Zum Inhalt der Seite

Die Wahrheit über Wölfe

[Stiles / Derek]
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kekse und Masochismus

Vorworte: Dieses Kapitel ist viel länger geworden als geplant. XD Dafür passiert ein bisschen was? Yay?

Danke für die Favoriten und die Kommentare. =) Ihr seid die Besten!
 

Warnungen: Wie schon mal erwähnt hatte ich angefangen diese FF zu schreiben, bevor Staffel 3 ausgestrahlt wurde. Deswegen hatte ich damals meine eigene Version der Alphas. Also nicht wundern…. la la la. *hust*
 


 

Zwei Stunden, einen Liter Kaffee, drei Wutausbrüche (mit Anbrüllen und wildem Gestikulieren) und jede Menge Haare raufen später hat Stiles drei Graphiken erstellt, zwei Listen gemacht und vier Zettel mit Notizen vollgekritzelt.

Derek hat auch nur dreimal die Krallen ausgefahren und Stiles nur einmal angeknurrt. Das ist so ziemlich das produktivste und gewaltfreiste Gespräch, was sie jemals hatten. Stiles ist beinah ein bisschen stolz.
 

„Um Jackson zu bekommen, musst du zuerst Lydia auf deine Seite zu ziehen“, fasst er zusammen. Er sitzt verkehrt herum auf seinem Bürostuhl und hat seine langen Beine um die Lehne gewunden und das Kinn nachdenklich darauf abgestützt. „Ehrlich gesagt denke ich sowieso, dass Lydia wertvoller für uns ist als Jackson, denn der ist generell eher nutzlos - es sei denn du brauchst eine Beratung für optimale Gesichtsfeuchtigkeitspflege - aber ich fürchte wir kriegen die beiden nur als Gesamtpaket.“
 

„Ja.“ Derek sieht ein wenig angewidert aus, als sei so viel tragische Romantik zu viel für ihn, und hey, Stiles kann es ihm nicht verdenken. „Das weiß ich.“

Er sitzt auf Stiles Bettkannte, die Ellbogen auf den Knien abgestützt, und irgendetwas an diesem Bild: ‚Derek fucking Hale auf seinem Bett‘ ist genug, dass Stiles feuchte Hände bekommt, wenn er zu lange darüber nachdenkt. Auf seinem Bett sitzen sonst nie scharfe Leute. Und jetzt Lydia Martin und Derek Hale in einer Woche. An einem Tag. Es ist geradezu surreal.
 

„Ich weiß“, sagt Stiles schnell, bevor seine Gedanken in eine Richtung wandern, die er nicht gebrauchen kann. „Also ich weiß, dass du es weißt. Deswegen hast du deinen durchgeknallten, untoten Pädo-Onkel auch nicht eingeladen zu der Besprechung, richtig? Weil du wusstest, dass Lydia kommt und weil du sie nicht gleich wieder vergraulen wolltest.“

Unwillkürlich fragt er sich, ob jetzt eventuell der richtige Zeitpunkt ist, um Derek zu sagen, dass Peter und er ein… Gespräch hatten. Ein Gespräch dass zur Hälfte aus vagen Andeutungen, kaum verhüllten Drohungen und jeder Menge Angstschweiß bestanden hat.
 

„Peter“, knurrt Derek mit eindeutig zusammengebissenen Zähnen, „macht sowieso was er will. Und er ist nicht untot.“
 

„Oh, entschuldige bitte. Dein erschreckend lebendiger Pädo-Onkel.“
 

Derek wirft ihm einen Blick zu.
 

Stiles hebt unbeeindruckt die Augenbrauen. „Ich darf über ihn sagen, was ich will, okay? Er hat mich entführt und emotional traumatisiert, und er angedroht mich zu beißen und überhaupt…“
 

„Er hat was?“ Derek springt so heftig auf, dass ein Buch von Stiles Kopfkissen mit einem dumpfen Knall auf dem Boden landet.
 

„Gedroht ist vielleicht das falsche Wort“, rudert Stiles hastig zurück, denn okay? Was ist denn jetzt kaputt? „Er hat angeboten mich zu beißen, aber er hatte die Zähne schon an meinem Handgelenk, und das macht es ehrlich gesagt auch nicht besser oder irgendwie weniger gruselig und pädo.“
 

„Ich bring ihn um“, sagt Derek tonlos.
 

Überrascht hält Stiles mitten in seiner Tirade inne. „Das wusstest du nicht?“

Innerlich rudert er sofort zurück.

Okay, offensichtlich ist jetzt kein guter Augenblick, um Derek zu sagen, dass Peter ihn neulich bis ins Krankenhaus gestalkt hat.
 

„Ich werde ihm die Kehle durchbeißen.“ Derek funkelt ihn an. „Natürlich wusste ich das nicht!“
 

„Sorry, sorry.“ Abwehrend hebt Stiles die Hände. „Ich…äh freue mich und bin sehr stolz auf dich, dass du deinen moralischen Ehrenkodex so ernstnimmst? Nein? Nicht gut?“
 

„Er hätte niemals…“, spuckt Derek und sieht so wütend aus, als ob er gar nicht mehr weitersprechen kann.
 

„O~kay“, sagt Stiles langsam.

Aus unerfindlichen Gründen hat er das Gefühl, die wesentliche Hälfte dieses Gespräches irgendwie verpasst zu haben. Offensichtlich ist es ein unverzeihliches Vergehen gegen irgendeinen Werwolf-Ehrenkodex, dass Peter ihm den Biss angeboten hat… entweder das oder Derek findet den Gedanken wirklich so unerträglich, dass Stiles ein Werwolf geworden wäre.

Stiles hofft wirklich, dass es nicht Letzteres ist. Das wäre mehr als kränkend und definitiv unangemessen.

Stiles wäre ein fabelhafter Werwolf, klar? Er würde das megaspitzenmäßig hinkriegen.
 

„Er hat ja nicht“, sagt er schließlich. „Ich habe ‚nein‘ gesagt. Hey, bist du auch sicher, dass das ein Filmtitel ist? Nicht? Egal. So oder so gab es keinen Biss für le Stiles, also können wir uns jetzt alle wieder hinsetzen und aufhören so mordlüstern aus der Wäsche zu gucken. Und wenn ich sage ‚alle‘ meine ich ‚du‘.“
 

Derek setzt sich tatsächlich wieder hin, allerdings nicht ohne Stiles vorher einen Blick zu zuwerfen, der eindeutig zum Ausdruck bringt, dass er ihn für einen Alien hält. Von einem weit, weiiiit entfernten Planeten. Als ob Stiles diesen Blick nicht schon oft genug abgekriegt hat. Dagegen ist er immun.
 

„Weiter im Text“, sagt er streng. „Wir waren gerade so gut und produktiv, und das alles mit nur ganz minimalen Mengen ans Selbsthass und Verzweiflung.“
 

„Hört auf mit mir zu reden, als wärst du eine Selbsthilfegruppe.“ Derek fletscht die Zähne.
 

„Notiert. Keine Selbsthilfegruppe. Mit Isaac und Erica kann ich dir nicht weiterhelfen. Das sind deine Babies. Betas!“, korrigiert Stiles, als Dereks Augen beginnen rot aufzuflackern. „Deine Betas. Um die musst du dich schon selber kümmern.“
 

„Erica ist weggelaufen.“
 

Stiles verdreht die Augen, denn er hat jetzt wirklich keine Lust Derek weiteren zehn Minuten beim Schmollen zusehen. „Und wieder zurückgekommen.“
 

„Aber nicht freiwillig.“
 

„Haarspalterei! Sie hat nach dir gefragt!“
 

„Was?“
 

„Als wir sie gefunden haben. Das war so ziemlich das erste Wort aus ihrem Mund, okay? ‚Derek.‘ Und sie sah bei Deaton auch nicht so aus, als ob sie so unter deiner Anwesenheit besonders leidet. Erica ist…“ Stiles rubbelt sich mit der Handfläche über den Hinterkopf. „Man, du weißt doch, wie sie ist. Sie tut groß und fies und zickig, sie fletscht die Zähne und macht ‚grrr‘, aber eigentlich ist sie ganz lieb und anschmiegsam und will nur, dass jemand sie in den Arm nimmt und sie lieb hat.“
 

„Sie mag dich.“ Derek sieht aus, als hätte er in eine Zitrone gebissen, als er das sagt und er sagt ‚mag‘ als sei es ein besonders unanständiges Wort.
 

„Ich weiß.“
 

Seine Augenbrauen verfinstern sich. „Wieso nimmst du sie dann nicht in den Arm?“
 

„Alter“, sagt Stiles. „Bei aller Liebe und allem Teamgeist, ich pimp mich nicht aus, um Leute für dich anzuwerben.“
 

„Ich dachte, du magst sie auch.“
 

„Tu ich ja.“ Stiles wedelt mit den Armen. „Ich mag Erica! Ich mag sie sogar sehr, und wenn sie mir gerade keine Autoteile um die Ohren haut, ist sie sogar ziemlich cool. Aber ich mag sie nicht so. Und Isaac auch nicht. Also sorry, aber wenn du sie auf diese Weise zurückgewinnen willst, musst du dich schon selber ausziehen. Bis dahin würde ich Pizza vorschlagen.“
 

„Pizza.“
 

„Und Videospiele. Popcorn. Filmabende“, zählt Stiles auf. „Oder Frisbee. Machen das die Hundeartigen nicht gerne? Du weißt schon. Gruppenaktivitäten. Die den Teamgeist und den Zusammenhalt fördern. Ihr könntet auch mal bowlen gehen oder so.“
 

„Bowlen.“
 

„Das letzte Mal als ich nachgesehen habe, war da noch kein Echo in meinem Zimmer.“
 

Derek knurrt.

Wirklich, es ist niedlich, dass er immer noch annimmt, er könnte Stiles damit einschüchtern, wenn er sich wie eine zu groß geratene Version von Lassie benimmt.
 

„Peter überlass ich auch dir“, fährt Stiles gnadenlos fort. „Der ist mir ehrlich gesagt zu schräg drauf. Aber ich würde Scott übernehmen. Erstens liebt er mich und zweitens habe ich Erpressungsfotos aus unserer Kindergartenzeit, die ich notfalls einsetzen könnte. Dann hätten wir es mehr oder weniger gerecht aufgeteilt. Du übernimmst Erica, Isaac und Pädo- äh Peter und ich übernehme Lydia, Jackson und Scott. In zwei Tagen setzen wir uns erneut zusammen, vergleichen Notizen und gucken, wer es schlimmer getroffen hat. Ich bringe auch Kekse mit. Deal?“
 

Derek schweigt. Nur seine Augenbrauen zucken unentschlossen hin und her, als ob er nicht genau weiß, ob er sie runzeln oder ungläubig nach oben schnellen lassen soll.
 

„Das ist doch jetzt nicht so kompliziert“, sagt Stiles ungeduldig.
 

„Du sagst immer ‚wir‘.“
 

„Oh entschuldige bitte!“ Stiles schnappt nach Luft. „Es war nur ein Angebot. Wenn du meine Hilfe nicht willst, kannst du auch alle sechs alleine bearbeiten. Ich wünsche dir viel Spaß dabei, dir an Lydia die Zähne auszubeißen! Die kannst du nämlich mit Knurren und Fauchen nicht einschüchtern.“
 

„Du würdest…mir helfen?“
 

Hoffnungslos breitet Stiles die Arme aus. „Oh mein Gott! Alter! Das tu ich doch schon die ganze Zeit! Was glaubst du, was das hier ist? Das bin ich“, er zeigt auf seine Brust, „wie ich dir helfe.“

Er könnte noch einiges andere dazu sagen, darüber wie endlos begriffsstutzig Derek manchmal sein kann und ob er in einfacheren Worten reden soll, aber der Ausdruck in Dereks Gesicht lässt ihn inne halten.
 

Denn das ist nicht der Ausdruck von Derek, der auf dem Schlauch steht.

Das ist der Ausdruck von Derek, der es nicht glauben kann, dass ihm irgendjemand helfen will. Das ist der Ausdruck von jemandem, der nur darauf wartet, dass gleich ein Haken kommt, weil es zu gut ist um wahr zu sein. Weil dir nie jemand einfach hilft, ohne einem danach ein Messer in den Rücken zu rammen, oder deine Familie bei lebendigem Leib zu verbrennen.

Es ist ein Ausdruck, der Stiles das Herz bricht, oder zumindest Teile davon ernsthaft anknackst.

Langsam lässt er die Arme sinken und mit einem Mal fühlt er sich schlecht wegen seines Ausbruchs.
 

„Ja“, sagt er leise. „Ich würde dir helfen.“
 

„Wieso?“
 

Derek klingt ungewohnt offen, beinah verletzlich, und nur das hält Stiles davon ab mit den Augen zu rollen. Derek hat sich bei Stiles mittleren Nervenzusammenbruch gestern Abend bemerkenswert anständig verhalten, und das mindestens was Stiles tun kann, ist das zu erwidern.

„Weil dein Plan mit dem Rudel bilden nicht verkehrt war“, sagt er ehrlich. „Und weil… weil du es verdienst, dass auch mal irgendwas in deinem Leben richtig läuft.“

Abwesend reibt er sich über die Stirn.
 

Dereks Blick fokussiert auf seine Schläfe. Die Schwellung ist weitgehend zurück gegangen, aber die Haut ist immer noch empfindlich und schillert in gelb-grünen Farbtönen. „Tut es noch weh?“
 

„Ein bisschen.“
 

Derek runzelt die Stirn. Es sieht beinah vorwurfsvoll aus, als kann er kaum glauben, dass so eine banale Verletzung nach drei Tagen immer noch zu sehen ist.
 

„Sorry?“ Stiles zuckt mit den Schultern. „Menschlicher Knautschball. Null Superheilung.“
 

Derek streckt eine Hand nach ihm aus. Kurz vor Stiles Gesicht stockt er unentschlossen. „Darf ich?“ fragt er steif.
 

Stiles nickt, beinah gerührt, und hält gleich darauf inne. „Warte!“ Er erinnert sich mit einem Mal an die schwarzen Linien auf Dereks Arm, und an Dereks angespannten Gesichtseindruck als er es in Deatons Klink gemacht hat. „Tut es dir weh, wenn du das machst? Weil… ich will nicht, dass du es machst, wenn es dir wehtut.“
 

Sekundenlang sieht Derek überrascht aus, bevor er den Kopf schüttelt.
 

Stiles wirft ihm einen skeptischen Blick zu.
 

„Nicht bei so einer kleinen Verletzung“, elaboriert Derek widerwillig. „Es… kribbelt nur.“
 

„Na gut.“ Stiles nickt. Der akademisch interessierte Teil von ihm würde jetzt sofort am liebsten alles drüber wissen, wie es funktioniert und wieso und bei wem, und können das Werwolfe auch gegenseitig machen, und was ist wenn jemand lebensgefährlich verletzt ist und…

Aber dann legt sich eine warme Handfläche auf sein Gesicht, die Fingerspitzen auf seiner Schläfe und der Daumen auf seiner Wange, und Stiles vergisst sekundenlang zu atmen.

Dereks Hände sind so groß, dass sie sein Gesicht komplett umrahmen. Es ist beängstigend und vage furchteinflößend, vor allem wenn man weiß, oder ahnt, wie viel Kraft in diesen Händen steckt, und wie wenig Mühe es Derek kosten würde Stiles‘ Schädel wie eine Eierschale zu zerquetschen. Aber es ist auch warm und einlullend und auf seltsame Art und Weise beruhigend sicher.
 

„Oh“, haucht er.
 

„Das letzte Mal… ich hätte fragen sollen“, sagt Derek. Es ist so nah an einer Entschuldigung dran wie es geht, ohne dass er sich tatsächlich entschuldigt.
 

„Ja. Hättest du.“ Angenehme Wärme breitet sich unter seinem pochenden Schädel aus und Stiles seufzt unwillkürlich. Seine Augenlider schließen sich ohne jede aktive Mitarbeit und er hofft, dass er noch genug Beherrschung zusammenkratzen kann, um seine Wange nicht wie eine Katze an Dereks Hand zu schmiegen. „Nicht zu viel“, murmelt er. „Sonst werde ich high.“
 

Derek gibt einen leisen Laut von sich, der beinah amüsiert klingt. Aber dabei kann es sich eigentlich nur um eine akustische Halluzination handeln. Immerhin ist Derek Mr. Grummelwolf höchstpersönlich, nur hier, um deinen Tag zu verregnen.

Langsam öffnet Stiles die Augen.
 

Dereks Gesicht ist ein helles, verschwommenes Oval vor ihm, viel zu nah und viel zu dicht. Er sieht ungewohnt konzentriert aus, völlig fokussiert auf Stiles, als ob er der einzige Mensch auf der ganzen Welt ist. Ein paar Atemzüge lang sind sie in völliger Synchronität. Stiles fühlt sich wie hypnotisiert.
 

Oh mein Gott.

Oh mein Gott.

Stiles lacht ein wenig atemlos und weicht ein Stück zurück. „Okay“, sagt er. „Danke, das… das reicht. Danke.“
 

Derek lässt die Hände sinken. Er sieht aus, als ob er gerade aufgewacht ist, ein bisschen verwirrt und so als ob er selbst nicht versteht was gerade passiert ist. Er verzieht das Gesicht und gibt ein Geräusch von sich, das halb Knurren und halb Räuspern ist, bevor er hastig aufsteht.
 

Stiles öffnet und schließt den Mund. Er möchte gerne etwas sagen, aber alle Worte verflüchtigen irgendwo auf dem Weg zwischen seinem Gehirn und seinem Mund.
 

Derek wendet den Blick ab.

In wenigen Schritten, schneller als menschenmöglich, ist er bei Stiles Fenster und hat es mit einer Hand aufgerissen. Auf dem Fensterbrett verharrt er sekundenlang und blickt zurück.
 

„Wir sehen uns“, sagt Stiles. Seine Stimme fühlt sich papierdünn und brüchig an. „Beim… Rudeltreffen?“
 

Derek erwidert nichts. Aber er macht eine Mikrobewegung mit dem Kopf, die mit viel Mühe als Nicken ausgelegt werden könnte.

Dann verschwindet er mit einem Satz aus dem Fenster, jede Bewegung ruckartig und gehetzt, so als ob etwas hinter ihm her ist. Stiles bleibt seltsam atemlos zurück.
 

-
 

„Alter, ich habe ein Problem“, sagt Stiles, noch bevor er absteigt. Er fühlt sich aufgewühlt und luftleer wie kurz vor einer Panikattacke. Nur anders.
 

Scott erhebt sich von der Bank auf der er gewartete hat und runzelt die Stirn. „Was ist los?“ Sein Blick landet auf Stiles klapprigem, alten Fahrrad. „Ist es wegen deinem Auto? Ich wäre auch zu dir gekommen.“
 

„Nein. Ja. Auch. Nein.“ Stiles fährt sich mit beiden Händen durch die kurzgeschorenen Haare. In seinem Gesicht spürt er noch den Phantomabdruck von Dereks Hand, warm und groß und sicher und beängstigend.

„Es ist…“ Er bricht ab und schüttelt den Kopf.
 

Scott hebt fragend die Augenbrauen.
 

Stiles schüttelt den Kopf. „Vergiss es.“
 

Scott lässt sich willenlos in den Burgerladen mitschleifen und bestellt zweimal den doppelten Cheeseburger (Werwölfe und ihr Appetit, eine Geschichte für sich) mit ebenso vielen Portionen Pommes. Aber weil er Scott ist, ist er auch hartnäckig wie ein Hund, der sich in seinen Kauknochen verbissen hat. „Ist was passiert?“, fragt er, als sie endlich an einem Tisch sitzen.
 

„Ja“, sagt Stiles. „Nein. Vielleicht?“

Er weiß es doch selbst nicht.

Sieht er aus, als ob er das wüsste?

Er hat keine Ahnung wieso Derek vorhin aus seinem Zimmer geflohen ist, als seien Argents hinter ihm her, und er hat keine Ahnung, wieso er sich seit dem Moment wo Derek seine Hand auf sein Gesicht gelegt hat so fühlt, als ob ein Elefant auf seiner Brust steht.

Vielleicht sind das nur die Vorboten für einen Herzinfarkt.
 

Und vielleicht auch nicht.
 

„Ist es illegal?“ fragt Scott mit vollem Mund. „Du weißt, ich würde dich im Gefängnis besuchen, aber ich schmuggel dich nicht über die Grenze nach Mexiko.“
 

Stiles seufzt und lässt das Gesicht auf seine Arme sinken. „Überinterpretiere ich immer alles?“ fragt er dumpf.
 

„Ähm…“ Scott hat den Anstand verlegen auszusehen. „Nicht immer?“
 

„Lass es mich anders formulieren. Erinnerst du dich an die sechste Klasse, als Lydia mich gefragt hat, ob ich ihre Tasche halte, und ich habe wochenlang gedacht, das bedeutet, dass wir jetzt miteinander gehen? Und dass sie mich weiterhin völlig ignoriert hat, hat mich gar nicht gestört, weil ich dachte, sie ist einfach nur sehr zurückhaltend mit ihrem Gefühlen?“
 

„Mhm.“ Scott nickt. Und weil er der beste Freund der Welt ist, gibt er in keiner Weise zum Ausdruck wie bescheuert das war oder wie bemitleidenswert.
 

Stiles lässt appetitlos eine Pommes zurückfallen. Sogar die gekringelten sehen heute wenig ansprechend aus. „Denkst du … denkst du, ich bin ein Typ, der sich immer in die gleiche Art unerreichbarer Mensch verknallt? Schön und unnahbar und absolut nicht interessiert an mir? Was-was ist das? Ein Charakterfehler? Masochismus? Steh ich einfach auf die Schmerzen?“
 

„Ich weiß nicht.“ Scott legt den Kopf schief, während er auf seinem Cheeseburger herum kaut. „Bisher war es ja immer nur Lydia. Und du hast mal gesagt eine Person ist nicht genug für eine Statistik. Wir äh wir reden doch über Lydia, oder? Reden wir über Lydia?“
 

„Ja. Klar.“ Stiles vertieft sich in das Öffnen seiner Ketchuptüte. „Lydia.“
 

„Okay?“
 

„Hey ähm … Derek war vorhin bei mir. Wegen der… Rudelsache.“
 

„Was hat er gesagt?“
 

Dankbar für die Ablenkung hält Stiles ihm einen kurzen Vortrag über Rudeldynamik und Alphas und Betas und alles, was Derek sich dazu ausgedacht hat. Er malt sogar kleine Skizzen mit kleinen Wölfen auf die Servietten, weil er immer besser fokussieren kann, wenn seine Hände mit irgendetwas beschäftigt sind.
 

Scott sieht nachdenklich aus. „Wenn wir ein richtiges Rudel wären“, fasst er zusammen, „würde es die Betas beschützen.“
 

„Genau. Dich, Isaac, Erica, und sogar Jackson, diese Nullnummer. Dann wäre nur Derek die Zielscheibe. Was nicht schön wäre, aber wir würden ja auf ihn aufpassen und…“
 

„Nicht nur Derek“, sagt Scott.
 

„Hm?“
 

Stiles hebt den Kopf, als keine Antwort kommt. Scotts Blick ruht auf ihm, ungewöhnlich ernst.
 

„Was?“ fragt Stiles.
 

„Du vergisst immer das Wichtigste“, sagt Scott leise. „Jedes Mal.“
 

„Wie meinst du das?“ Beunruhigt wühlt Stiles in seinen Notizen. Er hat doch an alles gedacht. Keinem der Betas wird etwas passieren, wenn ihr Plan aufgeht. Alle sind sicher, außer Derek und den wird Stiles extra beschützen, damit da auch alles glatt läuft. „Was meinst du, ich hab doch an alle…“
 

„Schon okay“, sagt Scott. Er stiehlt eine gekringelte Pommes von Stiles Teller. Seine Stirn ist nachdenkliche Dackelfalten gelegt. „Ich werde daran denken.“
 

Stiles hat keine Ahnung, was das wieder zu bedeuten hat. Aber wenn Scott gerne zur Abwechslung mysteriös und rätselhaft sein möchte, darf er das machen. Die Hales haben immerhin kein Monopol darauf, egal wie gerne sie in dunklen Ecken stehen und andere Leute stalken.
 

„Eine Sache noch“, sagt er draußen, als sie sich verabschieden.
 

„Hm?“
 

„Ich soll dir was von Allison ausrichten.“ Ohne auf eine Erwiderung zu warten schlingt er die Arme um Scott.
 

Scotts Augen weiten sich. „Oh“, sagt er leise, bevor er die Hände auf Stiles Rücken legt.
 

Und wenn sie sich ein bisschen länger festhalten als es gesellschaftlich akzeptabel ist für zwei Kerle, dann muss es ja keiner von ihnen weitersagen.
 

-
 

Heute Abend. Treffen beim Haus.‘ lautet die knapp bemessene SMS, die zwei Tage später bei Stiles eintrudelt, als ob es nur ein einziges Haus auf der ganzen Welt gibt.

Okay, aus Dereks Perspektive gesehen gibt es vermutlich wirklich nur DAS Haus. Und Stiles kann leider nicht abstreiten, dass er sofort gewusst hat, was er meint.
 

Danke für die vage Auskunft, Captain Nebulös. Werden Snacks gereicht? Sind Anzüge Pflicht?‘ schreibt Stiles zurück, nur um anstrengend zu sein.
 

Er hat halb damit gerechnet, dass Derek ihn ignoriert, immerhin war der erste Text eine offensichtliche Massen-SMS, aber es dauert nicht einmal eine Minute, bis sein Handy erneut vibriert.

Du darfst Wein und Kuchen mitbringen, Rotkäppchen.
 

Stiles grinst.

Alter! D-:‘ schreibt er zurück. ‚Nicht cool! Mache ich etwa Hundewitze auf deine Kosten?!
 

Ununterbrochen.‘ kommt es postwendend zurück.
 

Zugegegeben. Stiles kann das nicht abstreiten.

Ich bringe Maulkörbe mit. `_´ Für den Fall, dass ich nach dem Training anfange auf einmal sehr appetitlich auszusehen.
 

Nur um konträr zu sein, angelt Stiles tatsächlich seinen roten Kapuzenpullover unter dem Bett hervor. Es ist ein Statement, okay? Es ist post-modern und ironisch.

Eine kurze Schnupperprobe überzeugt ihn davon, dass man ihn ruhig nochmal anziehen kann, bevor er wirklich dringend gewaschen werden muss. Er ist gerade dabei den ausgewaschenen Stoff über seinen Kopf zu zerren, als sein Handy erneut vibriert.
 

Diesmal ist die Nachricht seltsam kryptisch, da völlig zusammenhangslos.

Fahr mit Scott.
 

Stiles hebt die Augenbrauen. Hat Derek wirklich so viel Angst davor, dass Scott nicht von alleine kommt, wenn Stiles ihn nicht im Schlepptau hat?

Kopfschüttelnd schreibt er die nächste Nachricht an Scott.
 

Wie kommst du nachher zur Casa di Wolfi?
 

Fahrrad. Muss vorher noch bei meiner Mum in der Klinik vorbei. Sie hat wieder ihr Essen zu Hause vergessen
 

Aber du kommst ????
 

Scotts Antwort darauf besteht aus einer lange Reihe an unglücklichen, vage frustriert aussehenden Smileys und einem lächelnden Kackhäufchen. Das heißt vermutlich ‚ja‘. Oder dass er dringend auf Toilette muss.

Stiles beschließt diesen Gedanken nicht weiter zu vertiefen.
 

Stattdessen schreibt er Derek zurück ‚Alles gut an der Scott-Front. Bis gleich!
 

In der Küche bleibt er sekundenlang stehen.

Er beginnt einen Zettel mit ‚Hey Dad, ich bin nur kurz…‘ bevor er den Stift sinken lässt und den Zettel zerknüllt.

Seit drei Tagen sieht er seinen Vater nur noch im vorbei laufen. Entweder ist er in der Schule oder sein Vater auf der Arbeit.

Keiner von ihnen mag darüber reden, was passiert ist.

Aber die angespannte Stille ist beinah schlimmer als jeder offene Streit.
 

Ich musste weg‘, schreibt er schließlich. Weil er keine Ahnung hat wie lange dieses Treffen dauernd wird und er nicht will, dass sein Vater sich Sorgen macht, wenn er nach Hause kommt und Stiles ist nicht da. Seit seinem „Autounfall“ ist das ein irgendwie wundes Thema. ‚Warte nicht auf mich.

Er starrt so lange auf das Blatt bis die Buchstaben vor seinen Augen beginnen zu verschwimmen, bevor er, ohne den Stift auch nur einmal abzusetzen, hinzufügt: ‚Hab dich lieb.‘
 

Er stürzt aus dem Haus, bevor er es wieder zurückziehen kann.
 

Draußen ist es bereits am Dämmern. Der Herbst naht und es ist in den letzten Wochen deutlich kühler geworden.

Unwillkürlich fragt Stiles sich wie ungemütlich es in dem alten Güterbahnhof oder dem halb abgebrannten Hale Haus sein wird, wenn es draußen erst mal richtig kalt ist. Die Welpen frieren sich bestimmt den Arsch ab.

Nicht, dass ihn jemand nach seiner Meinung dazu gefragt hat. Nicht, dass das irgendwie sein Problem oder seine Verantwortung ist. Derek ist ja Mr. ‚Ich bin der Alpha und weiß alles besser‘.

Trotzdem. Stiles hat Schwierigkeiten bei den Problemen anderer zuzusehen ohne wenigstens zu versuchen sie zu lösen. Laut Scott ist er einfach ein netter, hilfsbereiter Mensch.

Laut gewissen anderer Leuten ist es eine seiner schlimmsten Charaktereigenschaften, dass er sich in alles einmischt.

Vielleicht kann er Derek mal die Seite mit den Wohnungsanzeigen unter der Tür durchschieben.

Subtil und unaufdringlich ist sein zweiter Vorname.
 

Auf dem Weg zum Wald, legt er einen Zwischenstopp beim Supermarkt ein, um Kekse und was zu trinken zu besorgen. Er ist nicht wirklich Rotkäppchen, okay? Und er kann auch dankend auf die entsprechenden Sprüche verzichten. Aber er ist sicher, dass von den Werwölfen niemand daran gedacht hat irgendwas zu essen zu organisieren. Und wer weiß wie lange sie da draußen sitzen werden.

Er hofft dass es diesmal nicht so frustrierend und nutzlos sein wird, wie das letzte Treffen in dem alten Güterbahnhof.

Es ist seltsam. aber dieser Abend fühlt sich an, als sei er schon ewig lang her und nicht erst ein paar Tage. In der Zwischenzeit hat sich so viel getan. Er hat sich mit Scott gestritten und wieder versöhnt, Erica ist wieder da, Lydia und er haben eine unerwartete Allianz gebildet (‚Menschliche Mitglieder unter Werwölfen – ihre Rechte und Pflichten‘), er hat seinen Jeep demoliert, ist beinah draufgegangen, Peter hat ihm aufgelauert, sein Vater ist gleichzeitig distanzierter und überbesorgter mit ihm als jemals zuvor, und Derek…

Und Derek.
 

Stiles steht unentschlossen vor dem Keksregal (Es ist kompliziert, okay? Erica kann Waffeln nicht leiden, Lydia ist allergisch gegen Nüsse, Scott will unbedingt Schokolade auf allem haben, und Stiles hat die vage Vorstellung, dass es Kekse gibt, die Derek an seine verlorene Kindheit erinnern und zum Weinen bringen und die er deswegen auf keinen Fall besorgen darf), als eine Hand an ihm vorbeigreift und nach Butterkeksen mit Schokoladenüberzug angelt.

Überrascht weicht Stiles zur Seite und dreht sich um.
 

„Hier.“ Der Fremde streckt ihm die Packung entgegen. „Meiner Erfahrung nach kann man damit nichts falsch machen.“
 

Es ist ein junger Mann, vielleicht Ende zwanzig mit blonden zurück gegelten Haaren und einer Lederjacke. Alles in seinem Gesicht ist ein wenig zu scharf geschnitten, um wirklich nett auszusehen, aber er hat den Oberkörper eines Baywatch-Stunt Doubles. Er lächelt, aber irgendetwas in Stiles Unterbewusstsein kribbelt unangenehm berührt bei der Reihe an weißen Zähnen, die vor ihm entblößt werden.
 

„Okay“, sagte er vage und nimmt die Kekse zögernd entgegen.
 

„Oh Entschuldigung. Das war sicher sehr anmaßend von mir.“ Das Lächeln in seinem Gesicht wird wenn möglich noch breiter.
 

Stiles zuckt mit den Schultern. „Es sind nur Kekse“, sagt er.
 

„Richtig.“ Blond-und-schön stützt sich mit einem Arm an dem Regal ab. Es ist eine Pose, die seinen breiten Brustkorb und seine gut ausgebildete Schultermuskulatur betont. Stiles ist sicher, dass das kein Zufall ist. „Nur Kekse.“

Der Blick des Fremden landet auf seiner Kehle und für eine wahnwitzige Sekunde hat Stiles das dringend Bedürfnis sein Pullover höher zu ziehen und seinen Hals zu bedecken wie eine jungfräuliche Mittelalter-Heldin ihren bebenden Ausschnitt.

Blond-und-schön streckt die Hand aus und Stiles muss sich zusammenreißen, um nicht vor ihm zurück zu fahren. Er fühlt sich seltsam verwundbar und weiß nicht einmal genau wieso. Er ist einem öffentlichen Supermarkt, was soll hier schon passieren? Um ihn herum streiten Eltern mit ihren Kindern wie viel Süßigkeiten gekauft werden, unwillige Ehemänner arbeiten Einkaufslisten ab und alte Damen quatschen sich über der Käsetheke mit der Verkäuferin fest.
 

Fingerspitzen berühren den Stoff seines Kragens und dann entwirrt er die Kapuze, die sich halb in Stiles Hemdkragen und unter dem Träger seines Rucksacks verdreht hat. Die Finger sind unangenehm dicht an seinem Hals und Stiles hält unwillkürlich die Luft an.
 

„Das ist ein schicker Pullover“, sagt Blond-und-schön. „Die Farbe gefällt mir.“
 

Stiles weicht einen Schritt zurück und stolpert über seine eigenen Füße. Eine Hand greift nach seinem Oberarm und bewahrt ihn davor, unelegant auf dem Hintern zu landen. „Ich muss jetzt wirklich gehen.“
 

„Mein Name ist Kyle.“
 

„Okay.“ Stiles weicht zurück, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Schön für dich. Kyle.“
 

„Und wie ist deine Name? Rotkäppchen?“ Es klingt spöttisch.
 

„Nein.“ Stiles hat einen erstaunlichen Widerwillen dagegen, dass ihn irgendjemand außer Derek so nennt. Zumindest interpretiert er das plötzliche Anschwellen von Adrenalin in seinem Körper so.

Als Widerwille.

Genau.

Es ist keine Panik.
 

„Vielleicht sieht man sich ja mal.“ Amüsiert blickt er Stiles hinterher.
 

„Klar. Sicher.“ Ohne eine Erwiderung abzuwarten stürzt Stiles sich in den Gang mit den Cornflakes und flieht in Richtung Kasse.
 

Wurde er gerade angebaggert? Von einem blonden Typen in Lederjacke vor dem Keksregal? Huh.

Das passiert Stiles nicht allzu oft, deswegen ist er nicht ganz sicher. In den letzten Monaten seines Lebens ist er viel zu oft von älteren Männern entführt, in dunkle Räume gezerrt oder gegen Wände gedrückt worden, um noch realistisch einschätzen zu können, was normales Verhalten ist und was darüber hinausgeht.
 

Draußen wird es bereits dunkel, als er sich auf dem Parkplatz erneut auf sein Fahrrad schwingt. Er blickt sich ein letztes Mal um, plötzlich von der seltsamen Paranoia besessen, dass blond-und-schön (Kyle) ihm möglicherweise im Gebüsch auflauert und ihn jeden Moment anspringt.

Natürlich passiert das nicht.

Gar nichts passiert als Stiles langsam und angespannt an parkenden Autos vorbeiradelt, außer dass er beinah eine Frau mit Kinderwagen anfährt, weil er nicht aufpasst, und er fühlt sich wie ein Idiot.

Ein Blick auf sein Handy verrät ihm, dass es schon viel später ist, als er dachte. Fluchend tritt er in die Pedale.

Er ist es einfach nicht gewohnt die Zeit mit dem Fahrrad einzuschätzen. Nicht, wenn er mit dem Jeep überall wesentlich schneller angekommen ist.
 

Mit dem Fahrrad braucht man quer durch den Wald eine knappe halbe Stunde bis zum Hale-Haus. Stiles hat eine uralte Klapperkiste, die von einem guten Mountain Bike ungefähr so weit entfernt ist wie Heidi Klum von einer guten Moderatorin, und die unebenes Gelände nicht sonderlich gut verträgt.

Er ist froh für das schwache Licht an seinem Rad, dass den Weg wenigstens ansatzweise beleuchtet.
 

Kurz vor dem Haus muss er absteigen und das letzte Stück schieben, weil der Weg dicht am Fluss vorbeiführt. Die Erde unter ihm ist matschig und aufgeweicht.
 

Er fragt sich, ob die anderen schon da sind.

Vielleicht hätte er Lydia fragen sollen, ob sie ihn mitnehmen kann. Das hätte sie bestimmt gemacht und das hätte ihm sogar die Begegnung mit blond-und-distanzlos erspart. Aber nachher ist man bekanntlich immer schlauer.
 

Etwas raschelt im Gebüsch und Stiles bleibt stehen. Ein Käuzchen ruft einige Meter entfernt. Es ist ein schauerlicher, geisterhafter Laut, der ruckartig verstummt.

Angespannt lauscht Stiles in die Dunkelheit.

Alles ist plötzlich still.
 

„Hallo?“ flüstert er probeweise.
 

Es raschelt erneut.
 

Sein Herz stolpert. Im Kopf rechnet er aus wie weit entfernt er ungefähr von Dereks Haus ist und wie schnell er rennen kann, wenn es um sein Leben geht.

Die Antwort ist immer die Gleiche.

Nicht schnell genug.
 

„Scott?“ sagt er etwas lauter. Innerlich drückt er sich selbst die Daumen.

Vielleicht ist das nur eine Trainingsübung. Vielleicht hat Derek die Welpen schon mal losgeschickt, um Wild aufzustöbern, was sie dann grillen können oder ein Barbecue machen oder …
 

Ein schwarzer Schatten schießt von rechts auf ihn zu und Stiles stößt ein lautes, unmännliches Quieken aus.

Er stolpert zurück. Das Fahrrad fällt mit einem lauten Scheppern auf den Boden. Seine Füße schliddern auf dem feuchten Boden. Hände greifen nach seinen Oberarmen und halten ihn fest.

Stiles flucht und wehrt sich, bis eine dumpfes Grollen seine zappelnden Gliedmaßen zum Stillstand bringt.

Ein seltsam vertraut klingendes Grollen.
 

Stiles hält inne.

„Derek?“ japst er atemlos. „Oh mein Gott. Oh mein Gott! Was soll das werden? Versuchst du mir einen Herzinfarkt…?“
 

„Bist du lebensmüde?“ knurrt Derek. Seine Finger bohren sich so fest in Stiles Arme, dass es schmerzhaft ist. „Ich hab dir doch geschrieben, du sollst mit Scott fahren!“
 

Irritiert hebt Stiles die Augenbrauen. Er blinzelt und wartet bis seine Augen sich so weit an das dämmrige Licht gewöhnt haben, bis er Dereks Gesicht erkennen kann.

Okay, wow. Er sieht wirklich wütend aus, wenn der Tiefstand seiner Augenbrauen dafür ein Indikator ist.
 

„Scott hat einen Umweg über das Krankenhaus gemacht. Er ist doch hier, oder nicht? Also was ist dein Prob-…?“
 

„Dann hättest du irgendjemanden fragen sollen! ICH hätte dich abgeholt, wenn du was gesagt hättest!“
 

„Entschuldige mal, wieso…“
 

Stiles!“ Derek stößt seinen Namen mit einer solchen Heftigkeit hervor, dass Stiles‘ Zähne ruckartig zusammenklappen. Dann atmet er durch und Stiles kann beinah sehen, wie er sich mit Gewalt zusammenreißt. „In welcher Welt hat der Gedanke ‚Ich fahre jetzt ganz allein durch einen dunklen Wald, von dem ich WEIß, dass sich fremde Werwölfe aufhalten und mir die Kehle durchbeißen wollen‘ für dich Sinn ergeben?“
 

„Das war nicht… wieso sollte… ich habe nicht…“ Stiles stockt, denn soweit hat er tatsächlich nicht gedacht.

Es ist nicht so, als ob er lebensmüde oder völlig wahnsinnig ist, okay? Er hängt an seinem Leben, allein schon weil er weiß, was es seinem Dad antun würde, wenn ihm irgendetwas passiert.

Aber irgendwie … Er weiß nicht genau, wieso es so ist, aber seit er weiß, dass Scott und Derek Werwölfe sind, hat der Gedanke an ‚Monster im Wald‘ irgendwie… jeden Schrecken verloren.

Weil diese Monster eben Scott und Derek sind.
 

„Ich hab nicht… tut mir leid?“ sagt er zögernd. „Ich habe nicht soweit gedacht.“
 

Er ist nicht ganz sicher, was er erwartet hat als Reaktion auf seine Entschuldigung, aber definitiv nicht, dass Dereks gesamter Körper sich plötzlich versteift und seine Augen rot aufflackern, wie eine Warnleuchte in der Dunkelheit.

Ruckartig schießen seine Eckzähne hervor und Stiles spürt wie Dereks Fingernägel zu Krallen werden. Die Spitzen durchbohren mühelos den Stoff seines Pullovers und streifen über seine Haut.
 

„Ähm… Derek…?“ fragt er unsicher. „Alles okay? Was…? Hey! Was wird das…? Hey!
 

Ohne Vorwarnung schnellt Derek vor und vergräbt sein Gesicht in Stiles Halsbeuge.
 

Ooooh mein Gott“, haucht Stiles hysterisch und spürt wie seine Knie sich in gekochte Spagetti verwandeln. Heißer Atem streift seine Kehle und seine nächsten Atemzüge holpern wie ein Auto auf Kopfsteinpflaster. „Okay. Okay. Nein. Nicht okay. Nicht okay! Was zum Teufel treibst du da? Derek? Derek!
 

Derek gibt ein Geräusch von sich, das klingt wie ein Löwe bevor er seine Beute zerreißt. Stiles hofft sehr, dass er nicht besagte Beute darstellt. Er hat Bestrebungen in seinem Leben, die deutlich darüber hinausgehen Werwolffutter zu werden, vielen Dank auch.

„Derek?“ fragt er atemlos.
 

„Er hat dich angefasst.“
 

„…was?“
 

„Alpha.“ Dereks Augen sind blutrot und sehr beängstigend und seine Stimme ist tief und grollend. „Sein Geruch ist überall auf deinem Hals.“
 

„Wovon redest du, was denn für ein…oh. Oh! OH!“ Stiles verschluckt sich beim Einatmen. „Fuck. Fuckfuckfuck.“
 

Blond-und-distanzlos.

Natürlich.

Wieso sollte jemals ein gutaussehender Typ versuchen, einen kleinen hyperaktiven Spastiker wie Stiles anzubaggern? Die viel logischere Erklärung ist immer ‚Werwolf‘.
 

„Was hat er gemacht?“ grollt Derek. „Wer war es? Stiles!“
 

„Es ist nichts passiert, okay? Gott. Es war im Supermarkt… am Keksregal… Derek, hör auf mich zu schütteln.“
 

Derek lässt ihn abrupt los. Er gibt ein wütendes Fauchen von sich und stößt ein Heulen aus, dass durch die Nacht hallt wie eine Alarmsirene.
 

Stiles starrt ihn an. „Nur dass du es weißt: Du beunruhigst mich gerade… und zwar sehr. Das ist …uhm wolfiger als ich es von dir gewohnt bin.“
 

Wer. War. Es?
 

„Ich weiß es nicht! HerrimHimmel! Er sagte sein Name ist Kyle. Keine Ahnung, ob das stimmt. Gott, ich bin so ein Idiot. Ich hätte es mir denken können. Ich dachte, er baggert mich an, okay? Mit dem…“ er deutet in einer vagen Geste auf seinen Nacken, „…Anfassen und Kapuze zurecht rücken und dem Kekse raussuchen. Ich dachte, er ist einfach ein unheimlicher Pädophiler, der auf kleine Jungs steht.“ Er hält inne. „Oh toll, was ist mit meinem Leben passiert, dass mir DAS plötzlich wie die bessere Alternative vorkommt?“
 

Krachende Geräusche im Unterholz lassen seinen Kopf herum schnellen. Äste brechen und Blätter rascheln und dann stolpern in einem Schwung die Welpen hervor. Erica hat die Zähne gefletscht und sieht kampfbereit und entschlossen aus. Isaac und Scott sind beinah vollständig verwandelt und sogar Jackson sieht alarmiert aus, und er hat sich beschützend vor Lydia gestellt.

Lydia ist die Einzige, die vor allem irritiert aussieht.
 

„Was zur Hölle war das denn?“ fragt sie spitz und klopft nachdrücklich ihren Rock sauber. „Und zu deiner Information: Ich begrüße es nicht, kommentarlos mitgeschleift werden“, bemerkt sie in Jacksons Richtung. Der ignoriert sie. Seine Augen leuchten gelb wie die der anderen und sind ausnahmsweise nicht auf sie gerichtet. Sie blicken alle auf Derek.

Oh. Das Heulen.

Es macht ‚klick‘ in Stiles Kopf.

Ein Wolf heult, um dem Rest seines Rudels seine Position zu signalisieren.

Er ist beinah beeindruckt wie schnell sie alle auf den Ruf ihres Alphas reagiert haben. Sogar Scott und Jackson, obwohl sie sich nicht einmal zu Dereks Rudel dazu zählen. Stiles fragt sich, ob ihnen klar ist wie viel Werwölfe von ihren Instinkten geleitet werden, oder ob er der Einzige ist, der das bisher recherchiert hat.
 

„Es ist alles okay“, sagt er vorsichtig.
 

„Nichts ist okay“, knurrt Derek. Seine Augen leuchten immer noch rot, aber er hat die Zähne und die Klauen wieder eingefahren. „Einer der Alphas hat sich an Stiles rangemacht.“
 

Offensichtlich ist das ein unverzeihliches Vergehen, denn sämtliche Werwölfe drehen bei dieser Aussage völlig durch. Zumindest ist das die einzige Interpretation die Stiles einfällt.
 

„Stiles!“ Scott ist der erste der sich auf ihn stürzt, komplett ausgewolft und Stiles am Arm packt. Erica ist die nächste und sie hängt sich wie eine Klette an seinen Hals. Ihre Reißzähne sind gefährlich dicht an Stiles Hals, als sie an ihm schnuppert wie ein Bluthund. Nicht einmal Isaac und Jackson, die ihn beide nicht wirklich gut leiden können, sehen besonders glücklich darüber aus. Isaac gibt ein leises Grollen von sich und Jackson zieht Lydia unbewusst dichter an sich heran.
 

„Ähm…“ Peinlich berührt tätschelt Stiles über Ericas dichte blonde Locken und knufft Scott kumpelhaft in den Oberarm. „Es ist nichts passiert. Der Typ hat mich am Keksregal angelabert, okay? Am Keksregal. Er hatte vage pädo-Schwingungen und ein viel zu breites Lächeln, aber sonst hat er sämtliche Klauen und Zähne bei sich behalten. Es ist alles okay! Jungs! Mädels. Welpen. Ich meine…“
 

Er wirft Derek einen hilflosen Blick zu, weil er wirklich keine Ahnung hat was gerade passiert. Derek malmt mit den Zähnen und er sieht so gewalttätig aus, als ob er gerne jemanden in Stücke reißen möchte (vorzugsweise blond-schön-und-distanzlos) und es bedauert, dass niemand da ist. Seine Augen flackern angespannt in alle Richtungen, als ob der Feind plötzlich mitten unter ihnen ist. Als ob er plötzlich nicht mehr weiß wie er sein Rudel beschützen soll. Es dauert einen Augenblick bis er reagiert.
 

„Alle ins Haus“, befiehlt er. „Jetzt.
 

Nachwort: Okay ich hab tatsächlich ein riesiges, elaboriertes Head canon über Werwolf Etikette bezüglich Menschen und anderen Rudeln und überhaupt. Aber ich hab gerade überhaupt keine Lust das alles aufzuschreiben, weil das im nächsten Teil sowieso erwähnt wird. :D



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (5)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Hatschepueh
2015-10-09T08:42:00+00:00 09.10.2015 10:42
Boah, Derek... das wäre doch die perfekte Gelegenheit Stiles zu küssen als du seinen Kopf in deinen Händen gehalten hast und er seine Augen geschlossen hatte... Aber naja, wäre wohl noch zu früh gewesen. Für euch beiden...
Selbst Scott hat also begriffen das da mehr zwischen den beiden läuft als sie selber wahrnehmen. Aber immerhin geht es um Stiles da wäre es schon seltsam wenn er nichts merkt.
LOL die SMS waren lustig. Und so entspannt.
Seltsam das noch jemand, jemand den er ja gar nicht kennt sofort auf Rotkäppchen schliesst nur weil Stiles etwas rotes anhat und Knabbereien einkäuft. Und da läuten keine Alarmglocken bei ihm? Er denkt nur an eine Anmache? Und wieso regt er sich so auf als Derek an seinem Hals schnüffelt? Er hat es ihm doch sogar selbst erlaubt. ^^
Hach dieses Kapitel ist einfach, genau wie die anderen davor, spitze. Kaum eine FF hat es in letzter Zeit geschafft mich so zu fesseln.

Von:  MaiRaike
2014-01-11T15:56:23+00:00 11.01.2014 16:56
Wundervoll, wundervoll, wundervoll.
Derek hält Stiles Gesicht in den Händen OMG!!!

Und Stiles identifiziert sich mit Rotkäppchen. Ich habe so gelacht. Herrlich.

Hm, anscheinend ist Stiles dem anderen Geschlecht aufgeschlossen, sonst würde er sich nicht freuen von einem gutaussehenden Kerl angegraben zu werden...

Ich habe ,ich so gefreut, als ich gesehen habe das ein neues Pitel da ist! Ich schaue beinahe täglich nach und warte...

Jetzt bin ich durch deine Geschichte endgültig wieder im Wehrwolffieber. Ich glaube ich muss meine Mercy Thompson Bücher herauskramen um die Zeit zum nächsten Pitel zu überbrücken!
Von:  hikabella
2014-01-10T10:00:53+00:00 10.01.2014 11:00
XDD dein Sterek ist einfach göttlich ^^
Rotkäppchen... Sehr geil :)

Ich wüßte doch zu gerne, was durch Dereks Kopf ging, als er vom Bissangebot von Peter erfahren hat. Schreib doch mal einen Abschnitt aus dessen Perspektive :)

Wunderst du dich eigentlich auch manchmal darüber, wann eigentlich Stiles vom Alpha des Tages mal "offiziell" ins Rudel aufgenommen wird? Und ob er das je wird?
Oder ob Deaton ihn nicht mal in die Lehre nehmen sollte?

Ich warte jedenfalls gespannt und freudig erregt auf das nächste Kapitel ;)
Von:  Memphis
2014-01-10T09:26:55+00:00 10.01.2014 10:26
Aww, du weißt gar nicht, wie sehr mich aufgemuntert hat, zu sehen, dass du ein neues Kapitel hochgeladen hast. Und dann hat es mich noch mehr aufgemuntert das Kapitel zu lesen!

Hat mir gut gefallen. :)
Von:  Sanko
2014-01-09T22:45:59+00:00 09.01.2014 23:45
Super! Ich hab deine Story schon länger verfolgt aber nie die zeit gefunden mal einen kommenta zu schreiben. Die story fesselt einen schon von anfang an und du beschreibst alles so unglaublich toll. Es macht spaß zu lesen. Und vo allem macht es süchtig. Ich kann es schon kaum erwarten, bis das nächste kapitel kommt. Ich freu mich drauf!


Zurück