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Aufbruch nach Diwehidewe

von

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Prolog

Hätte er vorher gewusst, was ihn erwarten würden, dann hätte er sich die Sache sicherlich noch einmal überlegt und sich anders entschieden. Im Nachhinein betrachtet, fragte er sich zwar inwiefern es überhaupt seine Entscheidung gewesen war und ob er überhaupt so etwas wie eine Wahl gehabt hätte, wo doch sein ganzes Leben scheinbar schon von anderen Leuten entschieden worden war, ohne, dass er jemals einen Verdacht geschöpft hätte.
 

Nichts an seinem Leben war irgendwie besonders gewesen oder anders. Wenn er es sich recht bedachte, so hätte er sein Leben als langweilig betrachtet. Uninteressant. Nicht mal sein Name war besonders, nein, er empfand ihn eher als lästig. Hannes. Hannes Berg. „Hannes“, so hatte er oft geklagt, „heißt doch nun wirklich kein Mensch mehr.“ Vor allem keiner in seinem Alter. Dreiundzwanzig war er, der Hannes. Trotz Abitur hatte es ihn nicht an die Universität gezogen, stattdessen hatte er eine Ausbildung gemacht. Sein Vater hatte diese Entscheidung begrüßt. Etwas Bodenständiges. Die Wahl der Ausbildung – Fotograf – war dann doch eher ernüchternd für den alten Berg ausgefallen. „Brotlose Kunst!“, hatte der Vater, Klaus, oft gewettert. „Wie willst du da mal auf eigenen Beinen stehen?“ Klaus war Hausmeister. Ein bodenständiger und nützlicher Beruf, wie er empfand. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit buschigen dunklen Augenbrauen und fast immer in blauen Latzhosen und kariertem Hemd anzutreffen. Ein Zollstock ragt fast immer aus der Hosentasche. Er lebte das Klischee. Doch Klaus Berg war ein penibel und sorgfältig arbeitender Mensch. Und durch harte Arbeit und Fleiß, so sagte er stets, habe er es zu dem kleinen Einfamilienhaus in der Vorstadt gebracht in dem sie beide lebten. Es war kein schlechter Beruf, aber insgeheim wünschte sich Klaus, dass er mehr geschafft hätte. Lokführer. Das war sein Traum gewesen von dem nur noch die Modelleisenbahn im Keller zeugte. Das würde er aber niemals aussprechen, weil er ja immerhin doch recht zufrieden mit seinem Leben war, und deshalb duldete er auch die Berufswahl seines Sohnes. Außerdem hatte er nur noch seinen Sohn. Denn Heike, Hannes' Mutter war vor zehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Hannes' Vater hatte nie viele Worte darüber verloren und sich stattdessen voll und ganz in seine Arbeit gestürzt. Und Hannes? Der hatte irgendwann nicht mehr gefragt und es für sich akzeptiert. Er selbst war zu dem Zeitpunkt – es waren Sommerferien gewesen – mit seinen Großeltern im Zoo gewesen. Der Verlust hing wie ein klaffendes Loch im Raum, aber man mied das Thema. Das alte Fotoalbum lag zwar trotzdem oft aufgeschlagen auf den Tisch. Lächelnde Gesichter auf seidenmatt glänzendem Fotopapier. Beide blätterten gerne darin und schwelgten in Erinnerung. Nur nie zusammen. Nur hin und wieder war da ein verlegenes „Weißt du noch...?“, wenn sie bei irgendwelchen Familienfeiern beisammen saßen.
 

Das mit den Schweigen in beidseitigen Einverständnis schien auch gut zu funktionieren. Der Vater war die meiste Zeit auf Arbeit und Hannes verbrachte viel Zeit bei den Nachbarn. Die hatten auch schon früher auf Hannes aufgepasst, wenn seine Eltern ausgegangen waren. Der Nachbar war ein älterer Herr. Eigentlich Uwe, für Hannes aber immer hoch-respektvoll „Herr Weber“ genannt. Der hatte eine kleine Werkstatt, wo es immer nach Holz und Leim roch. Herr Weber war schon lange Rentner. Das Alter einzuschätzen fiel Hannes aber schon immer schwer. Der Mann wirkte immer als wäre er gefühlte dreihundert Jahre alt. Angeblich aber nur Zweiundsiebzig. Vielleicht hatte der Junge da schon etwas geahnt. Aber bis dahin war Herr Weber nur damit aufgefallen, dass er Hannes alles beibrachte, was er über das Schnitzen wusste und fand in dem Nachbarsjungen einen gelehrigen und talentierten Schüler. Hannes war ein kreativer Kopf, ein Träumer. Das zeigte sich nicht nur beim Schnitzen. Das war vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass er sich nach dem Tod seiner Mutter zurückgezogen hatte und sich lieber Büchern zuwendete. Dort konnte man in fremde Leben eintauchen, die spannender waren oder auch einfacher. Wenn er nicht mit Herr Weber auf der Gartenbank hinterm Haus saß und schnitzte oder sich mit dessen Frau über Bücher unterhielt. Denn die Nachbarsfrau, Christa – oder von ihrem Mann 'Christel' gerufen, liebte Detektivgeschichten und hatte selbst einige verfasst. Allein der Gedanke, dass sie abgedruckt worden waren, erfüllte die alte Frau mit gewissen Stolz. Ihr Blick war freundlich und ein gewisser Geist funkelte in den graublauen Augen hinter der goldrandverzierten Brille. Wenn sie lachte wirkten die Falten immer wie kleine Risse im Gesicht. Das Haar stand in grauweißen Locken vom Kopf ab, während ihr Mann seines immer sorgfältig zurückkämmte und auch von einem Bart sah man keine Spur. Hannes hatte sich nie getraut zu fragen, was der alte Mann denn mal gearbeitet hatte. Oder ob er überhaupt gearbeitet hatte. Das hätte der Junge als unfreundlich empfunden, selbst wenn er sich sicher war, dass er eine Antwort bekommen hätte.
 

Überhaupt hatte er sich nie gefragt, warum er so wenig über die Menschen in seinem Umfeld wusste. Er kannte seinen Vater und dessen Verwandtschaft, die er aber allesamt nicht gut leiden konnte. Vor allem Tante Helga war ihm ein Graus. Die Familie seiner Mutter kannte er nicht. „Deine Mutter war eine Waise.“, hatte sein Vater ihm mal erklärt und nie zugegeben, dass er selbst nicht mehr darüber wusste. Die Geschichte, die Heike damals erzählt hat, war nun einmal plausibel und nachvollziehbar gewesen. Damals, als er sie bei einer Tanzveranstaltung kennengelernt hatte. Hannes hatte nicht weiter gefragt. Fragen brachten genervtes Augenrollen mit sich. Zumindest bei den meisten Erwachsenen. Das hatte er gelernt. Erwachsen war er jetzt auch. Zumindest laut Ausweis. Dennoch war er sich sicher, dass er nicht zu der Art Erwachsenen gehörte, welche rastlos von A nach B hetzten und den Rest des Tages damit beschäftigt waren aufkommenden Stress und die Müdigkeit mit Zigaretten und Kaffee zu bekämpfen. Doch er gehörte sowieso nicht zu den normalen Erwachsenen. In Momenten wie diesen wünschte er sich solche einfachen Probleme...



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