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Jimmy (Teil 1)
 

Das Ertönen der Schulglocke läutete das lang ersehnte Ende eines anstrengenden Tages ein. In Scharen drängten sich hunderte Schüler gleichzeitig durch die dafür viel zu engen Schultore, um nun den wesentlich angenehmeren Nachmittagsbeschäftigungen nachgehen zu können.

Nur wenige Ausnahmen blieben hinter der großen Masse zurück, unter ihnen zwei Elftklässler, die den abklingenden Trubel nutzten, um sich endlich in Ruhe unterhalten zu können.

"Du hast heute schon wieder Training?", fragte der Junge mit den dunkelblonden, schulterlangen Haaren, die er zu einem festen Zopf zusammengebunden hatte. Seine tiefblauen Augen musterten den anderen skeptisch, welcher nur ergeben mit den Schultern zuckte und seine "du-weißt-ja-wie-er-ist"-Grimasse aufsetzte.

"So ein Sklaventreiber! Das ist der vierte Tag hintereinander! Der muss echt denken, du langweilst dich sonst", beschwerte der Blonde sich weiter.

"Lass gut sein, sonst hört er es vielleicht noch", beschwichtigte ihn sein Freund mit dem kastanienbraunen Haar. Die grünen Augen funkelten belustigt.

"Und so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht."

"Nicht schlimm?! Danny, wir stecken mitten in unseren A-Levels und du verschwendest deine wertvolle Zeit damit, den Alten zu besuchen, anstatt zu lernen."

"Die Prüfungen sind doch erst in einem Jahr!"

"Trotzdem zählen die Noten dafür jetzt schon."

"Ich weiß und über meinen derzeitigen Leistungsstand brauche ich mir auch noch keine Sorgen zu machen - im Gegensatz zu manch anderen Leuten, nicht wahr, Jimmy?"

Dabei stieß er dem Blonden neckend den Ellbogen in die Seite und grinste ihn amüsiert an.

"Ach, na ja...", versuchte der andere die Anspielung als Lappalie zu verwerfen, "ich will ja nach der Schule auch nicht in Japan studieren."

"...Was nicht heißt, dass es einfach ist, an einer englischen Uni angenommen zu werden", ergänzte Danny den Satz, während er gemütlich Seite an Seite mit seinem Freund durch das Schulgebäude schlenderte.

"Wer sagt denn, dass ich studieren möchte?", konterte Jimmy.

"Du", kam prompt die Antwort, "oder willst du doch keinen guten Job mehr bekommen, um später mit Joan zusammenleben zu können?"

"Schon gut, schon gut! Ich gebe ja auf! Vielleicht sollte ich wirklich langsam mehr für die Schule machen. Aber nicht heute."

"Heute siehst du sie wieder, nicht wahr?"

"Ja... Es ist schon wieder fast einen Monat her, seit wir uns das letzte Mal getroffen haben", antwortete Jimmy mit sanfter Stimme. Sein Blick wurde träumerisch und schien langsam der Realität zu entgleiten. Ein leichtes Lächeln glitt über Dannys Lippen. Er bewunderte den Blonden dafür, wie viel Kraft er aus seiner Liebe schöpfte, welche Lebensfreude sie ihm immer wieder aufs Neue gab, obwohl er ihretwegen doch solche Probleme hatte.

"Na dann viel Spaß! Und lass dich nicht erwischen!"

"Keine Sorge, wir sind vorsichtig."

Da sie das Schultor mittlerweile erreicht hatten, verabschiedeten die beiden Freunde sich und jeder ging seinen eigenen Weg, welcher Jimmy zum Bahnhof und Danny in ein kleines Dorf am Rand Londons führte, wo er bereits von seinem Sensei erwartet wurde.
 

Es war echt zum Verzweifeln. Nie konnte man diesen engstirnigen, rechthaberischen Menschen zufrieden stellen! Ganz gleich, wie sehr Danny sich auch beeilte, nach der Schule zu seinem Schwertmeister zu kommen, immer beschwerte sich dieser, dass der Halbjapaner gebummelt hätte und wie immer zu spät wäre. Dabei gab der Schwertmeister ihm nie eine genaue Uhrzeit, wann er bei ihm erscheinen sollte. Es hieß immer nur: "Sei an diesem Tag bei mir." Auf die Frage, wann genau er denn da sein sollte, hatte Danny noch nie eine Antwort erhalten. Immer nur: "Morgen." Und trotzdem meckerte er jedes Mal rum.

Der Halbjapaner schüttelte resigniert den Kopf.

,Warum kann er mir nicht einfach sagen, dass er zu faul ist, in die anderen Dörfer zu gehen, und ich ihm, wenn ich schon vorbeikomme, etwas mitbringen soll? Aber nein! Jedes Mal tut er so, als müsste er mir aus irgendwelchen fadenscheinigen Gründen so dämliche Strafen aufdrücken!'

Entnervt ruckte er den schweren Reissack, den er sich über die Schultern geschwungen hatte, zurecht. Das Ding kotzte ihn auch langsam an. Alle paar Minuten drohte es, ihm zur Seite herunter zu fallen. So konnte er einfach nicht richtig laufen! Na wenigstens hatte er im Laufe der Jahre praktische Abkürzungen zwischen den einzelnen Strecken, die er regelmäßig zurücklegen musste, gefunden. So brauchte er wenigstens nicht am Straßenrand entlang rennen und sich dort vor allen Leuten zum Deppen machen. Zumindest ein kleiner Trost...

Danny hatte, nachdem Hikawa ihn als seinen Schüler akzeptiert hatte, nicht lange gebraucht, um einen Überblick über die Orte, in die er andauernd geschickt wurde, zu finden. Es waren immer dieselben, sodass er schon bald damit begonnen hatte, sich Abkürzungen und Schleichwege zu suchen, um Zeit und Kraft sparen zu können. Das war, besonders in den ersten Jahren, bitternötig gewesen, denn die Entfernungen lagen zwischen drei und sechs Kilometern.

Mittlerweile störten ihn die Läufe an sich nicht mehr. Seine Ausdauer und Kraft hatten sich im Laufe der Jahre so weit verbessert, dass er selbst die längsten Strecken locker noch einmal zurücklegen könnte. Nur diese faulen Ausreden nervten ihn tierisch. Aber wenn er so an das erste Jahr zurückdachte...

Ein zufriedenes Grinsen legte sich auf seine Lippen. Die Erinnerungen daran, wie geschafft er nach einem dieser Märsche immer gewesen war, unfähig, auch nur einen einzigen weiteren Schritt zu tun, waren noch immer so lebendig wie in dieser Zeit. Damals hatte er gedacht, er würde dieses unmenschliche Training niemals durchhalten - und nun war er schon über sieben Jahre dabei. Nicht, dass es mittlerweile einfacher geworden wäre; zumindest das Training an sich war noch immer so hart und Kräfte zehrend wie damals. Er hatte sich inzwischen nur einigermaßen daran gewöhnt.
 

Neun Kilometer in nicht ganz einer Stunde - und das teilweise mit einem 20 kg schweren Reissack auf dem Rücken! Nicht schlecht, fand zumindest Danny. Und auch sein Sensei schien recht zufrieden damit zu sein, denn die Beschwerde über seine "Bummelei" fiel diesmal ein wenig schwächer aus als sonst. Der Halbjapaner kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass dies fast schon einem Lob gleich kam. Das, was er selbst darunter verstand, war noch nie über die Lippen seines Meisters gekommen und der Junge bezweifelte auch stark, dies jemals erleben zu dürfen. Insofern waren die paar dummen Bemerkungen, mit denen er begrüßt wurde, schon ein wirklich gutes Zeichen.

Ohne einen weiteren Kommentar stellte er den Sack im Vorratsraum ab und zog sich seine Trainingssachen über. Es brauchte schon gar keine Absprache mehr zwischen Schüler und Meister, denn das Training lief immer nach demselben Schema ab: Erst ein paar Schwungübungen zum Aufwärmen, dann durfte er einige bewegliche Holzmodelle mit Hieben und Tritten attackieren, wobei er aufpassen musste, dass er von keinem herausragenden Ende getroffen wurde, und zum Schluss, welcher immer die meiste Zeit in Anspruch nahm, musste er versuchen, sich gegen seinen Meister selbst zu behaupten, was ihm noch nie auch nur annähernd gelungen war.

Es war Danny noch immer ein Rätsel, wie es dieser Mann schaffte, alle seine Angriffe mit so fließenden Bewegungen zu parieren und seinen ganzen Körper in solch perfekter Harmonie zu koordinieren, dass der Halbjapaner trotz Aufbietung seines ganzen Könnens nur mit Mühe gegenhalten konnte. Ein Außenstehender würde wahrscheinlich gar nicht vermuten, dass in diesen graziös anmutenden Schwüngen so viel Energie stecken kann, denn eigentlich erinnerte Hikawas Stil mehr an einen zeremoniellen Tanz als an eine Kampfsportart.

Dies waren auch die Momente, in denen Danny immer wieder bewusst wurde, dass er seinen Sensei selbst nach sieben Jahren noch immer nicht kannte. Und plötzlich erschien ihm dieser Mann wieder so unergründlich, so geheimnisvoll wie am Tag ihrer ersten Begegnung.

Ob er jemals die wahre Stärke seines Meisters erfahren würde?
 

"Oh, oh, oh..."

Kritisch begutachtete Danny am nächsten Morgen den hübschen blauen Fleck, der nun groß und farbenfroh auf seinem Oberarm prangte. So derb hätte sein Sensei nun wirklich nicht zuschlagen müssen! Aber jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen. Der Fleck war da und würde das wohl noch für den Rest der Woche bleiben.

Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte ihm, dass heute wohl wirklich einer der wenigen vom Wetterfrosch angekündigten richtig warmen Tage in England werden würde. Ein langärmliges T-Shirt kam also gar nicht infrage. Auch wenn dadurch jeder den neuen Fleck bewundern konnte. Aber was störte es ihn eigentlich? Jeder wusste, dass er Kendo trainierte und ab und an mit blauen Flecken zur Schule kam.

Nun, eigentlich war es genau das, was ihn daran störte: Eben WEIL jeder wusste, dass er sich mit dem Kampfsport beschäftigte, schienen es alle Leute zu lieben, ihn damit zu necken, wenn er mal wieder eine Blessur vorzeigen konnte.

"Na, hast du dich wieder verprügeln lassen?"

"Stehst wohl auf Schmerzen, was, Danny?"

"Also Danny! Jetzt machst du das schon SO lange und schaffst es trotzdem noch nicht, wenigstens dich selbst zu schützen. Was soll das werden, wenn du mal in richtige Schwierigkeiten kommst?"

Es war wirklich jedes Mal dasselbe! Warum die sich nur immer wieder aufs Neue so freuten, wenn er mal einen Schlag abbekommen hatte, war ihm ein Rätsel. So langsam müsste das doch langweilig werden...

"Na, altes Haus?"

Übertrieben schwungvoll knuffte ihn einer seiner Mitschüler auf die dunkle Stelle an seinem Oberarm.

"Autsch! Danke auch!"

...Okay, es wurde wohl doch nie langweilig. Vielleicht könnte er ja selbst darüber lachen - wenn er nicht gerade die betroffene Person wäre.

"Ach komm schon, Danny! Jetzt hab dich nicht so. War doch nur ´n Scherz. Oder bist du ein Mädel, dass du jedes Mal so zimperlich tust?"

"Diese Scherze werden langsam alt."

"Schon, aber du ziehst immer wieder einen so herrlichen Flunsch, dass man gar nicht anders kann, als dich zu ärgern", klinkte sich nun noch ein weiterer Mitschüler in das Gespräch ein. Danny wollte gerade etwas darauf erwidern, als seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung gelenkt wurde.

"Hey, Jimmy! Du hast Danny wohl bei seinem Training unterstützt, was?", kam es aus einer Ecke des Raumes.

"Ja, und zwar als Dummy!", brüllte jemand von der anderen Seite her. Die Klasse brach in schallendes Gelächter aus. Nur Danny starrte seinen Freund mit vor Schock und Sorge geweiteten Augen an. Jimmy jedoch störten die kleinen Sticheleien keineswegs. Er grinste sogar munter mit.

"Sehr witzig, Leute! Ich möchte euch mal erleben, wenn ihr in eine Prügelei geratet und nur mit knapper Not entkommen könnt."

"Verprügelt? Von wem denn?", fragte jemand, der sich bereits einigermaßen beruhigt hatte.

"Woher soll ich das wissen? Denkst du, die geben mir vorher ihre Namen und Adressen, damit ich sie hinterher wiederfinde?"

"Gleich mehrere? Mensch, müssen das Feiglinge gewesen sein! Wo du doch keiner Fliege was zuleide tun kannst", meinte einer der Jungs, der ihm am nächsten stand, mitfühlend und wuschelte ihm durch die Haare.

"Hey!", protestierte Jimmy und duckte sich, um der störenden Hand zu entkommen.

"Aber mal im Ernst, was wollten die denn von dir?", meinte eines der Mädchen teilnahmsvoll.

"Geld. Glücklicherweise hatte ich kaum welches dabei, sonst wäre ich jetzt wohl arm."

So ging es noch eine Weile weiter. Die Mädchen waren schockiert und hatten Mitleid mit Jimmy, die Jungs fingen an, Witze und vorlaute Sprüche bezüglich der unbekannten Angreifer zu machen, so wie es pubertierende Sechzehnjährige eben taten. Nur Danny hielt sich aus der ganzen Diskussion heraus. Er glaubte nicht an die Geschichte, die sein Freund ihren Klassenkameraden so farbenprächtig verkaufte. Nein, er hatte seine eigenen Vermutungen.
 

"Was ist wirklich passiert, dass du mit solchen Verletzungen in die Schule kommst?", fragte Danny direkt heraus, kaum dass er und Jimmy allein waren. Vier Stunden lang hatte er darauf gewartet, dass sie endlich zur Essenspause entlassen wurden und sich für einen Moment von der Masse entfernen konnten. Ein einziger Blick Dannys in Richtung seines Freundes hatte genügt, um diesem begreiflich zu machen, dass er ihn unter vier Augen sprechen wollte, also hatten sie sich mit ein wenig Smalltalk unbemerkt aus der Masse entfernt und sich auf das menschenleere Schuldach verzogen - was ja eigentlich verboten war. Doch dafür waren sie dort mit Sicherheit auch allein.

"Das weißt du doch eh längst, nicht wahr?"

"Dein Vater hat euch erwischt, oder?"

"Bingo, hundert Punkte", kam die lässige Antwort, während Jimmy sich nach hinten fallen ließ und den Blick gen Himmel lenkte. Danny schüttelte nur verständnislos den Kopf.

"Wie kannst du da nur so ruhig bleiben?"

"Wie kannst du dich darüber so aufregen?"

"Du machst es ja nicht!"

Ein Grinsen schlich sich auf Jimmys Lippen, als er in das empörte Gesicht seines Freundes blickte.

"Jawohl, Mama."

Dafür erhielt er einen Knuff in die Seite.

"Au, nicht so doll!", presste er zwischen den Zähnen hervor und drehte sich gekrümmt auf die Seite. Erschrocken wandte Danny sich dem blonden Jungen zu und versuchte sanft, dessen Hand von der schmerzenden Stelle zu entfernen, um einen Blick darauf werfen zu können.

"Das tut mir Leid! Ich hätte nicht gedacht, dass es SO schlimm ist!", entschuldigte er sich dabei erschrocken.

"Schon gut..."

Langsam richtete Jimmy sich wieder auf; der Schmerz schien allmählich abzuklingen. Nur die Sicht auf die betroffene Stelle wollte er nicht freigeben. Als er dafür jedoch einen strafenden Blick seines Freundes erhielt, ergab er sich schließlich zögernd, nahm die Hand weg und zog sein T-Shirt weit genug hoch, sodass der riesige blaue Fleck, in dessen Mitte sich ein frischer Bluterguss zeigte, zu sehen war. Der Braunhaarige zog scharf die Luft ein. Das blaue Auge und die geschwollene Wange und Lippe sahen ja schon schlimm aus, aber diese Verletzung übertraf das alles noch um Weiten.

"Dein Vater ist krank!", brach er fassungslos hervor.

"Wem sagst du das?", gab Jimmy sarkastisch zurück. "Der alte Säufer ist unberechenbar!"

Er schloss für einige Augenblicke die Augen, atmete tief durch und richtete seinen Blick schließlich sichtlich entspannter wieder hinauf in das endlose Blau.

"Aber es ist nur noch für ein Jahr. Wenn die Schule vorbei ist, suche ich mir einen Job und bin weg. Dann kann Joan mich besuchen kommen, wann immer sie Zeit hat, und wenn sie aus der Schule raus ist, kann Mutter sie auch nicht mehr festhalten und ihr verbieten, sich mit mir zu treffen. Bis dahin hab ich bestimmt schon ein wenig Geld angespart, sodass ich für uns beide sorgen kann. Dafür lohnt es sich, all das durchzustehen."

Danny betrachtete seinen Freund mit gemischten Gefühlen. Jimmy war sehr stark, das wusste er so gut wie wohl niemand sonst. Vor zwei Jahren hatte er plötzlich angefangen, diese Gefühle für seine Schwester zu entwickeln und obwohl er anfangs versucht hatte, sie zu unterdrücken, zu ignorieren, hatte es nichts gebracht. Er hatte sich in sie verliebt, und das nicht zu wenig. Und sie sich in ihn.

Es war nicht lange gut gegangen, was aber von vornherein klar gewesen war. Irgendwann hatten ihre Eltern sie erwischt und die sowieso schon angespannte Situation in der Familie explodierte förmlich. Ihre Eltern lagen schon seit einer ganzen Weile im Streit, weil ihr Vater immer mehr dem Alkohol verfallen war und die Mutter dies immer unglücklicher gemacht hatte. Es war regelmäßig zu heftigsten Streitereien zwischen den beiden gekommen, wodurch Jimmy und Joan nur noch stärker ihre gegenseitige Nähe gesucht hatten.

Ihre heimliche Liebe war der endgültige Auslöser gewesen, der die Familie hatte zerbrechen lassen. Ihre Mutter war innerhalb einer Woche ausgezogen und hatte Joan mitgenommen. Jimmy hatte sie fortan nicht mehr als ihren Sohn angesehen. Sie war der Meinung, er wäre schon immer verdorben gewesen und wollte nun versuchen, auch seine Schwester in seinen Abgrund zu reißen. Den Vater hatte dies nicht weiter gekümmert, denn er hatte daraufhin seine Tochter verstoßen. Jimmy hielt er jedoch für keinen Deut besser und es hatte ihm gar nicht gefallen, dass der Junge bei ihm bleiben sollte. Ein Heim war für die Eltern gar nicht infrage gekommen; zu groß war die Angst gewesen, dass dieser schreckliche Zwischenfall an die Öffentlichkeit geraten könnte und sie dadurch in ein schlechtes Licht gerückt würden. Außerdem wäre Jimmy mit Sicherheit abgehauen - das hatte er selbst gesagt - und hätte jede Möglichkeit genutzt, um seine Schwester wiederzufinden. Da waren dem Vater die persönliche Kontrolle und eine strenge Hand lieber gewesen.

Seit der Trennung hatte es zwischen Jimmy und seinem Vater nie wieder so etwas wie eine familiäre Beziehung gegeben. Nach außen hin schien alles ruhig, denn die Gefahr, dass die Liebe zu seiner Schwester öffentlich wurde, wollte der Blonde ebenfalls nicht eingehen. Ansonsten gab es nichts mehr, was beide gemeinsam hatten.

Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, war Jimmys Vater dem Alkohol vollends verfallen und ließ seine schlechte Laune regelmäßig an seinem Jungen aus. Um dem zu entgehen, blieb Jimmy meist bis zum späten Abend bei Danny oder streifte durch die Straßen Londons. Oft stand er auch schon in aller Frühe auf, erledigte die nötigsten Sachen und verschwand dann so schnell es ging.

Danny hatte das ganze Drama von Anfang an mitverfolgt. Er war der Einzige, dem Jimmy sich jemals anvertraut hatte - auch wenn dies mehr oder weniger zufällig geschehen war. Die Jungen kannten sich schon, seit sie denken konnten, und so verstanden sie auch ihre Gefühle und Gedanken meist wortlos. Der Halbjapaner hatte nicht lange gebraucht um herauszufinden, dass mit seinem Freund etwas nicht in Ordnung war. Und ein wenig kritische Beobachtung hatte ihm auch bald den Grund dafür gezeigt, welchen Jimmy bis dahin selbst vor ihm verschwiegen hatte. Natürlich war diese Erkenntnis auch für Danny erst einmal ein kleiner Schreck gewesen, doch nachdem er mitbekommen hatte, wie ernst es seinem Freund gewesen war und mit welchen Problemen er bereits zu kämpfen hatte, hatte er den Entschluss gefasst, ihm mit allen Möglichkeiten zu helfen und zu unterstützen.
 

Rückblickend betrachtet reichten die letzten zwei Jahre aus Jimmys Leben wohl locker aus, um einen tausendseitigen Roman zu füllen. Die unzähligen verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen mit seinem Vater, die heimlichen Treffen mit seiner Schwester, welche immer schwieriger zu meistern waren, Wutausbrüche, Schimpftiraden, Heulanfälle. Doch egal, wie schlimm es Jimmy getroffen hatte, wie sehr er von seinem Vater verletzt worden war, er hatte weiter gemacht, war immer wieder aufgestanden und mit jedem neuen Streit stärker und geschickter geworden. Schon bald hatte er aufgehört, vor seinem Vater Gefühle zu zeigen, und irgendwann waren selbst vor Dannys Augen keine Tränen mehr geflossen.

"Wozu meine Kraft dafür verschwenden? Der Kerl ist es nicht wert, dass ich seinetwegen weine. Rückschläge werde ich immer wieder erleben, also muss ich stark sein - für Joan und mich."

Diese Worte hatten ihn unheimlich beeindruckt und taten dies noch heute, denn oft genug hatte Jimmy bewiesen, dass sie nicht nur irgendeine schlaue Phrase, sondern eine wirklich ernst gemeinte Einsicht gewesen waren. Ein leichtes Lächeln zierte Dannys Lippen, als er es seinem Freund gleichtat und hinauf in den makellos blauen Himmel sah.

"Ich hoffe, ihr werdet irgendwann glücklich miteinander."

"Danke, Kumpel! Das wünsche ich dir auch."

"Ach komm schon, Jimmy! Jetzt sag doch endlich, dass ich nur ein Träumer bin."

"Nein, sag ich nicht! Ich habe deine Yuki zwar noch nie gesehen, aber ich glaube, sie muss ein ganz besonderes Mädchen sein, wenn sie dich so sehr in ihren Bann gezogen hat. Auch wenn es vielleicht so klingt, als wäre es einem Dreigroschenroman entnommen, aber ich finde, du solltest sie nicht einfach so aufgeben, besonders nachdem du nun schon dein halbes Leben nach ihr ausgerichtet hast. Oder willst du das alles umsonst getan haben?"

"Das nicht, aber betrachten wir es doch einfach mal realistisch: Ich habe sie vor acht Jahren das letzte Mal gesehen - und das nur für wenige Wochen! Wir hatten uns zwar versprochen, uns regelmäßig zu schreiben, aber ich habe nie einen Brief von ihr bekommen..."

"Vielleicht konnte sie dir nicht schreiben?", fiel ihm Jimmy ins Wort. Danny musterte ihn mit einem skeptischen Blick.

"Selbst wenn es so wäre... Angenommen, ich gehe nach der Schule wirklich nach Japan: Was, wenn ich sie in diesem riesigen Land gar nicht finde? Oder ich finde sie wieder und sie kann sich gar nicht mehr an mich erinnern? Oder ich erkenne sie überhaupt nicht mehr? Immerhin sind neun Jahre kein kurzer Zeitraum, da kann viel passieren. Oder sie hat schon längst einen Freund? Ich meine, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie sich in dieser langen Zeit nicht mal nach einem anderen Jungen umgesehen hat?"

"Hattest du denn schon eine Freundin?"

"...Nein. Aber das ist was anderes."

"Warum? Biste schwul?", hakte Jimmy mit einem breiten Grinsen im Gesicht nach. Danny verdrehte genervt die Augen.

"Würde ich dann jahrelang einem imaginären Mädchen hinterher rennen?"

"Sie ist nicht imaginär."

"Aber sie ist mit Sicherheit nicht mehr die, als die ich sie kennen gelernt habe."

"Schlimm wär's, wenn sie sich in den zehn Jahren nicht wenigstens ein bisschen verändert hätte."

"Du nimmst mich überhaupt nicht ernst, Jimmy!", empörte sich Danny schließlich. Dauernd erhielt er solch einen frechen Konter als Antwort. Langsam bekam er das Gefühl, sein Freund wollte sich nur über ihn lustig machen.

"Nein, du siehst das Ganze viel zu ernst, Danny! Oder warum hättest du die hier sonst?"

Jimmy wurde klar, dass er mit einem aufgelockerten Gespräch bei diesem Thema nicht weiter kam, also wurde auch er wieder etwas ernster und angelte vorsichtig die Kette mit dem silbernen Drachen unter dem T-Shirt des Braunhaarigen hervor. Dieser nahm es behutsam in die Hand, betrachtete es eingehend, so als hätte er das wertvolle Andenken gerade erst erhalten.

"Ich weiß nicht... Nach dem, was Yuki mir bei unserem kurzen Abschied erzählt hat, muss das etwas wirklich Wertvolles sein, und vielleicht habe ich ihr damals wirklich sehr viel bedeutet, denn sonst hätte sie mir den Anhänger nicht geschenkt. Aber wer sagt denn, dass das bis jetzt so geblieben ist? Leute verändern sich. Gefühle verändern sich."

"Aber nicht immer. Du bist das beste Beispiel dafür."

"Ich war damals neun und habe das erste Mal so was wie Verliebtheit gespürt. Ich wusste damals noch gar nicht richtig, was Liebe ist."

"Und trotzdem denkst du noch immer an sie, wartest jeden Tag auf einen Brief von ihr und gehst fast täglich zum Kendounterricht. Und warum? Weil du dich doch irgendwie in sie verliebt hast. Vielleicht nicht damals. Vielleicht hat es sich erst im Laufe der Zeit entwickelt, nachdem du wieder hier warst und bemerkt hast, wie sehr du sie vermisst. Aber irgendwie hast du dich doch verliebt. Und weißt du was? Solange du die Hoffnung nicht aufgibst, besteht immer die Chance, dass du sie wiederfindest und am Ende alles gut wird. Erst wenn du sie aufgibst, verwirfst du auch die letzte Möglichkeit - und mag sie noch so gering sein - irgendwann mit ihr zusammenzukommen. Und nicht nur irgendwann! Wir haben unser vorletztes Schuljahr so gut wie hinter uns, das heißt, dass du nur noch gut ein Jahr durchhalten und weiterhin hoffen musst. Und angenommen es geht für euch beide wirklich nicht gut aus: Was hast du denn dann großartig verloren? Einen Schatten, dem du jahrelang, wenn auch leider vergebens, nachgerannt bist. Aber du hast immer noch deine guten Noten und den Kampfsport und nach dem zu urteilen, was ich bis jetzt gesehen habe, würden dir selbst in Japan alle Türen offen stehen, es irgendwann mal richtig weit zu bringen. Aber wenn du jetzt aufgibst, verlierst du mehr, als du gewinnen würdest. Also sei gefälligst ein wenig zuversichtlicher und steck nicht dauernd den Kopf in den Sand!"

Jimmys kleine Rede endete mit einem so drohenden Blick, dass Danny sich einen weiteren Protest lieber gleich sparte.

"Ist gut! Du hast ja Recht!", gab er beschwichtigend zu. Und er meinte es auch so. Er wusste, es bestand noch immer die Möglichkeit, dass er Yuki wieder sehen und mit ihr zusammen sein könnte, auch wenn diese nicht sehr groß war. Das hatte er immer gewusst und trotzdem hatte er sich an diese eine Hoffnung geklammert, bis heute mit ihr gelebt. Warum also so kurz vor dem Ziel doch noch alles aufgeben? Diese eine, winzige Chance freiwillig wegwerfen? Er könnte es ja doch nicht, auch wenn er manchmal das Gefühl hatte, es würde ihm alles entgleiten.

Die Schulklingel riss ihn grob aus seinen Gedanken und machte ihm unbarmherzig klar, dass der Unterricht in Kürze weitergehen würde. Jimmy erhob sich bereits mit einem leisen Seufzer.

"Na komm! Sonst verspäten wir uns noch."
 

"Jimmy! Danny! Habt ihr heute schon was vor?"

Der Schultag war gerade zu Ende gegangen und die beiden Jungen bahnten sich, genau wie alle anderen, einen Weg nach draußen Richtung Ausgang, als sie von einem ihrer Klassenkameraden aufgehalten wurden. Die Freunde sahen sich kurz an, Jimmy zuckte mit den Schultern und wandte sich dann an den anderen.

"Nein, wieso?"

"Thomas hat heute sturmfrei und so was muss doch genutzt werden, also wollten wir 'ne Party bei ihm schmeißen."

"Warum nicht? Wir haben schon lange nicht mehr gefeiert, es wird höchste Zeit!", antwortete Jimmy erfreut.

"Und du, Danny?"

"Klar! Ich bin auch dabei!"

Damit war es beschlossene Sache. Die Partygäste versammelten sich alle unweit des Schulgeländes und machten sich gemeinsam auf den Weg. Zuerst mussten natürlich noch ein paar Einkäufe erledigt werden - ohne diesen konnte die Party ja schlecht steigen. Anschließend ging es mit der U-Bahn weiter zu Thomas, welcher zur Freude aller ein sehr geräumiges Haus mit Hinterhof am Rande Londons bewohnte.

Der Abend wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis. Schon lange hatten sie nicht mehr so ausgelassen gefeiert. Die Stimmen verschiedener Rockbands schallten unaufhörlich durch das Haus, wenn man Richtung Wohnzimmer kam, vermischten sie sich langsam mit den Schuss- und Reifengeräuschen Thomas' neuester DVD-Filme, welche nebenbei mit Digitalsound abgespielt wurden. Und natürlich gab es ausreichend Alkohol für jeden - und mehr. Thomas selbst hatte zeitweise alle Hände voll zu tun, die immer grüner werdenden Alkoholleichen in den Garten zu schleppen, bevor sie ihren Mageninhalt auf den teuren Teppichen seiner Eltern präsentieren konnten. Das Bad war eh dauerbesetzt, sodass er sich den Versuch, seine kranken Freunde dort abzusetzen, gleich sparte.

Jene, die nicht zu den unglücklichen Verlierern der Trinkspielchen, auch genannt Schnapsleichen, gehörten, hatten dafür umso mehr Grund zum Lachen. Betrunkene konnte man schließlich immer am besten hinters Licht führen.

Auch Danny und Jimmy hatten ihren Spaß. Der braunhaarige Junge hatte noch nicht sehr viel Alkohol intus, was vor allem daran lag, dass er beim Klimpern ein sehr zielsicherer Schütze war und die Münze selbst in ein noch so kleines Glas springen lassen konnte. Sein Freund war zwar nicht so geschickt, konnte dafür aber saufen wie ein Loch. Er war in der Gruppe das Paradebeispiel für das sprichwörtliche Fass ohne Boden, denn obwohl er zu denen gehörte, die bereits am meisten getrunken hatten, konnte er noch immer klar denken und mit den anderen herumalbern und lachen.

Vergessen waren an diesem Abend die Probleme, mit denen sich Jimmy schon bald wieder konfrontiert sehen würde. Hier war er unter Freunden, hier war er selbst noch ein vollwertiger Mensch, den man achtete, mit dem man lachte, raufte oder einfach nur auf der Straße abhing. Niemand wusste von seinem wohl behüteten Geheimnis. Niemand, außer Danny. Und der würde niemals auch nur ein Wort davon jemand anderem gegenüber verlieren. Jimmy war sein bester Freund und zumindest dieses Stück heile Welt wollte er ihm so lange es ging erhalten.

Doch es kam, wie es kommen musste: Der Abend, pardon: Die Nacht war irgendwann zu Ende und schließlich wurden auch die letzten Partytiere vom Schlaf übermannt. Wobei es bei der Schlafordnung nicht weniger chaotisch zuging als auf der Party selbst. Die ersten hatten sich die besten Plätze - nämlich Betten und Sofas - gesichert, die nächsten versuchten es mit ein paar zusammengeschobenen Sesseln und der Rest musste schließlich mit ein paar Decken oder Schlafsäcken auf dem Fußboden vorlieb nehmen. Und so erwachten die meisten um die Mittagszeit gerädert, mit Kater und einer gehörigen Portion Restalkohol.
 

Danny spürte deutlich, wie gut diese Party seinem Freund getan hatte. Zwar war Jimmy mittlerweile sehr geübt darin, seine wahren Gefühle zu verstecken, sodass selbst der Halbjapaner oftmals sehr genau darauf achten musste, um den wahren Gemütszustand seines Freundes zu erkennen, doch nach jenem Freitag spürte er ganz deutlich, dass sich der Blonde besser fühlte und ihn alles Schlechte überhaupt nicht berührte.

Doch wie jede gute Zeit musste auch diese irgendwann zu Ende gehen. Dass dies allmählich geschah, machte sich einige Wochen später bemerkbar. Und je mehr er Jimmy beobachtete, desto deutlicher sah Danny dies. Das freudige Grinsen seines Freundes blieb immer häufiger aus und in manchen Momenten, wenn er sich unbeobachtet fühlte, nahmen seine Augen einen erst verträumten, später immer traurigeren Ausdruck an.

Eigentlich hatte Danny warten wollen, bis der Blondschopf selbst zu ihm kam und ihm von seinen Problemen erzählte, doch dies geschah nicht. Der Halbjapaner wusste nicht, wie viele unzählige Male er seinem Freund schon angeboten hatte, zu ihm zu kommen, wenn er über etwas reden wollte, doch in den seltensten Fällen war Jimmy darauf eingegangen. Er versuchte immer, seine Angelegenheiten nach Möglichkeit selbst zu regeln, denn gerade weil Danny sein bester Freund war, wollte er ihm nicht alle seine Sorgen aufbürden, ihn noch weiter in seine Probleme hineinziehen. Er befürchtete, dass es dem Halbjapaner irgendwann schaden könnte, und das war das Letzte, was er wollte.

So war es schließlich wieder Danny, der auf Jimmy zuging und sich nach dessen Befinden erkundete.

"...Ich vermisse Joan", gab der Blonde schließlich ergeben zu.

"Das glaube ich dir gern. Ihr habt euch jetzt schon seit 'nem ganzen Monat nicht mehr gesehen. Aber ihr ruft euch doch regelmäßig an?"

Deprimiert schüttelte Jimmy den Kopf.

"Wir haben es versucht. Immer wieder. Aber Mutter lässt Joan nicht mehr ans Telefon und das Handy hat sie ihr auch weggenommen. Ich kann es nicht riskieren, sie zu Hause anzurufen. Außerdem hat mein Alter mir auch striktes Telefonverbot verpasst. Ich habe es erst einmal geschafft, sie zu erwischen. Da habe ich kurz nach der Schule von einer Telefonzelle aus angerufen. Mutter war noch arbeiten. Aber ansonsten hat's nie geklappt."

Beruhigend legte Danny eine Hand auf die Schulter seines Freundes.

"Halte durch! Wenn ihr euch noch eine Weile unauffällig verhaltet, bekommt ihr bestimmt bald wieder eure Chancen. Aber versuche nicht, irgendwas zu überstürzen! Solange ihr unter solcher Beobachtung steht, schafft ihr das nicht."

"Ich weiß, aber es ist so schwer!"

"Versprich mir, dass du nichts Unüberlegtes tust, Jimmy!"

"..."

"Versprich es! Bitte! Ich mache mir Sorgen um dich."

"...Na gut. Ich verspreche es."

"Danke."

Erleichtert, dass dieses Gespräch doch noch einigermaßen geendet hatte, machte der Halbjapaner sich schließlich auf den Weg zu seinem Sensei, der wohl ziemlich sauer sein würde, wenn Danny bei ihm ankam. Das war er immer, wenn der Braunhaarige sich auf dem Weg zu ihm Zeit ließ.
 

Nur wenige Tage nach ihrem Gespräch zog Jimmy seinen Freund zu einem Gespräch unter vier Augen beiseite. Es gab Neuigkeiten, die nur für seine Ohren bestimmt waren.

"Du hast WAS?!", hakte Danny entrüstet nach.

Genervt rollte der blonde Teenager mit den Augen. Diese Reaktion war mal wieder typisch für den Braunhaarigen.

"Ich habe mich mit Joan verabredet. Wie oft denn noch?"

"Bist du wahnsinnig?! Das geht niemals gut!"

"Jetzt bleib mal locker! Klar geht es gut. Ich bräuchte nur mal deine Hilfe. Dann kann eigentlich nichts passieren."

"Und was soll ich machen?", fragte Danny skeptisch nach. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache.

"Du musst doch am Samstag nicht zum Training, oder?"

"Eigentlich nicht..."

"Sehr gut! Dann sage ich meinem Alten einfach, dass wir zusammen unterwegs sind, während ich mich mit Joan treffe. Du darfst dich dann natürlich nicht allein bei ihm blicken lassen, aber das bekommst du ja sicher hin, oder?"

"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist..."

"Jetzt komm schon, Danny! Du kannst mich doch nicht einfach hängen lassen! Wenn wir nur ein bisschen aufpassen, kann doch gar nichts schief gehen!"

"Und was ist mit Joan?"

"Hat mit einer Freundin gesprochen. In ihrem Freundeskreis weiß keiner von unserem Geheimnis, aber alle glauben, dass uns einfach das Schicksal übel mitgespielt hat, weil unsere Eltern so zerstritten sind. Deshalb helfen sie ihr gern, wenn sie die Gelegenheit bekommt, sich mit mir zu treffen. Du siehst, es ist wirklich alles abgesprochen."

Nun begann Danny doch, ernsthaft über diese Möglichkeit nachzudenken. Im Stich lassen wollte er seinen besten Freund definitiv nicht und so wie es klang, gab es wohl eh schon keine andere Möglichkeit mehr.

"Dann sollten wir besser sicher gehen, dass dein Vater uns auch zusammen sieht", dachte der Braunhaarige laut.

"Das habe ich mir auch schon gedacht. Am besten wäre es wohl, wenn du mich abholen könntest und wir dann zusammen zum Bahnhof gehen. Und abholen solltest du mich vielleicht auch. Nur für alle Fälle. Nicht, dass mich zum Schluss noch irgendein Bekannter allein sieht und mein Alter Wind davon bekommt. Geht das?"

"Klar, müsste gehen. Ich habe am Samstag eh noch nichts Besonderes vor."

"Deal! Dann ist ja alles geregelt!", freute sich Jimmy.

Ihm stand die Erleichterung buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Endlich würde er seine Schwester wieder sehen, endlich, nach über einem Monat scheinbar endlosen Wartens. Auf dem Weg in die City tauschten sich die Jungen über die Details aus; wann würden sie sich treffen, wann war Jimmy wieder da, was könnte er in der Zeit alles mit Joan unternehmen.

Den ganzen Tag über blieben die beiden Freunde in der Stadt, aßen Eis, beobachteten eine Gruppe Jugendlicher beim Fußballspielen im Park und unterhielten sich über Gott und die Welt. Erst, als es auf 21:00 Uhr zuging und sich Londons überfüllte Straßen allmählich leerten, machten sich auch Danny und Jimmy mit der U-Bahn auf den Heimweg.
 

Danny hatte noch immer ein mulmiges Gefühl im Bauch, was den kommenden Samstag betraf, und wie immer, wenn er irgendetwas befürchtete, verging die Zeit viel schneller, als ihm lieb war. Für Jimmy konnte die Zeit gar nicht schnell genug vergehen und so dauerte ihm das Warten viel zu lange. Doch schließlich war der ereignisreiche Tag angebrochen und es wurde in die Tat umgesetzt, was die Tage zuvor so ausgiebig besprochen worden war.

Pünktlich acht Uhr hatte Danny das große Opfer erbracht, sich an seinem erholsamen Samstag vier Stunden eher als gewohnt aus dem Bett zu quälen, um seinen Freund von zu Hause abholen und gemeinsam mit ihm zum Bahnhof gehen zu können. Wenn Jimmy weg war, das stand für den Braunhaarigen von vornherein fest, würde er sich vorsichtig wieder auf den Heimweg machen und dort seinen verpassten Schlaf und das Frühstück nachholen. Gesagt, getan.

Nachdem Danny endlich richtig munter und satt war, überprüfte er sein Handy auf eventuelle Nachrichten von Jimmy. Sie hatten sich ausgemacht, sich regelmäßig per SMS auf dem Laufenden zu halten, damit sie möglichst schnell Bescheid bekämen, wenn irgendetwas nicht stimmen sollte und sie dementsprechend handeln konnten.

Nur eine Bestätigung, dass er seine Schwester gefunden hatte und alles glatt lief. Ähnliches schrieb der Halbjapaner nun zurück. Zwei Stunden später kam eine weitere SMS von Jimmy. Immer noch alles in Ordnung. Und es blieb - sehr zu Dannys Erleichterung - auch dabei.

Gegen halb sechs machte sich der Braunhaarige wieder auf den Weg zum Bahnhof, um seinen Freund dort abzuholen. Der Zug würde zwar erst in einer vollen Stunde kommen, aber er war besser zu früh da und verschaffte sich einen Blick über die Lage, als dass er in allerletzter Sekunde oder gar zu spät ankam und irgendetwas passieren würde, wovor er seinen Freund dann nicht mehr warnen konnte. Das schlechte Gewissen würde wohl wirklich erst verstummen, wenn alle wieder sicher und unentdeckt zu Hause angekommen waren.

Am Bahnhof angekommen schlenderte Danny eine Weile ziellos durch die Hallen und Gänge. Er hatte noch über eine halbe Stunde und damit genügend Zeit, sich auf dem ganzen Gelände umzusehen. Als er wenig später auf den Bahnsteig kam, an dem Jimmys Zug halten sollte, blieb er vor Schock so plötzlich stehen, dass ein hinter ihm laufender Passant in ihn hineinlief, sich meckernd über das abrupte Stehenbleiben beschwerte, Danny etwas unsanft zur Seite schob und übellaunig seinen Weg fortsetzte. Doch der Halbjapaner achtete kaum darauf. Seine gesamte Aufmerksamkeit galt einer einzigen Person, die nur wenige Meter von ihm entfernt in sich zusammengesackt auf einer Bank saß. Rings um den vom Alter gezeichneten Mann standen eine Reihe von Bier- und sogar eine geleerte Whiskeyflasche. Ein noch halbvolles Bier befand sich in der Hand des Mannes. Dem Abstand nach zu urteilen, den die Umstehenden zu ihm hielten, musste er wohl ziemlich nach Alkohol stinken.

Danny kannte den Mann. Es war Jimmys Vater. Vom Alkohol benebelt saß er da und erweckte nicht den Eindruck, als wäre er hier, um schnell mal mit dem Zug irgendwo hin zu wollen. Vielmehr sah es so aus, als würde er warten.

Endlich konnte sich der Halbjapaner aus seinem tranceähnlichen Zustand befreien und tauchte schnell zwischen den Menschen unter, um sich von dort aus in eine Ecke zu stellen, die ihm eine halbwegs gute Sicht auf Jimmys Vater ermöglichte, ohne dass dieser ihn erblickte - auch wenn Danny das bei diesem Rausch eh für unwahrscheinlich hielt.

Seine Gedanken überschlugen sich: Was wollte er hier? Hatte er doch irgendwie herausgefunden, dass Jimmy sich heimlich mit seiner Schwester traf? Warum musste er ausgerechnet an diesem Gleis warten?

Er wusste keine Antworten darauf, doch eins war ihm klar: Sein Freund wusste nichts davon. Mit zittrigen Fingern holte er sein Handy aus der Hosentasche hervor und aktivierte Jimmys Nummer in der Wahlwiederholung. Die Verbindung wurde aufgebaut, doch es ertönte danach kein Freizeichen.

,Scheiße!', fluchte Danny innerlich und versuchte es erneut - mit demselben Ergebnis. Wieso funktionierte das ausgerechnet jetzt nicht? Was war plötzlich mit diesem verfluchten Handy los?! Den ganzen Tag über hatten sie sich geschrieben und jetzt ging es auf einmal nicht mehr? Dass Jimmys Akku abgestürzt war, daran glaubte der Halbjapaner nicht. Sein Freund hatte extra gesagt, dass er es am Abend zuvor noch hatte aufladen wollen. Und es freiwillig auszumachen, dazu bestand für den Blonden kein Grund; im Gegenteil, er hatte allen Grund, sein Handy am Laufen zu halten, solange er noch unterwegs war. Aber warum funktionierte es dann nicht?!

,Hoffentlich nur ein kleines Funkloch', dachte Danny inständig und wählte noch einmal dieselbe Nummer, doch es funktionierte noch immer nicht. Kein Freizeichen. Langsam bekam es der Halbjapaner mit der Angst zu tun. Er sah auf die Uhr. Zwanzig Minuten noch. Wenn er in dieser Zeit nicht eine Möglichkeit gefunden hatte, seinen Freund zu warnen oder dessen Vater von hier fortzuschaffen, dann... Das wollte er sich lieber gar nicht erst ausmalen.

Dass die Polizei so einen Penner überhaupt hier sitzen ließ!

...Moment. Die Polizei! Das war vielleicht seine Chance. Mit einem leisen Hoffnungsschimmer im Herzen machte Danny sich auf die Suche nach einem Polizisten, von denen normalerweise so viele den Bahnhof durchkämmten. Es dauerte auch nicht lange, bis er einen gefunden hatte. Mit einem möglichst verstört wirkenden Gesichtsausdruck, um seinem Anliegen noch etwas mehr Überzeugungskraft zu geben, sprach er den Beamten an.

"Sir, am Bahnsteig 10 sitzt ein Betrunkener herum. Der macht einen ziemlich seltsamen Eindruck."

"Inwiefern ,seltsam'?", fragte der Polizist nach.

"...Angst einflößend", meinte Danny, nachdem er eine Weile nach den richtigen Worten gesucht hatte.

"Ich werde mir den Mann einmal ansehen."

Mit diesen Worten machten sich beide auf den Weg zu besagtem Gleis. Kurz bevor sie es jedoch erreichten, hielt Danny den Wachtmann noch einmal an.

"Wäre es in Ordnung, wenn ich hier bleibe? Nicht, dass er mich bei ihnen sieht und dann gleich auf die Idee kommt, dass ich ihn angezeigt haben könnte. Sonst merkt er sich vielleicht mein Gesicht und möchte sich später dafür rächen", bat der Halbjapaner mit besorgter Mine.

Der Polizist, welcher mittlerweile einen Blick auf den Betrunkenen erhaschen konnte, betrachtete Danny verständnisvoll und stimmte seiner Bitte schließlich zu. Mit einem erleichterten "Danke" zog sich der Teenager wieder an seinen "Aussichtsplatz" zurück und beobachtete den Polizisten, der langsam auf den Mann auf der Bank zuging. Kurz bevor der Beamte sein Ziel erreicht hatte, wurde er von Jimmys Vater bemerkt, welcher sich nun ein wenig streckte und gerade hinsetzte, den anderen nicht mehr aus den Augen lassend.

Von seinem Platz aus konnte Danny nur noch erkennen, wie der uniformierte Mann sein Abzeichen herausholte und sich dann ein Weilchen mit dem Betrunkenen unterhielt. Gespannt wartete der Braunhaarige darauf, dass Jimmys Vater endlich aufstehen und vom Polizisten abgeführt würde, doch nichts dergleichen geschah. Am Ende des Gespräches reichten sich beide Personen zum Abschied die Hand und der Wachmann ging wieder, als wäre nichts gewesen.

Fragend erwartete Danny ihn in der Nähe seines Aussichtsplatzes. Kaum, dass beide wieder eine ausreichende Gesprächsdistanz zueinander hatten, beantwortete der Polizist die unausgesprochene Frage des Jungen.

"Sie brauchen sich keine Sorgen wegen dieses Mannes zu machen. Auch wenn es vielleicht nicht danach aussieht, er ist noch bei klarem Verstand und wartet hier nur auf jemanden. Sobald diese Person kommt, wird er wieder gehen, das hat er mir versichert. Und da er nicht durch gewalttätige, vandalische oder andere negative Verhaltensweisen aufgefallen ist, kann ich ihn nicht einfach vom Bahnhofsgelände verweisen. Unter uns gesagt, es wäre mir auch lieber, wenn ich ihn von hier entfernen könnte. Solche Leute schaden dem Ruf dieses Bahnhofs, aber da er noch nicht einmal so betrunken ist, dass seine mentale Verfassung merkbar beeinträchtigt ist, kann ich leider wirklich nichts dagegen tun. Nur den Alkohol, den er noch bei sich hatte, habe ich konfisziert."

Mit diesen Worten brach in Danny eine Welt zusammen, doch er riss sich zusammen und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.

"Trotzdem danke, dass Sie nach dem Rechten gesehen haben, Sir."

"Das ist schließlich meine Aufgabe."

"Stimmt. Und von der möchte ich Sie auch nicht noch länger abhalten. Sie haben meinetwegen genug Zeit in Anspruch genommen."

"Keine Ursache. Auf Wiedersehen."

"Auf Wiedersehen."
 

Der Polizist war wieder weg und damit auch die einzige Möglichkeit, die Danny eingefallen war, um seinem Freund zu helfen. Doch vielleicht funktionierte ja dessen Handy endlich wieder. Immerhin waren in der Zwischenzeit weitere zehn Minuten verstrichen.

Danny schauderte. Nur noch zehn Minuten. Jetzt wurde es wirklich eng. Schnell nahm er sein Mobiltelefon wieder aus der Hosentasche und wählte, ein Stoßgebet zum Himmel sendend, zum vierten Mal in der letzten halben Stunde Jimmys Nummer. Immer noch nichts. Einen Gott gab es also nicht. Oder zumindest wollte der ihm nicht helfen. Doch das brachte ihn jetzt auch nicht weiter; es schürte eher noch die Verzweiflung, die sich langsam aber beständig einen Weg an die Oberfläche seiner Gefühle bahnte. Er spürte förmlich, wie ihm die Zeit davonlief, wie sie ihm unaufhaltsam durch die Finger glitt wie Wasser, das man versuchte, in den Händen aufzufangen. Egal, wie sehr man die Handballen aneinander presste, wie sehr man sich auch bemühte, es zu behalten, das Wasser fand trotzdem immer einen Weg, nach unten zu entkommen, bis irgendwann nichts mehr übrig war. Und so fühlte Danny sich jetzt auch.

Die Minuten verstrichen. Immer wieder versuchte er, Jimmy auf seinem Handy zu erreichen oder er zerbrach sich den Kopf darüber, wie er dessen Vater von hier weg bekam. Dieser hatte in der Zwischenzeit noch eine kleine Alkoholflasche aus seiner Tasche gezaubert, die der Polizist zuvor wohl übersehen haben musste.
 

Zu allem Überfluss kam Jimmys Zug auch noch früher als erwartet. Wie jedes Mal, wenn einer am Bahnsteig gehalten hatte, schaute der betrunkene Mann auch diesmal auf und beobachtete jeden Wagon so intensiv wie ein Adler, der gerade seiner Beute auflauerte.

Danny schnürte es bei diesem Anblick regelrecht die Kehle zu. Er hatte Jimmy nicht erreichen können, sodass dieser immer noch von nichts wusste und wahrscheinlich munter aus dem Zug spazieren würde. Wenn er doch nur wüsste, welches Abteil sein Freund gewählt hatte, dann könnte er jetzt zumindest noch versuchen, zwischen den Menschenmassen zu ihm zu gelangen und so zu tun, als würde er mit ihm zusammen aussteigen. Doch als er ihn schließlich sah, wurde auch diese letzte, verzweifelte Hoffnung begraben. Jimmy stieg im hintersten Bereich des Zuges und damit am ganz anderen Ende als dem, an dem er selbst stand, aus. Ein kurzer Blick in Richtung der Bank zeigte Danny, dass auch Jimmys Vater, welchen eine wesentlich kürzere Distanz von seinem Sohn trennte, ihn bereits entdeckt haben musste, denn der Mann bewegte sich bereits leicht schwankend auf den blonden Teenager zu.

In einem letzten Akt der Verzweiflung kämpfte sich auch Danny durch die dichte Menschenmenge am Bahnsteig und versuchte, irgendwie zu seinem Freund durchdringen zu können, um vielleicht wenigstens noch eine Ausrede zustande zu bringen, dass die beiden durch das volle Abteil von einander getrennt worden wären.

Doch es war aussichtslos. Noch lange bevor der Halbjapaner sein Ziel erreicht hatte, hatte Jimmy seinen Vater entdeckt und blieb mit versteinerter Mine stehen, achtete gar nicht weiter auf den Passantenstrom, der seinetwegen in andere Richtungen geleitet wurde. Kaum, dass sein Vater sich bis auf Armlänge genähert hatte, holte er aus und verpasste seinen Sohn eine schallende Ohrfeige.

"Aua! Bist du bescheuert?! Was soll der Mist?", fauchte Jimmy gereizt.

"DAS will ich erst mal von dir wissen, du dreckiger, kleiner Bengel!", brüllte sein Vater zurück, packte ihn an seinem T-Shirt und schüttelte ihn unter heftigstem Wehren von Jimmy erbarmungslos durch.

"Lassen Sie ihn in Ruhe!", mischte sich nun auch Danny, der beide endlich erreicht hatte, ein und befreite seinen Freund aus dem Griff seines Vaters. Nur am Rande bemerkte er, wie sich langsam einige Schaulustige um sie herum versammelten und den entstehenden Streit teils besorgt, teils mit unverhohlener Neugierde mitverfolgten.

"Ach, du mischst dich also auch in diese kleinen Komplottspielchen meines missratenen Sohnes ein, ja Danny? Ich hab es schon immer geahnt, die Leute, mit denen dieser verdorbene Bengel zu tun hat, können gar keine anständigen Menschen sein!"

"Halt Danny gefälligst daraus! Er hat nichts damit zu tun!", verteidigte Jimmy seinen Freund und bemaß ihn kurz mit einem Blick, der dem Halbjapaner eindeutig klar machte, dass er jetzt ruhig zu sein hatte, auch wenn es das Letzte war, was er jetzt wollte. Wäre Jimmys Vater bei klarem Verstand gewesen, hätte er diesen kurzen Blickkontakt mit Sicherheit mitbekommen, aber sein derzeitiger Zustand hatte dies verhindert.

"Nichts damit zu tun?", fragte der alte Mann schneidend, "und deshalb kam er heute morgen vorbei und hat dich abgeholt und steht jetzt schon wieder hier? Halt mich nicht zum Narren, dummes Kind!"

Wieder flog eine Faust auf Jimmy zu. Diesmal in die Magengrube. Der Blonde taumelte keuchend einige Schritte zurück, bis er von seinem halb paralysierten Freund abgefangen und gestützt wurde, wobei er sich genau zwischen Jimmy und dessen Vater stellte, sodass dieser nicht noch einmal zuschlagen konnte - dafür würde er sorgen.

Noch immer achtete keiner der drei auf die immer größer werdende Menge, deren Geflüster fortwährend lauter wurde, je mehr Leute sich zu den Umstehenden gesellten.

Als Jimmy sich einigermaßen von dem Schlag erholt hatte, erhob er mutig erneut das Wort:

"Danny hat mich abgeholt, weil wir zusammen in die Stadt wollten. Ich war anschließend nur noch mal kurz unterwegs."

"Lügner", meinte sein Vater trocken, mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht, "heute morgen, 9:45 Uhr, ist dein Zug gefahren. Du warst mit niemandem in der Stadt. Jedenfalls nicht hier. Und ganz bestimmt nicht mit deinem naseweisen Freund."

Jimmys Augen weiteten sich vor Schock. Und nicht nur er, auch Danny konnte kaum glauben, was er da hörte. Das war unmöglich! Woher konnte Jimmys Vater nur so genau wissen, wann seine Züge gefahren waren?

Auf die unausgesprochene Frage hin wurde das Grinsen des Alten nur noch breiter und er klärte die beiden von selbst auf.

"Du solltest deine Tickets besser weglegen, Jim."

"Meine Tickets...?", wiederholte dieser ungläubig. "Wie kommst du an meine Tickets?! Die waren... Was fällt dir ein, einfach mein Zeug, mein Portemonnaie zu durchwühlen, du dreckiger, alter Sack?! Es geht dich 'nen Scheiß an, was ich da drin hab! Geh gefälligst anständig arbeiten, wenn du unbedingt Geld brauchst, um es wieder zu versaufen!!!"

In seinem Wutausbruch war Jimmy immer lauter geworden, hatte zum Ende hin richtig geschrieen und immer heftiger versucht, sich aus Dannys Griff zu befreien und auf seinen Vater loszustürmen, doch der Halbjapaner hielt ihn eisern fest. Die harten Worte schienen allerdings auch ihre Wirkung erreicht zu haben, denn das hässliche Grinsen des betrunkenen Mannes war mit einem Mal wie weggewischt.

"Du nennst mich einen ,dreckigen, alten Sack'? MICH??? Ausgerechnet so ein schäbiger, gewissenloser Bengel, der keinerlei Vorstellungen von Moral und Sitte hat und seine eigene Schwester fickt?! Ausgerechnet DU nennst mich ,dreckig'?! So etwas wie du gehört eingesperrt, weit weg von allen Menschen, damit gar nicht erst die Möglichkeit besteht, dass solche Ausgeburten sich ausbreiten und unsere Gesellschaft verseuchen können!"

Plötzlich war es ganz still zwischen den drei Beteiligten. Nur das aufgeregte Flüstern der Schaulustigen, welche längst einen dicht geschlossenen Kreis gebildet hatten, war jetzt umso lauter wahrnehmbar. Jimmys Vater schaute seinen Sohn nur noch stumm aus halb glasigen, halb verurteilenden Augen an. Danny hatte das Gefühl, für einen Moment zu fallen, unendlich tief, in eine nie enden wollende Schwärze. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und drückte ihm fast die Luft ab, doch als er in Jimmys trotziges Gesicht sah, wusste er, dass das Schlimmste noch kommen würde.

"Bitte nicht...", flüsterte er in verzweifelter Ohnmacht seinem Freund zu, doch dieser nahm ihn gar nicht mehr wahr. Der Blonde trat einige Schritte von Danny weg und sah seinen Vater dann völlig ruhig an.

"Nun, im Gegensatz zu dir bin ICH wenigstens in der Lage, einen Menschen von ganzem Herzen zu lieben."

Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt, kämpfte sich grob einen Weg durch die vollkommen perplexe Menschentraube und verschwand hinter den unzähligen Köpfen, welche nun ein lautstarkes Stimmwirrwarr anstimmten.

Betäubt von der Panik, die sich wie ein Lauffeuer in seinem Innern ausbreitete, stürmte Danny wenige Augenblicke später auf dieselbe Art hinterher, nicht wissend, wohin genau sein Freund nun verschwunden war und ob er ihn noch einholen konnte.
 

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Ja, meine lieben Leser, das war's mal wieder. Ich hoffe, ihr seid nicht zu enttäuscht von diesem Kapitel, immerhin beginnt jetzt die lange angekündigte, teils auch schon angedeutete Vergangenheit von Aki. Aber wie schon gesagt, ich wollte hier nicht einfach trocken Fakten aneinanderreihen, sondern wirklich mal versuchen, eine halbwegs tiefgründige Atmosphäre aufzubauen, besonders was die Freundschaft angeht.

Meinungen und Kritik sind, wie immer, sehr erwünscht.

Bis zum nächsten Mal (was - versprochen! - nicht so lange auf sich warten lassen wird wie dieser Teil)!

Eure Lady_Ocean

Jimmy (Teil 2)

So, nachdem die Wartezeit mal wieder viel zu lang war, gibt es nun ein Kapitel, das für meine Verhältnisse eigentlich zu kurz ist ^^v. Aber ich hab mich am Ende doch dazu entschieden, es noch einmal zu trennen, denn sonst wären hier auf einmal 24 Seiten (Word) zustande gekommen und das war mir dann doch zu viel. Und die Stelle bot sich zum Teilen an ^-^. Daher jetzt erst mal die ersten acht Seiten und später irgendwann die nächsten 16.

Viel Spaß damit!

...Und wenn ich ein paar Kommis krieg, dann könnte ich sogar überlegen, mich mit dem Posten des nächsten Teils zu beeilen. ^.~
 

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Jimmy (Teil 2)
 

Irgendwie hatte Danny es tatsächlich geschafft, Jimmy nach kurzer Zeit wieder einzuholen. Er hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei dieser Sache. Sein Freund hätte das niemals so offen herausplatzen sollen. Hoffentlich hatte das keine zu schweren Folgen…

„Das hättest du nicht sagen dürfen, Jimmy.“

„Ich weiß… Aber ich war so stinksauer auf ihn! Es ist einfach mit mir durchgegangen.“

Der Blonde schüttelte auf eine für Danny undefinierbare Weise den Kopf.

„Aber jetzt ist es eh zu spät. Wird schon irgendwie gehen.“

„Und wie stellst du dir das vor?“

„…Na ja, bei ihm kann ich jetzt auf jeden Fall nicht mehr wohnen. Ich hatte ja gehofft, dass ich noch lange genug bei ihm bleiben könnte, bis ich einen besseren Job gefunden habe, aber da muss ich jetzt wohl umplanen.“

„Eine bezahlbare Wohnung in London zu finden grenzt an die Unmöglichkeit. Besonders für Schüler.“

„Ich weiß. Ich werde mich halt genau umsehen und informieren müssen. Allerdings habe ich für diesen Fall auch schon mal nachgeforscht. Ich würde etwas staatliche Unterstützung bekommen und damit müsste es gehen. Für viel reicht es dann natürlich nicht, aber es ist ja auch nur eine Übergangslösung.“

„Dann komm doch erst mal zu mir! Meine Eltern haben bestimmt nichts dagegen, sie mögen dich ja auch.“

Danny hatte gehofft, seinem Freund damit einen Teil seiner ohnehin schon kaum tragbaren Last abnehmen zu können, doch dieser schüttelte bestimmt den Kopf.

„Das ist ein nettes Angebot, aber ich möchte dir und deinen Eltern nicht auf der Tasche liegen.“

„Es wäre doch nur für eine Weile! Bis du eine bessere Arbeit gefunden hast und sich alles ein wenig beruhigt hat!“

„Trotzdem nicht. Glaub mir, ich habe in den vergangenen Jahren genug Geld gespart, um eine Weile davon leben zu können, selbst wenn ich nicht mehr arbeiten gehen würde. Das passt schon!“

„…Dann lass mich wenigstens helfen, eine Wohnung für dich zu finden“, lenkte der Halbjapaner resigniert ein.

Endlich zeigte sich ein kurzes Lächeln auf den Jimmys Lippen.

„Ja, das wäre toll. Dann geht es bestimmt schneller.“

„Gut. Wann fangen wir an?“

„Wie wäre es mit jetzt gleich? Noch haben die Büros offen.“

„Okay. Aber heute Nacht bleibst du trotzdem bei mir – und keine Widerrede!“

So drohend, wie Danny diesen Moment dreinblickte, hätte wohl auch der Letzte klein bei gegeben. So hatte auch Jimmy dem nichts mehr entgegenzusetzen.

„Schon gut! Du hast mich ja überredet! Aber nur heute.“

„Solange, bis du eine eigene Wohnung hast. Vorher lass ich dich nicht gehen!“

„…Na gut. Hoffentlich habe ich bald was.“

Damit gab sich Danny zufrieden. Die letzte Bemerkung seines Freundes überhörte er ganz galant. Doch es gab noch eine Frage, die ihn ziemlich beschäftigte:

„Ich ab zigmal versucht, dich anzurufen, Jimmy. Ich wollte dich warnen. Was war denn mit deinem blöden Handy los?“

„Eigentlich ist es in Ordnung...“, antwortete er etwas verwundert und holte das kleine Gerät aus seiner Tasche, um es einer schnellen Inspektion zu unterziehen. Es zeigte ihm, wie gewohnt, seinen Bildschirmschoner und wies ihn außerdem darauf hin, dass er eine SMS erhalten hatte. Mehrere Anrufe in Abwesenheit. Alle von derselben Nummer.

„Verdammt… Im Zug war bestimmt der Empfang weg und ich habe nichts mitbekommen.“

Genervt ließ er das Handy wieder verschwinden.

„Aber jetzt darüber zu lamentieren bringt mir auch nichts mehr. Ich muss halt das Beste draus machen.“

So optimistisch wie sein Freund sah Danny die ganze Sache nicht, doch er entschied sich dafür, jetzt lieber den Mund zu halten und nicht noch mehr negative Gedanken zu verbreiten.
 

Zwei Stunden später saßen die beiden Freunde in einer abgelegenen Ecke des Hyde Parks und verglichen die einzelnen Wohnungsangebote, die sie von drei verschiedenen Wohnungsagenturen in der Nähe einholen konnten. Entschieden hatten sie sich noch lange nicht, doch einige Angebote würden sie sich wahrscheinlich genauer ansehen. Dass die Wohnungssuche in London nicht einfach war, hatten sie von vornherein gewusst und sich auch dementsprechend viele Angebote besorgt, doch das meiste war entweder zu teuer, zu weit von der Schule weg oder beides. Außerdem gab es zu den preiswerteren Angeboten kaum Fotos, sodass ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben würde, als sich selbst noch einmal auf den Weg und sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen.

Kaum dass alle Wohnungsanzeigen durchgearbeitet waren, machten sich Danny und Jimmy auf den Weg zur U-Bahn-Station, um im Südosten und Süden Londons, in Kidbrooke, Lewisham, North Dulwich, Camberwell, Brixton und Clapham, einige Wohnungen zu begutachten, die infrage gekommen waren. Die meisten stellten sich als Fehlschläge heraus, befanden sich in hoffnungslos heruntergekommenen Ecken und machten den Eindruck, als hätte man diese Hütten seit dem letzten Krieg einfach vergessen.

Niedergeschlagen kamen die beiden Freunde gegen abends halb elf bei Danny zu Hause an. Da Danny seine Mutter bereits darüber informiert hatte, dass er heute später kommen und Jimmy mitbringen würde, erwartete diese die beiden Jungen bereits mit ein paar belegten Broten und hatte eine weitere Schlafgelegenheit für die Nacht bereitgestellt. Sie hatte gar nicht weiter nachgehakt, als ihr Sohn gefragt hatte, ob der Blonde erst einmal bei ihnen schlafen könnte. Durch die langjährige Freundschaft der beiden hatte auch Dannys Mutter längst von den Spannungen, die zwischen Jimmy und dessen Vater herrschten, mitbekommen, auch wenn sie bei weitem keine Ahnung hatte, wie weitreichend diese waren. Aber genauer wollte sie es gar nicht wissen. Sie kannte Jimmy praktisch genauso lange wie ihr Sohn, denn seit sich beide in der Schule kennen gelernt hatten, war der Blonde ein häufiger Gast im Hause Willis gewesen. Auch seinen Vater hatte Frau Willis bereits mehrmals gesehen und er war ihr von vornherein unsympathisch gewesen – seit der Sache mit der Trennung sowieso. Daher war sie umso glücklicher, wenn sie Jimmy hin und wieder mal ein bisschen helfen konnte.

Nachdem die Jungen ihr spätes Abendessen vertilgt und sich gewaschen hatten, ging auch Dannys Mutter zu Bett. Der Halbjapaner und Jimmy hatten damit die Möglichkeit, noch ein wenig im Internet nach Wohnungsangeboten zu suchen, was sich allerdings als unnütze Zeitverschwendung herausstellte, denn bis auf 4 weitere Angebote hatten sie nichts Passendes finden können. Anschließend hatten sie bis spät in die Nacht hinein Dannys neuestes Autorennspiel auf der Sony Playstation® ausgetestet.
 

Der nächste Tag verlief relativ ruhig. Beim 11:00 Uhr-Frühstück (denn früher waren die beiden Jungen nicht aus den Betten zu bekommen) erzählte Jimmy auch Dannys Eltern ein wenig über seine derzeitigen Probleme mit seinem Vater, sogar dass er vorhatte, sich eine eigene Wohnung zu suchen, was zur leichten Verwunderung beider Jungen nicht einmal auf großen Protest der Erwachsenen stieß. Die Frage, auf die dieses Gespräch hinauslief, nämlich ob der Blonde vielleicht noch ein paar Tage länger bei ihnen wohnen könnte, brauchte letztendlich nicht einmal mehr ausgesprochen zu werden, denn Dannys Mutter unterbreitete diesen Vorschlag ganz von selbst.

Nachdem dieses Thema geklärt war, machten sich Danny und Jimmy wieder auf den Weg, um sich noch ein paar Wohnungen und Gegenden anzusehen, in denen die Preise verhältnismäßig niedrig waren, doch noch immer konnten sie nichts finden.

Am Nachmittag musste Jimmy auf Arbeit. Danny begleitete ihn und half gelegentlich aus, wenn es an der Kasse des kleinen Supermarkts gerade zu voll wurde. Keiner von beiden hatte es laut ausgesprochen, doch ihre innere Anspannung war an diesem Tag deutlich zu spüren. Sie wussten nicht, wer und wie viele Leute den Zwischenfall vom Vortag mitbekommen hatten, doch ihnen war klar, dass sich die Nachricht, sollte auch nur einer ihrer Bekannten unter den Zuschauern gewesen sein, wie ein Lauffeuer ausgebreitet hätte. Doch in den ganzen sechs Stunden, die beide in dem kleinen Laden verbrachten, wurde das Thema nicht einmal angeschnitten, was sie ungemein beruhigte.

Bevor sie wieder zurück nach Hause gingen, machten Jimmy und Danny noch einen Abstecher zur Wohnung des Blonden, um einige von Jimmys wichtigsten Sachen mitzunehmen. Der Moment war günstig, denn in der Regel war sein Vater um diese Zeit nicht zu Hause. Glücklicherweise war auch heute einer der Regelfälle, wie die beiden Jungen schnell feststellen konnten, sodass sie ganz ohne Stress Jimmys Schulsachen, einige Fotos, Briefe und andere Sachen, die der Blonde vor seinem Vater versteckt hatte, einpacken und mitnehmen konnten. Zu Hause bei Danny wurden dann notdürftig die Hausaufgaben für den nächsten Tag gemacht und über Gott und die Welt diskutiert, bevor sie schließlich von Dannys Mutter ins Bett geschickt wurden.
 

„Mensch, Danny, jetzt hör schon auf so ’nen Flunsch zu ziehen! Das ist ja schlimm!“, beschwerte sich Jimmy.

Seit Dannys Mutter ihnen vor einer halben Stunde beim Frühstückstisch mitgeteilt hatte, dass Hikawa-Sensei angerufen und Bescheid gegeben hatte, dass er heute zum Training kommen „konnte“, war die Stimmung des Halbjapaners praktisch gleich null.

„Ist doch wahr! Einen unpassenderen Zeitpunkt hätte er sich wirklich nicht aussuchen können! Wo wir doch nach der Schule wieder auf Wohnungssuche gehen wollten.“

„Hey, ich kann das auch mal allein machen, keine Sorge! Heute Abend sag ich dir dann, wie es gelaufen ist.“

„Mir ist schon klar, dass du das allein schaffst. Ich wäre einfach gern mitgekommen.“

„Dann sag deinem Meister doch einfach, dass du keine Zeit hast.“

„Davon versteht der doch nichts. Du glaubst ja nicht, wie nachtragend er beim letzten Mal war, als ich nicht kommen konnte.“

Verständnislos schüttelte Danny den Kopf, als könnte er die Erinnerung damit einfach wieder abschütteln.

„Dann musst du wohl durch. Mein Beileid.“

„Danke…“, entgegnete der Halbjapaner mit einem abwertenden Schnauben.

Ja, ihm würde wirklich nichts anderes übrig bleiben. Doch genau das war es ja auch, was ihn so störte: Sein Meister war sturer als ein Maulesel und ließ selbst in Notfällen nicht mit sich reden. Woher der diese Lebenseinstellung hatte, wollte Danny lieber gar nicht erst wissen.

„Entschuldigung“, unterbrach sie plötzlich jemand von der Seite her. Es war ein hoch gewachsener Mann in den frühen 30ern, gekleidet in eine schlichte Bluejeans und ein weißes Hemd mit schwarzen Nadelstreifen, dessen oberste beide Knöpfe offen gelassen waren. Mit Stift und Notizblock bewaffnet grinste er die Jungen schleimig an.

„Ihr seid doch die zwei, die letzten Samstag auf dem Bahnhof waren. Dürfte ich euch ein paar Fragen stellen?“

Danny war von diesen zwei Sätzen wie vom Donner gerührt. Gedankenfetzen rasten durch seinen Kopf, Möglichkeiten, wie er jetzt in etwa reagieren müsste, Fragen, wie dieser Mann – eindeutig ein Reporter – hier her in diese Gegend kam, wieso er ausgerechnet auf sie stoßen musste, warum er an besagtem Tag am Bahnhof war. Doch all diese Dinge waren nur vage Geister, die kurz aufflackerten und gleich wieder verschwanden, wenn man versuchte, sie zu entdecken und festzuhalten. Jimmy reagierte glücklicherweise schneller und besser als er und ergriff nach einigen Augenblicken, in denen auch er den Schrecken erst einmal verarbeiten musste, das Wort.

„Am Samstag waren viele Leute auf dem Bahnhof. Keine Ahnung, was Sie uns da noch für Fragen stellen wollen.“

Kaum dass er diese kurze Erwiderung ausgesprochen hatte, warf er Danny einen Blick zu, der ihm bedeutete, dass sie hier fertig waren, drehte sich um und ging, dicht gefolgt von seinem Freund, wieder seines Weges.

Als sie sich sicher waren, wirklich allein zu sein, verringerten die Jungen ihr Schritttempo und setzten erneut zu einer Unterhaltung an.

„Verdammt, ich hätte nicht gedacht, dass sogar die Presse davon Wind bekommen würde“, grummelte Jimmy halblaut.

„Wenn selbst die sich dafür interessieren, haben wir wirklich ein Problem“, stimmte Danny zu. Ein dicker Kloß hatte sich plötzlich in seinem Hals gebildet, der immer größer zu werden schien, je mehr er versuchte, ihn herunterzuschlucken. In seinem Kopf manifestierten sich bereits die schlimmsten Vorstellungen, die nun über ihnen hereinstürzen konnten, nachdem klar war, dass ein Reporter von der Sache Wind bekommen hatte, denn dass der Kerl, wenn er erst einmal eine Story gewittert hatte, nicht mehr locker lassen würde, war klar, genauso wie die Tatsache, dass solche Leute immer irgendwie an ihre Informationen kamen, selbst wenn es nicht die allerbesten waren. Und das verschlimmerte die Sache noch. Wer weiß, was für Spukgeschichten am nächsten Tag in der Zeitung stehen würden, wenn der wahllos Außenstehende fragte und den Rest selbst ergänzte?

Doch das sprach Danny lieber nicht laut aus. Die Stimmung war düster genug und außerdem war er sich sicher, dass sein Freund ähnlichen Gedanken nachging. Er nahm zwar vieles auf die leichte Schulter und war nicht der Typ, der gleich den Teufel an die Wand malte, doch eine so augenscheinliche Gefahr konnte selbst ihm nicht verborgen geblieben sein. Aber was konnte man dagegen tun?

Als hätte Jimmy seine Gedanken gelesen, durchbrach er ihr Schweigen mit der passenden Antwort:

“Im Grunde ist es wohl egal, was ich jetzt mache. Solange ich nicht weiß, was genau da auf mich zukommt, kann ich mich eh nicht darauf einstellen und mich jetzt schon deswegen fertig zu machen, ist noch weniger sinnvoll. Am besten warten wir erst mal ab und überlegen dann, wie man am besten reagieren könnte.“

„…Ja, du hast wohl Recht.“
 

Als Danny am Abend erschöpft von seinem Training nach Hause kam, erwartete ihn ein bis über beide Ohren grinsender Jimmy, der ihm triumphierend einige zusammengeheftete Blätter unter die Nase hielt.

„Schau mal, was ich hier habe!“

Von der Neugier besiegt, vergaß der Halbjapaner seine ihn bis eben noch plagende Müdigkeit, stellte seine Sachen zur Seite und nahm seinem Freund die Zettel aus der Hand. Je weiter er las, desto erfreuter wurde sein Gesichtsausdruck.

„Ein Kaufvertrag! Du hast also wirklich was gefunden!“

„Ja, und es sieht nicht mal schlecht aus! Die Wohnung liegt im Südosten von Camberwell. Das Stadtviertel ist zwar nicht das schönste, aber es geht einigermaßen. Mein Zimmer könnte mal einen neuen Anstrich gebrauchen, aber wenigstens sind noch ein Bett und ein kleiner Schrank drin. Mein Vormieter ist wohl in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einfach verschwunden und der Vermieter hatte alle Mühe, ihn wieder zu finden. Die Suche und das alles haben ihn wohl einiges gekostet, so wie ich das von einigen Mitbewohnern gehört habe, und daher sucht er jetzt dringend einen neuen Nachmieter. Außerdem ist das eine reine Studentenwohnung, sodass sie ein bisschen preiswerter ist als die meisten anderen. Ich zahle nur ₤35 pro Woche! Genial, was? Ich wette, so ein Angebot gibt es in ganz London nicht noch mal! Und von der Schule ist es auch nicht sehr weit weg. Da kann ich sogar hinlaufen…“

„Das klingt ja echt toll, was du da so sagst, aber willst du mich nicht erst mal ausziehen lassen und nachher weitererzählen, wenn wir mehr Ruhe haben?“, unterbrach Danny den Redeschwall seines Freundes. So euphorisch hatte er ihn schon lange nicht mehr erlebt.

„Okay. Sorry“, entschuldigte sich dieser und half, noch immer grinsend, die Sachen des Halbjapaners zu verstauen.

Nachdem Danny sich geduscht und umgezogen hatte, ging das Gespräch über Jimmys neue Wohnung bei einem warmen Abendbrot in seinem Zimmer weiter. Der Halbjapaner erfuhr, dass noch 20 weitere Studenten in dem Haus wohnten, die sich zwei Küchen und vier Badezimmer teilten. Damit es, besonders morgens nach dem Aufstehen, nicht zur Bildung zeitraubender Warteschlangen kam, gab es einen Plan, der genau festlegte, von wann bis wann jeder in die Küche und ins Bad durfte. Die Studenten, die er bisher kennen gelernt hatte, hatten ihm alle versichert, dass das bis jetzt immer gut gelaufen war, was nicht zuletzt daran gelegen hatte, dass sich auch alle miteinander verstanden. Auch Jimmy war sofort freundlich in ihren Kreis aufgenommen worden.

Der Umzug sollte am nächsten Tag gleich nach der Schule beginnen und Danny versprach, ihm dabei zu helfen (zumal sich ja immer noch einige seiner Sachen in der Wohnung von Jimmys Vater befanden) und ihn von da an jeden Morgen abzuholen und gemeinsam mit ihm zur Schule zu gehen. Es war kein allzu großer Umweg für den Halbjapaner, da er selbst in Lambeth wohnte und Jimmys neue Wohnung in etwa auf seinem Schulweg lag.
 

Das Erste, was Danny und Jimmy am nächsten Morgen taten, nachdem sie ihren Schulweg angetreten hatten, war ein kurzer Zwischenstopp beim Zeitungskiosk, wo sie sich die aktuelle Tageszeitung kauften, um sie auf eventuelle Schlagzeilen zu überprüfen. Zwar hatte Dannys Mutter die regionale Zeitung abonniert, doch diese kam meist erst gegen Mittag.

Danny hatte eigentlich schon fest damit gerechnet, in dieser Ausgabe irgendwo einen mehr oder weniger ausführlichen Artikel zu dem Ereignis am vergangenen Samstag zu finden (zumal einige Klassenkameraden ihnen erzählt hatten, dass sie von einem Reporter angesprochen worden waren, der sie über beide hatte ausfragen wollen), doch da er selbst nach mehrmaligem Durchblättern der gesamten Zeitung nichts finden konnte, gestand er sich erleichtert ein, dass sie heute wohl noch nichts von diesem Vorfall hören würden.

„Vielleicht haben sie ja inzwischen ein paar spannendere Storys gefunden und das Interesse an der Sache verloren“, vermutete Jimmy, doch dem konnte sein braunhaariger Freund nicht so recht Glauben schenken.
 

Dannys Vater, der seit Montag Urlaub hatte, erklärte sich gern bereit, den beiden Jungen beim Umzug zu helfen, indem er Jimmys Sachen in seinem Kleintransporter mitnahm und zu dessen neuer Wohnung brachte. Da der Blonde eh nicht viele Habseligkeiten hatte, reichte eine Fahrt bereits aus, um alles hinüber zu bringen.

Der besorgten Frau Willis versicherte Jimmy, mit seinem Vater über den Umzug gesprochen und dessen Einverständnis erhalten zu haben – was zumindest fast die halbe Wahrheit war. Ja, er hatte ihn über seinen Umzug unterrichtet, aber nicht in Form eines Gesprächs, sondern mittels Notizzettel, auf den er das Nötigste geschrieben hatte, bevor er ihn auf den Küchentisch gelegt hatte, kurz nachdem er und Danny seine letzten Sachen in einer geräumigen Reisetasche verstaut hatten. Anscheinend war dem Blonden zumindest in dieser Hinsicht das Glück hold geblieben, denn er war seinem Vater nicht ein einziges Mal begegnet, wann immer er sich in die Wohnung geschlichen hatte, um einige seiner Sachen abzuholen – auch wenn es einmal ziemlich knapp geworden war.

Da Danny an diesem Abend eh nichts mehr zu tun hatte, blieb er noch ein wenig bei seinem Freund und half diesem beim Einräumen. Seinem Vater hatte er kurz vor dessen Abfahrt versichert, vor um zehn wieder zu Hause zu sein. Damit hatte er noch jede Menge Zeit, auch Jimmys neue Mitbewohner ein wenig kennen zu lernen, die bereits nach dem besten Termin für eine Willkommensparty suchten. Der Abend wurde so lustig, das alles andere für beide in den Hintergrund trat…was sie bereits am nächsten Tag mit voller Wucht wieder einholen sollte.
 

Misstrauisch sah sich Danny auf dem Schulhof um. Irgendetwas war heute anders als sonst, die Grundstimmung, die ganze Atmosphäre stimmte einfach nicht, egal, wohin er und Jimmy auch kamen. Am auffälligsten waren die seltsamen Blicke, verwirrte, schockierte, unglaubhafte, sogar herablassende und abstoßende, die zwischen allen ausgetauscht und ungewöhnlich häufig auf den Blonden gerichtet wurden sowie das kaum noch zu überhörende Getuschel, das durch alle Schülergrüppchen ging. Aber auch sonst verhielten sich alle ein wenig anders als sonst. Ruhiger, zaghafter – bis sich einer auszusprechen traute, was sie alle so sehr mitnahm.

„Hey, Jimmy“, sprach ihn ein Junge aus der Klassenstufe über ihm an, „Stimmt es, was heute in der Zeitung steht?“

„Kommt drauf an, WAS da steht“, entgegnete er lässig.

Es war klar, worauf dieser Schüler hinaus wollte, es hatte sich längst überdeutlich an den Verhaltensweisen der gesamten Schule angekündigt, und trotzdem war allein diese Frage wie Messerstiche für Danny. Er spürte, wie sich langsam eine Gänsehaut auf seinem Nacken ausbreitete und seine Hände unruhig wurden, obwohl er vom jahrelangen Kendotraining darin geübt war, seinen Körper unter Kontrolle zu halten. Wie konnte sein Freund da nur so ruhig bleiben, wo es ihn doch noch viel stärker betraf?

„Wie jetzt? Du hast noch nicht davon gehört? Liest du keine Zeitung?“, erwiderte der Schüler mit halb gespielter Empörtheit.

„Das mache ich schon, aber erst am Nachmittag.“

Diese zweite Antwort war nicht weniger sachlich als die erste, obwohl man nun schon förmlich spüren konnte, wie sich die Lage langsam zuspitzte. Die anderen Schüler, anfangs noch unbeteiligt, desinteressiert tuend, zeigten nun immer mehr ihr Interesse am Ausgang dieser Unterhaltung und konzentrierten sich immer stärker auf die Gesprächspartner.

„Hat zufällig irgendwer eine Zeitung dabei?“, fragte der ältere Schüler in die Runde hinein. Aus irgendeiner Richtung wurde eine nach vorn gereicht und dann an Danny und Jimmy übergeben. Die entsprechende Seite war bereits aufgeschlagen. Lange brauchten beide nicht zu suchen, der große Artikel war kaum zu übersehen:
 

„Das Ende unserer gepflegten Zivilisation?

von Peter Bark
 

Am vergangenen Samstag hat sich auf dem Londoner Hauptbahnhof kurz nach 18:00 Uhr ein Zwischenfall ereignet, der alle sich in der Nähe befindenden Fahrgäste in Aufruhr versetzt hat. Bei einer Auseinandersetzung zwischen dem 17-jährigen Schüler Jim Taylor und dessen Vater ist eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht gekommen: Der sonst so normal wirkende, bei seinen Freunden beliebte, stets gut gelaunte Junge hat ein dunkles Geheimnis, das allen Moralvorstellungen widerspricht – er hegt ein intimes Verhältnis zu seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Joan Taylor, die seit geraumer Zeit mit ihrer Mutter in einen Vorort am anderen Ende Londons gezogen ist, um den Kontakt der Geschwister zu unterbrechen.

‚Früher waren wir eine sehr glückliche Familie. Meine Frau und ich haben uns stets bemüht, unsere Kinder anständig zu erziehen und gesittete Menschen aus ihnen zu machen. Wir hätten niemals erwartet, dass es irgendwann so kommen könnte’, erzählte uns der Vater des Jungen, Bryan Taylor. In der Familie habe, so Herr Taylor, eine sehr harmonische Atmosphäre geherrscht, bis der Junge angefangen habe, seine Schwester zu verführen und mit in seine dunklen Abgründe zu ziehen. Seither hatte es immer häufiger Streit zwischen allen Familienmitgliedern gegeben, man habe verzweifelt versucht, Lösungen für dieses Problem zu finden, blieb jedoch erfolglos. Nicht einmal, als die Familie zerbrochen war, habe Jim sich besinnen und zum Guten wenden können, sondern versuchte weiterhin mit allen Mitteln, seinen krankhaften Trieben nachzugehen. Inzwischen ist das Gewissen des Jungen sogar soweit abgestorben, dass er sich selbst in aller Öffentlichkeit damit brüstet, Inzest zu betreiben, wie über 100 Augenzeugen vom letzten Samstag bestätigen können.

Doch als ob es nicht schlimm genug wäre, dass ein so junger Mensch bereits derart verdorben ist, gibt es sogar noch Leute, die dieses gotteslästerische Fehlverhalten tolerieren. Ein Freund des Jungen, Danny W., der an besagtem Samstag ebenfalls in den Zwischenfall verwickelt war, unterstützte ihn sogar, als dessen verzweifelter Vater versuchte, seinem Sohn zum wiederholten Mal ins Gewissen zu reden.

‚Ich habe schon immer geahnt, dass dieser Danny da irgendwie mit drinstecken muss. Jedes Mal, wenn ich versucht habe, mit meinem Sohn darüber zu reden, hat er abgeblockt und ist zu diesem seltsamen Jungen gegangen. Und am Samstag hat er versucht, Jim zu unterstützen, da bin ich mir sicher! Vielleicht ist es sogar seine Schuld, dass mein Junge so vom rechten Weg abgekommen ist. Immerhin kennen sich beide schon seit der Grundschule.’

Erschreckende Tatsachen, die uns Herr Taylor wehmütig bei einer Tasse Tee offenbart hat, doch er wollte sie der Öffentlichkeit nicht länger vorenthalten, denn ihm ist, genau wie jedem von uns, klar, dass dies kein familiäres Problem mehr ist, sondern die Gesellschaft insgesamt gefährdet. Bitte passen Sie, liebe Leser, gut auf, mit welchen Freunden ihr Kind in der Schule oder Freizeit verkehrt, damit solch erschreckende Beispiele sich nicht wiederholen.

Wir halten Sie weiterhin über den Vorfall auf dem Laufenden.“
 

Mit zittrigen Händen und angespannten Gesichtszügen starrte Jimmy noch eine Weile auf das Papier vor sich, überflog einige Passagen noch einmal. Plötzlich zerriss er es mit einer Wut, die alle Umstehenden, Danny eingeschlossen, für einen Moment zusammenzucken ließ.

„So ein Schwachsinn! Was bildet der Fatzke sich ein?!“, brüllte der Blonde über den ganzen Hof.

„Dann…“, fragte einer der Schüler nach einer Weile kleinlaut nach, „stimmt es also nicht, was sie da geschrieben haben?“

„Ich habe noch nie so viel Lug und Trug auf einmal gesehen!“, empörte er sich weiter, allerdings ein wenig leiser als zuvor.

„…Und das mit deiner Schwester haben sie sich auch nur ausgedacht?“, fragte eine weitere halblaute Stimme.

Eine Weile war es ruhig. Alle Augen ruhten auf Jimmy, der mit noch immer angespannten Gesichtszügen durch die Menge blickte. Er suchte nach den richtigen Worten.

„Es stimmt, dass ich in sie verliebt bin, aber alles andere ist erlogen und erstunken“, antwortete er schließlich wahrheitsgemäß.

Diesmal war Danny nicht einmal mehr geschockt. Höchstens noch ein wenig deprimierter. Diese Lawine konnten sie nicht mehr aufhalten, sie war viel zu groß für sie. Es blieb nur noch abzuwarten und zu hoffen, dass sie lebendig wieder herauskamen, wenn die Massen sie vollends verschluckt hatten.

Jimmy hatte sich jetzt für einen Weg entschieden. Er würde dazu stehen, allen zeigen, wie ernst er es meinte, und hoffen, dass wenigstens einige ihn irgendwann verstehen könnten. Doch der Großteil der Gesellschaft würde ihn verurteilen, das war unausweichlich. Daher wollte der Halbjapaner seinem Freund so gut es ging zur Seite stehen.

Die Antwort des Blonden schien alle Schüler gleichermaßen schockiert und verunsichert zu haben. Irritiert sahen sie von einem zum nächsten, keiner wusste so recht, was zu tun war. Viele wichen einige Schritte zurück, um Abstand zu ihm zu bekommen. Nur Jimmys Freunde schienen noch genug Courage zu haben, um ihm in die Augen sehen und direkt ansprechen zu können.

„Warum, Jimmy? So was ist doch…krank!“

Angesprochener schüttelte resigniert den Kopf.

„Ihr versteht das nicht. Ich weiß ja selbst nicht wieso. Ich liebe sie einfach.“

„Aber sie ist deine SCHWESTER!“

„Ach nee, oder? Das wäre mir jetzt nicht aufgefallen! Aber warum versuche ich überhaupt, es zu erklären? Ihr versteht mich doch eh nicht!“

Beleidigt stapfte er aus den Schülermassen, die hektisch eine Gasse bildeten, als er sich ihnen näherte, heraus. Danny wollte seinem Freund folgen, doch er wurde von einigen seiner Mitschüler zurückgehalten und dadurch von ihm getrennt.

„Danny, warte mal kurz! Du weißt, dass Jimmy was mit seiner Schwester hat, und es stört dich überhaupt nicht?“

„Na ja, es war schon komisch, als ich es erfahren habe“, antwortete er wahrheitsgemäß, „aber irgendwann habe ich verstanden, dass das nicht nur irgendeine kranke Spielerei, sondern todernst ist. Und ich bewundere Jimmy dafür, dass er trotz seiner vielen Probleme den Mut hat, zu seinen Gefühlen zu stehen.“

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Doch, mein voller Ernst.“

Dannys Blick machte den anderen eindeutig klar, dass er keinerlei Zweifel daran hatte. Als seine Freunde dies verstanden hatten, änderte sich ihr Blick ihm gegenüber plötzlich.

„Wenn das so ist…“

Der Satz wurde nicht vollendet, doch die abweisende Haltung, die plötzlich alle einnahmen, und ihre kalten Blicke machten jedes weitere Wort überflüssig. Enttäuscht und verärgert drehte Danny sich weg und verließ den Schulhof, steuerte geradewegs das Dach des Hauptgebäudes an, wo er seinen Freund vermutete.
 

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Eigentlich gefällt mir dieses Kapitel ganz gut. Der jetzige Teil noch nicht so, aber der nächste, der euch erwartet. Da hab ich beim Schreiben richtig mit Leib und Seele drin gesteckt! Ist mir auch noch nie passiert...

Lg und bis dann!

Lady_Ocean

Jimmy (Teil 3)

…Ja, lange hat es gedauert, ich weiß. Und dabei hatte ich versprochen, mir mit diesem Kapitel nicht allzu viel Zeit zu lassen, weil hier der Anschluss an den vorangegangenen Teil (meiner Meinung nach) sehr wichtig ist. Daher sollte sich, wer sich soweit beherrschen kann, das letzte Kapitel am besten noch mal durchgelesen werden, bevor ihr hiermit anfangt, wenn ihr es nicht mehr so genau im Kopf habt, was bisher geschehen ist.

Ansonsten wünsche ich euch jetzt viel Spaß und entschuldige mich dafür, dass es so ewig gedauert hat. Ich weiß auch nicht… Dabei lag das Kappi fertig auf meinem Rechner rum die ganze Zeit -_-.
 

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Jimmy (Teil 3)
 

„Ich fass’ es nicht, diese Schweinehunde!“, fluchte Jimmy lautstark, seine Hände krampfhaft zu Fäusten geballt, um seiner Wut möglichst gesittet Abhilfe zu verschaffen. Auch wenn er jetzt wesentlich lieber irgendetwas zerschlagen hätte. Die Scheiben vom Hauptsitz der Presseagentur zum Beispiel.

„Wehr dich dagegen! Das können die nicht machen! Es gibt Gesetze, die es verbieten, auf so schäbige Weise in die Privatsphäre von Leuten einzudringen.“

Der Blonde schüttelte resigniert den Kopf.

„Ich stehe allein da und bin noch nicht mal volljährig. Mein Vater würde im Ernstfall garantiert eine Aussage machen, die mich nur belasten würde – du hast ja selbst gelesen, wozu er fähig ist. Und da soll ich gegen etwas so Mächtiges wie die Presse eine Chance haben? Das kann ich vergessen.“

Okay, die Idee war wohl wirklich nicht die beste, räumte Danny ein, aber er weigerte sich zu glauben, dass sein Freund dieser Willkür voll und ganz ausgeliefert war. Irgendeinen Angriffspunkt musste es doch geben!

„Es werden ganz sicher nicht alle glauben, was über dich in der Zeitung steht.“

Am liebsten hätte der Halbjapaner sich dafür auf die Zunge gebissen. Das Argument war noch armseliger als sein letztes. Und Jimmy sprach auch gleich aus wieso:

„Ha! Danny, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass fremde Leute, die nie mit mir zu tun hatten, erst mal stutzig werden und sich fragen, ob das, was sie da lesen, überhaupt stimmt? Die meisten vertrauen ihrer Zeitung blind. Und wenn selbst die, die ich glaubte zu kennen, sich innerhalb weniger Minuten plötzlich so verändern können, dann sieht es bei Fremden garantiert nicht anders aus.“

Das kurze Gespräch, welches Danny nach Jimmys Verschwinden auf dem Schulhof mit seinen „Freunden“ geführt hatte, kam ihm wieder in den Kopf und ließ seine Laune – was er gar nicht mehr für möglich gehalten hätte – noch um einige Etagen tiefer sinken. Sie war doch schon in der Hölle, wo sollte es denn jetzt noch hingehen?

„Na los, komm“, wechselte der Blonde plötzlich das Thema, „Die Pause ist längst vorbei. Wir müssen in unsere Klasse.

Widerwillig erhob sich auch Danny von seinem Lieblingsplatz und trottete gelangweilt auf die Terrassentür zu. Bevor er sie jedoch geöffnet hatte, legte sich eine Hand mit sanftem Druck auf seine Schulter. Jimmy blickte ihn traurig lächelnd an.

„Danke, Kumpel.“

„Jederzeit.“
 

Die Atmosphäre im Klassenraum war nicht besser als zuvor auf dem Schulhof; eher noch schlimmer. Selbst der Lehrer machte einen Bogen um Jimmy und ignorierte ihn gänzlich. Auch Danny, der eigentlich zu seinen Lieblingsschülern zählte, erhaschte nur gelegentlich verstohlene Seitenblicke, weiter nichts.

So verhielt es sich auch die nächsten Stunden. Keiner redete mit ihnen, man sah sie nicht einmal an. Wenn dieses Verhalten direkt von ihm verursacht worden wäre, würde Danny jetzt wahrscheinlich von Schuldgefühlen geplagt, doch an diese war im Moment gar nicht zu denken. Er versuchte viel mehr, seinen Freund im Auge zu behalten und herauszufinden, was wohl in diesem vorgehen möge, doch das war alles andere als einfach, denn äußerlich blieb dieser die Ruhe in Person.

Nur in der letzten Stunde gab es wirkliche Probleme. Ihr Physiklehrer galt schon immer als sehr direkt und streitlustig. Die Schüler hatten ihn hinter seinem Rücken „das Pulverfass“ getauft, weil er so leicht auf die Palme zu bringen war und sich dann immer eine köstliche Abwechslung für den oft so tristen Schüleralltag bot. Diesmal war die Laune des Pulverfasses jedoch alles andere als belustigend. Zumindest für Danny und Jimmy. Ihre Mitschüler sahen das natürlich anders. Sie amüsierten sich ganz ungeniert darüber, wie der blonde Junge ständig an die Tafel geholt wurde und schwerste Aufgaben lösen sollte, obwohl jeder bestens wusste, dass Jimmy hier schon immer Probleme gehabt hatte. Pausenlos durfte er sich spitze Bemerkungen anhören wie „An Ihrer Stelle würde ich ab und an zuhören, wenn ein Lehrer etwas erklärt“ oder „Wie lange soll es noch dauern, bis Sie das endlich verstanden haben? Das ist simples Grundlagenwissen“. Einmal ist ihm sogar eine besonders bissige Bemerkung über die Lippen gekommen:

„Vielleicht wären Sie besser, wenn Sie sich weniger mit Ihrer Schwester beschäftigen würden.“

Danny konnte erkennen, wie sich Jimmys Körper kaum merklich verkrampfte. Das Pulverfass hatte einen wunden Punkt getroffen und das wusste er ganz genau. Der Halbjapaner begann langsam, um die Selbstbeherrschung seines Freundes zu bangen.

Am Ende der Stunde wurde Jimmy wegen „schlechter Aufmerksamkeit im Unterricht“ zum Klassendienst verurteilt, durfte Stühle hochstellen, die Tafel abwischen und den Raum fegen. Danny, der seinem Freund helfen wollte, wurde vom Lehrer nach draußen verwiesen und musste vor dem Schultor auf den Blonden warten. Die nächste Zeit würde verdammt hart werden, das war ihm in diesen paar Stunden mehr als bewusst geworden.

Wie hart es werden würde, zeigte sich bereits zehn Minuten später, als die zwei Freunde schließlich mit saurer Miene und hängenden Köpfen Jimmys neues Zuhause ansteuerten. Aufmerksam wurden beide bereits, als sie eine Gruppe Jugendlicher, der Kleidung nach wohl irgendeine Straßengang, auf der anderen Straßenseite herumlungern sahen. Einer hielt die aktuelle Zeitung in den Händen, alle anderen sahen mit hinein. Plötzlich schrie einer auf:

„Hey, das ist der Kerl! Das ist das Schwein, das seine Schwester gefickt hat!“

Wie auf Kommando drehten sich alle zu Jimmy um, dann, ohne Vorwarnung, stürmte die ganze Gang über die Straße auf Danny und Jimmy zu. Nur seinen guten Reflexen hatte Danny es zu verdanken, dass er dem ersten Hieb ausweichen und ihn ablenken konnte, dann war er vorbereitet, hatte die Situation erfasst und wehrte weitere Angriffe mit kurzen, schnellen Bewegungen ab. Von dieser unerwarteten Gegenwehr irritiert, zogen sich die Angreifer ein paar Schritte zurück. Danny nutzte die Gelegenheit, schnappte sich seinen Freund und machte sich mit ihm aus dem Staub, zu schockiert war er über den plötzlichen Zwischenfall. Er hatte noch nie sein Können in einer richtigen Schlägerei einsetzen müssen – und er wollte es auch nicht dazu kommen lassen.

„Woher wussten die, dass du derjenige in der Zeitung bist?“, fragte Danny nach einer Weile, als sie wieder in Sicherheit waren.

„Ich kenne den einen Kerl flüchtig über unsere Väter, aber verstanden haben wir uns noch nie. Die Sache ist ein gefundenes Fressen für ihn.“

„Dass es SO gefährlich wird, hätte ich nicht gedacht.“

„Ich auch nicht“, stimmte Jimmy säuerlich zu, „Aber es nützt nichts. Jetzt muss ich da durch.“

„Und ich bleibe dabei, auf mich kannst du dich verlassen. Ich hol’ dich morgens ab und bring dich nachmittags nach Hause, dann greift dich zumindest keiner an.“

„Falls deine Eltern das jetzt noch erlauben“, ergänzte Jimmy.

„Ach, das geht schon. Aufhalten können sie mich letztendlich eh nicht.“
 

Als Danny schließlich vor seiner eigenen Wohnungstür ankam, war er sich seiner Sache nicht mehr so sicher wie noch eine Stunde zuvor. Das würde eine ziemlich lange Diskussion geben. Und ob er seine Eltern von seinem Standpunkt überzeugen konnte, bezweifelte er sogar ein wenig. Besonders sein Vater war in moralischen Fragen sehr rigoros. Aber seiner Mutter war Jimmy sehr ans Herz gewachsen und vielleicht ließ zumindest sie sich mit ein wenig Überredungskunst überzeugen.

Er atmete noch einmal tief durch und drückte schließlich die Klinke der Wohnungstür herunter, betrat vorsichtig den Flur. Ein leichter Lichtschein auf dem Teppich verriet ihm, dass sich seine Eltern im Wohnzimmer befinden mussten. Vorsichtig betrat er den Raum. Seine Mutter starrte mit einer Tasse Tee in der Hand aus dem Fenster, das Gesicht seines Vaters war hinter der Zeitung verborgen.

„Danny, wir müssen reden“, erklang eine ernsthafte Stimme hinter der Zeitung. Kein „Hallo“, kein „Wie war’s?“ Das konnte heiter werden.

„Wusstest du, dass Jimmy… Na ja, du weißt schon“, meldete sich Frau Willis vom anderen Sessel. Auch kein „Hallo“ also…

Das Schweigen, das über dem Raum hing, war erdrückend. Danny wusste nicht, was er nun am besten sagen sollte, entschied sich nach scheinbar endlos langem Überlegen für die Wahrheit.

„Ja. Er hat es mir erzählt.“

„Und du bist immer noch sein Freund? Bist dauernd mit ihm zusammen?“

Die Stimme seiner Mutter nahm langsam einen verzweifelten Tonfall an. Sein Vater war weniger beherrscht. Mit einer wütenden Handbewegung knallte er die Zeitung auf den Tisch und wandte sich seinem Sohn zu:

„Weißt du, wer heute hier war? Ein Zeitungsreporter, begleitet von der halben Nachbarschaft! Der Kerl wollte uns wegen dieser Sache ausfragen und alle haben uns schief angesehen! Allein schon der Zeitungsartikel von heute macht uns zum Gespött der ganzen Gegend und jetzt erzählst du uns auch noch, dass das stimmt, was die da geschrieben haben!

„Das ist nicht wahr! Das meiste davon ist gelogen!“, protestierte Danny.

„Aber dass du darin verwickelt bist, ist wahr und das ist das Schlimmste!“, polterte sein Vater zurück, „Du wirst den Kontakt zu Jim sofort abbrechen und nie wieder in seiner Nähe rumlungern, hast du verstanden?“

„Das werde ich ganz bestimmt nicht! Es ist unfair, dass ihn alle verurteilen, und du machst auch noch mit! Du hast keine Ahnung davon, was er durchmachen musste und wie schwer ihm das alles fällt. Du kannst mich nicht zwingen!“

„Aber du kannst mit deinen dämlichen Spielereien unseren guten Ruf vernichten, was?! Ich sag dir was, Danny, es ist mir egal, ob der Junge Probleme hat oder nicht! Die hat er sich selbst zuzuschreiben! Und sollte ich dich noch einmal bei ihm erwischen, bist du nicht mehr mein Sohn!“

„Aber Arthur!“, entfuhr es seiner Mutter entsetzt.

Auch für Danny waren diese letzten Worte wie ein Schlag in die Magengrube gewesen. Wie betäubt stand er da. Langsam, stückweise kehrten Gefühle und Emotionen in ihn zurück – und mit ihnen eine unbändige Wut.

„Schön“, zischte er verachtend, „dann bin ich eben nicht mehr dein Sohn!“

Damit machte er auf dem Absatz kehrt und stürmte in sein Zimmer. Hinter sich konnte er noch hören, wie sein Vater aufsprang und ihm nachjagte, doch er schaffte es nicht, den Halbjapaner einzuholen, bevor dieser seine Zimmertür von innen zugeschlagen und verschlossen hatte. Eine Faust trommelte ungehalten gegen das dünne Holz.

„MACH SOFORT DIE TÜR AUF, DANNY! DU BIST WOHL NICHT MEHR GANZ BEI TROST?! DAS HAT NOCH EIN NACHSPIEL, SO VIEL-“

Mehr bekam Danny nicht mehr mit. Er hatte sich seinen CD-Player geschnappt, die Kopfhörer aufgesetzt, die Musik auf volle Lautstärke gedreht und sich auf sein Bett fallen lassen, die Augen geschlossen. Seine Ohren dröhnten, die Musik war wirklich verdammt laut. Doch es kümmerte ihn nicht. Leise schlichen sich vereinzelte Tränen aus seinen Augenwinkeln.
 

Vorsichtig öffnete Danny seine Tür einen Spaltbreit und schielte hindurch. Er fühlte sich matt und unausgeschlafen, doch wenn er Jimmy noch abholen wollte, musste er sich jetzt langsam beeilen. Schnell Zähne putzen, Frühstück schnappen, abhauen. Und hoffen, dass er seinem Vater währenddessen nicht begegnete. Auf dem Weg ins Bad fiel ihm auf, dass seine Jacke und die Autoschlüssel bereits verschwunden waren. Normalerweise wäre es noch viel zu früh zum Losfahren gewesen, aber sein Vater ging ihm wohl auch lieber aus dem Weg. Vielleicht hatte seine Mutter ein wenig auf ihn einreden können. Danny sollte es nur recht sein.

In der Küche traf er auf seine Mutter. Sie sah genauso schlecht aus wie er sich fühlte. Der Halbjapaner spürte, wie sich leichte Schuldgefühle in ihm breit machten. Doch er bevorzugte es, seiner Mutter lieber auch aus dem Weg zu gehen. Ihr Schweigen machte ihm sehr genau deutlich, dass sie nicht auf seiner Seite stand. Sie war nur zurückhaltender und subtiler als ihr Mann. Danny schätzte das in dem Moment sehr und ließ sie in Ruhe, um sie nicht noch mehr zu belasten. So schnell wie an diesem Morgen hatte er das Haus noch nie verlassen.
 

Als er vor Jimmys Wohnung ankam, entdeckte er einen unsauber an die Tür geklebten Zettel. „Achtung, hier wohnt ein Perverser!“, war in großen, roten Buchstaben darauf gekritzelt worden. Empört riss Danny das Schriftstück ab und zerknüllte es, als sich nur wenige Augenblicke später die Tür von innen öffnete.

„Hi, ich hab dich kommen sehen. Warum hast du nicht geklingelt?“, begrüßte ihn der Blonde, doch als sein Blick auf das zerknüllte Papier in der Hand des Halbjapaners fiel, verzog sich seine Miene zu einer verstehenden Grimasse.

„Schon wieder so einer. Gesternabend hat es ein paar Mal geklopft und jedes Mal, wenn ich rausgegangen bin, hing so ein komischer Zettel an der Tür. Schätze, da versucht jemand, mich zu ärgern.“

Danny war schockiert von dieser Nachricht, doch Jimmy verdrehte nur genervt die Augen, nahm seine Schultasche und klopfte seinem Freund aufmunternd auf die Schulter.

„Na los! Sonst drehen sie uns in der Schule einen Strick daraus, weil wir zu spät sind.“

Da hatte der Blonde Recht. Sie mussten jetzt sehr aufpassen, dass ihnen keine Fehler unterliefen, für die man sie zur Rechenschaft ziehen konnte. Doch das war leichter gesagt als getan. Wieder wurden sie von einer Gruppe herumlungernder Jugendlicher angepöbelt. Die Freunde erkannten unter ihnen auch die vom letzten Mal wieder. Anscheinend hatten sie sich für dieses Mal Verstärkung geholt. Und sie ließen auch nicht so schnell locker wie am Tag zuvor. Danny hatte wirklich Mühe, mit ihnen fertig zu werden, denn verletzen wollte er niemanden, was allerdings nach sich zog, dass sie immer wieder auf ihn losgingen. Letztendlich reichte es ihm und er verpasste einem eine blutige Lippe, ein weiterer erhielt einen kräftigen Schlag in die Magengrube. Nachdem der dritte aufgrund eines Trittes in die Seite in die Knie gegangen war, ließ auch der Rest endlich von ihnen ab. Aber pünktlich schafften Danny und Jimmy es nicht mehr in die Schule.

Die Bestrafung folgte sofort: Beide wurden zum Direktor geschickt, die Eltern benachrichtigt und sie bekamen Strafarbeiten auf. Noch nie hatte man wegen eines einmaligen Zu-Spät-Kommens solch einen Aufstand gemacht. Selbst ihre Mitschüler weigerten sich, ihnen die Aufzeichnungen zu geben, die sie durch ihre Abwesenheit von der ersten Stunde verpasst hatten. Aber es wunderte keinen von beiden. Seit Jimmys Geheimnis bekannt geworden war, war er ein Ausgestoßener. Danny hatte seine Seite zu diesem Zeitpunkt noch wählen können. Er war sich sicher, dass der Blonde ihn nicht verurteilt hätte, hätte er in diesem entscheidenden Moment einen Rückzieher gemacht und ihn allein gelassen, doch der Halbjapaner hatte sich für seinen Freund entschieden. Sie kannten sich viel zu lange, viel zu gut, wussten alles über einander, als dass er Jimmy hätte im Stich lassen können. Und solange sie zumindest den anderen hatten, würden sie das schon irgendwie überstehen. Egal, was noch auf sie zukommen würde.

Der Rest des Tages verlief nicht besser, als er angefangen hatte. Obwohl kurz vor den Prüfungen in der Regel keine Referate mehr vergeben wurden, hatte der Geschichtslehrer noch zwei zusätzliche verteilt. Natürlich an Danny und Jimmy. Der nächste Ärger kam, als der Halbjapaner seinen Freund nach Hause gebracht und mit ihm zusammen die Post durchgesehen hatte. Der Blonde hatte einen Haufen Briefe erhalten. Allesamt von wütenden Zeitungslesern, die auf mysteriöse Weise seine Adresse herausbekommen haben mussten. Die ersten paar lasen sie sich noch gemeinsam durch, doch irgendwann hatten sie die Nase voll davon und beförderten den gesamten Briefkasteninhalt in den Müll. Jimmy schüttelte genervt den Kopf.

„Die müssen mich wirklich hassen, wenn sie sich solche Mühe geben.“

„Solange sie dich nicht persönlich besuchen…“, versuchte Danny ihn ein wenig zu trösten.

Eigentlich hatte heute überhaupt keine Lust aufs Training und wenn Jimmy nicht vorhin mitbekommen hätte, wie er die SMS seines Sensei erhalten hatte, dann wäre er jetzt wahrscheinlich einfach hier geblieben. So jedoch drängte ihn der Blonde, dem Termin nachzukommen und sich endlich auf den Weg zu machen.

„Vielleicht kommst du da auch auf andere Gedanken. Eine kurze Auszeit würde dir ganz gut tun“, hatte er hinzugefügt, als er ihn praktisch herausgeschmissen hatte.
 

Von Jimmys erhoffter Ablenkung zeigte sich während Dannys Training jedoch keine Spur. Jedenfalls nicht so, wie der Blonde es sich erhofft hatte. Abgelenkt war Danny, jedoch nur von seinen Übungen. Ständig war er mit seinen Gedanken woanders, schätzte die Schläge seines Meisters falsch ein und schaffte es nicht einmal, einigermaßen zu parieren. Dauernd ließ er sich in die Enge drängen. Schließlich wurde es Hikawa zu viel und er brach das Training ab, nahm seinen Schüler zu einem Gespräch zur Seite.

„So geht das nicht! Ich habe dir doch beigebracht, dass Gefühle in einem Kampf nichts verloren haben, oder nicht?“

„Doch, Sensei.“

„Also was ist es, das dich so aus der Fassung bringt? Gefühle entscheiden maßgeblich über Sieg oder Niederlage. Je stärker sie sind, desto mehr nehmen sie dich in Anspruch, desto unkonzentrierter wirst du. Und so schlimm wie heute war es schon seit Jahren nicht mehr.“

Danny schwieg eine Weile. Er hatte keine Lust, das Thema schon wieder aufzurollen und seinen Meister womöglich auch noch gegen sich zu bringen. Doch dieser schien bereits zu wissen, wo die Ursachen lagen.

„Du machst dir Sorgen um deinen Freund.“

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, denn Hikawa war sich ziemlich sicher mit seiner Vermutung. Er kannte den Jungen nun schon über zehn Jahre, vor acht Jahren hatte er eingewilligt, ihn in die Kunst des Kendos einzuweisen.

„Woher wissen Sie davon?“, fragte Danny erstaunt. Sein Meister schüttelte belustigt den Kopf.

„Ich halte zwar nicht viel davon, mich allzu oft unter Menschen zu zeigen, doch die Zeitung lese ich trotzdem regelmäßig. Und selbst wenn ich das nicht täte, so war der Tumult in der Nachbarschaft nur schwer zu überhören.“

Der Halbjapaner senkte den Kopf. Darauf hätte er auch selbst kommen können. Aber davon einmal abgesehen… Was sollte er darauf entgegnen? Wie sollte er seinem Meister gegenübertreten?

„Hör zu, Danny. Alles hat seinen Grund. Dass das Leben deines Freundes nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht…und dass es so geworden ist. Die Wege der Götter sind oft unergründlich, doch sie haben einen Sinn, selbst wenn wir ihn nicht gleich begreifen. Manchmal werden wir wohl nie verstehen, warum das ein oder andere Schicksal für uns auserkoren wurde, doch ich zweifle nicht daran, dass jeder seine Bestimmung hat und all diese Ereignisse, die wir durchleben müssen, wichtig für unseren Weg sind, dieser Bestimmung gerecht zu werden. Deshalb verurteile ich weder deinen Freund, dass er so ist, wie er ist, noch dich, weil du zu ihm hältst, obwohl du sein Schicksal kennst. Ich glaube sogar, die Götter haben eine ganz besondere Bestimmung für dich ausgewählt, denn du hast ein gutes Herz. Es gibt leider nicht viele Menschen, von denen ich das behaupten kann. Deshalb wollte ich eigentlich auch niemanden den Weg des Schwertes beschreiten lassen. Zu oft wurde er schon missbraucht und der Ehrenkodex der Samurai entehrt. Und nach allem, was ich bisher gesehen, welche Menschen ich auch kennen gelernt habe, hatte ich geglaubt, der Geist des Samurai sei endgültig ausgestorben…bis ich dich kennen gelernt habe. Die Götter haben dich nicht ohne Grund zu mir geschickt, dessen bin ich mir sicher. Vielleicht ist es sogar mein Schicksal, dir alles über die Kunst des Schwertkampfes beizubringen, was ich weiß. Ich glaube an dich, Danny. Was immer es auch ist, ich weiß, du wirst in deinem Leben noch Großes vollbringen. Daran solltest du auch glauben. Glaube an dich, Danny. Auch wenn es manchmal schwer ist.“

Diese kleine Rede hatte Hikawa mit so viel Ernsthaftigkeit und Würde gehalten, dass Danny gar nicht anders konnte als ehrfurchtsvoll zu ihm aufblicken und stumm nicken. Hikawa sprach normalerweise nicht viel, zeigte kaum eine Gesichtsregung, sodass der Halbjapaner selbst nach zehn Jahren nicht viel über seine Persönlichkeit wusste. In diesem Augenblick hatte er ihm wahrscheinlich mehr von sich gezeigt als in all den vergangenen Jahren zusammen. Das war es wohl auch, was Danny am meisten beeindruckte. Das und die Tatsache, dass Hikawa von gesellschaftlichen Zwängen und Regeln anscheinend vollkommen unberührt blieb, sondern einzig auf seinen Glauben vertraute. Auch wenn der Braunhaarige nicht an die shintoistischen und buddhistischen Götter glaubte – er glaubte ja nicht einmal an den Gott des Christentums – das Vertrauen, das sein Meister ihm entgegenbrachte, rührte ihn zutiefst.

‚Glaube an dich.’

Diese einfachen drei Worte gaben ihm so viel Kraft, so viel Zuversicht, dass er zum ersten Mal seit Beginn dieses Alptraums das Gefühl hatte, es würde irgendwo ein Licht am Ende dieses langen Tunnels auf ihn warten.

„Danke, Sensei.“

„Merk es dir. Und vor allem: Lerne daraus.“

Fest entschlossen straffte Danny seinen Körper und sah seinem Meister bestimmt in die Augen.

„Das werde ich.“

„Dann zeige es mir.“

Mit diesen Worten nahmen beide ihre Shinai wieder auf und setzten das Training fort. Es ging jetzt wesentlich besser als zuvor.
 

Die Situation bei Danny zu Hause hatte sich nicht verbessert. Ganz im Gegenteil, es war sogar noch schlimmer geworden. Kaum dass der Halbjapaner die Tür geöffnet hatte, schmiss ihm sein Vater die Zeitung entgegen. Einen Artikel hatte er rot eingerahmt. Der Junge überflog den gekennzeichneten Bereich kurz und fand auch sofort die Ursache für seine herzliche Begrüßung. Laut Reporter hatten seine Eltern wohl gesagt, sie würden nichts mehr mit ihrem Sohn zu tun haben wollen. Hier und da las er noch einige missbilligende Kommentare, wie „zu wenig Zuwendung“, „Ignoranz der Taten ihres Sohnes“. Kochend vor Wut knüllte Danny die Zeitung zusammen. Jetzt zogen diese Mistkerle nicht nur über Jimmy und ihn her, nein, sie zogen auch noch seine Eltern hinein, stellten sie als Rabeneltern dar. Dabei hatten sie genauso wenig davon gewusst wie der Rest der Welt.

„Siehst du jetzt, was du angerichtet hast?“, vernahm er die gefährlich zischende Stimme seines Vaters. Doch diesmal blieb Danny ruhiger.

„Du meinst also immer noch, es ist alles meine Schuld? Du hast doch jetzt selbst gesehen, was die für Lügen verbreiten! Die nutzen ihre Pressefreiheit schamlos aus, um Menschen zugrunde zu richten!“

„Wenn du das abnorme Verhalten von diesem Jungen nicht so unverschämt tolerieren würdest, wären wir da nie hineingeraten, also höre auf, alles von dir abzuwälzen!“

„Ich lass doch nicht meinen besten Freund im Stich, bloß weil alle anderen nur auf Oberflächlichkeiten achten und ihn verurteilen!“

„‚Oberflächlichkeiten’ nennst du das?! Am Ende bist du wohl selbst so ein kranker Psychopath!“

„ER ist kein Psychopath! IHR seid es! Allesamt! Weil ihr keine Ahnung habt!“

KLATSCH!

Einen Moment war alles still. Vorsichtig fühlte Danny nach der brennenden Stelle an seiner Wange. Sein Vater hatte ihn geschlagen. Tatsächlich geschlagen. Das hatte er noch nie getan…

„Wage es nicht noch einmal, in diesem Ton mit mir zu sprechen!“, setzte sein Vater nach einer Weile mit noch immer vor Wut bebender Stimme an.

…Er hatte ihn geschlagen…

„Überleg dir gut, was du sagst und tust. Und sehe ich dich noch einmal bei deinem komischen Freund, betrittst du dieses Haus nie wieder. Ich begreife nicht, wie mein eigener Sohn… Am Ende bist du vielleicht schwul oder so was. Sollte das rauskommen, kenne ich dich nicht mehr.“

…Geschlagen. Mitten ins Gesicht…

Plötzlich war es alles zu viel. Danny fühlte, wie ein unbändiges Verlangen in ihm Aufstieg. Eine Zerstörungswut, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte. Nur mit Mühe konnte er den aufkommenden Reflex, seinem Vater den Schlag heimzuzahlen, unterdrücken, machte auf dem Absatz kehrt und rannte in sein Zimmer, schloss sich wieder dort ein.

Sein plötzlicher Wutausbruch hatte ihn selbst zutiefst erschrocken. Er hatte sich doch sonst immer unter Kontrolle. Wie hatte das nur passieren können? Wie konnte er nur eine solch ungezügelte Wut entwickeln? Um ein Haar hätte er seinen eigenen Vater geschlagen. Mithilfe des Wissens, das ihm sein Sensei vermittelt hatte. Dabei hatte er geschworen, dieses Wissen niemals zum Schaden eines anderen, sondern höchstens zur Verteidigung einzusetzen. Beinahe hätte er diesen Schwur gebrochen…

Um wieder klarer denken zu können, setzte er sich auf sein Bett und begann zu meditieren. Danach fühlte er sich meistens besser. Er begann, sich das Gespräch, das er am Nachmittag mit seinem Sensei geführt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Nein…er würde sich nicht unterkriegen lassen. Egal, wie hart es noch werden würde.
 

„Jimmy? Was ist denn mit dir los?“

Danny traute seinen Augen kaum, als ihn sein Freund an der Tür begrüßte. Er hatte total rote, eingefallene Augen, war ansonsten jedoch leichenblass. Lustlos trottete er zum Briefkasten, nahm eine Zeitung und einen Stapel Briefe heraus.

„Ach…komm erst mal rein“, antwortete er schließlich monoton.

Damit betraten beide das kleine Zimmer. Die Zeitung warf der Blonde achtlos aufs Bett, die Briefe wurden ungelesen in den Müll befördert. Es war ja eh klar, was drinstand…

„Also, was ist los? Du siehst aus, als hättest du die ganze Nacht kein Auge zugedrückt“, hakte Danny nach, als beide saßen.

„…Joan hat mich gestern angerufen.“

Dieser Satz allein reichte aus, um dem Braunhaarigen das Herz um einige Kilo schwerer werden zu lassen. Der Artikel über ihre heimliche Beziehung war zwar nur in einer lokalen Zeitung erschienen, doch er hatte solch riesige Resonanz erhalten, dass die Sache auch weit über die Grenzen des Austragungsgebietes hinaus bekannt war. Und so weit wohnten Joan und ihre Mutter nun auch wieder nicht weg…

„Wie geht es ihr? Was hat sie gesagt?“, fragte Danny vorsichtig nach.

„Mutter hat gestern von dem Zeitungsartikel erfahren. Du kannst dir sicher vorstellen, was Joan für einen Ärger bekommen hat. Sie hat die ganze Zeit geweint am Telefon.“

Der Halbjapaner vergrub sein Gesicht in den Händen. Schlimmer hätte es echt nicht mehr kommen können. Wenn es eines gab, was seinem Freund wirklich wehtat, dann war es, wenn seiner Schwester etwas zustieß.

„…Mutter will sie ins Kloster stecken“, fügte er mit heiserer Stimme, nicht mehr als ein Flüstern, hinzu.

Als Danny wieder aufsah, bemerkte er, dass Jimmy den Tränen nahe war. Trost spendend nahm er seinen Freund in die Arme, sagte nichts, als dieser sich an sein T-Shirt klammerte und anfing zu schluchzen.

„Ich hätte auf dich hören sollen, D-Danny. Du hattest R-Recht, als du…sagtest, dass e-es noch zu gefährlich war, s-sie wieder zu…sehen“, brachte er stotternd zwischen den Schluchzern hervor.

„Gib dir nicht alle Schuld! Dein Vater hat ganz bewusst versucht, dich ins Verderben zu stürzen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er es geschafft hätte“, versuchte der Halbjapaner den Blonden zu beruhigen.

„Nein… Ich hätte mich zusammenreißen müssen. Ein einziges Jahr wäre es nur noch gewesen, dann hätten wir es überstanden gehabt. Dann hätten wir endlich zusammen sein können“, widersprach Jimmy.

Langsam bekam Danny es mit der Angst zu tun. So hatte er seinen Freund noch nie erlebt! Der sonst so gelassene, heitere Junge, den normalerweise nichts beeindruckte, geschweige denn aus der Fassung brachte, klammerte sich Halt suchend an ihm fest und weinte vor Verzweiflung. Das konnte einfach nicht sein… Das durfte nicht sein! Mit bestimmtem, fast schon grobem Griff befreite sich der Halbjapaner aus der Umklammerung seines Freundes und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu sehen.

„Verdammt, Jimmy, was ist bloß los mit dir?! Ich erkenne dich nicht wieder! Wo ist mein Freund hin, der in jeder Situation einen kühlen Kopf behält und immer einen Ausweg weiß, wenn ich längst den Kopf in den Sand gesteckt habe? Wir finden einen Ausweg, das verspreche ich dir! Aber das schaffen wir nur, wenn du durchhältst! Du darfst nicht aufgeben, Jimmy, selbst wenn das jetzt schwer ist. Wenn irgendwer mitbekommt, dass deine Verteidigung anfängt zu bröckeln, haben wir verloren. Und dann gibt es auch keine Rettung mehr für Joan und dich. Aber wenn du durchhältst, dann wird es schon irgendwie gehen. Und wenn wir Joan aus diesem Kloster rausholen und ins Ausland flüchten müssen, damit sie uns endlich in Ruhe lassen.“

„Das mit dem Ausland hast du ja eh vor.“

„Und du könntest es auch. Es geht schon irgendwie.“

„Danke, Danny.“

„Hey, wozu sind Freunde sonst da?“

Der Halbjapaner war unendlich erleichtert, als er sah, dass der alte Geist seines Freundes langsam in dessen Augen zurückkehrte.

„Du musst übrigens los, sonst kommst du zu spät“, fügte Jimmy fast beiläufig an, um das Thema zu wechseln.

„Und was ist mit dir?“

Der Blonde setzte ein schiefes Grinsen auf.

„Ich bleibe heute besser hier. Die sind doch eh froh, wenn sie mich mal einen Tag nicht sehen müssen. Und die Strafarbeit ist mir egal.“

„Okay, dann komme ich nach der Schule wieder vorbei“, willigte Danny ein.

„Gut, bis dann!“

Damit sprintete der Halbjapaner davon. Wenn er sich beeilte, könnte er sogar noch pünktlich sein.
 

Genauso pünktlich, wie er in der Schule gewesen war, stand Danny am Nachmittag auch wieder vor der Tür seines Freundes. Dieser schien unheimlich erleichtert zu sein, als er den Halbjapaner erblickte. Der Tag wäre sterbenslangweilig gewesen, weil er sich nicht einmal an den Predigten und künstlichen Aufregungen der Lehrer hatte amüsieren können, meinte er. Danny konnte bei diesem Kommentar nur grinsen. Ja, langweilig war es in der Schule tatsächlich nicht gewesen, denn obwohl das derzeitige Lieblingsopfer der Pädagogen nicht anwesend gewesen war, hatten sie doch genügend Möglichkeiten gefunden, um zumindest Danny das Leben etwas schwerer zu machen. Ihre geliebte Englischlehrerin hatte zum Beispiel einen spontanen Test über genau den Stoff, den sie tags zuvor durch ihren Besuch beim Direktor verpasst hatten, schreiben lassen. Alle nicht anwesenden Schüler waren automatisch durchgefallen. Wobei sich die Anzahl dieser Schüler auf einen beschränkt hatte…

So war es etwa den ganzen Tag gelaufen. Danny erzählte es seinem Freund haarklein, der auf wirklich jedes Ereignis eine zynische Erwiderung fand. Als sich der Tag dem Ende neigte, wurde Jimmy allerdings langsam stutzig, dass der Halbjapaner noch nicht mit einer Silbe erwähnt hatte, wann er nach Hause müsste.

„Sag mal, machen sich deine Eltern nicht langsam Sorgen um dich?“, fragte er daher schließlich nach. Danny zuckte nur mit den Schultern.

„Keine Ahnung… Aber ich glaub nicht. Wir hatten uns in letzter Zeit ziemlich oft in den Haaren. Sag mal…kann ich heute vielleicht bei dir übernachten?“

„Ist es so schlimm?“

„Schlimmer.“

„Ich mein…grundsätzlich hätte ich nix dagegen. Ich bin echt froh, wenn ich ein wenig nette Gesellschaft habe, aber solltest du nicht wenigstens bei dir zu Hause Bescheid sagen? Und was ist mit deinem Zeug für morgen? Du bist doch total unvorbereitet!“

„Keine Sorge, hab alles dabei“, beruhigte ihn Danny und klopfte zur Unterstützung seiner Worte auf seinen Rucksack, „Und meine Eltern… Die können sich schon denken, wo ich bin. Falls sie sich Sorgen machen, können sie mich auch anrufen.“

„Na gut…wenn du meinst.“
 

Am Donnerstag ging Jimmy wieder zusammen mit Danny zur Schule – und bekam natürlich prompt seine Strafen für den unentschuldigt gefehlten Tag. Gleich zum Stundenbeginn wurde er ins Zimmer des Direktors geschickt, der, seinem Gesichtsausdruck nach, alles andere als gute Nachrichten zu verkünden hatte.

Auf der Hofpause erzählte er dem Halbjapaner, worüber der Direktor mit ihm hatte sprechen wollen. Diesmal waren beide nicht auf das Dach des Schulhauses gegangen. Die Leute mieden sie mittlerweile überall, sodass sie auch auf dem mit Schülern überfüllten Schulhof ihre Privatsphäre hatten.

„Und? Was hat er nun gesagt?“, fragte Danny ungeduldig.

„Ach, nur, dass ich ja ein schlechtes Vorbild für die Schüler wäre und so. Der Alte hat ’ne ganze Weile-“

Ein Papierkügelchen traf ihn am Hinterkopf. Der Blonde ignorierte es und sprach weiter.

„-aufgezählt, was ich so für schlimme Sachen mache und so. Na ja, letztendlich ist er-“

Wieder ein Knöllchen.

„-zu dem Schluss gekommen, dass es wohl das Beste ist, wenn er mich von der Schule wirft.“

„Echt jetzt?! Das hat er gesagt?“, fragte Danny ungläubig.

„Wenn ich es dir doch sage! Aber sehen wir es so: Dann werde ich…wenigstens nicht mehr mit diesen lästigen Papierkugeln beworfen.“

Genervt verdrehte er die Augen. Ansonsten blieb Jimmy jedoch ruhig. Danny spürte einen leichten Windhauch an seinem Hinterkopf, riss, mehr aus Reflex, seinen Kopf zur Seite und spürte praktisch im selben Moment eines der besagten Knöllchen dicht an seinem Ohr vorbeifliegen.

„Da ist was dran“, stimmte er dem Blonden zu.

„Das will ich auch können!“, gab dieser zurück und bekam, wie zur Bestätigung, ein weiteres Kügelchen an den Hinterkopf.

„Na dann übe schon mal fleißig. Gelegenheiten hast du hier ja zu genüge“, gab Danny neckend zurück.
 

Auch wenn es ihnen niemand einfach machen wollte, verlief der restliche Schultag für beide Jungen recht angenehm. Jimmy hatte sein Tief vom Vortag überwunden und Danny konnte gar nicht anders, als sich darüber zu freuen und die Welt gleich ein Stück freundlicher zu betrachten. Wahrscheinlich stimmte es wirklich, dass das Leben nur so war, wie man es selbst sehen wollte. Man musste sich bloß die richtige Seite aussuchen, dann klappte es schon.

Dass das Ganze doch nicht so einfach war, mussten beide feststellen, als sie nach der Schule nach Hause kamen und Jimmy zwischen den immer mehr werdenden Briefen wütender Zeitungsleser die aktuelle Zeitung herausfischte. Es gab einen neuen längeren Artikel über ihn und seine Schwester.
 

„Der Schrecken nimmt kein Ende

von Peter Bark
 

Liebe Leserinnen und Leser,

Tag und Nacht ist unser Team auf den Beinen, um Sie über die neuesten Vorkommnisse im Fall Jim Taylor unterrichten zu können. Damit wir sie möglichst umfangreich informieren können, hat sich gestern sogar die Mutter des Jungen, Elizabeth Taylor, zu diesem Fall geäußert. Wir wissen nun, dass dieses geheime Spiel mit dem Teufel bereits seit über zwei Jahren gespielt wird. Man sah es Frau Taylor deutlich an, wie sehr sie diese Tatsache mitgekommen hat, wie schwer es ihr fällt, mit der immer weiter eskalierenden Situation umgehen zu können. Daher hat sie nun einen endgültigen Entschluss gefasst: Sie wird ihre Tochter in ein Kloster schicken, um den Kontakt zu deren Bruder ein für alle Mal zu unterbinden.

„Es fällt mir sehr schwer, meine geliebte Tochter aufzugeben, doch gerade weil ich sie so sehr liebe, ist es meine Pflicht, sie vor diesem Verfall zu beschützen.“ So die mühsam herausgepressten Worte der verzweifelten Mutter. Was haben ihre Kinder ihr nur angetan? Sehen sie denn nicht, wie schwer ihre liebenden Eltern unter ihrem Teufelswerk zu leiden haben? Und nicht nur diese, auch Freunde und Bekannte der Familie, die jetzt von den schrecklichen Ereignissen der vergangenen zwei Jahre erfahren haben, sind herbei gekommen, um ihnen Beistand zu leisten. Dieser Schock hat alle schwer getroffen.

„Mein kleiner Junge hat früher oft mit den Geschwistern gespielt. Ich habe solche Angst, dass aus ihm auch irgendwann so etwas wird“, erzählte uns die ehemalige Nachbarin der Taylors. Auch die Lehrer von Joan Taylor sind besorgt.

„Seit dieser Artikel in der Zeitung stand, fehlen immer mehr Schüler. Die Eltern haben Angst, ihre Kinder noch in die Nähe des Mädchens zu lassen. Und ich kann sie auch verstehen. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass mit Joan irgendetwas nicht stimmte. Ihr Verhalten wirkte immer so aufgesetzt. Aber dass es so ernst ist, hätte ich nie für möglich gehalten.“ Dies teilte uns die Direktorin der Schule, welche Joan Taylor momentan noch besucht, neulich mit. Die viel beschäftigte Frau fühlt sich am Ausgang der Ereignisse mitschuldig, weil das Mädchen seit dem letzten Jahr unter ihrer Obhut stand und sie trotzdem nicht hatte helfen können, das Unglück zu beenden. Dabei konnte sie genauso wenig dafür wie alle anderen auch. Wer hätte die Kinder noch beeinflussen können, wenn ihre eigenen Eltern dies schon nicht geschafft hatten? Ich möchte niemandem zu nahe treten, doch in meiner langjährigen Tätigkeit als Reporter bin ich noch nie auf einen Fall ähnlich schwer erziehbarer Kinder gestoßen. Hoffen wir, dass mit dem Einzug von Joan Taylor in ein abgelegenes Kloster endlich wieder Frieden einkehren kann.

Wir werden Sie weiterhin über den Lauf der Dinge informieren.“
 

Dannys Atem war flach und abgehackt. Ein einziger Gedanke beherrschte ihn:

‚Das kann nicht sein Ernst sein!’

Erst das immer heftiger werdende Zittern seines Freundes riss ihn aus seinem tranceartigen Zustand. Vorsichtig nahm er ihm die Zeitung aus der Hand und knüllte sie dann so klein wie möglich zusammen.

„So ein Scheiß! So ein absoluter Schwachsinn! Die schrecken aber auch vor nichts zurück!“, fluchte der Halbjapaner.

„Lass gut sein, Danny“, unterbrach ihn Jimmy gebrochen, „Dagegen können wir eh nichts ausrichten.“

„Jimmy…“

„Ist schon gut. Ich weiß, du meinst es gut, aber mir ist jetzt nicht nach reden oder gar fluchen zumute.“

Danny ließ die zerknüllte Zeitung sinken und betrachtete seinen Freund für einige Augenblicke. Er hatte den Kopf gesenkt, sein Blick schien leer und ziellos. So schwer es ihm auch fiel, sich dies einzugestehen – vielleicht brauchte Jimmy jetzt einfach etwas Zeit für sich. Auch wenn der Halbjapaner sein bester und einzig wahrer Freund war, so schien er im Moment doch fehl am Platz zu sein.

„…Wenn du jetzt lieber allein sein möchtest, dann kann ich das verstehen.“

Die Worte kosteten Danny viel Überwindung. Er wollte den Blonden nicht allein lassen. Nicht jetzt. Nicht so.

„Du störst mich nicht, keine Sorge.“

Mit der Antwort hatte der Halbjapaner bereits gerechnet. In so einer Situation hätte sein Freund ihn niemals einfach vor die Tür gesetzt.

„Trotzdem… Ich schätze, du könntest jetzt einfach ein wenig Ruhe vertragen. Und ich müsste mich eh mal wieder zu Hause melden.“

„Na gut. Ich will dich nicht aufhalten.“

Langsam sammelte Danny seine paar Sachen zusammen und stopfte sie in seinen Rucksack.

„Wenn was ist, dann ruf mich einfach an, ja?“

„Okay. Kommst du morgen nach der Schule vorbei?“

Stimmt, er war ja jetzt vom Schuldienst suspendiert… Daran hatte Danny gar nicht mehr gedacht.

„Mach ich. Bis dann!“

„Bis dann. Viel Glück zu Hause.“
 

„Hättest du nicht noch ein wenig länger wegbleiben können?“, war das Erste und Einzige, was Danny an diesem Tag von seinem Vater zu hören bekam.

Diesmal schüttelte er nur den Kopf darüber. War ihm die Meinung der Nachbarschaft so viel wichtiger als sein eigener Sohn? Resigniert und ohne einen weiteren Kommentar ging er rauf in sein Zimmer. Er war zu abgeschlafft, zu deprimiert, um sich jetzt noch mit irgendwem zu streiten.

Kurze Zeit später klopfte es an der Tür. Diesmal hatte Danny nicht einmal daran gedacht abzuschließen. So kam seine Mutter auch ohne Probleme hinein. Der Halbjapaner hatte sie vorhin gar nicht richtig gesehen, doch nun bemerkte er, dass ihr Gesicht in den wenigen Tagen um viele Jahre gealtert zu sein schien.

„Danny, wir müssen reden. So kann das nicht weitergehen.“

Ihr Sohn sah sie emotionslos an. Sie setzte sich neben ihn auf die Bettkante.

„Warum…warum hältst du zu diesem Jungen?“

„Weil er mein Freund ist.“

„Du weißt doch ganz genau, wie falsch es ist, was er macht. Wie kannst du ihn da noch deinen Freund nennen? Ich erkenne dich kaum wieder. Du warst doch sonst immer so vorbildlich…so lieb.“

„Meinst du, mich hat es nicht auch erst mal erschreckt, als ich das erfahren habe? Ich hielt es erst für einen bösen Scherz, doch es ist ihm wirklich ernst. Er liebt sie. Er liebt sie so sehr, dass er all das für sie in Kauf nimmt.“

„Das kann man doch keine richtige Liebe nennen.“

„Liebst du denn Vater?“

„Danny, das ist kein Vergleich.“

„Doch, es ist einer. Der beste, der mir einfällt.“

Seine Mutter schwieg eine Weile. Dann schüttelte sie resigniert den Kopf.

„Du verstehst mich nicht, Danny.“

„Und du verstehst mich nicht.“

„Ich habe langsam das Gefühl, dass da mehr zwischen euch ist als nur Freundschaft“, offenbarte sie ihm nach einer weiteren kurzen Pause vorsichtig.

„Willst du damit sagen, dass ich schwul bin? Also auf die Idee bin ich auch noch nicht gekommen. Was für ’ne verkehrte Welt!“, antwortete der Halbjapaner zynisch.

Seine Mutter schien der schneidige Tonfall mehr getroffen zu haben, als Danny beabsichtigt hatte. Ihre ohnehin schon rot unterlaufenen Augen füllten sich erneut mit Tränen, sie wandte das Gesicht von ihrem Sohn ab und machte sich auf den Weg Richtung Tür.

„Das Gespräch wird wohl nichts bringen. Ich bitte dich nur, Danny, sei vorsichtig, bei dem was du tust, und mach uns und dir nicht noch größere Probleme.“

Damit war sie aus dem Zimmer verschwunden. Mit ihr schienen auch Dannys sämtliche Gedanken und Emotionen den Raum verlassen zu haben.
 

Als Danny tags darauf seinen Freund erblickte, wäre er fast die eine Stufe vor seiner Tür rückwärts runtergestolpert.

„Oh mein Gott, was ist denn mit dir passiert?!“, brachte er aufgeregt heraus, als er seine Sprache endlich wieder gefunden hatte.

Jimmy schnaubte abfällig.

„Mein Vater war heute hier. Hätte ich es gewusst, hätte ich ihn natürlich gar nicht erst reingelassen, aber ich dachte, du wärst es vielleicht. Sahst gestern so besorgt aus.“

„Was wollte der denn von dir?“

„Das Übliche. Streit. Er hatte wohl Probleme mit irgendwem wegen der ganzen Sache mit der Zeitung oder so. Keine Ahnung. Hab nicht richtig hingehört. Ich war bloß froh, als er endlich wieder draußen war.“

„Das kann ich mir vorstellen. Du siehst schrecklich aus.“

„Ach, jetzt geht es schon wieder. Vorhin sah es schlimmer aus.“

Jimmy klang, als wäre ihm völlig egal, was mit ihm passiert war. Nicht eine Regung zeigte sich in seinem Gesicht, nicht ein Ton veränderte sich am Klang seiner Stimme, während er dem Halbjapaner das erzählt hatte. Erst der Zeitungsartikel vom Vortag und jetzt das! Warum gönnte niemand Jimmy eine kurze Pause? Wie sollte er das nur überstehen? Danny machte sich Sorgen um seinen Freund. Er war nicht mehr der, den er seit Jahren kannte. Jimmy begann, sich zu verändern. In eine Richtung, die dem Halbjapaner ganz und gar nicht gefiel. Und dann hatte er vor ein paar Stunden auch noch erfahren, dass sein Sensei ihn heute wieder zum Training sehen wollte. Ein unpassenderes Timing gab es wirklich nicht.

„Hey, ich muss heute noch einkaufen. Hast du Lust mitzukommen?“, wechselte Jimmy – genauso monoton – das Thema.

„Ich würde wirklich gern…aber mein Sensei hat sich schon wieder gemeldet“, gab Danny gedrückt zurück.

„Na ja, macht nichts. Aber wir können uns zumindest zusammen auf den Weg machen.“

„Jetzt? So, wie du aussiehst? Soll ich dir nicht lieber was mitbringen?“, fragte der Braunhaarige verwundert.

„Ist doch egal. Mich stört es nicht. Also kommst du nun mit?“

„…J-ja, klar…“

Nein. Das gefiel Danny überhaupt nicht…
 

Wie immer, wenn sie gemeinsam diesen Weg entlangliefen, kamen sie an dem alten Wohnhaus vorbei, in dem sie vor vielen Jahren gewohnt, wo sie sich kennen gelernt hatten. Dieses Gebäude barg eine Menge schöner Erinnerungen für beide, doch es war sehr alt und befand sich an einer stark befahrenen Straße, weshalb schon frühzeitig niemand mehr dort hatte wohnen wollen.

„Jimmy, erinnerst du dich noch daran, wie wir immer in den Gängen Fange gespielt haben?“

„Ja! Und niemand hat sich beschwert. War ja auch kaum einer da, der sich beschweren konnte“, witzelte er zurück.

Ein nostalgischer Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Blonden. Danny atmete auf. Zumindest zeigte sein Gesicht jetzt wieder eine menschliche Regung.

„Schade, dass sie es abreißen. Immer, wenn ich hier vorbeikomme und das immer dünner werdende Skelett betrachte, habe ich das Gefühl, meine Vergangenheit liegt noch irgendwo da drinnen und würde zusammen mit diesem Haus verschwinden.“

„Ach komm schon, Jimmy! Deine Vergangenheit sind deine Erinnerungen! Und die liegen tief in deinem Herzen. Oder willst du alles einfach vergessen, wenn das Haus weg ist?“

„Natürlich nicht. Aber irgendwie…fühle ich mich immer noch mit ihm verbunden.“

Jimmys nostalgischer Blick war mittlerweile einer brennenden Sehnsucht gewichen und verlor sich gleichzeitig immer mehr in den geisterhaften, schwarzen Löchern des Hauses, die einst große Fenster mit weitem Blick über die Stadt gewesen waren. Langsam bereute Danny es, dieses Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Er hatte gehofft, Jimmy mit etwas Smalltalk über die alten Zeiten ein wenig aufheitern zu können, doch stattdessen schien dieser den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren. Mit einem leichten Ruck zog er ihn weiter und wechselte schnell das Thema.

„Na komm schon. Du wolltest doch noch einkaufen? Was brauchst du eigentlich?“

Eigentlich interessierte es ihn gar nicht. Hauptsache, Jimmy kam von diesem Haus weg.
 

Nach dem Training rief Danny noch einmal bei seinem Freund an, um sich nach dessen Befinden zu erkunden. Doch anstatt der erhofften guten Nachrichten kam nur eine schlechte:

„Den Leuten ist Briefchen schreiben anscheinend nicht mehr genug. Als ich vom Einkaufen gekommen bin, war meine Fensterscheibe eingeschlagen.“

„Oh Gott…“

Jimmys Zimmer war nicht sonderlich groß: Ein Schreibtisch direkt unter dem Fenster, das schmale Bett stand quer an der Wand links davon, daneben ein kleiner Nachttisch, auf der Wand gegenüber ein alter Kleiderschrank – das war’s. Die Scherben waren mit Sicherheit durch den ganzen Raum geflogen. Was alles hätte passieren können, wenn Jimmy dort gewesen wäre… Das wollte Danny sich gar nicht erst ausmalen.

„Ich komm kurz rum und-“

„Nein“, schnitt der Blonde ihn ruhig, aber bestimmt ab.

„Warum nicht?“

„Du hast schon genug Ärger wegen mir. Alle schauen dich verächtlich an, keiner spricht mit dir und mit deinen Eltern hast du auch nur noch Streit. Und das alles nur, weil du zu mir hältst.“

„Das kümmert mich nicht. Ich will bloß, dass dir nichts passiert. Ich komme schon klar.“

„Das ist nett von dir, wirklich, aber ich bin in Ordnung. Der Hausmeister hat erst mal ein Brett vor das kaputte Fenster genagelt und die Splitter hab ich auch alle aufgesammelt. Es gibt also wirklich keinen Grund, weshalb du noch vorbeikommen müsstest.“

„…Na gut. Wenn du nicht willst…“

„Nein, wirklich nicht. Geh erst mal nach Hause. Wir sehen uns am Montag. Mach’s gut.“

„Okay, mach’s gut.“

‚Am Montag’? Warum erst am Montag? Diese Frage hatte Danny ihm noch stellen wollen, doch sein Freund hatte sich so schnell verabschiedet, dass er gar nicht mehr dazu gekommen war. Vielleicht sollte er zurückrufen und ihn fragen? …Nein. Wahrscheinlich würde er eh keine Antwort bekommen, sonst hätte Jimmy ihn jetzt nicht so schnell abgewimmelt. Aber seltsam kam es ihm schon vor. Warum nicht schon am Wochenende?

Danny dachte den ganzen Heimweg über diese letzten Worte nach. Am liebsten wäre er bei seinem Freund vorbeigegangen, doch dieser hatte ausdrücklich gesagt, dass er ihn nicht sehen wollte, also ließ er es lieber doch bleiben. Dabei traf Jimmy doch keine Schuld an seiner Lage. Er hatte sich diesen Weg selbst ausgewählt. Es tat ihm weh, wenn er bedachte, dass er seinem Freund doch nur helfen wollte und dieser sich jetzt vielleicht auch noch dafür die Schuld gab.

Auch zu Hause grübelte er noch eine ganze Weile darüber nach. Es war ihm nicht einmal mehr aufgefallen, dass keiner seiner Elternteile ihn begrüßt hatte. Nicht mal mit einem Blick oder einer dummen Bemerkung.

So schlief Danny auch erst spät ein und fiel nur in einen unruhigen Dämmerzustand.
 

Am nächsten Morgen fühlte er sich wie gerädert. Mit schweren Gliedern schleppte er sich zum Waschbecken und versuchte vergeblich, sich die Müdigkeit aus dem Gesicht zu waschen.

‚Wir sehen uns am Montag.’

Wieder kamen ihm die Worte seines Freundes in den Kopf. Er hatte sogar davon geträumt. Viel wusste er nicht mehr, doch er erinnerte sich, dass es Montag war und er Jimmy zur Schule abholen wollte, doch als er bei seiner Wohnung ankam, war diese verschwunden. Genauso wie ihr neuer Besitzer.

Natürlich war das nur ein Traum und Träume, das wusste Danny, spiegelten bloß Ereignisse oder Gedanken wider, die tagsüber nicht richtig verarbeitet worden waren. Deshalb waren sie manchmal auch so konfus. Wahrscheinlich hatte Danny ihn deshalb auch zur Schule abholen wollen.

Trotzdem. Dieses ungute Gefühl ließ ihn nicht mehr los. Er beschloss, einfach bei seinem Freund vorbeizuschauen, nachdem er sich fertig gemacht hatte. Am besten rief er gar nicht erst vorher an.

Als er jedoch an Jimmys Wohnung ankam, war es totenstill. Niemand reagierte auf sein Klopfen oder Rufen. War er etwa nicht da? Aber wo wollte er schon groß hin? So gefährlich, wie es derzeit für ihn war…

Er presste sein Ohr dicht an die dünne Tür. Doch statt eines Geräusches nahm er etwas anderes wahr: Ein leichter Alkoholgeruch stieg ihm in die Nase.

Jetzt hatte er genug! Ganz egal, ob er später Ärger dafür bekommen würde! Mit zwei kräftigen Tritten hatte er die Tür aufgestoßen und konnte ins Innere des Zimmers sehen. Jetzt wurde der Geruch ganz deutlich. Unter dem Bett fand Danny eine beachtliche Anzahl Bier- und Whiskeyflaschen, die kreuz und quer durcheinander lagen. Alle waren leer. Und Jimmy war nirgends zu sehen.

Der Halbjapaner bemerkte, wie sein Herz zu rasen begann. Wo konnte er nur sein? Es gab doch keinen weiteren Ort, an den er sich zurückziehen könnte…

„Verdammt, Jimmy, was machst du bloß…?“, hauchte er verzweifelt in den leeren Raum hinein.

Plötzlich traf es ihn wie ein Blitz: Das Hochhaus! Es war ihm gestern schon so komisch vorgekommen, wie er es betrachtet hatte. Und seine Worte darüber… Ja, es war der einzige Ort, an den er sich jetzt flüchten würde.

Das wütende Gemecker des Hausmeisters über die eingebrochene Tür ignorierend, stürmte er wieder davon und schickte ein Stoßgebet gen Himmel mit der Bitte, dass es noch nicht zu spät sei. Blindlings rannte er durch die Straßen, bekam gar nicht mit, wie er gelegentlich ein paar Passanten anrempelte. Kurz vor seinem Ziel war er sogar über den Besen eines die Straße fegenden Mannes mittleren Alters gestolpert. Sein empörtes „Hey! Pass doch auf!“ ignorierte er einfach. Er war fast da, suchte das tote Skelett nach Lebenszeichen ab.

Da…auf dem Dach! Hatte er dort nicht gerade eine Bewegung gesehen? Sofort beschleunigte Danny seinen Lauf. Dass der Mann ihm weiterhin nachrief und nun auch andere Leute aus ihren Fenstern lugten, störte ihn nicht. Sein Ziel war das Dach dieses Hauses.
 

Schwer atmend kam er in der letzten Etage des fünfzehnstöckigen Hauses an und öffnete die Luke zum Dach. Mehrmals hatte er aufpassen müssen, dass er nicht in ein Loch trat oder möglichst nah an der Wand entlang lief, weil das Geländer an vielen Stellen bereits heraus gebrochen war.

Schließlich kletterte er die letzten paar Stufen zu den zugigen Höhen hinauf und streckte vorsichtig seinen Kopf hinaus. Er hatte sich nicht geirrt. Es befand sich tatsächlich jemand auf dem Dach. Und sein Verdacht, um wen es sich handelte, bestätigte sich auch sofort.

„Verdammt, Jimmy, was soll der Scheiß?! Weißt du, was du mir für einen Schrecken eingejagt hast?“, rief er ihm zu, während er langsam auf seinen Freund zugekrabbelt kam. Hier war es wirklich verdammt zugig. Und das Dach war an einigen Stellen auch schon weggebrochen.

„Hi Kumpel, was machst du denn hier?“, fragte Jimmy belustigt zurück. An den paar Worten merkte der Halbjapaner bereits, dass sein Freund wohl noch eine gehörige Portion Alkohol intus haben musste.

„Dich wieder runterschaffen! Und jetzt komm!“

Vorsichtig streckte Danny ihm die Hand aus, doch Jimmy sah sie nur aus verschleierten Augen an. Schließlich schüttelte er mit dem Kopf.

„Nein… Ich kann nicht.“

„Was heißt hier ‚du kannst nicht’?“

„Ich kann nicht mit dir zurückkommen. Ich schaff das nicht.“

Eine eisige Hand krallte nach Dannys Herz. Das konnte nicht sein Ernst sein!

„Natürlich kannst du mit mir zurückkommen! Ich bin doch bei dir. Wir schaffen das schon.“

„Ich weiß… Du warst immer bei mir. Und du wirst es auch immer sein.“

Ein trauriges Lächeln zierte seine Lippen, als er eine kurze Pause machte.

„Irgendwie habe ich gewusst, dass du kommst. Auch wenn ich es nicht wollte. Aber… Ich hab’s gewusst, weil du immer da bist, wenn ich dich brauche.“

Eine einzelne Träne stahl sich aus seinem Auge.

„Und dafür bin ich dir sehr dankbar. Es tut mir Leid, dass ich dir so zur Last gefallen bin. Du bist mein bester Freund, Danny. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen noch länger leidest. Bitte vergiss mich nicht. Ich werde immer bei dir sein.“

„Nein, nein…!“, krächzte der Halbjapaner mit piepsiger Stimme und versuchte, nach seinem Freund zu greifen, doch in diesem Moment stieß er sich ab und ließ sich nach hinten fallen.

„Danke für alles“, hörte er seine Worte leise verklingen.

Tränen versperrten ihm die Sicht, als er sich weiter vorlehnte, um in einem letzten verzweifelten Versuch nach seinem Freund zu fassen.

„Nein! NEIN!!! JIMMYYYYY!!!“
 

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An dieser Stelle warne ich gleich mal vor: Das nächste Kapitel ist noch NICHT fertig. Und die Uni hört meinetwegen trotzdem nicht auf… Trotz allem möchte ich versuchen, endlich weiter zu kommen, damit ich die Sache mit der Vergangenheit endlich abschließen kann. Lange genug hat es ja gedauert und ich möchte endlich in die Gegenwart zurück ^^v.

Ein großes DANKESCHÖN möchte ich an dieser Stelle an LadySaphira aussprechen, die plötzlich nach soooo langer Zeit noch auf meine Geschichte gestoßen ist und so lieb war, mir gleich zwei Kommentare zu hinterlassen *g*. Das hat mich wohl wachgerüttelt, sodass es jetzt endlich weiter gehen kann.

Grüße und bis zum nächsten Mal!

Lady_Ocean
 

p.S.: Ach ja, zwei Sachen noch: Falls ich irgendwo bei einem Zeitungsartikel die Formatierung vergessen habe, sagt mir das bitte. Ich habe es zwar noch mal überflogen, aber ich werde das Gefühl nicht los, einen übersehen zu haben.

Zweitens: Einigen habe ich die Kapitel ja immer per Mail geschickt. Bis zum wievielten habt ihr die? Nach so langer Pause habe ich es leider aus den Augen verloren ^^v.

Jimmy (Teil 4)

Ja~, ihr musstet mal wieder viel zu lange auf das nächste Kapitel warten, ich weiß. Aber hey, seht es mal positiv: Für den letzten Teil habe ich fast ein Jahr gebraucht, für den hier nur drei Monate. Das ist doch schon mal was, oder? (Dass dieses Kapitel schon seit langem fertig ist und ich mir bloß noch die Korrekturen meiner Beta anschauen musste, sag ich besser nicht *hüstel*.)

Jedenfalls ist es jetzt fertig zum Hochladen. Frisch nach meiner Weisheitszahn-OP kann ich eh nicht so viel machen, also habe ich „gezwungenermaßen“ gerade so was wie Freizeit ^^.

Viel Spaß damit!
 

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Jimmy (Teil 4)
 

„JIMMYYYYY!!!“

Verzweifelt krallte Danny sich an der Kante des Daches fest und beugte sich weiter nach vorn. Wie in Zeitlupe sah er seinen Freund fallen, fast so wie in einem Film. Der Aufschlag war selbst in seiner Höhe noch deutlich hörbar und im selben Moment, als er realisierte, was gerade geschehen war, gaben seine Arme nach und er kippte nach vorn. Seine Sicht begann, durch die hervorbrechenden Tränen zu verschwimmen, wie aus weiter Ferne nahm er Stimmen wahr, spürte einen kurzen, heftigen Ruck an seinem T-Shirt und fiel rücklings auf das Dach zurück, sein Kopf schlug ungebremst auf dem harten Stein auf.

„Nein…Jimmy… Ich muss zu ihm…“, nuschelte er noch leise, dann war alles schwarz.
 

Als er wieder zu sich kam, befand er sich einige Meter vor dem Hochhaus, auf einer Bahre liegend. Man hatte ihm ein Atemgerät übergestülpt und die Beine angewinkelt. Es dauerte eine Weile, bis sich die weißen Punkte vor seinen Augen soweit zurückgezogen hatten, dass er auch Genaueres sehen konnte.

Überall liefen Notärzte und Polizisten herum, hauptsächlich damit beschäftigt, die immer größer werdende Schar an Schaulustigen fernzuhalten.

Er versuchte, sich noch ein Stück weiter zu drehen, doch sofort wurde das Blinken vor seinen Augen wieder heftiger und das Rauschen in seinen Ohren – als Fiepen konnte man es schon nicht mehr bezeichnen – lauter. Das Schwindelgefühl in seinem Kopf ließ ihm regelrecht schlecht werden. Danny stöhnte gequält auf.

An einer Hausecke sah er einen Krankentransporter stehen. Einige Notärzte standen um diesen herum. Zwei öffneten gerade die hinteren Türen, während andere in Richtung des Hauses eilten und ihre Kollegen abpassten, die von dort her gerade eine Bahre zum Fahrzeug schoben, auf welcher etwas mit einem schwarzen Tuch bedeckt war.

‚Jimmy…’, ging es Danny noch einmal durch den Kopf, bevor er erneut das Bewusstsein verlor.
 

Als er abermals erwachte, befand er sich in irgendeinem Krankenhaus. Es musste mitten in der Nacht sein, denn bis auf den kläglichen Lichtstrahl, der unter der Tür durchschimmerte, war das Zimmer dunkel. Danny stieg der beißende Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase, der ihm gleich wieder übel werden ließ.

Einzelne Tränen rollten ihm über die Wange. Er konnte nicht beschreiben, wie er sich jetzt fühlte. Bisher hatte er immer gedacht, wenn man einen geliebten Menschen verlor, brach man in sintflutartige Heulkrämpfe aus und fing an, sich aus tiefstem Herzen zu wünschen, denjenigen irgendwie wieder beleben zu können, egal welche Opfer man dafür bringen müsste. Aber Danny fühlte gar nichts. Er war wie betäubt. Wahrscheinlich war die ganze Tragweite dieses schrecklichen Ereignisses noch gar nicht zu ihm durchgedrungen. Seine feuchten Augen waren stumm zur Tür gerichtet, so als würde er jeden Moment erwarten, dass sein Freund dort hereinspaziert käme und ihn fragte, was er denn jetzt schon wieder angestellt hätte, dass er hier gelandet war.

Doch Jimmy kam nicht.

Niemand kam. Warum auch? Es war ja mitten in der Nacht. Keiner würde annehmen, dass er wach war. Und er wollte auch nicht, dass jemand sich um ihn kümmerte. Ihm war es egal, ob irgendwas mit ihm war. Jimmy hatte auch niemand geholfen…

Ein halb unterdrücktes Schluchzen verließ seine Kehle. Fast schon schmerzhaft presste er die Augen zusammen und krallte seine Hände in die dünne Decke, die man über seinen Körper gelegt hatte.

Es tat so weh. Diese Ohnmacht, dass nun alles endgültig, für immer entschieden und niemals rückgängig zu machen war, schlich sich immer tiefer in sein Bewusstsein. Unaufhaltsam und gnadenlos. Nicht nur, dass er seinen besten Freund verloren hatte, einen Menschen, den er für seinen Mut und seine innere Stärke stets bewundert und für ihre unzertrennliche Freundschaft wie einen Bruder geliebt hatte. Es war vor allem auch ein sinnloser Tod gewesen, der niemals hätte sein müssen. Die Gesellschaft, seine so genannten „Freunde“, sogar seine eigenen Eltern hatten ihn dorthin getrieben, wo er jetzt war. Und das nur, weil er sich unglücklicherweise in einen Menschen verliebt hatte, den er nicht lieben durfte.

Neben der Ohnmacht spürte Danny nun auch Wut in sich aufkeimen. Wut, wenn nicht sogar Hass auf all diese oberflächlichen, armseligen Kreaturen, die diesen einzigartigen Menschen zugrunde gerichtet hatten. In diesem Moment schwor Danny sich, dass er ihnen allen niemals verzeihen würde. Keinem einzigen, der seinen Teil zu Jimmys Schicksal beigetragen hatte.
 

Am nächsten Morgen erwachte er durch ein Gespräch ganz in seiner Nähe aus einem unruhigen, von Alpträumen geprägten Dämmerschlaf. Er erkannte die Stimmen seiner Eltern, die gedämpft mit irgendeiner anderen Person sprachen, wahrscheinlich einem Arzt. Dem Gespräch konnte er entnehmen, dass ihm soweit wohl nichts fehlte. Der Doktor laberte irgendwas von „Schock“ und „Kreislaufzusammenbruch“, aber so genau hatte er da nicht hingehört.

Es war ihm egal.

Nachdem der Arzt verschwunden war, blieben nur seine Eltern zurück, doch Danny wollte nicht mit ihnen reden, deshalb stellte er sich weiter schlafend. Die Besucher erwiesen sich jedoch als sehr geduldig und verharrten wahrscheinlich stundenlang fast geräuschlos in dem kleinen Krankenzimmer. Es stand immer mal wieder jemand auf und verließ den Raum, doch mindestens einer von beiden blieb stets zurück. Irgendwann, als Dannys Vater gerade den Raum verlassen hatte, sprach seine Mutter ihn in der Hoffnung, eine Reaktion zu erhalten, einfach an:

„Es tut mir Leid, Danny. Dass du so etwas mit ansehen musstest…“

Und das war ihre größte Sorge? Der Halbjapaner hielt unmerklich den Atem an, blieb aber weiterhin ruhig.

„Wer hätte auch ahnen können, dass Jimmy so weit geht? Noch dazu, wenn du dabei bist. Seinem besten Freund so einen Schock zu versetzen…“

„Hör auf“, unterbrach Danny sie leise. „Du hast doch keine Ahnung.“

Die Frau wollte ihrem Sohn ins Gesicht sehen, doch Danny war durch dieses Gespräch schon wieder den Tränen nahe. Diese Blöße wollte er sich nicht geben, also drehte er sich auf die andere Seite. Seine Mutter seufzte schwer, gab aber nach und setzte sich wieder hin. Ein paar Minuten schwieg sie, bevor sie erneut zum Sprechen ansetzte:

„Der Arzt hat gesagt, dass dir nichts fehlt. Du kannst nachher mit nach Hause kommen.“

Schweigen.

Dannys Mutter stand erneut auf und trat einige Schritte auf sein Bett zu, dann sprach sie weiter. Ein Hauch Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit.

„Danny, bitte…! Verschließ dich nicht so. Es macht mir Angst, dass ich dich vielleicht verlieren könnte…“

Die Frau wollte noch weiter sprechen, das merkte man an ihrer Stimmlage, doch sie brach ab, denn in diesem Moment kam Dannys Vater zurück. Er bemerkte die veränderte Lage sofort und fragte seine Frau:

„Ist er endlich wach?“

Danny selbst hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Vater anzusehen, sodass er auch nicht mitbekam, dass dieser ihn ebenfalls geflissentlich ignorierte. Mehr als diese eine Frage schien ihn eh nicht zu interessieren, denn man vernahm von ihm nur einen zustimmenden Laut und eine knappe Antwort.

„Dann soll er langsam aufstehen und runter kommen. Ich fahre schon mal den Wagen vor.“

Damit verschwand der Mann wieder. Danny hatte erst mit dem Gedanken gespielt, einfach liegen zu bleiben und so zu tun, als hätte er nichts gehört, doch das war ihm nach einer weiteren Überlegung bereits wieder zu kindisch. Und hier bleiben wollte er im Grunde auch nicht. Also stand er kommentarlos auf, zog gemächlich seine Schuhe an, die ordentlich vor seinem Bett standen, und nahm dann seine Jacke zur Hand, die neben der Tür an einem Kleiderhaken hing. Dann wartete er einfach, bis seine Mutter voranging und trottete ihr teilnahmslos hinterher.
 

Zu Hause angekommen, ging er geradewegs in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er wollte jetzt seine Ruhe haben, brauchte sie auch unbedingt. Das hatte er während der Autofahrt deutlich gemerkt, denn obwohl niemand etwas gesagt hatte, hatte es stark an seinen Nerven gezehrt. Schon die Tatsache, dass er nicht allein und unbeobachtet gewesen war, war belastend gewesen, hinzu kam noch das Wissen, dass seine Eltern seinen besten Freund Jimmy, den auch sie bereits seit Jahren gekannt hatten, mit einem Mal so verurteilt hatten. Das war es, was ihm am meisten zu schaffen machte und weshalb er im Moment einfach keinen von beiden sehen wollte.

Irgendwann am Abend klopfte es an der Tür. Seine Mutter stand davor und wollte ihm etwas zu essen bringen. Danny reagierte nicht. Er hatte eh keinen Hunger. Und so saß er nur weiter stumm und in sich zusammengekauert in der hintersten Ecke seines Bettes und starrte gedankenverloren und ohne wirklichen Bezugspunkt aus dem Fenster. Er versuchte nun schon seit Stunden, seinen Geist auf irgendetwas zu fokussieren, doch es gelang ihm einfach nicht. Immer und immer wieder wurden seine Gedanken zu jener grausigen Szene auf dem Dach des alten Hauses zurückgerissen, wo er seinen besten Freund zum letzten Mal in seinem Leben gesehen hatte. Noch immer glaubte er, dieses haarsträubende Geräusch, als würde etwas zerplatzen und zerbrechen, entfernt wahrnehmen zu können. Es bereitete ihm eine Gänsehaut. Würde er nicht permanent versuchen, diese Eindrücke aus seinem Kopf zu verbannen, hätten sie ihn wahrscheinlich längst verrückt gemacht. Dass er dabei seine Hände die ganze Zeit über so fest in seine Oberarme gekrallt hatte, dass diese bereits blutrot angelaufen waren, nahm er gar nicht wahr.

Erst spät in der Nacht, als seine Kehle bereits so ausgedörrt war, als hätte er einige Tage ohne zu trinken in der Wüste verbracht, raffte er sich dazu auf, nach draußen zu gehen und ein Glas Wasser zu holen. Außerhalb seines Zimmers war es totenstill und stockdunkel. Seine Eltern hatten sich also zumindest nicht die Mühe gemacht, ihn so lange zu überwachen, bis er irgendwann von selbst aus seinem Zimmer kam. Vielleicht hatten sie jetzt endlich begriffen, dass er in Ruhe gelassen werden wollte.

Auch diese Nacht verbrachte Danny sehr unruhig. Nicht nur, dass er kaum Müdigkeit verspürte; jedes Mal, wenn er dennoch einnickte, wurden seine Gedanken wieder von diesen grässlichen Bildern heimgesucht. Deutlicher und eindringlicher noch als im Wachzustand. Und immer, wenn er seinen besten Freund erneut fallen sah, schreckte er auf, schweißgebadet und mit unregelmäßig klopfenden Herzen. Immer wieder überkamen ihn stumme Tränen, die er nur jetzt, tief in der Nacht, wo ihn niemand bemerkte, zuließ.

So war es auch nicht verwunderlich, dass er am nächsten Morgen noch erschöpfter war als am Tag zuvor. Danny hatte sich längst wieder in der Ecke auf seinem Bett zusammengekauert, als seine Mutter wieder an seiner Tür klopfte und fragte, ob er nicht langsam Hunger hätte, da er bereits seit einem ganzen Tag nichts mehr gegessen hatte. Doch auch diesmal reagierte Danny nicht. Allerdings gab auch seine Mutter nicht so schnell auf wie beim letzten Mal.

„Danny…ich bitte dich. Sei vernünftig. Ich mache mir Sorgen, dass dir etwas passiert, wenn du dich so verschließt. Natürlich ist es schwer für dich, das alles miterlebt zu haben und ich wünschte, es wäre nicht dazu gekommen. Es tut mir so Leid, dass dein Vater und ich dich nicht unterstützt, sondern auch gegen dich gearbeitet haben. Du hast sicher darunter gelitten.“

Danach blieb es wieder still. Danny rollte eine einzelne Träne aus dem Auge. Seine Mutter konnte sich sicher vorstellen, wie ihm im Moment zumute war, und es hatte auch sie mitgenommen, was passiert war. Der Halbjapaner wusste nicht genau, was er nun tun sollte. Einerseits war er immer noch enttäuscht, dass nicht einmal seine Eltern, die Jimmy so lange gekannt hatten, irgendwie auf ihn zugegangen waren. Und sei es nur durch eine einfache Frage gewesen, wie er zum Beispiel zu den ganzen Behauptungen gestanden hatte. Doch nichts dergleichen war geschehen. Aber jetzt klang seine Mutter richtig besorgt, beinah verzweifelt, und das lag nicht nur an seinem Verhalten, sondern auch an den Vorwürfen, die sie sich machte. Sollte er sie weiter ignorieren oder lieber doch auf sie zugehen…?

Die Entscheidung über diese Frage fiel am Mittag, als seine Mutter erneut vor seiner Tür stand. Inzwischen klang sie wirklich verzweifelt.

„Danny? Was ist nur los mit dir? Bitte gib mir doch wenigstens ein Zeichen, dass es dir gut geht, dass du wenigstens noch da drin bist…!“

Ihre Stimme brach ab und ein leises Schluchzen setzte ein. Nein, so sehr wollte der Halbjapaner seine Mutter nicht verletzen. Sie sollte nicht seinetwegen weinen. Danny kannte sie als eine geduldige Frau, die sowohl Strenge als auch Nachsicht zeigen konnte und den meisten Dingen möglichst objektiv entgegentrat, ganz im Gegensatz zu seinem Vater, der sein Urteil oft sehr schnell fällte und sich dann nur noch schwer umstimmen ließ, was ihn schon oft an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. Doch er hatte weder seinen Vater noch seine Mutter jemals weinen sehen und dass dies jetzt eingetreten war, brach ihm das Herz fast noch mehr. Also ging er mit einigen Schritten zur Tür herüber und schloss leise auf, sodass seine Mutter eintreten konnte. Sie hatte sich bereits abgewandt und schien mit einem Taschentuch die Tränen aufzutupfen, als die Tür sich öffnete. Etwas ungläubig drehte sie sich wieder um, betrachtete ihren Sohn einige Sekunden lang mit derselben erstaunten und verweinten Mine, bevor sie sich nicht mehr halten konnte und ihn in eine feste Umarmung drückte.

„Mein Junge! Endlich hast du aufgeschlossen. Ich hatte solche Angst, dass du dir irgendetwas antun oder dich zu Tode hungern würdest. Du bist seit gestern so anders, ich erkenne dich kaum wieder! … Auch wenn ich dich verstehen kann.“

Liebevoll streichelte sie ihrem Sohn durch die Haare, der ihre Umarmung genauso intensiv erwiderte.

„Mum…“

Er wollte plötzlich so viel sagen. Dass es ihm Leid tat, ihr solche Sorgen bereitet zu haben, ihr sagen, wie unendlich weh es ihm tat, seinen besten Freund verloren zu haben, wie wütend er war, dass ihn mit einem Mal plötzlich alle verachtet hatten, dass das meiste von dem, was sie über Jimmy oder seine Familie in der Zeitung geschrieben hatten, gar nicht stimmte und so vieles mehr. Aber er bekam einfach kein Wort heraus. Die Tatsache, dass er in den Arm genommen wurde von seiner Mutter, die ihn liebte und versuchte zu trösten, die mit ihm litt und sich sorgte, überwältigte ihn so sehr, dass all die Trauer und die Tränen, die er die ganze Zeit über so gewaltsam hatte unterdrücken wollen, hervorbrachen und sich in einem heftigen Weinkrampf entluden. Schluchzend klammerte Danny sich noch stärker an sie, fast so, als würde sein eigenes Leben davon abhängen.

Nach einer Ewigkeit, so schien es ihnen, hatten sich beide endlich soweit beruhigt, dass sie sich voneinander lösen konnten. Trotzdem blieb Dannys Mutter noch den ganzen Nachmittag, solang sie allein im Haus waren, bei dem Halbjapaner. Zwischendurch hatte sie ihm etwas Leichtes zu Essen gemacht und obwohl Danny noch immer keinen rechten Hunger verspürte, aß er doch ein paar Bissen. Seiner Mutter zuliebe.

Am späten Nachmittag hatte sich die Situation soweit gelegt, dass Danny sich zutraute, die Themen, die ihm so schwer auf der Seele lagen, langsam anzusprechen.

„Mum, ich weiß, es ist schwer nachzuvollziehen, aber versuch bitte, Jimmy nicht gänzlich zu verurteilen. Er hat so sehr unter seinen Gefühlen gelitten, so viele Jahre lang.“

Seine Mutter antwortete erst nicht, schien sich zu sammeln und nach den richtigen Worten zu suchen, bis sie bemüht neutral erwiderte: „Aber warum hat er es dann nie beendet, wenn ihm diese Beziehung solchen Kummer bereitet hat?“

Danny schüttelte resigniert mit dem Kopf.

„So einfach war es nicht. Du kennst doch seinen Vater, Mum, und die Probleme, die die Familie hatte. Zumindest einen Teil davon, denn was wirklich los war, ist nicht bis nach außen durchgedrungen. Jimmys Eltern hatten sich jahrelang bis aufs Äußerste bekriegt und er und seine Schwester hatten furchtbar darunter zu leiden. Sie hatten nur einander und haben sich verzweifelt aneinander festgeklammert, um durchzuhalten. Als Jimmy bemerkt hatte, dass er sich in seine Schwester verliebt hatte, war es längst zu spät für ihn, diese Gefühle noch abstellen zu können. Er hat es ja versucht, lange sogar, aber es ging einfach nicht. Vor allem nicht in diesem Elternhaus.“

Dass Joan diese Liebe auch erwidert hatte, ließ er jetzt besser aus. Auch sie steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten und durch ein unbedachtes Wort wollte er es ihr nicht noch schwerer machen, egal, in wessen Gegenwart es fiel.

Dannys Mutter hatte sichtlich mit sich zu kämpfen. Wahrscheinlich wollte sie versuchen, die Ansichten ihres Sohnes zu verstehen, doch sie war zu alt und zu tief geprägt von Sitte und Moral, um solch einen Gedanken überhaupt nah genug an sich heran zu lassen. Sie seufzte leise und wandte sich bekümmert wieder ihrem Sohn zu.

„Bitte versuche, auch mich zu verstehen, Danny. Ich kann nachvollziehen, dass es für Jimmy und seine Schwester sehr schwer gewesen sein muss und irgendwie kann es vielleicht sogar sein, dass er sich dadurch in sie verliebt hat, aber es ist einfach nicht richtig. So etwas darf nicht sein, Danny. Sie beide hätten dagegen ankämpfen müssen. Das gibt ein schlechtes Vorbild für kleine Kinder, die so etwas noch gar nicht einschätzen können. Und wenigstens diesen gegenüber ist jeder von uns zu einem guten Vorbild verpflichtet. Erwachsene wissen, was gut ist und was nicht, Kinder wissen es nicht.“

Danny schloss für einen Moment die Augen. Auch wenn er es irgendwie geahnt hatte, dass selbst seine Mutter sich nicht einfach überzeugen lassen würde, so tat es doch unheimlich weh, jetzt diese Ablehnung erfahren zu müssen. Er wusste, seine Mutter meinte es nicht böse und wollte ihm wahrscheinlich nur helfen – obwohl er ihren Weg nicht verstand. Doch die ruhige Art, mit der sie ihm ihren Standpunkt zu erklären versucht hatte, ließ keinen Zweifel daran zu. Dennoch tat es weh und er verspürte den Wunsch, erst einmal wieder allein sein zu wollen. Er kam allerdings gar nicht mehr dazu, nach den richtigen Worten zu suchen, um seiner Mutter dies schonend begreiflich zu machen, denn in diesem Moment fiel im unteren Stockwerk laut polternd die Haustür ins Schloss, kurz darauf waren schwere Schritte auf den Stufen zu hören und ehe Danny sich versah, stand sein Vater in seinem Zimmer, eine etwas verknitterte Zeitung in der Hand und einen äußerst zerknitterten Ausdruck im Gesicht.

„Irgendwie habe ich es geahnt, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben“, spie er seinem Sohn voller Verachtung entgegen. Schockiert und verwirrt wusste Danny überhaupt nicht, was er darauf antworten sollte, weshalb ihm nichts anderes übrig blieb, als seinen Vater entgeistert anzustarren. Als dieser begriffen zu haben schien, dass von seinem Sohn keine Reaktion mehr zu erwarten war, glättete er pikiert die Zeitung, öffnete die Seite, in der er zuletzt gelesen zu haben schien und begann zu zitieren:
 

„Noch mehr Hiobsbotschaften im Fall Jim T.?
 

Vor genau zwei Tagen ist etwas Entsetzliches passiert, womit niemand gerechnet hätte: Der Schüler Jim T., welcher über viele Jahre ein intimes Verhältnis zu seiner Schwester geführt hatte, ist bei dem Sturz von einem Hochhaus ums Leben gekommen. Es besteht kein Zweifel daran, dass es Selbstmord war. Experten sprechen davon, dass dies eine Art Racheakt an der Gesellschaft und insbesondere an der Zeitung war, welche sein moralisch verwerfliches Verhalten zu Tage gebracht hatten.

‚Der Junge hat nach einem Weg gesucht, seinen Frust, entstanden durch die moralische Bedrängnis der letzten Zeit, nach außen zu tragen. Er wollte die Gesellschaft mit diesem symbolischen Akt dafür strafen, dass sie ihm die Freiheit nehmen wollte, in seinem fürchterlichen Tun fortzufahren. Er versuchte zu erreichen, dass sich seine Umgebung für seinen Tod verantwortlich fühlt und ein schlechtes Gewissen bekommt’, so ein Facharzt des Instituts für Sozialpsychologie, London. Daher muss man betonen, lautdes Facharztes, dass sich NIEMAND für dieses Ereignis Vorwürfe machen muss, weder Eltern noch Lehrer noch Freunde des Jungen.

Neben dieser Schreckensmeldung gibt es noch eine weitere, entsetzliche Annahme, die zwar noch nicht als völlig gesichert, aber als äußerst wahrscheinlich gilt. Wie Sie bereits wissen, liebe Leserinnen und Leser, gab es einen Jungen, der die ganze Zeit über vom gottlosen Treiben des Verstorbenen wusste und dies sogar bis zum Ende toleriert hat. Dieser Junge, Danny W., wäre beinahe mit vom Dach des Hochhauses gestürzt, als sein bester Freund sich das Leben genommen hat. Wollten beide gemeinsam sterben? War es vielleicht mehr als nur Freundschaft, was zwischen beiden Jungen bestanden hatte? Ich habe mich, stets um Objektivität bemüht, mit so vielen Freunden und Bekannten der beiden in Verbindung gesetzt, wie ich finden konnte, und habe bei meinen Interviews gänzlich gleiche Aussagen erhalten: Danny W. stand nach der bedeutsamen Enthüllung unumstößlich hinter seinem Freund Jim, schien sich plötzlich von allen anderen Freunden losgesagt zu haben und blockte ihre Versuche, wenigstens ihn zur Vernunft zu bringen, rigoros ab. „Das war keine normale Freundschaft mehr“, kommentierten alle Interviewten einheitlich. All diese Tatsachen lassen gar keinen anderen Schluss mehr zu: Es muss eine homoerotische Beziehung zwischen beiden Jungen bestanden haben. Eine schreckliche Vorstellung, bei der es mir immer wieder eiskalt den Rücken herunterläuft, wenn meine Recherchen und mein logischer Verstand zu diesem Ergebnis kommen, doch egal, wie ich die Tatsachen betrachte, wie intensiv ich auch nachforsche, meine Schlussfolgerungen werden eher bestätigt, als dass sich irgendwo ein Ansatzpunkt finden lässt, der diese These widerlegt.

Es tut mir Leid, Ihnen jetzt einen noch größeren Schrecken vorsetzen zu müssen, nachdem der letzte noch nicht einmal richtig verdaut ist, doch es ist meine Pflicht als Reporter, meine Leser umfassend über aktuelle Ereignisse in der Region zu informieren. Ich hoffe genau wie Sie, dass es bald wieder Erfreulicheres zu berichten gibt.“
 

Dannys Vater legte die Zeitung wieder zusammen und zerknitterte sie erneut in seiner geballten Faust. Sein Gesichtsausdruck zeigte nun kaum noch zügelbare Wut. Danny war kreidebleich geworden, konnte kaum atmen vor lauter Fassungslosigkeit. Nicht nur, dass er jetzt scheinbar das neue Opfer dieses Hetzreporters geworden war, nein, selbst nach seinem Tod muss er Jimmy noch fertig machen! Tränen der Verzweiflung stiegen dem Halbjapaner in die Augen, sein Körper begann vor unterdrücktem Schluchzen zu beben. Zu allem Überfluss streute sein Vater auch noch Salz in die offene Wunde.

„Ich wollte es mir einfach nicht eingestehen…! Es kann doch nicht sein, dass mein eigener Sohn so ein dreckiger, kleiner Bastard ist! UND WAS MUSS ICH JETZT HIER LESEN?! NICHT NUR, DASS DU DEINE FREUNDE ALLE VERRATEN HAST, NEIN, DU WILLST DIESEM HURENSOHN AUCH NOCH HINTERHER SPRINGEN!!! WAS BIST DU ÜBERHAUPT?! SOWAS IST NICHT MEIN SOHN!“

Einen Moment später war Danny aufgesprungen und hatte seinem Vater einen kräftigen Hieb in die Magengrube verpasst. Seine Mutter schrie angsterfüllt auf, doch weder er noch sein Vater achteten darauf. In diesem Moment war es ihm auch egal, dass er geschworen hatte, seine Kampfkünste niemals dazu zu missbrauchen, um jemanden anzugreifen und dass es sein Vater war, dem er gerade diesen Hieb verpasst hatte, daran dachte er nicht einmal.

Der ältere Mann war jedoch zäher, als Danny es ihm zugetraut hätte. Gerade mal ein unterdrücktes Stöhnen und ein kurzes Rückwärtstaumeln hatte es bewirkt, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte und schwungvoll eine Faust auf Dannys Auge niedersausen ließ. Gleich darauf packte er das Shirt des Jungen und zog ihn daran nach oben, doch der Halbjapaner war so rasend vor Wut, dass er den Schlag kaum registriert hatte, blitzschnell den Arm seines Vaters packte und ihn hart über seine Schulter warf. Der Mann kam ungebremst mit dem Rücken auf dem harten Boden auf und stöhnte schmerzerfüllt auf, doch Danny reagierte nicht darauf. Er ging einige Schritte rückwärts bis zur Tür und rief dann: „DU FRAGST, WAS ICH BIN?! DASSELBE MUSS ICH DICH FRAGEN! SO ARMSELIG, DASS MAN LIEBER AUF DEN SCHWACHSINN EINER LÜGENZEITUNG HÖRT ALS AUF DIE ERKLÄRUNGEN DES EIGENEN SOHNES, SO GEFÜHLLOS KANN KEIN VATER SEIN! WAS IMMER DU AUCH BIST, MEIN VATER BIST DU MIT SICHERHEIT NICHT!“

Mit diesen Worten hatte er auf dem Absatz kehrt gemacht und war aus dem Haus herausgestürmt.
 

Es war bereits dunkel, als Danny noch immer im Schutz eines kleinen Gebüsches irgendwo auf freiem Feld, fernab jeder Straße und Siedlung, auf dem Boden kauerte und haltlos weinte. Die Ereignisse in seinem Kopf überschlugen sich und stürzten alle auf einmal auf ihn ein, pausenlos und unbarmherzig: Sein Freund, den er hatte leiden und sterben sehen müssen, sein Vater, sein eigener Vater, der ihm weniger glaubte als irgendeinem falschen Schmierblatt…

Wieder nahm das Schluchzen und Wehklagen Dannys an Intensität zu, seine Augen brannten vor Tränen, sein Magen schmerzte vom dauerhaften Verkrampfen, sein Mund war trocken und seine Stimme längst heiser. Und trotzdem wollte und wollte dieser Weinkrampf einfach nicht abebben. Erst Stunden später, als er völlig ausgetrocknet zu sein schien und er sich vor Erschöpfung kein Stück mehr rühren konnte, hörte es endlich auf. Auch die Bilder verschwanden endlich und hinterließen nur Leere und Einsamkeit. So lag er eine weitere kleine Ewigkeit einfach auf dem Boden und starrte ins Nichts. Genau das war es, was er jetzt wollte…nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nichts mehr tun.

Es war bereits hell, als er am Rand des Bewusstseins registrierte, dass ihn irgendjemand gefunden haben musste. Mit letzter Kraft erkannte er einen Mann, der eine kühle Hand auf seine heiße Stirn legte. Zwar schlief er nicht richtig ein, doch selbst wenn er sich anstrengte, bekam Danny kaum mit, was mit ihm geschah. Seit nunmehr drei Tagen hatte er praktisch nichts gegessen, nicht viel mehr getrunken und kaum geschlafen, dafür aber umso häufiger geweint und mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt, von denen er sich bis dahin niemals hätte vorstellen können, dass etwas so schlimm sein konnte.

Eine Woge fürchterlichen Schwindelgefühls überkam ihn, als er spürte, wie sich die Lage seines Körpers plötzlich veränderte. Anscheinend hatte der Fremde ihn herumgedreht und hochgehoben. Dann ließ seine Konzentration wieder nach; er war zu schwach, um noch länger zu beobachten, was mit ihm geschah und sank in eine Art Dämmerzustand.
 

Als Dannys Geist gänzlich in die Gegenwart zurückkehrte, stellte er fest, dass er sich in der Wohnung seines Schwertmeisters befand, genauer gesagt auf einem Futon in dessen Wohnzimmer, ein kühler Lappen lag auf seiner Stirn. Sein Körper fühlte sich jedoch noch immer so schlaff an, dass er sich kaum bewegen konnte.

Wenig später betrat Hikawa-sensei das Zimmer, in der Hand eine Tasse Tee und eine Scheibe Weißbrot. Mit einem flüchtigen Blick erkannte er den Zustand seines Schülers.

„Du hast Fieber, was wohl daher kommt, dass du deinen Geist und deinen Körper in letzter Zeit hoffnungslos überfordert hast.“

Damit war er bei ihm und stellte das Mitgebrachte neben Dannys Gesicht ab.

„Nimm das, damit du wieder zu Kräften kommst. Trink vor allem den Tee. Du hast starken Flüssigkeitsmangel. Außerdem hilft die Weidenrinde gegen Fieber und Kopfschmerzen.

„Danke, Sensei, aber ich möchte nichts.“

„Red keinen Unsinn, Junge! Ich dachte, ich hätte dir in den vielen Jahren ein wenig mehr Courage beigebracht. Dass man nicht immer gewinnen kann, verstehe ich ja, und dass es Momente gibt, in denen man vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen davonläuft, kann ich zur Not auch noch nachvollziehen. Aber dass du vor deinem LEBEN davonlaufen willst, ist unverzeihlich.“

„… Mag sein, aber was soll ich noch hier, wenn die ganze Welt gegen mich ist?“

„Du hast die Welt doch noch nicht einmal kennen gelernt, also urteile nicht so voreilig.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Rest so viel besser sein soll.“

Mit dieser zynischen Bemerkung drehte Danny sich auf die andere Seite, um demonstrativ zu zeigen, dass die Sache für ihn damit beendet war und er auch nichts von dem Tee und dem Brot anrühren würde. Sein Meister sah das allerdings nicht so.

„Und du meinst, dein Freund wäre glücklich darüber, wenn er dich jetzt so sehen könnte.“

„… Das ist nicht fair.“

„Warum? Weil er nicht mehr da ist, um meine Worte bestätigen zu können? Was glaubst du wohl, wie er reagiert hätte, hätte er dich so gesehen?“

Nach einer kurzen Pause drehte Danny sich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke.

„Er hätte es nicht gewollt. Aber so einfach ist es leider nicht-“

„Nein, natürlich ist es das nicht, das hat auch keiner behauptet. Gerade deshalb musst du jetzt stark sein. Du hast für den Jungen gekämpft, um ihm eine Stütze sein zu können. Du hast dich für diesen Weg entschieden, obwohl du wusstest, dass er der schwerere war. Du weißt, dass du noch eine andere Wahl hattest und dass dein Freund das genauso akzeptiert hätte. Trotzdem hast du dich dazu entschlossen, zu ihm zu stehen. Jetzt geh den Weg auch zu Ende, damit er sich keine Sorgen mehr um dich machen muss und seine Seele Ruhe findet.“

Eine einzelne Träne entkam Dannys Augenwinkel.

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“, flüsterte er brüchig. „Selbst wenn ich mich jetzt wieder aufraffe und den anderen Menschen entgegentrete, wird das gar nichts lösen. Sie werden mich nie mehr akzeptieren – selbst meine Eltern nicht.“

„Wenn es keine Möglichkeit gibt, die Spannungen zu lösen, hast du immer noch die Möglichkeit, ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber du solltest nichts unversucht lassen, den Frieden mit deiner Umwelt wiederherzustellen. Und du darfst keinesfalls aufhören, nach dem Sinn deines Lebens zu suchen. Erst dann können die Seele deines Freundes und auch du selbst wirklich Ruhe finden.“

Danny seufzte resigniert. Sein Meister hatte ja Recht. Wenn Jimmy ihn jetzt so sehen könnte, wäre er todunglücklich und würde sich höchstwahrscheinlich selbst Vorwürfe darüber machen, dass er ihn so tief in seine Probleme hineingezogen hat. Aber…er war sich nicht sicher, ob er das überhaupt schaffen konnte. Er fühlte sich so schwach und hilflos.

„Lassen Sie mir bitte ein wenig Zeit. Im Moment schaffe ich das einfach nicht.“

„Du kannst hier bleiben, bis du dich besser fühlst und bereit bist für neue Entscheidungen.“

„Danke, Sensei.“

Langsam drehte Danny sich weiter um, bis er die Tasse und das Weißbrot wieder vor sich sah. Behutsam stützte er sich auf seinem Ellbogen ab und nahm einen Schluck des nur noch warmen Tees.
 

Es waren vier Tage vergangen, bis er sich dazu bereit fühlte, zu seinen Eltern zurückzukehren. Die körperlichen Beschwerden hatten relativ schnell nachgelassen, doch mit der Angst kämpfte er noch immer. Nun stand er also vor seinem eigenen Haus, kam sich vor wie ein Fremder, und klingelte mit heftig klopfendem Herzen an der Tür. Er hoffte, dass seine mühsam zusammengekratzte Selbstbeherrschung das wirklich überstehen würde, falls es nicht so gut lief, wie er hoffte. Er fragte sich auch, ob seine Eltern wohl die Polizei verständigt hatten, nachdem er so lange verschwunden gewesen war, aber das könnte er sie ja selbst fragen, wenn sich die Wellen geglättet hätten. Falls sie das taten.

Nach scheinbar einer Ewigkeit öffnete sich die Haustür und Dannys Mutter kam zum Vorschein. Sie wirkte sehr erschöpft aber unendlich erleichtert darüber, ihren Sohn sehen zu können.

„Oh Danny…“, begann sie mit zittriger Stimme, doch sie brach ab, wusste scheinbar nicht, was sie sagen sollte, so aufgelöst war sie. Der Halbjapaner versuchte, sich seine erste Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Er wusste, wirklich kritisch würde es wohl erst bei seinem Vater und solange das nicht überstanden war, musste er seine innere Stärke wahren.

„Mum, ist Dad auch da? Ich muss mit euch reden.“

Etwas irritiert über diese recht kühle Begrüßung trat sie einen Schritt zurück und ließ ihren Sohn eintreten, geleitete ihn in Richtung Wohnzimmer. Sein Vater saß dort in einem Sessel und las Zeitung, doch als er den Besuch bemerkte, legte er sie beiseite, seine Gesichtszüge verhärteten sich.

Danny blieb im Türrahmen stehen, schluckte schwer. Jetzt wusste er, dass diese Sache wirklich nicht einfach werden würde. Er spürte, wie seine mühsam zurechtgelegten Worte sich langsam verflüchtigten.

„Ich möchte mit euch reden“, wiederholte er noch einmal, bemüht, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen.

„Ach? Ich wüsste nicht, worüber.“

„Arthur!“, mahnte ihn seine Frau kleinlaut. Danny schluckte den dicken Kloß, der sich gerade in seinem Hals bildete, und versuchte, unbeeindruckt weiterzureden.

„Willst du dir nicht wenigstens einmal anhören, was dein eigener Sohn zu den Anschuldigungen in der Zeitung zu sagen hat?“

„Du warst mit ihm befreundet, oder?“

Innerlich seufzte Danny gequält laut auf. Diese Masche kam jedes Mal, wenn sein Vater einer richtigen Diskussion aus dem Weg zu gehen versuchte. Aber jetzt konnte er ihn nicht einfach unterbrechen. Das würde nur einen neuen Streit vom Zaun brechen und er hätte gar nichts erreicht. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als erst einmal mitzumachen und zu hoffen, dass er danach zu Wort kommen könnte. So antwortete er wahrheitsgemäß: „Ja.“

„Und du hast dich auf seine Seite geschlagen, als die Sache in der Zeitung bekannt wurde?“

„Ich habe mich auf keine Seite geschlagen! Die anderen haben mich nur genauso-“

„Was ich wissen will, ist: Warst du zum Schluss immer noch sein Freund oder bist du bei deinen anderen Freunden geblieben?“

„… Ich war immer Jimmys Freund.“

„Wolltest du ihm hinterher springen, als er sich von dem Dach gestürzt hat?“

„Nein, wollte ich nicht! Ich habe das Gleichgewicht verloren-„

„Natürlich! Das Gleichgewicht verloren! So ein Zufall! Für wen hältst du mich eigentlich?!“

„Für wen hältst DU mich?“

Langsam wurde es Danny zu bunt. Er hatte sich zwar fest vorgenommen, ruhig zu bleiben, aber das hielten selbst die stärksten Nerven nicht aus.

„Danny, Arthur, bitte!“, rief seine Mutter dazwischen, die verzweifelt versuchte, den drohenden Streit abzuwenden. Danny ließ sich von ihrer Stimme ein wenig besänftigen, doch seinen Vater schien sie nicht mehr zu erreichen.

„Du hältst dich jetzt da raus! Der Junge wird immer schlimmer! Erst bringt er die ganze Familie in Verruf, zeigt nicht einmal Reue, dann schlägt er seinen eigenen Vater-“

„Du hast angefangen!“, rief Danny dazwischen, doch der Mann beachtete ihn gar nicht.

„Und jetzt stolziert er hier rein, tut ach so erwachsen und allwissend und will uns weismachen, dass die ganze Welt böse und alles eine Lüge ist und nur er Recht hat! Für wie blöd hält er uns überhaupt?“

Danny schwieg eine Weile und starrte resigniert den Boden an.

„Ist das alles, was du zu sagen hast?“, fragte er seinen Vater schließlich, mühsam die Tränen niederkämpfend.

„Ich wüsste nicht, was es noch gibt“, war die trockene Antwort.

„Dann…gehöre ich wohl nicht mehr hier her.“

Mit einem letzten Blick wandte er sich an seine Mutter, der bereits die Tränen in den Augen standen.

„Es tut mir Leid, Mum.“

Dann verließ er geknickt das Haus, das verzweifelte Flehen seiner Mutter überhörend.

Es ging nicht anders.
 

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Wichtige Anmerkung zum Inhalt: Sicherlich fragt sich die ein oder andere, weshalb Hikawa-sensei Danny einfach so gefunden hat, nachdem dieser irgendwo mitten auf einem Feld, versteckt durch etwas Gestrüpp, kurz vor einem Zusammenbruch stand. Erklärung: Dannys Verhalten – auch seine Gedanken an den Tod – waren weniger der unbedingte Wunsch, wirklich augenblicklich sterben zu wollen, als vielmehr ein verzweifelter Hilferuf. Selbstmord hätte er schließlich auch schneller und einfacher haben können, wenn er es unbedingt gewollt hätte. Jedenfalls ist er dadurch mehr oder weniger unbewusst in Richtung des Vorortes gelaufen, in dem Hikawa wohnt und hat dabei einen der Schleichwege von der Stadt dorthin benutzt, um von der Straße fern bleiben zu können. Und wenn Hikawa nicht gerade Danny losschickt, um als „Aufwärmung“ zum Training diesen seine Einkäufe erledigen zu lassen, muss er natürlich selbst los und läuft auch oft genug dort lang, wo Danny sich gerade befand. Außerdem spürt er es als geübter Schwertmeister, wenn sich Lebewesen – speziell Menschen – in der Nähe aufhalten (Atemgeräusche, Rascheln von Gras und Kleidung etc.). Daher war es für ihn auch keine große Kunst, Danny bei diesem Gestrüpp zu finden.

Und ab dem nächsten Kapitel kann ich endlich wieder „Aki“ schreiben :D.

Noch was: Ich weiß nicht, in welchem Raum Japaner traditionellerweise ihre Kranken hinlegen, deshalb habe ich jetzt einfach mal „Wohnzimmer“ geschrieben. Sollte das nicht stimmen, bitte ich um Korrektur. Hikawa ist ein ziemlich konservativer Mensch, der sein Leben stark nach den alten japanischen Traditionen richtet, deshalb wäre es mir lieber, wenn er den kranken Danny auch im richtigen Raum zur Ruhe legt.
 

Momentan habe ich noch kein weiteres Kapitel angefangen und ich weiß auch noch nicht genau, wann ich zum Weiterschreiben komme. Etwas Unterstützung wäre nicht schlecht ;).

Aber davon abgesehen, versuche ich, in den Ferien zumindest noch ein Kapitel zu schaffen. Aber das ist wirklich das Maximum, was drin ist. Ich hab tierisch viel zu tun in diesen Ferien T_T. Und in der Vorlesungszeit sowieso wieder, also wird da sicher nicht mehr drin sein als ein bisschen Arbeit am Plot. Aber ansonsten habe ich mir vorgenommen, in jeden Ferien wenigstens ein neues Kapitel zu schreiben :).

Bis dahin wünsch ich alles Gute.
 

eure Lady_Ocean

Zwiespalt

Falls sich noch jemand daran erinnert: Ich hatte am Ende des letzten Kapitels versprochen, in jeden Semesterferien wenigstens ein Kapitel zu schaffen. Nun, ich hab mich dran gehalten. Ist zwar knapp geworden, aber hier kommt das versprochene Kapitel ^^!

Auch wenn es jetzt sicher enttäuschend für euch sein wird, dass es bis zum nächsten Kapitel wieder eine Weile hin ist. Nebenbei schreibe ich jetzt hin und wieder noch an "Der Weg zum Glück", weil ich einfach auch mal etwas Abwechslung brauche, aber insgesamt sieht es doch sehr sparsam aus mit meiner Produktivität... Tut mir Leid, dass ihr als Leser das immer ausbaden müsst, indem ich euch so lange darben lasse.

Ich hoffe, ihr seid zumindest nicht enttäuscht von dem, was ich euch jetzt präsentiere. Zumindest können die, die gespannt auf die Fortsetzung in der Gegenwart gewartet haben, jetzt erst mal erleichtert aufatmen ^^.
 

Viel Spaß!
 

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Zwiespalt
 

„... Und das war das letzte Mal, dass ich meine Eltern gesehen habe. Nach diesem Gespräch bin ich erst einmal zu meinem Sensei zurückgekehrt und habe eine Weile bei ihm gewohnt. Über den Sommer habe ich mir eine eigene Wohnung in Liverpool an der Westküste gesucht, weit weg von London und allem, was dort passiert ist. Danach habe ich die elfte Klasse wiederholen müssen, weil ich die ganzen Prüfungen in meiner alten Schule ja verpasst hatte, und zwei Jahre später bin ich schließlich nach Japan geflogen. Mit meiner Mutter habe ich relativ schnell den Kontakt wieder aufnehmen können, aber mit meinem Vater herrscht Funkstille. Und wenn ich ehrlich sein soll, ist es mir so auch lieber. Ich kann es ihm einfach nicht verzeihen, dass ich ihm so wenig bedeute und er so schlecht von mir denkt.“

Nach Stunden hatte Aki seine Erzählung schließlich beendet. Mit versteinertem Gesicht starrte er auf die Teetasse, die er noch immer unangerührt in den Händen hielt, und schaute doch irgendwie durch sie hindurch. Erst langsam schien das Leben in seine Augen und Gesichtszüge zurückzukehren und er entspannte sich ein wenig, doch gleichzeitig nahm sein Gesicht einen sehr verzweifelten Ausdruck an.

Yuki hatte die ganze Zeit über geschwiegen. Er hatte es nicht gewagt, auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben, geschweige denn irgendeine Erwiderung auf Akis Worte zu geben. Er hatte nur stumm gewartet und zugehört und zur Beruhigung seine rechte Hand auf die linke seines Freundes gelegt, als diese angefangen hatte, ein wenig zu zittern. Es schien genug Trost und Hilfe zu sein, um dem Braunhaarigen die Kraft zum Weiterreden zu geben. Als die Erzählung jedoch den Punkt erreicht hatte, an dem es um den Tod seines damals besten Freundes ging, war es Aki zusehends schwerer gefallen, die Worte herauszubringen, die er sich vorgenommen hatte, nun endlich jemandem zu offenbaren. Dieser Kampf, den er mit sich selbst führte, hatte schließlich über Yukis Vorsatz gesiegt, einen gewissen Abstand zu seinem Freund einzuhalten, um diesen nicht zu bedrängen. In einem verzweifelten Anflug, ihm irgendwie Halt geben zu können, hatte er den Braunhaarigen in seine Arme gezogen, sodass Akis Kopf seitdem an seiner Schulter ruhte. Zuerst hatte er deutlich gespürt, dass diese plötzliche Aktion seinen Freund verschreckte, als dieser seinen ganzen Körper anspannte und hörbar die Luft einsog, doch nach einigen Augenblicken hatte er sich langsam wieder entspannt. Zwar hatte er es nicht gewagt, die Umarmung zu erwidern, doch er hatte sich zumindest ruhig in den ihm dargebotenen Komfort gelehnt und gedankenverloren seine Teetasse genommen, um sie ein wenig in der Hand herumzudrehen, bis er schließlich die Kraft hatte, endlich weiter zu erzählen.
 

Am Ende der Geschichte fühlte Yuki sich ziemlich mies. Er hatte zwar damit gerechnet, dass Aki ein schweres Geheimnis mit sich herumschleppte, nachdem er diese Andeutung zuvor im Park gemacht hatte, aber dass es so schlimm war, daran hätte er im Traum nicht gedacht. Und er bedrängte ihn auch noch mit seinen Gefühlen! Es war wirklich kein Wunder, dass Aki ihn so angefahren hatte; und dass er sich dennoch so schnell wieder aufgerafft hatte und ihm gefolgt war, erstaunte ihn umso mehr. Natürlich, er hatte es nicht wissen können, aber trotzdem. Das schlechte Gewissen blieb.

„Es tut mir so Leid, Aki“, flüsterte er nach einer Weile in die Stille hinein.

„Das muss dir doch nicht Leid tun! Du hättest an den Dingen, so wie sie geschehen sind, nichts ändern können“, erwiderte der Angesprochene und schüttelte zur Bestätigung leicht den Kopf, wodurch seine weichen Haarspitzen sanft an Yukis Hals kribbelten. Doch im Moment ignorierte er es.

„Das meine ich nicht. Ich habe dich mit meinem Verhalten bedrängt und dir Angst gemacht. Das tut mir Leid.“

Aki seufzte erschöpft auf. Das stimmte schon, Yuki hatte ihn wirklich ziemlich erschreckt, aber...

„Du hast es nicht wissen können. Woher auch? Im Grunde wollte ich nur weg von alledem. Ich wollte es vergessen und nie wieder hervorkramen. Ich kann nicht einmal sagen, ob ich es jemals freiwillig irgendwem erzählt hätte – selbst dir.“

Wäre es nicht eine so unglaublich schwere Sache gewesen, die ihm der Braunhaarige da anvertraut hatte, wäre er über diese Bemerkung jetzt sicher beleidigt gewesen, doch so konnte er es durchaus nachvollziehen. Zumal er selbst gut genug wusste, dass es Dinge gab, über die man lieber schwieg...

„Aber...“, sprach Aki schließlich weiter, „jetzt verstehst du ja, warum das mit uns einfach nichts werden kann. Egal, wie sehr wir es auch wollen, wir können einfach nicht zusammen sein, wir DÜRFEN einfach nicht!“

Bei diesen Worten zog sich der Magen des Japaners schmerzhaft zusammen. Ja, er verstand Akis Angst, doch das war wirklich überreagiert. So schlimm würde sich hier doch niemand über sie zerreißen! Erstens waren sie nicht in England – wer weiß, was da noch für verschrobene Ansichten regierten – und zweitens war das ja nicht Inzest, was sie hier praktizierten. Natürlich war Homosexualität ein gewisser Anstoßpunkt, aber kein dermaßen dramatischer. Zumindest bei weitem nicht dramatisch genug, dass sich seine Gefühle davon im Zaun halten lassen würden. Yuki hatte längst verstanden, dass das bei ihm einfach nicht funktionierte, sondern alles nur schlimmer machte.

„... Könntest du denn einfach so weitermachen wie bisher?“, fragte er schließlich, nachdem er eine Weile seine Worte abgewogen hatte. „So tun, als wäre da nichts zwischen uns? Mich ansehen und mich berühren, scheinbar zufällig, mit der Gewissheit im Hinterkopf, was deine Berührungen für Glücksgefühle in mir auslösen? Könntest du dein eigenes Herzklopfen einfach so ignorieren? Ich glaube nicht, dass das jetzt noch gut gehen kann, Aki. Selbst wenn du deine Gefühle verdrängen könntest, ich kann es nicht mehr. Ich gehe daran zugrunde! Vor allem jetzt, wo ich weiß, dass es nichts Einseitiges ist.“

Als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen, fuhr Aki plötzlich aus der Umarmung auf, rückte ein Stück zurück und stellte die Tasse schwungvoll auf den Tisch zurück, sodass etwas Tee über den Rand schwappte.

„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte er angsterfüllt. „Einfach da rausspazieren und der Welt verkünden, wie verliebt wir in einander sind und darauf warten, dass wir Glückwünsche und freudige Kundgebungen von allen Seiten bekommen? Du weißt jetzt, was beim letzten Mal passiert ist, als meinem besten Freund so eine unglückselige Liebe widerfahren ist! Kannst du dir vorstellen, wie schlimm es damals für mich war, das miterleben zu müssen, wie er nach und nach daran zerbrochen ist? Bis er schließlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen hat als den Tod? Yuki, ich könnte das niemals ertragen, wenn ich so etwas noch einmal erleben müsste! Wenn...wenn dir...“

Während dieses Gefühlsausbruchs klang Aki immer verzweifelter. Bei seinen letzten Sätzen hatte er die Distanz zwischen sich und dem Schwarzhaarigen sogar wieder überwunden und klammerte sich nun an dessen Pullover, als wäre es der rettende Strohhalm, dem man dem Ertrinkenden hingeworfen hatte, und sah ihm schmerzerfüllt in die Augen, bis er den Blick schließlich wieder abwandte, weil er von dem Gedanken, den er nicht mehr gewagt hatte auszusprechen, schier erdrückt wurde.

Nun schien Yuki zu verstehen, wo genau Akis Problem lag: Die Reaktionen von außerhalb waren gar nicht das Schlimmste. Aki hatte Angst, dass sich etwas Ähnliches wiederholen könnte, dass er wieder miterleben musste, wie ein Mensch, der ihm besonders viel bedeutete, leiden und vielleicht sogar sterben musste...

Mit einem beruhigenden Laut schloss er den zitternden Halbjapaner wieder in seine Arme.

„Mir wird nichts passieren, das verspreche ich dir.“

„Das hat Jimmy auch getan und wenig später war er tot“, war Akis trockene Antwort. In dieser Hinsicht hatte er seinen Glauben und leider auch sein Urteilsvermögen wohl völlig verloren. Mit Worten kam Yuki da wirklich nicht weiter. Also löste er sich ein wenig von seinem Freund, sodass er dessen Kopf ein Stück anheben konnte, um sich fast im selben Moment zu ihm herunter zu beugen und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen. Die Berührung war viel zu kurz, viel zu flüchtig, als dass Aki irgendwie darauf hätte reagieren können, und so sah er den Japaner im ersten Moment nur aus geweiteten Augen an, bis er schließlich seine Sprache wiederfand.

„Yuki! Ich hab doch gesagt, dass-“

Doch der Schwarzhaarige legte ihm einfach sanft die Finger auf die Lippen und brachte ihn damit wieder zum Schweigen. Dann ließ er seine Hand sinken und nahm Akis Hand auf, führte sie an die Stelle auf seiner Brust, hinter der sein Herz schlug.

„Spürst du das?“, fragte er leise. „Spürst du, wie schnell es schlägt?“

Ein zögerliches Nicken war die Antwort. Akis Gesichtsausdruck wirkte wie ein rasches Wechselbad aus Furcht und Sehnsucht.

„Und ich bin mir sicher, dass dein Herz genauso schlägt. Genauso schnell, genauso sehnsüchtig. Genauso schmerzhaft“, sprach Yuki genauso ruhig weiter. „Es macht einfach, was es will, ohne dass ich es noch irgendwie kontrollieren könnte. Selbst Außenstehende haben inzwischen mitbekommen, dass mit mir etwas nicht stimmt, obwohl ich mir alle Mühe gegeben habe, mir vor anderen nichts anmerken zu lassen. Die Leute um uns herum sind nicht blind. Früher oder später – wahrscheinlich eher früher – würden sie merken, was genau los ist, egal, wie sehr wir uns dagegen sträuben. Weil es einfach nicht mehr geht. Solange wir uns ständig so nah sind, dass wir uns berühren könnten, und es doch nicht zulassen, können wir unsere Gefühle niemals in den Griff bekommen. Wenn du das wirklich abstellen willst, wenn du wirklich willst, dass wir lieber alles vergessen, was zwischen uns ist, dann...dann können wir nicht weiter zusammenleben.“

Die Sehnsucht in Akis Augen verdrängte für diesen Moment die Angst, die neben ihr herrschte, vollkommen.

„Nein... Nein, das kann ich nicht! Ich will dich nicht wieder verlieren, Yuki! So lange habe ich darauf gewartet, dich wieder sehen zu können. Und jetzt, wo ich endlich das Gefühl habe, dass alles wieder in Ordnung ist, dass alles so ist, wie es sein sollte, soll ich dem einfach wieder den Rücken kehren und so tun, als wäre ich nie hier gewesen? – Nein, das kann ich nicht!“, wiederholte er noch einmal und griff nach Yukis Hand, als könne er sich daran festhalten. Er schluckte schwer und lehnte sich erschöpft gegen den Sofarücken. Egal, wohin er auch blickte, alles erschien aussichtslos. Weg konnte und wollte er nicht. Sich auf diese Liebe einlassen ging auch nicht. Und einfach nur mit Yuki befreundet sein... Yuki hatte wohl Recht, es würde ebenfalls nicht mehr funktionieren. Diese wackelige Illusion, die er sich mit letzter Hoffnung aufgebaut hatte, war wieder zu nichts zerfallen, als Yuki mit diesem flüchtigen Kuss dieses schmerzhafte Gefühl in ihm ausgelöst hatte. Auch wenn er es gern übergangen und einfach so getan hätte, als wäre nichts weiter dabei; er konnte dieses sanfte Prickeln auf seinen Lippen und diese Sehnsucht nach mehr nicht abstellen. Es war, als würde eine unsichtbare Macht an seinem ganzen Körper ziehen und ihn zu dem Japaner drängen. Doch auch wenn er das nicht leugnen konnte, er durfte es auf keinen Fall zulassen! Wenn er daran dachte, wie lange Yuki sich schon so fühlen musste, dann bewunderte er ihn sogar dafür, dass er das so lange ausgehalten hatte.

„Was sollen wir bloß tun?“, fragte der Braunhaarige schließlich müde. Nach einem Moment des Zögerns brachte Yuki einen Vorschlag.

„Wie wäre es, wenn wir nur hier, wenn wir unter uns sind und uns niemand sieht, ehrlich zu einander sind und unsere Gefühle zulassen? Niemand würde es bemerken und dieser Schmerz hätte endlich ein Ende. Dann fällt es uns wahrscheinlich auch leichter, uns vor anderen Leuten nichts anmerken zu lassen und niemand würde Verdacht schöpfen. Und wegen möglicher Reaktionen dieser Leute müssten wir uns keine Sorgen machen.“

Yuki konnte die Hoffnung und das Flehen in seiner Stimme kaum verbergen und auch sein Gesicht sprach Bände. Er hörte sich an, als hätte er die ideale Lösung für ihre Situation gefunden. Doch auch wenn das sogar für Akis Ohren nach einem einigermaßen günstigen Kompromiss klang, wenn er versuchte, es irgendwie rational zu betrachten und mit den anderen Möglichkeiten zu vergleichen, so ließen sich die Zweifel dennoch nicht ganz beseitigen. Die Angst, die seit einigen Jahren so schwer auf ihm lastete, ihn umschwärmte wie ein Poltergeist, hatte sich so tief in sein Gewissen eingefressen, war mit seinem Denken verschmolzen, dass er sie nicht einfach so abschütteln konnte, auch wenn er es in diesem Moment gern gewollt hätte. Sie ließ ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Und schließlich gab er den Kampf gegen sich selbst wieder auf. Er war so schwach... Er hasste sich dafür, dass er jeglichen positiven Gedanken im Bezug auf seine Gefühle so rigoros abblockte und sofort in die dunkelsten Abgründe seiner Ängste stürzte, sobald solch ein Gedanke sein Bewusstsein streifte. Dass diese Abgründe ihn lähmten, unfähig machten, auch nur einen einzigen, winzigen Schritt nach vorn zu tun.

Er betrachtete Yuki, sah in sein erwartungsvolles Gesicht, seine sehnsüchtigen Augen...

Er hasste sich dafür.

„Yuki...ich...es tut mir Leid, ich kann das nicht einfach hier und jetzt binnen Sekunden entscheiden“, wich er einer direkten Antwort aus, genauso wie er dabei seinen Blick von Yukis Gesicht abwandte. Den verletzten Ausdruck darin würde er jetzt einfach nicht ertragen können. Es war kaum ein paar Stunden her, seit er seinem besten Freund...seiner heimlichen Liebe...das Herz herausgerissen hatte und skrupellos darauf herumgetrampelt war und nun tat er es schon wieder. Was fand Yuki überhaupt an ihm? Er hätte allemal etwas Besseres verdient.

„Kein Problem. Lass dir ruhig noch etwas Zeit und denke in Ruhe darüber nach. So eine Entscheidung ist schließlich sehr wichtig.“

Mit dieser Bemerkung zog Yuki Akis Aufmerksamkeit doch schlagartig wieder auf sich. Hatte der Halbjapaner gerade richtig gehört? Yuki hatte gerade nicht wirklich „Kein Problem“ gesagt, oder? Doch an dem recht nervösen Blick des Japaners erkannte Aki sofort, dass er richtig vermutet hatte, was die Reaktion seines Freundes betraf. Es fiel ihm keinesfalls leicht, so etwas zu sagen. Die Enttäuschung stand ihm trotz des recht unbeholfenen Lächelns buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Natürlich wollte er Aki nicht bedrängen, deswegen hatte er versucht, mit ein paar Worten die Situation ein wenig zu verharmlosen, doch im Grunde hatte sich an der Atmosphäre im Raum nichts geändert. Das Schweigen zwischen ihnen wurde mit jeder Sekunde erdrückender. Bis Yuki schließlich aufstand und die Sitzung damit beendete.

„Es ist spät. Oder besser: Verdammt früh. Wir sollten zusehen, dass wir noch ein wenig schlafen können, meinst du nicht?“

„Ja, du hast Recht.“

Damit stand Aki auch auf. Im Gegensatz zu Yuki musste er am Morgen wieder zur Uni. Durch seine viele Abwesenheit der letzten Zeit konnte er es sich einfach nicht leisten, noch länger zu fehlen. Und den Stoff, den er in der Zeit verpasst hatte, musste er ebenfalls nachholen. Da half es in der Regel nicht, sich einfach nur die Mitschriften eines Kommilitonen zu kopieren. Ein bisschen würde er schon selbst recherchieren müssen und das dauerte jedes Mal lange. Zwar ging es nur um die Zwischenprüfungen und er schrieb zum Glück nicht bei jedem seiner Professoren eine, doch für die zwei, die vor ihm lagen, gab es noch einiges zu tun.

Da Hikawa nicht mehr bei ihnen wohnte, herrschte nun auch wieder die gewohnte Schlafordnung: Aki wandelte ohne Umwege die Couch in eine Schlafgelegenheit um und Yuki ging, nachdem er schnell die Teetassen weggeräumt hatte, in sein Schlafzimmer.

„Gute Nacht“, flüsterte er noch einmal in die inzwischen herrschende Dunkelheit zurück.

„Gute Nacht“, gab Aki zurück, kurz bevor die Tür sich schloss und damit beide vom Blick des jeweils anderen abschirmte.
 

Wie nicht anders zu erwarten, fühlte Aki sich mehr als mies, als nur wenige Stunden später der Wecker klingelte und ihn erbarmungslos aus dem Schlaf riss. Mehr von der Couch fallend als von ihr aufstehend torkelte er zum Tisch, um den eindringlichen Lärm abzustellen. Für einen Moment war er versucht, einfach auf dem Boden liegen zu bleiben und dort weiterzuschlafen, doch dann riss er sich zusammen und richtete sich schwankend auf, bis er richtig stand. Sein erster Blick fiel auf die geschlossene Schlafzimmertür, hinter der kein Geräusch zu hören war. Manchmal stand Yuki ebenfalls mit auf, wenn Aki zur Uni musste, auch wenn sein Unterricht erst später begann. Heute war damit sicherlich nicht zu rechnen und es versetzte dem Halbjapaner automatisch einen Stich im Herzen, als er das realisierte. Doch dann wiederum...er durfte sich nicht einfach so von seinen Gefühlen mitreißen lassen! Am vergangenen Tag und in der Nacht war so viel passiert, dass seine gesamte Gefühlswelt derzeit ein einziges Chaos war, in dem er sich heillos verlaufen hatte und zu ertrinken drohte. Wie sollte er seine Gefühle in den Griff bekommen, wenn er diesem Drang gleich wieder nachgab? Diesem Drang, ihn sehen, ihn berühren zu wollen...

Entschlossen wandte Aki den Blick von der Tür ab und begann, sich fertig zu machen. Er hoffte, dass die Uni ihm halbwegs Ablenkung bringen würde. Vielleicht würde er dann herausfinden können, wo genau seine Gefühle lagen und wie es in Zukunft zwischen Yuki und ihm aussehen könnte.
 

Leider hatte sich seine Hoffnung nicht unbedingt bestätigt, als er nun in der Vorlesung saß und nicht einmal mehr mit halbem Ohr hinhörte, was der Professor vorn am Pult gerade über Sportpsychologie erzählte. Dabei war das eines seiner Prüfungsfächer. Es war einfach zum Verrückt werden! Andauernd ertappte er sich dabei, wie er Löcher in die Luft oder in seinen Schreibblock starrte und darüber sinnierte, ob er Yuki heute morgen nicht doch lieber noch einmal hätte sehen wollen. Er fragte sich, wie es ihm wohl ergehen mochte. Wahrscheinlich hatte er genauso schlecht geschlafen wie er selbst. Ob er inzwischen schon aufgestanden war? Oder lag er im Bett und starrte vielleicht genauso Löcher in die Luft wie er im Moment? Oder schlief er vielleicht noch – was ja auch nicht unwahrscheinlich war, wenn man bedachte, wann sie ins Bett gegangen oder gar eingeschlafen waren! Und falls er wach war...was er dann wohl dachte? Vermutlich dachte er an ihn...an diese seltsame Beziehung, die derzeit zwischen ihnen bestand. Hoffentlich war der Schmerz, mit dem auch er gestern Abend ins Bett gegangen war, inzwischen ein wenig abgeklungen...

Ach, es war zum Verrückt werden! Die Vorlesung war fast vorbei und er hatte sich gerade einmal ZWEI Stichpunkte in seinem Block notiert! Jetzt würde er die heutige Vorlesung auch noch nachholen dürfen, obwohl er diesmal doch wenigstens körperlich anwesend war – nur mehr war es leider auch nicht gewesen...
 

~
 

Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, ein Bein leicht angewinkelt, starrte Yuki gedankenverloren an die Decke. Er wusste weder, wann er in der Nacht eingeschlafen, noch wann er am Morgen wieder aufgewacht war. Irgendwie war alles ein einziger, zähflüssiger Übergang gewesen, bei dem sich alles nur um eine einzige Person gedreht hatte: Aki. Auch wenn er sich über seine eigenen Gefühle völlig im Klaren war und an die Aufrichtigkeit des zarten Liebesgeständnisses seines Freundes durchaus glaubte, wusste er noch lange nicht, wo sie nun standen, wie es weitergehen würde. Waren Akis Angst und seine Zweifel wirklich so groß, dass sie alles andere in den Schatten stellen und dessen Gefühle unterdrücken konnten? Doch was würde dann aus ihnen werden? Yuki konnte einfach nicht mehr so weitermachen wie bisher. Er würde wahrscheinlich bald daran zerbrechen. Und dann gab es für sie beide keine Zukunft mehr, egal, wie sehr er sich auch danach sehnte. Oder wie gern es Aki sich unterbewusst vielleicht wünschte.

Oder würden letztlich die Gefühle seines Freundes über die Angst triumphieren und er sich auf diesen Mittelweg einlassen, den Yuki ihm kurz vor dem Schlafengehen unterbreitet hatte? Es wäre wohl fast zu schön um wahr zu sein. Wenn Aki diesen Schritt erst einmal wagen würde, dann könnte Yuki ihm mit Sicherheit helfen, seine Ängste nach und nach niederzukämpfen und das alles unverkrampfter zu sehen und zu genießen. Denn hieß es nicht immer, die Liebe wäre das Schönste auf der Welt?

Aber...Yuki hatte Angst davor, das alles so schön und rosig zu betrachten, auch wenn es sich immer wieder in seine Gedanken schlich. Wie enttäuscht wäre er, wenn Aki sich schließlich gegen ihre Beziehung entscheiden würde? Wie unendlich verletzt? Er konnte und wollte es sich gar nicht vorstellen und deshalb hatte er Angst vor diesen positiven Gedanken.

Wenn er wenigstens wüsste, was Aki momentan fühlte, was er dachte...
 

~
 

Zum wiederholten Male wollte ein unterdrücktes Seufzen Akis Kehle entkommen, während er resigniert den Kopf auf das Buch vor sich sinken ließ. Zum wievielten Mal hatte er diesen gottverdammten Satz nun schon gelesen? Fünfmal waren es sicherlich schon. Er kam einfach nicht weiter! Okay, die Mitschriften eines Freundes zu Sportpsychologie hatte er sich mittlerweile geben lassen und kopieren können, doch nun saß er seit geschlagenen zwei Stunden über diesem dicken Wälzer und versuchte ein wenig fehlendes Hintergrundwissen zu ergänzen, was ihm einfach nicht gelang, weil er in dieser Zeit gerade mal vier Seiten gelesen hatte. Und was in denen gestanden hatte, wusste er auch längst nicht mehr.

Es war zum Verzweifeln! Was hatte Yuki da bloß mit ihm gemacht? Er hatte einen Gefühlssturm in ihm entfesselt, den er einfach nicht mehr eindämmen konnte, egal wie sehr er es auch versuchte. Dauernd drehten sich seine Gedanken um seinen Freund, doch nicht nur sein Kopf wollte nicht auf ihn hören, auch sein Körper sehnte sich nach ihm. Seine Hände prickelten bei dem Gedanken an Yukis warme, sanfte Haut, seine Nase wollte ihm weismachen, dass er noch immer dessen angenehm frischen Geruch wahrnahm, seine Lippen sehnten sich nach denen seines Freundes und riefen pausenlos die Erinnerungen an die wenigen Male, die sie sich geküsst hatten, wach und brachten ihn damit gänzlich aus dem Konzept. Seine Brust schnürte sich zusammen und ließ ihn damit unwillkürlich die Luft anhalten, ein Schwall der Wärme explodierte in seinem Bauch und generell hatte er plötzlich das Gefühl, von seinem Stuhl abzuheben und in höhere Sphären zu entschweben.

Und immer, wenn er realisierte, was gerade mit ihm geschah, fuhr er ertappt zusammen und blickte sich nervös um, ob jemand seine Gefühls-Achterbahn bemerkt haben könnte. Und jedes Mal aufs Neue stellte er erleichtert fest, dass kein anderer Student in der Nähe war und er schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass er sich Gott sei Dank in der hintersten und entlegensten Ecke der Bibliothek verschanzt hatte. Wenn er daran dachte, dass einigen Leuten sogar aufgefallen war, dass Yuki sich in letzter Zeit anders verhalten hatte als sonst, dann wurde ihm Angst und Bange, wie auffällig er erst sein musste, wenn ihn jemand so sehen würde! Und wie sollte es dann erst werden, wenn sich beide in der Uni oder sonst irgendwo auf offener Straße begegneten? Oder gemeinsam irgendwohin wollten? Wo sich seine Seele genauso wie sein Körper so sehr nach dem Japaner sehnten? Wo es Yuki mit Sicherheit nicht besser ging...? Wie sollten sie sich da noch „normal“ verhalten können? Aki brachte es ja nicht einmal mehr fertig, so eine triviale Aufgabe wie das Lesen eines Buches zu bewältigen!

Resigniert stand er auf und nahm den Wälzer mit in den Kopierraum. Die entsprechenden Seiten hatte er ja. Vielleicht konnte er sie später irgendwann lesen. Jetzt ging es einfach nicht. Und Zeit hatte er auch keine mehr, denn seine Schicht in der Konditorei fing bald an. Dass sein Chef ihn noch nicht rausgeschmissen hatte, grenzte sowieso an ein Wunder. Er war kaum ein viertel Jahr dabei und hatte schon zweimal für längere Zeit gefehlt. Da musste er Mizutas Gutmütigkeit nicht noch weiter strapazieren, indem er nun sogar zu spät kam.
 

In der Konditorei war wie immer viel Betrieb. Dadurch, dass sich in dem Gebäude auch ein großes Kaufhaus befand, gingen hier permanent Leute ein und aus und natürlich hielten viele von ihnen an dem kleinen Lädchen an, um noch die ein oder andere Leckerei oder Backware zu kaufen. Heute schien sogar noch etwas mehr Betrieb zu sein als sonst. Viele kamen nicht nur zum Einkaufen, sondern auch, um Aki zu seinem Sieg in der Juniorenmeisterschaft zu gratulieren. Die Stammkunden der Bäckerei kannten ihn natürlich längst und der Wettkampf, an dem der Halbjapaner teilgenommen hatte, hatte durchaus eine gewisse Popularität unter der Bevölkerung erreicht. Da hatte es sich unter Akis Bekannten natürlich herumgesprochen.

„Du bist eine wahre Bereicherung für den Laden!“, lachte Mizuta-san und klopfte seinem Gehilfen auf die Schulter, als sie für einen Moment Ruhe hatten. „Jetzt bist du nicht nur ein exotischer Anblick für die Leute, sondern auch noch eine richtige kleine Berühmtheit. Viele würden wahrscheinlich gar nicht hier anhalten, wenn ich dich nicht hätte.“

„Ach was, so besonders bin ich nun wirklich nicht...“, antwortete Aki kleinlaut und wurde ein wenig rot um die Nase. Er füllte gerade den Papiertütenstapel nach und säuberte den Tresen von diversen Kuchenkrümeln, doch seine Gedanken begannen schon wieder zu wandern, kaum dass er nicht mehr vollkommen für seine Arbeit beansprucht wurde. Er hatte noch anderthalb Stunden zu arbeiten, bis der Feierabend für ihn beginnen würde, doch irgendwie konnte es ihm heute gar nicht schnell genug gehen. In jeder freien Sekunde schielte er verstohlen zum Eingang des Gebäudes, so als erwartete er, dass Yuki jeden Moment dort hereinspaziert kommen würde. Er holte ihn oft ab, wenn seine Arbeit sich dem Feierabend zuneigte. Dabei war dieser heute noch so weit entfernt! Und Yuki würde mit Sicherheit nicht kommen. Er wollte ihm Zeit für seine Entscheidung geben. Jedes Mal, wenn er dies aufs Neue realisierte, versetzte es ihm einen kleinen Stich in der Brust. Obwohl er genau wusste, dass es ihm unendlich viel schwerer fallen würde, sich nach außen hin normal zu verhalten, wenn der Japaner plötzlich vor ihm stehen würde, sehnte er sich danach, ihn wiederzusehen. Den ganzen Tag hatte er ihn nicht einen Augenblick zu Gesicht bekommen! So wenig sahen sie sich selten. Eigentlich nie... Er vermisste ihn so sehr, dass er inzwischen wirklich nicht mehr sagen konnte, was schlimmer war: sich in Yukis Gegenwart zusammenreißen zu müssen, ihn nicht berühren zu dürfen, obwohl alles in ihm danach schrie – oder gänzlich auf ihn verzichten zu müssen. Seine Stimme, sein Lächeln, die sanften Augen...

„... Aki-san? Hallo, Aki-san! Aufwachen!“

Die Stimme seines Chefs riss ihn aus seinen Gedanken und ließ den Halbjapaner ertappt zusammenfahren.

„Ja? Was gibt es?“, fragte er hastig, wischte mit zwei schnellen Zügen den Tresen fertig und beendete die Aufgabe, in der er mittendrin inne gehalten hatte.

„Wo warst du denn gerade mit deinen Gedanken? So abwesend habe ich dich noch nie gesehen“, kam es verdutzt von Mizuta-san.

„Ah-, ähm...die Prüfungen. Ich war in Gedanken schon wieder bei meinen Prüfungen. In knapp zwei Wochen ist es soweit. Das sind die ersten, die ich schreiben werde, seit ich mit dem Studium begonnen habe. Tut mir Leid...“

Aki atmete innerlich auf, dass es ihm gelungen war, in der Kürze der Zeit eine Ausrede finden zu können. Und ihm fiel regelrecht ein Stein von Herzen, als Mizuta-san ihm das bedenkenlos zu glauben schien.

„Ach, mach dir nicht zu viele Gedanken, Aki-san! Du bist ein kluger Bursche. Das wirst du schon schaffen.“

„Danke...“

Zum Glück kamen nun wieder Leute vorbei, sodass das kurze Gespräch wirklich zu Ende war und nicht doch noch in eine ungünstige Richtung gehen konnte, zum anderen lenkte es Aki wieder ein wenig von seinen eigentlichen Gedanken ab. Der Abend zog sich noch ein ganzes Weilchen hin und auch wenn es Aki nicht wirklich unangenehm war, hier zu arbeiten, fiel es ihm heute durchaus schwerer als sonst. Dauernd hatte er das Gefühl, die Leute würden ihn heute ein wenig seltsam ansehen. Fast so, als stünden ihm seine Gedanken auf die Stirn geschrieben. Verhielt er sich wirklich so anders oder bildete er es sich nur ein? Er wusste es nicht, doch auf jeden Fall nährte es in ihm den Wunsch, wenigstens eine kurze Zeit lang allein sein zu können. Unbeobachtet von fremden Augen, damit sich wenigstens die Befürchtung, dass die ganze Welt bereits zu wissen schien, welche Gedanken ihn quälten, verflüchtigte.

Endlich rückte die Zeit des Ladenschlusses näher und es kamen inzwischen kaum noch Kunden vorbei. Dadurch ließ sich Aki zwar wieder wesentlich häufiger ablenken und es fiel ihm schwer, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, doch wenigstens würde er bald gehen können. Allerdings hieß das auch, dass er Yuki bald wieder sehen würde. Und damit war er auch wieder bei der Frage, die nun schon seit einer ganzen Weile an ihm nagte: Wie würde es ab heute Abend zwischen ihnen weitergehen? Er ertrank fast an seiner Sehnsucht nach Yuki und die Tatsache, dass der Japaner nur auf einen Schritt seinerseits wartete, machte es nur noch schlimmer. Denn selbst wenn sie ihre Liebe versuchen würden geheim zu halten, irgendwann würde es mit Sicherheit doch nach außen durchdringen. Auf welche Weise auch immer. Und dann würde es vorbei sein mit der Ruhe. Und er hatte Angst...um Yuki, denn er wusste, dass es genügend Leute gab, die Homosexualität verabscheuten und deswegen versuchen würden, ihnen das Leben schwer zu machen. Zwar traute Aki sich zu, dass er zur Not damit umgehen können würde, aber wie es mit Yuki aussah, wusste er nicht. Der Japaner wirkte immer wie ein Fels in der Brandung. Ein Ruhepol, ein sicherer Zufluchtsort, wann immer es Probleme gab. Wie oft hatte er Aki mit seinem stetigen Wesen schon Kraft gegeben, wenn er selbst am Zweifeln gewesen war? Aber könnte er mit so etwas auch so locker umgehen? Auch Jimmy war stets der Optimismus in Person gewesen, nichts hatte ihn erschüttern können – bis das Geheimnis zwischen ihm und seiner Schwester bekannt geworden war. Und was vorher sicher niemand geglaubt hätte, war letztlich eingetreten: Jimmy war zerbrochen. An seinen Gefühlen und der beständigen Grausamkeit, mit dem von allen Seiten auf ihm herumgetrampelt worden war. Wer also konnte ihm garantieren, dass es Yuki nicht genauso ergehen könnte? – Niemand. Nicht einmal Yuki selbst.

Akis Brust zog sich schmerzhaft zusammen.

Nein! So weit durfte es nicht kommen! Niemals! Und wenn er dafür für immer auf ihr Glück verzichten musste!

Doch der Schmerz in Akis Herzen wurde nur noch größer. Warum, verdammt noch mal, war alles nur so ausweglos?

„Deine Gedanken sind heute wirklich ganz woanders, was, Aki-san?“

In der Stimme seines Chefs schwang leichte Sorge mit.

„Ah, Entschuldigung...“

„Machen dir deine Prüfungen so sehr zu schaffen? Dabei bist du doch immer so gewissenhaft bei der Arbeit! Ich kann mir nicht vorstellen, dass das beim Studium anders sein soll.“

„Nein, natürlich ist mir mein Studium sehr wichtig, aber ich habe leider eine ganze Menge verpasst, als ich diese Woche nicht da war.“

Der Halbjapaner dankte dem Schicksal, dass Mizuta-san den Faden von vorhin so bereitwillig wieder aufgenommen hatte, und dass das mit dem verpassten Stoff sogar stimmte.

„Na dann mach dich los“, seufzte der Konditoreibesitzer ergeben. „Atme mal tief durch und ordne deine Gedanken. Auch wenn eine viertel Stunde mehr nicht viel ist. Letztlich muss jetzt nur noch aufgeräumt werden und das kann ich auch allein. Deine verletzte Hand solltest du sowieso noch ein wenig schonen.“

„Danke, Chef.“

Dankbar sammelte Aki seine Sachen zusammen und machte sich auf den Heimweg. Er wollte einfach nur raus und allein sein, geschützt von der tiefen Schwärze der Nacht, die die Stadt inzwischen überzogen hatte.
 

So ganz wurde es dann aber doch nichts mit dem Alleinsein, denn kaum dass er das Gebäude einige Meter hinter sich gelassen hatte, vernahm er eine vertraute Mädchenstimme.

„Oh, du hast schon Schluss?“

Er hätte sich nicht einmal umzudrehen brauchen, um zu wissen, dass die Frage von Haruko gekommen war. Aki wusste, dass dieser Ort nicht auf ihrem Heimweg lag, also war sie sicherlich gekommen, um ihn abzuholen.

„Ja, mein Chef hat mich etwas eher gehen lassen. Guten Abend!“, antwortete schließlich und drehte sich mit einem halb ehrlichen, halb aufgesetzten Lächeln zu seiner Freundin um. Zwar wäre er jetzt wirklich lieber allein gewesen, doch Haruko...na ja, sie war in gewisser Hinsicht eine Ausnahme. Sie wusste ohnehin, was gerade los war, und mit Sicherheit war das auch genau der Grund, weshalb sie ihn heute hatte abholen wollen.

„Dir auch einen schönen Abend. Wollen wir ein Stück zusammen gehen?“

„Gern.“

Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Aki, tief in Gedanken versunken, und Haruko, ihn unauffällig beobachtend. Schließlich entschied sie sich, ihn vorsichtig anzusprechen.

„Du siehst aus, als hättet ihr euer Problem noch nicht richtig klären können, was?“

„Nein...nicht so richtig. Na ja, eigentlich ist es fast schon wieder ein neues Problem...“

An der Art, wie Aki um den heißen Brei herumredete, merkte das Mädchen gleich, dass ihr Freund noch nicht so richtig mit der ganzen Sprache herausrücken wollte. Und ihn dazu zu zwingen, würde erst recht nichts bringen. Es stimmte sie ein wenig traurig, dass Aki selbst seiner besten Freundin gegenüber so verschlossen war, doch was konnte sie schon tun außer zu warten, bis er von selbst auf sie zukam?

„Diese ganze Sache ist mit Sicherheit nicht einfach, das glaube ich dir. Aber vergiss bitte nie, Aki: Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst. Egal, worum es geht oder was passiert ist. Du bist mein Freund und daran wird sie nie etwas ändern.“

Ein trauriges Lächeln schlich sich auf Akis Gesicht.

„Ich weiß. Manchmal bist du wie eine gute Fee, weißt du das, Haruko? Du bist genau wie Yuki: immer da, wenn man ihn braucht. Und ich danke es dir noch nicht einmal richtig.“

Doch die Japanerin schüttelte den Kopf.

„Du wirst schon wissen, wann du mit mir reden möchtest. Ich höre auf jeden Fall zu. Aber ich zwinge dich zu nichts. Ruf einfach an oder komm vorbei, wenn dir der Sinn danach steht.“

„Klar, werd ich machen.“

Und Aki nahm sich vor, sie irgendwann wirklich in seine Vergangenheit einzuweihen. Momentan hatte er nicht die Kraft dafür. Sein Entscheidungsproblem zehrte viel zu sehr an seinen Nerven. Doch wenn das irgendwann ins Reine gekommen war, würde er mit Haruko reden.

An der nächsten Weggabelung blieben beide stehen. Hier trennten sich ihre Wege, denn wenn die Japanerin ihn weiter begleitete, müsste sie einen ziemlichen Umweg in Kauf nehmen.

„Kopf hoch, Aki! Ich kann nicht entscheiden, wie es mit dir und Yuki in Zukunft weiter gehen soll, aber egal was kommt, du bist nicht allein! Denk bitte immer daran.“

„Ja. Danke, Haruko!“

„Du musst dich nicht bedanken. Im Moment kann ich leider gar nichts für euch tun“, seufzte sie etwas resigniert.

„Doch, du tust viel! Allein schon dadurch, dass du einfach da bist.“

Sie kicherte ein wenig.

„Na wenn du meinst. Dann vergiss es aber auch nicht.“

„Werd ich nicht, versprochen.“

„Gut. Dann kann ich dich jetzt also allein nach Hause lassen?“

„Tz! Du kannst ja richtig frech sein!“

„Ach was! Ich doch nicht“, antwortete sie scheinheilig und setzte sich in Bewegung. „Also bis später!“

„Ja, bis später!“

Jetzt ging auch Aki weiter. Es war schon seltsam mit Haruko. Den ganzen Tag über war er von seinen Gedanken und Gefühlen fast erdrückt worden und jetzt hatte schon ein kurzes Gespräch mit seiner besten Freundin geholfen, um seine Seele wenigstens für einige Momente von diesem schweren Gewicht zu befreien, was auf ihr lastete. Er versuchte, das noch eine Weile auf sich wirken zu lassen, doch spätestens, als er vor der Eingangstür des Studentenwohnheims ankam, war ihm der Rest der zeitweiligen Leichtigkeit entglitten und die erdrückende, aussichtslose Schwere war zurückgekehrt. Mit heftig klopfendem Herzen drehte er den Schlüssel im Schloss um und ging zum Aufzug.

Das Kribbeln in seinem Körper kehrte zurück und nahm mit jedem Schritt, jedem Atemzug an Intensität zu.

Während er wartete, bis er in seiner Etage angekommen war, meldete sich ein leiser Gedanke in seinem Hinterkopf, der ihm riet, dass es vielleicht besser war, einfach auf dem Absatz kehrt zu machen und lieber noch ein bisschen zu warten, bis er Yuki wieder gegenüber trat. Doch diese Stimme wurde von den Gefühlen, die sich mittlerweile in ihm überschlugen, gnadenlos niedergekämpft.

Die Türen des Aufzugs öffneten sich und seine Beine führten ihn automatisch, fast schon gegen seinen Willen, zur entsprechenden Wohnungstür. Schon von draußen hatte er gesehen, dass Licht in der Wohnung brannte. Es waren nur noch Sekunden, die ihn von Yuki trennten. Sekunden und eine dünne Holztür, die jeden Augenblick aufschwingen würde und die letzte Sichtbarriere verschwinden ließ.

Ein wenig zittrig näherte sich der Schlüssel in Akis Hand dem Schloss, öffnete die Schließvorrichtung und ließ das dünne Holz ein Stück nach innen schwingen.

Neugier und Sehnsucht trieben ihn trotz der beinah überwältigenden Angst dazu, durch den dünnen Türspalt zu linsen, doch dort war noch niemand zu sehen. Auch Geräusche vernahm er keine. Routiniert streifte er die Schuhe von den Füßen und trat schließlich ein, lugte um die Ecke und bemerkte Yukis Schatten auf dem Wohnzimmerteppich.

Als die Tür leise ins Schloss zurückfiel, bewegte der Schatten sich erst ein wenig, wuchs dann aber schnell an und ließ nur Sekunden später seinen Besitzer folgen, der sich stumm, mit unsicher fragendem Blick von innen gegen den Türrahmen lehnte und wartete.

Einige Augenblicke war Aki wie gelähmt. Die Sehnsucht war schier überwältigend, kaum dass ihre Blicke sich trafen und Angst und Zweifel explodierten in demselben Maße und entfachten in ihm ein so gewaltiges Chaos, dass er vor Verzweiflung am liebsten laut aufgeschrieen hätte.

Es ging nicht.

Er konnte einfach nicht.

Eigentlich hatte er das schon den ganzen Tag gewusst, doch jetzt, wo nur noch knappe zwei Meter Luftlinie zwischen ihnen lagen, verpuffte das letzte Stück Illusion, mit dem er sich den noch immer umgeben hatte.

Er konnte nicht gegen seine Gefühle ankämpfen. Jetzt nicht, und auch in Zukunft nicht. Ganz gleich, was für eine Gefahr das für sie bedeuten könnte. Und während die letzte Fassade des Widerstands, den er sich selbst geliefert hatte, bröckelte und zersprang, klammerte sich sein verängstigtes Ego an einen einzigen Gedanken, der ihm Halt gab: ‚Egal was kommt, du bist nicht allein!’

Und er hielt sich daran fest, während seine Beine sich wie von selbst in Bewegung setzten, seine Arme sich nach Yukis Gesicht reckten und seine Lippen sehnsüchtig die seines Freundes berührten.

Er war nicht allein. Sie waren nicht allein. Selbst wenn die Welt unter ihnen zerbersten sollte, sie waren nicht allein. Sie hatten einen Menschen, der stets bei ihnen bleiben würde; komme, was wolle.

Sie hatte es versprochen. Und sie würde es halten. Denn sie teilte ihr Geheimnis.

In diesem Moment herrschten keine Zweifel mehr, keine negativen Gedanken. Nur endlose Glückseligkeit, als Yuki fast im selben Moment Akis Kuss erwiderte, er mit kräftigen, aber dennoch sanften Armen empfangen und stärker an diesen warmen, schmerzhaft vermissten Körper gezogen wurde, Herz an Herz. Ihr gemeinsames Schlagen überdeutlich spürbar. Zwei Seelen, vereint.

Es war entschieden. Eine Tür war geöffnet worden, die andere blieb für immer verschlossen. Ein neuer Weg in die Zukunft begann, doch noch wusste niemand, wohin er führen würde.

Aber in diesem Augenblick war es egal.



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Kommentare zu dieser Fanfic (38)
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Von: abgemeldet
2007-09-04T19:26:33+00:00 04.09.2007 21:26
Hallöchen^^
ich glaube du hast es schon längst aufegegeben irgendwann mal wieder ein kommi von mir zu hören aber du weiss sicher nur zu gut wie das ist wenn man keine zeit hat...*dropps* aber jetzt ist es endlich soweit ^^ ich aheb gleich alle vier kapitel von jimmy zugleich gelesne und jetzt KANN ich nicht mehr anders als dir zus chreiebn ^^y
also leg ich gleich mal los:
ich bin ja ein friedfertiger mensch aber sollte mir dieser Peter Bark einmal in einem unbeobachteten moment in die quere kommen ... ich könnte für nichts garantieren.... du hast diesen hetzreporter so gut rübergebracht sdas ich bei jedenm neuen artikel vor wut und entrüstung geschäumt habe >.< " wie kann man nur??
die eltern hast du ebenfalls so gut beschrieben das ich eifnach nur fassungslos bei soviel unverständis für das eigene kind bin ... also wirklich und er vater erst... ein von der gesellschaft geprägter mann wie er im buche steht... so voller vorurteile und vorallem so unverbesserlich... bei dem würde es selbst nicht helfen wenn man ihm versuchen würde was mit dem ahmmer einzuprüpgeln.... *resigniert seufz*
man hat es ja kommen sehen das das mit jimmy nicht gut ausgehen würde aber als er dann wirklich vom dach gesprungen ist war es doch ein kleiner schreck.... und wie du dann die gefühle und gedanken von danny beschrieben hast.... *sich selbst ganz schnell eine apckung mit taschentüchern angeln musste*

abeschließend bleibt mir nur noch zu sagen das ich mich auf jedes weitere kapitel von dir zu dieser geschichte freue und es nicht erwarten kann bis du endlcih weiter schreibst^^

*knuddel* mit denn allerbesten wünschen
die Lady=^.^=
Von: abgemeldet
2007-08-19T09:56:01+00:00 19.08.2007 11:56
So, nachdem ich jetzt endlich alle Jimmy Kapitel gelesen hab und wieder weiß, um was es geht *drop*, kriegst du jetzt auch endlich ein Kommi!^-^

Ich finde die ganze Jimmy Geschichte unglaublich traurig, aber irgendwie auch unglaublich schön! Es ist wirklich schön, wie weit Akis Freundschaft geht! Aber es war so traurig, als Jimmy sich vom Hochhaus gestürtzt hat... An dieser Stelle musste ich heulen...v.v Und vor allem, dass Aki es auch noch alles mitansehen musste. Da ist es nur gut verständlich, wenn er sich hinterher so schlecht fühlt und so darauf reagiert. Aber Hikawa-sensei war mal wieder zur Stelle und hat Aki zur Vernunft gebracht. Ich mag Hikawa sehr, vor allem nach diesen Jimmy Kapiteln ist er mir sehr ans Herz gewachsen.^-^
Die Gefühle in diesem Chap hast du sehr gut beschrieben, hab richtig mit Aki mitgelitten. Es ist auch Schade, dass Akis Eltern ihren Sohn auf einmal nicht mehr akzeptieren, obwohl er ja sehr vorbildlich gehandelt hat... Aber ich glaube wirklich, dass es kaum jemanden gibt, der Geschwisterliebe akzeptieren würde und das Akis Eltern Angst um ihn haben ist auch irgendwie verständlich, also die Sicht seiner Mutter kann ich durchaus nachvollziehen. Sein Vater ist mir allerdings sehr unsympathisch... Hat mich auch ein bisschen gefreut, als er ihm dann auch mal eine gegeben hat...ähäm...^^°

So, ich würde mich echt freuen, wenn es dir in den Ferien noch zu einem Chap reichen würde!^^ Will nämlich unbedingt wissen, wie's weiter geht!^^
Aber es war echt mal wieder ein spitzen Kapitel!^^
Mach weiter so!^^
bye bye
HDL
Janine =)
Von: abgemeldet
2007-03-31T11:26:01+00:00 31.03.2007 13:26
uiuiui naa~~ endlich XD der kuss war ja schon fast überfällig ^^ auch weiterhinm gefällt mir deine geschichte sehr gut >.<
die meisterschaft hast du echt spannend gemacht und cih musste richtig mitfiebern ;> klar das unser aki gewinnen musst *g* ich habe sogar auf wikipedia nachgeschlagen um zu gucken wer Saigo Takamori ist n.n"
eine kritik habe ich dann aber doch für dich, vielleicht ist dir das noch nicht so aufgafallen, aber du springst während eines satzes manchmal in den zeiten und das leider recht oft...
ansonsten hioffe ich das es bald weiter geht ;>

*ganz liebe grüße da läßt*
die Lady =^.^=
Von: abgemeldet
2007-03-29T15:27:47+00:00 29.03.2007 17:27
erst mal mein kompliment ^^ bis hier her ist dir echt eine gute und total niedliche geschichte gelungen *den hut zieht*
ich kenne das problem auch das man bei eigenen geschichten weniger feadback bekommt und deswegen gebe ich diesen selbsterfundenen geschichten, sobald ich sie bei einem der mexxler in der favo liste entdecke immer den vortritt ^^y was ich damit sagen will ist eigendlich das ich es nicht bereut habe und gespannt die nächsten chapter deiner ff lesen werde XD
hoffe du schreibst fleißg weiter ;>

lg von der Lady =^-^=
Von: abgemeldet
2006-07-03T18:30:28+00:00 03.07.2006 20:30
Wow! Wirklich en schönes Kapitel! ^-^ Mich hat's gewundert, dass ich nach all der Zeit noch in der Story drin war. *gg* Die Konflikte und Lösungsversuche, die du da aufbaust sind allesamt logisch und wirklich gut gemeistert. Bin ja mal gespannt, worauf diese Rückblende (ne ganz schön lange, ne? ^^") noch so alles hinausläuft und wann es mit den eigentlichen Schuckies weiter geht. ^-^ Denn da steht ja auch ncoh eine Konfliktlösung aus, wenn ich mich recht erinnere.
Wie schon gesagt, es ist ein tolles Kapitel geworden und du kannst völlig zurecht zufrieden damit sein. ^-^

lg
lycidas
Von: abgemeldet
2006-06-28T16:29:13+00:00 28.06.2006 18:29
Huhu^^

Soooo, jetzt mein Comment...endlich auch mal...*drop*

Mir hat das Chap richtig gut gefallen! Sowohl vom Schreiberischen her, als auch von den Ideen. Man kann sich bei dir immer so gut in die Personen hinein versetzen! Das ist wirklich toll!

Auch die Rückblende fand ich sehr gut. Ich hätte nicht gedacht, dass Jimmys Geschichte so geht. Das ist wirklich dramatisch und gleichzeitig auch unglaublich schön...^^ Allein schon weil Aki so sehr zu seinem Freund hält! Und ihn immer unterstützt. TOLL!!! *schmacht* Aber Jimmys Liebe zu seiner Schwester...er kann einem wirklich Leid tun, dass das nicht akzeptiert wird und dann auch noch so einen Vater zu haben...ich bin ja mal gespannt, wohin er gelaufen ist! Hoffentlich holt Aki ihn ein...*hoff*

Was ich dann aber immer wieder lustig fand war, wie sie über das 'Mädchen' aus Japan gesprochen haben...*lol* Wenn der wüsste...XD~

Also, ich bin ganz arg gespannt, auf den nächsten Teil, bitte lad ihn bald hoch!!! Oder schick ihn mir vorab, dieses Mal komm ich bestimmt früher zum Lesen...*drop*

Baichen *ganz doll knuffelz*
Cherry
Von:  windhauch
2006-04-14T14:56:49+00:00 14.04.2006 16:56
hi

das kapitel war sehr gut geschriben man war richtig hinein versetzt...

trotzdem mus ich sagen das ich nicht so der fan der langen vergangenheit bin ich mag lieber dir spanende gegenwart wie es mit den beider weiter geht...!

ansonsten bin ich doch zufriden und bin auch das nächste papitel gespand ich holle Jimmy ist nich von seinem father ungebracht worden...da graust es mir !!! >.<
^.^
Gruß
~hauch~

PS: und immer schön bescheit sagen !!! ^^
Von: abgemeldet
2006-04-12T12:15:47+00:00 12.04.2006 14:15
Wui! Ein neues Kapitel! Und ich bis sogar die erste. *grins* Also, ich fand dein Kapitel weder stockend noch schlecht! Ich fand es eher richtig gut! Die Rückblende ist dir wirklich gelungen und ich bin gespannt wie es weiter geht und wie du sie mit der gegenwärtigen Situation verbindest! Also, immer weiter so!!!! *schokokuchen rüber schieb*

Baba,
Lyc
Von:  windhauch
2006-02-21T18:00:05+00:00 21.02.2006 19:00
arg dachte ich ich spine hir ist ja auch die story !!!
und noch fiel weiter !!!

auf jeden fall klasse und
bitte schnell weiter
bin gespand wie es weiter geht !!! >.<
Gruß
~hauch~

PS.: bitte bitte benarichtige mich wenn es weiter geht !!!
Bussi
^.^
Von: abgemeldet
2006-01-16T00:50:53+00:00 16.01.2006 01:50
Wooooooiiiiiii!!!!! *reingetaumelt komm*
Was für eine geniale Fanfic!!! Ich bin begeistert! Ich bin sprachlos... nein, eigetnlich nicht! Deine Geschichte komtm wirklich wahnsinnig sympathisch rüber, die Charaktere sind so liebevoll gestaltet und überhaupt die ganze Stimmung ist klasse. Woher hast du nur die ganzen Kenntnisse über Kendo? Gut recherchiert, was? ^-^
Jetzt, im letzten Kapitel hab ich richtig mit den beiden mitgelitten! Wie Aki Yuki diese hässlichen Dinge gesagt hat, dann die Szene im Park und der Ansatz einer Versöhnung. was ist es denn, was Aki erlebt hat... Eigentlich kann man ja schon fast von einem Trauma sprechen, oder? Wah! Bitte schreib schnell weiter!!!! Ich kann es kaum erwarten!!! Ich hoffe ich bekomme eine ENS wenn es weiter geht. *lieb schau*
Woi... Ich glaub ich seh schon verschwommen, hab grad die ganze FF durchgelesen... und ich muss um 7 schon wieder raus zur Uni ;_;

Also denne, Gute nacht!
*knuddel*
Lyc


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