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Warum er?

von
Koautor:  Aphrodi

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One-Shot

Ein Onsen in der Nähe von Tokyo sollte für die kommende Nacht Tsurugis Bleibe sein. In dem schlichten, hellblauen Yukata kam er sich ein wenig seltsam vor, doch alle seine Teamkameraden trugen ihn schon und er würde mitziehen müssen. Um nicht ganz lächerlich auszusehen, warf er sich noch die zugehörige, nachtblaue Jacke über. Er wollte so viel Babyblau verdecken, wie er konnte. Seine Reisetasche lag lieblos in einer Ecke des traditionell japanisch eingerichteten Raumes, den er sich mit zwei weiteren jungen Männern teilte.

 

„Hey, Tsurugi-senpai! Bist du soweit? Ich hab gehört, hier gibt es eine Tischtennisplatte. Das wird dein Untergang!“, verkündete Yanagi lauthals und grinste mit Feuer in den Augen. Voller Elan hatte er schon die Fäuste geballt und hätte sicher nichts gegen ein spontanes Wettrennen bis zur Tischtennisplatte gehabt. Er war mit seinen 18 Jahren der Jüngste im Team und durchlebte gerade seine erste Profisaison in der J-League. Als Verteidiger hatte sich schon recht früh eine Art Kampf zwischen ihm und Tsurugi entwickelt, bei dem er bislang immer wieder den Kürzeren zog. An Elan fehlte es dem Jungen trotzdem nicht.

 

Amüsiert hoben sich Tsurugis Mundwinkel leicht an und er zuckte bereitwillig mit den Schultern. Vielleicht würde der Tag ja doch nicht so schlecht werden. Gegen sportliche Betätigung egal welcher Art hatte er jedenfalls nichts einzuwenden. Es tat sogar gut, mal eine andere Sportart auszuüben, wo er seine Leidenschaft jetzt zum Beruf gemacht hatte. Das tägliche Training verlangte ihm viel ab – auch seine Freizeit betreffend.

 

„Auf geht’s!“, forderte Yanagi und öffnete schwungvoll die von Papier überzogene Holzschiebetür. Dass die heile blieb, war wohl Hirayamas Stoßgebet zu verdanken.

 

„Yanagi! Heb dir deine Energie für den Tischtennisball auf. Wenn du nicht lernst, deinen Körper besser unter Kontrolle zu bringen, wirst du es niemals in die erste Elf schaffen.“

 

„Verzeihung, Hirayama-senpai!“

 

„Hahaha, Yanagi ist grobschlächtig wie immer“, merkte ihr Kapitän amüsiert an, der mit ein paar weiteren Spielern des FC Tokyo gerade auf der Veranda unterwegs zu einer der angepriesenen heißen Quellen war.

Wortlos schloss sich Tsurugi der Gruppe an und bemerkte erst jetzt, dass ein paar weitere Gäste sie schon tuschelnd anblickten. Sie waren eindeutig eine lebendige Truppe und störten eventuell die nach Ruhe und Entspannung suchenden anderen Gäste. Vermutlich schauten die Leute allerdings, weil man sie erkannte. Daran hatte sich Tsurugi immer noch nicht richtig gewöhnen können. Für ihn als Jungstar, der mittlerweile seine zweite Saison spielte, war das alles noch sehr neu. Er hatte sich dank seiner ausgefeilten Schusstechnik schneller einen Namen gemacht, als das für Neulinge sonst üblich war. Die Einsätze, die er bekam, nutzte er und erzielte in fast jedem dieser Spiele auch ein Tor.

 

„Was ist denn das für ein Lärm?“, hörte Tsurugi eine bekannte, angesäuerte Stimme fragen, als sich eine der Schiebetüren öffnete. Das ernste Gesicht des jungen Mannes wirkte schön und gefährlich zugleich. Tsurugi kannte es nur zu gut. Er hatte es mehrere Jahre immer wieder gesehen – teilweise hatte er es selbst heraufbeschworen.

 

„Shindou.“

 

Als der Angesprochene seinen Namen hörte, drehte er sein hübsches Köpfchen in Tsurugis Richtung und seine Augen weiteten sich abrupt. Offenbar hatte er genauso wenig damit gerechnet, den Stürmer hier zu sehen wie umgekehrt. Für einen Moment war der Zorn auf seinem Gesicht der Überraschung gewichen und keiner der beiden brachte noch ein Wort raus.

Es war Jahre her, dass sie sich zuletzt gesehen hatten und Tsurugi erinnerte sich nicht einmal mehr daran, Shindou zufällig in Inazuma Town über den Weg gelaufen zu sein. Seine letzte Erinnerung an ihn war das Spiel gegen seine High School, als Tsurugi selbst im ersten Jahr und der Andere im zweiten gewesen war. Sein Herz krampfte, als er daran zurückdachte.

 

„Ihr kennt euch?“, fragte schließlich Yanagi überflüssigerweise, denn dass Tsurugi den Namen des anderen kannte, war informativ genug, um diese Frage selbst zu beantworten. Trotzdem bestätigte es der Stürmer mit einem wortlosen Nicken.

 

„Es ist lange her“, merkte Shindou kurz in Richtung Tsurugi an, dann wendete er sich allerdings wieder dem Störenfried von Verteidiger zu und sein Blick verdunkelte sich erneut.

„Du bist nicht der einzige Gast hier. Benimm dich ein bisschen mehr wie ein Erwachsener und nicht wie ein Kindergartenkind.“

 

Wumms! Mit diesen Worten verschwand Shindou wieder in seinem Zimmer und schob die Tür hinter sich zu. Neben einem durcheinandergewürfelten Tsurugi ließ er auch einen vor Empörung schnaufenden Yanagi zurück. Der war allerdings auch derjenige, der die Stille als erster wieder durchbrach.

 

„Was war denn das für ein eingebildeter Kerl? Tsurugi-senpai! Hey! Tsurugi-senpai!“

 

„Er hat aber recht. Wir sollten uns ein bisschen anpassen. Das hier ist schließlich ein Erholungsort und wir sind nicht die einzigen Gäste.“

 

Die ruhigen Worte von Tsurugi schienen den Verteidiger wenigstens für den Moment in seinem Elan und seinem lauten Organ zu bremsen, so als würde er sich von ihm mehr sagen lassen als vom Rest der Welt. Und jetzt gab es sowieso etwas Schöneres – ein Tischtennismatch zu gewinnen.

 
 

***

 

Für niemanden war der Ausgang des Matches überraschend. Yanagi hatte verloren und Tsurugi triumphierte weiterhin über ihn. Auch wenn der Verteidiger diese Niederlage wegstecken musste, würde er an sich arbeiten. So lange, bis er seinen Senpai endlich geschlagen hätte. Ihm war inzwischen egal in welchem Wettstreit. Und sei es nur, wer länger die Luft unter Wasser anhalten könnte.

 

Während Tsurugi den Raum verließ, hörte er noch das laute Gelächter und die erheiterten Stimmen seiner Teamkameraden. Es war sicherlich lustig, den Jungen dafür zu ärgern, dass er wieder einmal verloren hatte – gerade, weil er durch seinen ungezähmten Eifer den Tischtennisball ziemlich oft viel zu hart erwischt hatte, sodass er in einem fast geraden Flug über das Netz und die Tischtennisplatte gefegt war. Jemanden zu necken war allerdings nicht Tsurugis Art und er hatte seinen Kopf schon längst wieder woanders. Oder eher immer noch.

 

Seit ihrer so überraschenden Begegnung ging ihm Shindou nicht mehr aus dem Kopf. Sein Innerstes war regelrecht aufgewühlt und er hatte die Befürchtung, es könnte etwas aus ihm herausbrechen, was er die letzten Jahre tief in sich versiegelt hatte. Es war besser so. Doch warum fühlte es sich dann so unangenehm an? Er hatte die Befürchtung, dass ihn an diesem Tag seine Vergangenheit – all die Jahre, die er in Reue gelebt hatte – einholen würde. Es machte ihn nervös.

Obwohl er es für clever hielt, ihm aus dem Weg zu gehen, so zog es Tsurugi doch an Shindous Zimmer vorbei. Einen Moment blieb er vor der Schiebetür stehen – ganz still – und konnte durch das dünne Papier hindurch klassische Musik spielen hören.

 

Seine Hand hob sich wie von alleine an – als würde sein schlechtes Gewissen die Oberhand übernehmen – und legte sich ohne Tsurugis Einwilligung an die Tür, doch bevor sie diese aufschieben konnte, bekam er die Kontrolle über seinen Körper zurück und machte abrupt einen Schritt zurück. Er war doch kein Stalker. Und trotzdem kam er sich langsam vor wie einer. Tsurugi seufzte bei dem Gedanken auf und konnte nur über sich selbst den Kopf schütteln, dann ging er weiter zu seinem eigenen Zimmer. Das Geräusch von schleifendem Holz ließ ihn in der Bewegung innehalten und sich noch einmal umdrehen. Und tatsächlich stand Shindou in der Tür und blickte ihn für einen Moment mit hochgezogener Augenbraue aus verwirrten, unruhigen Augen an.

 

„Du bist alleine?“

 

„Ja“, gab Tsurugi knapp zurück und sah an dem jungen Mann herunter – er hatte ein Handtuch dabei. Seine Augen fanden wieder Shindous Gesicht, doch lange konnte er ihn nicht ansehen. Er musste den Blick zur Seite abwenden. Einen Moment lang sah es so aus, als würden sie beide sich nun gegenseitig anschweigen. Für Tsurugi war es schwer überhaupt etwas zu sagen. Er wusste nicht viel von Smalltalk und war weder besonders gesprächig, noch besonders kontaktfreudig. Ihm fehlte es ziemlich an Übung und das rächte sich jetzt. Was sollte er denn sagen?

 

Wie geht’s dir so, obwohl du deinen Traum vom Profifußball aufgeben musstest? Ich bin jetzt übrigens Spieler beim FC Tokyo, aber das weißt du ja sicher schon.

 

Ganz sicher würde er kein Wort darüber verlieren. Im Zweifelsfall bedeutete das allerdings zu schweigen.

 

„Ich wollte gerade in einer der heißen Quellen baden. Möchtest du nicht mitkommen?“, fragte Shindou schließlich mit deutlich sanfterer Stimme als vorhin. Allgemein wirkte er sehr viel ruhiger und entspannter.

 

Tsurugi wusste nicht so genau, ob er nicht einfach gehen sollte. Shindou bei sich zu haben zeigte ihm nur auf, was für einen großen Fehler er gemacht hatte. Er war davon gelaufen wie ein Feigling und bereute es längst. Und trotzdem wollte Shindou seine Nähe.

 

„Okay... Warte, ich hol nur eben mein Handtuch.“

 

Mit diesen Worten machte er die letzten Schritte zu seinem Zimmer und Shindou folgte ihm bis zur Tür, wo er dann draußen wartete. Es dauerte nicht lange, bis Tsurugi mit dem gefundenen Handtuch wieder neben ihm stand und sie gemeinsam zum Badebereich gingen. Ohne wirklich auf den anderen oder weitere Gäste zu achten, wuschen sie ihre Körper gründlich und fanden sich schließlich gemeinsam im heißen Wasser der Quelle wieder, wo sie einen langen Augenblick schweigsam nebeneinander gegen die Steinmauer gelehnt waren und einfach genossen – das Wasser, die idyllische Landschaft, das angenehme Gefühl der leichten Brise in den Haaren und den Anblick der letzten tapferen Sonnenstrahlen.

 

„Und das hier ist so etwas wie ein Regenerationstrip für euch?“, fragte Shindou schließlich und schloss entspannt die Augen. Dadurch blieb Tsurugis Blick länger an dem schönen Gesicht hängen, als es sonst der Fall gewesen wäre.

 

„Nicht ganz. Es ist ein privater Trip, den ein Mitspieler von mir organisiert hat.“

 

„Gruppenzwang also.“

 

„So kann man das sagen“, entgegnete Tsurugi auf den kecken Einwurf von Shindou und schmunzelte. Er war wirklich nicht freiwillig mitgekommen und hatte es nur für die Teamdynamik getan. Doch jetzt bereute er es nicht, dass er hier war und irgendwie fühlte es sich wie Schicksal an. Es hätte früher passieren müssen.

 

„Was für ein Zufall, dass du zur selben Zeit im selben Onsen bist.“

 

„Hmm... Zufall“, murmelte Shindou und spürte förmlich Tsurugis Blick auf sich. Er öffnete die Augen langsam und legte den Kopf ein Stückchen zur Seite, wodurch er direkt in das irritierte Gesicht seines Nebenmannes sah. Und er bemerkte die Augen, die sich plötzlich ein Stück weiteten.

 

„War es keiner?“, fragte Tsurugi deutlich überrascht und er ahnte schon, wie die Antwort darauf lauten würde. Shindous lächelte sanft und wendete den Blick von ihm ab, blickte stattdessen in die Ferne der von Wald überzogenen Berglandschaft. Das tiefe Orange tauchte alles um sie herum in eine wohlige Wärme.

 

„Es wäre schön, wenn ich es Schicksal nennen könnte, aber so ist es nicht. Ich weiß selbst nicht, was ich hier tue. Weißt du, meinem Vater gehört dieser Onsen“, begann Shindou sich zu erklären, ohne ihn anzusehen und Tsurugi musste müde lächeln. Er wusste nicht, dass die Shindous einen Onsen besaßen, aber verwundert war er im Nachhinein nicht. Reiche Leute hatten alles Mögliche an Immobilien und machten damit nur noch mehr Geld. Selbst seine Mitspieler besaßen verschiedene Häuser, die sie vermieteten oder gar Restaurants und Einkaufsläden. Es hatte sicher Vorteile, einen eigenen Onsen zu besitzen.

 

„Ihm ist der Name beim Überfliegen der Buchungen sofort ins Auge gestochen und schließlich hat er es mir erzählt. Also kam ich her. Ich sagte, ich wolle hier in Ruhe für meine anstehenden Klausuren lernen.“

 

„Und das war nur ein Vorwand dafür, den FC Tokyo persönlich zu treffen?“

 

„Nein. Ich habe wirklich gelernt, aber... Ich sagte schon, dass ich nicht weiß, was ich hier tue...“

 

Es wirkte so, als würde Shindou das wirklich ein wenig zu schaffen machen. Er drehte sich um, legte die Unterarme auf die Steinmauer und bettete seinen Kopf erschöpft auf ihnen. Tsurugi wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte und saß wie angewurzelt da. Wenn Shindou wusste, dass der FC Tokyo kommen würde, dann hätte er ja auch wissen müssen, dass er ebenfalls kam. Und trotzdem war er hier. Oder gerade deswegen? Der Gedanke daran ließ seinen Magen erneut krampfen. Dass er ihn trotz allem noch wiedersehen wollte – es war schwer zu glauben.

 

Tsurugi heftete erneut seinen Blick auf Shindou – erwartungsvoll, unruhig.

 

„Sicher, dass du es nicht weißt? Oder willst du nur nicht-“

 

„Tsurugi-senpai!“

 

Der plötzliche Ausruf seines Namens ließ nicht nur Tsurugi zusammenzucken, auch Shindou erschrak und vergrub anschließend sein Gesicht auf seinen Unterarmen. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er seinen Nebenmann an, seufzte dann aber, denn innerlich fühlte er sich genauso - er wollte am liebsten den Kopf irgendwo begraben.

 

„Tsurugi-senpai! Beeil dich, sonst verpasst du das Abendessen!“

 

„Ich komme“, gab der Angesprochene zurück und stand schließlich auf, sodass ihm das Wasser bis zur Hüfte reichte. Shindou rührte sich nicht und so wendete Tsurugi den Blick mit einem knappen „Also dann“ von ihm ab und verließ die heiße Quelle.

 
 

***

 

Tsurugi war frustriert. Nicht, weil das Essen schlecht war, denn das war fantastisch und sie hatten reichlich davon. Er hatte keine Antwort von Shindou bekommen – genauer gesagt hatte er nicht einmal seine Frage zu Ende stellen können. Dummerweise waren seine Teamkameraden bester Laune und machten aus dem Abendessen regelrecht eine Sause vom Feinsten. Sie lachten und hatten Spaß. Nur er passte nicht in das Bild und fühlte sich dementsprechend unwohl, nicht dazugehörig.

 

„Tsurugi-senpai, sag mal! Wer war dieser Kerl nun eigentlich?“, fragte Yanagi schließlich und schaute ihn bei dem Gedanken an Shindou ein wenig empört an. Er war definitiv eine nachtragende Person.

 

„Du meinst Shindou? Wir sind zusammen zur Junior High School gegangen und waren dort im Fußballclub. Unser Team hat damals die letzte Holy Road gewonnen, bevor Fifth Sector aufgelöst wurde. Er war ein großartiger Spieler, Kapitän und Mittelfelddirigent. Seine Gabe, ein Spiel zu lesen, war außergewöhnlich. Wenn man einen Spieler brillant nennen kann, dann ihn.“

 

„Wenn er wirklich so toll ist, warum hab ich dann nie etwas von ihm gehört?“, fragte Yanagi skeptisch und schien nicht so ganz einverstanden damit zu sein, dass Tsurugi ihn in höchsten Tönen lobte.

 

„Tja... ich habe es auch nur von anderen gehört, aber... Als er auf die High School ging, hat er sich in einem Spiel einen Kreuzbandriss zugezogen. Damit verpasste er die letzte Saison seiner High-School-Zeit, aber das war nicht das einzige Problem. Sein Knie ist nicht schlecht verheilt, allerdings ist mit dieser Vorbelastung die Chance gering, dass man ihn dennoch in eine Profimannschaft aufnimmt. Also hat er nach der High School ein Studium begonnen. Das ist alles, was ich weiß.“

 

Er hätte mehr wissen können, wenn er damals nicht davongerannt wäre.

 

Er hätte sich nicht jahrelang schlecht fühlen müssen.

 

Er hätte nicht bereuen müssen.

 

Ob es an Tsurugis dezent bedrücktem Blick oder an dem Schicksal eines Gleichgesinnten lag, wusste er selbst nicht genau, aber die betrübte Stimmung hatte mittlerweile auch Yanagi infiziert. Er war still geworden, ungewöhnlich still und blickte herunter auf den Tisch.

 

„Wir haben Glück gehabt, ne?“, fragte Yanagi murmelnd und dachte daran, was er wohl getan hätte, wenn sein Traum geplatzt wäre. Er hatte keinen Plan B gehabt.

 

„Ja...“

 

„Hey! Was soll all das Trübsalblasen?“, fragte Burns – der Amerikaner des Teams – empört und stellte beiden einen Sake hin. „Das zaubert euch ein Lächeln auf eure langen Gesichter.“

 

„Ey! Kein Alkohol für die Frischlinge!“

 

„Entschuldigt mich, ich gehe ein wenig frische Luft schnappen“, informierte Tsurugi seine Mitspieler und stand auf, ohne auf weitere Reaktionen zu warten. Er musste raus aus dem Trubel, musste zu ihm.

Tsurugi bereute es noch heute, dass er damals nicht bei Shindou war. Er hatte ihn nicht einmal im Krankenhaus besucht. Kein einziges Mal. Er hatte sich eingeredet, dass es nicht nötig war, schließlich waren doch genug andere Leute für ihn da. Im Nachhinein war er froh, dass er ihn nie wieder gesehen hatte, denn sein schlechtes Gewissen hatte sich mit der Zeit beruhigt und war erfolgreich verdrängt worden – bis heute.

 

Seine Beine hatten ihn bis zu Shindous Zimmer getragen. Durch die Tür konnte Tsurugi sehen, dass der Raum erhellt und er offensichtlich anwesend war. Doch trotz dem dringenden Bedürfnis, ihn zu sehen, vergaß er nicht seine gute Kinderstube und riss nicht einfach die Tür auf.

 

„Shindou.“

 

Einen Moment lang tat sich nichts und Tsurugi war geneigt die Tür doch selbst zu öffnen. Er hatte sich ja schließlich bemerkbar gemacht. Also zögerte er nicht mehr länger und schob die Tür auf, hinter der sich nur wenige Schritte weiter Shindou befand und ihn ertappt ansah. Seine geweiteten Augen waren gerötet und unter ihnen war im Licht noch ein leichtes Glitzern zu erkennen.

 

„Shindou, ich...“

 

„Versteh das nicht falsch“, wendete Shindou sofort ein und wischte sich noch einmal mit dem Ärmel über die Augen, während er sich von Tsurugi wegdrehte. Dabei war es längst zu spät, es zu verstecken. Er hatte es schon gesehen und auch, wo er nun mit dem Rücken zu ihm stand, erschien Shindous verweintes Gesicht noch vor seinem geistigen Auge. Diesen Anblick wollte er all die Jahre um jeden Preis verhindern.

Tsurugis Hand krallte sich in den leichten Baumwollstoff an seiner Brust. Aber das konnte den Schmerz nicht greifen, der sich auszubreiten begann.

 

Wortlos machte Tsurugi einen Schritt zurück und setzte sich auf die Veranda. Offensichtlich wollte Shindou nicht, dass er ihn ansah, also tat er es auch nicht weiter.

 

„Der Mond sieht viel schöner aus, wenn man ihn von hier betrachtet“, merkte Tsurugi beiläufig an und es schien zu wirken. Langsam trat Shindou zu ihm heraus und blickte ebenfalls hoch zum Mond am Firmament. Wie ein weit entfernter Vorhang aus Glühlampen leuchteten unzählige Sterne über ihnen. In der Stadt waren sie oft nicht einmal sichtbar.

 

„Es ist wunderschön.“

 

„Ja.“

 

Wie viel Zeit verging, in der sie wortlos die Schönheit der Nacht bewunderten, wusste Tsurugi nicht. Es interessierte ihn auch nicht, denn er wollte diesen Moment aufsaugen so lange er konnte. Weil er bei ihm war.

Es war schön. Aber es war auch unangenehm. Dem Blick, den Shindou ihm zuwarf, während seine Augen vom Mondlicht angestrahlt leuchteten, musste er ausweichen. Die Hand, die zufällig Shindous streifte, als er sich nach hinten lehnen wollte, wurde peinlich berührt weggezogen.

 

Es war schwer, den Mut zu finden, nicht ein zweites Mal der Feigling zu sein, der davon rennt. Sein rasendes Herz brachte ihn beinahe aus der Fassung.

 

„Du sagtest, es wäre kein Schicksal, dass du und ich hier sind. Ich glaube daran, dass es doch so ist.“

 

„Aber ich bin mit der Absicht hergekommen, dich-“, gestand Shindou – fast jedenfalls, aber er hatte längst zu viel gesagt, sodass man trotzdem wusste, was er dachte. Er presste die Lippen zusammen.

 

“...mich zu treffen.“

 

Shindou schwieg ertappt dazu. Es abzustreiten war sinnlos und er war auch bei Weitem kein Lügner. Bestätigen konnte er Tsurugis Worte trotzdem nicht.

 

„Du bist mit voller Absicht hergekommen, aber letztendlich war es nur das, was das Schicksal von dir erwartet hat. Denn dass Hirayama-senpai diesen Onsen bucht, der deiner Familie gehört, war schon Schicksal, meinst du nicht?“

 

„Doch, der Gedanke gefällt mir“, antwortete Shindou und lächelte zufrieden. Ihre Blicke trafen sich, trennten sich aber schnellstmöglich wieder und sie endeten in einer Stille, die sich dieses Mal gar nicht angenehm und beruhigend sondern eher peinlich anfühlte.

 

„Ich bin froh, dass ich hergekommen bin“, murmelte Shindou schließlich und rieb mit seinen Fingern nervös über die Holzkante der Veranda. Kurz presste er die Lippen zusammen. Er konnte Tsurugi nicht ansehen und hatte verlegen seinen Blick auf seine Füße gerichtet. Tsurugi ging es allerdings nicht anders – auch er hatte den Blick zur Seite abgewendet als würde er dort etwas äußerst Interessantes anvisieren.

 

„Damals bei Raimon hatte ich geglaubt, das alles würde niemals enden. Ich war mir sicher, dass wir ewig zusammenbleiben. Unser Team fühlte sich für mich wie etwas Besonderes an – wie eine zweite Familie. Als ich mich dann verletzt habe, wurde mir nicht nur der Fußball genommen. Ich habe auch meine Freunde verloren, wie ein schleichender, aber unaufhaltsamer Prozess. Am Ende gingen alle separate Wege. Selbst Kirino und Sangoku sind weit weg.“

 

Shindou schluckte einen dicken Kloß herunter und hatte Mühe, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Aber sein Herz schmerzte bei den Erinnerungen an die bittere Zeit, zu der er sich ziemlich alleingelassen gefühlt hat.

Das immer größer werdende Schuldgefühl ließ Tsurugis Brust krampfen, seine Fingernägel drücken sich schmerzvoll in seine Handflächen, als er die Hände zu Fäusten ballte. Er konnte kein Wort mehr ertragen, doch er empfand es als gerechte Strafe.

 

„Wenn du an meiner Seite warst, fühlte ich mich stärker als sonst. Bevor ich mich versah, war ich abhängig von dir. Ich dachte, es würde alles gut werden, weil du da bist. So war es gegen Fifth Sector, El Dorado, N-Gen und auch in der Grand Celesta Galaxy. Tsurugi wird ein Tor machen und den Tag retten, das ist, woran ich glaubte. Aber ohne den Fußball war ich nichts mehr wert für dich. Ich hab gemerkt, dass-“

 

„Verzeih mir...“, murmelte Tsurugi und zog Shindou in eine feste Umarmung. Und er wiederholte es wieder und wieder. Verzeih mir.

„Ich war feige. Ich konnte dir nicht unter die Augen treten mit dem Wissen, dass dein Traum zerplatzt ist, während meiner weiterlebt. Ich wollte nicht weiter bei dir sein, wenn du eines Tages sehen würdest, was ich erreiche – etwas, was du nicht könntest. Es fühlte sich furchtbar an und ich sah meinen Bruder vor mir. Ich hätte stärker sein müssen, aber ich habe es nicht ertragen...“

 

Die leisen, schmerzerfüllten Worte von Tsurugi wurden mit einem Schluchzen gegen seine Schulter quittiert. Finger krallten sich in seinen Yukata. Er strich Shindou durch die weichen Haare und ließ ihn den Kummer und den Schmerz herausweinen, der seine Seele belastet hatte. Und auch Tsurugi fühlte sich befreit von der Last, jahrelang unausgesprochene Entschuldigungen in sich zu tragen. Auch wenn dieser Moment nicht wieder gut machen konnte, was er getan hatte.

 

„Ich werde dich nie wieder alleine lassen.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Schangia
2016-04-15T19:56:28+00:00 15.04.2016 21:56
Zuerst einmal vielen lieben Dank, dass du den One Shot geschrieben hast, obwohl du die beiden eigentlich nicht shippst. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie hart es teilweise sein kann, Pairings zu schreiben, mit denen man nicht unbedingt was anfangen kann. Umso mehr freue ich mich, dass du jetzt ein wenig warm geworden bist mit ihnen. :)

Zu Anfang war ich ein wenig wegen der Charaktere verwirrt und musste erstmal kurz googeln, ob ich tatsächlich wen vergessen habe. xD Aber davon ab hab ich mich schnell eingefunden. Der Charme der Story liegt gerade zu Anfang auch darin, dass man nicht so richtig weiß, was eigentlich zwischen den beiden vorgefallen ist, und zumindest ich für meinen Teil hab während des Lesens wild spekuliert und mir schon alle möglichen Horrorszenarien ausgemalt. (Und recht behalten, aber dazu gleich noch ein paar Sätze. :'D) Ich bin froh, dass du die beiden älter gemacht hast. Prinzipiell komme ich mit beidem klar, aber Zeitsprünge bieten so viele Möglichkeiten für interessante Entwicklungen!

> Tsurugi war frustriert.
Ja glaub mal, ich hab auch aufgestöhnt. xD Aber er spricht alles über Shindou aus, was ich auch sagen wollen würde, also kann ich damit gerade so leben.

Außerdem - und das liegt zu 100% daran, dass mein Auslandssemester in Japan erst ein paar Monate her ist xD - finde ich es klasse, dass du die Sache mit dem Onsen, in welcher Reihenfolge was geschieht, wie man sich verhält etc. so originalgetreu beschrieben hast. Es kommt oftmals vor, dass Autoren nicht so wirklich wissen, was sie da tun, und dann kann es schnell unglaubwürdig wirken. War in diesem Fall aber zum Glück nicht so, und ich hab mich gleich zurückversetzt gefühlt~

Dafür möchte ich dich allerdings hauen, weil du die Verletzung bei Shindou miteingebracht hast. Ich hab's geahnt, befürchtet, verdammt, beim ersten kursiven Satz schon, aber es half ja alles nichts. Das ist so das Einzige, das ich bei Sportserien nicht verkrafte. orz (Was nicht heißt, dass ich mich explizit davon fernhalte, also nimm den Satz davor nicht ernst. xD) Das war dann auch der Moment, in dem ich Pippi inne Augen hatte, und das allein ist schon eines meiner Kriterien, ob mir eine Fanfic gefällt oder nicht. ///D

Also! Ich bin sehr zufrieden und glücklich mit dem One Shot und freu mich tierisch darüber! :3 (Wenn's nicht so wäre, würde ich es ganz offen sagen, keine Sorge. ;p) In diesem Sinne werde ich also mit wunderbaren Kyoutaku feels ins Wochenende starten, hehe~

Danke dir! ♥
Antwort von:  Aphrodi
17.04.2016 02:41
Oh, da bin ich aber schwer erleichtert, dass ich mich nicht für immer in eine Ecke zum Schämen setzen muss! Einmal tief durchatmen :D Ich bin froh, dass ich dich glücklich (und traurig) bekommen habe. Ich war allerdings auch furchtbar traurig und hab mich zum Ende hin gefragt, warum ich diese Zukunft für sie ausgewählt habe... denn die Charas waren spätestens im dritten Teil nicht mehr unter Kontrolle zu kriegen und mussten all ihr Leid rauslassen, obwohl ich eigentlich ein rosigeres Ende wollte. Und das nur, weil ich keine Zukunft wollte, in der sie beide Profis sind, weil mir das zu langweilig war (sicherlich, weil ich jahrelang Pairings mit zwei Profis unterstützt habe und es einfach normal wurde). Verzeih mir, dass du wegen meinem Egoismus leiden musstest :'D Es tat mir im Nachhinein auch super weh ;__; Dummerweise war es immer noch schön XD

Was mich ja aber noch interessiert, sind die Horrorszenarien, die du dir noch ausgemalt hast. Klingt, als war da ganz schön was los XD Oh, die Charaktere, die dich am Anfang so verwirrt haben, sind tatsächlich Spieler vom FC Tokyo. Ich musste mir ja ein paar Mitspieler borgen, damit es nicht so passiv wird. Da sie aber nicht die Show stehlen sollten (und glaub mir, Yanagi war kurz davor, ey. Ich war schon echt böse XD), habe ich sie einfach ohne allzu viele Erklärungen reingeworfen. Und ich habe stark darauf vertraut, dass du dich damit zurecht finden wirst :3

Froh bin ich auch, dass sich meine Onsen-Recherche scheinbar ausgezahlt hat und dass sie gründlich genug war. Ich wollte an dieser Stelle ungern versagen. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich ganz vergessen, dass du ja erst vor Kurzem in Japan warst. Hätte ich das noch im Hinterkopf gehabt, hätte ich wahrscheinlich noch mal gepanikt und Angst gehabt, es wäre irgendwo immer noch nicht richtig dargestellt. Wäre ja sonst wirklich nicht shcön gewesen XD

Hach ja, ich bin happy, ehrlich!
Und es hat mir ungemein Spaß gemacht, für dich zu schreiben! :3


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