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Widerstand

Zu nah am Abgrund
von

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Manchmal hasse ich ihn regelrecht für das, was er getan hat.

Sicher, er hatte lange und intensiv mit ihnen gestritten, hatte Argumente vorgelegt und war wirklich überzeugend gewesen, doch was erreichen schon gute Argumente, wenn das Gegenüber einfach nicht zuhören will? Wenn man irgendwann erkennen muss, dass alles nichts hilft und man gegen eine Wand spricht?

Ich wusste ja, er hatte sie überzeugen wollen.

Davon, dass ihr Weg sie in die falsche Richtung bringen würde.

Dass nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Kinder dann untergehen würden.

Es war ja auch nicht so, als wäre dieses Problem von einem Tag auf den nächsten aufgetreten.

Über Monate hatte sich diese Entwicklung gezogen.

Aus den anfänglichen kurzen Streitgesprächen war tagelanges Schweigen geworden, welches nur wieder durch einen neuen Streit gebrochen wurde, wenn er sein Maul nicht mehr halten konnte.

Aber er hatte ja Recht.

Irgendwann musste ihm aufgegangen sein, dass sie sich nichts mehr zu sagen hatten.

Warum hatte er bloß nicht mit mir geredet?

Ob er mir nicht geglaubt hatte, wenn ich ihm sagte, ich sei auf seiner Seite?

Vielleicht war ich nicht überzeugend genug.

Vielleicht war ich etwas zu enthusiastisch in meinem Versuch, die Enttäuschung, die meine Eltern durch meinen Bruder erlebten, auszugleichen.

War es falsch, dass ich das Glück meiner Eltern wollte? Dass ich wollte, dass sie stolz auf mich sein konnten? Obwohl sie falsche Ziele verfolgten?

Wütend schlage ich mit der Faust auf das Kopfkissen ein.

Bin ich jemals auf jemanden so wütend gewesen wie jetzt auf ihn?

Oder bin ich doch eher wütend auf mich.

Ich denke an den Tag zurück, an dem wir auf dem Bahnsteig standen und auf ihn warteten.

Und er einfach nicht kam.

Im Geiste sehe ich heute noch die schweren Rauchschwaden aufsteigen und sich oben in der Kuppel des Gebäudes sammeln. Sehe die Menschenmassen sich auf dem Bahnsteig drängeln, voll bepackt mit Taschen, Koffern, Käfigen oder die schweren Gepäckwagen vor sich her schiebend.

Ich weiß noch, wie ich zwischen den Gesichtern nach meinen Eltern suchte und sie schließlich entdeckte, ihnen euphorisch und auch ein wenig erleichtert zuwinkte, weil ich sie beide hier stehen sah.

Als ich dann endlich meinen schweren Koffer zu ihnen gewuchtet hatte und ausgiebig von ihnen begrüßt worden war, warteten wir.

Wir beobachteten die Familien, die sich freudestrahlend in die Arme schlossen und wild schwatzend auf den Ausgang zusteuerten, doch mein Bruder tauchte nicht aus der Menge auf.

Ich spürte meinen Vater ungeduldig von einem Bein aufs andere treten, die angekaute Pfeife von einem Mundwinkel in den anderen verschiebend.

Dann: „Wo ist dein Bruder?“

Seine mürrische Stimme jagte mir schon lange keinen Schreck mehr ein.

Nicht seit ich IHM das erste Mal begegnet war.

„Ich weiß es nicht.“ antwortete ich wahrheitsgemäß.

Wir hatten zwar gemeinsam den Zug bestiegen, er hatte mir sogar noch geholfen, meinen Koffer zu verstauen, doch dann war er mit James in einem anderen Abteil verschwunden.

Ich habe seine Vorliebe für diesen Aufschneider nie verstehen können. Aber mein Bruder war ja selbst einer.

Die Zeit war dann lang geworden, während wir dort warteten.

Mein Vater ärgerte sich darüber, dass mein Bruder so trödelte und meine Mutter darüber, dass die Leute sie so anstarrten.

Schließlich war der Bahnsteig übersichtlich geworden, doch nirgendwo war eine Spur meines Bruders zu finden.

Wir untersuchten jedes Abteil, liefen am Zug entlang, doch auch dort fanden wir ihn nicht.

So fuhren wir schließlich nach Hause.

Ich war ratlos, sie waren verärgert.

Ich fragte mich, wo er abgeblieben war, ob es ihm gut ging und wo er heute Abend schlafen würde.

Sie fragten, ob er sie hatte bloßstellen wollen, weil er sie am Bahnsteig warten ließ.

Als wir zu Hause aus dem Wagen stiegen, sagte meine Mutter noch etwas zu meinem Vater, was ich nie vergessen habe.

„Du hast noch einen zweiten Sohn.“

Mein Vater sah mich lange an, lächelte traurig und legte mir die Hand auf die Schulter.

„Das ist richtig“, sagte mein Vater bedächtig und sein Lächeln sollte wohl aufmunternd wirken. „Nun ist es an dir, die Tradition zu erfüllen.“

Damals dachte ich, diese Geste sei etwas Liebevolles, heute weiß ich, dass sie etwas ganz anderes bedeutete.

Damals war ich 14 Jahre alt. Mein Bruder ein Jahr älter.

Mein Bruder Sirius ist nicht mehr nach Hause zurückgekehrt.

Und manchmal hasste ich ihn dafür.

Nicht dafür, dass er gegangen war.

Sondern dafür, dass er mich nicht mitgenommen hatte.

Nachdem er fort war, schlossen sich meine Eltern den Todessern an.

Als ich an diesem Abend meinen Koffer auspackte, fand ich in dem oberen Fach einen Abschiedsbrief. Aus diesem Grund hatte er mir wohl mit dem Koffer geholfen.

Sirius teilte mir mit, dass er nicht mehr mit ihnen unter einem Dach leben könne und dass nicht nur die normalen Probleme dafür der Grund waren. Er könne es einfach nicht ertragen, dass die Eltern der Bedeutung von Blut so viel Raum gaben. Ich glaube, dass es bei ihm um ein Mädchen ging. Er schrieb zwar nichts davon, aber seine Ablehnung der Familientradition war in den letzten Monaten immer offensichtlicher geworden und ich meinte, dass es mit der Zeit zusammenfiel, in der er häufiger mit einem Mädchen aus seinem Zaubertrankkurs gesehen wurde. Er verriet mir nicht, wo er Unterschlupf finden würde, doch ich konnte mir denken, daß James ihn aufnehmen würde, wenn dessen Eltern damit kein Problem hätten.

Den ganzen Abend stritten meine Eltern in ungewohnt gedämpften Ton unten im Wohnzimmer miteinander, doch ich war gedanklich so weit weg, dass ich mich gar nicht fragte, warum sie überhaupt so erbost waren. Oft genug hatten sie ihm im Zorn an den Kopf geworfen, er solle sich davon machen und nun hatten sie schließlich bekommen, was sie wollten. Sirius war fort.

Allerdings bekam ich an diesem Abend noch lebhaft mit, wie meine Mutter meinen Bruder aus dem Wandteppich mit dem Familienstammbaum heraus brannte.

Heute weiß ich, warum sie stritten und warum Sirius gerade diesen Sommer wählte und unsere Familie verließ.

Vermutlich hat er gewusst, was auf ihn zukommen würde und deshalb auf diese Lösung zurückgegriffen.

Und vermutlich hätte er auch die Aufgabe nie gemeistert, die nun, da er fort war, mir zufallen würde.

Dafür war er zu emotional, zu unbeherrscht und zu sehr von sich eingenommen.

Ich war besser geeignet.

Doch ich erfuhr erst ein paar Tage später, worum es eigentlich ging.

Die Familie Black hatte eingewilligt, einen ihrer Söhne, geplant war natürlich, dass es Sirius sein würde, zur direkten Ausbildung einem bestimmten Zauberer zu unterstellen. Das sollte ihn auf den richtigen Weg zurückbringen.

Bevor es die großen Magierschulen gab, war dies üblich gewesen und in meiner Familie waren die Schulen immer sehr skeptisch beäugt worden. Besonders, was den Lehrstoff und den Lehrkörper anging.

Ich muß gestehen, dass ich ihre Skepsis bis zu einem bestimmten Punkt bis heute noch teile.

Stichwort: Sybill Trelawny.

Andererseits weiß niemand so gut wie ich, wie fatal ein falscher Lehrer sein kann.

Am nächsten Morgen informierten mich meine Eltern darüber.

Ich erfuhr, dass Hogwarts bereits über meine Abmeldung informiert worden war und dass ich am Besten gar nicht erst ausgepackt hätte. Denn zwei Tage später zog ich bereits zu meinem neuen Lehrer.

Wenn ich jetzt hier so sitze und darüber nachdenke, wie es dazu gekommen ist, wie ich an den Punkt gekommen bin, an dem ich heute stehe, komme ich immer wieder zu dem Ergebnis, dass ich ohne Sirius nicht hier sein würde.

Dass ich andere Entscheidungen getroffen hätte, wäre er nicht gewesen.

Zu sagen ich wäre nicht stolz gewesen, für eine derartige Aufgabe ausgewählt zu werden, lässt mich leider in einem viel besseren Licht erstrahlen, als ich es eigentlich verdiene.

Ich war stolz, SEIN Schüler zu werden.

Ich fieberte dem regelrecht entgegen.

Das Wissen, vor dem die ganze Welt erzitterte, direkt aus SEINEM Mund zu erlernen.

Zu spüren, wozu Magie in der Lage war.

Stolz.

Wer ist denn nicht gern ein Auserwählter?

ER prüfte mich ausgiebig. Immer wieder.

Während meiner gesamten Ausbildungszeit gab es nicht einen Augenblick, an welchem ich mich nicht unter Kontrolle haben musste. ER durchforstete meinen Geist, prüfte jeden Gedanken, den ER sah, führte mich behutsam auf die Straße, die ER vor mir gegangen war. ER sah die Wut auf meinen Bruder und geschickt manipulierte ER mich. Stachelte den Zorn in meinem Inneren weiter an.

Ich lernte bereitwillig, ich besiegte meine Angst vor IHM, ich hungerte nach dem Wissen, welches ER an mich weitergab und so war ich natürlich schon viel zu weit gegangen als ich schließlich erkannte, dass auch ich nur eines SEINER Werkzeuge geworden war. Eine SEINER feinen, hoch komplizierten Errungenschaften, die durch die Jahre seiner Leitung gehorsam SEINE Befehle in die Welt trugen.

Aus welchem Grund sollte ER sich sonst einen Schüler nehmen?

Ich war nicht so ein Geschöpf wie meine Tante Bellatrix, die IHN mit großen Augen verehrte und sich verzweifelt nach SEINER Liebe sehnte.

Ich experimentierte unter SEINER Aufsicht mit den dunklen Kräften.

Ich stand in SEINEM Schatten und suchte die Gesichter SEINER Getreuen nach Missgunst und Hinterhältigkeit ab, um IHM darüber Bericht zu erstatten. Ich verfolgte jene, die SEIN Misstrauen erregt hatten und beobachtete jeden ihrer Schritte und wenn der Meister SEINE Entscheidung getroffen hatte, beseitigte ich diese Krebsgeschwüre in unserer „Familie“.

Doch als ich erkannte, dass ich ein Werkzeug war, viele Jahre, nach meiner Ausbildung, änderte sich meine Sicht auf die Geschehnisse und ich erkannte, dass das Leben an SEINER Seite gefährlich war, wenn man sich überschätzte.

Doch ich wusste, wo ich stand.

Ich wusste, welchen Wert ich besaß.

Und ich gedachte nicht, mich zu überschätzen und SEIN nächstes Opfer zu werden.

Warum sollte ER mich auch opfern? Ich war sein treuester Diener.

Acht Jahre nachdem mich meine Eltern SEINER Obhut übergeben hatten, war unser Kampf endlich in seine alles entscheidende Phase getreten. Wir kämpften mehr oder minder offen gegen jene, die sich unter Dumbledores Leitung im Orden des Phönix organisiert hatten, doch wir hatten es leichter.

Wir legten weder besonderen Wert auf Geheimhaltung, noch gab es nicht einen in unseren Reihen, der nicht mit Freude für die Verwirklichung unserer Ziele gefallen wäre.

Bis auf mich vielleicht.

Ja, auch ich kämpfte für die Ziele des reinen Blutes und die Vertreibung der Muggelstämmigen.

Doch sterben wollte ich für diese Ziele nicht.

Ich kämpfte, weil es notwendig war, aber es waren nicht meine Ziele.

Ich war der Meinung, dass sich die Gilde der Zauberer über die Muggel erheben sollte.

Weil wir die Stärkeren waren. Weil wir die Muggel beschützen sollten.

So wie sich das in einer zivilisierten Gesellschaft gehört.

Der Stärkere herrscht und beschützt den Schwächeren.

Deshalb kämpfte ich für eine Herrschaft der Zauberer.

Aber das hatte nichts mit dem Blut zu tun.

Die Muggelstämmigen waren nur anders als wir, die wir aus Zaubererfamilien stammten. Sie wuchsen anders auf, lernten andere Dinge, hatten andere Moralvorstellungen. Deswegen mussten sie auch einen anderen Platz in der Gesellschaft haben. Eine Unterteilung ist doch nicht unbedingt falsch. Nur wenn man sie als minderwertig betrachtet.

Die, die meine Mitkämpfer als Reinblüter beschrieben, bildeten in meinem Gedankengebilde die Basis der Zaubererherrschaft. Sie standen für die Sicherheit und die Tradition. Die Muggelstämmigen sorgten für die nötige Fluktuation. Sie standen für die nötige Flexibilität der Gedanken, für die Erneuerung und den immerwährenden Austausch. Die Muggel wiederum waren die Schwächsten Glieder dieser Gesellschaft und mussten beschützt werden. Doch sie sorgten für die Veränderung in der Welt. Gäbe es die Muggel nicht, hätte es niemals Erfindungen wie das Automobil gegeben, das wir verzauberten, um uns komfortabeler zu bewegen als mit den Besen oder den Portschlüsseln. Und die Muggel brauchten diese Erfindungen, um ihren Mangel an Magie auszugleichen.

Ihre Ziele waren also nicht meine Ziele.

Und das war allein Sirius Schuld.

Immer wenn ich mir in Erinnerung rief, dass all die Toten und all die Grausamkeit einem höheren Ziel dienten und dieses Ziel um jeden Preis errungen werden musste, schlich sich Sirius Stimme in mein Bewusstsein.

Dann hörte ich wieder seine Worte, die er meinem vor Wut sprachlosen Vater entgegen schleuderte, so dass sich seine Stimme vor Empörung überschlug. Und dann fragte ich mich, wie es dazu gekommen war, dass wir uns mit einem Mal gegenüberstanden, wo wir doch auf derselben Seite hätten kämpfen sollen.

Immer wenn ich ihn in meinem Kopf sprechen hörte, wackelte meine Loyalität und mein Weltengerüst schwankte.

Nur eine glückliche Fügung verhinderte, dass ER meine Zweifel bemerkte.

In meinem letzten Jahr in Hogwarts hatte ich mit Freunden an der Entwicklung eines neuen Zaubers gearbeitet.

Wir hatten in den Stunden in Ruhe Zauberschach spielen wollen und versucht, einen Ablenkungszauber zu schaffen. Dieser leitete den Blick des Lehrers unauffällig vom Betrachter fort, hin zu „interessanteren“ Schülern. Wir waren zu jung, um die Wahrnehmung direkt manipulieren zu können, doch diese simple Ableitung hatte tatsächlich Erfolg. Auf dieser Basis hatte ich später einen Zauber geschaffen, der den Legilimens zwar nicht aufhalten, jedoch ableiten konnte. So war ich in der Lage, bestimmte Erinnerungen oder Informationen vor IHM zu verbergen, ohne dass ER etwas davon bemerkte.

Und in Verbindung mit meiner zweiten großen Schöpfung war mein Geist beinahe vor IHM sicher.

Dieser zweite Zauber manipulierte Erinnerungen. Mit diesem Zauber war ich in der Lage, IHM Bilder zu zeigen, die es nie gegeben hatte, IHM Begegnungen zu schildern, die nie stattgefunden hatten.

Kurzum, ich war imstande, IHN anzulügen.

So ließ ich IHN glauben, Mary und Jeremy Walsingham sowie ihre Kinder Nicolas und Geronimo getötet zu haben. In Wirklichkeit hatte ich die beiden Eltern überwältigt, ihre Erinnerungen gelöscht und in ihnen den tiefen Wunsch eingepflanzt, nach Südafrika auszuwandern.

In fast regelmäßigen Abständen besuchte ich Rita Kimmkorn, die sich glücklicherweise niemals an meine Besuche erinnerte und die in ihrer lächerlich reißerischen Form die schrecklichen Tode dieses oder jenes Kämpfers verkündete, während jene ohne jede Erinnerung an den Kampf in ihrer Heimat und

unter einem neuen Namen ihr neues Leben in Spanien genossen.

Ich hatte genug Tote gesehen, um zu wissen welche Wunden die bevorzugten Flüche rissen und ich besaß genügend Vorstellungskraft, um IHM überzeugende Bilder zu liefern.

Doch je weiter ER ging, je mehr Menschen ER tötete und je heftiger der Kampf wurde, desto mehr quälte mich Sirius Stimme in meinem Inneren. Fragte mich immer aufs Neue, ob ich auch wirklich auf der richtigen Seite stand, ob ich mir das gut überlegt habe. Und ich bekämpfte diese Stimme, indem ich meine Gegner ohne Erinnerung außer Landes schickte und IHM weismachte, sie seien tot.
 

Mein Vater fiel 3 Tage vor meinem 25. Geburtstag in einer Schlacht gegen den Orden des Phönix an der Südküste.

Meine Tante Bellatrix berichtete mir, was geschehen war. Bellatrix ist nicht wirklich meine Tante, sie ist eine entfernte Cousine meiner Mutter, doch nach meinem Umzug kümmerte sie sich um mich und bestand darauf, dass ich sie „Tante“ nannte, obwohl sie nur wenige Jahre älter ist als ich.

Mein Vater sei von einem Fluch niedergestreckt worden und verblutet. Er hatte sich mit Frank Longbotton duelliert. Meine Mutter hatte sich gerade noch retten können, aber sie war nach diesem Kampf nicht mehr dieselbe.

Ich senkte meinen Blick, um nicht länger in ihre fanatisch verzerrten Züge blicken zu müssen.

In dem Glauben, ich würde um ihn trauern, zog sie mich in ihre Arme und schwor mir mit allem Pathos zu dem sie fähig war, ihn zu rächen. Sie pries meinen Vater als großen Kämpfer für unsere Sache und tröstete mich mit dem Wissen, er sei als Held gestorben.

Ich fragte mich, ob sich das die Kinder unserer Gegner auch sagten, wenn sie verzweifelt versuchten, dem Tod ihrer Eltern einen Sinn zu geben und die Trauer zu bewältigen.

Ich hingegen konnte nicht um meinen Vater trauern.

Er war als fanatische Schlächter in den Kampf gezogen, blindlings auf den Gegner zugestürmt und hatte niemals eine andere Option auch nur in Erwägung gezogen.

Konnte ich trauern um jemanden, der sein Schicksal so heraufbeschworen hatte?

Konnte ich trauern um jemanden, der den Tod gefunden hatte, den er sich so gewünscht hatte?

Ich war nur unendlich erleichtert als ich erfuhr, dass es nicht Sirius gewesen war, der unseren Vater getötet hatte. Trotz allem, was vorgefallen war, hätte er sich das niemals verziehen.

ER unterbrach uns. Ich hatte sein Nahen schon von Weitem gespürt und meinen Geist verschlossen.

„Bellatrix. Laß uns allein.“ sprach ER.

Seine Stimme war früher so vielschichtig gewesen.

Sie konnte so weich sein. Wie Samt. Verführend und umgarnend. Eine Stimme, der man nur zu gerne in eine unbekannte Zukunft folgen würde. Diese Stimme konnte jemanden dazu bringen, die Gründe etwas zu tun, nicht mehr zu hinterfragen, sondern einfach nur gehorchen zu wollen.

Sie konnte hart sein und kalt. Dafür musste ER sie noch nicht mal erheben.

Ein geflüstertes Wort nur konnte seine Gefolgsleute das Fürchten lehren. Brachte dich dazu, dich abducken zu wollen, dich zu fragen, ob die Kälte, die dich schaudern ließ, das Ergebnis eines Zaubers war oder nur das Resultat seiner Stimme.

Sie konnte euphorisch sein und mitreißend.

Sie brachte dich zum Jubeln. Sie weckte in dir eine Opferbereitschaft, von der du noch nicht mal geahnt hattest, dass sie in dir schlummern könnte. Sie brachte dich dazu, deine Ideale und Moralvorstellungen zu vergessen, wenn sie nicht mit SEINEN übereinstimmten. Mühelos brachte ER dich dazu, IHM zu folgen.

Doch sie hatte sich verändert. Diese Stimme.

So vielschichtig wie sie früher gewesen sein mochte, war sie mit der Zeit einem Zischen immer ähnlicher geworden. Manchmal schlug zwar noch die alte Euphorie durch, doch ihren alten Zauber erreichte sie nur noch selten. Nur war sie deswegen nicht weniger Angst einflößend. SEIN tonloses Zischen oder SEINE Wutanfälle erreichten die gleichen Ziele, SEINE Anhänger waren nun nicht weniger paralysiert als früher.

Bellatrix gehorchte sofort und verließ den Raum.

Nicht ohne IHM noch einmal ihre Ergebenheit zu demonstrieren.

„Natürlich mein Gebieter.“ säuselte sie.

ER wartete, bis sich die Tür hinter ihrer Gestalt geschlossen hatte.

Ich hatte mich aufgerichtet, die Hände hinter dem Rücken gekreuzt und blickte IHM ernst aber gelassen entgegen.

SEIN suchender Blick fuhr prüfend über mein Gesicht.

Gleichzeitig spürte ich, wie SEIN Geist behutsam tastend in meine Gedanken eindrang. Schnell leitete ich SEINEN Blick von Sirius fort. Alles andere durfte ER durchaus sehen.

„Du trauerst nicht.“

Es war keine Frage.

Ein leichtes Zucken im Mundwinkel verriet mir, dass ich IHN amüsiert hatte.

„Er hat den Tod gefunden, den er sich gewünscht hat.“

SEIN Lächeln vertiefte sich.

ER war stolz auf mich.

In der Annahme, SEINE Erziehung hätte selbst die natürliche Zuneigung zu den Eltern ausgelöscht.

Ich hatte IHM nie offenbart, dass die Verehrung meines Bruders der Grund dafür war.

„Mit deinem Vater verlieren wir einen hervorragende Kämpfer“, bemerkte ER und trat an mir vorbei zu dem Tisch, auf welchem der Wein stand. „Die dritte Gruppe ist unvollständig.“

SEINE Prüfung war wohl noch nicht beendet.

Doch ich ließ IHN zuerst sprechen.

„Ich hatte daran gedacht, Greyback und Bellatrix zu verschieben.“

Ich schüttelte schon den Kopf, während ER sprach.

„Warum testet Ihr mich, Mylord?“

ER legte fragend den Kopf schräg.

„Greyback ist unkontrollierbar, wenn er einmal verwandelt ist und Bellatrix zu tollkühn in ihrem Drang Euch zu gefallen.“

ER grinste, während er sich zu der Karaffe umwandte und ich erhaschte einen Blick auf den Jungen, der ER einmal gewesen sein musste. Eine Geste forderte mich zum Sprechen auf.

„Was würdest du mir raten?“

Ich wusste bereits, worauf ER hinauswollte.

„Ich an Eurer Stelle würde die Gruppen 15 und 16 auflösen. Mit dem Norden könntet Ihr Euch beschäftigen, wenn London gefallen ist. Die freigewordenen Kräfte könntet Ihr den übrigen Gruppen zuschlagen. Diese wären dann stärker und könnten den Kampf beschleunigen.“

Die Karaffe hob sich und goss Wein in einen bereit stehenden Pokal.

„Den Norden entblößen? Die Riesen führerlos lassen?“

Erneut schüttelte ich den Kopf.

„Die Riesen könntet Ihr Karkaroff unterstellen. Er hat durchaus noch Kapazitäten.“

Der Pokal schwebte in SEINE ausgestreckte Hand und ER hob ihn abwesend an die schmalen Lippen.

„Ein interessanter Gedanke. Hältst Du ihn für so vertrauenswürdig? Ich glaubte schon fast, er könnte umfallen.“

„Er fürchtet Euch zu sehr, Mylord. Er wird nicht fallen. Er wird sich eher überschlagen Euch zu beweisen, dass er dieser Ehre würdig ist.“

ER nickte versonnen.

„Wenn ich deinem Rat folge und die Gruppen auflöse, wird eine Gruppe keine neuen Kämpfer bekommen.“

Ich hatte es geahnt, dass es darauf hinauslaufen würde.

Ich tat einen Schritt auf IHN zu.

„Warum unterschätzt Ihr mich? Ihr wisst genau, dass ich die unterbesetzte Gruppe verstärken könnte.“

ER lächelte mit einem schmalen, grausamen Lächeln auf den Lippen.

„Es ist möglich, dass ich darauf zurückkommen werde. Aber vorerst benötige ich deine Dienste noch woanders.“

Nicht auszudenken, wenn er mich von meinem jetzigen Posten abzog.

Dann würde ich keine Möglichkeit mehr haben, Unbeteiligte aus der Schusslinie zu holen.

Ich trat vor und verbeugte mich leicht.

ER zeigte es nicht gern, aber ich hatte herausgefunden, dass ER sich durch solche Gesten geschmeichelt fühlte.

„Euer Wunsch ist mir Befehl.“

ER nickte huldvoll als habe ER nichts anderes erwartet.

ER nickte versonnen.

„Du darfst gehen.“

Ich verneigte mich leicht und verließ den Raum.
 

Drei Monate später zog ER mich tatsächlich vorübergehend von meinem Posten ab und schlug mich einer Kampftruppe zu. Meine Truppe bestand aus Rowle, Greyback, Dolohov und mir unter Führung von Malefica Malfoy. Sie war eine hervorragende Kämpferin und sehr aufmerksam.

Vor ihr musste ich mich in Acht nehmen.

Und hoffen, dass ich nicht auf Sirius treffen würde.

Unser Überfall war für die Morgendämmerung geplant. Wir hatten eines ihrer Verstecke entdeckt und über Monate hinweg ausgespäht. Dieses Versteck wurde tatsächlich regelmäßig aufgesucht und wir hatten eine Chronologie der Besuche ermitteln können. Es war einer ihrer Rückzugsorte.

Dieser Schlupfwinkel lag in einem Wald westlich des kleinen Örtchens Tregaron, südlich von Aberystwyth an der walisischen Westküste. Das Haus lag in einer Senke in dem dichten Wald und war fast vollständig von wildem Efeu überwuchert so dass die Muggel es auch dann übersehen hätten, wenn es nicht mit diversen Schutzzaubern belegt gewesen wäre.

Seit Mitternacht lagen wir im Dunkeln auf der Lauer.

Wir hatten einen weitläufigen Kreis um das Gebäude gebildet und erhielten unsere Befehle telepathisch.

Unser Spion hatte berichtet, dass der Wechsel unmittelbar bevorstand und das Haus vermutlich schon in dieser Nacht aufgesucht werden würde. Aber Genaueres wussten wir leider nicht.

Ich lag an der Anhöhe im Norden auf dem kalten Erdboden und hatte den hellen Mond, der durch die dichten Fichten drang im Rücken. Das Gesicht so nahe am Boden, dass ich den würzig modrigen Geruch der Fichtennadeln auf dem Boden riechen konnte.

Langsam und behutsam bewegte ich meinen rechten Fuß, damit er nicht einschlief und lauschte gleichzeitig auf verdächtige Geräusche vor mir.

Etwa 8 Meter rechts von mir konnte ich Greyback erkennen.

Seine massige Gestalt lag reglos am Boden, doch ich spürte seine Unruhe.

Rowle, in demselben Abstand links von mir, lag gänzlich still und hätte ich nicht gewusst, dass er lebte, hätte ich bestimmt das Gegenteil angenommen. Ich konnte noch nicht einmal seine Atmung erkennen.

Irgendwo vor mir, hinter dem Gebäude, erahnte ich die Gestalt Dolohovs als er vorsichtig über den Rand der Senke spähte.

Plötzlich spürte ich die magische Entladung, die einen Portschlüssel ankündigte und Maleficas Stimme in meinem Kopf.

„Macht euch bereit.“

Sofort spannte sich mein Körper vor Kampeslust. Noch während die Gruppe rotierend auf dem kleinen Platz erschien, war ich bereits auf die Beine gesprungen und hatte meinen ersten Schockzauber abgeschossen.

Neben mir brach die gewaltige Gestalt Greybacks aus dem Gestrüpp und stürmte wutschnaubend auf die Gruppe zu, die sich instinktiv in Verteidigungsposition begaben und Schilde aufstellten.

Mein Schockzauber traf Gideon Prewett, zerplatzte aber an seinem Schildzauber. Mit Leichtigkeit wehrte er einen Todesfluch von Dolohov ab. Ein weiterer Schockzauber von mir traf Caradoc Dearborn, warf ihn zurück auf den Boden, aber sofort war Benjy Fenwick über ihm und schütze ihn mit seinem Körper.

Greyback erreichte die Gruppe, warf sich mit seinem gesamten Gewicht auf Fenwick und zerrte sein schreiendes Opfer in den Wald hinter der Hütte.

Mein Todesfluch ging absichtlich über Fabian Prewett hinweg.

Ich hörte Malefica in meinem Kopf fluchen, als wir beide spürten, wie sich Greyback immer weiter entfernte.

Auch ich fluchte.

Greyback war einfach für eine Schlacht nicht zu gebrauchen, er war nur auf sein Vergnügen aus.

Ich schoss einen weiteren Schockzauber auf die Gestalt, die mir den Rücken zuwandte und gerade Maleficas Todesfluch abwehrte, doch der Kämpfer neben ihm, leitete ihn geschickt ab.

Ich brauchte sein Gesicht nicht zu sehen, um meinen Bruder zu erkennen.

Mir wurde kalt.

Wenn wir den Kampf gewannen, würde mein Bruder sterben.

Ich sah Dolohov auf Sirius zielen und reagierte instinktiv.

Eine Wurzel hob sich aus dem Steinboden und ließ ihn stolpern, so dass sein Fluch an meinem Bruder vorbei raste und knapp über James’ Kopf im Unterholz verschwand. Lupins Schockzauber traf Dolohov und ließ ihn zurücktaumeln.

In diesem Moment traf Gideon Prewetts Zauber Malefica in die Brust.

Unsere Blicke trafen sich für einen surrealen Moment, dann verdrehten sich ihre Augen und sie stürzte nach hinten auf den Boden.

Rowle tauschte einen angsterfüllten Blick mit Dolohov, beide blickten zu mir. Ein Schockzauber traf mich in die Brust, schleuderte mich nach hinten gegen einen Baum und das Letzte, was ich sah war, wie die beiden disapparierten.
 

Ich erwachte, weil mich jemand an der Schulter rüttelte.

„Regulus. Regulus.“

Die bittende Stimme meines Bruders sprach auf mich ein.

Langsam tauchte ich aus der Bewusstlosigkeit auf und konnte mich im ersten Moment nicht orientieren.

In meinem Kopf hämmerte es und als ich es wagte, die Augenlider zu öffnen, begann sich die Welt um mich herum zu drehen.

Schnell schloss ich die Augen wieder.

Vorsichtig schickte ich meinen Geist aus und erfasste neben meinem Bruder, der neben mir auf dem Waldboden hockte, noch eine weitere Gestalt in direkter Nähe, sowie vier weitere Personen, die sich aber schon am Rande meiner Wahrnehmung befanden.

„Regulus. Kannst du mich hören?“, versuchte es mein Bruder wieder und mir wurde die absurde Situation bewusst, dass er hier neben mir kniete, obwohl wir auf verschiedenen Seiten standen.

Ich versuchte es erneut und öffnete die Augen.

Die zweite Person, die drei Schritte entfernt vor mir stand, die Arme abweisend verschränkt, den Zauberstab aber noch kampfbereit in der rechten Faust und mich nicht aus den Augen ließ, war natürlich James Potter.

„Regulus. Geht es dir gut?“

Ich hob die Hand und ertastete Blut an meinem Hinterkopf.

Dann nickte ich.

„Doch. Alles in Ordnung.“

Dann sah ich ihn zum ersten Mal an.

Er war gealtert in den Jahren, seit wir uns nicht mehr gesehen hatten.

In meiner Erinnerung war er noch immer der Teenager, der von zu Hause fortlief, doch nun blickte er mit dem Gesicht eines Erwachsenen auf mich herab. Ein Bartschatten lag auf seinen Wangen, nur in dem hellen Mondlicht zu erkennen, kleine Fältchen bildeten sich jetzt in den Augenwinkeln, als er erleichtert lächelte.

„Wo ist mein Zauberstab?“, fragte ich und suchte den Waldboden mit den Augen ab.

Dann fiel mein Blick auf James.

Ein höhnisches Lächeln lag auf seinen Lippen, er hielt kurz den Stab in seiner rechten Hand hoch und rollte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich einem Todesser seinen Zauberstab lasse.“

Er lachte trocken.

Dann richtete er meinen Zauberstab auf meine Brust.

Seine Worte aber waren für Sirius gedacht, obwohl sein Blick jede meiner Bewegungen verfolgte.

„Soll ich es tun oder willst du? Du musst dich damit nicht belasten, Sirius. Ich kann das erledigen.“

Sirius spannte sich neben mir.

„Red keinen Unsinn, James. Er ist mein Bruder.“

Erleichterung durchströmte mich als ich diese Worte hörte.

Ich hatte an ihm gezweifelt.

Ich wollte so nicht sterben.

Nicht jetzt.

Ich war noch nicht fertig.

„Das ist keine Entschuldigung. Im Gegenteil. Das macht seinen Verrat nur schlimmer.“

Ich setzte mich unter seinem wachsamen Blick auf.

Sirius lachte trocken und stand auf.

Unauffällig schob er seinen Körper zwischen James und mich.

„Du vergisst, dass ich sie verraten habe. Ich bin derjenige, der die Seiten gewechselt hat.“

James war unerbittlich.

„Geh mir aus dem Weg, Sirius. Er hätte es auch tun können, oder nicht? Wenn er wirklich wüsste, was richtig ist, wäre er dir gefolgt, oder?“

Sirius schüttelte den Kopf.

„Er war erst 14. Und er hatte keine Freunde, abgesehen von ihnen.“

Ich verstand nicht, warum Sirius das tat.

Jahrelang hatten wir nur über die Spione erfahren, was der andere tat, hatten niemals auch nur einen Brief getauscht und jetzt trat er zwischen mich und seinen besten Freund.

Vielleicht hatten sie ja Recht und das Blut bedeutete wirklich mehr.

Aber anders als sie es uns glauben machen wollten.

„Versuch nicht, seine Taten zu entschuldigen. Es war dir immer klar, dass es eines Tages dazu kommen würde. Du wusstest, dass du ihn irgendwann im Kampf treffen würdest. Du kannst ihn nicht mehr beschützten, Sirius. Er ist einer von ihnen.“

Sirius straffte seine Schultern.

„Trotzdem werde ich nicht derjenige sein, der ihn tötet. Und du auch nicht.“

James trat drohend einen Schritt auf ihn zu.

„Das werden wir noch sehen. Er hat Mary getötet. Und die Kinder. Dein Bruder ist ein Mörder. Ich habe auch einen Sohn. Kannst du mir garantieren, dass er Harry nicht irgendwann töten wird?“

Ich versuchte aufzustehen, schwankte aber.

Sofort versuchte James, an Sirius vorbei freies Schussfeld auf mich zu bekommen.

„Sie sind nicht tot“, sagte ich leise, doch keiner von ihnen hörte mich.

„Er hat ihn gezwungen, James“, Sirius versuchte immer noch, mich zu verteidigen.

„Sie sind nicht tot“, wiederholte ich nun lauter.

Sirius fuhr zu mir herum.

„Was?“

Ich keuchte und die Welt drehte sich wieder.

Sirius packte meinen Arm und legte mich wieder auf den Boden.

Als er wieder neben mir hockte, versuchte er es noch mal.

„Was weißt du über Mary?“, fragte er leise und auch James trat näher, ließ den Zauberstab aber nicht sinken.

„Sie leben. Sie sind in Südafrika. Ich habe ihr Gedächtnis gelöscht und dafür gesorgt, dass sie verschwinden.“

Beide starrten mich wortlos an.

Schließlich räusperte sich James.

„Aber der Tagesprophet hat darüber geschrieben. Es hat Zeugen gegeben.“

Ich lachte spöttisch.

„Ich besuche Rita Kimmkorn regelmäßig.“

Meine Stimme war sehr schwach.

James spannte sich. Mit einem Mal wirkte er hoffnungsvoll, war aber bemüht das zu verbergen.

„Was ist mit Marlene. Marlene McKinnon? Und ihre Familie.“

Ich nickte müde.

„Sie sind in Frankreich.“

Sirius schloss die Augen und lächelte befreit.

James trat noch näher.

Doch Sirius fragte.

„Edgar Bones?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Das war Dolohovs Job. Tut mir leid, Sirius.“

Sirius nickte traurig.

„Wie hast du ihn davon überzeugen können?“, fragte James skeptisch.

Sirius sah zu ihm hoch.

Er hatte an meinen Worten nicht gezweifelt.

„Also wirklich, Sirius. Sollen wir einfach nur seinem Wort glauben?“

Sirius nickte und sah mich durchdringend an.

Also erklärte ich es ihnen.

Sirius erinnerte sich noch an mein Experiment mit der Ableitung und deswegen konnte ich ihn wohl überzeugen.

Dann tauschte er einen Blick mit James.

„Willst du ihn immer noch töten, oder darf ich ihn jetzt heilen?“

James nickte.

Sirius zückte seinen Zauberstab.

Doch ich wich vor ihm zurück.

„Nein. Nicht mit deinem. Nimm meinen.“

Sirius wirkte verwirrt.

„ER wird meinen Zauberstab prüfen.“

Sirius schüttelte den Kopf.

„Aber du gehst doch nicht zurück“, sprach er so überzeugt, als sei alles andere undenkbar. “Du hast doch unseren Leuten geholfen. Der Orden wird dich aufnehmen.“

Ich lachte bitter.

„Das glaubst du wirklich, oder? Frag mal deine Freunde, was sie davon halten. Frag mal Alastor Moody. Mir verdankt er sein Holzbein.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Euer Orden kann mich nicht aufnehmen. Ich habe zu Vielen geschadet.“

Ich richtete mich mühsam wieder auf.

„Außerdem reicht man bei IHM nicht einfach seinen Rücktritt ein.“

Als ich dann saß, blickte ich von Einem zum Anderen.

„Also. Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ihr tötet mich jetzt oder ihr lasst mich gehen. Dann kann vielleicht noch ein paar Leute aus der Schusslinie bringen.“

James verschränkte wieder die Arme vor der Brust.

„Warum sollten wir dich gehen lassen?“

„Weil es dann vielleicht einen in unseren Reihen gibt, der nicht will, dass so viel Zaubererblut vergossen wird.“

James´ Gesicht verzog sich vor Wut.

„Von Blut kannst du ja ein Lied singen. Ihr glaubt ja, dass Blut das einzig Wichtige ist.“

„Ich streite mich mit dir nicht über Ideologie, Potter!“, fauchte ich ihn an.

Sirius machte beruhigende Gesten sowohl in meine als auch in seine Richtung, sprach aber zu mir.

„Irgendwie hat er Recht, Regulus. Warum solltest du unseren Leuten helfen?“

„Ich war gegen diesen Krieg, Sirius“, fuhr ich auf. „Ich wollte, dass alle Zauberer eine Lösung finden, aber glaubst du wirklich, man kann IHN davon überzeugen? Und ich habe es versucht, weißt du? ER hat Kinder getötet. Glaubst du, dass ich einfach so daneben stehe und zusehe? Ich habe aber keine andere Wahl mehr. Wenn ich IHN verlasse, wird ER mich auch im letzten Winkel dieser Erde finden.“

Ich riss den rechten Ärmel meines Umhangs hoch und zeigte ihnen das dunkle Mal.

Die Schlange bewegte sich schon seit einiger Zeit und ihre Bewegungen brannten unter meiner Haut.

Als SEIN Schüler hatten wir eine stärkere Verbindung.

„ER ruft mich. Je stärker ER sich auf mich konzentriert, desto genauer wird ER meinen Standpunkt kennen. Die einzige Möglichkeit ist, eine Ortung unnötig zu machen, weil ER an meiner Loyalität nicht zweifeln muss. Was glaubst du, wird passieren, wenn ich eurem tollen Orden beitrete?“

Meine Stimme wurde mit jedem Wort lauter.

„Also entscheidet euch endlich. ER weiß, dass ich noch lebe. In spätestens 10 Minuten wird ER jemanden schicken, der mich holt.“

Sirius und James tauschten einen Blick.

Sirius streckte fordernd die Hand in seine Richtung und James legte widerwillig meinen Zauberstab hinein.

Dann richtete er den Stab auf meinen Kopf.

„Ich werde deine Wunde heilen“, sagte er.

Ich schüttelte den Kopf und hielt fordernd die Hand auf.

„Nicht nötig. Lass ruhig. Seht lieber zu, dass ihr hier verschwindet.“

Sirius zögerte einen Augenblick, dann legte er den Zauberstab in meine Hand und wollte aufstehen.

„Eins noch.“ Ich hielt ihn am Ärmel zurück.

„Kannst du mich mit dem Imperius belegen?“

Sirius wirkte schockiert.

Auf seinen fragenden Blick hin, fuhr ich fort. „Dann wird er nicht fragen, warum kein einziger meiner Todesflüche getroffen hat.“

Sirius nickte.

Er hob seinen Zauberstab und richtete ihn auf mein Gesicht.

„Pass auf dich auf, Bruder.“

Ich nickte ihm zu.

„Du auch.“

Dann traf mich der Strahl seines Zaubers und die Welt um mich herum veränderte sich.

Ich bekam nicht mehr mit, wie die Phönix-Leute disapparierten und auch nicht, wie der junge Goyle mich nach Hause brachte.

Als sich die Welt wieder klärte, blickte ich direkt in SEINE rot schimmernden Augen.

Schnell wollte ich den Ableitungszauber aktivieren, doch mein Zauberstab war fort.

ER musterte mich mit diesem undurchdringlichen Blick, der alles bedeuten konnte. Langsam glitten SEINE Augen über mein Gesicht, musterten meine aufgerissenen Augen, verfolgten die blutigen Schlieren auf meiner Stirn und meinen Wangen, registrierten mein Schwanken auf den immer noch instabilen Beinen und kehrten wieder zu meinen Augen zurück.

SEIN Blick fraß sich in mein Innerstes.

SEINE Lippen bewegten sich kaum.

„Crucio.“

Die heißen Wellen des Schmerzes löschten jeglichen Gedanken aus. Jede Faser meines Körpers schrie nach Erlösung, meine Kontrolle war mit einem Lidschlag ausgelöscht.

Ich mußte den Halt verloren und auf dem Boden aufgeschlagen sein, denn als ER den Zauber von mir nahm, fand ich mich auf dem Boden liegend wieder. Ein pochender Kopfschmerz war geblieben, meine Gliedmaßen verkrampft und ich spürte einen kalten Schweißfilm auf dem ganzen Körper.

Keuchend schnappte ich nach Luft.

Es war nicht das erste Mal, dass ich diesen Fluch gespürt hatte und ich wusste, dass es nicht das letzte Mal sein würde.

SEINE Füße traten in mein Blickfeld.

Schlugen einen kleinen Bogen um meinen Körper herum und kehrten wieder an ihren Ausgangspunkt zurück.

„Warum sehe ich deinen Bruder in deinen Gedanken?“

SEINE leise Stimme jagte eine zweite Welle von Angstschweiß über meinen Körper.

Ich keuchte immer noch, doch es gab nur eine Strategie, die ich verfolgen konnte.

Mein erster Versuch zu sprechen misslang und ich räusperte mich, um meine Stimme wieder zu erlangen.

Ich ahnte nicht, wie lange der Zauber angedauert hatte, doch die Zeit hatte gereicht, um mich heiser zu Schreien.

„Das kann ich euch nicht sagen, Mylord“, begann ich noch immer keuchend. „Meine letzte Erinnerung ist der Befehl zum Angriff.“

Mit Mühe hielt ich mich davon ab, meine Unschuld zu beteuern. Dies würde IHN nur noch misstrauischer machen. Ich konnte nur hoffen, dass ich mich unter dem Zauber auch gegen Goyle gewehrt hatte, denn dies hätte meine Position untermauert und ein Imperius-Fluch, den ER selbst hatte lösen müssen, war Erklärung genug für mein Verhalten und auch für meine Gedanken.

Wie viel hatte ER von unserem Gespräch gesehen?

Hatte ER nur ein flüchtiges Bild oder auch Inhalte unserer Unterhaltung wahrgenommen?

ER wandte sich von mir ab.

SEINE Hand senkte sich dabei in mein Blickfeld und ich sah meinen Zauberstab in SEINER Hand.

ER hatte mich mit meinem eigenen Zauberstab gefoltert.

Binnen kürzester Zeit sah ich mich zum zweiten Mal einem Gegner ausgesetzt, der meinen Zauberstab an sich gebracht hatte.

Ich erhob mich nicht, weil ich nicht sicher war, ob mich meine Beine schon wieder tragen würden, doch ich richtete mich auf meine Knie auf und erwartete meinen Urteilsspruch schweigend.

Immer darauf bedacht wie SEIN treuer Schüler zu wirken.

Noch immer wandte ER mir SEINEN Rücken zu.

Das gab mir Zeit, meine Umwelt wahrzunehmen.

Wir befanden uns in SEINEM bevorzugten Salon im Herzen einer alten Villa, die er sich von den Muggelbesitzern angeeignet hatte. Im Kamin brannte ein flackerndes Feuer, welches unsere Schatten an den Wänden zucken ließ. Wir waren allein.

Auf dem Weg zum Kamin trat ER an mir vorbei und reichte mir meinen Zauberstab, den ich ehrerbietig entgegennahm, doch ich blieb weiterhin auf den Knien. Meine Hände legte ich tatenlos in den Schoß und wagte es meinen Blick zu IHM zu erheben. Doch ER beachtete mich schon nicht mehr.

ER hatte den gemütlichen Sessel vor dem Kamin erreicht und ihn mit einem kurzen Schlenker SEINES Stabes zu mir herumgedreht.

Gelassen ließ ER sich in die dichten Polster des Sessels sinken und schlug entspannt SEINE Beine übereinander.

SEIN abwartender Blick richtete sich wieder auf mich.

„Erhebe dich, mein Schüler.“

Vorsichtig kam ich auf die Beine.

Ich war mir bewusst, dass meine Prüfung noch nicht abgeschlossen war.

ER legte die Handflächen vor SEINEM Gesicht zusammen und musterte mich über SEINE langen Finger hinweg.

Hatte SEIN Blick zuerst eine fast heitere, entspannte Musterung meiner Gestalt vollzogen, wurde SEIN Gesicht mit einem Mal hart.

„Beweise mir deine Treue!“, forderte ER.

ER wurde nicht laut, es war fast ein Flüstern.

Nun wieder im Besitz meines Zauberstabs, fühlte ich mich etwas sicherer.

Ich zeigte IHM mein Bedauern angesichts SEINES Zweifels, suchte und präsentierte ihm die Begeisterung, die ich gefühlt hatte, als ich mich IHM anschließen durfte.

„Wie Ihr wünscht, Mylord.“

Es gab nur diese eine Möglichkeit, niemand sonst würde das wagen. Nur das würde IHN überzeugen.

Ich erwiderte traurig SEINEN unerbittlich harten Blick und richtete meinen Zauberstab auf meine Brust.

„Crucio.“

Meine Erinnerung verschwimmt an dieser Stelle.

Es hat schon Zauberer gegeben, die an den Folgen des Cruciatus-Fluches gestorben waren, deren Herzen die permanente Stresssituation dieser gewaltigen Schmerzen nicht verkraftet hatten und mit dieser Geste hatte ich mich vollständig SEINER Gewalt unterworfen. Ich musste ein Opfer bringen, eines, das IHN von meiner Treue überzeugen würde. Etwas, dass nur jemand tun würde, der SEIN Wohl über das eigene stellen würde. Also warf ich mein Leben in die Wagschale. Es oblag nun IHM, ob ich durch den eigenhändig ausgeführten Fluch starb oder nicht.
 

Ich weiß bis heute nicht, wie lange ER mir zusah bis ER endlich den Fluch beendete, den ich nicht mehr stoppen konnte.

Tatsache ist, dass ich, als ich endlich wieder zu mir kam, die Kontrolle über Blase und Darm verloren hatte und nicht mehr imstande war, selbstständig den Salon zu verlassen.

Doch ER ließ mir mein Leben.

Und ER nahm mir auch nicht meine Position.

Ich übte Vergeltung an meinen Untergebenen für die erlittene Schmach, wie jeder SEINER überzeugten Anhänger es getan hätte und kämpfte unerbittlich mit den Todessern um den Platz in SEINEM Schatten, der mir gebührte und den mir niemand streitig machen durfte. Insgeheim immer darauf hoffend, dass IHN meine Maskerade überzeugen würde.

Doch unser Verhältnis veränderte sich ab diesem Tag.

Häufiger als ich es gewöhnt war, spürte ich seinen vorsichtig tastenden Geist in meinen Gedanken, besonders, wenn ich mich weit fort befand und seine Aufträge erfüllen sollte. Sein Vertrauen in mich war wohl stärker erschüttert als ich befürchtet hatte und so durfte ich nicht zögern und musste ihm immer wieder aufs Neue meine Treue zu beweisen.

Also zögerte ich auch nicht als er vor drei Wochen die Dienste eines Hauselfen forderte.

Ich instruierte Kreacher genau und er schwor mir, alle SEINE Wünsche treu zu erfüllen und dann zurück zu kehren.

Meine Mutter war für mehrere Tage fort, um Araminta zu besuchen, deswegen konnte ich den Auftrag vor ihr geheim halten und ihm befehlen, ihr gegenüber zu schweigen. Als er fort war, wurde ich unruhig. Ich wartete lange auf ihn. Ich wusste nicht, was ER von einem Hauselfen fordern konnte, was nicht auch ein Magier leisten konnte. Deshalb wartete ich. Unruhig.

Den ganzen Tag tigerte ich unablässig durch das leere Haus meiner Mutter und sah mich außerstande, etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anzufangen.

Er apparierte spätnachts in meinem Zimmer und riss mich aus dem Schlaf, in den ich letztendlich doch gefallen war.

Stockend vor Angst und sich vor Entsetzen immer wieder unterbrechend schilderte Kreacher, was ihm in SEINER Gegenwart widerfahren war und ich bereute, ihn so unbedacht angeboten zu haben.

Er berichtete mir von einer Höhle, die mit Blutmagie geschützt wurde, von einem unterirdischen See mit einer kleinen Insel. Von einem morschen Boot im Wasser und der Fahrt darin. Von einer Schale, gefüllt mit Zaubertrank. Von den Schmerzen und dem entsetzlichen Durst. Von einem Medaillon. Davon, dass ER ihn zurückließ. Wie er schließlich dem Durst nachgab und von dem Seewasser trank. Von dem Grauen, das sich aus den Fluten erhob und von seiner Flucht.

Mit leisen Worten sprach ich lange auf ihn ein, beruhigte ihn und lobte ihn für seine treue Arbeit. Das freute ihn sichtlich und schien ihm einen großen Teil seiner Angst zu nehmen.

Als er dann, hinreichend getröstet, mein Zimmer wieder verließ, trat ich auf mein Bett zu, wollte die Decke zurückschlagen und mich wieder hinlegen. Doch die Erkenntnis durchzuckte mich wie ein Blitz.

Der Stoff glitt aus meinen schlaff gewordenen Fingern.

Konnte es wirklich sein, dass ER es getan hatte?

Wir hatten bisher nur in der Theorie darüber gesprochen.

Doch ich hatte SEINE wohl verborgene Euphorie gespürt, wenn ER über die Erschaffung von Horkruxen sprach.

Hatte ER deswegen darauf bestanden, Dorcas Meadows eigenhändig zu töten?

Das mußte es gewesen sein.

ER hatte einen Horkrux erschaffen.

Nichts anderes verdiente einen derartigen Schutz wie den, von dem Kreacher mir berichtet hatte.

Langsam ließ ich mich auf mein Bett sinken.

Kurioserweise galt mein erster Gedanke nach dieser Erkenntnis meinem Bruder.

Sirius konnte jahrelang gegen IHN kämpfen und IHN immer wieder töten, solange der Horkrux unangetastet blieb, war und blieb sein Kampf sinnlos.

Ich ließ mich in die Kissen sinken und irgendwann unterbrach der Schlaf gnädig meine um sich selbst drehenden Gedanken.
 

Ein Brennen an meinem Unterarm weckte mich.

Die schwarze Schlange unter meiner Haut zuckte unruhig, ein erneutes Brennen folgte.

Es war also eilig.

Der Morgen war noch nicht heran gebrochen.

Ich hatte gehofft, dass mir ein paar Tage Zeit bleiben würden, um mir klar zu werden, wie ich mit dieser Information umgehen sollte, doch nun hatte ich keine Zeit mehr.

Ich sperrte meine Erkenntnis in den hintersten Winkel meiner Gedanken und disapparierte.

An diesem Abend erfuhr ich von der Prophezeiung.

Unser Spion in Hogwarts hatte Rapport erstattet.

Das schloss ich bereits aus dem ängstlichen Geflüster von Goyle, der mir das Eingangsportal öffnete.

„Schlechte Nachrichten, glaub ich“, ließ er mich wissen. „ER soll sehr wütend sein.“

Ich lachte trocken.

Ich wusste dies schon, seit ich hier erschienen war.

Die übrigen Todesser sahen seinen Zorn, doch ich konnte ihn spüren. Wir waren verbunden, seitdem meine Eltern mich IHM übergeben hatten und wir Eide getauscht hatten.

Schnellen Schrittes eilte ich die Gänge entlang. Dass diese nur spartanisch mit Fackeln erleuchtet waren, störte mich nicht. Ich kannte dieses Haus wie mein eigenes. Außerdem würde ich IHN in SEINER derzeitigen Verfassung auch blind finden, so sehr schoss SEIN Zorn durch meine Venen.

Auf dem Weg zu IHM kamen mir einige Todesser auf der Flucht vor SEINER Wut entgegen, traten mir aber unaufgefordert aus dem Weg.

Was war geschehen?

Woher kam dieser Zorn?

Ich erreichte die Treppe und nahm zwei Stufen auf einmal.

Vor der Tür zum Salon öffnete ich meinen Geist, doch meine Ankündigung wäre nicht nötig gewesen.

„Komm rein.“

SEINE Worte brannten in meinem Geist.

Ich öffnete die schwere Tür und trat in den Salon.

Die einzige Lichtquelle war wie üblich das Feuer im Kamin.

Die Fenster waren weit geöffnet, die Vorhänge zurückgezogen und gaben den Blick auf den funkelnden Sternenhimmel frei und dennoch hingen die Reste des Trankes in der Luft, die ER vor Zorn von SEINEM Tisch gefegt hatte und der darunter eine große Lache gebildet hatte. Severus Snape stand regungslos vor dem ersten Fenster, die Hand noch an dem altmodisch verschnörkelten Riegel als spiele er tatsächlich mit dem Gedanken, beim nächsten Wutanfall aus dem Fenster zu springen und zu fliehen.

ER selbst schritt weit ausholend im Zimmer umher und ich spürte die Vibration, die von SEINEM Körper ausging.

Ich trat in den Raum und blieb in der Mitte, ein paar Schritte vor ihm stehen.

„Mylord.“

Ein wahrhaft mörderischer Blick traf Snape.

„Geh.“

Zügig verließ Snape das Zimmer, die schwere Tür schlug hinter ihm zu und wir waren allein.

Kurz und prägnant gab ER mir die Informationen, die ich brauchte.

ER legte SEINEN Zeigefinger an meine Stirn und die nötigen Informationen sickerten in mich.

ER berichtete von der Prophezeiung, die SEINEN künftigen Mörder ankündigte und erklärte mir die Merkmale, an welchen wir ihn erkennen konnten.

Als ER die Übertragung beendete keuchte ich.

Der Empfang solcher Informationen ist immer schmerzhaft, da das Gehirn diese Art der Verarbeitung nicht gewohnt ist, aber jetzt, da ER schon so erzürnt war, war es eine Tortur.

ER trat einen Schritt von mir zurück und ließ mir Zeit, wieder zu Atem zu kommen.

Dies gab mir auch die Gelegenheit, mein Entsetzen zu verbergen.

„Todesser im ganzen Land suchen bereits nach Kandidaten.“

Ich richtete mich wieder auf.

ER hatte sie tatsächlich „Kandidaten“ genannt.

Hier ging es um Kinder. Kein Jahr alt.

Doch ich sperrte mein Entsetzen ein.

„Wie viele können es sein?“, fragte ich möglichst ruhig.

ER hatte seinen unruhigen Lauf wieder aufgenommen und bemerkte mein Befremden nicht.

„Ich rechne mit weniger als 5.“
 

Tatsächlich waren es zwei.

ER hatte mich fortgeschickt, nachdem er mir mitgeteilt hatte, was er von mir erwartete und ich hatte versucht, in einem der Schlafräume noch ein wenig Schlaf zu bekommen, doch daran war nicht zu denken.

Ich sollte ein Kind töten.

Nachweislich.

Ich sollte IHM den toten Körper bringen.

Gegen Mittag kehrten die Todesser zurück und berichteten, was sie in Erfahrung gebracht hatten.

ER hörte sie einzeln an und allein.

ER ließ mich nicht an den Ergebnissen teilhaben.

Doch zufrieden war ER nicht.

Es gab wohl Probleme, an die Kinder heranzukommen. Sie waren wohl zu gut geschützt.

ER schickte seine Leute aus, forderte und drohte.

Und wartete.

Je mehr Zeit verging, desto unzufriedener war ER mit den Ergebnissen.

Ich blieb bei IHM.

Auch wenn alle Anderen versuchten, IHN möglichst zu meiden, blieb ich an seiner Seite.

Alles andere hätte IHN misstrauisch gestimmt und sein Misstrauen konnte ich mich nicht leisten.

Außerdem hoffte ich auf Informationen, die mir helfen könnten, die Kinder zu retten.

Einige Tage später war ich gerade auf Patrouille als mich SEINE Freude durchzuckte und ich wusste, dass es Erfolge gab. Obwohl es mich drängte, sofort zu IHM zu eilen, wartete ich ungeduldig auf SEINEN Ruf.

Als ich die Villa betrat, summte es vor Gerüchten wie in einem Bienenstock.

Heute weiß ich, dass Wurmschwanz an diesem Tag seinen Rapport ablieferte und IHM die Information brachte, die er so dringend brauchte.

Gut gelaunt, so hieß es, verteilte ER die Aufgaben.

Jeder Kämpfer wurde einzeln zu IHM gerufen.

Mich rief ER zuletzt zu sich und gab mir einen Namen.

ER gab mir einen Tag Zeit.

„Ich gebe dir die Chance, deinen Vater zu rächen.“

Fest blickte ich in die rötlichen Augen, entschlossen, nichts von meinen Zweifeln nach außen dringen zu lassen.

„Und ich gebe dir die Chance, mein Vertrauen erneut zu erringen.“

Ein feines Lächeln lag auf SEINEN schmalen Lippen.

Wenn ich versagte, würde eben jemand anderes meinen Platz einnehmen.

IHM war es gleich.

„Ihr werdet keinen Grund zur Klage haben, Mylord.“

Das Lächeln vertiefte sich. Es wirkte provokant.

Ich verbeugte mich leicht und auf seine Geste hin verließ ich ihn.
 

Es ist vorbei.

ER hat mir eine Aufgabe gestellt, die ich nicht erfüllen kann, mir einen Befehl erteilt, dem ich nicht folgen werde.

Ich sitze an dem Schreibtisch eines billigen Motels und starre aus dem Fenster.

Ich frage mich, wann es geschehen ist.

Wann ich aufgehört habe, SEIN Gefolgsmann zu sein.

Wann ich zu SEINEM Gegner wurde.

Und ich finde keine Antwort auf die Frage.

War es, als er mich das erste Mal zwang zu töten? Zu foltern? Oder war es als ich in die panischen Augen von MaryAnn Baddocks blickte und mich entschied, sie lieber verschwinden zu lassen als sie zu töten? Als Sirius zwischen mich und Potter trat? Als Potter mir vorwarf, für mich zähle nur das Blut? Oder war es doch erst als ER meine Linie überschritt und forderte, ich solle ein Kind töten, das noch nicht einmal sprechen konnte?

Seit wann verabscheute ich nicht mehr nur die Methoden, mit denen er sein Ziel erreichen wollte, sondern auch die Ziele selbst? Seit wann waren SEINE Ziele nicht mehr mit meinen vereinbar?

Ich wünschte, ich hätte noch einmal mit Sirius darüber sprechen können.

Gestern Abend habe ich meinen Patronus zu ihm geschickt, dem einzigen, an den ich mich noch wenden kann, doch er ist nicht zu dem Treffpunkt gekommen, den ich ihm genannt habe.

Ob er geglaubt hat, ich wolle ihm eine Falle stellen?

Aber vielleicht ist es ganz gut so, dass ich ihn nicht noch einmal gesehen habe. Vielleicht hätte er meine Entschlossenheit ins Wanken gebracht und das kann ich nicht zulassen. Doch es ist gut so, wie es ist.

Auch die Eulen, die ich zu Dumbledore, Lupin und Potter geschickt habe, sind nicht zurückgekehrt.

Daraus schließe ich, dass ich beobachtet werde und meine Tarnung letztendlich doch nicht so gut war wie ich hoffte. Doch meine Aufseher werden eindeutige Befehle haben.

Ich bin SEIN Schüler und ER wird mich selbst töten wollen. Das habe ich mir mit dem Platz an SEINER Seite auch verdient. Spätestens morgen früh weiß ER, dass ich SEINEN Auftrag nicht erfüllt und mich von IHM abgewendet habe. Deshalb kann ich nicht zurückkehren.

Deswegen bleibt mir nur noch eines zu tun.

Wird ER meinen Tod fühlen, so eng wie wir miteinander verbunden sind?

Wenn ich SEINEN Zorn und SEINE Freude spüren kann, wird ER spüren, wenn ich sterbe?

Ich wage nicht, die Longbottoms direkt zu kontaktieren.

Sie würden mir niemals glauben und ich würde ihren Aufenthaltsort verraten.

Ich habe versucht, ihre Spuren zu verwischen, so dass sie vielleicht eine Chance haben.

Frank Longbottom hat meinen Vater getötet.

Er und seine Frau Alice haben einen Sohn.

Neville.

Er ist fast ein Jahr alt.

Ihn soll ich heute Abend töten.

Einen genauen Zeitpunkt hat ER mir gegeben.

Die Kinder sollen zeitgleich sterben.

Den Namen des zweiten Kindes kenne ich nicht.

Ich kann es nicht retten.

Aber ich kann dafür sorgen, dass der Orden wenigstens Neville schützt und hoffen, dass er derjenige ist, von dem die Prophezeiung spricht.

ER wird das andere Kind persönlich töten. Mich schickt ER zu dem zweiten Kandidaten.

Den ich retten werde, falls ich kann.

Wenigstens kann ich feststellen, dass ER es nicht geschafft hat, aus mir ein Monster zu machen. ER hat sich sehr bemüht, doch das hat ER nicht geschafft. Irgendeine meiner Nachrichten wird hoffentlich an meinen Bewachern vorbeischlüpfen und den Orden darüber informieren, dass das Kind besonders geschützt werden muss.

Es hat mich einen Zauberstabschlenker gekostet, ein Medaillon zu erschaffen, wie es Kreacher mir beschrieben hat. Er wird mir noch sagen, ob es dem echten auch wirklich ähnelt. Ich ziehe ein Stück Pergament hervor und reiße eine kleine Ecke davon ab.

Dann zücke ich meine Feder.

„An den dunklen Lord

Ich weiß, ich werde tot sein, lange bevor du dies liest,

aber ich will, dass du weißt, dass ich es war,

der dein Geheimnis entdeckt hat.

Ich habe den echten Horkrux gestohlen und ich will

ihn zerstören, sobald ich kann.

Ich sehe dem Tod entgegen in der Hoffnung,

dass du, wenn du deinen Meister findest,

erneut sterblich sein wirst.

R. A. B.“
 


 

Als ich die Feder wieder sinken lasse, fühle ich mich gestärkt.

Ich habe die richtige Entscheidung getroffen und werde meine Aufgabe erfüllen.

Das Pergament falte ich klein und verberge es in dem Medaillon. Ganz behutsam schließe ich den goldenen Verschluss an der Seite. Ich bin mir bewusst, was ich tue.

Meine Aufzeichnungen führe ich trotzdem noch eine Weile weiter.

Ich beabsichtige, sie an einem Ort zu verstecken, den Sirius und ich als Kinder sehr geliebt haben und den nur ein Zauberer erreichen kann. Ich hoffe sehr, dass er oder ein anderer des Ordens diese Zeilen finden wird, um zu tun, was nötig ist, um IHN aufzuhalten.

Aber auch wenn diese Zeilen niemals gefunden werden, wird der Orden nur seine Arbeit fortführen müssen, um IHN irgendwann zu vernichten, denn ER wird nicht mehr den Schutz im Hintergrund haben, auf den ER so baut und ich habe es doch geschafft, letztendlich auf der richtigen Seite zu stehen.

Ich blicke wieder aus dem Fenster.

Die Sonne hat gerade den Hügel im Westen erreicht, hinter welchem sie versinken wird.

Es wird Zeit, nach Kreacher zu rufen.

Ganz gleich, wo er sich befindet, er wird mich hören.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen Dank für diesen Contest. Er hat meinen Kreativ-Knoten platzen lassen. Komplett anzeigen

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