Careful Rapprochement
Kapitel 2:
CAREFUL RAPPROCHEMENT
Vorsichtige Annäherung
Ein zaghaftes Klopfen schreckte beide aus ihren gemeinsamen Tagträumen. »Ja?«, ergriff Ran das Wort, hielt Conan aber weiterhin fest und dachte nicht daran, ihn loszulassen.
Die Tür ging auf und ein untersetzter Mann um die Fünzig lugte vorsichtig hinein. Es war Professor Agasa. Erstaunlicherweise hatte er die Kinder nicht mitgenommen, sondern nur Ai. Es war ja auch schon fast Abend und die Kinder waren alle mit Lernen beschäftigt, weil morgen ein größerer Test anstand. Ein Test, wofür aber Conan und Ai selbstverständlich nicht lernen mussten.
»Guten Abend Professor Agasa, und guten Abend Ai«, begrüßte Ran sie herzlich wie immer.
»Wir haben uns gedacht, mal wieder bei dir vorbeizuschauen, um zu sehen, wie es dir geht«, sprach der Professor mit einem Lächeln und überreichte ihr mit einem Strahlen einen Blumenstrauß, den er bis dahin mehr oder weniger geschickt hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte. »Der ist von Ai und mir.«
Desinteressiert sah Ai mit ihrer typisch kühlen Haltung – Arme abweisend vor der Brust verschränkt – zur Seite.
Erfreut lächelte die junge Frau ihn an. »Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen! Vielen Dank, das ist wirklich lieb von euch!« Sie machte Anstalten, aufzustehen, um eine Vase zu holen, doch da kam Conan ihr bereits zuvor. »Ich mach das schon!« In Lichtgeschwindigkeit riss er ihr den Blumenstrauß aus der Hand, nahm die leerstehende Vase mit, die auf dem Tisch stand, und war auch schon im Bad verschwunden.
Ai konnte über sein Verhalten nur lächelnd den Kopf schütteln. »Bis über beide Ohren verliebt und besorgt«, dachte sie schmunzelnd und sah aus dem Fenster, konnte dabei die schleichende Betrübnis in ihren Augen nicht verstecken. Dabei blieb ihr verborgen, dass sie dabei genauestens beobachtet wurde.
»Weißt du schon, wann du entlassen wirst?«, fragte Professor Agasa interessiert, nachdem er Platz auf einem Stuhl genommen und es sich ein wenig gemütlich gemacht hatte.
Ran nickte übereifrig. »Wenn alles gut läuft, kann ich nächste Woche schon aus dem Krankenhaus. Wir könnten also jetzt schon Pläne schmieden für … Ihr wisst schon. Wir könnten es gleich nächste Woche in Angriff nehmen.«
Professor Agasa und Ai tauschten kurz einen Blick aus, als eine scharfe Stimme ertönte, die alle Anwesenden aufschrecken ließ. »Haben wir nicht schon besprochen, dass du dich zu Hause erst regenerieren musst und es noch Zeit hat?«
Drei Augenpaare schielten ruckartig zu der Person, die gerade ein Machtwort gesprochen hatte.
Conan schritt anmutig aus dem Bad und stellte die Vase stumm neben ihrem Nachttisch ab. Seine Augen beharrlich geschlossen, sodass er abermals undurchschaubar wirkte.
In der Zwischenzeit hatten sie auch Ran über die ganze Sache mit der Schwarzen Organisation aufgeklärt. Sie wusste nun ebenfalls über alles Bescheid. Sowohl über die Organisation selbst mit den ihnen bekannten Mitgliedern als auch über ihren bisherigen Wissensstand, was das Vorgehen gegen diese anging. Sie war unter anderem auch in Ais tragische Geschichte eingeweiht worden.
Das alles hatte sie sehr mitgenommen, besonders die Tatsache, dass Sharon und Chris Vineyard ein- und dieselbe Person waren und sie auch unter dem Codenamen Vermouth Mitglied dieser Organisation war.
Die Frau mit diesen unendlich traurigen Augen … damals in New York.
Sie wusste nicht warum, aber sie hatte einfach so grenzenloses Mitleid mit dieser Frau. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie wirklich von Grund auf so böse war. Sie war bestimmt nur eine verzweifelte Frau, die keinen anderen Ausweg mehr wusste.
Doch all diese Gedanken behielt sie für sich – man würde sie doch wieder nur für zu naiv und gutgläubig halten. Und vielleicht hatten sie auch recht damit.
Inzwischen hatte sie die ganze Geschichte einigermaßen verarbeiten können. In allererster Linie war sie nur unglaublich froh, nun auch endlich über alles Bescheid zu wissen und nicht mehr ständig im Dunkeln tappen zu müssen. Über dieses Vertrauen, den sie ihr endlich entgegenbrachten, war sie unendlich dankbar.
Ran öffnete ihren Mund und wollte schon protestierend etwas einwenden, doch da öffnete er ihre Augen und sah sie mit so einem endgültigen Ausdruck an, der sie sofort verstummen ließ. Der Ausdruck besagte, dass er keine Widerrede duldete und dass alles doch zu ihrem Besten war. Und so gab sie sich gezwungenermaßen geschlagen. Wenn er schon so entschlossen war wie in diesem Moment, dann konnte ihn nichts und niemand von etwas Anderem überzeugen. Außerdem hatte sie so gar keine Lust, dass zwischen ihnen wieder eine endlos lange Diskussion entfachte – zumal sie ja gerade nicht alleine waren.
Ein Magenknurren störte plötzlich die Stille im Raum.
Ran fand als Erste ihre Sprache wieder. Lachend hielt sie dabei ihre Hand vor den Lippen.
»Sie haben bestimmt Hunger, oder? Ganz oben ist eine Kantine, da gibt es eigentlich ganz gute Sachen. Sie müsste offen sein, denn jetzt wird gerade bestimmt das Abendessen ausgeteilt«, informierte sie ihn mit einem kurzen Blick auf die große Uhr, die über der Eingangstür hing.
Conan pflichtete ihr nickend bei. »Genau, kommen Sie mit. Ich bringe Sie dorthin.« Lächelnd schritt er zur Tür, machte sie auf und hielt sie dem Professor hin, der ihn schleichend auf den Schritt folgte.
»Professor?«
Die tadelnde Stimme Ais ließ ihn kurz aufzucken und schnurstracks aus dem Zimmer verschwinden. Er wusste nämlich genau, worauf seine kleine Mitbewohnerin hinauswollte: Sicher würde sie ihn wieder auf seine verschlechterten Werte ansprechen und dass fetthaltiges Kantinenfraß sicher nicht unbedingt förderlich für ihn war.
Ai verdrehte bloß gelangweilt ihre Augen und seufzte kurz.
Nun waren sie ganz alleine im Raum. Es dauerte nicht lange, bis sich eine Unbehaglichkeit in ihr breitmachte. Ihre Nähe … war für sie irgendwie kaum zu ertragen. Sie schluckte kurz, machte kehrt und wollte schon den anderen beiden folgen, als sie eine Stimme davon abhielt.
»Ai?«
Sie stoppte mitten in der Bewegung, traute sich nicht, sich zu der Person umzudrehen.
Ran sah kurz zu ihren Händen hinunter. Wo sollte sie nur anfangen? Mit irgendetwas Unbefangenem am besten.
»Du hast sicher die Blumen ausgesucht, oder? Sie sind wunderschön. Vielen Dank.«
Das kleine Mädchen mit dem rotbraunen Haaren schloss ihre Augen. Unbewusst holte sie tief Luft.
Ganz ruhig. Es war doch nur eine harmlose Unterhaltung. Sie würde doch wohl noch zu einem kleinen, unverbindlichen Smalltalk mit ihr fähig sein. Das stand doch außer Frage!
Mit diesem Entschluss drehte sie sich langsam zu der jungen Frau um, der sie früher noch nicht einmal in die Augen sehen konnte. Wenigstens da hatte sie deutliche Fortschritte gemacht. »Ja. Ich wollte die Wahl des Blumenstraußes nicht unbedingt Professor Agasa überlassen – am Ende hätte er dir noch weiße Lilien gebracht.«
Weiße Lilien – die traditionellen Totenblumen. Hätte Ran nicht zuvor schon gewusst, dass sich hinter diesem kleinen Mädchen eigentlich eine zwanzigjährige Frau befand – allerspätestens jetzt hätte sie es zumindest geahnt. So ein Sarkasmus konnte nicht von einem neunjährigen Mädchen kommen.
»So sind eben Männer«, versuchte Ran, das Gespräch aufzulockern und lächelte abermals.
Notgedrungen sah sie aus dem Fenster, da sie Ai mit ihrem permanenten Blick nicht verunsichern wollte. In ihren Augen bildete sich auf einmal ein Ausdruck von … Mitleid. Sie sah wieder zu Ai, nachdem sie in ihrem Kopf sorgfältig die richtigen Worte gewählt hatte.
»Ich … Wir haben, seit ich die ganze Geschichte erfahren habe, gar nicht mehr unter vier Augen darüber reden können. Ich … Ich wollte dir nur sagen, dass es mir wirklich schrecklich leidtut. Du hattest es nicht einfach gehabt in der Vergangenheit und ich verstehe nun, warum du immer so … in dich gekehrt bist. Du musstest so schreckliche Qualen durchleiden – das hat niemand verdient. Das hast du nicht verdient.« Ihre Stimme brach ab, da sich inzwischen Tränen in ihren Augen gebildet hatten. Schnell wischte sie sie ab.
Ai konnte sie nur fassungslos anstarren. Was war nur mit diesem Mädchen los? Worauf wollte sie hinaus? Wollte sie sie nun nur bemitleiden? Und warum fing sie nun auch an zu weinen? Die Forscherin konnte sich keinen Reim daraus machen. Diese abstruse Situation überforderte sie total.
Die Verwirrung stand ihr wie ins Gesicht geschrieben, bis sie sich von dem durchdringenden Blick der Größeren löste und abweisend zur Seite sah. »Das hilft mir jetzt leider auch nicht weiter. Und du musst mich nicht bemitleiden: Es geht mir inzwischen gut. Wirklich sehr gut«, versicherte sie ihr und … es bildete sich sogar ein Lächeln auf ihren Lippen. Allerdings ein falsches.
Unüberzeugt schüttelte Ran bloß ihren Kopf, was die Kleinere stutzen ließ. »Ich sehe, wie du still und heimlich leidest. Die ganze Zeit. Wegen deiner Vergangenheit, aber ich bin mir sicher, dass da auch noch … etwas anderes ist.«
Langsam wurde die geschrumpfte Frau wütend. Was erlaubte sie sich, so etwas zu behaupten? Sie hatte doch nicht die geringste Ahnung. Sie wusste nichts. Einfach absolut gar nichts. Sie holte aus, um ihr genau das auch direkt ins Gesicht zu sagen, doch dann kam der Satz, mit dem sie niemals in ihrem Leben gerechnet hätte …
»Du liebst ihn, nicht wahr?«