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More Than A Feeling

28 Gefühle
von

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Hoffnungslosigkeit

Seit ihr Vater die Familie verlassen hatte, hatte sie gelernt, dass es unnötig war sich Hoffnungen zu machen. Sie wurden ohnehin immer zunichte gemacht. Jedes Jahr an ihrem Geburtstag versprach er, etwas mit ihr zu unternehmen. Einmal hatte er sogar vergessen anzurufen, als der Tag dann gekommen war. Damals hatte sie es noch nicht so wahrgenommen - heute wusste sie, dass ihre Mutter versucht hatte, sie das alles nicht spüren zu lassen. Mit Worten wie »Papa muss viel arbeiten« oder »Papa ist wegen seiner Arbeit verreist und meldet sich bestimmt bald« oder »Papa hat angerufen, als du schon geschlafen hast, er musste so lang arbeiten« hatte sie die Situation verharmlost um ihre Tochter nicht unglücklich zu machen. Nach all den Jahren bezweifelte sie sogar, dass jedes der Geschenke, die von ihm hätten sein sollen, auch wirklich von ihm gewesen waren. Ihre Mutter war wirklich ein herzensguter Mensch.

Inzwischen war sie erwachsen geworden und verstand von all dem mehr; machte sich selbst ihre Gedanken dazu. Woran konnte es wohl liegen, dass ihr Vater sie immer wieder fallen ließ? Sie hatte schon vor Jahren aufgehört zu glauben, dass es immer an seiner Arbeit lag, wie ihre Mutter behauptet hatte. Sie wusste ehrlich gesagt nicht einmal was er arbeitete. Wenn er sich nicht einen Tag im Jahr für sie Zeit nehmen konnte, dann war er vielleicht ein 24-Stunden-Berater für den Präsidenten. Könnte ja möglich sein. Und es wäre natürlich sehr tragisch, wenn er seinen Job riskierte.

Sie hatte sich damit abgefunden. Zumindest redete sie sich das ein. Seit ihrem 16. Lebensjahr schickte er ihr nur mehr Geld an Geburtstag, Weihnachten und Ostern. Damit sie sich etwas kaufen konnte, das ihr gefiel. Die Idee dahinter war ja ganz nett - trotzdem hätte sie gern Zeit mit ihm verbracht. Er war wie ein Fremder für sie. Vor ein paar Monaten war sie ihm zufällig im Einkaufszentrum begegnet - sie hatte ihn auf den ersten Blick nicht einmal erkannt. Davor hatten sie sich bestimmt drei Jahre nicht gesehen. Und wie es so seine Gewohnheit war, schaffte er es nicht einmal einen Kaffee mit ihr zu trinken. Immerhin wartete die Arbeit auf ihn.

Oft genug hatte sie sich geärgert, hatte sich bei ihrer Mutter ausgeweint und sich anschließend eingeredet, dass sie ihn nicht in ihrem Leben brauchte. Ihre Mutter hatte inzwischen einen neuen, wunderbaren Lebensgefährten gefunden, doch irgendwie war es trotzdem nicht das gleiche. Sie machte sich selbst Vorwürfe - vielleicht war sie ja nicht das Kind, das sich ihr Vater gewünscht hatte. Vielleicht hätte er sich einen anderen Weg für sie gewünscht. Vielleicht war aber auch ihre bloße Existenz dafür verantwortlich, dass er sie und ihre Mutter verlassen hatte.
 

In wenigen Wochen würde sie heiraten und gerade ging sie mit ihrem Verlobten noch einmal die Zu- und Absagen ihrer Gästeliste und die Sitzordnung durch. Die Großmütter der beiden vertrugen sich nicht wirklich (außer sie hatten genügen Wein getrunken), weshalb es besser war, vorgeschriebene Plätze zu haben. Die beiden alten Damen ärgerten sich nämlich so gerne gegenseitig, dass sie absichtlich bei jedem Treffen nebeneinander saßen, nur um Chaos in der Familie zu verbreiten. An ihrem großen Tag brauchte sie das allerdings nicht, nur wäre das den Ladys ziemlich egal. Eigentlich waren die beiden sogar der einzige Grund für das Paar gewesen eine Sitzordnung anzulegen.

»Was ist mit deinem Vater?«, fragte er gerade und legte seinen Finger auf den Platz, den sie ihrem Vater zugeschrieben hatten.

Zuerst wollte sie ihn nicht einladen (sogar die Großmütter des Paares hatten gesagt, dass sie das schlecht tun konnte) und dann hatte sie ihren zukünftigen Ehemann davon überzeugen wollen, dass ein einsamer Stuhl im Eck oder im nächsten Abstellraum reichen würde. Auch das hatte sie sich ausreden lassen müssen. Also bekam der werte Herr Vater der Braut einen Platz am Tisch der Eltern. Zwischen den Müttern des Brautpaares. Ihre Mutter hatte sich freiwillig zur Verfügung gestellt, um ein Auge auf ihn zu werfen.

»Ich bin mir sicher, dass er nicht kommt«, gab sie schließlich als Antwort und warf einen Blick auf den Stapel Antwortkarten. »Er hat nichts zurückgeschickt.«

Sie schluckte schwer. Auch wenn sie es nur ungern zugab, das hatte sie schon sehr getroffen. Sie hatte wirklich gedacht, dass sie ihm vielleicht doch etwas bedeutete und er sich wenigstens Zeit für ihre Hochzeit nahm. Sie hätte ihm fast alles verziehen, wenn er es getan hätte. Doch die Frist für die Antwortkarten war vor einer Woche abgelaufen. Sie hatte das Planen der finalen Sitzordnung noch etwas hinausschieben können, da sie gehofft hatte, die Post brauche länger, oder er habe vergessen die Karte rechtzeitig zurückzuschicken. Eine Woche später war sie sich ziemlich sicher, dass er sie einfach in den Müll geworfen hatte.

»Streich den Platz einfach weg oder setz deine Schwester und ihren Freund noch an den Tisch«, murmelte sie. Dann hätten sie wenigstens die engste Familie an einem Tisch. Und ihr Vater gehörte offensichtlich nicht dazu.

Es wäre eine Chance für sie beide gewesen neu zu beginnen. Nach all den Jahren hatte sie ihm die Hand gereicht; ihm ein Friedensangebot gemacht und er schlug es ohne ein Wort aus. Sie hätte ihm alle vergessenen Geburtstage und ›verloren gegangenen‹ Weihnachtskarten verzeihen können, immerhin war er ihr Vater. Oder Erzeuger, wie sie ihn ab sofort nennen würde. Sie hatte wirklich gedacht, dass es dieses Mal anders sein würde. Dass er sich dieses Mal um sie bemühen würde. Als sie ihm damals im Einkaufszentrum von ihrer Verlobung erzählte, hatte er begeistert geklungen, ihr gratuliert und nach einem Hochzeitstermin gefragt. Sie hatte sich wirklich gefreut, dass er sich dafür interessiert hatte - doch es war wohl umsonst gewesen.

Auch wenn sie früh gelernt hatte, dass es bei manchen Menschen dumm war sich Hoffnungen zu machen, passierte es ihr doch immer wieder. Die darauf folgenden Enttäuschungen und das furchtbare Gefühl der Hoffnungslosigkeit hinterließen jedes Mal eine furchtbare Leere in ihrem Körper, die sie kaum ertragen konnte. Inzwischen zweifelte sie sogar daran, dass ihr Hochzeitstag der beste Tag ihres Lebens werden würde. Wieder einmal hatte er es geschafft alles zu zerstören - noch dazu in dem er nichts tat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  konohayuki
2017-08-04T11:52:08+00:00 04.08.2017 13:52
Hoffnungslosigkeit hat so viele Facetten, ich bin gespannt, für welche du dich entschieden hast.

>Einmal hatte er sogar vergessen anzurufen, als der Tag dann gekommen war.
Wow, da ist aber jemand "interessiert" an seinem Kind.

>Nach all den Jahren bezweifelte sie sogar, dass jedes der Geschenke[...]
Kurze Verständnisfrage hier: Geht es um alle Geschenke von ihm oder nur um bestimmte? Für mich kling tes vom vorherigen Teil eher nach allen. Dan würde ich hier zu "auch nur eines" tendieren, um das noch ein wenig zu betonen. Ansonsten würde ich - um Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen - einfach ein "wirklich" vor "jedes" setzen.

>Sie wusste ehrlich gesagt nicht einmal was er arbeitete.
Das sagt dann aber auch schon viel aus.

>Sie machte sich selbst Vorwürfe[...]
Wenn jemand den Kontakt nicht will, kann man da nicht viel machen. Aber sich selbst Vorwürfe machen ... ja, ist auf jeden Fall menschlich. Aber halt auch irgendwo das Falscheste, was man machen kann.

>[...]außer sie hatten genügen Wein getrunken[...]
Kleiner Tippfehler: "genügend" statt "genügen".

> Eigentlich waren die beiden sogar der einzige Grund für das Paar gewesen eine Sitzordnung anzulegen.
Fehlt da nicht ein Komma nach "gewesen"? Gerade bei sowas großem wie einer Hochzeit sollte man aber doch den Anstand haben, sich zu zügeln. Obwohl ich durch sowas natürlich auch Geschichten ergeben können, die man sein Leben lang (gerne) erzählt. Die Omas kann ich mir aber sehr gut vorstellen.

>[...]sogar die Großmütter des Paares hatten gesagt, dass sie das schlecht tun konnte[...]
Wenn die Omas sich einig sind ... dann sollte man auf sie hören.

>[...] dass ein einsamer Stuhl im Eck [...]
Hatten wir ja vorher schon einmal, das mit dem "Eck". Würde hier auch wieder auf "in der Ecke" plädieren.

>Auch wenn sie es nur ungern zugab, das hatte sie schon sehr getroffen.
Vollkommen verständlich. Wäre ja auch ganz schön, wenn der Vater zumindest bei der Hochzeit anwesend wäre ...

>Es wäre eine Chance für sie beide gewesen neu zu beginnen.
Müsste hier nicht vor "neu" ein Komma?

>Nach all den Jahren hatte sie ihm die Hand gereicht; ihm ein Friedensangebot gemacht und er schlug es ohne ein Wort aus.
Finde "Friedensangebot" hier etwas zu weit gegriffen. Sie haben sich ja nicht gestritten und deshalb entfremdet, was das Friedensangebot für mich impliziert. Vielleicht wäre hier: "hatte ihm eine Möglichkeit gegeben, wieder Teil ihres Lebens zu werden" besser oder so. Finde es relativ schwierig, da gerade eine gute Alternative zu finden. Prägnant in einem Wort ist das aber auch schwierig.

Ich hoffe er taucht auf. Aber vielleicht wäre es sogar besser, wenn er das nicht tut. Irgendwie sollte er sich aber doch melden, so als Zeichen von irgendeiner Art von Anstand. Och mann, deine Protagonistin tut mir echt leid :/

Liebe Grüße,
kono
Helfer der KomMission


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