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Requiem

— (this is not the end)
von

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Wunder um sechs Uhr morgens

Reim Lunettes hatte zwei Jahre seines Lebens im Haus der Herzogsfamilie Rainsworth verbracht. Damals hatte er sich nicht ausmalen können, dass Lady Cheryl eines Tages nicht mehr Herzogin sein würde, oder dass Xerxes Break zu einem seiner engsten Freunde werden würde.

Im Alter von sechsundzwanzig war Reim sich ziemlich sicher, das seine gesamte Welt über den Haufen geworfen und dann wieder zusammengesetzt worden war.

So sass heute ein grosser, schwarzer Hund zu seinen Füssen, während Lily Baskerville durch sein Büro tanzte und ihn davon abhielt, seiner Aufgabe als Rufus Barmas Sekretär nachzukommen. Sein ehemaliger Herr mochte kein Herzog mehr sein, doch er blieb einer der wichtigsten Männer im Land und nachdem seine Gesundheit ihn mit jedem Tag schneller dem Tod entgegenbrachte blieb es oft an ihm hängen, Korrespondenz mit dem Vaterland der Familie Barma zu führen.

Es fühlte sich surreal an. Pandora, die Organisation, der er sein gesamtes Leben verschrieben hatte, gab es nicht mehr. March Hare, sein Chain, sein Begleiter über mehrere Jahre hinweg war in seine Heimat zurückgekehrt.

Reim vermisste sein altes Leben zu seiner Überraschung nicht so schmerzlich, wie er anfänglich vermutet hätte. Der Alltagstrott der Bürokratie blieb und auch ohne die Suche nach Siegelsteinen oder Glen Baskervilles Seele blieb viel Arbeit, die es zu erledigen galt. Oftmals fiel ihm nur spät in der Nacht ein, wie leer sich sein Brustkorb anfühlte. Er vermisste Break, der früher zu den absurdesten Zeiten bei ihm im Büro aufgekreuzt und überall Bonbons zurückgelassen hatte. Die Gänge fühlte sich ohne Oz Vessalius und Alice seltsam leer an und auch Gilbert Nightray war ein seltener Gast im Haus geworden. Der Preis für die Erhaltung dieser Welt war ein teurer gewesen und wenn er nur lange genug still stand, holte er auch Reim ein.

Vielleicht besuchte ihn Lily deshalb so oft. Er vermutete auch, dass sie sich ohne Fang, den sie oft einem Vater gleich beschrieb, einsam fühlen musste. Sie ass die übrigen Bonbons, die Reim von Break bekommen hatte, weil er sie nicht wegwerfen konnte, stahl seine Brille und zerknitterte seine Dokumente, doch sie tat alles mit einer kindlichen Liebenswürdigkeit, die es ihm beinahe verunmöglichte, allzu lange wütend auf sie zu sein.

„Du solltest manchmal schlafen“, riet sie vom Ohrensessel, auf dessen Armlehne sie geklettert war, und sah ihn vorwurfsvoll an. „Ständig sagst du mir, ich soll nicht so lange aufbleiben, aber du selbst gehst auch erst mit dem Morgengrauen ins Bett!“

„Weil ich viel zu tun habe“, protestierte Reim, legte jedoch seine Füllfeder zur Seite. „Ich komme kaum mit der Arbeit hinterher und irgendwann muss sie wer machen.“

„Lottie sagt, irgendwann kriegst du ein Magengeschwür, weil du nicht locker sein kannst. Und dass dir wer den Stock aus dem Hintern ziehen muss.“

Reim fühlte, wie seine Wangen warm wurden. Das klang nach ihr, ja. „Miss Lottie sollte mehr auf ihre Wortwahl vor dir achten“, entgegnete er müde. Lily blies entrüstet ihre Backen auf. „Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln, Reim!“

Er verkniff sich eine Bemerkung darüber, dass sie eines war und schob den Papierkram von sich weg. Sein Kopf fühlte sich schwer an und er würde gerne ein Nickerchen halten, aber die Berichte über den Wiederaufbau von Sablier waren dringend und mussten fertig überprüft werden. Draussen graute der Morgen bereits und im Gang schlug eine Uhr sechs.

„Lily, ich–“

Was auch immer Reim hatte sagen wollen, er vergass es augenblicklich, als die Tür zu seinem Büro aufgerissen wurde. Bandersnatch, Lilys Höllenhund war sofort wieder auf seinen Beinen, die Zähne gefletscht und zum Angriff bereit, während seine Besitzerin von ihrem Sitzplatz gepurzelt war. Reim schlug das Herz bis zum Hals, doch seine Haltung lockerte sich, als er Sharon Rainsworth im Türrahmen erkannte. Das Anwesen ihrer Familie war mit der Belagerung der Baskervilles beschädigt worden und in einem Anfall Grosszügigkeit (den niemanden erstaunt hatte, Herzog Rufus' Liebe Sharons Grossmutter war berühmt-berüchtigt) war den Bewohnern der Ländereien angeboten worden, bis zum Ende der Reparaturen bei Rufus zu leben. Das Haus der Barma war gross und viele der Räume standen leer. Rufus war nie ein Freund grosser Besatzungen gewesen.

Allerdings hätte Reim trotzdem nicht damit gerechnet, Sharon im Nachthemd anzutreffen. Strikt gesehen gebührte der Anblick bloss Familie und ihrem zukünftigen Ehemann und das war genug, um Sorge in ihm zu wecken. Die Rainsworth-Frauen waren dafür bekannt, Etikette wie keiner sonst zu kennen. Dazu atmete Sharon schwer und ihre Wangen waren rosig. Die vergangenen Monate hatten auch ihr zugesetzt und sie wirkte, als wäre sie geal–

„Ich bin gealtert, Reim.“

Ihre Stimme war klar, Panik und eine unbändige Freude mischten sich in ihrem Tonfall. Er brauchte einen Moment, um die Aussage zu verarbeiten. Natürlich war ihm aufgefallen, dass Sharon älter wirkte, doch er hatte angenommen, dass der Stress der Hauptfaktor dafür gewesen war. Seitdem Sharon im Alter von dreizehn einen Vertrag mit Equus eingegangen war, hatte sich ihr Äusseres nicht mehr verändert. Es geschah mit allen, die einen Vertrag mit einem Chain eingingen, jeder, der willentlich für Pandora ein Bündnis einging, musste sich darauf einstellen.

Es machte keinen Sinn. Sharon verfügte nach wie vor über eine Verbindung mit Equus. Reim schwieg für einen Augenblick, bevor er sich aus seinem Stuhl erhob und in Rekordzeit den Raum durchquerte. Sharon schluchzte in seine Schulter, als er sie in den Arm nahm und grub ihre Finger in den Stoff seines Hemdes.

„Ein Wunder ist geschehen“, wisperte sie in einer tränenerstickten Stimme. „Ein Wunder ist gesehen und–“

Und er ist nicht hier, um es zu sehen.

Die Worte lagen schwer und unausgesprochen in der Luft. Xerxes war nicht hier, um mit anzusehen, wie das Mädchen, das er als seine Tochter gesehen hatte endlich, endlich zu einer Frau heranwuchs. Wie viel Zeit verging, in der Reim und Sharon zwischen Tür und Angel standen, wusste er nicht, doch es dauerte nicht lange, bis sich Lily zwischen die beiden zwängte und Sharon aufgeregt musterte. Hinter ihm wimmerte Bandersnatch, entrüstet darüber, dass er in der Umarmung keinen Platz mehr fand.

„Du hast mehr Brüste gekriegt!“ Krähte Lily viel zu laut. Reim zischte ein pikiertes 'Lily!' und nahm sich vor, demnächst ein Wort mit Miss Lottie zu wechseln. Sharon, hingegen, stand für einen Herzschlag mit offenem Mund und roten Wangen da, bevor sie lachte.

„Ja, das habe ich“, kicherte sie.

„Ich kriege Brüste. Ich werde erwachsen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Jeon_Jungkook
2016-06-28T21:07:39+00:00 28.06.2016 23:07
QWQ
Und dann lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage, heiraten und adoptieren Lily! <3


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