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Mesmerize Me!

The Play of Snake and Lion
von

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Das Treffen der Bosse

„Rache übe ich nie aus; in Fällen, wo ich gegen andere Menschen handeln muss, tue ich nichts mehr gegen sie, als was die Notwendigkeit erfordert.“
 

Ludwig van Beethoven, deutscher Komponist
 

Das Licht im Raum war ein wenig gedämpft und obwohl die Atmosphäre auf einer unterschwelligen Ebene zum zerreißen gespannt war, büßte Sergej Camorra nicht eine Sekunde etwas von seinem charismatischen Lächeln ein, welches ihn oft wie ein durchtriebener Geschäftsmann erscheinen ließ. Er war ein wenig zu früh, aber er war es ohnehin gewohnt, lieber zu früh als zu spät zu kommen. Selbst als Oberhaupt einer Mafia-Familie, die hauptsächlich vom Menschen- und Organhandel lebte, legte er großen Wert auf Höflichkeit und die zeichnete ihn auch aus. Doch obwohl er wie immer fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit den Treffpunkt erreichte, wartete sein Gesprächpartner bereits auf ihn. Auf einem Sessel saß ein Mann, der einen Kimono mit goldenen Schmetterlingen trug. Trotz seines Alters von 42 Jahren wirkte er noch sehr jung und schön und seine fein geschnittenen Gesichtszüge und sein langes Haar verliehen ihm etwas sehr Erhabenes. Wie ein fernöstlicher Kaiser aus einer alten Zeit. Doch seine Augen verrieten seine wahre Natur. In ihnen befand sich kein Glanz, keine Wärme und kein Hoffnungsschimmer, nur Kälte und Tod. Augen, die keinem Menschen gehören konnten, da sie mehr den Augen eines Dämons glichen, den es nach nichts anderes mehr dürstete, als nach dem Blut seiner Feinde. Ein Grund dafür, wieso Shen auch als „Schlangendämon“ betitelt wurde.

Auch wenn es wie ein gewöhnliches Treffen zwischen zwei Geschäftspartnern aussah, so war es gleichzeitig ein Spiel mit dem Tod und das wussten beide Parteien. Shen erhob sich von seinem Sessel und kam zu ihm hin, um ihn zu begrüßen.

„Pünktlich wie immer, wie man es vom Bostoner Patriarchen erwartet, Mr. Camorra. Es ist mir jedes Mal eine Freude, Sie zu treffen. Allerdings wundert es mich, dass Mr. Mason nicht zugegen ist. Ich hoffe doch sehr, es ist ihm nichts zugestoßen.“

Shens Lächeln wirkte freundlich und vertraut, doch ein erfahrener Blick genügte um zu erkennen, dass es das falsche Lächeln eines Dämons war und bei Sergej Camorra verhielt es sich nicht anders. Doch das gehörte dazu. Freundlichkeit und vor allem Respekterweisung gegenüber dem Boss eines anderen Clans, mit dem man Geschäfte zu machen gedachte, musste man diese erweisen. Es gehörte zu den Gesetzen des Clans, die sogar Shen befolgte, da er seine geschäftlichen Beziehungen nicht gefährden wollte.

„Es ist ihm etwas dazwischengekommen und er lässt sich entschuldigen“, erklärte der Patriarch auf Russisch und als Shen ihm die Hand zum Gruß reichen wollte, zog Sergej seine Hand mit der Erklärung zurück „Ich hoffe, Sie sehen es mir nach, wenn ich aus Gründen des Selbstschutzes auf solche Förmlichkeiten verzichte. So wie ich höre, haben Sie immerhin den Polizeipräsidenten durch einen Giftring getötet, wie sie von Attentätern gerne verwendet werden.“

„Wie ich sehe, gehen Sie kein Risiko ein, wie es ebenfalls vom Patriarchen zu erwarten ist. Aber was ist der Grund, dass Sie mir nicht entgegenkommen wollen und wir uns auf amerikanischen Boden nicht in amerikanischer Sprache unterhalten?“

Sergej lächelte souverän und setzte sich Shen gegenüber und legte seinen Mantel ab. Aus seiner Tasche holte er ein kleines Metallkästchen, öffnete es und nahm eine Zigarre heraus.

„Ich bin ein Mann mit Prinzipien“, erklärte der 51-jährige und zündete sich die Zigarre an. „Verhandelst du mit einem Freund, sprich in seiner Heimatsprache. Verhandelst du mit einem Feind, sprich in deiner Heimatsprache. Beleidigst du jemanden, verwende eine Sprache, die er nicht versteht.“

„Sie betrachten mich also als Ihren Feind? Etwa, weil Araphel Ihr Schützling ist?“

Das war eine äußerst gefährliche Frage, mit der Shen ihm auf eine unterschwellige Weise das Messer an die Kehle setzte. Unbedachte Antworten hätten sofort den Anschein erweckt, dass Sergej aus privaten Gründen Partei für die Mason-Familie ergriff und da diese eine Fehde mit der Yanjingshe hatte, wäre das auch für die Camorra-Familie äußerst gefährlich. Außerdem könnte Sergejs jetzige Position darunter leiden. Doch der 51-jährige war viel zu gelassen und vor allem ausgekocht, um sich von so einer Frage in die Falle locken zu lassen. Vor Shen hatten schon genug andere Bosse versucht, ihn zu Fall zu bringen und waren kläglich gescheitert.

„Ich glaube, da verstehen Sie etwas falsch. In erster Linie bin ich Unternehmer und dann ein Mensch. Meine Beziehung zu Araphel Mason hat nichts mit meinen Geschäften zu tun. Ich bin seinem alten Herrn einen Gefallen schuldig und habe ein Auge auf ihn, nicht mehr und nicht weniger.“

„Das ist schön zu hören, dass Sie sich die Neutralität bewahrt haben, für die der Bostoner Patriarch doch erst bekannt geworden ist“, gab Shen darauf mit einem zufrieden wirkendem Lächeln zurück und goss sich eine Tasse Tee ein. Sie beide wirkten entspannt und redeten gesittet miteinander, doch die Luft zwar dick und die Spannung wäre für einen normalen Menschen kaum auszuhalten gewesen. Es war kein Geheimnis, dass Shen es auf die Macht der gesamten Bostoner Unterwelt abgesehen hatte und dazu auch die anderen Oberhäupter ins Visier genommen hatte. Wie eine Schlange lag er bereits auf der Lauer und wartete nur auf eine Gelegenheit, in der sich sein Opfer eine Blöße gab. Doch Sergej Camorra hatte weit genug gedacht, um sich fürs Erste abzusichern. Als Geschäftsmann hatte er Shens Interesse am Bostoner Rotlichtviertel genutzt und geschäftliche Beziehungen zu ihm geknüpft. Immerhin ließ er Frauen aus Russland einschleppen, um sie an Bordelle zu verkaufen. Diese gehörten Shen und so war eine Zusammenarbeit von Nöten, von der sie beide profitierten. Nicht selten verglich man Sergej deshalb mit einem Fuchs, der die Tatsache nutzte, dass er dieselbe Beute jagte wie die Schlange und darum einen Pakt mit ihr schloss, anstatt sich gegen sie zu wenden. Und doch durfte er nicht einen Augenblick lang Blöße zeigen, ansonsten würde die Schlange ihn mit ihren Giftzähnen beißen und töten, wenn er ihr auch nur für eine Sekunde den Rücken zuwandte.

„Ich hoffe, ich kann weiterhin mit Ihrer freundlichen Unterstützung rechnen. Ihre Ware ist in meinen Bordellen sehr gefragt und insbesondere der „besondere Service“ ist in den letzten zwei Jahren rapide angestiegen. Darum würde es mich sehr freuen, wenn wir als Geschäftspartner weiterhin gut miteinander auskommen, mein sehr verehrter Mr. Camorra.“

„Das liegt ebenso in meinem Interesse, Mr. Yuanxian.“

Ein freundliches und fast schon warmherzig andeutendes Lächeln zeichnete sich auf Shens Gesicht ab und auch Sergej erwiderte diese Geste. Doch hatte diese Geste nicht die geringste Spur von Ehrlichkeit an sich und dieser Tatsache waren sich beide Parteien durchaus im Klaren. Dennoch war diese Geste von Nöten, denn eine Kränkung hätte fatale Folgen. Es galt, die Situation souverän zu meistern und oberste Vorsicht zu wahren. Normalerweise war die Atmosphäre nicht so sehr angespannt, wäre da nicht die Tatsache, dass Shen gnadenlos jeden jagte, der in seine Reichweite kam und der eine willkommene Beute darstellte. Schließlich aber, nachdem Shen seinen Tee ausgetrunken hatte, stellte er eine Frage an Sergej.

„Bei unserem letzten Treffen hatten Sie mir deutlich zu verstehen gegeben, dass Sie die Yanjingshe nicht als Mafiaorganisation anerkennen. Dürfte ich erfahren, was Sie dazu veranlasst hat?“

„Nun, die Mafia ist ein Unternehmen, kein Killerkommando. Sie unterscheidet sich nicht sonderlich von einem gewöhnlichen Unternehmen, lediglich darin, dass das eine vom Staat verfolgt und das andere vom Staat geschützt wird. Ich bin nicht sehr versiert darin, wie die Gesetze der chinesischen Triaden aussehen. Aber mit den westlichen Familien verhält es sich so, dass es bestimmte Gesetze gibt. Mein Vater erklärte mir einst, dass eine Familie wie ein Staat ist. Es gibt eine Hierarchie und feste Gesetze, die einzuhalten sind. Der markante Unterschied besteht darin, dass die Mafia es nicht nötig hat, ihre Gesetze zu verkomplizieren und sie schriftlich festzuhalten. Der Boss ist das Familienoberhaupt, der Patriarch. Er führt sie an und hält sie zusammen. Die Hierarchie wird streng eingehalten und alle gehorchen ihrem Patriarchen bedingungslos.“

„Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Allerdings erklärt dies nicht, warum Sie die Yanjingshe nicht als Mafia anerkennen wollen.“

„Ich sprach nie von der Triade an sich. Es sind Sie, den ich nicht als Boss anerkenne. Verstehen Sie dies nicht als persönlichen Angriff. Als alter Hase und als Sprössling einer alteingesessenen Familie, die schon den ersten Weltkrieg und die Depression überstanden hat, mögen meine Ansichten vielleicht nicht mit denen anderer Bosse übereinstimmen. Aber Sie müssen eines wissen: ein Boss ist nicht bloß ein Alleinherrscher. Er ist wie der Anführer eines Rudels. Er kämpft an vorderster Front für den Fortbestand seines Rudels, hält die Gesetze ein und bewahrt ebenso die Hierarchie. Um ein Boss zu sein, bedarf es nicht nur eines guten Geschäftssinns, sondern vor allem auch Führungsqualitäten. Er beherrscht seine Untergebenen nicht nur, er führt sie an und muss die Gabe besitzen, auf sie einzugehen und dennoch seine Autorität zu wahren. Der Unterschied zwischen Araphel und Ihnen ist einfach: ein Löwe jagt niemals um der Jagd willen, sondern lediglich um den Fortbestand zu sichern. Er jagt im Rudel und ist ein geborener Anführer, der das tut, was nötig ist, um das Überleben seines Rudels zu sichern und seine Macht zu wahren. All seine Handlungen stehen allein im Interesse des Rudels und sind nicht seine allein. Eine Schlange hingegen jagt immerzu alleine. Sie ist ein strikter Einzelgänger und sie kennt so etwas wie Gemeinschaftssinn nicht. Von Geburt an ist sie auf sich allein gestellt und das Fatale an der Schlange ist ihre Gier: verfangen sich zwei Schlangen in ein Beutetier, verschlingen sie die andere Schlange einfach mit und da sie oftmals ihre Grenzen nicht kennen, wird die Gier zum Todesurteil der Schlange. Verstehen sie nun? Eine Schlange ist ein äußerst mächtiges und gefährliches Tier, aber sie kann keine Gruppe anführen, da sie dazu neigt, selbst ihre eigenen Artgenossen zu fressen.“

„Das sind also Ihre Ansichten?“ fragte Shen und er lachte amüsiert. Selbst sein Lachen war eiskalt. Normalerweise hätte Sergej es nicht gewagt, solch gefährliche Worte an das Oberhaupt der mächtigsten Shanghaier Triade zu richten, doch da er durch seinen Pakt mit Shen ein gewisses Maß an Sicherheit hatte, konnte er sich dieses Recht durchaus nehmen. Es galt nur, den formellen Ton zu bewahren und seine Wortwahl gut abzuwägen.

„Ihre Ansichten einer Familie sind wirklich sehr interessant und vielleicht auch inspirierend, allerdings erscheint sie mir wirklich etwas altmodisch. Uns trennen zwar nur neun Jahre Lebenserfahrung, allerdings kann ich von mir behaupten, modernere Ansichten zu haben und mit der Zeit zu gehen. Die Zeiten ändern sich, genauso wie die Mafia.“

„Mag sein, dass ich nicht immer mit der Zeit gehe, aber als alter Hase hat man eine andere Sicht der Dinge und geht sie auch anders an. Der Vorteil des Älterwerdens liegt darin, dass man eine größere Gelassenheit und Geduld entwickelt. In meiner Jugend war ich ein ziemlich energiegeladener Jungspund gewesen und die Dinge konnten sich nicht schnell genug für mich entwickeln. Inzwischen weiß ich, dass Pflanzen Zeit brauchen, bis sie Früchte tragen und mit den Jahren habe ich die nötige Gelassenheit und Geduld entwickelt, die von Nöten ist, um auf den perfekten Zeitpunkt zu warten, an dem die Ernte am größten ist. Vor allem aber erlangt man mit dem Alter eine gewisse Nachsicht gegenüber seinen Mitmenschen. Wenn man mich ein Mal beleidigt, sehe ich darüber hinweg und vergesse den Vorfall. Beim zweiten Mal belasse ich es bei einer Verwarnung. Beleidigt man mich aber ein drittes Mal, verteile ich dessen Schädelinhalt höchstpersönlich über den Tisch.“
 

Einen Augenblick herrschte Stille und die Luft war vergleichbar mit jenem Phänomen, welches man insbesondere kurz vor einem schweren Unwetter deutlich wahrnahm. Man wartete darauf, dass es mit einem lauten Donnern hereinbrechen würde. Man wusste, dass es kommen würde, weil man es mit jeder Faser seines Körpers spüren konnte. Doch niemand konnte sagen, wann es endlich soweit sein und wie verheerend es wirklich werden würde. Schließlich aber holte Sergej aus seinem Mantel einen kleinen Flachmann hervor, wobei er weiter erzählte. „Die Gesetze der Mafia unterscheiden sich zu einem gewissen Teil je nach Nationalität und Gruppe, aber in folgenden Punkten ist fast jede in ihren Ansichten gleich: die Ehefrau eines Mafioso ist ihm heilig und er wird sie niemals betrügen. Kein Mafioso hat Kontakt oder Verwandtschaft zur Polizei und ähnlichen Organisationen und die Mafia steht an alleroberster Stelle, selbst dann wenn die Ehefrau gerade entbindet. Wer eine Vendetta beginnt, der muss gute Gründe vorweisen können, wie etwa der Mord an einem hochrangigen Mitglied. Fußleute zählen nicht dazu. Den Befehlen des Bosses ist bedingungslos Folge zu leisten, Frauen haben in der Mafia nichts zu suchen, ebenso wie Drogensüchtige in einer Familie, die mit Drogen handelt. Gegenüber seinem Boss und seinen Kameraden besteht unbedingte Wahrheitspflicht, Diebstahl innerhalb der Familie ist genauso untersagt wie der Diebstahl an anderen Familien. Und Aussteiger werden genauso bestraft wie Verräter. Nun, einige der Gesetze mögen etwas konservativ erscheinen, was aber auch größtenteils daher kommt, weil diese Gesetze von alten, konservativen Herren geschrieben worden sind. Tja, das mit dem Alter ist so eine Sache… Je älter man wird, desto mehr Laster kommen hinzu. Ich habe noch nie einen guten Wein oder einen wahren russischen Wodka verweigert. Eine kleine Schwäche, könnte man sagen. Aber wissen Sie, darum gibt es die Mafia ja erst. Sie lebt von den Schwächen der Menschen, nämlich ihrer Gier. Es sind so einfältige Wesen, die sich so leicht verführen lassen, dass es den Herrgott wirklich grämen muss, wie sehr seine Schöpfung verkommen ist. Sie und ich bilden keine Ausnahme. Wir alle werden von unserer eigenen Gier getrieben und beherrscht. Sei es die Gier nach Macht und Reichtum, das Verlangen nach Vergeltung, sexuelle Gelüste oder der Hunger nach Wissen. Der Mensch ist ein gieriges Wesen und selbst wenn er ein Jahrhundert lebt und ein Jahrhundert lernt, so stirbt er letzten Endes doch als Dummkopf. Darum braucht das Neue auch das Alte, damit es lernen kann. Ich mag trotz meiner 51 Jahre schon zum alten Eisen gehören, aber ich erteile der Jugend gerne den einen oder anderen Rat, das macht einen guten Patriarchen nun einmal aus. Sie und ich, wir haben viel gesehen, Sie vielleicht sogar noch mehr als wir alle. Sie mögen es verbergen, aber es steht in Ihren Augen geschrieben, dass Sie die tiefsten Abgründe der Menschheit erblickt haben. Ich weiß nicht, was Sie dazu bewegt hat, das zu tun, was Sie jetzt tun. Ich will Sie weder belehren, noch Sie in irgendeiner Art und Weise kränken. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich trotz meiner schlechten Augen sehr wohl in der Lage bin zu erkennen, wann eine Schlange frisst um zu leben, oder wann sie ihre eigenen Artgenossen aus einem anderen Hunger heraus frisst. Verzeihen Sie, wenn ich zu viel rede. Meine Redseligkeit zählte schon stets zu meinen Schwächen.“

Doch Shen winkte nur mit einem Lächeln ab und versicherte „Es ist immer schön, weisen Männern zuzuhören, die bereit sind, ihren Erfahrungsschatz mit anderen zu teilen.“
 

Nach einer sehr höflichen Verabschiedung erhob sich Sergej und verließ das Hinterzimmer des Clubs, welches Zwecks für dieses Treffen reserviert worden war. Eine Weile blieb Shen sitzen, bevor er sich ebenfalls erhob und ging. Draußen vor dem Club wartete sowieso die Limousine, die ihn zurück zu seiner Villa fahren würde.

„Und wie ist das Treffen verlaufen, Boss?“ fragte sein Berater und Vertrauter Liu Cheng, der wie angewiesen in der Limousine gewartet hatte, da zu einem Clantreff niemand sonst als die Bosse Zutritt hatten. Einzige Ausnahme bildete der Unterboss, der in absehbarer Zeit die Nachfolge übernehmen würde.

Ein eisiges Lächeln spielte sich über Shens Lippen und er hob vorsichtig seinen rechten Arm. Unter den Ärmel seines Gewandes kam langsam der Kopf einer Schlange hervor, näher gesagt der Kopf einer schwarzen Mamba.

„Ich habe ihn unterschätzt“, erklärte er seinem Berater, mit dem er sich genauso wie mit allen anderen Mitglieder der Triade auf Chinesisch unterhielt. „Er hat meine Absichten sofort durchschaut und sich keinen Moment lang die geringste Blöße gegeben. Er hat selbst meine Person durchschaut, genauso wie meine Mordabsichten. Er ist klüger als erwartet.“

„Sollen wir uns um ihn kümmern?“

„Nein, das ist nicht nötig. Fürs Erste profitieren wir noch von unserem Geschäftsbündnis und darum verschieben wir unsere Pläne bis auf Weiteres.“

Shen strich vorsichtig über den Kopf der Schlange, die ihrerseits vollkommen ruhig blieb und nicht die geringsten Anstalten machte, ihn anzugreifen. Warum auch? Shen hatte schon seit seiner Kindheit eine sehr enge Bindung zu diesen Tieren gehabt. Er war mit ihnen groß geworden und sie waren zu einem Teil seines Wesens geworden. Selbst als er damals als kleiner Junge in eine Schlangengrube geworfen worden war, war er nicht ein einziges Mal angegriffen worden. Vielleicht, weil sie gespürt hatten, dass er ihnen ähnlich war. Ja, es war wie Sergej gesagt hatte: er war eine Schlange, die ihre eigenen Artgenossen verschlang und vor nichts zurückschreckte. Ja, auch er schreckte vor nichts zurück. Er würde jeden verschlingen und ins Verderben reißen, der ihm zu nahe kam. Doch das war ihm nicht genug. Er wollte nicht bloß zerstören und alles vernichten, was ihm in die Quere kam. Das reichte ihm nicht aus. Sein größtes Werk war ja noch nicht vollendet. Nicht mehr lange würde es dauern, bis er sein Geschöpf auf diese Welt loslassen und den Zorn entfesseln konnte, den er so lange in sich getragen hatte und den er seiner wohl größten Schöpfung hinterlassen würde… seinem Monster, das noch nicht vollständig erweckt war. Allein der Gedanke ließ bei ihm ein gewisses Gefühl der Genugtuung aufkommen. Sollte der Patriarch ihn doch für einen Killer halten, der die Mafia nur für seine eigenen Zwecke benutzte. Es war ihm egal und er war auf die Belehrungen dieses altmodischen Mafioso nicht angewiesen. Schon bald würde es eh vorbei sein. Dann war die Mafia allein in seiner Hand und er selbst würde der Schöpfer eines Dämons werden, der alles vernichten würde, was er nicht beherrschen konnte. Genauso wie er, Shen Yuanxian, ein Dämon war, der alles beherrschen würde, was er nicht zerstören konnte. Es würde ein herrliches Spiel werden, fast schon zu einfach mochte man meinen. Alles, was er nur dazu brauchte war, den Hass weiter zu schüren. Selbst der stolze schwarze Löwe hatte seine Wildheit längst verloren und merkte nicht, dass er sich schon längst in einem Käfig befand. Er musste nur noch entsprechend abgerichtet werden, damit man mit ihm spielen konnte. Darauf freute sich Shen schon besonders. Denn was nutzte es ihm, einen Löwen niederzustrecken, wenn er ihn genauso gut kontrollieren konnte?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist wohl der beste Beweis dafür, wie es in der Mafia zugeht. Nach außen hin fast schon freundschaftlich, doch in Wirklichkeit ist das alles nur eine Fassade, hinter der man nur darauf lauert, dass der andere Schwäche zeigt. Ein wirklich gefährliches Spiel mit dem Feuer. Die von Sergej genannten Gesetze stammen zum Teil von den zehn Geboten der Costa Nostra ab, wurden aber noch durch andere Gesetze ergänzt, die aber auch zu denen der Mafia zählen, wie zum Beispiel dass Frauen verboten sind und eine Vendetta nur dann stattfindet, wenn ein hochrangiges Mitglied getötet wird. Mitglieder einer Mafia, die den untersten Rang belegen, werden nicht mitgezählt, da sie eben nicht wichtig genug sind. Meist ist ihr Tod auch „rein geschäftlich“. Und daran erkennt man auch, welche Bedeutung ein Leben innerhalb der Mafia wirklich hat.

Sergej hat viele Ansichten, die denen der Corleone-Familie ähneln: was zählt, ist das Geschäftliche und persönliche Motive haben darin nichts zu suchen. Man kann ihn also quasi als Symbol eines traditionellen italienischen Mafiabosses sehen, wie man ihn sich vielleicht vorstellen würde. Araphel hingegen verkörpert die jüngere Generation, die schnell zu Waffe greift und nicht mehr sonderlich viel auf Traditionen gibt und Shen… nun… man kann ihn als perfektes Beispiel für einen eiskalten und manipulativen Psychopathen sehen.
Aufgrund seines Geschäftssinns und seiner damit verbundenen Cleverness und Durchtriebenheit sehe ich Sergej gerne als Fuchs. Insbesondere weil dieser in manchen Ländern genauso wie der Löwe und die Schlange auch eine dämonische Symbolik hat, aufgrund seines roten Fells. Komplett anzeigen

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