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Kalte Hände, warmes Herz

von

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Noël war, wie der Name schon vermuten ließ, alles was man sich unter einer typischen Winterinsel vorstellte: ewiger Schnee, der alles bedeckte, was länger als einen Tag stillstand und wie Jozu beim Sonnenbaden glitzerte, Eiszapfen, die von den niedrigen Dächern der altmodischen Holzhäuser hingen und aus deren Schornsteinen wabernder Rauch quoll und sich mit dem morgendlichen Nebel vermischte. Schneemänner, von eifrigen Kindern in den Pausen zwischen Schneeballschlachten gebaut, rahmten die von Schlitten dominierten Straßen und riesige Tannenbäume verströmten einen herben Geruch, der mit dem der zahlreichen Backstuben konkurrierte. Irgendwo sang ein Chor Weihnachtslieder, Kinder lachten und Glocken bimmelten fröhlich an dem Zaumzeug der Schlittenhunde.

Ein wahrhaft idyllisches Winterwunderland.

Ach ja, und es war arschkalt.

Das war in zweierlei Hinsicht äußerst unvorteilhaft. Erstens wurde sich Thatch ganz schnell bewusst, dass ein Hemd, selbst wenn es lange Ärmel hatte, bei den Temperaturen nicht die beste Kleiderauswahl war, von seinen offenen Sandalen gar nicht erst zu reden. Sein modischer Schal rettete ihn dabei auch nicht mehr. Seine Füße fühlte er längst nicht mehr und nur sein eiserner Wille unterdrückte ein äußerst unsexy Zähneklappern, aber nicht ganz sein Dauerzittern.

Zweitens, und sehr viel wichtiger, waren die Frauen hier leider äußerst praktisch veranlagt und mit ihren dicken Mänteln, flauschigen Schalen, Mützen und Handschuhe ähnelten sie Marshmallows, die absolut keinen Einblick auf die darunterliegenden Kurven preisgaben. Es war schrecklich.

Aber er wäre nicht Thatch, wenn er nicht die perfekte Lösung hätte: eine Frau aus ihrem Mantel zu schälen würde dank seinem angeborenen Charme ein Klacks sein. Eine Win-Win Situation.

Er stolzierte so gut er es mit schlotternden Knien eben konnte auf seine auserkorene Braut zu, die gerade die Schneekugeln, Teddybären, Züge und anderes Spielzeug in jeglichen erdenklichen Formen in den Schaufenstern bewunderte. „Werte Dame, dein Anblick erwärmt mit das Herz. Würdest du mir heute Nacht die Ehre erweisen, auch den Rest zu erhitzen?“

Großzügig erwärmte sie ihm sogleich die Wange, mit einer saftigen Ohrfeige, und stolzierte davon.

Er blinzelte, überrascht über diesen Rückschlag. Sein Anmachspruch war für sein ohnehin hohes Niveau erste Klasse gewesen. Zum Glück war er nicht der einzige, der das so sah.

„Blutiger Frischling, sich so einen Fang durch die Lappen gehen zu lassen.“ Ein weiterer Marshmallow war soeben auf Thatchs Radar aufgetaucht und es war so ein heißes Gerät, dass er sich nicht wundern würde, wenn ihre Ummantelung einfach davon schmolz. So wie er, als sie ihm einen kecken Kuss auf seine malträtierte Wange drückte und die Schmerzen augenblicklich verpuffen ließ. „Auch in einer hässlichen Hecke ist manchmal ein schönes Nest. Magst du es dir ansehen?“

Thatchs Grinsen war so breit, dass er unmöglich noch Worte formen konnte. Zum Glück war das allerdings auch nicht nötig.
 

Sein Grinsen verrauchte, als sie die Wohnung betraten und auch diesmal fehlten Thatch die Worte, aber aus einem ganz anderen Grund. Er war ein Chaot der mit einem Haufen Brüder auf engstem Raum lebte und daher an vieles gewohnt.

Eine Blutlache im Eingang gehörte nicht dazu.

Bevor er aber über einen strategischen Rückzug nachdenken konnte, packte sie seinen Schal und zog ihn in einen feurigen Kuss, der seine Bedenken augenblicklich verdampfen ließ. Dermaßen abgelenkt ließ er sich wie ein Fisch am Haken weiter in die Wohnung ziehen und verlor neben seinem Schal auch ein paar Knöpfe, die nicht schnell genug nachgaben in ihrer Hast, ihn in seiner ganzen Glorie zu sehen.

Er ließ sich freudig gegen den Tisch drängen und ignorierte gekonnt den unangenehm metallischen Geruch als seine Eroberung sich aus ihrem Mantel schälte und Einblick auf seinen Gewinn gewährte – bis seine Hand in etwas matschigem landete.

Das Gehirn war aber auch schwer zu ignorieren. Der riesige Hirschkadaver in der Ecke noch mehr.

„Eeh...“ Es war ja klar. So heiß, wie die Braut war, konnte sie nur verrückt sein.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, meine letzte Beute wegzuräumen. Das Schlafzimmer ist aber sauber. Ausgestopfte Tiere stören dich doch sicher nicht, mein lieber Schürzenjäger?“

Die Zeit für seinen strategischen Rückzug war gekommen. Er setzte ein strahlendes, falsches Lächeln auf und schlich unauffällig zur Tür. „Mir fällt gerade ein, dass ich noch etwas unglaublich wichtiges zu tun habe!“ Er verlor eine Sandale, als er in der Blutlache ausrutschte, aber er befand den Verlust als durchaus verkraftbar.

Seine Jägerbraut seufzte. „Damit ist die Sache wohl abgeblasen.“
 

Als er sich relativ sicher war, dass er seine ehemalige Braut verloren hatte – und hoffte, dass diese seine Fährte nicht wieder aufnehmen würde – seufzte er erleichtert. Dann stellte er fest, dass es nach wie vor arschkalt war und seine verlorenen Kleidungsstücker einen doch größeren Verlust bedeuteten, als er ursprünglich kalkuliert hatte.

Jemand hakte sich von hinten bei ihm ein und Thatch wäre beinahe panisch davongesprintet, aber dann erkannte er das Lachen als das von Ace. Außerdem waren seine Füße festgefroren.

„Warum wendest du dich nicht an den heißesten Piraten der Insel, wenn dir kalt ist?“, fragte Ace und klimperte mit den Wimpern, was er wohl für verführerisch hielt, Thatch aber nur an den Vorfall mit dem Chili erinnerte, in dem Ace eingeschlafen war. Er hatte Liter an Tränen verloren.

Thatch rümpfte die Nase. „Dir fehlt es an gewissen Stellen.“ Trotzdem schmiegte er sich an seinen jüngsten Bruder, der trotz gleichfalls leichter Kleidung eine angenehme Wärme verströmte. Teufelsfrüchte. So was von gemogelt.

„Die brauche ich nicht, um dich zu entfachen.“ Angenehme Wärme schlug in sengende Hitze um, als Ace Feuer fing – genau wie Thatchs Ärmel. Kreischend löste er sich von dem Pyromanen und schlug hektisch auf den brennenden Stoff, um das Inferno zu löschen.

Marcos Schneeball war dabei weitaus effektiver.

Natürlich hatte es neben dem Löschen des Feuers auch die ungeplante Nebenwirkung, eine impromptu Schneeballschlacht auszulösen, als ein paar Kinder die Löschaktion mit einem Startsignal verwechselten. Bald war Thatch nicht nur halb nackt und durchgefroren, sondern auch noch pitschnass und nahm langsam aber sicher die Farbe von Marcos Phönixfeuer an.

Sein jüngster Bruder hingegen war sofort Feuer und Flamme, was die Schneeballschlacht anging. Und das wortwörtlich. Die Kinder waren weniger begeistert, als er in seinem Eifer sämtlichen Schnee (und Thatchs zweiten Ärmel) in einem Umkreis von zehn Meter wegschmolz.

„Upps“, lachte Ace, peinlich berührt als Marco ihm einen seiner berühmten, unbeeindruckten Blicke zuwarf, die er nach all den Jahren auf einem Schiff mit verrückten, verantwortungslosen Brüdern perfektioniert hatte. „Sorry, Thatch. Ich wollte dich eigentlich nur ein bisschen aufwärmen.“

Thatch winkte ab und besah sich den Schaden an seinem Outfit. Er fragte sich, ob er damit eher verwegen oder verwahrlost aussah. Er hoffte auf ersteres, das kam bei den Ladies besser an.

Marco seufzte und packte seine Brüder, einer ein Eiszapfen, der andere ein lodernde Flamme, mit seinen stets warmen, aber nicht heißen Händen. „Es gibt weitaus bessere Möglichkeiten, unseren menschlichen Schneemann aufzutauen.“ Und damit zog er sie in die nächstbeste Gaststätte, wie eine Mutterhenne, die er stets leugnete zu sein.
 

Ihnen schlug Wärme und der Geruch von Zimt und Glühwein entgegen, als sie über die Schwelle traten und Thatch seufzte selig, was nicht zu knapp an den Kellnerinnen lag, die in knappe grün-rote Kleidchen gekleidet waren und rote Weihnachtsmützen und niedliche Stoffgeweihe trugen. Balsam für Körper und Seele.

Abgesehen von den lebenden Kunstwerken, war der Raum mit weihnachtlichen Sternen in Gold, Silber und rot geschmückt, Tannenzweigen und, sehr viel wichtiger, Mistelzweigen.

Bevor er aber einen Plan aushecken konnte, sich diesen Umstand zum Vorteil zu machen, bugsierte Marco sie sogleich zu der Sitzecke, die am nächsten am Kamin war und Ace schürte das Feuer mit einem theatralischen Fingerschnippen, so dass es sogleich mit einem fröhlichen Knistern das Gefühl in Thatchs Zehen zurück zu locken versuchte.

Die Bedienung half auch und das nicht nur in dem sie Glühwein brachte. Sie hatte bezaubernde ...Augen und einen wohlgeformten ...Nacken. Das Lächeln war bezaubernd – und unergründlicherweise an Ace gerichtet.

Aber es war Weihnachten und Thatch gönnte seinem Bruder den kleinen Erfolg. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er jemals wieder diesen Sessel verlassen konnte, der ihn langsam aber sicher in seine weiche Polsterung zog.

„Besser?“ Marco musterte ihn und Thatch erkannte dank seiner jahrelangen Freundschaft die Besorgnis hinter den halb geschlossenen Lidern. Ace drückte Thatch das Lebkuchenherz in die Hand, welches die Kellnerin seinem kleinen Bruder nicht sehr heimlich und mit glühenden Wangen untergejubelt hatte, ein entschuldigendes Grinsen im sommersprossigen Gesicht und Thatch wurde warm ums Herz.

„Fast perfekt.“

Dann lehnte Thatch sich verschwörerisch nach vorne und ruinierte den magischen Moment. „Ich glaube, die Kellnerin steht auf mich.“

Marco rollte die Augen, aber die Besorgnis wurde von einem schmalen, besonnenen Lächeln ersetzt und Aces Lachen war heiter und frei von unnötiger Schuld. Zufrieden sank Thatch zurück in seine Polsterung und knabberte an seinem Lebkuchen, um sein Grinsen zu verbergen. Jetzt war es perfekt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Wunderbeerchen
2018-09-15T13:17:59+00:00 15.09.2018 15:17
Bin gerade über deine Story hier gestolpert und finde sie sehr unterhaltsam und gut geschrieben :) gleich ab damit auf meine Favoritenliste :D das Trio um Ace, Marco und Thatch finde ich einfach super :) ich liebe dies drei, vorallem Ace xD die Freund- bzw. Bruderschaft hast du wirklich sehr schön beschrieben und dass hat ein sehr großes Lob verdient :)
LG Wunderbeerchen
Von:  Wisteria
2018-02-17T18:19:22+00:00 17.02.2018 19:19
Super!
Schön geschrieben, es ist süß und zum lachen.
LG
Antwort von:  Peacer
17.02.2018 20:08
Vielen Dank: <3
Von:  Votani
2015-12-19T06:11:27+00:00 19.12.2015 07:11
Awwwwww! *-* Ich liebe Marco, Thatch und Ace aus deiner Feder. Die letzte Geschichte ist schon zu lange her, wurde mir beim Lesen bewusst. Obwohl es nur ein winziger OS war, hatte ich einen Haufen Feels. Ich liebe diese Freundschaft einfach und du hast sie mit wenig Worten mal wieder perfekt dargestellt. Ich weiß gar nicht, was mir am besten gefallen hat: die Beschreibungen + Thatchs Gedanken oder Ace und wie er Thatch einheizen durfte. :’D Omg, ich liebe Ace so. Und Marco und Thatch... und dich, weil du den Humor so wundervoll hinbekommst!
Die Frau, die Thatch angebaggert hat, war ja auch wieder mal zum Lachen. Er kriegt all diese durchgeknallten Damen ab, während die „Normalen“ nur an Marco oder in diesem Fall an Ace interessiert sind. Wir müssen iiiiirgendwann mal etwas schreiben, wo er tatsächlich jemand abbekommt. :’)
Hat mir gefallen und ich hätte nix dagegen, wenn du noch 1000x kleine OS zu Marco, Thatch und Ace schreibst, weißt du ja. <3
Antwort von:  Peacer
19.12.2015 14:15
Viel zu lange, ich habe das Trio auch vermisst. Warum meine Musen sie vermeiden ist mir absolut schleierhaft. Freut mich auf jeden Fall, dass ich meinen "Touch" trotzdem noch nicht ganz verloren habe, hihi. Und ich bin soooo froh, dass dir die Beschreibungen gefallen. Das ist noch immer einer meiner größen Schwachpunkte und ich tue mich echt schwer damit. :D
Dass Thatch dabei noch immer nicht seine Lektion gelern hat... Aber ja, ich bin absolut dafür. So gerne ich ihn auch quäle, er hat sich eindeutig eine verdient, hrhr. xD


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