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Someone to protect

von

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SOMEONE TO PROTECT
 


 

Durch die Fenster fiel ein Schimmer Mondlicht ins Zimmer. Eine Brise spielte mit den Vorhängen. Naruto fragte sich, was ihn geweckt hatte. Draußen herrschte vollkommene Stille. Ein Traum?
 

Mit einem leisen Seufzen rollte er sich herum, versuchte eine Position zu finden, bei der ihm die Lider von selbst zufielen. Der Schlaf wollte nicht kommen. Seine Sinne waren wach und weit ausgestreckt, als gäbe es über dem Zimmer kein Dach, als schliefe er wie auf einer Mission unter freiem Himmel, ungeschützt vor dem Wetter und ein leichtes Ziel für Feinde. Er spürte jedoch keinerlei Gefahr, bloß eine Klarheit für die Farben und Gerüche dieser Nacht, die jede Müdigkeit durchdrang. Ein leichter Windhauch strich ihm über den Arm, und er war sich der Schatten im Zimmer genauso bewusst wie des fahlen Lichts der Laterne draußen, die sich mit dem Mondlicht vermischte.
 

Nach einer Weile sah er zum Fenster und dem Umriss seiner chaotisch aufgetürmten Bettdecke, und er war ganz sicher, dass es keinen Sinn mehr hatte. Er würde in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden. Entschlossen, sich nicht länger herumzuwälzen, setzte er sich auf und schlüpfte aus dem Bett. Barfuß kletterte er aus dem Fenster.
 

Die Ziegel auf dem Dach waren noch warm. Die letzten Tage waren glühend heiß gewesen, fast wie im Sommer, und Steine und Mauern speicherten die Hitze bis weit nach Einbruch der Dunkelheit. Als er hinaus unter den freien Himmel trat, hatte er das Gefühl, in Mondlicht gebadet zu werden. Selbst das Wirbelmuster auf seinem Schlafanzug konnte er deutlich erkennen, jede einzelne Windung der kleinen Spiralen. Er atmete tief ein, und ein befreiender Seufzer stieß die Luft wieder aus seinen Lungen.
 

Unter ihm ausgebreitet lag sein Dorf, eine wilde Schattenlandschaft aus unterschiedlich geformten Dächern, Baumspitzen und Spannungsleitungen. Die gelblichen Straßenlaternen glommen wie schwimmende Kerzen auf einem Fluss voller phantastischer Boote, und sein Haus schwamm mitten zwischen ihnen. Es tat gut, Konoha so zu sehen, friedlich schlafend und sicher. Auch die in Stein gemeißelten Gesichter im Hokagefelsen wirkten in diesem Licht weicher und freundlicher. Vielleicht war er aufgewacht, weil er sein Zuhause hatte sehen wollen, mit allem, was dazugehörte. Es flößte ihm Zuversicht und Trost ein, wenn er es am meisten brauchte.
 

Mehr als an anderen Tagen musste er daran denken, dass es hier nicht immer so ausgesehen hatte wie jetzt. Konoha war aus Trümmern neu erstanden. Zusammen hatten sie das Dorf wieder aufgebaut, bis auf einen. Beim Gedanken an das Paar Hände, das er damals so gern dabei gehabt hätte, schaute er unwillkürlich hoch zum Mond, der rund und leuchtend am Himmel stand. Genau wie in der Nacht, als sie die Menschen aus der Illusion befreit hatten.
 

Wie jedes Mal, wenn er sich an den Tag erinnerte, an dem er gegen Sasuke gekämpft hatte, und an die Dunkelheit, in die hinein er danach wieder aufgewacht war, zog sich etwas Schmerzhaftes in seiner Brust zusammen, das ihm das Atmen schwer machte. Das Mondlicht war nicht nur sanft. Es besaß auch eine andere Seite, ein Gesicht der scharfen Kontraste; eine Härte, unter der alle Formen in Splitter aus Schwarz und Weiß aufbrachen, deren Kanten in der Lage waren, ein menschliches Gemüt völlig zu zerrütten. Darin war der Mond unbarmherziger als die Sonne.
 

Seinen besten Freund auf diese Weise zu verlieren ...
 

Narutos Hand legte sich über seine Brust, ohne dass er hätte sagen können, was sie dort zu finden suchte. Jedenfalls war er noch nicht bereit, wieder ins Bett zu gehen. Sich mit gekreuzten Beinen aufs Dach hockend, ließ er den Blick schließlich von den vertrauten Dächern abgleiten und in die Ferne schweifen, über dunkle Täler; er verlor sich dort, wo die Sterne den Horizont trafen.
 


 


 

Er öffnete seine Jacke.
 

In dem lichten Raum schwebend, in dem Materie und Schwerkraft keine Rolle spielten, griff er nach Sasukes Handgelenk und presste seine flache Hand gegen seine ungeschützte Brust.
 

»... was soll das werden?«
 

»Das hier ist mein Herz. Fühle.«
 

Die Überraschung in Sasukes Gesicht verfinsterte sich augenblicklich zu Ärger.
 

»Ich habe dir doch gesagt, es gibt nichts mehr aufzudecken. Ich weiß ...«
 

Dennoch zog er die Hand nicht weg. Naruto spürte ihre Wärme durch den dünnen Stoff seines T-shirts.
 

»Ja, es ist kein Geheimnis mehr übrig. Aber du kapierst es immer noch nicht.« Er lockerte seinen Griff um Sasukes Unterarm keinen Deut. »Wenn du mich wirklich töten willst, hier. Tu es.«
 

»Was, du machst es mir so leicht? Du verteidigst dich nicht mal mehr?«
 

»Hier«, beharrte Naruto, sich der Hand entgegendrückend. Seine Stimme bebte. »Ich bin dein bester Freund. Ich bin dein engster Verbündeter, und das hier ist mein Herz. Wenn es so leicht ist, warum tust du es dann nicht?«
 

Fingerspitzen bohrten sich in seine Haut. Sasukes Arm zitterte. Er musste bestimmt spüren, wie schnell sein Herz schlug. Wofür es schlug.
 

Ein Schatten huschte über sein Gesicht. Für einen Sekundenbruchteil sah Naruto sich in seinen Augen sterben.
 

Sorry, Sasuke. Ich denk nicht mal dran.
 

Zwei gewaltige Kugeln reiner Energie prallten aufeinander, und die Explosion schleuderte sie in entgegengesetzte Richtungen. Als Naruto aus der Entfernung einen Blick auf seinen Freund erhaschte, sah er, dass er die Miene der kühlen Vernunft nicht wiedergefunden hatte. Sasuke war wütend, entgeistert, aufgewühlt.
 

Gut.
 


 


 

Wie lange er hier oben über den Straßen saß und seinen Gedanken nachhing, konnte er nicht sagen. Der Wind hatte aufgefrischt, nicht so kalt um ihn zurück ins Schlafzimmer zu treiben, aber kühl genug, um ihn daran zu erinnern, dass es schon Herbst geworden war.
 

Er war in jenem Moment so sicher gewesen, dass Sasuke etwas in sich gefunden hatte, das ihn dazu bewegen würde umzukehren ... Naruto begriff nicht, warum der Gedanke ihn so wehmütig machte. Er war jetzt nicht mehr allein.
 

Ohne sich umzudrehen, wartete er darauf, dass die Schritte hinter ihm zum Stehen kamen.
 

»Ist es nicht wunderschön heute Nacht?«, sagte Sakura mit gedämpfter Stimme.
 

Für einen winzigen Moment hatte er gedacht, es wäre vielleicht jemand anders. Er ließ das Gefühl gehen und nickte stumm. Ihm war eigentlich nicht nach Reden zumute, und er brauchte eigentlich dringend Abstand. Aber er würde nicht so gemein sein, Sakura aufgrund seiner eigenen komischen Stimmung zurückzuschicken.
 

»Ich kann nicht schlafen«, gab er zu.
 

»Hast du wieder Kopfschmerzen?«
 

Sie ging neben ihm in die Hocke und tastete die Stelle über seiner Stirn ab, wo sein Schädel gebrochen gewesen war. Sein Gehirn war so geschwollen gewesen, dass er in der Folge ein paar Erinnerungen durcheinander brachte, sich Farben überlagerten und ihm auch jetzt noch manchmal Begriffe nicht einfielen. Er verdankte ihr sein Leben. Ohne ihre Heilkünste an Ort und Stelle hätte er die Augen nicht wieder aufgemacht.
 

»Ich hab keine Kopfschmerzen. Ich hab nur nachgedacht.«
 

Sakura horchte auf. Er kannte diesen verdeckt wachsamen Blick von der Seite. In den letzten Jahren hatte er sich öfter gefragt, was dieses verwirrende Verhalten ihm gegenüber wohl bedeuten mochte. Es ähnelte auf beunruhigende Weise der Art, wie sie mit Patienten umging, über deren Zustand sie sich insgeheim Sorgen machte. Fast hätte er gesagt, dass sie sich vor etwas fürchtete, doch jedes Mal, wenn er danach fragte, wiegelte sie ab.
 

»Über den Tag heute?« fragte sie leichthin.
 

»So ungefähr. Eigentlich hab ich über den Krieg nachgedacht.«
 

»Oh.« Sie wich ein Stück zurück. Wie immer, wenn es um dieses Thema ging, schien sie zu glauben, dass sie ihn mit Samthandschuhen anfassen musste. »Es war genau heute, nicht wahr? Dass du und Sasuke ...«
 

Sie ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen, und eine Weile sprach keiner von beiden. Naruto genoss die Stille. Er spürte jetzt doch ein leichtes Ziehen hinter der Stirn.
 

»Was hast du vorhin gedacht?« fragte Sakura nach einer Weile. Ihr zurückhaltender Ton machte deutlich, dass sie ihm jederzeit die Chance geben würde, das Thema zu wechseln. Sollte er vermutlich. Es war nicht nur für ihn schwierig, ermahnte er sich. Die Umstände hatten sie zu einer unmöglichen Entscheidung gezwungen.
 

Er stand auf und klopfte sich Dreck vom Hintern. »Weißt du, es gab Momente, da habe ich fast nicht mehr daran geglaubt, eines Tages wieder hier zu stehen. Am Leben und okay.«
 

Sein Mund schien der Frage nicht ausweichen zu wollen. So sehr er versuchte ihr gegenüber fair zu sein, konnte er im Augenblick nichts dagegen machen, dass sich in seine Dankbarkeit und sein Mitgefühl für ihre Situation auch eine Stinkwut mischte. Dabei war es nicht ihr Fehler. Er musste wirklich besser mit seinen Gefühlen klarkommen.
 

Er zwickte sich unauffällig in den Arm. Er musste auch aufhören, zu viel Mist zu reden. »Ich hab ja eine lange Zeit gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Es ging gar nicht anders, und ich wollte ja einmal richtig gegen ihn kämpfen. Aber was Sasuke dann zu mir gesagt hat … es wurde immer klarer, dass ich ihn tatsächlich verlieren könnte. Das wollte ich vorher nie wahrhaben ... aber es gab auch diese Stimme in mir, die immer lauter wurde und behauptete, dass alles einen Preis hat. Echter Frieden zum Beispiel, aber selbst sowas wie Freundschaft.« Er legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben. »Vielleicht hat dieser Teil von mir ja am besten verstanden, wie er sich damals gefühlt hat.«
 

Sakura war ebenfalls aufgestanden. Sie ballte die Fäuste. »Du hast diese Bürde ganz allein getragen«, sagte sie leise, aber hitzig. »Du warst der Einzige, der alles irgendwie wieder geradebiegen konnte. Ich war total machtlos, und ich habe mich dafür so geschämt ... Alle haben sich auf dich verlassen, und du hast uns nie im Stich gelassen.« Sie machte eine Geste, die ganz Konoha einschloss. »Keinen hier.« Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm das sagte, in diesen oder ähnlichen Worten, und jedes Mal überraschte es ihn wieder, wie eindringlich sie dabei werden konnte. »Du hast nichts falsch gemacht, Naruto. Du hast das Richtige getan.« Sie sah abrupt weg. »Was auch immer passiert, vergiss das nie.«
 

›Was auch immer passiert‹? Wenn er fragte, wie sie das meinte, würde sie bestimmt ausweichen, wie all die Male zuvor.
 

»Sakura-chan ... erinnerst du dich an Haku?«
 

»Haku? Du meinst ...«
 

»Ja. Er hat mich gefragt, warum ich unbedingt stärker werden wollte, und ob ich wohl jemanden hätte, den ich beschützen will. Er meinte den Menschen, der einem am allerwichtigsten ist. Der dem Leben einen Sinn gibt.« Er lachte leise. »Ich war damals echt so dumm, ich hab die Hälfte davon nicht begriffen.«
 

Sie lächelte vorsichtig. Obwohl es sicher aufbauend gemeint war und sie versuchte, ihre wahren Gefühle zu verbergen, mischten sie sich doch unverkennbar hinein. Dieser eine Tropfen Traurigkeit hatte Naruto schon oft das Gefühl gegeben, dass ihm irgendwas entging. Als müsste er etwas verstehen, das er einfach nicht zu fassen bekam.
 

»Wie wir nach dem Kampf gegen Kaguya gehofft haben, der Krieg wäre jetzt endlich vorbei«, sagte er. »Und dann wurde es noch einmal so hart für uns alle. Das hat furchtbar weh getan, nicht wahr?«
 

Ein unsicheres Flackern kam in ihre Augen, als wäre sie nicht ganz sicher, ob sie die Zeichen in seinem Gesicht wirklich richtig las. Sie wurde eine Spur blasser.
 

»Naruto, du …«
 

»Wenn man mal davon absieht, dir einen Korb zu geben«, scherzte er schnell. »Lass uns nicht mehr drüber reden. Ich will nicht, dass wir die Vergangenheit vergessen, aber vor uns liegt eine tolle Zukunft. Und dieser Teil unserer Vergangenheit ist jetzt doch nicht mehr wichtig.«
 

»Nicht mehr wichtig …?«
 

»Für sowas ist es viel zu schön heute Nacht. Wir haben es geschafft. Wir haben das Dorf und unsere Freunde.« Er streckte die Arme breit nach oben aus, als wollte er den ganzen Himmel umarmen, und ein Teil der Gedanken, die ihn geplagt hatten, fühlte sich tatsächlich schon leichter an. »Ab jetzt schaue ich nach vorn!«
 

Sakura sah ihn mit großen Augen an. Der Schrecken, den sie anscheinend bekommen hatte, fiel sichtlich von ihr ab.
 

»Ja, du hast Recht«, sagte sie erleichtert. »Das gilt für mich genauso! Ich will auch in die Zukunft schauen.«
 

Völlig unerwartet nahm sie seine Hand und drückte sie, und dann überrumpelte sie ihn noch mehr, indem sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuss auf die Wange hauchte.
 

»Sakura-chan ...« Tastend berührte er die Stelle, wo er ihre Lippen gespürt hatte. »W-wofür war das?«
 

»Du hast immer noch Geburtstag«, sagte sie verschmitzt.
 

War das ein Augenzwinkern? Flirtete sie etwa mit ihm?! Er blinzelte verdutzt, bis sie seine Hand losließ und die Ärmel ihrer Uniform zurechtzog.
 

»Ich muss zurück zu meinem Posten«, flüsterte sie. »Die Ablösung kommt gleich. Gute Nacht, Naruto.«
 

»Gute Nacht, Sakura-chan ... und, danke.«
 

»Huh? Wofür?«
 

Er tippte grinsend auf seine Wange. »Na dafür, dass du dich doch langsam an mich gewöhnst!«
 

Dieses Mal war ihr Lächeln absichtlich so zuckersüß, dass die Nachricht unmissverständlich ankam: ›Noch ein Wort, und du darfst meine Faust schmecken.‹
 

Sie winkte zum Abschied.
 

Staunend blieb Naruto stehen. Sakura hatte ihn wirklich überrascht. Er war absolut überzeugt gewesen, dass selbst das grausamste Genjutsu ihre Gefühle nicht hatte verändern können. Dass sie immer Sasuke lieben würde.
 

Konnte schon sein, dass er sich getäuscht hatte. Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht. Sie hatte seine Worte akzeptiert, nach vorne zu schauen, und die Art, wie sie seine Hand genommen hatte ... Sie war normalerweise doch nicht so.
 

Verwirrt strich er sich durch die Haare. Er kapierte es nicht wirklich. Aber schlussendlich waren es seine eigenen Gefühle, die zählten. Irgendwann würde er ihr bestimmt verzeihen können, aber dass er sich aus anderen Gründen zu ihr hingezogen gefühlt hatte, als er anfangs gedacht hatte, war ihm schon länger klar. In gewisser Weise hatte er um Sakuras Aufmerksamkeit gekämpft wie um die Aufmerksamkeit von ganz Konoha, wenn auch verstärkt durch eine unreife Verliebtheit. Er hatte auch hart dafür gearbeitet, doch als er sie dann eines Tages bekommen hatte, war er trotzdem noch nicht angekommen.
 

Er sah ihr nach, wie sie über die Dächer davonsprang.
 

Danke, dass du da warst, dachte er fest. Danke, dass du auf uns aufpasst.
 


 


 

Die Farbe des Mondes war wieder ein weißes Leuchten.
 

Als Sasuke sich auf zittrigen Beinen vom Boden aufrappelte, streckte Naruto die Hand aus, um ihm aufzuhelfen, so wie Kakashi zuvor ihm geholfen hatte. Es würde die Welt bedeuten, wenn Sasuke sie nahm.
 

Dies ist mein Herz.
 

Er erstarrte mitten in der Bewegung. Der andere Shinobi strahlte pure Abwehr aus, wie ein Igel, der die Stacheln aufstellt, und etwas warnte Naruto, dass er diese verlorene und neu aufgebaute Distanz zwischen ihnen besser respektieren sollte. Als würde er etwas kaputt machen, wenn er seine Seite der unsichtbaren Linie überquerte, auf der er zusammen mit Kakashi und Sakura stand.
 

Sasuke stemmte sich alleine hoch. Der Anblick seiner hängenden Schultern war so bedrückend, dass er ihnen die Worte raubte.
 

»Folge mir nicht«, sagte er dumpf, ohne die anderen beiden überhaupt zu beachten.
 

Keine Warnung, dass Naruto nicht gefallen würde, wie es ausging, wenn er eine zukünftige Begegnung erzwang. Keine zur absoluten Wahrheit erhobene Ankündigung, er werde ihn töten. Zum ersten Mal stellte Sasuke sich nicht über ihn, indem er seine Stärke verleugnete, gegen ihn standhalten zu können. Es war die Anerkennung, die Naruto so sehr von ihm gebraucht und die er ihm immer verwehrt hatte, selbst noch während ihres Kampfes vor wenigen Stunden, und das machte seine Zurückweisung schlimmer als alle Rückschläge, die Naruto je erlitten hatte.
 

Sasuke war immer auf andere Ziele fixiert gewesen und hatte ihn brüsk beiseite geschoben, weil er seinem Blick auf die wichtigen Dinge im Weg stand. Naruto war bis zuletzt ein Hindernis gewesen, ein Ärgernis.
 

Jetzt nahm Sasuke wirklich ihn wahr und nichts anderes mehr, und wies ihn ab, als wäre ein Feuer ausgegangen.
 

Ich kenne dein Herz, Naruto. Und du meins.
 

Und dennoch ...
 

Als er begriff, dass dies das Ende sein sollte, war er so geschlagen, dass er nicht einmal mehr weinen konnte.
 

Sasuke wandte sich ab. Dieses Mal hatte er keine Wahl. Naruto musste ihn ziehen lassen.
 


 

* * *
 

Darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, stieg er zurück ins Zimmer. Auf Zehenspitzen schlich er um die achtlos auf dem Boden verteilten Roben herum, die ungeduldige Hände ihm früher in dieser Nacht vom Leib gezerrt hatten, als stünden sie in Flammen. Extra leise atmend, schlüpfte er unter die kalte Bettdecke. Jetzt würde er aber schlafen!
 

… nur noch ein letztes Mal anschauen. Der pechschwarze Fleck auf dem Kopfkissen neben seinem sah aus, als wäre über dem Stoff ein Tintenfass zerbrochen. Unter den in alle Richtungen stehenden Haarsträhnen enthüllte der Rand der Bettdecke, die in der Zwischenzeit ein gutes Stück nach unten gerutscht war, so viel Haut, dass Naruto sich unmöglich abwenden konnte. Eine Schulter und ein Arm schimmerten weiß im Mondlicht, als warteten sie nur darauf, von ihm angefasst zu werden.
 

Er konnte sie nicht nicht anfassen.
 

Entgegen des gerade erneuerten Vorsatzes, Sasuke nicht zu wecken, legte er ihm die Hand auf die Schulter und strich langsam seinen Arm entlang. Die kräftigen Muskeln, die er unter der glatten Haut spürte, waren vollkommen entspannt. Er legte den ganzen Weg bis zu Sasukes Hand zurück, die flach auf dem Bett lag, fuhr auf dem Rückweg mit den Fingerspitzen zwischen den schlanken Fingern hindurch und registrierte ihr schwaches Zucken mit einem wissenden Lächeln. Seine Augen streiften kurz den dunklen Strich zwischen Sasukes Schulterblättern, das Gegenstück zu der viel größeren Narbe auf seiner Brust, aber er berührte ihn nicht. Stattdessen kehrte er bloß zur Schulter zurück und fand mit dem Daumen die Stelle, an der irgendein Knochen in einer markanten Spitze endete und die ihn irgendwie faszinierte. Er konnte nichts dagegen tun, dass er sich auch noch vorlehnte, um die Lippen auf den halb unter Haaren versteckten Nacken zu legen, der ihn anzog wie ein Magnet, und dann spürte er, dass Sasukes Augen offen waren.
 

»Wenn ich mich entschuldigen soll, dass ich dich geweckt habe, vergiss es«, murmelte Naruto. Selber schuld, wer immer nackt schlafen musste …
 

Sasuke brummte etwas Unverständliches. Er fasste das als Aufforderung auf weiterzumachen und knabberte an dem empfindlichen Nacken, den Duft von Sasukes Haaren tief einatmend. Seine Hand setzte ihre Reise fort und wanderte streichelnd über das rechte Schulterblatt in Richtung untere Wirbelsäule.
 

»Sie hat dich geküsst«, sagte Sasuke plötzlich raspelnd. Er klang ebenso eifersüchtig wie schlaftrunken. Naruto richtete sich auf einen Ellenbogen auf. Ein Paar hellwacher Augen fixierte ihn von unten.
 

Wie hatte Sasuke das mitbekommen? Von hier aus konnte man die Stelle, an der sie draußen gestanden hatten, nicht sehen, und es war praktisch unmöglich, dass er etwas gehört hatte. Es war die sehr stille Sorte von Kuss gewesen.
 

Der Bastard war zu aufmerksam ...
 

»Ja, hat sie«, sagte Naruto kokett. »Auf den Mund.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf sein Triumphgrinsen.
 

»Lügner.«
 

Ehe er irgendwie reagieren konnte, griff eine Hand um seinen Nacken und zog ihn herunter, um den Kuss einzufordern, der Sasuke gehörte. Vielleicht lag noch ein Traum auf seinen Lippen, weil sie sich so unbeschreiblich weich anfühlten. Es machte ihn ganz warm und benommen. Zärtlich und sanft war jedoch nicht die Sorte Kuss, die Sasuke im Sinn hatte. Seine Zunge verlangte Einlass, und sobald Naruto die Lippen einen Spalt breit öffnete, schob er sie tief in seinen Mund hinein. Dieses Ego ... es war perfekt für Naruto. Bereitwillig saugte er ein bisschen, und dann schloss er die Augen und genoss einfach das Gefühl der flinken, feuchten Zunge, die mit seiner spielte.
 

Waren sie wohl doch nicht total ausgepowert? Er selbst war jedenfalls schon wieder mehr als bereit, nach dem freudigen Prickeln in seinem Unterleib zu urteilen. Nach einer Minute oder zwei, in denen er sich schon auf Sasukes großangelegte Revanche einstellte, ließ die Hand seinen Nacken jedoch los und schob ihn entschieden weg.
 

»Das ist ein Kuss auf den Mund«, sagte Sasuke, und dann drehte er sich wieder um und nahm seine bevorzugte Schlafposition ein, auf der Seite liegend und von ihm abgewandt. Innerhalb weniger Augenblicke entspannte sich sein Körper vollkommen, und seine Atemzüge wurden flach und gleichmäßig.
 

Narutos Herz pochte wie wild von ihrem Kuss. Wieso musste der andere Ninja ihn auch immer so reizen? Den Kopf auf die linke Hand gestützt, versank er in den Schatten auf Sasukes Gesicht. Die neu entflammte Erregung klang nach einer Weile ab, sein Herz jedoch wollte sich gar nicht mehr beruhigen. Sein Puls ging einfach nicht runter, als wäre er auf Flucht eingestellt, als müsste er Sasuke auf der Stelle packen und an einen sicheren Ort bringen.
 

Dabei war es doch nirgendwo sicherer als hier. Irgendwo in seiner Magengegend spürte er eine Art starkes Ziehen, und ihm wurde klar, dass die seltsame Stimmung von vorhin noch lange nicht vorbei war. Sie schwappte ihm bis hoch um die Ohren, und plötzlich kam alles wieder: der bittere Nachgeschmack ihrer Trennung, die vielen durchwachten Nächte und die bizarren Träume, die ihn schwitzend aufwachen ließen und ihm eine Heidenangst einjagten. Die Jahre, in denen er mit einem klaffenden Loch in der Brust herumgelaufen war und nicht wollte, dass jemand es bemerkte, weil es so viele andere Dinge gab, die angepackt werden mussten. Es war hart, von Freunden umgeben zu sein und trotzdem das Wichtigste zu vermissen. Es war anstrengend, all das herunterzuschlucken und irgendwie weiterzumachen.
 

Ohne Sasuke hielt ihn manchmal einzig die sture Hoffnung aufrecht, dass sein Freund lebte und immer überleben würde, egal mit wem er sich anlegte. Er beschwerte sich nicht darüber, dass Kakashi statt ihm Hokage wurde. Als jedoch sein ehemaliger Sensei bei einem Privatbesuch seiner Fensterbank schmunzelnd erklärte, dass es zwar Spaß mache das Dorfoberhaupt zu sein, aber alten Damen über die Straße zu helfen und dabei wertvolle Literatur zu lesen noch viel amüsanter sei, wurde Naruto klar, dass er noch ein bisschen stärker hoffen musste. Vor einem guten Jahr hatte er Robe und Hut übernommen. Und Sasuke, der immerhin geschworen hatte, Konoha zu beschützen, spazierte nicht lange danach durch das Tor, als ginge er jeden Tag hier ein und aus. Wo er in der Zwischenzeit gewesen war und was er erlebt hatte, bekam niemand aus ihm heraus. Auch über seine Motive gab er im Grunde nichts preis, was nicht wenige von Konohas führenden Ninjas als unerhörte Frechheit betrachteten.
 

»Du wirst mich brauchen«, sagte er zu Naruto.
 

Das war’s.
 

Dass er darauf schiss, was alle anderen von ihm dachten, machte es nicht unbedingt leichter, die Leute dazu zu bewegen, ihn mit offenen Armen willkommen zu heißen. Naruto hingegen brauchte nicht mehr als diese Erklärung. Sasuke war hier, weil er es wagen wollte, auf ihre vereinten Kräfte zu vertrauen. Seine Beweggründe waren ja nicht so falsch gewesen. Es würde nicht ausreichen, dass die richtige Person Konohas Hokage wurde, um den Hass in dieser Welt zu bändigen; sie brauchten etwas viel Tiefgreifenderes, Mutigeres.
 

Und wer hatte ihn je mehr angestachelt als Sasuke? Er sah Probleme, die Naruto überhaupt nicht wahrnahm, und bot Lösungen an, die ihm im Traum nicht einfallen würden. Er war regelrecht gezwungen, bessere Ideen zu finden, wenn Sasukes Weg ihn ein bisschen zu sehr schockierte, dafür dass er so einleuchtend klang. Auch wenn es ein wenig an seinem Stolz nagte: Dass Sasuke an seiner Seite stand, machte ihn definitiv zu einem besseren Hokage.
 

All das machte aber nicht den Kern der Sache aus. Es erklärte nicht, warum Naruto so fühlte, wie er es tat. Wie er praktisch schon süchtig nach Sasukes Berührungen und nach dem Sex mit ihm war, aber seine körperlichen Bedürfnisse nicht existierten, wenn ihre Ansichten hart aufeinanderprallten. Wie die Reibung zwischen ihnen, und das unausgesprochene gemeinsame Verständnis dahinter, ihn auf eine ganz andere Art fliegen ließ und zu Höchstleistungen anspornte, und warum die Sehnsucht nach Sasuke ihn bis heute im Klammergriff hielt. Nach dieser ganzen Zeit hatte er immer noch nicht die richtigen Worte gefunden, um das Band zwischen ihnen zu benennen, doch wenn er es beschreiben müsste, würde er sagen, dass es etwas mit der Seele zu tun hatte.
 

Es stimmte, er brauchte ihn. So sehr, dass er ohne ihn den Verstand verlieren würde.
 

Meistens kam es ihm ja selbstverständlich vor, dass Sasuke wieder da war, weil hier sein Zuhause war und er hierher gehörte, Punkt. Doch es gab auch Nächte wie diese, in denen er diese simple Tatsache beinahe nicht glauben konnte. Auf einmal war nichts mehr selbstverständlich und einfach und klar, und dann musste er ihn berühren, nach ihm greifen und ihn festhalten, ihn schmecken und riechen und seine Hitze um sich spüren, um sich zu vergewissern, dass ihn nicht bloß eine Illusion gefangen hielt.
 

Und dieses Gefühl, diese unerklärliche Angst befiel ihn nicht nur deswegen immer wieder, weil Sasuke so lange weggewesen war. Es war mehr als das.
 

Seine Augen fanden wieder die grausige Narbe, Sasukes einzige Verletzung aus der Zeit nach dem Krieg, die deutliche Spuren hinterlassen hatte und die irgendwie der Schlüssel zu allem war.
 

Er hatte ihn beinahe verloren.
 


 


 

Der Stundenzeiger der Uhr näherte sich elf Uhr. Außer ihnen war in dem alten Holzgebäude kein Mucks zu hören. Sie waren allein im Badehaus. Seit Sasukes Rückkehr vor ein paar Wochen gingen sie zum ersten Mal zusammen ins Onsen.
 

Naruto war irgendwie aufgeregt. Er verstand nicht genau wieso, aber das hier war die perfekte Chance. Um die Uhrzeit kam bestimmt keiner mehr. Sie waren ganz ungestört.
 

Was auch immer er sich erhofft hatte, es verlief anders. Als Sasuke sein Hemd öffnete und nach und nach seine nackte Brust zum Vorschein kam, sog Naruto vor Entsetzen die Luft ein. Mit großen Augen starrte er auf eine riesige Fläche zerstörter Haut, die knapp unter den Schlüsselbeinen begann und sich in der Form eines asymmetrischen Sterns über beide Seiten des Rippenbogens erstreckte.
 

»Wir sind hier, um zu baden«, ätzte Sasuke, als er seinen Blick bemerkte. »Wie lange willst du mich noch anglotzen?«
 

Naruto hörte ihn nicht. Ein scharfer Schmerz durchzuckte seinen Kopf. Eine rasende Wut ließ ihm die Ohren klingeln. »Wer war das?«
 

Sasuke warf ihm einen langen Blick zu. »Nicht mehr wichtig.«
 

»Spinnst du?« Naruto nahm es kaum wahr, dass sein ganzer Körper angefangen hatte zu zittern. Was, wenn derjenige, der dafür verantwortlich war, erneut versuchen könnte, Sasuke umzubringen? Er war verdammt nah dran gewesen, das sah ein Blinder. »Wer ist in der Lage, dich derart zu verletzen? Ist er tot?«
 

Sasuke drehte sich weg und zog sich die Hose aus. »Hör auf zu fragen.«
 

»Also ist er nicht tot?«
 

Sasuke weigerte sich ihn anzusehen. Das war Antwort genug.
 

Naruto befand sich am Rande der Panik. Ihm war auf einmal irre heiß, und sein Kopf fühlte sich an wie kurz vorm Explodieren. »Heißt das, irgendwo da draußen läuft jemand rum, der dich umbringen will und der stark genug ist, dir das hier anzutun?« schrie er fast atemlos. »Es ist ein Wunder, dass du noch lebst! Wer sagt, dass er es nicht nochmal versucht?!«
 

Der Unwille zu reden stand Sasuke ins Gesicht geschrieben. »Er ist stark. Ich bin geheilt worden. Er wird nie wieder gegen mich kämpfen. Jetzt halt die Klappe.«
 

Es war verdammt schwierig, diese Erklärung, die keine war, einfach so hinzunehmen. Als Sasuke sich ruckartig umdrehte und mit dem Handtuch um die Hüften in den Waschraum davonstapfte, entdeckte Naruto auch die kleinere Narbe zwischen seinen Schulterblättern. Etwas, oder besser jemand, hatte seinen Oberkörper komplett durchbohrt.
 

Naruto war kurz vorm Ausrasten. Seit im Kampf gegen Pain beinahe das Siegel gebrochen und Kuramas böses Chakra ihn fast übernommen hatte, war er nicht mehr von solchem Zorn erfüllt gewesen. Es kostete ihn seine ganze Willenskraft, Sasuke nicht sofort nachzurennen und es mit Gewalt aus ihm herauszuprügeln. Natürlich hatte er gemerkt, wie Sasuke beim Sprechen zur Seite sah, wie seine Muskeln sich verkrampften und wie er sich bewusst dazu brachte, wieder lockerzulassen. Als würde ihn die Erinnerung an diesen Gegner, von dem Naruto absolut nichts wusste, noch immer quälen.
 

Es dauerte mehrere Minuten, bis er sich selbst wieder über den Weg traute und er in den Waschraum nachkommen konnte.
 

Ich muss es nicht sofort wissen, beschwor er sich. Sasuke weiht mich ein, wenn er dazu bereit ist. Es bringt nichts, wenn ich ihn damit nerve.
 

»Warum erzählst du es mir nicht?« fragte er, sobald sie das nächste Mal alleine waren. Es war zwei Tage später, und er platzte schon fast. »Vertraust du mir nicht?«
 

Wieder so ein Blick, den er nicht deuten konnte.
 

»Idiot. Ich vertraue dir.«
 

Er verstand diese Antwort. Und dann doch wieder nicht. Er versuchte ja, das Richtige zu tun; er glaubte Sasuke doch, dass der fremde Ninja keine Gefahr mehr war, und am besten ließ er ihn in Ruhe. Aber das war unmöglich, er konnte einfach nicht vernünftig sein und fragte sogar Sakura um Rat, welches Jutsu so eine Verwüstung verursachen könnte. Sie sah so erschrocken aus, wie er sich fühlte, aber ihre äußerst schwammige Antwort half ihm nicht im Geringsten weiter, und so landete er wieder bei Sasuke.
 

»Es war Madara, hab ich Recht? Er ist nochmal auferstanden!«
 

Sasuke zielte mit einem Chidori auf ihn und ignorierte ihn dann eine Woche lang. Das war wirklich das Ende der Diskussion.
 


 


 

Obwohl er das Thema schließlich fallen ließ, war Naruto wie besessen von dem Ninja ohne Namen und ohne Gesicht, bis zu dem Punkt, an dem er sich fast zwanghaft ausmalte, was für Kräfte er haben könnte. Sein Kopf tat nun regelmäßig und sehr viel stärker weh als zuvor, und sein Hirn fing an, ihm Dinge vorzugaukeln. Seltsame Details in seinen Erinnerungen, die nicht stimmen konnten, weil sie nirgendwo hineinpassten. Sakura hatte ihm erklärt, dass das nach einer Verletzung am Schädel passieren konnte, aber trotzdem ... diese Bilder fühlten sich so real an.
 

Wie Kakashi ihm um die Schultern griff und ihn die ganze Zeit festhielt, während er wild um sich schlug wie ein Nichtschwimmer, der im Meer unterging. Wie keine einzige Waffe in Reichweite war, nicht einmal ein einfaches Kunai, wie Sakura erschöpft neben einem aschfahlen Sasuke auf dem Boden kniete, wie erschrocken sie ihn anstarrten, alle drei, als hätten sie ein Gespenst gesehen, während eine überdrehte Freude ihn durchströmte und er nicht aufhören konnte zu rufen, »siehst du, keiner von uns muss sterben«, »ich werde immer für dich da sein« und »können wir jetzt endlich das Tsukuyomi auflösen?«

Wie sein Gesicht tränennass war.
 

Er hatte langsam das Gefühl, in seinem Kopf würde es spuken.
 

Dann fiel ihm auf, wie falsch Sakuras Lächeln war, und er war mehr und mehr überzeugt davon, dass es hier nicht bloß um Hirngespinste ging. Kakashi gab sich undurchschaubar wie immer, und Sasuke ...
 

Sasuke hatte eine Ewigkeit gebraucht, bis er sich wirklich fallen ließ, obwohl Naruto alles Erdenkliche dafür tat, damit er seinen Spaß hatte, wenn sie miteinander schliefen. Aber das lag bestimmt daran, dass es eben Sasuke war, oder?
 

Wenn ihm jemand helfen konnte, dann er. Naruto stürmte in die Hokagebibliothek.
 

»Was ist es, das ihr mir nicht sagt?«, rief er aufgebracht und klatschte die Hand auf die super komplizierte Schriftrolle, die Sasuke bis eben studiert hatte. »Ihr verschweigt mir irgendwas und das macht mich langsam echt verrückt!«
 

»Es macht dich nicht verrückt, glaub mir ...«, murmelte Sasuke.
 

»Hä?!«
 

»Nichts. Falls du es nicht gemerkt hast, ich bin beschäftigt.«
 

Mehrere Male störte er Sasuke bei irgendwas, aufgewühlt bis zum Rande der Verzweiflung, und jedes Mal wimmelte er ihn ab. Naruto war sich jetzt absolut sicher, dass es da etwas gab, das alle in seinem alten Team wussten, nur er nicht. Was konnte so schlimm sein, dass er nichts davon erfahren durfte? Er hasste das Gefühl, dass ihm etwas verheimlicht wurde, besonders von den Menschen, denen er am meisten vertraute. Sie wollten, dass er glücklich war, das begriff er schon. Sie sorgten sich um ihn. Aber es machte ihn trotzdem wütend, er fühlte sich so hilflos.
 


 


 

Mit einem Anflug von Übelkeit im Magen richtete er sich auf. Er musste die Narbe sehen, alles davon. So viele Nächte hatte er sie schon betrachtet, als würde sie ihm ihr Geheimnis irgendwann verraten, wenn er sie lange genug anstarrte, so oft hatte er grübelnd darüber gestrichen, wenn Sasuke tief und fest schlief. Sonst ließ er ihn sie ja nicht anfassen, immer schlug er seine Hand weg.
 

Dann wanderte sein Blick zu seiner eigenen Hand, die zögernd über Sasukes Brustkorb schwebte. Der Hals schnürte sich ihm zu. Plötzlich kamen ihm Zweifel, ob er das Gefühl unter seinen Fingern jetzt aushalten würde. Aber dann tat er es doch. Mit federleichten, zaudernden Fingern fuhr er die rauhen Stellen entlang, als wäre die Haut nicht längst verheilt, als wäre die Wunde noch ganz frisch.
 

›Es ist nicht mehr wichtig‹, hatte Sasuke gesagt und ihn damit sehr verwirrt und auch vor den Kopf gestoßen, weil er nicht kapierte, wie sowas nicht wichtig sein konnte.
 

Und Sakura. ›Was auch immer passiert‹.
 

Was sollte passieren?
 

Woher kam dieses Gefühl, er wäre dabei Sasuke zu verlieren, wo er doch hier bei ihm war, in seinem Bett? Die Frage hatte ihn so fertig gemacht. Bis er vor ein paar Nächten schweißgebadet aufgewacht war, ins Bad stürmte und sich die Seele aus dem Leib kotzte, weil die ganzen merkwürdigen Details und Fragmente plötzlich einen Sinn ergaben. Über der Kloschüssel hängend, wünschte er nichts sehnlicher, als dass das, was sein überhitztes Hirn damals so selbstsüchtig auf den Grund des Ozeans verbannt hatte, niemals zurück an die Oberfläche geschwommen wäre.
 

Weil es so unendlich schwer zu ertragen war.
 

Dies ist mein Herz.
 

Dich tot zu sehen würde mich in den Wahnsinn treiben.
 

Er wusste es. Der unheimliche Fremde, dessen Gesicht im Schatten lag, der ihn heimsuchte und bis in seine Alpträume verfolgte, den er zutiefst verabscheute, weil er Sasuke praktisch umgebracht hatte, und vor dem er sich am meisten fürchtete, weil er es wieder tun konnte, war er selbst.
 

Ich will dich doch beschützen.
 

Er war so knapp daran vorbeigeschlittert, das Versprechen eines Lebens zu brechen.
 

Mit einem zitternden Atemzug, der bis in seinen innersten Kern hineinreichte, zog er Sasukes Körper zu sich her, bis sie beinahe verschmolzen.
 

»Du bist wirklich hier«, flüsterte er erstickt gegen seine Schultern.
 

Sie hatten sich endlich versöhnt. Das Vertrauen in seine Stärke hatte nicht den höchsten, entsetzlichsten Preis gekostet, und das Leben hatte nicht aufgehört einen Sinn zu haben.
 

Aber nur um ein Haar, um eine Faser, um einen Tropfen Blut.
 

Und Freundschaft und Bitterkeit, Geborgenheit und Verlust, Glück und tiefste Verzweiflung lagen immer noch so nah beieinander, dass sie manchmal nur ein Haar trennte, ein falsches Wort, eine Träne.
 

Sasukes Haut war feucht, wo Naruto sein Gesicht dagegen drückte. Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell. Wie lange war er schon wach? Er drehte sich halb auf den Rücken und erwiderte Narutos Blick mit einem schwarzglänzenden Auge.
 

»Was ist los?«, fragte er, ein wenig heiser. Als Naruto nicht antwortete, drehte er sich ganz zu ihm um. Jetzt musterte ihn auch das Rinnegan. »Kannst du immer noch nicht schlafen?«
 

Naruto schüttelte den Kopf. Er traute seiner Stimme nicht.
 

»Warum nicht?«
 

»Weil ...« Er konnte nicht. Er konnte ihn nicht länger anschauen und er konnte ihn nicht nochmal direkt anlügen wie neulich Nacht, Sasuke würde es ihm ansehen, er war zu aufmerksam, er würde nachbohren, bis alles aus ihm herausplatzte, weil er ein plappernder Idiot war und sich an keine Grenzlinien halten konnte, die Sasuke zog, und er wollte dieser Idiot nicht sein. Es tat einfach zu schrecklich weh. Der ganze Tumult der letzten Tage stürzte über ihm zusammen wie eine brechende Sturmwelle, und mit einem heftigen Schluchzer vergrub er das Gesicht an Sasukes Halsbeuge. »Ich bin nicht traurig, ich bin glücklich! So glücklich!«
 

Sasuke erwiderte nichts, und es gab auch keine Worte. Aber er schlang die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich, sehr, sehr fest.
 

Sie würden nie darüber reden. War das nicht genau, wie es sein sollte? Wie es immer gewesen war?
 

Ich kenne dein Herz, und du meins.
 

Naruto kniff die Augen zusammen, lauschte auf das regelmäßige Klopfen in Sasukes Brust und wartete, dass sein innerer Aufruhr sich legte.
 

Er war glücklich.
 

Er war endlich angekommen. Sie hatten noch so viel vor. Und was auch immer sie taten, alles ... sie würden es gemeinsam tun.
 


 

ENDE
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (7)

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Von:  Nicol1971
2018-02-22T15:15:49+00:00 22.02.2018 16:15
Hi
Die Story war erste Sahne!!!
Ein großes Lob an dich
Hoffentlich liest man sich bald wieder

Chiao chiao
Von:  Honigschnute
2014-11-01T00:38:41+00:00 01.11.2014 01:38
Ich glaube es ist etwas kontraproduktiv wenn man diese Geschichte halb zwei nachts liest nachdem man schon die letzte. Tage kaum geschlafen hat.

Bei mir ist das zumindest so. Deine Story hat mich jetzt so aufgewühlt das ich sicher die nächsten Stunden auch nicht einschlafen kann. Aaaaber!... Das war's wert.

Dieses kleine Schmuckstück zu lesen hat mich sooo happy gemacht. Ich kann gar nicht richtig sagen warum ich so gefesselt war und haaaach. Keine Ahnung. Ohne Worte.

Ich muss allerdings zugeben das ich echt geheult habe was irgendwie sicher auch auf den Schlafmangel zurückzuführen ist. Aber trotzdem. Ich bin jetzt ein emotional verknotetes Wollknäuel... Oder so... xD

Natürlich ist die Geschichte auch etwas kitschig aber ich steh auf sowas wenn der Schreibstil passt. Und du hast das definitiv gerockt! :3

Okay, ich könnte sicher noch mehr schleimen aber ich glaube für heute ist es genug.

Ein letzes Mal: riesiges Lob an dich, deine Schreibstil und deine super Ideen. Ich bin sehr hart an fangirlen hier. Und das ist bei meinem momentan geistigen Zustand wirklich etwas... unpraktisch. :'D aber es muss sein.

Also, hoffentlich beglückst du uns weiterhin mit solchen Geschichten. Awesomelevel over 9000! ^_^

Von:  solty004
2014-10-29T19:35:36+00:00 29.10.2014 20:35
Hey,
Es war wieder ein super OS.

Es ist zuerst sehr verwirrend doch bis zum Schluss weiß genau was gemeint ist. So dass es ganze sin macht. Und man den Schmerz den Personen nach vollziehen kann.

Freu mich schon auf was Neues von dir für mein Kopf Kino.

LG Solty



Von:  Luxiana
2014-10-17T22:23:57+00:00 18.10.2014 00:23
Ich sage dir jetzt ganz erlich meine meinung,, ich habe die helfte wieder vergessen''ich weiß nicht aber ihrgendwie war mir das so wird geschrieben ich konnte mir nicht wirklich was merken :s sorry
Antwort von:  Lyssky
21.10.2014 15:17
die verwirrung ist ganz meinerseits ^^
wenn es so geschrieben ist, dass man die hälfte wieder vergisst, ist das schade ...
Von:  sadness
2014-10-17T20:04:07+00:00 17.10.2014 22:04
echt toll... der schreibstil ist fantastisch. schade das man solche geschichten immer erst zufällig entdecken muss... :o
Antwort von:  Lyssky
21.10.2014 15:13
Oh merci ^-^
(und psst: vielleicht gefällt dir ja was von meinem älteren zeug, das könntest du ganz systematisch durchgehen :'D)
Antwort von:  sadness
21.10.2014 17:47
da muss ich jetzt erstma schauen >:P
Von:  Piratenqueen
2014-10-17T10:40:47+00:00 17.10.2014 12:40
Das war toll
Mir fehlen die Worte....
Ein toller OS ich bin so ein SasuNaru Fan ^^
Gefühlvoll ich habe Tränen in den Augen

LG^^
Antwort von:  Lyssky
21.10.2014 13:42
Nicht weinen xD
Antwort von:  Piratenqueen
21.10.2014 14:40
Doch :'-)
Von:  Reika-chan
2014-10-16T18:46:56+00:00 16.10.2014 20:46
Einfach toll o___o *ganz gefesselt war*
Wunderschöner Schreibstil! Hach...ich muss mich noch sammeln. Es war super. Mehr kann ich nicht sagen.
Antwort von:  Lyssky
21.10.2014 15:08
Awww! Dankeeee :3


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