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Devil Records

von

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Record #1

„Guten Tag, Mister Millis, mein Name ist Bradley Shern und wie Ihnen sicher mitgeteilt wurde, werde ich Ihnen ein paar Fragen stellen.“, begann ich diese Sitzung. Etwas, das für mich mittlerweile vollkommen alltäglich geworden war.

Am Anfang meiner Karriere hatte ich mir oft den Kopf über den richtigen Einstieg zerbrochen: Klingt guten Tag wirklich seriös genug? Oder doch lieber ein es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.

Nach fünf Jahren entschied man sich dafür, das zu wählen, was für einen selbst am bequemsten war.

Der junge Mann, mir gegenüber, hatte sich meine Eröffnung geduldig angehört. Er saß auf einem Stuhl und betrachtete mich aus seinen blauen Augen, ganz ruhig. Oft waren Leute in seiner Situation nervös und ängstlich oder aggressiv , aber er? Er saß da, ganz gelassen. Der Ausdruck in seinen Augen war eher neugierig, vielleicht sogar ein bisschen belustigt.

Ebenso hatte er mir ruhig zugesehen, als ich das Tonband, aus meiner Aktentasche geholt und es angeschaltet hatte.

Er hatte mich nicht gegrüßt, als ich in das Zimmer gekommen war, aber als ich ihn gefragt hatte, ob es ihn denn stören würde, wenn ich unsere Gespräche aufzeichnen würde, hatte er einzig und alleine „Nur zu.“ geantwortet, ganz salop, mit einem frechem Grinsen.

„Um den gegenseitigen Respekt zu bewahren, möchte ich, dass Sie mich Dr. Shern nennen. Ist das verständlich für Sie?“, fragte ich ihn also, während ich ihm ebenso gegenüber saß.

Seine Mundwinkel zuckten leicht, als würde er sich das Lachen verkneifen müssen.

„Wenn Sie sich so wohler fühlen, Dr. Shern, gerne.“

Ich musterte Ryan, um mir ein Bild von ihm zu machen. Natürlich wusste ich, warum ich hier war. Ich kam niemals, ohne dass mir ein polizeilicher Bericht zugesandt wurde, aber das änderte nichts daran, dass ich mir selbst ein Bild von ihm machen musste.

Ryan hatte schwarze Haare, lockig. Ein hübsches Gesicht, recht unscheinbar. Würde er mir auf der Straße begenen, ich hätte sein Gesicht schnell wieder vergessen. Auf den ersten Eindruck war nichts Außergewöhnliches an ihm. Keine krumme Nase, keine auffälligen Narben, kein Bart.

„Schön, Mister Millis, wenn es Ihnen recht ist, möchte ich mit ein paar Personen-bezogene Fragen starten, einfach um meine Daten abzugleichen.“, erklärte ich ihm.

Wenn ich in sein Gesicht sah, sah ich, dass wir beide wussten, dass meine nächsten Fragen nicht zum simplen Datenabgleich gedacht waren. Eher dazu, um zu sehen, wie bewusst er sich über sich selbst war, ob er meinen Fragen überhaupt folgen konnte.

Früher hatte ich oft, fälschlich, angenommen, mit jedem Patienten normal sprechen zu können. Leider war doch oft der Fall, dass man sich nicht normal unterhalten konnte. Viele Patienten waren zu verstört, in dieser Situation oder so psychisch instabil, dass sie selbst einfachsten Fragen über sich selbst nicht beantworten konnten.

Ryan wirkte so ruhig, als hätten wir uns auf eine Tasse Kaffee getroffen.

„Bitte, nennen Sie mir Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum.“, forderte ich ihn auf.

„Ryan Millis, geboren am 31. Oktober 1986.“, antwortete er mir, wie ich erwartet hatte. Ich hatte seine Akte gelesen und kannte seine Daten auswendig, nur die Grunddaten, um sicher gehen zu können, dass ich wusste, wann er etwas Falsches sagte, sicherheitshalber hatte ich diese allerdings noch in meiner Aktentasche.

„Sie haben an Halloween Geburtstag. Wie fühlen Sie sich mit dem Gedanken?“

Ich hatte bis jetzt noch nicht das Vergnügen gehabt, jemanden zu treffen, der an einem solchem Tag Geburtstag hatte, aber ich konnte mir vorstellen, dass er es nicht leicht gehabt hatte, als Kind, was das anging. Die Versuchung, ein Kind, das an Halloween Geburtstag hatte, Monster zu nennen, war wohl doch ziemlich groß.

„Sehr gut, danke der Nachfrage. Mir hat der Gedanke schon immer gut gefallen. Ich schätze, Sie kennen niemanden, der am 31. Oktober Geburtstag hat. Ich kenne, bis auf mich, auch niemanden.“, antwortete er mir lächelnd und gab mir dazu den Anreiz zu einer neuen, nicht Kontroll-bezogenen Frage.

„Mögen Sie es, sich als etwas besonderes zu sehen, Mister Millis?“

Ryan schenkte mir ein weiteres Grinsen, so breit, dass er mich seine schneeweißen Zähne sehen ließ, antwortete aber mit einem schlichtem: „Ja.“

Auch nach einer kurzen Pause meinerseits, schien er sich dafür entschieden zu haben, nicht weiter reden zu wollen.

Ich nickte also und beschloss fortzufahren.

„Ihr Alter, bitte und Ihr Geburtsort.“

„Ich bin 27 Jahre alt und in Baltimore geboren. Ich bin dort aufgewachsen, in die Vorschule gegangen, in die Junior High, danach die Highschool, danach kam das Colleg, ich habe dort Musik studiert.“, erzählte er mir, mehr als ich eigentlich hatte wissen wollen, „Ich glaube also, die Daten, die Sie über mich haben, sind korrekt, Dr. Shern, wenn wir nun fortfahren könnten.“

Während er mich dazu anhielt fortzufahren, bewegte er seine linke Hand in einer weitverbreiteten, drängenden Geste, als würde er ein Wasserrad ankurbeln wollen, legte sie danach aber, wie vorher, locker in seinen Schoß und sah mich erneut schweigend und abwartend an. Trotz dessen, dass er mich gedrängt hatte, wartete er offensichtlich darauf, dass ich so weit war.

Es gefiel mir nicht, dass Ryan unsere Sitzung momentan leitete und entschied, wann ich mit den persönlichen Fragen zu enden hatte. Hätten wir hier nicht unser erstes Gespräch, hätte ich es ihm wohl nicht ganz so leicht durchgehen lassen. So wollte ich allerdings erst einmal sein Vertrauen gewinnen.

„Wissen Sie, warum Sie hier sind?“, fragte ich ihn also weiter, da er mir die restlichen Fragen vorneweg genommen hatte. Ich beschloss mich also erst mal darauf einzulassen und fortzufahren.

Es war wichtig, auf den Patienten einzugehen, ich hatte schon oft Fälle gehabt, in denen sich die Patienten verschlossen hatten, wenn man am Anfang nicht behutsam mit ihnen umging und ich war gut in meinem Job, einfühlsam, also überließ ich es erst mal ihm, wie schnell es ging.

Ryan lies mich nun doch ein Lachen hören. Nur leise, leicht zu überhören, aber eindeutig vorhanden.

„Tut mir leid, Dr. Shern, aber es fällt mir schwer mich zu öffnen, wenn ich nichts von Ihnen weiß. Es wäre mir recht, wenn Sie sich etwas genauer vorstellen könnten. Ich muss Ihnen doch vertrauen, verstehen Sie?“, fragte er mich, in einem zuckersüßem Ton, der mir nur noch mehr zeigte, dass er mir auf der Nase herumtanzte, dabei hätte seine Fragestellung alleine wohl schon gezeigt, wie ernst er mich nahm.

Ich lies es also erst mal zu und kommentierte es nicht. So, als wäre mir nicht aufgefallen, dass er sich, schon während der ganzen Zeit, über mich lustig machte.

„Wie schon erwähnt, ist mein Name Bradley Shren, ich bin 32 Jahre alt und arbeitete schon seit fünf Jahren hauptberuflich als Psychiater. Meine Aufgabe ist es, psychologische Gutachten von Straftätern zu erstellen. Und nun antworten Sie, bitte, auf meine Frage, falls Sie sich noch daran erinnern können.“, forderte ich ihn freundlich auf, natürlich ein bisschen drängend, aber ich hatte nicht vor, mich zu sehr von ihm ärgern zu lassen.

„Es freut mich Ihre Bekanntschaft zu machen, Dr. Bradley Shern.“, schmunzelte Ryan und fixierte mich ebenso ungehemmt wie ich ihm.

Ihm entging sicher auch nicht, dass ich meine Beine locker überschlagen hatte und meine Hände, ruhig gefaltet auf dem Tisch lagen, der zwischen uns stand.

Er wirkte sehr aufmerksam in seiner Beobachtung. Hatte sich aber wohl gegen seine Antwort entschieden oder aber, er hatte die Frage vergessen.

Ich begann also ein weiteres mal, mit eben jener Frage: „Wissen Sie-“

„Warum ich hier bin, ja. Weil Sie ein psychologisches Gutachten von mir erstellen möchten, Dr. Shern. Das sagten Sie doch gerade.“, antwortete er mir lächelnd.

„Das ist richtig, aber meine Frage bezog sich darauf, ob Ihnen bewusst ist, warum ich ein psychologisches Gutachten erstellen soll.“

Es war nur zu offensichtlich, dass sich der junge Mann einen Spaß daraus machte, meine Fragen misszuverstehen oder nicht anständig darauf zu antworten.

Natürlich gab es Schöneres als das, aber mir war genau so bewusst, dass das wohl seine Schutzhaltung war. Oft reagierten Patienten aufmüpfig oder provozierend, um den Gegenpart, in dem Fall mich, aus der Reserve zu locken, um sich selbst zu schützen.

Es galt also ruhig und besonnen zu bleiben und sich nicht provozieren zu lassen. Ryan schien nicht auf den Kopf gefallen zu sein und wenn man sich aufregte, passierten Fehler.

Meine Aufgabe war es, natürlich, fehlerfrei zu arbeiten.

„Ich kann Ihnen nur sagen, aus welchen fahdenscheinigen Gründen ich verhaftet worden bin, mehr leider nicht. Mir ist selbst nicht bewusst, was genau gegen mich vorliegt.“, lächelte Ryan, sehr gelassen, als wäre er sich wirklich keiner Schuld bewusst.

„Bitte, nennen Sie mir den Grund, Mister Millis.“, bat ich ihn, geduldig, „Sagen Sie mir, so viel, wie Sie darüber wissen.“

„Ich war in Garden City. Sieben Tage lang, also genau eine Woche und war eigentlich auf der Durchreise. Als ich an diesem Montag festgenommen wurde, habe ich mich mit zwei Kindern unterhalten. Ich habe zuvor das Baseball-Spiel der Middleschool in Garden City besucht. Zwei Kinder haben auf ihre Eltern gewartet und ich habe mich zu ihnen an den Spielfeldrand gesetzt, um mich mit ihnen zu unterhalten. Nichts weiter. Als die Eltern kamen, tat das auch die Polizei und hat mich festgenommen.“, erzählte er mir, wobei das nur ein Bruchteil von dem war, was ich in der Akte gelesen hatte und hätte es sich so abgespielt, wäre es wohl wirklich nicht weiter aufsehen erregend gewesen.

Man hätte wohl wirklich gedacht, dass er ein besorgter Bürger sein würde, der sich darum sorgte, dass die Kinder abends nicht nach Hause gekommen wären.

„Mister Millis, ist Ihnen bewusst, in welchem Zustand die Kinder waren, als deren Eltern dazu gestoßen sind?“, fragte ich geduldig, musterte ihn abermals aufmerksam.

Veränderte sich sein Gesichtsausdruck? Zeigte er irgendwelche Empfindungen?

„Sie haben geweint.“, erzählte Ryan stattdessen, zeigte dabei sogar ein belustigtes Grinsen. Er wirkte nicht betroffen oder traurig, nicht verstört oder ängstlich. Er wirkte trotz allem ruhig, obwohl er mir gerade von den weinenden Kindern erzählte.

„Das ist richtig, sie haben geweint und sich, vor Angst, an den Händen gehalten. Als ihre Eltern zu Ihnen und den Kindern gestoßen sind, haben die Kinder gezittert und wollten sich danach nicht über das Gespräch äußern.“, formulierte ich Ryan's Worte also aus, damit er sich bewusst darüber wurde, dass es durchaus besorgniserregend war.

Er schien das nur leider überhaupt nicht so zu sehen und ich schloss darauf, dass er wohl psychisch nicht in der Lage war, daran etwas Falsches zu erkennen, aber das war leider öfter so. Etwas, was wohl auf jeden Fall dafür sprach, dass er ein psychisches Problem hatte.

„Das kann ich mir vorstellen.“, schmunzelte Ryan, weiter, ohne ein Wort der Reue, aber er schien mir leider keine wirkliche Auskunft darüber geben zu wollen, also lag es an mir, noch ein bisschen nachzubohren.

„Können Sie mir sagen, worüber Sie sich mit den Kindern unterhalten haben?“, fragte ich ihn weiter freundlich. Als ich angefangen hatte, als Psychiater zu arbeiten, hatte ich wirklich nicht gedacht, dass man für diese Arbeit der Art viel Geduld brauchen würde. Mittlerweile hatte ich mich größtenteils daran gewöhnt, denn der Wahrheit auf die Spur zu kommen, war oft eine Frage der Zeit und der Ausdauer.

Aus diesem Grund war ich wohl Psychiater und nicht Polizist.

„Das könnte ich, Dr. Shern. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich habe vor, mich noch ein bisschen länger mit Ihnen zu unterhalten. Ich werde es Ihnen sagen, wenn die Zeit gekommen ist.“, informerte er mich, wobei er nicht minder geduldig wirkte.

Wir würden wohl sehen müssen, wer im Endeffekt wirklich der Geduldigere von uns beiden war.

„Waren die Kinder am Spielfeldrand die einzigen Kinder, die Sie angesprochen haben, Mister Millis?“, fuhr ich fort, in der Hoffnung, ihm eine weitere klare Antwort entlocken zu können.

„Nein. Ich habe mich noch mit weiteren Kindern in Garden City unterhalten und mit vielen Kindern in anderen Städten, aber wir würden morgen noch hier sitzen, würde ich Ihnen jede einzelne Stadt aufzählen.“, schmunzelte er, wobei ich leicht die Stirn runzelte, weil ich nur noch von den Kindern in Garden City wusste, aber offensichtlich gab es da noch sehr viel mehr. Ich beugte mich zu meiner Tasche, um seine Akte daraus zu ziehen und darin herumzublättern. Vielleicht hatte ich etwas übersehen – Aber nein. Einzig und alleine drei Vorfälle, der gleichen Art, in Garden City waren in seiner Akte gemeldet.

„Bitte, werden Sie etwas genauer, Mister Millis.“, forderte ich ihn auf, nachdem ich die Akte wieder geschlossen und auf meinen Schoß gelegt hatte.

„Ich bin in Baltimore losgelaufen, hoch, nach New Brunswick, durch Pennsylvania, New York, alles was dazwischen lag. Ich bin zu Fuß gelaufen und habe mich in jeder Stadt mit Kindern unterhalten. Ich bin in den Jahren, durch jede, noch so kleine Stadt gegangen, um mit Kindern zu reden.“, erzählte er seelenruhig und brachte mich dazu, ihn einen Moment sprachlos anzusehen.

Sollte dem wirklich so sein – wie konnte es sein, dass er erst jetzt festgenommen wurde? Wieso hatten so wenig Leute Vorfälle gemeldet?

Ich hatte keine Kinder, aber sollte ich welche haben, hätte ich es der Polizei gemeldet, wenn ein fremder Mann, meine Kinder zum Weinen brachten und sie nach einem Gespräch mit diesem vollkommen verstört waren, so wie es die Kinder, von denen ich aus Garden City wusste, gewesen waren.

„Hatten Sie jemals sexuellen Kontakt zu Kindern, mit denen Sie gesprochen haben?“, fragte ich ihn also ganz direkt. Mir war durchaus bewusst, dass ich die Frage zu verfrüht stellte und ich ärgerte mich einen Moment über meine Unprofessionalität. Einerseits war ich doch nur ein Mensch und neugierig und andererseits dachte ich natürlich an die Kinder, die so verstört gewesen waren.

Ryan schien das ebenfalls aufzufallen, denn er kommentierte meine Worte mit einem Augen rollen und einem Seufzen.

„Dr. Shern, bitte. Finden Sie es richtig, dermaßen hart einzusteigen? Wir sind gerade in unserer ersten Sitzung, wollen Sie mich denn ganz verschrecken?“, fragte er mich schmunzelnd, dabei machte er sich nicht einmal die Mühe, so zu tun, als hätte es ihn wirklich verschreckt. Er verhöhnte mich ganz offen. „Ich fühle mich ganz eingeschüchtert, an Hand Ihrer schlimmen Fragen. Ich will Ihnen dennoch antworten und dann möchte ich, dass wir mit einem etwas weniger intensivem Thema weiter machen. Ich bin mir sicher, dass Sie eigentlich ein paar wunderschöne Rorschach-Bilder in Ihrem Aktentäschchen haben. Oder zumindest noch ein paar Fragen, die nicht dazu da sind, meine pädophile Neigung zu unterstreichen, sondern eher, um mich kennenzulernen, zum Beispiel Fragen zu meinen Eltern. Aber um Sie zu enttäuschen und Ihnen den Fall etwas schwerer zu gestalten: Nein, ich hatte niemals sexuellen Kontakt zu Kindern.“

Er wirkte derart belustigt dabei, dass es mir wirklich einen Moment schwer fiel, einfach ruhig auf seine Wünsche einzugehen.

Ich war mir sehr sicher, dass er kein bisschen eingeschüchtert war und dass er nur mit mir spielte, aber für heute, das hatte ich ja vorhin beschlossen, wollte ich es ihm durchgehen lassen. Ich war angewiesen auf seine Antworten und wenn er beschloss, mir gar nichts mehr zu erzählen, war ich die Person, die ein Problem hatte, also blieb mir im Moment nichts übrig, als mich darauf einzulassen.

„Gut, Sie möchten mir also etwas von Ihren Eltern erzählen.“

Es war oft so, dass Patienten über Ihre Eltern reden wollten, um die Schuld von sich zu nehmen. Oft sagten sie dann etwas, wie: Meine Eltern haben mich nicht geliebt, deswegen kann ich keine Liebe zeigen. Oder ähnliches schuldabweisendes Gerede.

Oft war es leicht, die Schuld auf die Eltern zu schieben, die ja für die Erziehung verantwortlich waren. Natürlich war es wichtig, nicht alles für bare Münze zu nehmen, aber auch das zeigte ein gutes Bild des Patienten. Eben einerseits, ob man die Schuld bei sich selbst lassen konnte oder lieber auf andere schob oder auch, ob gegen die Eltern eine gewisse Aggression vorlag, die vielleicht auch auf die Kindheit zurückzuführen war.

„Leben sie noch zusammen oder sind sie geschieden?“, fragte ich also noch genauer nach.

Von Ryan war abermals ein leises Lachen zu hören. „Ich möchte nicht über meine Eltern reden. Ich dachte nur, dass das Psychologen oder Psychiater häufig tun, ich wollte Sie daran erinnern, wie Sie Ihre Arbeit zu tun haben, Dr. Shern. Meine Eltern waren, so weit ich mich erinnern kann, zwei sehr liebevolle Personen. Meine Mutter, Susanne, hat sich immer fürsorglich um mich gekümmert. Ich war ein Einzelkind, ihr Augenstern. Sie war Hausfrau und Mutter. Sie war furchtbar stolz, als ich auf ein College gegangen bin. Mein Vater, John, war Koch. Er hat in einem Dinner, drei Straßen von unserem Haus entfernt, gearbeitet. Die beiden waren gute Eltern und es ist schade, dass sie nur ein Kind bekommen haben, sie hätten auch einem zweitem Kind, so viel Liebe schenken können.“, erzählte Ryan mir, mit einem leisem Seufzen, was meinerseits ein weiteres, leichtes Stirnrunzeln hervorrief.

„Sie reden in der Vergangenheitsform von Ihren Eltern, Mister Millis. Gibt es dafür einen Grund?“

„Ja, natürlich. Ich bin nicht mehr in Baltimore und ich habe keinen weiteren Kontakt zu Ihnen. Ich weiß nicht, ob sie immer noch Hausfrau ist und er noch immer Koch.“, erklärte er mir und ich nickte deswegen.

„Wissen Sie, wann genau Sie beschloßen haben, Ihre Eltern zu verlassen und Ihre Reise anzutreten Gab es dafür einen bestimmten Auslöser?“

Ryan lächelte, als ob er gerade auf diese Frage gewartet hätte und lies sich offensichtlich gerne Zeit, um darauf zu antworten.

„Ja, Dr. Shern, den gab es. Meinen Tod und die Wiederauferstehung.“, erklang seine Stimme schließlich sanft, fast ein bisschen liebevoll.

Ich blinzelte ihn einen Moment verwirrt an und schob mir meine Brille auf der Nase zurecht, bewahrte aber Fassung. Ich hatte nicht gedacht, dass es sich bei ihm um einen derart schwierigen Fall handeln würde.

„Ihren Tod und Ihre Wiederauferstehung?“, fragte ich nach, um etwas genaueres darüber zu erfahren, aber er schien mir keine Antwort darauf geben zu wollen.

„Glauben Sie an Gott, Dr. Shern?“, wollte Ryan noch von mir wissen, „Denken Sie darüber nach, bis wir uns wieder sehen.“

Und dann stand er auf. Als hätte er es gewusst, öffnete sich die Tür in diesem Moment und ein Wachmann kam herein, um die Stunde für beendet zu erklären, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als die Stopp-Taste meines Recorders zu drücken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2014-02-23T21:55:20+00:00 23.02.2014 22:55
Hey Loser.
Ich freu mich schon, wenn die FF weitergeht; ich will unbedingt mehr zu deinem Personal Jesus lesen und wenn ich das nicht bekomme werd' ich bockig.
Dein Schreibstil überzeugt und ich mag die Art deiner Charaktere. Definitiv eine FF die ich gerne lese und auch weiterlesen werde.
Bitte, bitte schreib weiter.
Das wird super. :)


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