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Sünde

von

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Veronica

Wie gebannt starrte ich auf das kleine, silberfarbene Schnurlostelefon, das wieder mal auf dem Wohnzimmertisch lag, und wartete darauf, dass es endlich wieder klingeln würde. Inzwischen war es schon einige Tage her, dass Greg mich das letzte Mal angerufen hatte, und ich wurde langsam ein wenig nervös.

Ich wippte leicht mit dem Oberkörper vor und zurück und fragte mich zum gefühlten tausendsten Mal, ob ich ihn bei seinem letzten Anruf nicht so hätte abwürgen dürfen. Glaubte er jetzt, dass ich wütend auf ihn war? Wieder griff ich nach dem Telefon, nur um den Arm dann wieder sinken zu lassen. Irgendwie konnte ich mich nicht dazu durchringen, ihn anzurufen. Ich hatte Angst, dass ich ihn womöglich in einem ungünstigen Moment erwischen würde, und außerdem wollte ich, dass er mich anrief, weil er mit mir reden wollte, weil ihm meine Meinung doch noch etwas bedeutete. Ich wollte, dass ich ihm nicht völlig egal war, auch wenn er jetzt wieder bei seiner Melanie war.

Mit einem knurrenden Geräusch schwang ich mich auf die Füße und tigerte zum Fenster. Ich fühlte mich schrecklich unruhig und fragte mich, wie es ihm momentan wohl ging. Beim letzten Telefonat hatte er so unglücklich und verloren geklungen, dass mir mein eigener Kummer dagegen wie ein Pappenstiel vorkam. Was musste er wohl in Melanies Nähe durchmachen?

Ob in die Gegenwart seiner Schwester wohl beinah um den Verstand brachte? Oder war es im Verlaufe der Tage besser geworden? Und was machte der Gesundheitszustand seiner Schwester? War sie überhaupt krank gewesen oder hatte sie ihm etwas vorgespielt, um ihn zu Hause zu behalten? In meiner Vorstellung war Melanie eine fiese, durchtriebene Schlange. Doch ich wusste, dass dies nur Produkt meiner Eifersucht war.

Wieder warf ich einen Blick auf das Telefon. Warum rief Greg nicht an? Diese Warterei machte mich einfach wahnsinnig. Ich hasste es, wenn ich nur untätig herum sitzen konnte. Am liebsten wäre ich sofort zu Gregs Familie gefahren, doch ich ahnte, dass ich dort nur noch mehr unnötige Unruhe rein gebracht hätte.

Auch wenn es mir nicht gefiel, konnte ich nichts anderes tun als Greg zu vertrauen und zu hoffen, dass er sich bald melden würde. Dann würden wir ein neues Leben anfangen und die Brücken zu seiner Familie vollständig abbrechen, auch wenn ihm das nicht leicht fallen würde. Aber meiner Meinung nach war es die einzige Möglichkeit, wie Greg in der Lage sein würde, ein einigermaßen normales Leben zu führen. Zwar würde sein Herz wahrscheinlich immer ein wenig bluten, doch so würde er zumindest einen Alltag ohne den quälenden Kampf gegen eine immer wieder neu aufgerissene Wunde haben.

Obwohl der Gedanke daran, dass Greg eine andere liebte, noch immer heftiger schmerzte als ich mir jemals hätte vorstellen können, blickte ich beinah zuversichtlich in die Zukunft. Denn eines war sicher: Greg würde bei mir sein. Und so lange er eine Frau begehrte, die er niemals würde haben können, wäre ich relativ sicher davor, wegen eines anderen Mädchens verlassen zu werden – schließlich wären alle anderen auch nur zweite Wahl, genau wie ich.

Ich wandte mich wieder dem Fenster zu, betrachtete das dreckige Grau der Abenddämmerung und fragte mich, was mein Bruder wohl gesagt hätte, hätte er gewusst, was gerade bei mir los war. Doch Manuel war momentan als Rucksacktourist unterwegs in Amerika und nur schwer zu erreichen. Auch wenn ich mich danach sehnte, seine beruhigende Stimme zu hören oder mich von ihm in den Arm nehmen zu lassen, war ich eigentlich ganz froh, dass er nicht hier war. Er hatte sich noch immer nicht mit meiner Beziehung zu Greg abfinden können und hätte sich diese Gelegenheit, gegen ihn zu hetzen, sicherlich nicht entgehen lassen.

Ich rieb mir ein wenig fröstelnd über die Oberarme und versuchte, mir selbst gut zuzureden. Bald würde wieder Ruhe in meinen Alltag kommen und dann würde alles wieder gut werden. Greg und ich mussten einfach nur dafür arbeiten. Wir mussten nur daran glauben.



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