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Kaze no Uta

Das Lied des Windes
von

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Jimmy (Teil 4)

Ja~, ihr musstet mal wieder viel zu lange auf das nächste Kapitel warten, ich weiß. Aber hey, seht es mal positiv: Für den letzten Teil habe ich fast ein Jahr gebraucht, für den hier nur drei Monate. Das ist doch schon mal was, oder? (Dass dieses Kapitel schon seit langem fertig ist und ich mir bloß noch die Korrekturen meiner Beta anschauen musste, sag ich besser nicht *hüstel*.)

Jedenfalls ist es jetzt fertig zum Hochladen. Frisch nach meiner Weisheitszahn-OP kann ich eh nicht so viel machen, also habe ich „gezwungenermaßen“ gerade so was wie Freizeit ^^.

Viel Spaß damit!
 

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Jimmy (Teil 4)
 

„JIMMYYYYY!!!“

Verzweifelt krallte Danny sich an der Kante des Daches fest und beugte sich weiter nach vorn. Wie in Zeitlupe sah er seinen Freund fallen, fast so wie in einem Film. Der Aufschlag war selbst in seiner Höhe noch deutlich hörbar und im selben Moment, als er realisierte, was gerade geschehen war, gaben seine Arme nach und er kippte nach vorn. Seine Sicht begann, durch die hervorbrechenden Tränen zu verschwimmen, wie aus weiter Ferne nahm er Stimmen wahr, spürte einen kurzen, heftigen Ruck an seinem T-Shirt und fiel rücklings auf das Dach zurück, sein Kopf schlug ungebremst auf dem harten Stein auf.

„Nein…Jimmy… Ich muss zu ihm…“, nuschelte er noch leise, dann war alles schwarz.
 

Als er wieder zu sich kam, befand er sich einige Meter vor dem Hochhaus, auf einer Bahre liegend. Man hatte ihm ein Atemgerät übergestülpt und die Beine angewinkelt. Es dauerte eine Weile, bis sich die weißen Punkte vor seinen Augen soweit zurückgezogen hatten, dass er auch Genaueres sehen konnte.

Überall liefen Notärzte und Polizisten herum, hauptsächlich damit beschäftigt, die immer größer werdende Schar an Schaulustigen fernzuhalten.

Er versuchte, sich noch ein Stück weiter zu drehen, doch sofort wurde das Blinken vor seinen Augen wieder heftiger und das Rauschen in seinen Ohren – als Fiepen konnte man es schon nicht mehr bezeichnen – lauter. Das Schwindelgefühl in seinem Kopf ließ ihm regelrecht schlecht werden. Danny stöhnte gequält auf.

An einer Hausecke sah er einen Krankentransporter stehen. Einige Notärzte standen um diesen herum. Zwei öffneten gerade die hinteren Türen, während andere in Richtung des Hauses eilten und ihre Kollegen abpassten, die von dort her gerade eine Bahre zum Fahrzeug schoben, auf welcher etwas mit einem schwarzen Tuch bedeckt war.

‚Jimmy…’, ging es Danny noch einmal durch den Kopf, bevor er erneut das Bewusstsein verlor.
 

Als er abermals erwachte, befand er sich in irgendeinem Krankenhaus. Es musste mitten in der Nacht sein, denn bis auf den kläglichen Lichtstrahl, der unter der Tür durchschimmerte, war das Zimmer dunkel. Danny stieg der beißende Geruch von Desinfektionsmitteln in die Nase, der ihm gleich wieder übel werden ließ.

Einzelne Tränen rollten ihm über die Wange. Er konnte nicht beschreiben, wie er sich jetzt fühlte. Bisher hatte er immer gedacht, wenn man einen geliebten Menschen verlor, brach man in sintflutartige Heulkrämpfe aus und fing an, sich aus tiefstem Herzen zu wünschen, denjenigen irgendwie wieder beleben zu können, egal welche Opfer man dafür bringen müsste. Aber Danny fühlte gar nichts. Er war wie betäubt. Wahrscheinlich war die ganze Tragweite dieses schrecklichen Ereignisses noch gar nicht zu ihm durchgedrungen. Seine feuchten Augen waren stumm zur Tür gerichtet, so als würde er jeden Moment erwarten, dass sein Freund dort hereinspaziert käme und ihn fragte, was er denn jetzt schon wieder angestellt hätte, dass er hier gelandet war.

Doch Jimmy kam nicht.

Niemand kam. Warum auch? Es war ja mitten in der Nacht. Keiner würde annehmen, dass er wach war. Und er wollte auch nicht, dass jemand sich um ihn kümmerte. Ihm war es egal, ob irgendwas mit ihm war. Jimmy hatte auch niemand geholfen…

Ein halb unterdrücktes Schluchzen verließ seine Kehle. Fast schon schmerzhaft presste er die Augen zusammen und krallte seine Hände in die dünne Decke, die man über seinen Körper gelegt hatte.

Es tat so weh. Diese Ohnmacht, dass nun alles endgültig, für immer entschieden und niemals rückgängig zu machen war, schlich sich immer tiefer in sein Bewusstsein. Unaufhaltsam und gnadenlos. Nicht nur, dass er seinen besten Freund verloren hatte, einen Menschen, den er für seinen Mut und seine innere Stärke stets bewundert und für ihre unzertrennliche Freundschaft wie einen Bruder geliebt hatte. Es war vor allem auch ein sinnloser Tod gewesen, der niemals hätte sein müssen. Die Gesellschaft, seine so genannten „Freunde“, sogar seine eigenen Eltern hatten ihn dorthin getrieben, wo er jetzt war. Und das nur, weil er sich unglücklicherweise in einen Menschen verliebt hatte, den er nicht lieben durfte.

Neben der Ohnmacht spürte Danny nun auch Wut in sich aufkeimen. Wut, wenn nicht sogar Hass auf all diese oberflächlichen, armseligen Kreaturen, die diesen einzigartigen Menschen zugrunde gerichtet hatten. In diesem Moment schwor Danny sich, dass er ihnen allen niemals verzeihen würde. Keinem einzigen, der seinen Teil zu Jimmys Schicksal beigetragen hatte.
 

Am nächsten Morgen erwachte er durch ein Gespräch ganz in seiner Nähe aus einem unruhigen, von Alpträumen geprägten Dämmerschlaf. Er erkannte die Stimmen seiner Eltern, die gedämpft mit irgendeiner anderen Person sprachen, wahrscheinlich einem Arzt. Dem Gespräch konnte er entnehmen, dass ihm soweit wohl nichts fehlte. Der Doktor laberte irgendwas von „Schock“ und „Kreislaufzusammenbruch“, aber so genau hatte er da nicht hingehört.

Es war ihm egal.

Nachdem der Arzt verschwunden war, blieben nur seine Eltern zurück, doch Danny wollte nicht mit ihnen reden, deshalb stellte er sich weiter schlafend. Die Besucher erwiesen sich jedoch als sehr geduldig und verharrten wahrscheinlich stundenlang fast geräuschlos in dem kleinen Krankenzimmer. Es stand immer mal wieder jemand auf und verließ den Raum, doch mindestens einer von beiden blieb stets zurück. Irgendwann, als Dannys Vater gerade den Raum verlassen hatte, sprach seine Mutter ihn in der Hoffnung, eine Reaktion zu erhalten, einfach an:

„Es tut mir Leid, Danny. Dass du so etwas mit ansehen musstest…“

Und das war ihre größte Sorge? Der Halbjapaner hielt unmerklich den Atem an, blieb aber weiterhin ruhig.

„Wer hätte auch ahnen können, dass Jimmy so weit geht? Noch dazu, wenn du dabei bist. Seinem besten Freund so einen Schock zu versetzen…“

„Hör auf“, unterbrach Danny sie leise. „Du hast doch keine Ahnung.“

Die Frau wollte ihrem Sohn ins Gesicht sehen, doch Danny war durch dieses Gespräch schon wieder den Tränen nahe. Diese Blöße wollte er sich nicht geben, also drehte er sich auf die andere Seite. Seine Mutter seufzte schwer, gab aber nach und setzte sich wieder hin. Ein paar Minuten schwieg sie, bevor sie erneut zum Sprechen ansetzte:

„Der Arzt hat gesagt, dass dir nichts fehlt. Du kannst nachher mit nach Hause kommen.“

Schweigen.

Dannys Mutter stand erneut auf und trat einige Schritte auf sein Bett zu, dann sprach sie weiter. Ein Hauch Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit.

„Danny, bitte…! Verschließ dich nicht so. Es macht mir Angst, dass ich dich vielleicht verlieren könnte…“

Die Frau wollte noch weiter sprechen, das merkte man an ihrer Stimmlage, doch sie brach ab, denn in diesem Moment kam Dannys Vater zurück. Er bemerkte die veränderte Lage sofort und fragte seine Frau:

„Ist er endlich wach?“

Danny selbst hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Vater anzusehen, sodass er auch nicht mitbekam, dass dieser ihn ebenfalls geflissentlich ignorierte. Mehr als diese eine Frage schien ihn eh nicht zu interessieren, denn man vernahm von ihm nur einen zustimmenden Laut und eine knappe Antwort.

„Dann soll er langsam aufstehen und runter kommen. Ich fahre schon mal den Wagen vor.“

Damit verschwand der Mann wieder. Danny hatte erst mit dem Gedanken gespielt, einfach liegen zu bleiben und so zu tun, als hätte er nichts gehört, doch das war ihm nach einer weiteren Überlegung bereits wieder zu kindisch. Und hier bleiben wollte er im Grunde auch nicht. Also stand er kommentarlos auf, zog gemächlich seine Schuhe an, die ordentlich vor seinem Bett standen, und nahm dann seine Jacke zur Hand, die neben der Tür an einem Kleiderhaken hing. Dann wartete er einfach, bis seine Mutter voranging und trottete ihr teilnahmslos hinterher.
 

Zu Hause angekommen, ging er geradewegs in sein Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Er wollte jetzt seine Ruhe haben, brauchte sie auch unbedingt. Das hatte er während der Autofahrt deutlich gemerkt, denn obwohl niemand etwas gesagt hatte, hatte es stark an seinen Nerven gezehrt. Schon die Tatsache, dass er nicht allein und unbeobachtet gewesen war, war belastend gewesen, hinzu kam noch das Wissen, dass seine Eltern seinen besten Freund Jimmy, den auch sie bereits seit Jahren gekannt hatten, mit einem Mal so verurteilt hatten. Das war es, was ihm am meisten zu schaffen machte und weshalb er im Moment einfach keinen von beiden sehen wollte.

Irgendwann am Abend klopfte es an der Tür. Seine Mutter stand davor und wollte ihm etwas zu essen bringen. Danny reagierte nicht. Er hatte eh keinen Hunger. Und so saß er nur weiter stumm und in sich zusammengekauert in der hintersten Ecke seines Bettes und starrte gedankenverloren und ohne wirklichen Bezugspunkt aus dem Fenster. Er versuchte nun schon seit Stunden, seinen Geist auf irgendetwas zu fokussieren, doch es gelang ihm einfach nicht. Immer und immer wieder wurden seine Gedanken zu jener grausigen Szene auf dem Dach des alten Hauses zurückgerissen, wo er seinen besten Freund zum letzten Mal in seinem Leben gesehen hatte. Noch immer glaubte er, dieses haarsträubende Geräusch, als würde etwas zerplatzen und zerbrechen, entfernt wahrnehmen zu können. Es bereitete ihm eine Gänsehaut. Würde er nicht permanent versuchen, diese Eindrücke aus seinem Kopf zu verbannen, hätten sie ihn wahrscheinlich längst verrückt gemacht. Dass er dabei seine Hände die ganze Zeit über so fest in seine Oberarme gekrallt hatte, dass diese bereits blutrot angelaufen waren, nahm er gar nicht wahr.

Erst spät in der Nacht, als seine Kehle bereits so ausgedörrt war, als hätte er einige Tage ohne zu trinken in der Wüste verbracht, raffte er sich dazu auf, nach draußen zu gehen und ein Glas Wasser zu holen. Außerhalb seines Zimmers war es totenstill und stockdunkel. Seine Eltern hatten sich also zumindest nicht die Mühe gemacht, ihn so lange zu überwachen, bis er irgendwann von selbst aus seinem Zimmer kam. Vielleicht hatten sie jetzt endlich begriffen, dass er in Ruhe gelassen werden wollte.

Auch diese Nacht verbrachte Danny sehr unruhig. Nicht nur, dass er kaum Müdigkeit verspürte; jedes Mal, wenn er dennoch einnickte, wurden seine Gedanken wieder von diesen grässlichen Bildern heimgesucht. Deutlicher und eindringlicher noch als im Wachzustand. Und immer, wenn er seinen besten Freund erneut fallen sah, schreckte er auf, schweißgebadet und mit unregelmäßig klopfenden Herzen. Immer wieder überkamen ihn stumme Tränen, die er nur jetzt, tief in der Nacht, wo ihn niemand bemerkte, zuließ.

So war es auch nicht verwunderlich, dass er am nächsten Morgen noch erschöpfter war als am Tag zuvor. Danny hatte sich längst wieder in der Ecke auf seinem Bett zusammengekauert, als seine Mutter wieder an seiner Tür klopfte und fragte, ob er nicht langsam Hunger hätte, da er bereits seit einem ganzen Tag nichts mehr gegessen hatte. Doch auch diesmal reagierte Danny nicht. Allerdings gab auch seine Mutter nicht so schnell auf wie beim letzten Mal.

„Danny…ich bitte dich. Sei vernünftig. Ich mache mir Sorgen, dass dir etwas passiert, wenn du dich so verschließt. Natürlich ist es schwer für dich, das alles miterlebt zu haben und ich wünschte, es wäre nicht dazu gekommen. Es tut mir so Leid, dass dein Vater und ich dich nicht unterstützt, sondern auch gegen dich gearbeitet haben. Du hast sicher darunter gelitten.“

Danach blieb es wieder still. Danny rollte eine einzelne Träne aus dem Auge. Seine Mutter konnte sich sicher vorstellen, wie ihm im Moment zumute war, und es hatte auch sie mitgenommen, was passiert war. Der Halbjapaner wusste nicht genau, was er nun tun sollte. Einerseits war er immer noch enttäuscht, dass nicht einmal seine Eltern, die Jimmy so lange gekannt hatten, irgendwie auf ihn zugegangen waren. Und sei es nur durch eine einfache Frage gewesen, wie er zum Beispiel zu den ganzen Behauptungen gestanden hatte. Doch nichts dergleichen war geschehen. Aber jetzt klang seine Mutter richtig besorgt, beinah verzweifelt, und das lag nicht nur an seinem Verhalten, sondern auch an den Vorwürfen, die sie sich machte. Sollte er sie weiter ignorieren oder lieber doch auf sie zugehen…?

Die Entscheidung über diese Frage fiel am Mittag, als seine Mutter erneut vor seiner Tür stand. Inzwischen klang sie wirklich verzweifelt.

„Danny? Was ist nur los mit dir? Bitte gib mir doch wenigstens ein Zeichen, dass es dir gut geht, dass du wenigstens noch da drin bist…!“

Ihre Stimme brach ab und ein leises Schluchzen setzte ein. Nein, so sehr wollte der Halbjapaner seine Mutter nicht verletzen. Sie sollte nicht seinetwegen weinen. Danny kannte sie als eine geduldige Frau, die sowohl Strenge als auch Nachsicht zeigen konnte und den meisten Dingen möglichst objektiv entgegentrat, ganz im Gegensatz zu seinem Vater, der sein Urteil oft sehr schnell fällte und sich dann nur noch schwer umstimmen ließ, was ihn schon oft an den Rand der Verzweiflung getrieben hatte. Doch er hatte weder seinen Vater noch seine Mutter jemals weinen sehen und dass dies jetzt eingetreten war, brach ihm das Herz fast noch mehr. Also ging er mit einigen Schritten zur Tür herüber und schloss leise auf, sodass seine Mutter eintreten konnte. Sie hatte sich bereits abgewandt und schien mit einem Taschentuch die Tränen aufzutupfen, als die Tür sich öffnete. Etwas ungläubig drehte sie sich wieder um, betrachtete ihren Sohn einige Sekunden lang mit derselben erstaunten und verweinten Mine, bevor sie sich nicht mehr halten konnte und ihn in eine feste Umarmung drückte.

„Mein Junge! Endlich hast du aufgeschlossen. Ich hatte solche Angst, dass du dir irgendetwas antun oder dich zu Tode hungern würdest. Du bist seit gestern so anders, ich erkenne dich kaum wieder! … Auch wenn ich dich verstehen kann.“

Liebevoll streichelte sie ihrem Sohn durch die Haare, der ihre Umarmung genauso intensiv erwiderte.

„Mum…“

Er wollte plötzlich so viel sagen. Dass es ihm Leid tat, ihr solche Sorgen bereitet zu haben, ihr sagen, wie unendlich weh es ihm tat, seinen besten Freund verloren zu haben, wie wütend er war, dass ihn mit einem Mal plötzlich alle verachtet hatten, dass das meiste von dem, was sie über Jimmy oder seine Familie in der Zeitung geschrieben hatten, gar nicht stimmte und so vieles mehr. Aber er bekam einfach kein Wort heraus. Die Tatsache, dass er in den Arm genommen wurde von seiner Mutter, die ihn liebte und versuchte zu trösten, die mit ihm litt und sich sorgte, überwältigte ihn so sehr, dass all die Trauer und die Tränen, die er die ganze Zeit über so gewaltsam hatte unterdrücken wollen, hervorbrachen und sich in einem heftigen Weinkrampf entluden. Schluchzend klammerte Danny sich noch stärker an sie, fast so, als würde sein eigenes Leben davon abhängen.

Nach einer Ewigkeit, so schien es ihnen, hatten sich beide endlich soweit beruhigt, dass sie sich voneinander lösen konnten. Trotzdem blieb Dannys Mutter noch den ganzen Nachmittag, solang sie allein im Haus waren, bei dem Halbjapaner. Zwischendurch hatte sie ihm etwas Leichtes zu Essen gemacht und obwohl Danny noch immer keinen rechten Hunger verspürte, aß er doch ein paar Bissen. Seiner Mutter zuliebe.

Am späten Nachmittag hatte sich die Situation soweit gelegt, dass Danny sich zutraute, die Themen, die ihm so schwer auf der Seele lagen, langsam anzusprechen.

„Mum, ich weiß, es ist schwer nachzuvollziehen, aber versuch bitte, Jimmy nicht gänzlich zu verurteilen. Er hat so sehr unter seinen Gefühlen gelitten, so viele Jahre lang.“

Seine Mutter antwortete erst nicht, schien sich zu sammeln und nach den richtigen Worten zu suchen, bis sie bemüht neutral erwiderte: „Aber warum hat er es dann nie beendet, wenn ihm diese Beziehung solchen Kummer bereitet hat?“

Danny schüttelte resigniert mit dem Kopf.

„So einfach war es nicht. Du kennst doch seinen Vater, Mum, und die Probleme, die die Familie hatte. Zumindest einen Teil davon, denn was wirklich los war, ist nicht bis nach außen durchgedrungen. Jimmys Eltern hatten sich jahrelang bis aufs Äußerste bekriegt und er und seine Schwester hatten furchtbar darunter zu leiden. Sie hatten nur einander und haben sich verzweifelt aneinander festgeklammert, um durchzuhalten. Als Jimmy bemerkt hatte, dass er sich in seine Schwester verliebt hatte, war es längst zu spät für ihn, diese Gefühle noch abstellen zu können. Er hat es ja versucht, lange sogar, aber es ging einfach nicht. Vor allem nicht in diesem Elternhaus.“

Dass Joan diese Liebe auch erwidert hatte, ließ er jetzt besser aus. Auch sie steckte bis zum Hals in Schwierigkeiten und durch ein unbedachtes Wort wollte er es ihr nicht noch schwerer machen, egal, in wessen Gegenwart es fiel.

Dannys Mutter hatte sichtlich mit sich zu kämpfen. Wahrscheinlich wollte sie versuchen, die Ansichten ihres Sohnes zu verstehen, doch sie war zu alt und zu tief geprägt von Sitte und Moral, um solch einen Gedanken überhaupt nah genug an sich heran zu lassen. Sie seufzte leise und wandte sich bekümmert wieder ihrem Sohn zu.

„Bitte versuche, auch mich zu verstehen, Danny. Ich kann nachvollziehen, dass es für Jimmy und seine Schwester sehr schwer gewesen sein muss und irgendwie kann es vielleicht sogar sein, dass er sich dadurch in sie verliebt hat, aber es ist einfach nicht richtig. So etwas darf nicht sein, Danny. Sie beide hätten dagegen ankämpfen müssen. Das gibt ein schlechtes Vorbild für kleine Kinder, die so etwas noch gar nicht einschätzen können. Und wenigstens diesen gegenüber ist jeder von uns zu einem guten Vorbild verpflichtet. Erwachsene wissen, was gut ist und was nicht, Kinder wissen es nicht.“

Danny schloss für einen Moment die Augen. Auch wenn er es irgendwie geahnt hatte, dass selbst seine Mutter sich nicht einfach überzeugen lassen würde, so tat es doch unheimlich weh, jetzt diese Ablehnung erfahren zu müssen. Er wusste, seine Mutter meinte es nicht böse und wollte ihm wahrscheinlich nur helfen – obwohl er ihren Weg nicht verstand. Doch die ruhige Art, mit der sie ihm ihren Standpunkt zu erklären versucht hatte, ließ keinen Zweifel daran zu. Dennoch tat es weh und er verspürte den Wunsch, erst einmal wieder allein sein zu wollen. Er kam allerdings gar nicht mehr dazu, nach den richtigen Worten zu suchen, um seiner Mutter dies schonend begreiflich zu machen, denn in diesem Moment fiel im unteren Stockwerk laut polternd die Haustür ins Schloss, kurz darauf waren schwere Schritte auf den Stufen zu hören und ehe Danny sich versah, stand sein Vater in seinem Zimmer, eine etwas verknitterte Zeitung in der Hand und einen äußerst zerknitterten Ausdruck im Gesicht.

„Irgendwie habe ich es geahnt, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben“, spie er seinem Sohn voller Verachtung entgegen. Schockiert und verwirrt wusste Danny überhaupt nicht, was er darauf antworten sollte, weshalb ihm nichts anderes übrig blieb, als seinen Vater entgeistert anzustarren. Als dieser begriffen zu haben schien, dass von seinem Sohn keine Reaktion mehr zu erwarten war, glättete er pikiert die Zeitung, öffnete die Seite, in der er zuletzt gelesen zu haben schien und begann zu zitieren:
 

„Noch mehr Hiobsbotschaften im Fall Jim T.?
 

Vor genau zwei Tagen ist etwas Entsetzliches passiert, womit niemand gerechnet hätte: Der Schüler Jim T., welcher über viele Jahre ein intimes Verhältnis zu seiner Schwester geführt hatte, ist bei dem Sturz von einem Hochhaus ums Leben gekommen. Es besteht kein Zweifel daran, dass es Selbstmord war. Experten sprechen davon, dass dies eine Art Racheakt an der Gesellschaft und insbesondere an der Zeitung war, welche sein moralisch verwerfliches Verhalten zu Tage gebracht hatten.

‚Der Junge hat nach einem Weg gesucht, seinen Frust, entstanden durch die moralische Bedrängnis der letzten Zeit, nach außen zu tragen. Er wollte die Gesellschaft mit diesem symbolischen Akt dafür strafen, dass sie ihm die Freiheit nehmen wollte, in seinem fürchterlichen Tun fortzufahren. Er versuchte zu erreichen, dass sich seine Umgebung für seinen Tod verantwortlich fühlt und ein schlechtes Gewissen bekommt’, so ein Facharzt des Instituts für Sozialpsychologie, London. Daher muss man betonen, lautdes Facharztes, dass sich NIEMAND für dieses Ereignis Vorwürfe machen muss, weder Eltern noch Lehrer noch Freunde des Jungen.

Neben dieser Schreckensmeldung gibt es noch eine weitere, entsetzliche Annahme, die zwar noch nicht als völlig gesichert, aber als äußerst wahrscheinlich gilt. Wie Sie bereits wissen, liebe Leserinnen und Leser, gab es einen Jungen, der die ganze Zeit über vom gottlosen Treiben des Verstorbenen wusste und dies sogar bis zum Ende toleriert hat. Dieser Junge, Danny W., wäre beinahe mit vom Dach des Hochhauses gestürzt, als sein bester Freund sich das Leben genommen hat. Wollten beide gemeinsam sterben? War es vielleicht mehr als nur Freundschaft, was zwischen beiden Jungen bestanden hatte? Ich habe mich, stets um Objektivität bemüht, mit so vielen Freunden und Bekannten der beiden in Verbindung gesetzt, wie ich finden konnte, und habe bei meinen Interviews gänzlich gleiche Aussagen erhalten: Danny W. stand nach der bedeutsamen Enthüllung unumstößlich hinter seinem Freund Jim, schien sich plötzlich von allen anderen Freunden losgesagt zu haben und blockte ihre Versuche, wenigstens ihn zur Vernunft zu bringen, rigoros ab. „Das war keine normale Freundschaft mehr“, kommentierten alle Interviewten einheitlich. All diese Tatsachen lassen gar keinen anderen Schluss mehr zu: Es muss eine homoerotische Beziehung zwischen beiden Jungen bestanden haben. Eine schreckliche Vorstellung, bei der es mir immer wieder eiskalt den Rücken herunterläuft, wenn meine Recherchen und mein logischer Verstand zu diesem Ergebnis kommen, doch egal, wie ich die Tatsachen betrachte, wie intensiv ich auch nachforsche, meine Schlussfolgerungen werden eher bestätigt, als dass sich irgendwo ein Ansatzpunkt finden lässt, der diese These widerlegt.

Es tut mir Leid, Ihnen jetzt einen noch größeren Schrecken vorsetzen zu müssen, nachdem der letzte noch nicht einmal richtig verdaut ist, doch es ist meine Pflicht als Reporter, meine Leser umfassend über aktuelle Ereignisse in der Region zu informieren. Ich hoffe genau wie Sie, dass es bald wieder Erfreulicheres zu berichten gibt.“
 

Dannys Vater legte die Zeitung wieder zusammen und zerknitterte sie erneut in seiner geballten Faust. Sein Gesichtsausdruck zeigte nun kaum noch zügelbare Wut. Danny war kreidebleich geworden, konnte kaum atmen vor lauter Fassungslosigkeit. Nicht nur, dass er jetzt scheinbar das neue Opfer dieses Hetzreporters geworden war, nein, selbst nach seinem Tod muss er Jimmy noch fertig machen! Tränen der Verzweiflung stiegen dem Halbjapaner in die Augen, sein Körper begann vor unterdrücktem Schluchzen zu beben. Zu allem Überfluss streute sein Vater auch noch Salz in die offene Wunde.

„Ich wollte es mir einfach nicht eingestehen…! Es kann doch nicht sein, dass mein eigener Sohn so ein dreckiger, kleiner Bastard ist! UND WAS MUSS ICH JETZT HIER LESEN?! NICHT NUR, DASS DU DEINE FREUNDE ALLE VERRATEN HAST, NEIN, DU WILLST DIESEM HURENSOHN AUCH NOCH HINTERHER SPRINGEN!!! WAS BIST DU ÜBERHAUPT?! SOWAS IST NICHT MEIN SOHN!“

Einen Moment später war Danny aufgesprungen und hatte seinem Vater einen kräftigen Hieb in die Magengrube verpasst. Seine Mutter schrie angsterfüllt auf, doch weder er noch sein Vater achteten darauf. In diesem Moment war es ihm auch egal, dass er geschworen hatte, seine Kampfkünste niemals dazu zu missbrauchen, um jemanden anzugreifen und dass es sein Vater war, dem er gerade diesen Hieb verpasst hatte, daran dachte er nicht einmal.

Der ältere Mann war jedoch zäher, als Danny es ihm zugetraut hätte. Gerade mal ein unterdrücktes Stöhnen und ein kurzes Rückwärtstaumeln hatte es bewirkt, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte und schwungvoll eine Faust auf Dannys Auge niedersausen ließ. Gleich darauf packte er das Shirt des Jungen und zog ihn daran nach oben, doch der Halbjapaner war so rasend vor Wut, dass er den Schlag kaum registriert hatte, blitzschnell den Arm seines Vaters packte und ihn hart über seine Schulter warf. Der Mann kam ungebremst mit dem Rücken auf dem harten Boden auf und stöhnte schmerzerfüllt auf, doch Danny reagierte nicht darauf. Er ging einige Schritte rückwärts bis zur Tür und rief dann: „DU FRAGST, WAS ICH BIN?! DASSELBE MUSS ICH DICH FRAGEN! SO ARMSELIG, DASS MAN LIEBER AUF DEN SCHWACHSINN EINER LÜGENZEITUNG HÖRT ALS AUF DIE ERKLÄRUNGEN DES EIGENEN SOHNES, SO GEFÜHLLOS KANN KEIN VATER SEIN! WAS IMMER DU AUCH BIST, MEIN VATER BIST DU MIT SICHERHEIT NICHT!“

Mit diesen Worten hatte er auf dem Absatz kehrt gemacht und war aus dem Haus herausgestürmt.
 

Es war bereits dunkel, als Danny noch immer im Schutz eines kleinen Gebüsches irgendwo auf freiem Feld, fernab jeder Straße und Siedlung, auf dem Boden kauerte und haltlos weinte. Die Ereignisse in seinem Kopf überschlugen sich und stürzten alle auf einmal auf ihn ein, pausenlos und unbarmherzig: Sein Freund, den er hatte leiden und sterben sehen müssen, sein Vater, sein eigener Vater, der ihm weniger glaubte als irgendeinem falschen Schmierblatt…

Wieder nahm das Schluchzen und Wehklagen Dannys an Intensität zu, seine Augen brannten vor Tränen, sein Magen schmerzte vom dauerhaften Verkrampfen, sein Mund war trocken und seine Stimme längst heiser. Und trotzdem wollte und wollte dieser Weinkrampf einfach nicht abebben. Erst Stunden später, als er völlig ausgetrocknet zu sein schien und er sich vor Erschöpfung kein Stück mehr rühren konnte, hörte es endlich auf. Auch die Bilder verschwanden endlich und hinterließen nur Leere und Einsamkeit. So lag er eine weitere kleine Ewigkeit einfach auf dem Boden und starrte ins Nichts. Genau das war es, was er jetzt wollte…nichts mehr denken, nichts mehr fühlen, nichts mehr tun.

Es war bereits hell, als er am Rand des Bewusstseins registrierte, dass ihn irgendjemand gefunden haben musste. Mit letzter Kraft erkannte er einen Mann, der eine kühle Hand auf seine heiße Stirn legte. Zwar schlief er nicht richtig ein, doch selbst wenn er sich anstrengte, bekam Danny kaum mit, was mit ihm geschah. Seit nunmehr drei Tagen hatte er praktisch nichts gegessen, nicht viel mehr getrunken und kaum geschlafen, dafür aber umso häufiger geweint und mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt, von denen er sich bis dahin niemals hätte vorstellen können, dass etwas so schlimm sein konnte.

Eine Woge fürchterlichen Schwindelgefühls überkam ihn, als er spürte, wie sich die Lage seines Körpers plötzlich veränderte. Anscheinend hatte der Fremde ihn herumgedreht und hochgehoben. Dann ließ seine Konzentration wieder nach; er war zu schwach, um noch länger zu beobachten, was mit ihm geschah und sank in eine Art Dämmerzustand.
 

Als Dannys Geist gänzlich in die Gegenwart zurückkehrte, stellte er fest, dass er sich in der Wohnung seines Schwertmeisters befand, genauer gesagt auf einem Futon in dessen Wohnzimmer, ein kühler Lappen lag auf seiner Stirn. Sein Körper fühlte sich jedoch noch immer so schlaff an, dass er sich kaum bewegen konnte.

Wenig später betrat Hikawa-sensei das Zimmer, in der Hand eine Tasse Tee und eine Scheibe Weißbrot. Mit einem flüchtigen Blick erkannte er den Zustand seines Schülers.

„Du hast Fieber, was wohl daher kommt, dass du deinen Geist und deinen Körper in letzter Zeit hoffnungslos überfordert hast.“

Damit war er bei ihm und stellte das Mitgebrachte neben Dannys Gesicht ab.

„Nimm das, damit du wieder zu Kräften kommst. Trink vor allem den Tee. Du hast starken Flüssigkeitsmangel. Außerdem hilft die Weidenrinde gegen Fieber und Kopfschmerzen.

„Danke, Sensei, aber ich möchte nichts.“

„Red keinen Unsinn, Junge! Ich dachte, ich hätte dir in den vielen Jahren ein wenig mehr Courage beigebracht. Dass man nicht immer gewinnen kann, verstehe ich ja, und dass es Momente gibt, in denen man vor scheinbar unüberwindbaren Hindernissen davonläuft, kann ich zur Not auch noch nachvollziehen. Aber dass du vor deinem LEBEN davonlaufen willst, ist unverzeihlich.“

„… Mag sein, aber was soll ich noch hier, wenn die ganze Welt gegen mich ist?“

„Du hast die Welt doch noch nicht einmal kennen gelernt, also urteile nicht so voreilig.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Rest so viel besser sein soll.“

Mit dieser zynischen Bemerkung drehte Danny sich auf die andere Seite, um demonstrativ zu zeigen, dass die Sache für ihn damit beendet war und er auch nichts von dem Tee und dem Brot anrühren würde. Sein Meister sah das allerdings nicht so.

„Und du meinst, dein Freund wäre glücklich darüber, wenn er dich jetzt so sehen könnte.“

„… Das ist nicht fair.“

„Warum? Weil er nicht mehr da ist, um meine Worte bestätigen zu können? Was glaubst du wohl, wie er reagiert hätte, hätte er dich so gesehen?“

Nach einer kurzen Pause drehte Danny sich wieder auf den Rücken und starrte an die Decke.

„Er hätte es nicht gewollt. Aber so einfach ist es leider nicht-“

„Nein, natürlich ist es das nicht, das hat auch keiner behauptet. Gerade deshalb musst du jetzt stark sein. Du hast für den Jungen gekämpft, um ihm eine Stütze sein zu können. Du hast dich für diesen Weg entschieden, obwohl du wusstest, dass er der schwerere war. Du weißt, dass du noch eine andere Wahl hattest und dass dein Freund das genauso akzeptiert hätte. Trotzdem hast du dich dazu entschlossen, zu ihm zu stehen. Jetzt geh den Weg auch zu Ende, damit er sich keine Sorgen mehr um dich machen muss und seine Seele Ruhe findet.“

Eine einzelne Träne entkam Dannys Augenwinkel.

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe“, flüsterte er brüchig. „Selbst wenn ich mich jetzt wieder aufraffe und den anderen Menschen entgegentrete, wird das gar nichts lösen. Sie werden mich nie mehr akzeptieren – selbst meine Eltern nicht.“

„Wenn es keine Möglichkeit gibt, die Spannungen zu lösen, hast du immer noch die Möglichkeit, ihnen aus dem Weg zu gehen. Aber du solltest nichts unversucht lassen, den Frieden mit deiner Umwelt wiederherzustellen. Und du darfst keinesfalls aufhören, nach dem Sinn deines Lebens zu suchen. Erst dann können die Seele deines Freundes und auch du selbst wirklich Ruhe finden.“

Danny seufzte resigniert. Sein Meister hatte ja Recht. Wenn Jimmy ihn jetzt so sehen könnte, wäre er todunglücklich und würde sich höchstwahrscheinlich selbst Vorwürfe darüber machen, dass er ihn so tief in seine Probleme hineingezogen hat. Aber…er war sich nicht sicher, ob er das überhaupt schaffen konnte. Er fühlte sich so schwach und hilflos.

„Lassen Sie mir bitte ein wenig Zeit. Im Moment schaffe ich das einfach nicht.“

„Du kannst hier bleiben, bis du dich besser fühlst und bereit bist für neue Entscheidungen.“

„Danke, Sensei.“

Langsam drehte Danny sich weiter um, bis er die Tasse und das Weißbrot wieder vor sich sah. Behutsam stützte er sich auf seinem Ellbogen ab und nahm einen Schluck des nur noch warmen Tees.
 

Es waren vier Tage vergangen, bis er sich dazu bereit fühlte, zu seinen Eltern zurückzukehren. Die körperlichen Beschwerden hatten relativ schnell nachgelassen, doch mit der Angst kämpfte er noch immer. Nun stand er also vor seinem eigenen Haus, kam sich vor wie ein Fremder, und klingelte mit heftig klopfendem Herzen an der Tür. Er hoffte, dass seine mühsam zusammengekratzte Selbstbeherrschung das wirklich überstehen würde, falls es nicht so gut lief, wie er hoffte. Er fragte sich auch, ob seine Eltern wohl die Polizei verständigt hatten, nachdem er so lange verschwunden gewesen war, aber das könnte er sie ja selbst fragen, wenn sich die Wellen geglättet hätten. Falls sie das taten.

Nach scheinbar einer Ewigkeit öffnete sich die Haustür und Dannys Mutter kam zum Vorschein. Sie wirkte sehr erschöpft aber unendlich erleichtert darüber, ihren Sohn sehen zu können.

„Oh Danny…“, begann sie mit zittriger Stimme, doch sie brach ab, wusste scheinbar nicht, was sie sagen sollte, so aufgelöst war sie. Der Halbjapaner versuchte, sich seine erste Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Er wusste, wirklich kritisch würde es wohl erst bei seinem Vater und solange das nicht überstanden war, musste er seine innere Stärke wahren.

„Mum, ist Dad auch da? Ich muss mit euch reden.“

Etwas irritiert über diese recht kühle Begrüßung trat sie einen Schritt zurück und ließ ihren Sohn eintreten, geleitete ihn in Richtung Wohnzimmer. Sein Vater saß dort in einem Sessel und las Zeitung, doch als er den Besuch bemerkte, legte er sie beiseite, seine Gesichtszüge verhärteten sich.

Danny blieb im Türrahmen stehen, schluckte schwer. Jetzt wusste er, dass diese Sache wirklich nicht einfach werden würde. Er spürte, wie seine mühsam zurechtgelegten Worte sich langsam verflüchtigten.

„Ich möchte mit euch reden“, wiederholte er noch einmal, bemüht, das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen.

„Ach? Ich wüsste nicht, worüber.“

„Arthur!“, mahnte ihn seine Frau kleinlaut. Danny schluckte den dicken Kloß, der sich gerade in seinem Hals bildete, und versuchte, unbeeindruckt weiterzureden.

„Willst du dir nicht wenigstens einmal anhören, was dein eigener Sohn zu den Anschuldigungen in der Zeitung zu sagen hat?“

„Du warst mit ihm befreundet, oder?“

Innerlich seufzte Danny gequält laut auf. Diese Masche kam jedes Mal, wenn sein Vater einer richtigen Diskussion aus dem Weg zu gehen versuchte. Aber jetzt konnte er ihn nicht einfach unterbrechen. Das würde nur einen neuen Streit vom Zaun brechen und er hätte gar nichts erreicht. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als erst einmal mitzumachen und zu hoffen, dass er danach zu Wort kommen könnte. So antwortete er wahrheitsgemäß: „Ja.“

„Und du hast dich auf seine Seite geschlagen, als die Sache in der Zeitung bekannt wurde?“

„Ich habe mich auf keine Seite geschlagen! Die anderen haben mich nur genauso-“

„Was ich wissen will, ist: Warst du zum Schluss immer noch sein Freund oder bist du bei deinen anderen Freunden geblieben?“

„… Ich war immer Jimmys Freund.“

„Wolltest du ihm hinterher springen, als er sich von dem Dach gestürzt hat?“

„Nein, wollte ich nicht! Ich habe das Gleichgewicht verloren-„

„Natürlich! Das Gleichgewicht verloren! So ein Zufall! Für wen hältst du mich eigentlich?!“

„Für wen hältst DU mich?“

Langsam wurde es Danny zu bunt. Er hatte sich zwar fest vorgenommen, ruhig zu bleiben, aber das hielten selbst die stärksten Nerven nicht aus.

„Danny, Arthur, bitte!“, rief seine Mutter dazwischen, die verzweifelt versuchte, den drohenden Streit abzuwenden. Danny ließ sich von ihrer Stimme ein wenig besänftigen, doch seinen Vater schien sie nicht mehr zu erreichen.

„Du hältst dich jetzt da raus! Der Junge wird immer schlimmer! Erst bringt er die ganze Familie in Verruf, zeigt nicht einmal Reue, dann schlägt er seinen eigenen Vater-“

„Du hast angefangen!“, rief Danny dazwischen, doch der Mann beachtete ihn gar nicht.

„Und jetzt stolziert er hier rein, tut ach so erwachsen und allwissend und will uns weismachen, dass die ganze Welt böse und alles eine Lüge ist und nur er Recht hat! Für wie blöd hält er uns überhaupt?“

Danny schwieg eine Weile und starrte resigniert den Boden an.

„Ist das alles, was du zu sagen hast?“, fragte er seinen Vater schließlich, mühsam die Tränen niederkämpfend.

„Ich wüsste nicht, was es noch gibt“, war die trockene Antwort.

„Dann…gehöre ich wohl nicht mehr hier her.“

Mit einem letzten Blick wandte er sich an seine Mutter, der bereits die Tränen in den Augen standen.

„Es tut mir Leid, Mum.“

Dann verließ er geknickt das Haus, das verzweifelte Flehen seiner Mutter überhörend.

Es ging nicht anders.
 

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Wichtige Anmerkung zum Inhalt: Sicherlich fragt sich die ein oder andere, weshalb Hikawa-sensei Danny einfach so gefunden hat, nachdem dieser irgendwo mitten auf einem Feld, versteckt durch etwas Gestrüpp, kurz vor einem Zusammenbruch stand. Erklärung: Dannys Verhalten – auch seine Gedanken an den Tod – waren weniger der unbedingte Wunsch, wirklich augenblicklich sterben zu wollen, als vielmehr ein verzweifelter Hilferuf. Selbstmord hätte er schließlich auch schneller und einfacher haben können, wenn er es unbedingt gewollt hätte. Jedenfalls ist er dadurch mehr oder weniger unbewusst in Richtung des Vorortes gelaufen, in dem Hikawa wohnt und hat dabei einen der Schleichwege von der Stadt dorthin benutzt, um von der Straße fern bleiben zu können. Und wenn Hikawa nicht gerade Danny losschickt, um als „Aufwärmung“ zum Training diesen seine Einkäufe erledigen zu lassen, muss er natürlich selbst los und läuft auch oft genug dort lang, wo Danny sich gerade befand. Außerdem spürt er es als geübter Schwertmeister, wenn sich Lebewesen – speziell Menschen – in der Nähe aufhalten (Atemgeräusche, Rascheln von Gras und Kleidung etc.). Daher war es für ihn auch keine große Kunst, Danny bei diesem Gestrüpp zu finden.

Und ab dem nächsten Kapitel kann ich endlich wieder „Aki“ schreiben :D.

Noch was: Ich weiß nicht, in welchem Raum Japaner traditionellerweise ihre Kranken hinlegen, deshalb habe ich jetzt einfach mal „Wohnzimmer“ geschrieben. Sollte das nicht stimmen, bitte ich um Korrektur. Hikawa ist ein ziemlich konservativer Mensch, der sein Leben stark nach den alten japanischen Traditionen richtet, deshalb wäre es mir lieber, wenn er den kranken Danny auch im richtigen Raum zur Ruhe legt.
 

Momentan habe ich noch kein weiteres Kapitel angefangen und ich weiß auch noch nicht genau, wann ich zum Weiterschreiben komme. Etwas Unterstützung wäre nicht schlecht ;).

Aber davon abgesehen, versuche ich, in den Ferien zumindest noch ein Kapitel zu schaffen. Aber das ist wirklich das Maximum, was drin ist. Ich hab tierisch viel zu tun in diesen Ferien T_T. Und in der Vorlesungszeit sowieso wieder, also wird da sicher nicht mehr drin sein als ein bisschen Arbeit am Plot. Aber ansonsten habe ich mir vorgenommen, in jeden Ferien wenigstens ein neues Kapitel zu schreiben :).

Bis dahin wünsch ich alles Gute.
 

eure Lady_Ocean



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2007-09-04T19:26:33+00:00 04.09.2007 21:26
Hallöchen^^
ich glaube du hast es schon längst aufegegeben irgendwann mal wieder ein kommi von mir zu hören aber du weiss sicher nur zu gut wie das ist wenn man keine zeit hat...*dropps* aber jetzt ist es endlich soweit ^^ ich aheb gleich alle vier kapitel von jimmy zugleich gelesne und jetzt KANN ich nicht mehr anders als dir zus chreiebn ^^y
also leg ich gleich mal los:
ich bin ja ein friedfertiger mensch aber sollte mir dieser Peter Bark einmal in einem unbeobachteten moment in die quere kommen ... ich könnte für nichts garantieren.... du hast diesen hetzreporter so gut rübergebracht sdas ich bei jedenm neuen artikel vor wut und entrüstung geschäumt habe >.< " wie kann man nur??
die eltern hast du ebenfalls so gut beschrieben das ich eifnach nur fassungslos bei soviel unverständis für das eigene kind bin ... also wirklich und er vater erst... ein von der gesellschaft geprägter mann wie er im buche steht... so voller vorurteile und vorallem so unverbesserlich... bei dem würde es selbst nicht helfen wenn man ihm versuchen würde was mit dem ahmmer einzuprüpgeln.... *resigniert seufz*
man hat es ja kommen sehen das das mit jimmy nicht gut ausgehen würde aber als er dann wirklich vom dach gesprungen ist war es doch ein kleiner schreck.... und wie du dann die gefühle und gedanken von danny beschrieben hast.... *sich selbst ganz schnell eine apckung mit taschentüchern angeln musste*

abeschließend bleibt mir nur noch zu sagen das ich mich auf jedes weitere kapitel von dir zu dieser geschichte freue und es nicht erwarten kann bis du endlcih weiter schreibst^^

*knuddel* mit denn allerbesten wünschen
die Lady=^.^=
Von: abgemeldet
2007-08-19T09:56:01+00:00 19.08.2007 11:56
So, nachdem ich jetzt endlich alle Jimmy Kapitel gelesen hab und wieder weiß, um was es geht *drop*, kriegst du jetzt auch endlich ein Kommi!^-^

Ich finde die ganze Jimmy Geschichte unglaublich traurig, aber irgendwie auch unglaublich schön! Es ist wirklich schön, wie weit Akis Freundschaft geht! Aber es war so traurig, als Jimmy sich vom Hochhaus gestürtzt hat... An dieser Stelle musste ich heulen...v.v Und vor allem, dass Aki es auch noch alles mitansehen musste. Da ist es nur gut verständlich, wenn er sich hinterher so schlecht fühlt und so darauf reagiert. Aber Hikawa-sensei war mal wieder zur Stelle und hat Aki zur Vernunft gebracht. Ich mag Hikawa sehr, vor allem nach diesen Jimmy Kapiteln ist er mir sehr ans Herz gewachsen.^-^
Die Gefühle in diesem Chap hast du sehr gut beschrieben, hab richtig mit Aki mitgelitten. Es ist auch Schade, dass Akis Eltern ihren Sohn auf einmal nicht mehr akzeptieren, obwohl er ja sehr vorbildlich gehandelt hat... Aber ich glaube wirklich, dass es kaum jemanden gibt, der Geschwisterliebe akzeptieren würde und das Akis Eltern Angst um ihn haben ist auch irgendwie verständlich, also die Sicht seiner Mutter kann ich durchaus nachvollziehen. Sein Vater ist mir allerdings sehr unsympathisch... Hat mich auch ein bisschen gefreut, als er ihm dann auch mal eine gegeben hat...ähäm...^^°

So, ich würde mich echt freuen, wenn es dir in den Ferien noch zu einem Chap reichen würde!^^ Will nämlich unbedingt wissen, wie's weiter geht!^^
Aber es war echt mal wieder ein spitzen Kapitel!^^
Mach weiter so!^^
bye bye
HDL
Janine =)


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