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Teuflischer Besucher

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Teuflischer Besucher

Kai


 

Als letztes zog er sich die Handschuhe über, nachdem er sich seine Hände noch einmal gründlich gewaschen hatte. Die Handschuhe waren schwarz, damit man im Zweifelsfall die Blutflecken nicht sah, die durchsickerten. Er war so bekannt für dieses Kleidungsstück, dass er im Volksmund bereits einen Spitznamen hatte. 'Devils Hand' nannten sie ihn, weil das Gerücht umging, er trüge auf seinen Händen den Beweis für einen Pakt mit dem Teufel. Sie wussten nicht, dass es viel simpler war.

Aber solche Gerüchte entstanden eben, weil niemand glaubte, dass ein so junger Mensch nur mit Willenskraft und Intelligenz derart reich geworden sein konnte. Natürlich musste etwas anderes dahinter stecken. Diese Idioten. Die ganze Menschheit war eine reine Ansammlung von Dummheit und ein Leben unter ihnen war reine Zeitverschwendung. Wenn er die Möglichkeit hätte, einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, dann würde er verlangen, aus dieser Welt aufzusteigen, um Wesen zu begegnen, die ihm ebenbürtig waren. Er war noch keine 19 Jahre alt und er hatte diese Welt schon satt.
 

"Junger Herr? Das Frühstück ist bereit." Brooklyn, sein Butler, war zuverlässig und stets höflich. Er war angenehme Gesellschaft und tat einfach nur, wozu er da war. Er hatte sein gesamtes Personal nach diesen Kriterien ausgesucht. Es hatte Zeit und Mühe gekostet, aber schließlich hatte er anständige Angestellte gefunden. Menschen, mit denen er einigermaßen leben konnte.

Kai sagte nichts, sondern ging einfach.
 

Oliver, ein Jungspund aus Frankreich, war ein hervorragendes Koch. Er kümmerte sich um alles, was die Küche anbelangte. Er war immer fröhlich und redselig, hatte mittlerweile aber gelernt, dass der Hausherr in Ruhe gelassen werden wollte. Deshalb bekam Kai ihn fast nie zu Gesicht. Oliver war die Seele des Hauses und kümmerte sich um die anderen. Es war Kai wichtig, dass sein Personal gut miteinander auskam. Nicht, weil ihm deren Wohlbefinden sonderlich am Herzen lag, sondern weil zufriedene Beschäftigte besser arbeiteten und Teamarbeit in diesem Haushalt wichtig war.
 

Nachdem das Frühstück abgeräumt worden war, betrat Rei wie gewohnt den Raum. Er hatte den Chinesen von der Straße aufgelesen und sich seine medizinischen Fähigkeiten und seine Liebe zur Natur zu Nutze gemacht. Er war der Hausarzt und Gärtner hier.

"Guten Morgen Mister Hiwatari", begrüßte er ihn höflich und stellte einen kleinen Koffer auf den Tisch. Sie beide verzichteten auf einen extra Raum für dieses Ritual, solange kein Besuch im Haus war. Etwas widerwillig legte Kai die Handschuhe ab. Allein der Luftzug den er spürte, ließ in ihm den Wunsch aufkommen, seine Hände zu reinigen, aber das ging gerade nicht.

Vorsichtig wurde seine geschundene Haut mit warmem Wasser und einem weichen Handtuch abgewischt.

"Ist es wieder schlimmer geworden?", fragte Rei in professionellem Tonfall. Kai mochte das sehr an ihm. Er hatte ihm niemals gesagt, dass er damit aufhören musste, weil es nicht normal wäre oder ihm schadete oder sonst etwas. Er hatte immer nur versucht, ihm alles etwas zu erleichtern.

"Es war viel zu tun in letzter Zeit. Da wird es immer etwas schlimmer." Im laufe der Jahre war es ihm zunehmend leichter gefallen darüber zu reden. Nur mit seinem Arzt natürlich, aber selbst das war anfangs schwer gewesen. Er hatte es nicht lange vor dem Chinesen geheim halten können, hatte aber lange jegliche Behandlung abgelehnt.

"Ich werde Salbe auftragen müssen, sonst wird es sich entzünden."

Kais Kiefer verspannten sich deutlich, aber er sagte nichts dagegen. Er wusste was das bedeutete. Für die nächste Stunde durfte er sich die Hände nicht waschen, damit die Salbe einziehen konnte. Aber das war nicht zu ändern. Das letzte Mal, als er sich nicht daran gehalten hatte und den Schmerz einfach versucht hatte zu ignorieren, hätte er sich damit fast umgebracht. Seitdem nahm er das Warnwort 'Entzündung' sehr ernst.

Rei berührte ihn so wenig wie möglich, aber es reichte, um den Drang sich zu waschen, weiter anzutreiben.

"Versuchen Sie, so gut Sie können, das Reinigen zu reduzieren. Wenigstens für die nächsten Tage, damit die Haut sich etwas erholen kann. Sie ist sehr dünn und rissig. Ich werde Brooklyn eine Salbe geben, die Sie vor dem zu Bett gehen nutzen sollten."

Sie beide wussten, dass das ein Vorschlag war, den Kai unmöglich umsetzen konnte, auch wenn er es versuchen würde. Eine fremde Substanz über Nacht auf seinem Körper zu haben, wäre unerträglich.
 

Als Rei die Salbe fertig aufgetragen hatte, bekam Kai neue Handschuhe, die er sich auch gleich überzog. Wenn irgendwer anders die aufgescheuerte Haut sehen würde, gäbe das Probleme. Die Haut eines gehobenen Geschäftsmannes sollte niemals derart unrein sein.

Danach ging es an die Arbeit.
 

"Herr Yuriy Ivanov aus Russland wird heute gegen Mittag anreisen. Er ist der Stellvertreter für Volkov, den Inhaber des ansässigen Unternehmens."

Kai konnte sich kaum auf die Worte seines Butlers konzentrieren. Seine Hände fühlten sich schmutzig an und er meinte zu spüren, wie sich dieser Schmutz langsam ausbreitete. Als würde es seinen Arm langsam hinauf wandern.

Nervös sah er auf eine Uhr. Immer noch mehr als eine halbe Stunde.

"Herr Ivanov wird drei Tage lang im Haus verweilen. Alle nötigen Vorbereitungen sind bereits getroffen."

Er rieb die Hände aneinander, in der Hoffnung, dieses Gefühl loswerden zu können, aber es wurde nur schlimmer. Löste die Salbe Juckreiz aus? Ganz eindeutig ja und auch das schien sich auf die Arme auszubreiten.

Er konnte das so nicht. In einer ruckartigen Bewegung stand er auf und ging in das naheliegendste Bad. Schnell befreite er sich von den Handschuhen und hielt seine Hände und Arme unter das fließende Wasser. Erleichterung durchflutete seinen Körper, aber das Gefühl hielt nur kurz. Er nahm sich Seife und begann zu schrubben, schließlich war so etwas wie Salbe, sicherlich so einfach von der Haut zu bekommen.

Das Brennen, das der Waschvorgang auslöste, spürte er gar nicht mehr, er suchte nur das Gefühl der Erlösung, das doch wieder nicht einsetzen würde. So vergingen Minuten und Kai stoppte erst, als sich das Wasser rot zu verfärben begann. Langsam ließ der Zwang nach und er konnte das Wasser abstellen. Er nahm sich das mittlere von drei aufeinander gestapelten Handtüchern, mit der Intention, die beiden umliegenden möglichst nicht zu berühren. Das obere hatte sicherlich schon Staub angesetzt und das untere den kleinen Abstelltisch berührt. Er wusste, dass sein Putzpersonal gründlich war, aber er brachte es dennoch nicht über sich.

Vorsichtig rieb er sich die Hände trocken und hinterließ dabei kleine Blutflecken auf dem weißen Stoff.

"Brooklyn!"

Sein Butler stand schon bereit und reichte ihm zwei neue Handschuhe, die er sich auch gleich überstreifte und so das Elend wieder verstecken konnte, das er am liebsten vergessen hätte. Die Salbe war eine dumme Idee gewesen, das musste auch anders gehen.

"Ich muss mich umziehen.", grummelte er schlecht gelaunt und ging in Richtung seines Zimmers. Er versuchte seine schmerzenden Hände zu ignorieren, auch wenn es schwer fiel. Wenigstens fühlte er sich jetzt einigermaßen sauber.
 

Nachdem er seine Kleidung gewechselt hatte, machte er sich wieder an die Arbeit, diesmal konzentrierter, sodass er das Gefühl des 'schmutzig seins' eine Weile vergessen konnte.
 

Der Vormittag verging schnell und auch das Mittagessen verlief ruhig. Danach war es Zeit, seinen neuen Gast zu begrüßen.
 

Auf dem Vorhof hielt die Kutsche und ein junger Mann mit feuerrotem Haar stieg heraus. Im Gegensatz zu den dunklen Farben die Kai bevorzugte, trug der Neuankömmling fast ausschließlich weiß. Trotz seines eher schmächtigen Körperbaus wirkte er imposant und respekteinflößend. Ein durch und durch perfekter Mitarbeiter für Außeneinsätze.

"Ich heiße Euch auf meinem Anwesen herzlich willkommen, Mister Ivanov."

"Oh, erspare uns diese Höflichkeiten, Hiwatari. Das ist ermüdend und umständlich. Wir haben geschäftlich zu viel zu regeln um uns mit Etikette zu beschäftigen, findest du nicht?"

Mit einem Mal brach der gute Eindruck, den Kai gerade noch von seinem Besucher gehabt hatte. Was da vor ihm stand, war ein verzogenes Bald, das nicht wusste, wie es sich zu benehmen hatte. Allerdings blieb der Hausherr vorsichtig, schließlich wurde man nicht umsonst so jung stellvertretender Geschäftsführer eines so großen Konzernes, wie der, den Volkov besaß. Derjenige der da vor ihm stand, musste also zwangsläufig gut in dem sein, was er tat und vielleicht war das ungehobelte Verhalten nur eine Masche von ihm, um ihn zu verunsichern und unvorsichtig werden zu lassen.

"Natürlich und wenn du mich schon duzt, bleiben wir doch bei den Vornamen. Mein Name ist Kai. Komm mit hinein, ich habe Tee und Gebäck vorbereiten lasse. Um deine Habseligkeiten kümmern sich meine fähigen Angestellten."

"Na, geht doch. Dann nenn du mich Yuriy."
 

Kai fühlte sich genervt von der bloßen Anwesenheit, dieses unhöflichen ... Hausgastes. Er verbot sich ein anderes Wort auch nur zu denken, das ziemte sich nicht.

"Sag, Kai, was macht ein Mann mit Russischem Vornamen und Japanischem Nachnamen in einer Stadt wie London?" Yuriy behielt den Plauderton bei, doch Kai ahnte, dass mehr hinter den Fragen steckte.

"Das größte Importunternehmen diesseits der nördlichen Hemisphäre führen, offensichtlich."

Sein Gesprächspartner grinste, nahm sich einen Keks, lehnte sich dann lässig zurück und schlug die Beine übereinander.

"Gute Antwort. Wie man es von einem londoner Geschäftsmann erwartet. Immer strebsam, immer rational und auf das geschäftliche bedacht. Aber das ist langweilig. Dieses Land ist langweilig. All die Regeln und Förmlichkeiten. Sie nehmen so viel Zeit und Kraft in Anspruch, dass ich mich manchmal wirklich frage, wie ihr überhaupt noch zum Arbeiten kommt."

"Bist du etwa hier um mich und mein Land zu beleidigen? Ich bin nicht auf eine Geschäftsbeziehung mit Volkov angewiesen, ich muss mir das nicht anhören."

Yuriy lehnte sich wieder vor, ließ dabei den Keks spielerisch wie eine Münze zwischen seinen Fingern wandern. Kai bekam langsam das Gefühl, dass er dieses Gespräch nicht ganz ernst nahm. Er wirkte mehr verspielt und amüsiert und ein wenig so, wie eine Katze, die eine Maus jagte.

"Und genau da liegst du falsch und zwar in beiderlei Punkten. Dies ist nicht dein Land. Du hast es dir vielleicht zu eigen gemacht, schließlich sollst du sogar ein offenes Ohr bei der Königin haben, aber du bist kein Brite. Bist es nie gewesen und wirst es niemals sein. Und selbst wenn du die Güter von Volkov nicht brauchst, so brauchst du dennoch die Beziehungen zu ihm, denn er steht hoch im Ansehen des Kaisers. Wenn du bei Volkov in Ungnade fällst, kannst du ganz Asien vergessen. Also solltest du mich lieber anhören."

Kai war sich nicht ganz sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Es war ihm nicht bekannt, dass Volkov so gute Verbindungen zum Kaiser hatte. Allerdings war es schwer an solche Informationen heran zu kommen und Ivanov hatte Recht: Es konnte es sich nicht leisten, die asiatischen Handelsruten zu verlieren. Die allein hatten ihn erst so groß werden lassen. Aber einfach einem unhöflichen Balg nachgeben? Er besaß genug Rückgrat um das nicht zu tun.

Nun war es an Kai kühl zu grinsen. Es war für ihn einfacher, sich hinter einem steinernen Gesichtsausdruck zu verstecken, als tatsächlich Gelassenheit auszustrahlen.

"War es das? Ich habe keine Angst vor einer Herausforderung. Geh und melde Volkov, dass dieses Treffen nicht zu deiner Zufriedenheit war. Ich lasse mir nicht auf der Nase herumtanzen, nur, um eine handvoll Routen zu sichern. Ich bin nicht so groß geworden, weil ich meinen Geschäftspartner zu kreuze gekrochen bin. Unterschätze mich nicht, Yuriy."

Und dann lachte er. Er lachte einfach, als wäre das alles witzig, als wäre es ein Spiel, als würde es hier um nichts gehen. Er lachte nur und Kai fragte sich ernsthaft, wie man einen so Verrückten als Stellvertreter schicken konnte.
 

Rei


 

Die Sonne schien heute angenehm warm vom Himmel, ohne dabei zu viel zu wärmen. Ein perfekter Tag also, um im Garten zu arbeiten.

Er war gerade in seinem Kräutergarten am Unkraut zupfen, als ein Schatten über das Beet fiel. Verwundert sah Rei auf, denn eigentlich kam der junge Hausherr nie hierher. Es war auch nicht Kai, sondern der Besucher aus Russland. Rei richtete sich auf, blieb aber in kniender Position und lächelte vorsichtig. Er hatte gehört, dass Russland etwas rückständig war und die Ausländerfeindlichkeit enorm hoch. Viel höher als hier in London, wo er wenigstens einigermaßen ruhig leben konnte. Vor allem, seit er für Kai arbeitete.

"Ich wünsche einen wunderschönen Nachmittag.", sagte er höflich und versuchte dabei, seinen Akzent möglichst zurückzuhalten. Es gelang ihm wahrscheinlich nicht, aber ihm war damit wohler.

Zu seiner Verwunderung kniete sich der Fremde zu ihm und ließ seinen Blick über das Beet schweifen.

"Das ist eine erstaunliche Sammlung und ich sehe sogar das ein oder andere Kraut, das nur schwer zu dieser Jahreszeit wächst. Du musst einen grünen Daumen haben."

Rei entspannte sich bei diesen Worten. Der junge Mann vor ihm war ihm anscheinend nicht feindlich gesinnt. Er lächelte erleichtert:

"Ich gebe mir alle Mühe, danke. Es ist das mindeste was ich tun kann. Schließlich sollen hier alle gut versorgt sein."

Er achtete darauf, dass er nichts privates ausplauderte oder irgendwelche Hinweise gab, die der andere fehlinterpretieren konnte. Ihm war bewusst, dass der Russe ein wichtiger Geschäftspartner war und er wollte auf gar keinen Fall seinem Herrn schaden.

"Dann bist du wahrscheinlich die gute Seele des Hauses. Jede Gemeinschaft braucht so etwas."

"So weit würde ich nicht gehen, Herr. Ich bin nur ein bescheidener Heiler."

Er erschrak etwas, als ein freundschaftlicher Klaps seinen Rücken traf. Im ersten Moment hatte er einen Schlag erwartet, weil er ihm theoretisch widersprochen hatte. Aber der Gast grinste nur und seine Augen funkelten verspielt:

"Ach, keine falsche Bescheidenheit! Und lass die Höflichkeit. Ich bin Yuriy. Nicht Herr oder Sie oder was auch immer. Nur Yuriy."

Verwirrt blinzelte Rei. Er hatte noch nie einen Mann wie ihn getroffen und war sich nicht sicher, was er tun sollte. Aber den Wunsch abzuschlagen wäre sicherlich falsch gewesen. Er nickte aber einfach nur, um zu bestätigen.

Yuriy wandte seinen Blick wieder dem Garten zu:

"Ich sehe, dass die meisten Kräuter für Salben gebraucht werden? Für Verletzungen und Hautpflege, wenn ich mich nicht irre."

"Du weißt viel über Heilpflanzen", platzte es erstaunt aus Rei heraus. Nein, so einen Mann hatte er wirklich noch nicht getroffen. Waren Russen alle so?

"Oh, nur dies und das. Nichts besonderes. Wird sich hier so häufig verletzt, dass du sogar außerhalb der Saison anbauen musst?"

Die Frage nicht zu beantworten wäre mehr als unhöflich gewesen, aber wie sollte er das tun, ohne seinen Herrn in die Bredouille zu bringen? Er musste irgendwie einen Weg darum herum finden:

"Auch wenn wir hier alle sicherlich nicht die härteste Arbeit erledigen, beansprucht sie unsere Haut doch sehr und unser junger Herr ist sehr auf Gesundheit unter seinen Angestellten bedacht."

Hoffentlich war das nicht schon zu viel gewesen. Er wollte Kai wirklich keine Schwierigkeiten machen.

"Ist ja auch richtig so.", bestätigte der Fremde dann. "Schließlich arbeiten gesunde Menschen effektiver."

Das ließ Rei wenigstens ein bisschen aufatmen.

"Wie kommt jemand wie du eigentlich an eine Stelle wie diese? Ist ja schon ungewöhnlich."

Er hörte keine Feindseligkeit aus den Worten, nur ehrliches Interesse. Aber wieder war Rei nicht ganz klar, wie viel er preisgeben durfte und sollte. Lobpreisungen konnten manchmal genauso fatal sein wie Kritik zu üben.

"Du musst nicht darüber reden, wenn du nicht möchtest. Und du brauchst dir auch keine Sorgen zu machen. Hiervon wird nichts zum Schaden deines Herrn ausgelegt. Ganz im Gegenteil. Ich bin nur interessiert. Egal was du mir jetzt sagst, es wird keine negativen Auswirkungen haben. Zwingt er dich etwas hier zu sein?"

Ohne weiter nachzudenken antwortete er, schockiert, dass man so etwas überhaupt von Kai denken konnte:

"Nein! Natürlich nicht! Ich bin vollkommen freiwillig hier. Kai.. ich meine der junge Herr Hiwatari hat mich hierher eingeladen. Es war das Beste, was mir hätte passieren können. Die Alternative wäre für mich gewesen, in den Straßen von London langsam zu verenden."

Die letzten Worte fielen ihm schwer. Auch wenn es schon mehr als drei Jahre her war, waren die Erinnerungen immer noch frisch und klar, als wäre es gestern gewesen. Jeden Tag dankte er den Göttern dafür, dass man ihn errettet hatte. Er hatte sich damals geschworen alles für seinen Herrn zu tun und es fraß an seiner Seele, dass er ihn von seiner Krankheit nicht befreien konnte.

"Ein sehr intelligenter Geschäftsmann also. Er weiß wohl, wie man sich loyale Mitarbeiter besorgt."

Yuriy stand auf und verabschiedete sich freundlich. Vollkommen verwirrt blickte Rei ihm hinterher. Nein, er war so einem Mann wirklich noch nie begegnet.
 

Kai


 

Am Abend saßen die beiden zusammen in einem der Konferenzräume der Villa. Es war ein kleiner, weil sie nur zu zweit waren. Wie es sich gehörte stand Tee auf dem Tisch und Brooklyn stand dabei, um nachzuschenken oder anderen Wünschen nachzukommen.

"Ich schlage vor, wir arbeiten die gröbsten Punkte zusammen aus und ich lege dir morgen den ersten Entwurf vor.", begann Kai sachlich.

Doch Yuriy winkte nur locker ab und nahm einen Schluck Tee. Er verzog kurz das Gesicht und nahm sich noch Zucker. Nachdem er den neuen Geschmack getestet hatte, fuhr er endlich fort: "Das ist nicht notwendig. Ich bin mir sicher, dass du vollkommen faire Konditionen bietest und, dass wir, also die Firma, diese zu deiner vollen Zufriedenheit erfüllen können. Setz die Verträge auf, ich werde sie kurz durchlesen und dann wahrscheinlich unterschreiben."

Vollkommen irritiert und aus den Bahn geworfen, sah Kai seinen Gast an. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!

Er winkte Brooklyn zu sich, der sich bei ihm verneigte, damit er ihm ins Ohr flüstern konnte: "Bei seiner Ankunft, hast du seine Papiere überprüft, nicht wahr?"

"Ja, natürlich, junger Herr. So wie jeden anderen Geschäftsmann ebenfalls."

Irgendetwas war wirklich faul an dieser Sache.

"Geh in mein Arbeitszimmer und überprüfe sie erneut und danach lege sie mir bereit, ich sehe sie mir selbst auch noch einmal an. Und suche mir einen Brief von Volkov heraus, den wir als Referenz verwenden können."

Brooklyn bestätigte und verließ möglichst unauffällig den Raum.

Kai wandte sich wieder an seinen Besucher, der ihn nur wieder amüsiert angrinste.

"Schließt man so Geschäfte in Russland?"

Yuriy lachte kurz kehlig, ehe er antwortete: "Oh nein. Normalerweise trinkt man erst einen Abend zusammen, bevor man Verträge unterzeichnet." Seine Augen blitzten verspielt:

"Du kannst dir offenbar nicht vorstellen, Menschen einfach zu vertrauen, obwohl sie dir noch keinen Beweis für ihre Vertrauenswürdigkeit geliefert haben."

"Warum sollte ich auch? Vertrauen ist keine Sache des Glaubens."

"Du musst ein sehr einsamer Mann sein, Kai."

"Tz. Ich fühle mich wohl, danke."

Es entstand eine kurze Pause, in der sich beide einfach nur aufmerksam ansahen und den anderen scheinbar abzuschätzen versuchten. Letztendlich lehnte sich Kai etwas vor:

"Wenn die Verträge sowieso unterschrieben werden und ihr keine Konditionen habt, warum bist du dann überhaupt hier?"

Yuriy begann abermals vergnügt zu grinsen:

"Oh, du beginnst die richtigen Fragen zu stellen." In einer Geste die Kai mittlerweile kannte, schlug Yuriy die Beine übereinander und nahm noch einen Schluck Tee.

"Wen interessieren schon diese Verträge? Es ist doch viel interessanter den Menschen zu treffen, der angeblich seine Seele an den Teufel verkauft hat. Den mächtigsten Mann Londons oder vielleicht sogar des gesamten britischen Empire. Ist das denn keine Reise wert?"
 

War es also das? Hatten die Russen Furcht, er hätte einen Pakt mit dem Teufel? Nein, nein. Hier ging irgendetwas nicht mit rechten Dingen zu. Nun, er bekam erst einmal seine Wunschverträge, welchen Preis das hatte, musste er später herausfinden. Niemand hatte je behauptet, dass Geschäfte mit Russen einfach wären.

"Das werden dann aber sehr langweilige drei Tage für dich. Es gibt nichts interessantes über mich zu wissen."

"Jeder Mensch ist interessant, wenn man sich nur traut tief genug zu graben. Du brauchst also keine Sorge zu heucheln. Ich werde mich sicherlich blendend amüsieren."

Das befürchtete Kai allerdings auch.
 

*


 

Er hatte sich nur kurz die Hände waschen wollen. Nur kurz. Einfach noch einmal vor dem schlafen gehen. Nicht aus einem besonderen Anlass, der Tag war abgesehen von dem Morgen und dem merkwürdigen russischen Besucher angenehm normal verlaufen. Er hatte nur noch einmal warmes Wasser über seine geschundenen Hände laufen lassen wollen.

Im ersten Moment schien es auch zu gehen. Er hatte danach ein Handtuch genommen und sich abgetrocknet, aber als er sich zum Gehen umgewandt hatte, hatte er gestoppt. Er hatte sich nicht besonders gründlich die Hände gewaschen, hatte die Räume zwischen den Fingern vergessen. Nur noch einmal nach waschen. Dann war es gründlich, dann konnte er beruhigt schlafen.
 

Ja, natürlich, als ob es so einfach wäre. Als ob es irgendwann in letzter Zeit so einfach gewesen wäre!

Das fünfte mal jetzt schon hielt er seine Hände erneut unter das Wasser. Er wollte aufhören, denn er war müde und ausgelaugt und musste fit sein, damit dieser Ivanov ihn nicht ausspielen konnte.

Aber er schaffte es nicht! Jedes Mal wenn er sich abtrocknete und sich umwandte, blieb er stehen und starrte auf seine Hände. Da war nichts! Nichts schmutziges, nichts merkwürdiges. Da konnte nichts sein! Aber dieses Gefühl hörte nicht auf. Dieses Gefühl, dass er etwas abwaschen musste. Dass er nicht sauber war. Dass etwas nicht stimmte.

Er versuchte sich die ganze Zeit einzureden, dass er sich das einbildetet. Er wusste, dass er es sich einbildete. Aber es brachte nichts. Er drehte sich immer wieder um und fing von vorne an. Er verlor immer wieder gegen sich selbst. Es machte ihn fertig.
 

"Das ist also das große Geheimnis."

Ruckartig drehte Kai sich um und sah Yuriy im Türrahmen des Badezimmers stehen.

"Was zum Teufel machst du hier?" Er hatte nicht die Kraft um geduldig oder auch nur gefasst zu sein. Er wollte aus diesem Raum raus und ins Bett.

"Du hast hier nichts verloren! Das sind meine privaten Räume!"

Doch Yuriy hob nur abwehrend die Hände.

"Sachte, sachte. Nur die Ruhe. Ist doch alles gut. Du brauchst dich nicht dafür zu schämen, dass ich dein Geheimnis gelüftet habe."

"So ein Schwachsinn! Raus hier oder ich schwöre bei Gott, ich schmeiße dich eigenhändig von meinem Grundstück!"

Aber Yuriy lachte nur: "Wie willst du das machen? Dafür müsstest du mich erst einmal anfassen und dir die Hände schmutzig machen."

Am liebsten hätte Kai ihm den Hals umgedreht. Sich auf diese Weise über ihn lustig zu machen...

"Der große Kai Hiwatari hat also angst vor Schmutz und versteckt diese Krankheit unter schwarzen Handschuhen."

Yuriy stieß sich von dem Türrahmen ab und kam langsam auf ihn zu.

"Kein Pakt mit dem Teufel, nur ekel vor sich selbst. Irgendwie hat das was beruhigendes, findest du nicht? Schwarze Magie ist doch recht furchteinflößend. So viele Menschen in dieser Stadt sind von etwas anderem überzeugt. Ich musste einfach kommen und mir das selbst ansehen."

Zum ersten Mal ging etwas gefährliches von Yuriy aus. Kai konnte nicht sagen was es war, aber das Grinsen was sonst immer auf den Lippen des anderen lag, war einer ernsten Miene gewichen.

"Ich hätte es mir denken können. Für gewöhnlich hätte ich von einem Pakt als erstes gewusst. Aber weißt du, wenn man ein wenig zu wild feiert, können Erinnerungen auch manchmal trügen."

"Wer bist du? Du bist nie im Leben ein russischer Geschäftsmann!"

"Na na, wer wird denn gleich? Mein Name ist Yuriy Ivanov und ich arbeite für Volkov. Das sagen auch die Papiere die ich dabei hatte. Wie unhöflich von dir, mir etwas anderes zu unterstellen."

Yuriy stoppte nur einen Schritt von Kai entfernt.

"Erzähl mal. Wann hat das angefangen? Was war der Auslöser?"

Erinnerungsfetzen flogen durch Kais Geist, doch er ignorierte sie. Er würde nicht wieder daran denken. Nicht wieder an den Tag an dem das alles angefangen hatte.

"Die Leute vermuten nicht nur wegen der Handschuhe einen Pakt, oder? Sie haben andere Gründe. Andere Gerüchte. Was hast du getan Kai? Womit hast du dich derart beschmutzt?"

"Hör auf mit dem Scheiß!", keifte der Hausbesitzer, drehte den Wasserhahn zu und wollte an Yuriy vorbei. Doch der packte ihn nur und presste ihn an die Wand.

"Weißt du, was mir gleich aufgefallen ist, als ich hier her kam? Es arbeitet keine einzige Frau für dich und noch nicht einmal ein erwachsener Mann. Nur Knaben, alle in deinem alter. Und hübsch sind sie. Oh und wie hübsch sie sind. Und alle sind dir untergeben, vergöttern dich geradezu. Ich hab mit ein paar von ihnen gesprochen und besonders Rei war da sehr aufschlussreich. Ein Straßenjunge. Du als so hochrangiger Geschäftsmann, kannst es dir doch gar nicht leisten, so jemanden bei dir aufzunehmen. Aber er spricht frei darüber, also wissen es auch andere. Du müsstest das Gespött der ganzen Geschäftswelt sein. Aber das bist du nicht... sie haben alle Angst vor dir, aber keiner wagt es auszusprechen, was alle denken. Sie reden nur von dem Teufelskind."

Das Grinsen war wieder da, doch es war finsterer, dämonischer. Doch es fiel Kai kaum auf. Er war zu beschäftigt damit seinen eigenen Geist im Zaum zu halten.

"Gehst du manchmal zu ihm Kai? Nachts, wenn alle schlafen? Schleichst du dich in seine Kammer und machst euch beide schmutzig?"

"Widerliches Schwein!" Mit aller Kraft die er aufbringen konnte, versuchte er seinen Peiniger von sich zu schieben, doch er bewegte ihn keinen Millimeter. "Wag' es nicht so von Rei zu sprechen!"

Ein kaltes Lachen hallte durch den Raum. Nur kurz, doch es dröhnte förmlich in Kais Ohren. Langsam ergriff ihn Panik. Er fühlte sich bedroht, eingeengt, angegriffen und er konnte sich nicht befreien. Er war machtlos. Vollkommen machtlos und diese Hilflosigkeit schnürte ihm die Kehle zu.

"Du bist plötzlich so still. Wie schade. Willst du mir nicht doch davon erzählen? Es tut so gut, etwas auszusprechen."

Eine blasse Hand hob sich an Kais Wange und strich sacht darüber. Kai erschauerte. Doch zu seiner eigenen Missgunst empfand er die Berührung nicht nur als unangenehm.

"Oder soll ich es dir erzählen? Soll ich dir erzählen, was du getan hast?"

Kais Augen weiteten sich voller Schrecken. Dass irgendwer das wissen könnte, war unmöglich. Es war vollkommen unmöglich und doch lebte er seit damals in der Angst, irgendwer könnte es herausfinden. All die Jahre versuchte er es zu verdrängen, aber jedes Mal, wenn er den missgünstigen, ängstlichen Blick der Stadtbewohner sah, wenn er sah, wie ihn seine Geschäftspartner ansahen, wusste er, dass sein Geheimnis nie eines gewesen war. Sie wussten es alle, alle miteinander. Sie hatten nur zu viel Angst um es auszusprechen und zu wenig Beweise um überhaupt das Recht einer Vermutung zu haben. Aber sie wussten es und er hatte gewusst, dass es ihn irgendwann einholen würde. War jetzt der Zeitpunkt gekommen?

"Wer bist du?", hauchte Kai. War er Polizist? Detektiv? Nein.. das konnte nicht sein. Es gab keinen Polizisten, der so aussah. Niemand in der Stadt sah so aus wie er.

"Das sagte ich dir bereits und du wirst keine andere Antwort von mir bekommen. Kai, tu dir selbst den Gefallen und sprich es aus. Es wird dir helfen."

Er wollte nicht, er wollte wirklich nicht, aber als Kai in die eisblauen Augen seines Gegenübers sah, konnte er nicht mehr anders.

"Mein.. mein Großvater und ich sind nach England gereist", begann er langsam und stockend. Aber mit jedem Wort das er sprach, wurde er sicherer und konnte letztendlich gar nicht mehr aufhören zu reden. Die Belastung des Geheimnisses, schien sich mit jedem Wort weiter zu verflüchtigen:

"Ich war gerade 14 und war das erste Mal mit auf solch einer Geschäftsreise. Mein Großvater hat mich alles gelehrt, was man als Händler benötigt. Es lief alles gut und normal, aber an einem Morgen, Großvater schlief noch, da habe ich mich hinaus geschlichen um andere Kinder in meinem Alter zu finden. Einfach nur um sie kennen zu lernen. Ich habe einen Jungen gefunden und wir haben zusammen gespielt. Es war ausgelassen. Ich bin dann wieder zurück, aber ich war so glücklich, ich kann es kaum beschreiben. Ich dachte es wäre, weil ich nicht oft zum Spielen kam, aber das war nicht der Grund. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen und habe die ganze Zeit nur an ihn gedacht und noch bevor die Sonne wieder aufgegangen war, hatte ich mich wieder hinaus geschlichen und bin ihn suchen gegangen. Als ich ihn fand war es diesmal anders. Ich weiß nicht genau warum, aber wahrscheinlich hat er gesehen, was mit mir los ist. Er hat mich in eine Seitengasse gezogen und wir haben uns geküsst."

Kai stoppte abrupt und sah Yuriy unsicher an, als würde er etwas erwarten. Doch es passierte nichts. Er spürte nur die zarten Finger über seine Wange gleiten und hörte die beruhigenden Worte, die ihm zugeflüstert wurden:

"Es ist alles gut Kai, red nur weiter."

"Wir haben vollkommen die Zeit vergessen und alles um uns herum. Aber irgendwann bemerkte mein Großvater, dass ich weg war und ging mich suchen."

Diesmal stockte Kai, weil es ihm schwer viel das auszusprechen, was danach kam. Er bemerkte nicht einmal, dass Yuriy ihn nicht mehr gegen die Wand presste, sondern ihn vielmehr stützte, aber er spürte die Finger, die immer wieder beruhigend über seine Haut glitten.

Kais Blick ging weit in die Ferne, als er weiter sprach:

"Brüllend hat er mich weg gezerrt und als wir in unserer Bleibe ankamen, hat er begonnen mich zu schlagen. Er hat geschrien wie widerlich ich sei und wie abnormal und wie ich das nur hatte zulassen können. Dass er mehr von mir erwartet hätte. Dass ich die ganze Familie mit dieser Aktion beschmutzt hätte. Immer und immer wieder hat er zugeschlagen. Er hätte mich umgebracht. Er hätte mich.... wenn ich nicht... ... Ich bin gefallen... auf den Boden und er hatte das Bein schon gehoben. Er hätte mich umgebracht. Ich hatte solche Angst. Und... und das einzige was ich tun konnte.. es war nur ein Reflex. Ich wollte das eigentlich nicht... Er ist gefallen und mit dem Kopf auf der Tischkante aufgekommen. Es war alles voller Blut. So viel... und ich lag mittendrin."

Kai schnappte nach Luft und wenn er noch die Kraft dazu gehabt hätte, wäre er zur Wanne gegangen und hätte begonnen sich den Körper abzuschrubben. Dieser Moment, als er in dem Blut gelegen hatte, waren der Auslöser gewesen, zusammen mit den Worten, die sein Großvater ihm vorher an den Kopf geworfen hatte. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie so schmutzig gefühlt.

"Irgendwer hat die Polizei gerufen und ich habe ihnen erzählt, es sei ein Unfall gewesen. Offensichtlich haben sie mir geglaubt, aber ich weiß, dass sie hinter vorgehaltener Hand darüber spekuliert haben, dass ich ihn umgebracht habe. Ich konnte nicht zurück nach Japan. Ich hatte mein Gesicht verloren, war unrein. Deshalb bin ich in England geblieben. Mit dem Geld, das eigentlich für die Rückreise gedacht war, habe ich mein eigenes Unternehmen gegründet und habe die Kontakte meines Großvaters nach Asien ausgenutzt, um hier mein Imperium zu aufzubauen."
 

Es war raus. Zum ersten Mal in seinem ganzen Leben, hatte er das erzählt und es war ausgerechnet Yuriy oder wer auch immer der Mann vor ihm war, dem er es erzählt hatte. Ausgerechnet dieser Verrückte.

Ihm war schlecht und schwindlig und er fühlte sich matt und ausgelaugt.

"Na siehst du? Das war doch gar nicht so schwer." Die Stimme von Yuriy klang jetzt sanft, fast einlullend. Er erschien zufrieden, warum auch immer.

Kai indes versuchte sich wieder zu sammeln und zu sich selbst zurück zu finden. Die Erinnerungen hatten ihn innerlich in Aufruhr gebracht und ihn instabil gemacht.

"Halt den Mund." Das war zumindest schon einmal kein schlechter Anfang. Er schob Yuriy von sich und ging zum Waschbecken um sich abermals die Hände zu waschen. Hoffentlich würde dieser Verrückte jetzt verschwinden. Seltsamerweise empfand er keine Angst, dass der andere sein Geheimnis an irgendwen weitertragen würde. Er vertraute ihm, einfach so.

"Weißt du, ich kann dir helfen."

"Kein Interesse.", zischte Kai sofort. Er würde sich von dem nicht helfen lassen. Nicht für alles Geld dieser Welt. Er wollte nicht wissen, was ihn diese Hilfe kosten würde.

"Für was hältst du mich denn? Ein Monster? Ich verlange nichts unmögliches als Gegenleistung."

Kai hörte gar nicht erst zu. Er wollte es nicht wissen. Er hatte ein schlechtes Gefühl bei der Sache.

"Willst du dir etwa weiterhin die Hände wund scheuern? Weiter die Gerüchte schüren? Irgendwann wird jemand nachfragen und irgendwann wird es irgendwer herausfinden."

Warum hielt dieser Mistkerl nicht einfach den Mund?
 

Kai zuckte zusammen, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte.

"Kai, es ist nichts Schlimmes dabei, dir von mir helfen zu lassen."

Er schlug die Hand weg und drehte sich wütend um.

"Denkst du ernsthaft ich bin so dumm und verkaufe meine Seele um eine Krankheit loszuwerden? Lieber leide ich jetzt, als den Rest der Ewigkeit in der Hölle zu schmoren!"

Ja, er hatte die Andeutungen verstanden, auch wenn er es selbst kaum glaubte. Aber allein die Tatsache, dass er ihn so leicht zum Reden gebracht hatte, war ihm Beweis genug, genau wie all die Dinge die er wusste, all die richtigen Fragen die er stellen konnte. Dieser Mann konnte nicht von dieser Welt sein.

"Es gibt keine Hölle. Es gibt de Facto auch keinen Himmel. Das ganze ist ein wenig komplizierter als ihr es euch immer vorstellt. Es hat keinerlei Nachteil für dich, außer, dass du mir einen Gefallen schuldest. Mehr nicht."

"Ja, natürlich. Und das soll ich dir weshalb glauben? Mal ganz davon abgesehen, dass du definitiv der Letzte bist, dem ich einen Gefallen schulden will!"

Doch Yuriy fing nur wieder an zu grinsen. Abermals hob er die Hand, doch diesmal schlug Kai sie weg, noch bevor sie seine Wange berührte.

"Das stimmt so nicht, mein Lieber. Den Gefallen würdest du mir gerne schulden, glaub mir. Ich empfinde das Leben ohne etwas Spannung zwar langweilig, aber bitte, hier ist der Vorschlag: Ich befreie dich von diesem Waschzwang und dafür bekomme ich dich und zwar für eine Nacht. Natürlich nicht heute Nacht. Ich gebe dir Zeit um dich von deinem Zwang zu erholen, damit ich dich auch anfassen kann, ohne, dass du gleich in Panik gerätst. Sagen wir... drei Jahre? Und ich weiß, dass du mich attraktiv findest. Danach bist du frei von dem Pakt. Das war es. Wenn du nicht willst, werden wir uns danach niemals wieder sehen. Ein wenig schade, zugegeben, aber ich halte mich daran."

Kai aber änderte seine Meinung nicht. Allerdings machte er den Fehler weiter mit seinem Besucher zu sprechen:

"Du willst mich also dazu verführen, mit dir zu sündigen? Wo ist da der Unterschied zum Verkaufen meiner Seele?"

Etwas überzogen theatralisch seufzte Yuriy, ehe er antwortete:

"Ich bitte dich. Als hätte jemand wie Gott tatsächlich etwas dagegen. Das haben euch die Priester nur eingeredet, warum auch immer. Wenn es eine Hölle gäbe, wären diese Heuchler die ersten, die ich einladen würde. Nein, Kai. Ich verführe dich zu nichts, außer zu einer heißen Nacht. Nichts Verwerfliches, nichts Verbotenes. Vollkommen ungefährlich. Und bevor du jetzt fragst: Ich habe einfach nur meinen Spaß. Das ist das, was ich aus diesem Geschäft herausziehe. Mehr nicht. Ich wandle nur hier umher, um Spaß zu haben."
 

Er war Geschäftsmann und dieses Angebot war, wenn er hier nicht angelogen wurde, wirklich nicht schlecht. Eine Nacht würde er überleben. Ob es wirklich nur das war? Unsicher sah er auf seine Hände. Er wollte das nicht mehr...

Sagte Yuriy wirklich die Wahrheit? Gab es keine Hölle?

Er war nicht einmal Christ. Er war gar nicht gläubig. Sein Großvater hatte nie etwas davon gehalten. Etwas, was in der westlichen Welt fast unmöglich erschien, aber es war so gewesen. Wenn er also schon nicht an Götter im Allgemeinen glaubte, warum dann an Strafen von ihnen? Das war unsinnig. Er schluckte.

"Gut. Einverstanden. Eine Nacht, in drei Jahren."

Yuriy grinste, griff sich Kai und küsste ihn. Erschrocken wollte der zurückweichen, doch er konnte nicht.

Nach wenigen Sekunden entspannte er sich und konnte das Gefühl genießen. Er hatte seit Ewigkeiten keinen richten Körperkontakt mehr gehabt und erst jetzt bemerkte er, wie sehr er sich danach verzehrt hatte. Für einen Moment konnte er tatsächlich vergessen, dass er sich eigentlich vor Berührungen fürchtete.

Als sich Yuriy wieder löste, grinste er noch immer und bevor er ging, richtete er noch einmal das Wort an Kai:

"Ach und Kai. Kümmer dich um Rei, wärst du so gut?"

In dem Moment wurde es schwarz um Kai.
 

*


 

Als er erwachte war es Morgen und er lag in seinem Bett. Er trug sein Schlafgewand und Handschuhe, wie immer. Es fühlte sich nichts anders an.

Das war wirklich ein merkwürdiger Traum gewesen.

Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es noch etwas dauern würde, bis Brooklyn käme, doch ein Klopfen an der Tür, belehrte ihn eines Besser.

Es war sein Butler der eintrat und ein wenig verwirrt wirkte. Das war selten für den sonst so ruhigen Mann.

"Was ist los?", fragte er deshalb und stellte sich bereits auf eine Katastrophe ein.

"Eine Kutsche ist gerade vorgefahren. Der Fahrgast ein älterer Mann, der behauptet, Yuriy Ivanov zu sein. Er erzählt, man hätte die Kutsche überfallen, deshalb könne er die Papiere nicht vorlegen. Er gibt den Überfall auch als Grund für die Verspätung an."
 

Drei Jahre später


 

Kai stand an einem Fenster und sah hinunter auf den Hof. Er trug noch immer seine schwarzen Handschuhe, denn das Zeichen auf seinem Handrücken war der Beweis für das Versprechen, dass er vor drei Jahren gegeben hatte.

Es hatte sich viel seitdem geändert. Nach dieser Nacht hatte sich sein Zwang tatsächlich nach und nach gelegt und er hatte zu akzeptieren begonnen, dass diese eine Nacht kein Traum gewesen war. Er hatte auch akzeptiert, dass er sich zu einem Pakt mit dem Teufel hatte verführen lassen, aber inzwischen hatte er die Angst davor verloren. Es war sowieso zu spät und wenn er tatsächlich dafür in der Hölle landen würde, wusste er jetzt, dass er angenehme Gesellschaft haben würde.
 

Die drei Jahre Wartezeit hatten die Vorfreude auf diese Nacht bis ins unermessliche gesteigert. Er hatte davon geträumt und davon fantasiert. Es war schwer gewesen, die Triebe, die diese Vorfreude geweckt hatte, unter Kontrolle zu halten, aber glücklicherweise half Rei ihm sehr dabei.

Der kleine Chinese war seit damals sein Partner. Sie passten ausgesprochen gut zusammen, was sehr erstaunlich war. Rei wusste von dem Pakt und wusste von dieser Nacht. Er vergötterte ihn so sehr, dass er nichts dagegen sagte und ihm schon mehrmals gesagt hatte, dass er seinem Verlangen auch ruhig öfter nachgehen solle.

Rei war ein außergewöhnlicher Mann und er würde zusehen, dass er ihn bei sich behielt, aber wirklich heiße Leidenschaft entflammte nur einer bei ihm. Vielleicht würde er Reis Angebot nachgehen und, wenn Yuriy oder wie auch immer er ihn nennen sollte, wollte, sich öfter mit ihm treffen. Mächtige Kontakte sollten schließlich auch gepflegt werden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Poah O.o
Krass... das ist VIEL geworden. War so eigentlich nicht geplant.
Und es war auch eigentlich nicht geplant, dass es irgendwie ne Mischung aus Black Butler, Ten Count, Lucifer und Supernatural wird XD Ups
Wobei die ersten beiden tatsächlich gewünscht waren^^
Leider habe ich Oliver doch nicht mehr ordentlich mit rein bekommen. Eigentlich sollte Yuriy dem auch noch einen Besuch abstatten. Nun ja, man kann nicht alles haben^^

Hoffe es hat euch gefallen, auch wenn es etwas schräg ist XD Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Lady_Shanaee
2016-11-28T09:17:49+00:00 28.11.2016 10:17
Woah Beyblade... In meinen Augen ist es ewig her, dass ich das gesehen habe... Aber Kai ist mir im Gedächtnis geblieben...

Außerdem ist die Story so schön "antik" geschrieben, was ich im Moment sehr mag. Victorianisches Zeitalter... irgendwie hat das was. Wie der Sepiaton auf alten Photos... Ein schöner one-shot.
Von:  Mabisu
2016-11-25T13:39:32+00:00 25.11.2016 14:39
Huhu ^^
Alsooo... Der OS fing ziemlich langsam und gestelzt an, aber das passte gut in die Story. Als yu dann auftauchte wirkte das i-wie wie ein Umbruch:) über den ich aber i-wie froh war >. <
Wenn jemand sich so oft die Hände wäscht wie Kai hat man entweder einer Phobie oder man empfindet sich selbst als schmutzig... Aber den Grund für das Gefühl war gut gewählt :)
Reis Rolle finde ich klasse >. < so subtil und trotzdem ist es i-wie immer präsent ^^
Schön finde ich auch, dass du nicht hast aufgedeckt was oder wer genau yu nun eigentlich ist :) lässt platz für Spekulationen ^^
Wirklich mal wieder ein schöner runder OS ^^ und nein es war nicht zu schräg ^^
Vielen Dank hat Spaß gebracht ^^
Liebe Grüße :3


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