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Von unserer Scherbenwelt

Fortsetzung zu 'Von Dir und Mir'
von

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Ein Jahr später: Von einem traurigen Abend mit Giftzwergen und dem Küchenmesser in meinem Kopf...

"William Golding, Graham Swift...", murmelte ich und notierte mir die Namen der Autoren. Ich saß zu Hause in meinem Wohnzimmer und brütete über einer Liste für neue englische Buchtitel, die man in den Verlag aufnehmen sollte.

Für neue Titel hatte ich ein gutes Händchen, hatte es geheißen, und so hatte ich die Aufgabe bekommen, eine Liste für 10 Bücher zu erstellen, die ich und meine Kollegen aufnehmen und übersetzen sollten.

Ohne zu murren, sogar mit Begeisterung, hatte ich die Sonderaufgabe übernommen, da ich dadurch einen wesentlichen Einfluss auf das Spektrum des Verlags hatte. Sowieso liebte ich es, mir Neues anzuschauen. Zwar wurden einige der Bücher bereits in den 80ern oder 90ern geschrieben, der Verlag kümmerte sich nicht nur um Neuerscheinungen, aber sie waren nicht weniger interessant.
 

Gerade hatte ich die Liste auf 20 Titel reduziert und musste nun genau abwägen, welche 10 davon ich dem Chef vorlegte. Eine Fehleinschätzung wäre äußerst peinlich. Nun kam ich aber nicht weiter. Ich stand nicht unter Zeitdruck, zumindest hatte ich noch etwas Zeit, daher war es wohl besser, das Ganze für einen Tag liegen zu lassen.

Seufzend ließ ich den Kopf auf die Tischplatte sinken und schloss für einen Moment die Augen. Ich würde mir einen Moment gönnen, dann sollte ich wohl anfangen zu kochen. Karyu dürfte in einer halben Stunde, spätestens in einer, bei mir klingeln. Ab und an, wenn Karyus Schichtplan es erlaubte, aßen wir gemeinsam zu Abend.
 

Jäh begann mein Handy zu klingeln, weswegen ich aufschreckte und danach tastete. Es lag unter einem Stück Papier versteckt. Mit einem kurzen Blick stellte ich fest, dass es Karyu war. Freudig nahm ich ab. Er war wahrscheinlich schon unterwegs. "Ja? Karyu?"

"Guten Tag, Shimizu-san. Hier ist Dr. Miyoshi. Ich soll Ihnen von Dr. Matsumura ausrichten, dass er gerade noch einen Notfall reinbekommen hat. Ein Aneurysma, die OP dauert etwa 4 Stunden. Es tut ihm leid, aber Sie sollen nicht auf ihn warten. Er meldet sich morgen bei Ihnen.", flötete mir eine weibliche Stimme mit leichtem Bedauern entgegen.

Ich ließ die Schultern hängen. Das war doch nicht Karyus Ernst? "Hm...in Ordnung, danke für die Information. Auf Wiederhören", murmelte ich knapp und legte auf. Jetzt schickte Karyu schon seine Assistenzärzte vor, anstatt selbst anzurufen? Und überhaupt, schon wieder hatte er keine Zeit. Ständig diese Notfälle!

So hatte ich mir das Leben mit Karyu nicht vorgestellt...
 

Enttäuscht behielt ich das Handy in der Hand und wählte die Nummer eines Arbeitskollegen. Es dauerte eine Weile, bis er abnahm, aber es war überhaupt ein Wunder, ihn noch erreichen zu können. "Zero? Was gibt's denn?", erklang die überraschte Stimme des Anderen. Ich rief ihn nicht sonderlich oft an.

"Hey, seid ihr noch unterwegs?"

"Ja, sitzen noch in der Bar unseres Vertrauens. Kommst du vorbei?"

"Das würde ich gern...", murmelte ich zögerlich.

"Ok, wir sind bestimmt noch eine Weile hier. Komm ruhig. Ich freue mich."

Ich lächelte leicht. "Bis gleich."

Dann konnte ich mir jetzt ja etwas anderes vornehmen, wo Karyu mich versetzt hatte, und das nicht zum ersten Mal...
 

Ich stand auf und steckte das Handy in die Hosentasche. Was die abendlichen Bar-Besuche angingen, so war ich etwas aus mir heraus gekommen: ich folgte Hiro und einigen anderen Kollegen oft dorthin, sofern ich kein Date mit Karyu erwarten konnte, weil er im Krankenhaus war. Allerdings waren Karyus Arbeitszeiten abgesprochen, und daher geschah der jetzige Bar-Besuch eher aus Frust.

Ich füllte das Trockenfutter der Katze und wechselte das Trinkwasser aus, dann machte ich mich auf den Weg. Es sollte sich ja ein bisschen lohnen, daher wollte ich nicht trödeln. Die Bar lag in der Nähe des Verlags, ich wohnte aber einige U-Bahn-Stationen von dem Stadtteil entfernt. Eine Stunde war ich erst zu Hause, solange saßen die Anderen wohl schon an der Theke. Erfahrungsgemäß zog sich das Trinkgelage mindestens 2 1/2 Stunden hin.
 

Das Wetter war bescheiden. Seit einigen Tagen schon war es ständig wolkig und nicht selten regnete es. Das senkte nicht nur meine Laune, sondern auch meine Motivation. Ich mochte meinen Job, aber an manchen Morgen war es schwierig, überhaupt das Bett zu verlassen. Neben Karyu war ich auch schon lange nicht mehr aufgewacht, da sein Dienstplan momentan vorsah, dass er immer um 5 Uhr beginnen musste. Was nicht logischerweise zur Folge hatte, dass er früher zu Hause war. Ab und an kam es, so wie heute, vor, dass er um die 16 Stunden bis spätabends im Krankenhaus war. Das wiederum bedeutete, dass ich ihn manchmal tagelang nicht zu Gesicht bekam. Da hätte ich eigentlich auch gleich in Tokyo bleiben und eine Fernbeziehung führen können. Die war vermutlich genauso ereignislos.
 

Als ich 15 Minuten später die Bar betrat, sah ich mich vorsichtig um. Ich befürchtete, wie so oft, die Anderen nicht zu entdecken, aber glücklicherweise hatten sie es sich direkt an der Theke bequem gemacht. Nebeneinander, brav wie die Hühner im Stall, saßen sie aufgereiht auf den abgenutzten Barhockern. Ich ging auf meine Kollegen zu und ließ mich auf den freien Hocker neben Hiro fallen - er schien mir diesen extra frei gehalten, oder frei gemacht, zu haben. "Hallo, Leute...", murmelte ich in die Runde und hätte am liebsten den Kopf hängen gelassen. Ich hatte mir meinen Abend anders vorgestellt. Schöner.

"Hey Zero", ertönte es im Chor und bevor ich mich darauf konzentrieren konnte, worüber sie sich unterhielten, tauchte der Barkeeper direkt vor meiner Nase auf und beugte sich zu mir über die Theke.

"Na du armes Würstchen. Warum siehst du so geknickt aus?" Hizumi war freundlich und taktvoll wie eh und je. Dieser Giftzwerg.

Ich murrte. "Ich hatte nicht vor, hier in dieser verqualmten Spelunke meinen Abend zu fristen", antwortete ich ihm ehrlich und sah ihn dabei finster an.

Er grinste nur. "Qualm doch einfach mit, dann fällt es dir nicht auf. Was ist passiert, hat dich dein Lover versetzt?" Direkt ins Schwarze.

Böse erwiderte ich seinen Blick. Ich hätte ihm am liebsten das Glas aus der Hand geschlagen, dass er gerade abtrocknete. "Hat er nicht", log ich, um das Gesicht zu wahren.
 

"Wer hat Sie sitzen lassen?" Ich erstarrte für einen Moment und wurde rot dabei. Mein Chef...! Der hatte sich soeben neben mich gesetzt. Panisch sah ich Hiro an, der links von mir saß und formte lautlos das Wort "Warum?". Er grinste nur und hob eine Schulter. "Ablenkung", erwiderte er ebenso lautlos und gluckste, während er sich schon wieder den Anderen zuwandte.

Ich schluckte. Mein Chef war...merkwürdig. Er war vielleicht höchstens 10 Jahre älter als ich, auf jeden Fall wirkte er recht jung. Im Grunde war er umgänglich, konnte aber streng sein, wenn Fehler passierten. Absolut nachvollziehbar. Mir gegenüber verhielt er sich aber etwas anders. Ich konnte es nicht erklären, nicht beschreiben, aber da war etwas, wenn er mit mir sprach und mich ansah... Ich fühlte mich nicht besonders wohl in seiner Nähe. Auf Arbeit ging das noch, aber jetzt, privat? Da wollte ich ihn nicht sehen.

Ich räusperte mich. "Niemand hat mich sitzen lassen... Mein Freund arbeitet nur länger im Krankenhaus."

Er lächelte leicht. "Ah, der Arzt?"

Ich nickte nur und sah zu Hizumi, der umher wuselte. "Hey, Frechdachs, darf ich dann auch mal was bestellen?"

Tatsächlich wandte er sich mir zu, hatte aber schon ein verdächtig zuckersüßes Lächeln auf den Lippen. "Ja, gleich. Unterhalte dich so lange doch mit deinem Traumprinzen", erwiderte er und deutete mit einem Kopfnicken auf meinen Chef. Ich wurde puterrot und starrte den Barkeeper an.

"Das ist der Grund, warum dich keiner leiden kann!", murrte ich, doch er schüttelte amüsiert den Kopf.

"Nein, das ist der Grund, warum mich alle lieben", widersprach er und ging zur anderen Ecke der Theke, um jemanden zu bedienen, der sogar nach mir gekommen war. Das war doch die Höhe, warum ließ ich mir das jedes Mal bieten?!
 

Ich hörte Tsukasa neben mir lachen. Gegen den würde ich auch gerne mal was sagen, aber er hatte ja leider die Macht, mich rauszuschmeißen. Dabei mochte ich meinen Job. Nur er, mein Vorgesetzter, war mir suspekt.

"Ihr seid mir zwei. Läuft da was? Denn was sich neckt, das liebt sich.", meinte er neunmalklug, weswegen ich innerlich die Augen verdrehte.

Hizumi ging auch noch darauf ein, der das mit halbem Ohr offenbar mitbekam. Er warf uns ein Grinsen zu. "Na ja, wenn sein toller Arzt ihn vernachlässigt, sucht er sich eben eine sensible Schulter zum Ausweinen. Ein Mann wie er hat eben auch Bedürfnisse."

Das Rot meines Gesichtes stieg auf der Skala zu tomatenrot. "Ich bin anwesend! Bitte keine Spinnereien, während ich daneben sitze", wies ich den frechen Barkeeper und meinen Chef zurecht. Total schweigen konnte ich zu dem Ganzen nicht.

Die beiden lächelte nur amüsiert. Dass Tsukasa dem Frechdachs mit einer leichten Handbewegung andeutete, uns allein zu lassen, entging mir nicht. Meine Augen wurden schmal, aber ich sagte nichts. In der Gegenwart meines Chefs musste ich mich zusammen reißen. Das würde dann wohl doch kein langer Abend hier werden. Zumindest nicht, wenn Tsukasa die nächsten Stunden noch in der Bar direkt neben mir sitzen wollte.
 

"Tut mir leid", meldete Tsukasa sich unvermittelt zu Wort. Das komische Grinsen war von seinen Lippen gewichen. "Eigentlich mache ich nicht solche Scherze. Aber bei Hizumi..." Er unterbrach sich und wedelte mit der Hand umher.

"Bei Hizumi kann man einfach nicht anders", half ich ihm, woraufhin er mich überrascht ansah und nickte.

"Ja, er treibt einen in die Ecke. Da kann man nur sarkastisch drauf reagieren", stimmte er mir zu.

Kurz betrachtete er mich. "Hey, ziehen sich da Ihre Mundwinkel nach oben?" Ich hob eine Augenbraue. Tatsächlich war ich kurz davor gewesen, zu schmunzeln. "Sie lächeln so selten. Ich glaube, ich habe Sie noch nie wirklich lächeln sehen." Er schaute mich weiterhin an. "Da ist immer diese hochkonzentrierte Blick, die Augenbrauen zusammen gezogen. Ich habe immer den Eindruck, Ihnen gefällt der Job nicht."

Nun wurden meine Augen groß. Versuchte der Kerl gerade wirklich, mich hier während meiner Freizeit wegen des Jobs anzumachen? War er so unzufrieden mit meiner Arbeit? "Nein, ich mag meinen Job!", erwiderte ich, aber Tsukasa hob schon eine Hand.

"Nein, so habe ich das auch nicht gemeint. Es ist alles in Ordnung, ich hatte einfach nur durch Ihre finsteren Blicke das Gefühl, dass es ihnen keinen Spaß macht. Aber die Ergebnisse, die Sie liefern, zeugen sogar von Leidenschaft. Sie könnten durchaus mal lächeln." Er sah mich aufmunternd an, doch ich seufzte nur leise.

"Ja, aber danach ist mir nicht zumute", erwiderte ich wahrheitsgemäß. Oh man, versuchte er gerade tatsächlich mit mir ein ernsthaftes Gespräch zu führen? Darüber, warum ich nicht lächelte? Und ich ließ mich darauf auch noch ein?!

Karyu und sein Krankenhaus zogen mich definitiv runter.
 

"Mh... Ich gebe Ihnen ein Drink aus", beschloss Tsukasa und winkte Hizumi zu sich, der die Bestellung auch noch sofort aufnahm. Hatten die beiden sich gegen mich verschworen?

Schweigend saß ich neben ihm und nahm den Drink an. Auf die Fragen meines Chefs antwortete ich nur einsilbig, damit er mich endlich in Ruhe ließ. Er hatte mich nicht über meinen Freund oder meine Gefühle und Lächel-Gewohnheiten auszufragen. Er ging mir auf die Nerven.

Allerdings ließ er sich überhaupt nicht davon abschrecken, dass ich mit ihm nicht wirklich redete und stattdessen lieber in mein Glas starrte oder Hiro und den Anderen zuhörte. Er blieb neben mir sitzen und mischte sich in das Gespräch meiner Kollegen ein. Ab und an fragte er mich irgendwas Belangloses, was mit der Unterhaltung zu tun hatte.
 

Nach einer geschlagenen Stunde gab ich es auf. Die 5 Drinks, die ich in der Zeit gekippt hatte, hatten nicht dazu beigetragen, dass ich das ganze Gequatsche irgendwie ertrug. Seufzend kletterte ich vom Hocker und musste mich erstmal an der Theke festhalten. Das war wohl ein Glas zu viel gewesen.

Tsukasa hatte mich am Arm gepackt, um mich zu stützen und lächelte mich schief an. "Soll ich Sie nach Hause bringen?"

Ich schüttelte langsam den Kopf. "Bin nich' mit dem Auto hier", murmelte ich nur und fischte nach dem Portemonnaie in meiner Hosentasche.

Seufzend legte er die Hand auf meine. "Ich bezahle. Kommen Sie gut nach Hause."

Ich hielt inne und betrachtete ihn für meinen Moment. Ich wollte verneinen, aber dann spürte ich einen sanften Stupser in die Seite - Hiro. "Ehm, ja gut. Danke", murmelte ich und verabschiedete mich von allen, bevor ich schnellstmöglich verschwand. Tsukasa überlegte es sich sonst vielleicht noch anders und bezahlte doch nicht. Oder er wollte mich unbedingt nach Hause bringen, darauf hatte ich keine Lust.
 

Unterwegs schaute ich auf mein Handy und stellte fest, dass ich immer noch keine Nachricht von Karyu erhalten hatte. Wahrscheinlich stand er noch im OP...

Zu Hause griff ich tief seufzend im Kühlschrank nach einem Bier, aber als ich auf die Uhr sah, stellte ich die Flasche wieder zurück. Sich jetzt sinnlos zu besaufen und morgen zu spät zum Verlag zu kommen, nur weil ich wegen Karyu traurig war, brachte nichts als Ärger.

Deprimiert ließ ich mich wenig später ins Bett fallen. Es war Zeit, mal mit Karyu zu reden. So konnte das nicht weiter gehen. Ich war ja fast so unglücklich wie vor einem Jahr. Und wie ich meinen verdrehten Kopf kannte, würde ich demnächst wieder mit einem Küchenmesser in der Hand im Flur sitzen...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  --Tsuki--
2014-07-21T13:23:26+00:00 21.07.2014 15:23
Oh!!! Das ist ja cool, dass die anderen jetzt auch eine Rolle spielen! Hab ich irgendwie überhaupt nicht mit gerechnet!
Hehe, ich mag so freche Männer, die solche mürrischen Männer wie Zero ein bisschen aus der Fassung bringen :D
Man muss ja auch (außerhalb des Bettes) Spaß miteinander haben. Von daher halte ich Hizumi für eine ernstzunehmende Konkurrenz. Tsukasa nicht so, denn der erinnert mich von der Art her an Karyu, und den hat Zero ja schon (mehr oder weniger) zu Hause :3
Bin super gespannt, wer ihn wohl glücklich macht oder ob Karyu das ganz alleine hinkriegt.
Ich hoffe es ><
Von:  ManaHime
2014-07-20T23:42:03+00:00 21.07.2014 01:42
Die anderen Teile waren schon tol und freu mich voll das es jetzt so schnell weiter geht.
Ich finde deinen Schreibstil echt angenehm zu lesen, bin schon voll gespannt auf die nächsten Kapitel.



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