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Von Fingerabdrücken und Schneeflocken

von

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Meine Augen wandern zwischen dem riesigen Schaufenster und dem großen Kellner umher, mit dem sie spricht. Ich versuche angestrengt, unauffällig zu erscheinen und es scheint absolut unmöglich für mich, gedanklich in der Gegenwart zu bleiben. Und nicht davon zu träumen was passieren könnte. Es passiert nur sehr selten dass ich mir das träumen erlaube. Ich bin nicht die Art Frau, die sich um irgendetwas anderes kümmert als die Gegenwart oder Realität.
 

Ich konzentriere mich nun doch darauf zuzuhören und ihrer Stimme zu lauschen, während ich die Schneeflocken außerhalb des Cafés beobachte. Wie sie alleine zu Boden fallen, Flocke für Flocke, und doch am Ende mit dem Schnee auf dem Boden verschmelzen und die beruhigende Gesellschaft von anderen Schneeflocken finden. Zumindest ist es das, was ich glauben möchte. Warum sollten sie sich nicht unter ihresgleichen wohl fühlen?
 

Als ich das Café vor ein paar Minuten betrat, fühlte ich sofort die gemütliche Atmosphäre nach der ich gesucht habe. Kaum hatte ich mich an meinen Platz gesetzt, ließ ich anschließend meinen Blick über sie schweifen, nur um sie dabei zu erwischen, wie sie das gleiche tat. Sie erwiderte mein Lächeln und wendete den Blick verschämt ab. Sie kann noch nicht lange hier sein.
 

Auf den ersten Blick hätte ich den großen Raum als vollgestopft und voll von kitschiger und altmodischer Dekoration beschrieben. Aber zwischen altmodisch und altes neu interpretiert liegen heutzutage nur wenige Handgriffe. Außerdem ist es sauber und die Kuchen hier sind immer mehr als vorzüglich. Na ja, der Kuchen ist nicht der Hauptgrund warum ich hier bin.
 

Ihr Tee wird serviert und ich wende mich ab, beobachte den Schnee und aus dem Augenwinkel nehme ich jede Bewegung von ihr wahr: Wie ihre zarten Finger die Teetasse umschließen und sanft mit dem Henkel spielen. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass sie eine Künstlerin ist, eine Musikerin. Ich kann ihre Hände ein Cello spielen sehen und wie ihre Beine sanft das elegante Musikinstrument umschließen, tiefe und dennoch aufmunternde Töne zu erzeugen wie bei Debussy's „Beau Soir“.
 

Der Kellner kommt auf mich zu und ich bestelle Kaffee und ein Stück des hausgemachten Schokoladenkuchen.
 

Während ich auf die Ankunft meines Kaffee's warte, streiche ich meine Hände verlegen durch mein eher kurzes und natürlich blondes Haar und lasse meinen Blick durch das Café schweifen – und zurück zu ihr. Sie fährt fort, die Speisekarte zu studieren, scheinbar um sich endlich für einen Kuchen zu entscheiden, nachdem auch ihr Gespräch mit dem Kellner über das Tagesangebot keine Entscheidung hervor brachte.
 

Selbst wenn ich es wollte könnte ich ihre Haarfarbe nicht definieren. Ein schimmerndes Türkis, das manchmal sehr intensiv wirkt und manchmal sehr blass. Wissenschaftler sagen, dass niemand genau den gleichen Fingerabdruck hat wie du. Vielleicht hat in ihrem Fall niemand auf dieser Welt die gleiche Haarfarbe wie sie. Es könnte ihre eigene Art von Fingerabdruck sein.
 

Bei diesem Gedanken wird mein Lächeln breiter und meine Laune noch besser. Ich atme unendlich erleichtert auf, dass ich schließlich etwas – jemanden – gefunden habe, der mich zu beruhigen vermag, mich sein lässt und mich aufmuntert wenn ich mich so verloren fühle, so untypisch für mich, und der es schafft, mein Interesse aufrecht zu erhalten.
 

Mein tägliches Leben ist voll von Stress und Problemen, die gelöst werden müssen. Technische Details, unromantische Auswertungen und Zahlen auf Papier, die in dieser beruhigenden, simplen Umgebung keinen Sinn machen und unwichtig erscheinen. Ich schäme mich so farblos neben ihr zu sein, wenn sie doch alles sein kann: Die begabte Künstlerin, die talentierte Musikerin, die klassische Schönheit, die Powerfrau, die Witzige, die Verführerin...
 

Ich wusste es von Anfang an. Dem ersten Moment als wir uns trafen vor ein paar Wochen. Ich konnte es an ihrem Lächeln, in dem eine undefinierte Schüchternheit mitschwang, erkennen und wie sie verlegen eine Hand durch ihr Haar gleiten ließ und mich dabei fixierte.
 

Sie steht auf mich.
 

Mein Kaffee kommt und ich höre, wie sie nun ihren Kuchen bestellt. Dieses Mal versuche ich nicht zu starren. Ich komme aber nicht umhin zu denken, wie atemberaubend perfekt sie ist. Ihre Stimme, die jedes Mal den Wunsch in mir auslöst, meine Augen zu schließen und ihr verträumt zu lauschen.
 

Ich beobachte kurz die Angestellten wie sie ihre Arbeit verrichten, während ich kleine Schlucke meines Kaffee's schlürfe. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen wie sie eine Haarsträhne hinter ihr rechtes Ohr streift. Wie sehr wünschte ich ich könnte sie jetzt und hier berühren... Ihr hinreißendes Schlüsselbein mit meinem Finger nachzeichnen nur um einen Eindruck von mir zu hinterlassen.
 

Sie hat nichts gesagt und das muss sie auch nicht. Sie sitzt nur dort. Wartend, lauschend, beobachtend und mit mir Zeit verbringend.
 

Um mich von ihr abzulenken stelle ich mir eine Schneeflocke vor. Ich habe mal eine durch ein Mikroskop gesehen. Nach dem Besuch hier letzte Woche, als es auch schon geschneit hat, habe ich die Definition einer Schneeflocke nachgeschaut. Ich erinnere mich nicht an die Beschreibung Wort für Wort aber der Text besagte, dass es sich entweder um einzelne Eiskristalle handelt oder viele von ihnen, zu einer Gruppe geformt, und sie durch die Atmosphäre fallend.
 

Ich wäre vollkommen zufrieden damit nur ein einzige Schneeflocke zu fangen um auf sie acht zu geben, damit sie nicht auf den harten Boden fällt. Eine, um mit ihr ein Paar zu bilden. Eine, um sie zu schätzen und ehren. Nur eine.
 

Und dann erwische ich mich wieder wie sie vollständig meine Gedanken beherrscht. Es ist einfach Zeitverschwendung mich von ihr ablenken zu wollen. Außerdem, warum sollte ich das tun wollen? Warum sollte ich mich von der Frau meines geheimsten und persönlichsten Traum ablenken wollen?

Die Schneeflocke vorstellend fühle ich mich an den unscharfen, aber hellen Schimmer in ihren Augen erinnert wenn sie lächelt. Mir weiche Knie beschert wenn sie mich mit ihren mysteriösen tiefblauen Augen anschaut, so dass ich fast vergesse, dass ich überhaupt Knie habe.
 

Oh bitte, kann ich das... behalten? Wird es mir erlaubt sein, sie weiterhin zu sehen?
 

Wir bleiben weiterhin schweigsam und beginnen unseren Kuchen zu essen. Ich habe total verpasst, wann er gebracht wurde.

Es ist kaum auszuhalten wie sie aussieht wenn sie sich etwas Kuchen von den Lippen leckt... Wie ihre Lippen sich anspannen und wieder entspannen und in ihre natürliche geschwungene Form zurückfinden.
 

Ich bin hin und her gerissen zwischen völliger Handlungsunfähigkeit ausgelöst von ihrer Anmut und endlich zu handeln, was ich nicht kann. Nur um diesen Zustand zu überspielen denke ich daran damit fortzufahren meinen Kuchen zu genießen.
 

Wir sind bei unserem letzten Bissen und bevor mein Verstand realisiert, was passiert, beobachten meine Augen dass sie im Begriff ist zu bezahlen und das der Moment vorbei ist. Ein Mal mehr versuche ich mir einzuprägen wie sie aussieht, wenn sie ihren Schal um sich drapiert und ihren Mantel um ihren zierlichen Körper schlingt.
 

Ich verbiete es mir selbst ihr beim gehen zuzusehen.
 

Als die fremde Frau vom Tisch neben meinem gegangen ist, frage ich mich ob ich sie wiedersehen werde. Da ist diese wachsende angst was ich tun soll, wenn sie nächste Woche nicht auftaucht. Ich schaue auf den leeren Stuhl und frage mich wie sie es geschafft hat, dass ich bleibe, wieder, und warum ich sie habe gehen lassen, wieder, ohne nach ihrem Namen zu fragen und ob sie an meinem Tisch sitzen möchte.
 

Mein Blick verweilt auf dem Stuhl auf dem sie nur wenige Augenblicke zuvor gesessen hat, so als ob ich sie damit und meinem bloßen Willen wieder erscheinen lassen könnte. So dass ich sie fest umarmen kann, ihr sagen, dass ich denke dass sie meine Schneeflocke ist und dass ich es lieben würde, sie in Kürze zu lieben.
 

Stattdessen rufe ich den Kellner und zahle. Ich stehe auf und schaue ein letztes Mal auf ihren Tisch und Stuhl und ich fühle mich so schwer und mutlos wie ich gekommen bin. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich mich fragen ob sie wirklich existiert. Vielleicht bin ich so besessen davon mich nicht zu verlieben, dass mein Verstand jemanden kreiert hat, den ich niemals finden kann. Ein kleiner Tropfen Wasser, der niemals zu einer Schneeflocke gefriert.
 

Aber ich schaue aufmerksam genug hin um einen Beweis ihrer Existenz zu finden: Ein Abdruck eines menschlichen Fingers auf dem polierten Echtholztisch. Ihr Fingerabdruck.
 

Sobald ich das Café verlassen habe beginne ich zu lächeln und kann die nächste Woche kaum erwarten, mit dieser einer speziellen Frage im Kopf: Kann ich?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Surprise, surprise. Das nennt man wohl Kurzschlussreaktion. Einfach Lust gehabt, diese Geschichte mit euch zu teilen. Da ich etwas aus der Übung bin, sagt mir doch, was ihr denkt. Ich habe sie zwar schon vor längerem begonnen aber jetzt erst den Feinschliff vorgenommen.

Widmen möchte ich sie xi_on. Das nenne ich mal eine interessante Charakterstudie, was meinst du? Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Gurgi
2019-06-10T19:06:11+00:00 10.06.2019 21:06
Wow, dieser kurze Einblick ist schon mal wunderschön geschrieben. Insbesondere die Beobachtung der Schneeflocken ist, wie ich finde, eine schöne bildliche Darstellung von beiden.
Auch gut gefallen hat mir, dass ich erst nach ein paar Absetzten wusste aus welcher Perspektive du schreibst. Gute Idee mal aus einem anderen Blick zu schreiben. Alles in allem hat mir die Geschichte gut gefallen.



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