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Unausgesprochen

von

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Heimkehr

Die Nacht war drückend heiß, sternenklar und unendlich lang. Sharrkan saß auf der Fensterbank, den Rücken gegen den Rahmen gelehnt und ein Bein nach draußen baumelnd. Er hoffte auf einen kühlen Windzug, doch die Luft stand so still, dass selbst die Blätter der Palmen vor den Palastmauern wirkten, als habe jemand die Zeit eingefroren. Das Zimmer hinter ihm lag im Dunkeln und nur ein schmaler Streifen Mondlicht fiel auf ein paar gepackte Taschen, die unordentlich gestapelt neben der Tür standen. Nichts in diesem Raum deutete auf einen Umzug hin und Sharrkan wollte seine bevorstehende Reise auch nicht als solchen betrachten. Er hatte Armakans Angebot zwar angenommen, doch dies beinhaltete schließlich auch, dass er sich eine Rückkehr nach Sindria jederzeit offenhalten konnte.
 

Unbewusst schlossen sich seine Finger fester um das kleine warme Stück Metall, das er sorgfältig in der Hand verwahrte, seit es ihm beim Aufräumen vor die Füße gefallen war. Er hatte Yamraiha ihren Zimmerschlüssel nie zurückgegeben, obwohl sie bereits einmal danach gefragt und er es sich mehrfach vorgenommen hatte. Doch irgendwie hatte sich die passende Gelegenheit dafür nicht ergeben und seit seiner Auseinandersetzung mit Arik war er ihr nicht mehr über den Weg gelaufen. Sharrkan hegte keinen Zweifel daran, dass sie wütend auf ihn war und er wusste, dass sie jedes Recht dazu hatte. Spätestens jetzt musste der letzte Funken Unsicherheit erloschen sein, sollte sie jemals zwischen ihm und Arik geschwankt haben.
 

Das Klopfen – in der nächtlichen Stille laut wie ein Kanonenschuss – kam nicht unerwartet und fuhr Sharrkan trotzdem eiskalt in die Glieder. Eilig rutschte er von der Fensterbank, durchquerte den Raum und öffnete die Tür.

„Ich dachte schon, du hast verschlafen“, begrüßte Masrur ihn und spähte in das unbeleuchtete Zimmer.

„Tja, falsch gedacht!“, gab Sharrkan patzig zur Antwort. Wahrscheinlich klang er dabei ein wenig zu übermütig, denn Masrur durchschaute ihn sofort.

„Hast du überhaupt geschlafen?“, forschte er nach.

Sharrkan überhörte die Frage, schnappte sich stattdessen zwei seiner Taschen und drückte sie ihm auffordernd entgegen. „Hör auf zu quatschen und mach dich lieber nützlich!“
 

Sie teilten die Gepäckstücke untereinander auf, verließen Sharrkans Zimmer und folgten dann schweigend den langen Fluren, hinaus aus dem Palast und hinein in das verwinkelte Gassensystem Sindrias. Die Hitze hatte sich in den Straßen der Stadt noch schlimmer aufgestaut als oben an der Residenz und die hohe Luftfeuchtigkeit machte den Marsch nicht gerade angenehmer. Sharrkan war froh, dass es Masrur war, der ihn zur Abreise begleitete, denn der sprach generell nicht viel und Sharrkan war im Moment absolut nicht nach einer Unterhaltung zumute. Er war sich mittlerweile unsicher, ob er seine Entscheidung doch zu voreilig getroffen hatte. Wäre Sinbad nicht gewesen, hätte er Armakan in seinem Zorn wohl noch am gleichen Tag alles vorbehaltlos zugesagt. Aber sein König hatte zunächst eine längere Beurlaubung vorgeschlagen und im Nachhinein konnte Sharrkan ihm gar nicht genug danken, an seiner Stelle einen kühlen Kopf bewahrt zu haben.
 

Der Hafen wirkte fast menschenleer, denn die Fischerboote waren schon vor Stunden aufs Meer hinausgefahren und für die großen Frachter war es noch viel zu früh am Morgen. Armakans Schiff lag bewegungslos in der ruhigen See. Es war in edlen Schwarz- und Goldtönen bemalt, zwei riesige Schlangengravuren zierten beide Flanken und auf den Segeln prangte das schützende Auge, das auch den Königspalast von Heliohapt bewachte. Sharrkan sah seinen Bruder bereits oben an Deck stehen und als ihre Blicke sich trafen, nickte dieser ihm ermutigend zu. Vielleicht hatte er befürchtet, dass Sharrkan nicht kommen würde.
 

„Bist du bereit?“, fragte Masrur und stellte die Taschen vor sich auf dem Boden ab.

Sharrkan wollte mit Ja antworten, doch sein Hals war so trocken, dass er nichts als einen schwachen Kehllaut zustande brachte. Er drehte sich um, Richtung Stadt, als erwarte er jemanden zwischen den Häuserfronten zu entdecken – nur war es dort ebenso ausgestorben wie hier.

„Wenn du sie siehst“, murmelte er, griff in sein Gewand und zog den kleinen bronzenen Schlüssel hervor, „dann gib ihn ihr zurück… und sag ihr, dass es mir leid tut.“

Masrur nahm Yamraihas Schlüssel stumm entgegen. In seinen Augen war der unausgesprochene Vorwurf deutlich zu lesen: Warum hast du das nicht selbst getan?
 

„Es wird Zeit.“ Armakan stand an der Reling, während die Matrosen um ihn herum die letzten Vorbereitungen zum Ablegen trafen. „Wir müssen los.“

Mit gemischten Gefühlen betrat Sharrkan die Rampe und ließ sich von Masrur das restliche Gepäck über die Brüstung reichen. Dann standen sich die beiden ein vorerst letztes Mal gegenüber.

„Pass auf dich auf, Senpai“, sagte Masrur und schaute zu dem Älteren hoch. „Versuch, keine Dummheiten zu machen.“

Sharrkan konnte nicht anders, als bei diesen Worten zu lächeln. Er beugte sich weit übers Geländer, streckte den Arm aus und knuffte Masrur gegen die Brust. „Das mache ich doch nie.“
 

Das Schiff setzte sich in Bewegung, entfernte sich langsam von der Bucht und Sharrkan blickte empor zum hellerleuchteten Palast, der über der gesamten Insel thronte. Rechts und links davon zeichneten sich die Steilklippen scharf gegen das Firmament ab, terrassenförmig darunter verlief die Stadt. Ihre noch spärlichen Lichter wurden hier und da von einigen Grünflächen überschattet. Die weitläufigen Wälder und das Ackerland, das sie umrahmte, wirkten in der Dunkelheit fast schwarz im Vergleich zu den zahlreichen Laternen am Hafen. Masrurs Silhouette auf der Kaimauer war bereits in solche Ferne gerückt, dass Sharrkan ein zweites Mal hingucken musste, um die weitere Person neben ihm überhaupt zu erkennen. Sie war ein ganzes Stück kleiner als er und anhand der Form ihres Hutes und des langes Stabes in ihrer Hand war eine Verwechslung beinahe ausgeschlossen.
 

„Yamraiha“, flüsterte Sharrkan, doch dann passierte das Schiff das Felsenportal Sindrias und beide verschwanden abrupt aus seinem Sichtfeld. Einen Moment später fragte er sich, ob seine Fantasie ihm aufgrund der Müdigkeit wohl einen Streich gespielt hatte. Konnte sie wirklich dagewesen sein?

Völlig unvermittelt legte ihm jemand von hinten eine Hand auf die Schulter und als Sharrkan sich umdrehte, fand er sich in Gesellschaft seines Bruders wieder.

„Das Frühstück ist fertig“, sagte Armakan, nahm ihn an seine Seite und lenkte ihn behutsam von der Reling fort. „Du hast doch sicher Hunger.“ Und mit einem letzten Blick zurück ließ sich Sharrkan widerstandslos die Treppe hinunter und unter Deck des Schiffes bugsieren.
 


 

Die Überfahrt dauerte zwei Wochen – zwei geschlagene Wochen, die Sharrkans Geduldsfaden auf eine harte Zerreißprobe stellten. Er durfte sich an der Arbeit, die auf dem Schiff anfiel, nicht beteiligen, weil sich dies für einen Prinzen nicht ziemte. Er durfte an Deck keine Schwertkunst trainieren, weil das die Besatzung bei ihrer Tätigkeit gestört hätte. Er durfte Armakan nicht von seinen Regierungspflichten ablenken, welchen er von seiner Kajüte aus nachging, obwohl er einer der wenigen Menschen an Bord war, mit denen sich Sharrkan hätte unterhalten können…

Und so siechte Tag um Tag in qualvoller Langeweile dahin, bis eines Abends endlich eine dünne Linie am Horizont ihre Ankunft auf dem Dunklen Kontinent ankündigte.
 

Die Hafenstadt, in der das Schiff zu einsetzender Dämmerung vor Anker ging, war nicht sonderlich groß. Armakan hatte sie hauptsächlich als Handelsposten errichten lassen, nachdem er Sinbads Allianz der Sieben Meere beigetreten war. Deshalb gab es nur wenige Wohnhäuser, aber dafür umso mehr Lagerstätten. Beim Anlanden fiel Sharrkan auf, dass auch die Marine hier stationiert zu sein schien. Ansonsten bot die Stadt nicht viel zu sehen. Sie war umgeben von einer unwirtlichen Steinwüste, in der außer trockenem Gestrüpp nichts gedieh und schon von Weitem ließen sich die Sanddünen ausmachen, die das Gelände in Richtung Landesmitte dominieren würden. Von hier aus sollte man den angeblich kürzesten und bequemsten Weg nach Heliohapt haben.
 

„Willkommen daheim, König Armakan, Prinz Sharrkan.“

Es war Narmes, der seine Herrscher mit einer tiefen Verbeugung als Erster begrüßte. Gemeinsam mit einer Handvoll Bediensteten, einigen Soldaten und einem Teil des Volkes, das sich neugierig im Hintergrund hielt, hatte er den beiden Brüdern am Steg seine Aufwartung gemacht.

„Schön, Euch wieder bei uns zu haben“, sagte er an Sharrkan gewandt und schenkte ihm ein so warmes Lächeln, als sähe er immer noch den kleinen Jungen vor sich, den er vor zwölf Jahren hatte gehen lassen. „Es ist alles für die Nacht vorbereitet. Wenn Ihr mir folgen würdet?“

Er führte sie einen kurzen Weg entlang zu einem prunkvollen Anwesen, das den Anschein machte, als habe es Armakan schon öfter für den einen oder anderen Zwischenstopp genutzt. Denn kaum waren sie zur Tür eingetreten, da boten ihnen bereits mehrere Hausangestellte ihre Dienste an.
 

Sharrkan war von der Reise und der zunehmenden Hitze so erschöpft, dass er alle Umstehenden – im wahrsten Sinne des Wortes – am liebsten in die Wüste geschickt hätte. Trotzdem ließ er sich klaglos auf sein Zimmer geleiten, beantwortete brav, ob er noch etwas zu Essen oder ein Bad wünschte und versprach, sich jederzeit zu melden, sollte es ihm an etwas fehlen. Erst, als es an der Tür klopfte und der König höchstpersönlich den Raum betrat, zogen sich die Diener zurück und ließen Sharrkan mit seinem Bruder allein. Über Armakans Schulter lugte der Kopf seiner riesigen gelben Schlange, die er in der Heimat immer bei sich zu tragen pflegte.
 

„Morgen um die gleiche Zeit sind wir in Heliohapt“, sagte er, ging um Sharrkan herum und ließ sich auf dessen Bett nieder. „Ich habe eben einen Boten losgeschickt, damit der Palast Bescheid weiß. Sicher erwarten sie uns schon. Delia, meine Frau… und Eline.“

„Sie ist schon da?“, fragte Sharrkan überrascht.

„Du wirst sie morgen Abend kennenlernen.“ Einen Moment lang musterte Armakan seinen kleinen Bruder abschätzend. „Nervös?“, fragte er und Sharrkan reagierte mit einem Achselzucken. Er hatte sich nicht vorgestellt, dass alles so schnell gehen würde.

Armakan schien seine Gedanken zu erraten und bedeutete ihm mit der Hand, sich neben ihn zu setzen. „Lass es erst mal auf dich zukommen“, schlug er vor. „Niemand verlangt von dir, dass sich da sofort was entwickelt.“
 

Zögernd folgte Sharrkan dem Wink und nahm ebenfalls auf der Bettkante Platz. Sein Bruder begutachtete ihn kurz von der Seite und fuhr dann mit den Fingern über die Segmente der Goldkette, die von Sharrkans Ohr zu dessen Hals führten.

„Die musst du hier nicht tragen“, sagte er. „Ich hab etwas Besseres für dich.“ Er griff hinter seinen Rücken und zog eine kleine ockerfarbene Schlange von seinem Körper, die Sharrkan zuvor an ihm gar nicht aufgefallen war. Geschmeidig wandte sie sich um seinen Arm, bevor sie nahtlos auf ihren neuen Besitzer überwechselte.

„Für mich?“, vergewisserte Sharrkan sich.

„So ist es Tradition.“
 

Wie ein glatter, weicher Schlauch schlängelte sich das Tier an Sharrkans Schulter hinauf, glitt ihm unter die Kleidung, über die Brust und um die Seite auf den Rücken.

„Sie ist großartig“, sagte er glücklich und streichelte den Kopf, welcher in seinem Nacken wieder zum Vorschein kam.

Er“, verbesserte Armakan ihn. „Sein Name ist Essam. Er ist noch jung, aber wenn du dich gut um ihn kümmerst, kann er mindestens vier Meter lang werden.“

Eine Weile beobachtete er, wie Sharrkan mit der Schlange spielte, bis er schließlich aufstand und sich langsam zur Tür begab. „Ich muss noch ein paar Dinge mit Narmes besprechen, aber du solltest jetzt besser schlafen. Wir brechen morgen sehr früh auf.“

Er war schon halb hinausgegangen, als er mit der Hand an der Klinke ein letztes Mal innehielt. „Hab eine gute Nacht, Sharrkan“, sagte er mild, „und mach dir nicht so viele Gedanken!“
 

Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und trotz seines Rates saß Sharrkan noch lange vollkommen reglos auf einem Fleck. Undeutlich spürte er, wie die Schlange von seinem Bein hinunter auf den Boden kroch, hörte die Bediensteten im Nebenzimmer leise sprechen und draußen aus der Ferne den Schrei eines Wüstenfuchses, während das Dämmerlicht im Raum allmählich der Finsternis wich.

Sich nicht so viele Gedanken machen? Sharrkan schien das genauso unmöglich wie die Vorstellung, ohne ein Schwert in den Kampf zu ziehen. Sollte ihm Eline morgen unsympathisch sein, würde das unter Umständen nicht nur seinen Bruder enttäuschen, sondern auch die Zukunft seines ganzen Volkes beeinträchtigen.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit erhob er sich endlich vom Bett und begann sich für die Nacht umzuziehen, als sein Blick zufällig an den mitgebrachten Taschen hängen blieb, die ihm die Angestellten bei ihrer Ankunft hineingetragen hatten. Das Ende von Essams Schwanz hing oben aus dem Verschluss und seufzend ging Sharrkan in die Hocke und zog ihn vorsichtig wieder heraus. Wäre das metallische Klirren nicht gewesen, hätte er in der Dunkelheit glatt übersehen, dass dabei ein kleiner bronzener Schlüssel herausgefallen war. Fassungslos hob Sharrkan ihn auf.

„Masrur, du Mistkerl“, wisperte er und kam dennoch nicht umhin, sich zu fragen, was Yamraiha gerade tat, ob sie bereits in Magnostadt angekommen war und – viel wichtiger – mit wem sie diesen Abend wohl verbracht hatte.



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