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Fast Car

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Danke an meine liebe Betaleserin abgemeldet, die den One Shot noch in letzter Minute gegengelesen hat :* Komplett anzeigen

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„Ganz ehrlich? Ich halte das alles bald wirklich nicht mehr aus.“

Fluchend stolperte Emma durch die Werkstatt und ließ sich schließlich auf einer leeren Holzpalette nieder. Ihr Vater hatte es schon wieder geschafft sie in den Wahnsinn zu treiben. Das dritte Mal diese Woche. Und heute war Dienstag! Wäre er nicht ständig betrunken und aggressiv, dann wäre das Leben wirklich angenehmer.

„Und wegen diesem Idioten hab ich die Schule abgebrochen“, grummelte die Blonde genervt und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ihre Mutter hatte die Familie schon vor langer Zeit verlassen. Emma konnte sich nicht mal mehr an ihre Stimme erinnern. Sie war sich nicht sicher, ob ihre Mutter sie überhaupt je geliebt hatte. Wenn ja, dann hätte sie sie wohl mitgenommen, oder nicht? Stattdessen hatte sich Emma um ihren unfähigen Vater kümmern müssen. Bis sie dann mit 16 nicht mehr zur Schule gegangen war, weil er immer mehr Aufmerksamkeit gebraucht hatte. Aufmerksamkeit, die sie nie bekommen hatte.
 

See my old man's got a problem

He lives with the bottle that's the way it is

Says his body's too old for working

His body's too young to look like his

My mama went off and left him

She wanted more from life than he could give

I said somebody's got to take care of him

So I quit school, that's what I did
 

„Hörst du mir überhaupt zu?!“

Emma wandte den Kopf nach rechts und verdrehte die Augen. Vince lag immer noch unter dem Auto und zeigte keine Reaktion. Wäre er eingeschlafen, hätte es sie auch nicht gewundert. Sie holte aus und trat einmal kräftig gegen sein Bein.

Bumm.

Sie hörte ein lautes Fluchen und schon rollte Vince unter dem Auto hervor. Emma setzte ein unschuldiges Lächeln auf und klimperte brav mit den Wimpern.

„Baby, was soll das? Ich hab dir schon oft gesagt, dass du so was lassen sollst“, beschwerte Vince sich und rieb sich die schmerzende Stelle am Kopf. Schon öfter hatte er sich gefragt, was in dieses Mädchen gefahren war. Doch dann wurde er immer wieder daran erinnert, dass es darauf wohl keine Antwort gab.

„Du könntest mir auch einfach mal zuhören, dann würde so etwas nicht passieren“, gab Emma bissig zurück und funkelte den Älteren böse an.

Vince ließ ein tiefes Seufzen hören, griff nach einem ohnehin schon dreckigen Fetzen und wischte sich das Öl von den Fingern. Emma ließ ihn dabei nicht aus den Augen und wenn Blicke töten könnten, wäre Vince jetzt mehr als einmal leblos zu Boden gegangen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, in aller Seelenruhe seine Finger weiter vom Öl zu befreien. Die Blondine tippte inzwischen ungeduldig mit dem Finger auf ihrem Oberarm herum und verschränkte ihre Arme nur noch enger vor ihrer Brust.

Dann endlich ließ er das dreckige Stück Stoff fallen und war mit zwei großen Schritten neben Emma. Er sank vor ihr auf die Knie, murmelte ein „Tut mir leid“ und beugte sich vor um sie innig zu küssen. Emma schnaubte, verdrehte die Augen und zog Vince schließlich näher zu sich. Ihre Hand verkrallte sich am Kragen seines Shirts und sie zog ihn mit, als sie sich rücklings auf die Palette legte.

„Hey! Nehmt euch ein Zimmer, das ist eine Werkstatt kein Hotel“, dröhnte eine tiefe Stimme durch den Raum.

Emma schrak auf, doch Vince lachte nur.

„Ach Dominic, sei mal nicht so streng.“

Dom durchquerte die Werkstatt und blieb grinsend vor ihnen stehen. Vincent half Emma auf die Beine und sobald sie stand, warf sie sich Dom an den Hals.

„Schon lange nicht mehr gesehen, Dom!“

„Jaja, ist schon gut, nicht so stürmisch. Ihr beide kommt doch heute Abend, oder?“

Während er Emma wieder sanft von sich schob, warf er den beiden abwechselnd einen durchdringenden Blick zu. Er hatte sie schon eingerechnet, also konnten sie ohnehin nicht mehr absagen. Und eine Party feierte sich eben auch nicht von alleine.

„Ja, aber ich muss später noch ein paar Stunden arbeiten. Vertretung“, fügte Emma hinzu, als sie von den beiden Männern fragend gemustert wurde.

„Okay. Wir grillen vorher, ich sag Mia sie soll dir etwas aufheben. Und jetzt raus mit euch beiden – euer Geschlabber kann sich doch niemand ansehen.“

Dom lachte laut, als er Vince auf die Schulter klopfte und ihm und seiner Freundin einen Schubs in Richtung Ausgang gab.
 

„Du hast gar nicht erzählt, dass du heute noch mal in den Laden musst.“

Die beiden hatten sich auf einer Parkbank niedergelassen – Emma hatte sich quer darüber gelegt und ihren Kopf in Vinces Schoß gebettet.

„Monica ist krank geworden und der Chef hat mich gefragt ob ich nicht einspringen könnte. Ich hab ja gesagt, ich brauche das Geld ohnehin.“

Emma arbeitete eigentlich so gut wie jeden Tag in einem kleinen 24-Stunden-Laden. Sie hatte letzte Nacht die Schicht übernommen, da sie mit ihrem Vater am Vormittag eigentlich zum Arzt hätte fahren sollen. Aber anstatt mitzukommen, hatte er nur mit seiner leeren Bierflasche nach ihr geworfen.

Ein leises Seufzen entwich ihr. Eine sanfte Brise ließ die Blätter rascheln und Emma schloss für einen kurzen Moment die Augen. Wenn sie einfach abhauen könnte … das wäre definitiv eine Besserung. Sie öffnete die Augen wieder und blickte Vince an.

„Hm?“

„Nichts.“

Sie schenkte ihm ein Lächeln und richtete sich auf.

„Ich denke ich geh dann mal. Wir sehen uns dann bei Dom?“

Vince stand ebenso auf, nickte und küsste sie zum Abschied.
 

Es dauerte nicht lange, bis Emma wieder hinter der Kasse stand und darauf wartete, dass Kunden kamen. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um ihre wahnwitzige Idee, die immer mehr Gestalt annahm. So dämlich war es gar nicht, wie sie zuerst gedacht hatte. Vince hatte ein Auto, mit dem sie definitiv weiter als in die nächste Straße kommen würden. Sie hatte in den letzten Jahren Geld gespart. Sie arbeitete schon seit ihrem Schulabbruch in dem 24-Stunden-Laden – die Bezahlung war zwar nicht die beste, aber es reichte um über die Runden zu kommen. Und um ein bisschen was auf die Seite zu legen.

Emma band sich die blonden Haare zu einem hohen Pferdeschwanz und setzte ein freundliches Lächeln auf, als ein Kunde den Laden betrat. Ihre Handgriffe und die Worte waren schon so eingeübt, dass sie nicht einmal mehr nachdenken musste, was sie tat oder sagte. Ihre Gedanken schwirrten immer noch um ihren Fluchtplan. Vince würde bestimmt auch nichts dagegen haben. Er war im Moment ohnehin sehr genervt von diesem komischen Brian-Typen. Sie könnte aus dem Laden etwas Proviant mitnehmen. Bevor sie auf die Party ging, musste sie auch noch nach Hause, da könnte sie ihre wenigen Habseligkeiten gleich noch in ihre Reisetasche packen, das Geld aus dem doppelten Boden im Schrank holen und heute Nacht noch abhauen. Ihr Vater war vermutlich ohnehin schon im Delirium und würde gar nicht mehr mitbekommen, dass sie nach Hause kam und wieder ging.

Dieses Mal aber für immer.

Vince und sie könnten sich beide einen ordentlichen Job suchen und sich gemeinsam ein Leben aufbauen. Das war schon immer ihr größter Traum gewesen. Vielleicht würde er sich endlich erfüllen.
 

You've got a fast car

I've got a plan to get us out of here

I've been working at the convenience store

Managed to save just a little bit of money

Won't have to drive too far

Just across the border and into the city

You and I can both get jobs

Finally see what it means to be living
 

Keine drei Stunden später, stand Emma mit ihrer Reisetasche bewaffnet vor der geschlossenen Haustür.

1323.

Würde sie es vermissen?

Nein.

Sie wollte ihrem Leben hier endlich den Rücken kehren. Sie war zwar noch nicht lange volljährig, aber das war ihr egal – sie musste weg. Jetzt oder nie.
 

We gotta make a decision

Leave tonight or live and die this way
 

Ohne sich noch ein letztes Mal nach dem Haus umzusehen, ging sie quer über die Straße und stellte ihre Reisetasche in eien Ecke der offenen Garage von Vince. Ein Strahlen lag in ihrem Gesicht, als sie über die Straße zu den Torettos lief und ihrem zwei Jahre älteren Freund in die Arme fiel.

„Da bist du ja, Baby.“

„Wir müssen reden!“

Emmas Augen glänzten, sie war so voller Vorfreude, dass sie an gar nichts anderes mehr denken konnte. Sie wollte, dass es klappte. Sie wollte hier weg. Es gab nichts, das sie hier hielt. Er hatte das Auto und die ganze Situation hier nervte ihn ohnehin. Das sah sie ihm auch heute Abend wieder an – vermutlich war Brian hier.

In einem hektischen Flüsterton, erzählte sie Vince von ihrem Plan.

„Wir haben nichts zu verlieren. Wir können von vorne anfangen. Hast du dir das nicht auch immer gewünscht?“

Vince hatte bisher nichts gesagt und Emma war kurz davor in Tränen auszubrechen.
 

You've got a fast car

I want a ticket to anywhere

Maybe we can make a deal

Maybe together we can get somewhere

Any place is better

Starting from zero got nothing to lose

Maybe we'll make something

Me myself, I've got nothing to prove
 

Er schwieg immer noch. Als würde er überlegen. War das ein gutes Zeichen? Sie wusste es nicht.

Als er schließlich „Ja“ sagte, traute sie ihren Ohren nicht.

Ihr Mund klappte auf und er wieder holte noch einmal: „Ja, machen wir's!“

Ein Freudenschrei entwich ihr und sie fiel ihm stürmisch um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich.

„Gib mir eine Woche“, murmelte er in ihr Ohr und Emma nickte nur.

Eine Woche und sie würde frei sein. Das würde sie überleben.

Eine Woche.

Sie konnte es gar nicht fassen.
 

You've got a fast car

Is it fast enough so we can fly away?
 

🚗🚗🚗
 

In dieser einen Woche war so viel passiert, dass es Emma im Nachhinein immer noch wie Monate erschien.

Vieles hatte sich geändert.

Vince hatte zwar sein Wort gehalten – und nach Jesses Tod waren sie beide froh, frische Luft zu atmen – doch zwischen ihnen war es nicht mehr so, wie es einmal gewesen war.

Emma wusste nicht woran es lag. Vielleicht hatte Vince Jesses Tod nie so wirklich verkraften können. Vielleicht hatte er es auch nicht verkraftet, dass Dom ihm nicht vertraut hatte. Vince hatte von Anfang an gewusst, dass etwas nicht mit Brian stimmte und er hatte Recht behalten.

Aber jetzt war es zu spät.

Es war zu spät um überhaupt noch irgendetwas zu retten.
 

Emma war schwanger und Vince … nicht mehr da.

Zumindest nicht physisch.

Er verbrachte viel Zeit mit seinen sogenannten neuen Freunden und wenn er nach Hause kam, war er betrunken und ging ins Bett.

Emma erinnerte es stark an die Zeit in L.A. Dabei hatte sie hier in Rio versucht alles neu und besser zu machen. Sich ein neues Leben aufzubauen. Es war wie damals, nur dass Vince in betrunkenem Zustand nicht so aggressiv war wie ihr Vater.

Das einzig gute war, dass Emma einen besseren Job hatte. Sie konnte sich leichter über Wasser halten, als noch vor zwei Jahren. Wenigstens etwas, das ihr gelungen war.

Und das Kind?

Das Kind war schon jetzt ihr größter Stolz. Es würde nur mehr zwei Wochen dauern, bis sie es endlich im Arm halten konnte. Ihr Arbeitgeber hatte viel Verständnis für ihre Situation. Was Vince anging, dem war das Kind genauso egal, wie ein umgestürztes Rad in China.

Emma hatte ihm nach ewigem Hin und Her endlich ein Ultimatum gestellt – entweder er gab den Alkohol und seine unheimlichen Freunde auf, oder er ging.

Für immer.

Als Emma vom Einkaufen nach Hause kam, waren sowohl das Auto, als auch die restlichen Sachen von Vince weg.
 

You've got a fast car

I've got a job that pays all our bills

You stay out drinking late at the bar

See more of your friends than you do of your kids

I'd always hoped for better

Then maybe together you and me would find it

I've got no plans I ain't going nowhere

So take your fast car and keep on driving
 

Es war ungewohnt alleine in der Wohnung. Einerseits war sie erleichtert. Andererseits auch furchtbar traurig. Vince war die Liebe ihres Lebens gewesen. Sie kannte ihn von klein auf und seit sie 15 war, waren die beiden ein Paar gewesen.

Emma atmete ein paar Mal tief durch und stellte die Einkaufstüte in der Küche ab. Sie setzte sich auf einen Stuhl und sah sich um. Ein dicker Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet, den sie versuchte hinunterzuschlucken.

Ihre Stimme zitterte, als sie ihre Hände auf den Bauch legte und leise sagte: „Jetzt sind wir auf uns alleine gestellt, mein kleiner Engel.“
 

Jahre später wusste sie, dass ihr und ihrer kleinen Tochter Angel nichts Besseres hätte passieren können.



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