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Sarus Sastre und der Krüstal der Ehwigkeyt

von

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Eine kleine Vorgeschichte (überarbeitet)

Pöh, mit einem leisen Knall schloss Sarus sein Schulbuch "Kräuterkunde im ersten Schuljahr" war das langweilig! Sehnsüchtig schaute er aus dem weitgeöffneten Fenster raus in den Garten und den nahen Wald. Er hasste es, hier eingesperrt zu sein. Blöde Regel, die es den Schüler verbot, alleine das Schulgelände zu verlassen. Sein guter Kumpel Choko war in England und Karat (über die Beziehung zu ihm dachte er im Moment besser net nach) war seit einigen Tagen unauffindbar. So ein paar freie Tage mitten im Semester waren schon net schlecht, dumm nur, dass er nicht auch Hause fahren konnte. Nein, er saß hier allein auf seinem Zimmer der Salurischen Universität für Zauber-, Kampf- und Heilkunde fest.
 

Mißmutig stapfte Sarus in die Cafeteria, um sich mit einem Cappuccino zu trösten.

*snüf* Irgendwas roch hier anders. Nicht unangenehm, aber fremd. Wie hm, Wald und Wiesen und Wasser und viel frische Luft. Suchend schaute er sich um. Viel los war hier ja nicht, bei dem Wetter, nur dort in der Ecke hockten zwei Lehrer. Den einen kannte er, Geschichte in den oberen Klassen. Angenehmer Typ, der einem nicht dauernd seine Zauberkünste vorführen wollte. Und dazu Schwarm aller Oberklässler. Und der andere? Sarus guckte nochmals hin. Nöh war kein Lehrer, war'n Mädchen. Na, das würde einige gebrochene Herzen geben ^^ Sarus zuckte mit den Schultern, ging ihn eh nix an.
 

Er schlurfte zum Automaten, um endlich an seinen Cappuccino zu kommen. Aber das blöde Ding wollte nicht so recht. Wütend trat Sarus dem Automaten in die Seite. Rumms. Öh, peinlich, die beiden schauten vom Tisch herüber und dann stand das Mädchen auf und kam rüber.

"Ist ein Problem mit der Wasserleitung," erklärte sie und legte eine Hand an die Seite des Geräts. Plötzlich fauchte und prustete es los und durch den Raum wehte ein köstlicher Cappuccino-Duft. Grüne Augen zwinkerten vergnügt und dann ließ sie ihn mit seinem Capuccino stehen...
 

Aus purer Gewohnheit nahm sich Sarus einen Glückskeks. Selbstverständlich glaubte er nicht an die Dinger. Trotzdem brach er ihn ordentlich entzwei. Und während er sich einen Teil in den Mund steckte, las er, was auf dem Zettel stand: "Eine unerwartete Reise steht ins Haus". Na bitte, da haben wir's! Als er die Cafeteria verließ, warf er seinen ,Glückskeks' zu einem ordentlichen Ball zusammengeknüllt in den Mülleimer.
 

Langsam schlappte er durch die große Halle. Was konnte er jetzt unternehmen? Mal seh'n, ob was Neues am schwarzen Brett stand. Das schwarze Brett hieß nur noch so, denn eigentlich war es eine megagroße, silbermattlackierte Magnetwand, aber von dem Begriff kam man einfach nicht los

Die üblichen Sachen hingen da, Schulordnung, Stundenpläne, Reinigungsdienst, Ferienjobs ....

Moment mal, Ferienjobs, was war denn das?
 

WALDELFE SUCHT HILFE FÜR INVENTUR.

UNTERKUNFT UND VERPFLEGUNG KOSTENLOS, KLEINES TASCHENGELD, NACHMITTAGS FREI.

INTERESSENTEN MELDEN SICH BITTE BEI AYDEN GRAY
 

DAS hörte sich irgendwie gut an. Waldelfe = Wald? Und nachmittags frei? Ein so genannter Teilzeitjob also.
 

Das könnte doch was sein, hier war ja nix los, waren alle in den Ferien. Warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, oder geht der Spruch anders rum?
 

Sicherheitshalber nahm er den Zettel vom schwarzen Brett. Schließlich sollte ihm keiner zuvorkommen. Hm. Ayden Gray, war das nicht der Lehrer von vorhin?
 

Sarus machte sich auf den Weg zum Büro von Ayden. Je näher er kam, desto fester entschlossen war er, den Job zu bekommen. Nicht nur wegen dem Geld, sondern auch, um hier raus zukommen (Sarus hatte absolut nichts gegen die Schule, aber allein hier rumzuhocken könnte einem schon auf den Wecker gehen).
 

Klopf, klopf, höflich pochte er an die Tür. Dieser Ayden musste direkt dahinter gestanden haben, denn er öffnete sofort.
 

Ups war der groß! Sarus musste fast den Kopf in den Nacken legen, um ihn anschauen zu können. Wow, was für tolle Augen! Kein Wunder, dass die ganze Oberklasse für ihn schwärmte. Dunkelgraue Augen mit goldenen Sprengeln, die ihn ansahen. IHN! Freundlich aber auch irgendwie fragend. Äh, was wollte er denn hier? Der Zettel in seiner Hand fiel ihm ein.
 

"Ich möchte mich für den Ferienjob bewerben," sagte er entschlossen. Hoffentlich war er noch frei, also der Job.

Ayden legte den Kopf zur Seite und schaute Sarus nachdenklich an. Dann lächelte er.

"Du bist Sarus Sastre, nicht war? Na dann komm mal rein."
 

Der erste Eindruck von Ayden's Büro war Licht. Jede Menge Licht. Es war so strahlend hell, dass Sarus seine empfindlichen Augen erst mal zukneifen musste. Deshalb bemerkte er zuerst ihren Duft von Wald, Wasser, Luft, bevor er sie sah, das Mädchen von vorhin. Sie saß auf der Fensterbank und ließ die Beine baumeln.
 

"Wegen dem Job musst du mit Leyanne sprechen." Ayden schob ihn näher ans Fenster ran. Jetzt war Sarus aber enttäuscht. DIE da war doch niemals eine Waldelfe! Nie im Leben! Und überhaupt, wer war die eigentlich. Misstrauisch wanderte sein Blick von ihr zu Ayden.
 

"Leyanne, das ist Sarus Sastre aus der 1. Klasse," stellte Ayden ihn vor.

"Sarus, das hier ist meine Schwester, Leyanne Ayden".

SCHWESTER? Also die beiden hatte so gar keine Familienähnlichkeiten, oder doch?

Ayden Gray war groß, mit dunkelbraunen kurzen Haaren und den dunkelgrauen goldgesprengelten Augen und wuuuuunderschön.

Leyanne Ayden war groß, mit rotbraunen kurzen Haaren und grünen Augen und bestenfalls drollig zu nennen.

Bruder und Schwester hatten beide dieses humorvolle Etwas in den Augenwinkeln und was ihnen Sarus hoch anrechnete, war, dass sie, obwohl garantiert magisch begabt, ihm nicht gleich über seine (nichtvorhandenen) magischen Fähigkeiten ausquetschten. Da hatte er schon die tollsten Sachen erlebt. Und wenn er die Augen schloss und seine anderen Sinne einsetzte, und auch wenn er immer noch nicht wusste, wie eine Aura aussah, so hatte er doch das, was man Instinkt nennt und der sagte ihm, dass diese beiden von der gleichen Art waren (auch wenn wir noch nicht wissen, was für eine das eigentlich ist)
 

O.k. er akzeptierte, dass die beiden Geschwister waren und er konnte sich durchaus vorstellen, mit einem der beiden zusammenzuarbeiten (wobei ihm Ayden lieber wäre ^^, aber das war wohl eher unwahrscheinlich). Etwas verspätet verbeugte er sich leicht vor Leyanne. Diese erwiderte den Gruß.
 

"Du bist ein Wolfling, nicht wahr?" fragte sie ihn freundlich. Wieder wanderte sein Blick misstrauisch von einem zum anderen, aber er konnte keinen Argwohn feststellen.

"Wäre das ein Hindernis?", fragte er steif. Lachend schüttelte Leyanne den Kopf.

"Wenn das, was ich über Wolflinge weiß, stimmt, dann bist du perfekt für den Job," meinte sie. "Eine Freundin braucht Hilfe bei der Arbeit im Wald. Sie ist Hüterin des Waldes von Ansdom. Warst du schon mal dort?" Sarus schüttelte den Kopf. Der Wald von Ansedom, nicht dass er noch nie etwas darüber gehört hatte, aber dort gewesen war er noch nicht. Der Job würde interessant werden. Wenn er ihn bekam!
 

Leyanne hatte mit Ayden einen Blick gewechselt. Dieser nickte kaum merklich.

"Also gut, wenn du willst, hast du den Job. Ayden klärt das mit der Schule. Besonders reich wirst du nicht werden," sie zwinkerte mal wieder mit den Augen, "aber du hast Unterkunft und Verpflegung frei und wie gesagt, nachmittags kannst du machen, was du willst." Leyanne streckte die Hand aus. Ohne groß nachzudenken, schlug Sarus ein.
 

In seinem Zimmer packte er schnell das Nötigste zusammen, oben drauf noch das Kräuterbuch, wer weiß, womöglich konnte man sich vor Ort weiterbilden. Auf seinem Schreibtisch legte er eine kleine Notiz, vielleicht suchte Karat ja doch nach ihm, oder Choko kam früher als erwartet zurück, dann wussten die, wo er war. Mit seiner Reisetasche machte er sich wieder auf den Weg zu Aydens Büro. Dabei überlegte er, wie sie eigentlich nach Ansedom kommen sollten, denn wenn er sich richtig erinnerte, dann lag es nicht gerade nebenan.
 

Im Büro war alles wie vorhin. Ayden öffnete die Tür und Leyanne saß auf der Fensterbank und baumelte mit den Beinen.

"Hast du alles?" wollte sie wissen.

"Jawoll," Sarus klopfte auf seine Tasche. Sie hüpfte von der Fensterbank, trat zu ihnen und Bruder und Schwester umarmten sich zum Abschied. Sarus wurde richtig neidisch. Auf Leyanne. Aber dann kam Ayden, ergriff seine Hand und schüttelte sie kräftig. Sarus schluckte. Komisch, wollte er wirklich hier weg?
 

"Am besten, wir starten von hier aus," meine Leyanne fröhlich. Ayden verzog das Gesicht.

"Muß das sein?" wollte er wissen. Sarus war happy. ER wollte nicht, dass er ging. Aber Leyanne lachte nur und streckte die Hand aus. So wie man sie unter dem Regenschirm hervorstreckt, um zu sehen, ob es noch regnete. Wo sollte denn hier bitteschön Regen herkommen, fragte sich Sarus. Aber dann entstand doch tatsächlich vor dem Fenster ein Wasserfall. Nicht gerade die Niagarafälle, aber es war unbestreitbar ein Wasserfall. Ayden sah gespielt ärgerlich auf die Wassermengen, die auf seine schönen Fliesen platschten, aber Leyanne schien das nicht zu kümmern. Sie ergriff Sarus Hand.

"Schließ bitte die Augen und öffne sie erst wieder, wenn ich es dir sage," bat sie ihn.

"Hab keine Angst," beruhigte ihn Ayden, "das ist ganz ungefährlich. Das ist etwas, das lernen bei uns die kleinen Kinder." Bei und? Wer war uns. Aber bevor Sarus fragen konnte, ging Leyanne auf den Wasserfall zu und zog ihn mit sich. Gehorsam schloss er die Augen. Er spürte noch, wie das Wasser auf ihn herabplätscherte, ihn umfing und dann ...
 


 

... gar nichts mehr.
 


 


 


 


 

Dunkel - warm - Dunkel
 

Und dann nur noch dämmrig, grünes Licht und alles so weich.

War das Ansedom?
 

Gekicher? Mädchen! Das konnte doch nicht Ansedom sein.

Sarus beschloß, sich davon zu überzeugen und öffnete die Augen. Über ihm wölbte sich eine schön bemalte Decke. Sie zeigte eine Waldszene mit vielen Tieren, war richtig hübsch.

Sarus richtete sich ein wenig auf. Er lag in einem weichen, gemütlichen großen Bett. Dieses stand in einem halbrunden, dämmrigen Raum. Ihm gegenüber war keine Türe, sondern nur ein breiter grüner Vorhang, der das Bett vom Rest des Raumes abtrennte. Durch einen Spalt im Vorhang lugte ein blaues Auge, darüber eine blonde Haarsträhne. Gerangel vor dem Vorhang, jetzt guckte ein violettes Auge durch den Spalt. Das hätte ja ganz interessant sein können, wenn die nicht alle IHN anstarren würden. Hatten die denn noch nie einen Wolfling gesehen? Er beschloss, ihnen den Spaß zu verderben und verkroch sich wieder in Decken und Kissen.

Er wurde mit einem enttäuschten "Ooooch" belohnt.
 

Plötzlich klatschte jemand vor dem Vorhang in die Hände.

"Los, Kinder, raus an die Sonne, er ist ja nachher auch noch da," verlangte eine warme dunkle Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Dann hörte er, wie der Vorhang aufgezogen wurde und er setzte sich im Bett auf. Für eine beglückende Sekunde lang glaubte er, Ayden wäre gekommen, um ihn zu retten (vor den Mädels). Aber dann kam die Gestalt näher und er sah, dass es eine große, schlanke Frau war. Die langen, dunkelbraunen Haare waren zu einer kunstvollen Frisur verflochten. Sie trug eine lange, dunkelblaue Robe mit silbernen Verzierungen. Ihre dunkelgrauen Augen musterten ihn freundlich.

"Hast du gut geschlafen?" wollte sie wissen. Sarus konnte nur nicken.

"Es geht vielen so, dass sie ganz erschöpft sind, wenn sie durch die Pforte kommen," versicherte sie ihm. Dann lächelte sie ihn an.
 

"Ich bin Talana Gray! Willkommen auf unserer Insel."

Sarus konnte gar nicht richtig denken. Pforte? Insel? Wo war er denn? Das einzige, was er mitbekommen hatte, war, dass diese Frau wohl auch eine Verwandte von Ayden war.

Richtig erleichtert war er, als Leyanne hinter Talana auftauchte. Hätte er nicht gedacht, dass er sich mal freuen würde, sie zu sehen.

"Gut geschlafen?" wollte auch sie wissen und reichte ihm einen Becher. Dankbar nahm Sarus einen Schluck. Das konnte er jetzt gebrauchen. Hm, lecker, so reines Quellwasser hatte er schon lange nicht mehr gekostet.
 

Weil der Vorhang jetzt offen war, konnte er auch den Rest des Raumes sehen und schaute sich neugierig um. Er befand sich in einer (mehr oder weniger) runden Hütte, die durch den Vorhang geteilt wurde. In der einen Hälfte standen das Bett und eine wunderschön verzierte Holztruhe, in der anderen Hälfte konnte er einen Stehpult sehen, einen Schreibtisch, ein bequemes Sofa und dazu ein Tischchen. Wer immer in diesem Häuschen wohnte, er hatte einen guten Geschmack. Nicht nur die Decke war bemalt, auch an den Wänden hingen ein paar schöne Bilder und über dem Sofa lag ein wunderschön gewebter und gefärbter Überwurf.
 

Leyanne saß immer noch neben ihm auf dem Bettrand. Talana stand vor dem Vorhang und schlüpfte gerade aus ihrer Robe. Sarus lehnte sich vertraulich zu Leyanne

"Deine Schwester ist wunderschön," flüsterte er leise. Aber nicht leise genug. Talana lachte. Warm und freundlich.

"Das war hübsch," lobte sie ihn, während Leyanne verschmitzt grinste. "Aber Leyanne ist meine Tochter," klärte sie ihn auf.
 

Mutter und Tochter? Also er hatte ja schon schwer daran zu schlucken gehabt, dass Ayden und Leyanne Geschwister waren, aber das hier! Talana war nur ein paar Jahre älter als Leyanne, also niemals biologisch alt genug um die Mutter zu sein (ihr versteht was ich meine). Wo war er hier gelandet?
 

Talana hatte die Robe ausgezogen und legte sie sich ordentlich über den Arm. Irgendwie war er enttäuscht, denn darunter trug sie eine leichte Tunika und HOSEN! Sie streckte ihm die Hand hin.

"Dann komm mal mit, wir wollen schauen, was es zum Abendessen gibt," forderte sie ihn auf. Sarus verließ nur zögernd das Bett. Irgendwie war das schon unheimlich. Neben der Truhe stand seine Tasche und er nahm sich sicherheitshalber einen warmen Pullover mit.
 

"Wenn wir Glück haben, gibt es heute Fisch," freute sich Leyanne. "Von Talana höchstpersönlich gefangen, da hätte ich keine Geduld dafür."

"Ja," neckte Talana die Tochter, "Du würdest den Fluss darum bitten, dir die Fische vor die Füsse zu werfen und er würde das auch noch tun."

"Klar," grinste Leyanne jetzt ganz breit. "Gelernt ist halt gelernt."
 

Leyanne öffnete die Türe des kleinen Hauses und Sarus folgte den beiden nach draußen...
 


 


 

Und wieder wachte Sarus an einem fremden Ort auf. Aber diesmal wusste er wenigsten, wo er war: In der kleinen Kammer in der Waldhütte der Waldelfe Faye. Faye Seth. Gestern Abend waren sie sehr spät hier angekommen. Was für ein verrückter Tag!
 

Sarus verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Draußen ging gerade erst die Sonne auf. Die ersten Vögel zwitscherten. Er konnte noch ein wenig liegen bleiben. Sein Dienst fing erst später an.
 

Er konnte es immer noch nicht glauben. Er war auf Avalon gewesen. Besser noch, er hatte sogar die Herrin kennengelernt. Aber irgendwie war alles anders gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte oder was er darüber gehört hatte.
 

Am meisten hatte sie sich über seine Vorstellung amüsiert, man könne die Insel nur mit einem Boot durch die Nebel erreichen. Alles nur Show. Eine einfache Dusche oder ein normaler Badezimmerspiegel genügten schon als Pforte. Und in der Tat hatte es schon Menschen gegeben, die unfreiwillig auf diesem Weg nach Avalon gekommen waren. Aber es kam selten vor und diese Menschen wurden immer sehr freundlich begrüßt und in ihre Welt zurückgeschickt. Ihre Erinnerungen an Avalon wurden in einen wunderschönen Traum verwandelt (und selbstverständlich wurde dafür gesorgt, dass sie nie wieder nach Avalon zurück finden würden)

Denn das Avalon, dass Sarus kennengelernt hatte, hatte sogar keine Ähnlichkeiten mit dem, was wir uns darunter vorstellen. Eigentlich gab es kaum einen Unterschied zu den Dörfern, die Sarus auf seinen Wanderungen kennengelernt hatte. Die Menschen hier ernährten sich von Fisch und Wild, hielten sich Kühe und Schweine und betrieben Ackerbau. Tatsächlich gehörten auch die Ländereien auf der anderen Seite des Sees zur Insel.

Sie liefen hier auch nicht den ganzen Tag in wallenden Roben herum, sondern trugen praktische bequeme Kleidung in vielen bunten Farben.
 

Sarus hatte neben Talana sitzen dürfen und er war sich absolut sicher, dass sie die momentane Herrin vom See war. Er hatte Fisch gegessen, den sie gefangen hatte und sie hatte geduldig all seine Fragen beantwortet, Natürlich hatte er versprechen müssen, mit keiner Menschenseele darüber zu sprechen (und ihr wollt doch nicht, dass er sein Wort

bricht, oder?)
 

Sarus war noch einmal eingenickt. Er wachte erst wieder auf, als er es in der Küche rumoren hörte. Frühstück! Kaum zu glauben, dass er schon wieder Hunger hatte, nach den Portionen, die er gestern verdrückt hatte.
 

Mit einen fröhlichen "Guten Morgen" tauchte er in der Küche auf. Munter wurde sein Gruß erwidert. Faye brühte gerade Tee auf und Leyanne deckte den Tisch. Sarus schnappte sich schnell ein Handtuch und ging nach draußen, um sich am Brunnen zu waschen. Uh, war das kalt, aber gut.
 

Während sich Sarus noch die zweite Portion Rührei mit Speck nahm, fingen Faye und Leyanne schon mit den Arbeitsvorbereitungen an. Faye gab die Ergebnisse vom Vortag in den Computer ein und Leyanne bereitete schon mal die Tabellen für die heutige Zählung vor.
 

Inventur im Wald von Ansedom.

Das bedeutete, dass jeder Rehkitzfleck, jedes Büschel Glücksklee und jede Blitzeiche gezählt und eingetragen werden musste.
 

Faye zählte Tiere und Leyanne war unterwegs, um alle Pflanzen und Bäume zu erfassen. Sarus wusste jetzt, warum er so geeignet für den Job war, denn seine Aufgabe würde es sein, sich um alles zu kümmern, was des Nachts krauchte + fleuchte. Kurz, Sarus war hier, um Eulen und Fledermäuse zu zählen.
 

Und weil er gerade erst frühstückte und sich die Viecher immer erst nach Sonnenuntergang zeigten, bedeutete dies, dass er jetzt den ganzen Tag machen konnte, was er wollte.
 


 

Faye und Leyanne gingen an die Arbeit. Sie hatten den ganzen Wald in so genannte Planquadrate aufgeteilt und klapperten jeden Tag ein Gebiet ab (wobei Leyanne definitiv den einfacheren Part hatte, weil es sich die Bäume im Wald von Ansedom noch nicht angewöhnt hatten, sich auf Wanderschaft zu begeben).
 

Sarus beschloss, Leyanne zu begleiten, Vielleicht bekam er ja ein paar seltene und interessante Pflanzen und Kräuter zu Gesicht (Zwischenbemerkung: Ihr erinnert euch? Kräuterkunde im ersten Schuljahr? Ja, gut, dann geht's weiter).
 

Es war ein wunderschöner Tag. Sarus hatte so richtig das Gefühl, mit seinem Ferienjob das große Los gezogen zu haben.
 

Als sie auf eine Herde Glockenblumen stießen, die munter vor sich hinbimmelten und Leyanne anfing, jede Glocke einzeln zu zählen, fand Sarus, dass es an der Zeit war, sich selbständig zu machen.

Es war wirklich ein schöner Tag. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, die Bächlein murmelten, also grad so wie immer im Wald von Ansedom. Sarus wanderte ohne Ziel kreuz und quer durch den Wald, um sich schon mal mit ihm anzufreunden, denn wenn er dann nachts unterwegs war, wollte er nicht grad gegen jeden zweiten Baum knallen. Sarus fühlte sich, 'tschuldigung, pudelwohl. Zu seinem Glück fehlte jetzt eigentlich nur noch eines ...
 

Auf der nächsten Lichtung stoppte Sarus. Da lag einer. Vorsichtig ging Sarus näher. Könnte doch sein, dass was passiert war. Aber eigentlich sah das nicht so aus. Picknickkorb, Pappteller und eine Flasche Wein sprachen eine deutliche Sprache. Sarus blieb stehen. Himmel sah der toll aus. Wie hin gegossen lag er da und seine seidigen schwarzen Haare waren auf dem weichen Waldboden wie ein Fächer ausgebreitet. Ganz sacht hob und senkte sich der flache Bauch. Sarus konnte sich gar nicht satt sehen. Vorsichtig zog er sich in das Dickicht zurück, um ihn in Ruhe zu beobachten. Fast den ganzen Mittag saß er da und ließ den Mann auf der Lichtung nicht aus den Augen. Einen gesunden Schlaf hatte der, musste man schon sagen. Erst als Sarus aus der Ferne Stimmen hörte, machte er sich auf den Rückweg. Schade, er hätte gerne seine Augen gesehen.
 

Am Abend war Sarus mit seiner Liste unterwegs, um mit der Zählung zu beginnen. Er hatte schon ein paar große Mausohrfledermäuse entdeckt und zwei braune Langohren. Faye war sich sicher, dass auch ein Rudel Zwergfledermäuse im alten Wachturm am Waldesrand hausten. Etwas leichter waren die Eulen und Käuze zu identifizieren. Besonders häufig waren die Schleiereulen vertreten, aber Sarus hatte auch schon ein paar Zwerohreulen gezählt und einige Rauhfußkäuze. Er war selig. Das war wirklich ein Ferienjob nach seinem Geschmack.
 

Am nächsten Tag schlief Sarus bis Mittag. Faye und Leyanne waren von ihren morgendlichen Touren schon zurück und ergänzten die Statistiken im Computer. Stolz sah Sarus zu, wie Faye seine Fledermäuse eingab.
 

Sie waren gerade bei einem kleinen Imbiss, als sie draußen Pferdegetrappel hörten. Wer konnte das sein? Die Frage ließ sich leicht beantworten, man musste nur vor die Türe gehen. Für einen Moment stockte Sarus der Atem. Das war doch der göttliche Kerl von gestern. Auch hoch zu Roß machte er eine tolle Figur. Sarus hielt den Atem an, aber leider gönnte er ihm nicht mal den allerkleinsten Blick. Mist, er schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen, dabei hätte er zu gerne gewusst, was für eine Augenfarbe er hatte. Das einzige was er sehen konnte, war der kühle Blick.
 

Gelangweilt ließ Vivlest von Karanest seinen Blick über die kleine Gruppe vor der Waldhütte schweifen.

"Grüße, Waldelfe Faye" sagte er kühl. "Und, klappt alles mit der Inventur?" Faye musste sich erst mal räuspern, bevor sie sprechen konnte. Sarus konnte ihr das voll nachempfinden. Ja, mit der Inventur würde alles gut laufen und dank der Unterstützung ihrer Helfer würden sie morgen oder übermorgen fertig werden. Sie, also Faye, würde dann die komplette Inventurliste direkt an das Sekretariat von Burg Karanest mailen. Vivlest nickte geistesabwesend.
 

So wichtig war die Inventur nun wieder auch nicht. Mit einem kurzen (wirklich kurzen Gruß) wendete er sein Pferd und ritt mit seinen Offizieren Frey und Lutes (deren Anwesenheit Sarus kaum zur Kenntnis genommen hatte) in den Wald zurück.
 

"Seufz" fasziniert blickte Sarus Viv hinterher.

"Seufz" gab es hier ein Echo? Sarus schaute sich um und sah, dass Faye ebenfalls, mit einem sehr melancholischen Blick, der Gruppe nachschaute. Och, die Ärmste. Sarus wusste, wie das war, unglücklich verliebt zu sein. Aber während er sich erst gar keine Illusionen über ein Leben mit Vivlest zu machen brauchte, so hatte Faye doch zumindest den Hauch einer Chance, oder nicht? Schließlich waren sie beide Elfen und es gab da auch nicht das Problem, dass 2 Männer ... äh. Sarus beschloss, mit Leyanne zu sprechen. Die müsste da doch etwas tun können.
 

Leyanne zählte heute Bäume. Auf einer Lichtung mit Birkenschösslingen, die sich an eine stolze Mama Birke schmiegten (ein wirklich idyllisches Plätzchen für ein Rendezvous - schade, dass die Schule so weit weg war), fragte Sarus, ob Leyanne Faye bei der Angelegenheit mit Vivlest nicht helfen könnte (hat halt ein gutes Herz, unser Wolfling). Die Antwort war, jetzt hob Sarus aber erstaunt die Augenbraue, ein abgrundtiefer Seufzer. Leyanne saß im weichen Gras der Lichtung, lehnte sich an Mama Birke und einer der Birkenschösslinge versuchte, auf ihren Schoß zu krabbeln. Gedankenverloren streichelte sie den kleinen Baum.

"Weißt du Sarus, Faye ist unsterblich verliebt in Vivlest. Ihr größter Wunsch ist es, dass er sich auch in sie verliebt und sie immer und ewig zusammenbleiben. Ich hab schon so viel versucht, um diesen Wunsch zu erfüllen und jedes Mal geht es schief."
 

Leyanne erfüllte Wünsche? Also irgendwie hatte sich Sarus eine Wunschfee aber anders vorgestellt, zierlicher, feiner, Bonbonrosa und Zuckersüß. Aber wer weiß?

Am liebsten hätte Sarus ihr jetzt gleich seinen Herzenswunsch ans Herz gelegt, aber nach einem Blick auf ihr bekümmertes Gesicht fand er, dass das ein wenig warten konnte. Leyanne nahm es sich offensichtlich sehr zu Herzen, dass sie den Wunsch der Waldelfe nicht erfüllen konnte. Sarus zerbrach sich den Kopf, womit er helfen könnte, aber ihm fiel einfach nichts ein.

"Und dabei wären sie so ein schönes Paar", meinte er traurig.
 


 

Sarus war wieder in der Schule. Choko war wieder da und Karat und sogar Tzaphirion ließ sich dazu herab, mit ihm zu reden. Und es gab so viel zu erzählen. Begeistert erzählte er von seinem Ferienjob in Ansedom und dass er nächstes Jahr wieder bei der Inventur helfen würde. Besonders stolz war er, dass er es gewesen war, der die kleinen Hufeisennasen entdeckt hatte (Fledermäuse - die gibt's wirklich - ehrlich). Er erzählte von Faye, schwärmte von Vivlest. Manchmal dachte er an sein Gespräch mit Leyanne auf der Birkenlichtung und wurde ein bisschen traurig, aber nicht lang. Dafür war das Leben doch viel zu schön und es war für ihn der Beweiß, das es gar nicht so schlimm war, keine Magie zu haben, denn Magie kann doch nicht alles.
 

Nur über eines redete er nie.
 

Sarus erzählte keiner Menschenseele von Avalon und Talana. Auch Ayden Gray gegenüber machte er nicht die allerkleinste Bemerkung, der war für ihn einfach nur ein Lehrer, der ihm einen tollen Ferienjob vermittelt hatte (und für den man ein bisserl schwärmen konnte). Ayden schmunzelte manchmal, wenn er Sarus sah. Wisst ihr warum?
 

Sarus konnte gar nichts über Avalon erzählen, weil er sich nämlich nicht mehr daran erinnerte, jemals dort gewesen zu sein. Wie für alle anderen, so waren Avalon und seine Herrin für Sarus wieder in den Nebeln über dem See entschwunden.

Kräuterheilkunde , die erste

Prolog
 

Endlich war Ruhe eingekehrt in der Salurischen Universität. Fragt nicht, was da jeden Abend vor dem Schlafengehen (und während der Schlafenszeit) los war.

Es gibt Dinge, die muß man nicht wissen. Und das gehört eindeutig dazu.
 

Sarus Sastre schlief den Schlaf der Gerechten und auch der Ahnungslosen. Hatte der Wolfling doch tatsächlich vergessen, dass er in Avalon gewesen war. Nun, er konnte nichts dafür, dass der Zauber des Vergessens über ihn gelegt worden war. So erinnerte er sich nur, und das gerne, an seine Zeit im Wald von Ansedom. Die Tage im Wald, Faye, Leyanne, Vivlest (an ihn ein wenig wehmütig). Schön war's gewesen und er würde sofort wieder hingehen. Faye hatte ihm schon versprochen, dass er im nächsten Frühjahr wieder bei der Inventur helfen durfte.
 

Sarus schlief also selig in seinem Bettchen, träumte süß und hatte absolut keine Ahnung (wie auch, wenn er sich nicht mehr daran erinnert), dass er sich bald mit Avalon, seinen Bewohnern und seinen Problemen herumschlagen durfte.
 

1. Kapitel
 

In allerletzter Sekunde hechtete und hechelte Sarus in das Klassenzimmer. Warum hatte er auch beim Frühstück so getrödelt. Aber er hatte Glück. Prof. Seng, Lehrer für Kräuter und Heilkunde saß nicht an seinem Platz. An seiner Stelle beugte sich Ayden Gray über das Klassenbuch.
 

Leise schlüpfte Sarus an seinen Platz und legte seine Bücher auf das Pult. Unruhig rutschte er hin und her. Er hatte sich noch nicht so recht an seinen Stuhl gewöhnt. Die Angewohnheit seiner "Artgenossen" sich zigmal im Kreis zu drehen, bevor sie sich niederlegten, hatte er zum Glück abgelegt, aber er fand es doch manchmal schwer, auf einem Stuhl zu sitzen. Er wußte nie so recht, wohin mit seinem Schwanz. Er hatte seinen Klassenlehrer Merill an'Riagh schon gefragt, ob er sich nicht ein Loch in die Lehne sägen könnte, aber der hatte nur eine Augenbraue gehoben und so hatte Sarus darauf verzichtet. Es gab ja so manche Vorschläge, seinen Schwanz auf magischem Weg verschwinden zu lassen, wenigstens während des Unterrichts, aber bis jetzt konnte sich Sarus nicht dazu überwinden, ein Wolfling ohne seinen Schwanz, wo gab's den so was?
 

Er hatte seinen Schwanz endlich gut untergebracht und lehnte sich nach hinten.

"Was ist denn los," zischte er.

"Weiß nicht, der kam plötzlich rein", kam die Antwort. Zu blöd, dass ausgerechnet Taziphiron hinter ihm saß. Ein etwas besser informierter und vor allem etwas motivierterer Klassenkamerad wäre ihm jetzt aber lieber. Was Ayden hier wohl machte, fragte er sich. Nicht, dass er etwas gegen dessen Anwesenheit hatte, aber eigentlich hätten sie doch jetzt Heilkunde bei Professor Seng. Der gute alte Tei G.
 

KLAPP. Mit einem leisen Knall schloß Ayden das Klassenbuch und sah auf. Er ließ seinen Blick über die Klasse schweifen und blieb dann an Sarus hängen. Dieser hielt die Luft an. Ayden zwinkerte ihm zwar nicht zu, das war nicht seine Art. Aber das leise Lächeln in seinem Mundwinkel schlich sich kurz in seine Augen und war für Sarus allein bestimmt.
 

"Professor Seng ist leider krank geworden und fällt für unbestimmte Zeit aus. Ich werde mich bemühen, ihn würdig zu vertreten. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich Geschichtslehrer. Ich habe mich schon einige Zeit nicht mehr mit der Heil- und Kräuterkunde beschäftigt. Aber ich bin sicher, wir werden ein Thema finden, mit dem wir alle etwas anfangen können."
 

Und das fand er. Ayden erzählte so faszinierend über die Geschichte der Heilkunde, er hätte ewig weiterreden können. Besonders weil er eine so angenehme Stimme hatte.

Erst die Pausenglocke brachte in Erinnerung, dass sie im Unterricht waren und jetzt in die Sporthalle mußten. Stockfechten, Schwertkampf und Bogenschiessen bei Kae Song. Warum wurde der nicht mal krank?

Ayden stapelte seine Bücher sorgfältig aufeinander.

"Wenn mich einer von Ihnen kurz in mein Büro begleiten würde, könnte ich ihm ein paar Aufgaben für Sie mitgeben" erklärte er.

Autsch, Sarus sprang vom Stuhl auf. Etwas hatte ihn gepikst. Wütend drehte er sich um. Wer war das? Taziphiron, der hinter ihm saß, guckte ihn nur mit ausdrucksloser Miene an. Irgendwie war es auch unwahrscheinlich, dass der von sich aus Sarus so einen Streich spielen würde. Na wartet, er würde schon dahinter kommen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich den Po.

"Gut Sarus, am Besten kommst du gleich mit mir mit." Ayden hatte das mißverstanden und dachte wohl, Sarus hätte sich gemeldet. Was sollte er tun? Ihm blieb nix übrig, er mußte mit dem Lehrer mitgehen. Und so schlimm war das nun wieder auch nicht. Bei dem Gedanken, dass er ein paar Minuten Unterricht bei Kae Song schwänzen konnte und das mit Erlaubnis eines Lehrers, wurde er schon wieder fröhlich und er vergaß seinen Schmerz. Übermütig streckte er seinen Klassenkameraden die Zunge heraus und folgte Ayden aus dem Zimmer.
 

Vergnügt hüpfte Sarus neben Ayden durch das Schulgebäude. Ab und zu schaute er den hochgewachsenen Lehrer bewundernd an. Wie schön sein dunkles Haar im Sonnenlicht schimmerte, das durch die Fenster schien.
 

"Tut es noch weh?" fragte Ayden plötzlich. Sarus, der so traumverloren neben ihm herwanderte, wußte im ersten Moment nicht, was er meinte. Dann fiel es ihm wieder ein und er wurde etwas rot. Dass Ayden das mitbekommen hatte! Wie peinlich. Verlegen schüttelte er den Kopf.

"Dann ist's ja gut Es wäre ein wenig heikel gewesen, dich gerade dort zu heilen." Diesmal, so war sich Sarus sicher, hätte Ayden wirklich fast gezwinkert.

Sie standen schon vor Ayden's Büro, als Sarus merkte, dass Ayden sich anspannte. Sofort legte der Wolfling den Kopf schief und witterte. Er konnte nicht besonderes feststellen, aber aus Aydens Büro kam ein seltsamer Geruch, es roch irgendwie wie heißer Sand, genauso. Sarus sah darin keine Bedrohung, aber Ayden runzelte die Stirn. Er schien zu zögern, die Tür zu öffnen, konnte sich aber dann doch dazu aufraffen.
 

Drinnen spielte Musik und jemand saß in Aydens Sessel und hatte die Füße auf den Schreibtisch gelegt. Die Spitze eines Cowboystiefels wippte im Takt zur Musik.
 

Mit großen Schritten ging Ayden zum CD Player und schaltete die Musik aus. Überrascht nahm der Eindringling die Füße vom Schreibtisch und schaute hoch. Dann ging ein breites Grinsen über sein gutaussehendes Gesicht. Er stand schwungvoll auf und breitete einladend die Arme aus.

"Ayden, endlich! Laß dich umarmen, Kumpel!" rief er gut gelaunt mit seiner tiefen Stimme. Ayden sah nicht gerade begeistert aus, als er den Fremden erkannte, aber er ließ sich dann doch umarmen.

"Was suchst du hier, Chrysler", fragte er dann nicht gerade freundlich. Davon ließ sich Chrysler nicht beeindrucken.

"Darf man denn nicht mal seinen Lieblingsverwandten besuchen?," lachte er unbekümmert. Doch Ayden zog nur die Augenbrauen zusammen.

"Du tauchst doch immer nur dann auf, wenn du was angestellt hast und Hilfe brauchst", meinte er und schaute den anderen forschend an. "Was ist los?", wollte er wissen.

Aber Chrysler zuckte nur gelassen mit den Schultern. Dann musterte er Sarus, der bis jetzt atemlos zugeguckt hatte über den Rand seiner dunkelgetönten Sonnenbrille.

"Möchtest du mir diese netten jungen Wolfling nicht vorstellen?", fragte er liebenswürdig.

Ayden schloß die Augen und atmete tief ein. Warum nicht.

"Chrysler, das ist Sarus Sastre. Sarus, das ist Chrysler Drake. Ein Cousin von mir, auf der Durchreise!", den letzten Teil betonte er besonders.

Chrysler nahm die Sonnenbrille ab und ergriff Sarus Hand.

"Es ist mir ein Vergnügen.", behauptete er charmant und verbeugte sich leicht. Sarus mußte schlucken und konnte nur ein "gleichfalls" murmeln. Hingerissen musterte er den anderen. Chrysler war so groß, fast zwei Meter. Sarus musste den Kopf in den Nacken legen, um ihn in die Augen schauen zu können. Aber es lohnte sich. Chrysler hatte samtweiche braune Augen, die ihn freundlich anguckten. Seine langen dunkelbraunen Haare fielen in weichen Wellen offen den Rücken hinunter. Zu seinen Cowboystiefeln trug er eine schwarze Lederhose und eine Jeansjacke. Die Sonnenbrille steckte er in die Brusttasche der Jacke.

"Schön habt ihr's hier.", stellte er fest und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Nur ein Blick von Ayden hinderte ihn daran, auch wieder die Füße auf die Schreibtischplatte zu legen.

"Genau, schön ist es hier." Ayden verschränkte die Arme. "Und das soll auch so bleiben. Also, was willst du hier?" Auffordernd schaute Ayden den Cousin an. Chrysler seufzte gespielt.

"Was, wenn ich die Vertretung des erkrankten Kräuterlehrers übernehme?" schlug er dann vor.
 

Sarus hielt die Luft an, wieder mal. Chrysler als Lehrer, das wär's!

Er wollte gerade seiner Freude Ausdruck verleihen, oder es wenigstens versuchen, in Chryslers Gegenwart hatte er erst ein Wort sagen können, als ihm jemand zuvor kam.
 

"Du als Lehrer für Heil- und Kräuterkunde? Eher bringst du einem Schwein das Steppen bei. Du kennst doch nicht mal den Unterschied zwischen Arnica und Roter Beete" ertöne hinter ihnen eine verächtlich klingende Stimme.

Rudbeckia Asteraceaae

Wütend drehte Chrysler sich um. Was seine magischen Fähigkeiten anging, da war er sehr empfindlich. Gut möglich, dass er nicht der beste Heiler und Kräuterling war, aber das hieß noch lang nicht, dass man sich deswegen über ihn lustig machen durfte. Auch Ayden und Sarus schauten sich um. Ayden wirkte seltsam belustigt und Sarus, Sarus war erst etwas verblüfft, aber dann strahlte er über beide Backen. Denn auf dem kleinen Waschbecken unter dem kleinen Spiegel saß Leyanne Ayden und ließ die Beine baumeln. Wie war sie da wohl hingekommen, fragte sich Sarus. Unbeeindruckt sah sie dem wütenden Cousin entgegen.
 

Dessen Gesichtsausdruck wechselte wie das Wetter im April. Strahlend und mit weit geöffneten Armen ging er Leyanne entgegen.

"Meine Lieblingscousine" jubelte er. Aber die war genauso wenig begeistert wie ihr Bruder und ließ sich nicht einwickeln.

"Was willst du hier?", fragte sie nicht gerade liebenswürdig.
 

Sarus war ein wenig verwirrt. Eigentlich sollte er schon lange beim Kampftraining sein, aber das hier war so interessant. So eine merkwürdige Familie hatte er noch nicht kennengelernt. Warum nur waren Ayden und Leyanne so unfreundlich zu Chrysler? Jetzt war er aber auch neugierig, was Chrysler hier wollte.
 

Dieser kniff die Augen zusammen und blickte abwechselnd von Ayden zu Leyanne. Dann schmuggelte sich ein Lächeln in seinen Mundwinkel, das sich in den Augen fortsetzte.

"Spielst du eigentlich immer noch Amor in diesem Wald am Ende der Welt?", fragte er lässig, ein klassisches Ablenkungsmanöver. "Ich kann mir dich gar nicht als zuckersüße Wunscherfüllungsfee vorstellen.", meinte er hinterhältig.
 

Leyanne hüpfte energisch vom Waschbecken. In der Art der Avaloner gekleidet, bequeme Hosen und Hemd in grünen und beigen Naturfarben, mit den kurzen zerzausten Haaren, hatte sie absolut keine Ähnlichkeit mit einer Märchenfee.

Sie legte den Kopf schief und sah den Cousin nachdenklich an.

"Ist zwar nicht unser Thema, aber ich habe den Auftrag erfüllt.", meinte sie dann

"Du hast den Wunsch erfüllt!", fragte Chrysler ungläubig.

"Nein, das brauchte ich gar nicht," erklärte Leyanne fröhlich. "Ich hab sie in Ruhe gelassen, das Schicksal nahm seinen Lauf und jetzt erwarten sie Nachwuchs und die Hochzeit steht bevor. Ich hab die Prüfung bestanden und den dritten Grad erreicht," berichtete sie stolz.
 

Ayden und Chrysler wechselten einen Blick. Sarus wurde den Eindruck nicht los, dass die beiden die Lösung des Problems schon länger gekannt hatten. Faye und Vivlest waren jetzt ein Paar? Der Wolfling seufzte leise. Nicht das er ihnen nicht alles Gute wünschte, aber warum waren es immer die besten, die vergeben waren? (und ich überlasse es dem verehrten Leser, wen er wohl damit meinte). Er sollte jetzt ja wirklich gehen, aber ...
 

Leyanne stemmte die Hände in die Hüften und schaute Chrysler auffordernd an.

"Ich hab deine Frage beantwortet, jetzt bist du dran. WAS WILLST DU HIER?"

Chrysler tat beleidigt.

"Darf ich nicht mal meinen Lieblingsverwandten besuchen?" fragte er eingeschnappt. Diesmal wechselten Ayden und Leyanne einen Blick.
 

"Nein," sagte Ayden entschlossen.

"Du kommst nicht einfach zu Besuch," stellte seine Schwester fest.

"Schließlich kennen wir dich," fuhr Ayden fort.
 

Chrysler musterte die Verwandtschaft, die leider immun gegen seinen Charme war. Dummerweise kannten ihn die beiden wirklich zu gut, um ihnen was vorzumachen. Er beschloss, ihnen die Wahrheit zu sagen, wenigstens ein kleines bißchen davon, grad soviel, dass sie "beruhigt" waren.

"Also gut," sagte er deshalb, "ich such einfach ein Plätzchen, wo ich ein paar Tage unterkommen kann, zur Ruhe kommen kann. Keine Sorge, es ist keiner hinter mir her." versicherte er Ayden.
 

Dieser rieb sich das Kinn. Ob man Chrysler trauen konnte?

Sein Verstand rief ganz laut NEIN, aber sein Herz sagte ihm, komm schon, er ist schließlich ein Verwandter. Leyanne schaute ein wenig zweifelnd drein, aber Sarus Augen schienen zu sagen, Bitte lass ihn da, bitte lass ihn hierbleiben.
 

"O.k., ein paar Tage. Aber benimm dich und misch dich nicht in den Schulalltag ein!" verlangte er von Chrysler.

Dieser nickte erleichtert.

"Du wirst es nicht bereuen," versicherte er Ayden, doch dieser bereute jetzt schon. "Du wirst gar nicht merken, dass ich da bin." Chrysler guckte treuherzig drein. "Vielleicht kann ich ja wirklich für den kranken Professor einspringen."
 

"Oh," kam es plötzlich von Leyanne. "das glaube ich nicht." Chrysler hob fragend eine Augenbraue. Ayden grinste plötzlich, machte aber sofort wieder ein ernstes Gesicht.

"Ihr habt mich noch gar nicht gefragt, was ich hier eigentlich mache," stellte Leyanne fest.

"Dann frag ich dich," Ayden bemühte sich immer noch um einen einigermaßen ernsten Gesichtsausdruck. "Was willst du denn hier, meine liiiiiebe Cousine," mischte sich Chrysler ein.

"Ich würd auch gern wissen, warum du hier bist," kam es schüchtern von Sarus.
 

Leyanne lehnte sich bequem gegen die Schreibtischplatte und steckte die Hände in die Hosentaschen.

"Nachdem mein Auftrag in Ansedom erfüllt war, stand ich mehr oder weniger für einen neuen zur Verfügung. Und als die Schulleitung auf der Insel angefragt hat, ob sie nicht einen guten Heilkundler hätten, naja, da dachten die sich wohl, ob ich als Lehrer nicht besser geeignet bin als als Glücksfee. Du kannst also nicht für Prof. Tai G. Seng einspringen, weil ich das tue!"
 

Sarus strahlte wieder mal. Der Ausdruck "über beide Backen" genügte hier nicht, denn sein Grinsen reichte von einer Wolflingsohrenspitze bis zur anderen. Mindestens.
 


 

Am nächsten Morgen war Sarus der erste im Klassenzimmer. Leyanne als Lehrer, da wollte er keinen Sekunde verpassen. Daleth und Tzaphirion kamen gleich nach ihm, dann Amarin, der ihn überrascht anstarrte. Sarus guckte möglichst gleichgültig zurück. Warum durfte er nicht mal pünktlich sein. Die anderen kamen einer nach dem anderen an und als letztes schlüpfte diesmal Choko auf seinen Platz.

Sorgfältig legte Sarus sein Kräuterbuch heraus und ordnete Stift und Block auf seinem Pult. Dann fiel sein Blick zur Türe. Entsetzt starrte er auf die Szene, die sich ihm da bot. Keami hatte Choko auf die Schulter genommen und dieser stellte einen Eimer voll Wasser oben auf die Türe. Wenn diese aufging, dann würde das Wasser ja ...

Sarus sprang auf, aber es war zu spät. Die Türe öffnete sich schwungvoll und es kam, wie es kommen mußte. Der Eimer konnte sich der Erdanziehungskraft nicht mehr widersetzen und kippte um. Sarus riss vor Schreck die Augen auf. Eigentlich wollte er das gar nicht sehen. Aber er konnte den Blick einfach nicht abwenden. Und dann blieb ihm der Mund offen stehen. Seinen Klassenkameraden erging es nicht anders. Denn als das Wasser auf sie herunter platschte, hob Leyanne abwehrend eine Hand. Wie wenn das was nützen würde! Aber offensichtlich brachte es doch etwas, denn das Wasser teilte sich und Leyanne konnte unter dem Wasserbogen hindurchgehen und bekam nicht mal einen Spritzer ab. Und dann stand sie vor der Klasse, mit einem amüsierten Glitzern in den leuchtend grünen Augen. Sarus kam sie ganz ungewohnt vor, denn heute trug Leyanne einen langen weißen Umhang mit weiten Ärmeln und Kapuze. Die Kapuze hing den Rücken hinunter und man konnte heute die bunten Haarsträhnen in ihrem sonst rotbraunen Haaren besonders gut sehen. Grün, blau und weiß standen sie in alle Richtungen ab. Sarus wußte, was sie bedeuteten. Grün stand für die Natur, blau für das Wasser und weiß war ganz neu dazukommen, es stand für das Element Luft. Normalerweise waren diese Haarsträhnen nicht so auffällig, aber Leyanne wollte damit wohl ihre magischen Fähigkeiten besonders hervorheben, aber nach ihrem Kunststück mit dem Wasser bestand daran wohl kein Zweifel mehr. Am Saum des Mantels und an den Ärmelaufschlägen wiederholten sich die Farben übrigens. Grüne Blätter und blaue Wellenlinien waren darauf gestickt, ob auch weiße Wölkchen drauf waren, konnte Sarus von seinem Platz aus nicht sehen.
 

"Guten Morgen," begrüßte Leyanne die Klasse fröhlich und verbeugte sich leicht. "Ich bin Leyanne Ayden, die Schwester Ihres Lehrers Ayden Grey. Ich werde Sie eine Zeitlang in Heil- und Kräuterkunde unterrichten, bis Ihr Lehrer wieder den Unterricht übernehmen kann."

Leyanne setzte sich an das Lehrerpult und öffnete das Klassenbuch. Sarus seufzte erleichtert auf. Sie hatte das mit dem Wasser wohl nicht übel genommen. So ein Glück! Leyanne schaute ins Klassenbuch und zog die Nase kraus. Dann ging ihr Blick durch die ganze Klasse.

"Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen," meinte sie sanft. "Damit ich weiß, wie weit Sie in Kräuterkunde schon gekommen sind, werde ich Ihnen eine Aufgabe stellen, die Sie bitte jetzt gleich lösen werden. Ich werde ein wenig herumgehen und Sie nach Ihrem Namen fragen, damit ich Sie so schnell wie möglich kennenlerne. Bitte schreiben Sie solange alles auf, was Ihnen zu den RUDBECKIA einfällt."
 

Leyanne machte ein harmloses Gesicht, aber Sarus wurde den Verdacht nicht los, dass sie sich köstlich amüsierte. Mist, Mist, Mist, sie hatte den Vorfall mit dem Eimer doch übel genommen. Normalerweise hätte sie bestimmt jeden Schüler aufgerufen und der hätte sich kurz (oder auch länger) vorgestellt und dann wäre die erste Stunde fix rumgewesen. Und jetzt das! Sarus ließ die Ohren hängen. Rudbeckia, Rudbeckia, was war das bloß? Und für was war das gut? Tooootales Blackout!! Vor Verzweiflung kaute er auf seinem Bleistift. Das Schlimmste war, alle anderen schrieben fleißig, dass konnte er genau hören! Vorsichtig linste er nach links, aber er konnte nicht entziffern, was Karat da schrieb. Sarus hängende Ohren signalisierten 'need help' und seine Flehen wurde erhört. Von irgendwo her kam ein Zettelchen angeflogen und landete auf seinem Schreibtisch. Aber bevor der erleichterte Wolfling den Zettel schnappen und ihn heimlich unter dem Pult lesen konnte, bekam dieser schon wieder "Flügel". In anmutigen Auf- und Abbewegungen schwebte er wie ein kleiner weißer Schmetterling auf das Lehrerpult zu, wo Leyanne stand und ließ sich auf ihrer geöffneten Hand nieder. Sarus hatte sich ja so sehr gewünscht, mal dabeizusein, wenn sie ihre Fähigkeiten einsetzte, aber doch nicht so. Bitte laß es ein Liebesbrief sein, dachte er, bitte bitte!!
 

Aber natürlich war es kein Liebesbrief, sondern ein Spickzettel, das sah er schon an ihrem Blick. Sie guckte ihn traurig an und auch ein wenig enttäuscht. Sarus biß sich auf die Lippe. Das hatte er nicht gewollt. Unterdessen nahm Leyanne ein Stück Kreide und schrieb etwas an die Tafel. Sarus bemühte sich, an ihr vorbeizugucken, was da stand.
 

RUDBECKIA gehört zu den ASTERACEAAE

Deutscher Name = Sonnenhut, Asterngewächs.
 

Leider brachte das Sarus nicht mehr sehr viel, denn der Unterricht war kurz danach zuende und er mußte in den Kampfunterricht. Dort sollte er feststellen, dass das wirklich nicht sein Tag war. Er schlug sich den Kampfstab gegen die eigene Nase und traf mit seinem Pfeil nicht mal die Zielscheibe. Und später, in der Teestunde, schnappte ihm Keami das letzte Erdbeermarmeladebrötchen vor der Nase weg. Mehr recht als schlecht brachte er noch die Arbeitsstunde hinter sich, dann zog er sich auf sein Zimmer zurück, um noch ein wenig in seinem Kräuterbuch zu schmökern. Morgen wollte er sich nicht schon wieder blamieren. Er war so vertieft in seine Lektüre, dass er von dem ganzen Getuschel und Gemurmel und den üblichen Abendritualen nichts mitbekam. Schließlich wurde es still und immer stiller und die ganze Universität schlief. Die ganze Universität? Nicht ganz! Irgend jemand war da noch unterwegs.

Kräuterheilkunde die zweite

Der Mond ging spät auf in dieser Nacht. Aber als er endlich die Fenster der Aula erreichte, beschien sein silbernes Licht eine unheimliche Szene. Mitten in der Halle lag einer. Leblos reglos auf dem Bauch, Arme und Beine weit von sich gestreckt.
 

Sah ganz so aus, als ob Chrysler Drake doch noch als Aushilfslehrer zum Einsatz kommen sollte. Blieb nur zu hoffen, dass er als Kampflehrer besser geeignet war als Heil- und Kräuterkundler.
 

Denn da lag er, der Gefürchtete, der Gehaßte, oder, um ihn beim Namen zu nennen
 

KAE SONG
 

Es war keine große Überraschung, dass es den Lehrer für Kampftechnik erwischt hatte. Die eigentliche Überraschung war, dass es nicht schon früher passiert war.

Aber da lag er nun. Mausetot. Nun ja, beinahe.
 

Genau wie Professor Tai G. Seng schief er nur. Er lag in einem komaähnlichen Schlaf. Und nichts konnte Dornröschen 2 und 3 aufwecken. Obwohl sämtliche Fachleute der Universität den Fall untersuchten, konnte nicht festgestellt werden, was den beiden fehlte oder was sie in diesen Schlaf versetzt hatte.

Bei keinem von beiden gab es Anzeichen körperlicher Gewalt, Anzeichen von Gift oder irgendeinem Schlafzauber. Die beiden schlummerten einfach selig vor sich hin und lächelten im Traum. Ein so schöner Traum, dass sie nicht mehr aufwachen wollten?
 

Unglücklicherweise konnte sich nun auch die Geschichte von Professor Sengs plötzlichem Schwächeanfall nicht mehr halten.
 

Die Lehrer standen vor einem Rätsel.

Für die Schüler jedoch war alles klar!
 

Es war ein F L U C H
 


 

Sarus dachte im Moment nicht an so was wie einen Fluch. Es war ihm wichtiger, dass er seine Hausaufgaben alle gemacht hatte. Besonders die für Kräuterheilkunde. Er saß schon an seinem Platz und begutachtete noch mal sein Werk. Er hatte wirklich alles, was er über die Rudbeckia ausfindig machen konnte, sorgfältig notiert und sich sogar bemüht, so einen Sonnenhut zu zeichnen. Sarus fand, dass es nicht mal schlecht aussah.
 

Er nahm die Blätter vorsichtig in beide Hände und klopfte sacht mit der Unterkante der Papiere auf den Tisch. Was man halt so machte, um einen ordentlichen Papierstapel zu erhalten. Diesen legte er dann in die vorbereitete Mappe. Sarus seufzte erleichtert. Jetzt mußte er diese nur noch Leyanne überreichen.
 

"Für mich ist das die reinste Schikane", hörte er Daleths nörgelnde Stimme. "Unterricht, Ha - Ausbeutung von Schutzbefohlenen, Sklavenarbeit." Sarus guckte erstaunt auf. Und sah jetzt erst, was an der Tafel geschrieben stand.
 

Heute Unterricht im Kräutergarten
 


 

Ein Strahlen ging über sein Gesicht. Daleth ignorierend, denn der meckerte doch dauernd, wenn er Tischdienst hatte oder sein Bett machen sollte, und am Ende würde doch Tzaphirion die Arbeit machen, stürmte er aus dem Klassenzimmer.
 

Der Kräutergarten lag außerhalb der Schulmauer. Sarus mußte über das halbe Schulgelände rennen. Hinter der Kapelle war die kleine Pforte. Sarus trat hinaus in den Garten. Das Gras war noch feucht vom Tau und fühlte sich angenehm kühl an unter seinen bloßen Füßen. Leichter Nebel lag über allem. Sarus atmete tief ein. Er war froh, dass der Unterricht heute morgen draußen stattfand. Auch wenn er seine Heimat leichten Herzens verlassen hatte, so sehnte er sich doch manchmal nach der Natur und der Freiheit hier draußen.

Er war der erste. Naja beinahe. Leyanne war schon da. Nicht einen Gedanken an irgendwelche Gras- oder Erdflecken verschwendend, kniete sie mit ihrem weißen Umhang in einem der Beete. Eine kleine Blüte, die sie zart berührte, entfaltete sich und reckte ihr Köpfchen dem Himmel entgegen. Sarus trat näher. Leyanne hockte sich auf die Fersen und lächelte ihm entgegen.

Sarus grinste und salutierte. "Sarus Sastre meldet sich wie befohlen zum Unkraut jäten."

"Unkraut jäten?" fragte Leyanne verwundert und klopfte mit der flachen Hand einmal auf die Erde. Zu Sarus größter Überraschung reagierten einige der Pflanzen sofort. Ein Paar von ihnen verschwanden >PLOPP< im Erdreich. Andere zogen ihre Wurzeln aus der Erde und marschierten auf ihren zarten Wurzeln zum Waldrand, wo auf wundersame Weise ihre Artgenossen aus dem Erdreich auftauchten. Leyanne schaute zu, wie sie sich neu gruppierten und sich dann, wie wenn nichts gewesen wäre, im sanften Windhauch wiegten.
 

"Weißt du Sarus, so was wie Unkraut gibt es nicht."
 

Der Unterricht im Freien war ein Erfolg. Selbst Daleth hatte daran nichts daran auszusetzen. Es war ein wunderbarer Morgen, der Himmel strahlte wie frischgeputzt und die Kräuter dufteten betörend. Alle Schüler waren froh, für eine Weile aus dem Schulgebäude herauszukommen. Zur Zeit herrschte dort eine düstere Atmosphäre, die besonders die magisch feinfühligeren Schüler bedrückte. Und selbstverständlich machte es einfach mehr Spaß, seine Nase in die Kräuter zu stecken und nicht nur in die Bücher.

Leider war die Stunde viel zu schnell zuende und die Klasse mußte zurück in das Schulgebäude.
 

In der großen Pause entdeckte Sarus, dass er seine Hausaufgaben für Kräuterkunde noch immer nicht abgegeben hatte und machte sich auf die Suche nach Leyanne. Er fand sie im Verwaltungsgebäude, wo man ihr ein kleines Büro zur Verfügung gestellt hatte. Leyanne saß am Schreibtisch und hatte einen kleinen Stapel Hausaufgaben vor sich liegen. Aber sie war nicht allein. Ayden stand am Fenster und Chrysler lümmelte bequem in dem kleinen Sessel vor dem Schreibtisch. Die Aydens gab's im Moment wohl nur im Family-Pack. Familie? Irgendwo in Sarus Hirn klingelt etwas. Aber er kam nicht drauf, was es war. Na egal. Leicht verlegen überreichte Sarus Leyanne seine Mappe. Sie schlug den Deckel auf und pfiff leise. Sarus bemühte sich, nicht rot anzulaufen. Er murmelte einen Gruß und wollte sich so schnell wie möglich wieder aus dem Staub machen, aber er wurde aufgehalten.
 

"Na Wolfie, wie ist denn der Unterricht bei meiner allerliebsten Cousine?" wollte Chrysler leicht gelangweilt wissen. Sarus mochte das nicht, wie der 'Wolfie' sagte.

"Gut," sagte er deshalb etwas kühl. "Interessant und wir lernen wirklich viel. Heute waren wir im Kräutergarten und ich kann sagen, die ganze Klasse ist nun durchaus in der Lage, Arnika von roter Beete zu unterscheiden."

Autsch, das hatte gesessen. Chrysler guckte finster drein. Sarus konnte ja nicht ahnen, dass dieser nur eine kleine Ablenkung gebraucht hatte, eine Atempause, denn Ayden hatte ihn gerade hübsch in der Mangel. Jetzt war Sarus wirklich verlegen, denn das war ja nicht so seine Art. Aber Ayden und Leyanne schauten ihn richtig stolz an. Sarus sollte jetzt wirklich gehen, aber so wie's aussah, hatten ihn die drei in ihre Familiendiskussion aufgenommen.

Ayden begab sich wieder auf seinen Fußmarsch, den er wohl vorhin unterbrochen hatte. drei Schritte in die eine Richtung und drei in die andere. Am besten, Sarus blieb einfach dort wo er war. Und irgendwie war diese Familie doch wirklich faszinierend.
 

"Weißt du Chrysler, irgendwie ist es schon verdächtig, dass du auftauchst, einen Tag nach Prof. Sengs 'Unfall'" nahm Ayden den Faden wieder auf.

"Was ist denn daran verdächtig," wollte Chrysler verärgert wissen. War wohl immer noch sauer wegen Sarus Bemerkung. "Deine eigene Schwester ist ja wohl auch einen Tag danach aufgetaucht." Die Geschwister wechselten einen Blick.

"Leyanne ist auf Wunsch der Schulleitung hier. Es gab eine offizielle Anfrage auf der Insel, ob ein Kräuterkundiger frei ist, der kurzfristig einspringen kann."

"So ein Zufall aber auch, dass Leyanne gerade in diesem Moment mit ihrem Rosazuckerfeevertretungsauftrag fertig geworden ist," meinte Chrysler gehässig.

"Ja nicht wahr," stellte Leyanne liebenswürdig fest. "Aber falls du es noch nicht mitbekommen hast, es geht hier um dich, nicht um mich. Ich hab nicht die Angewohnheit, mich in dunklen Vorgängen zu verstricken." Ayden ließ den Cousin gar nicht erst zu Wort kommen.

"Ich hab mich erkundigt, du warst einige Zeit Zuhause auf der Insel. Du hast es sogar geschafft, dass sie dich diesmal nicht von der Insel geworfen haben. Du bist dort fast die ganze Zeit in der Bibliothek gewesen. Also mach uns nicht vor, dass du hier einen sicheren Unterschlupf suchst."
 

INSEL? Sarus hörte nur noch mit einem Ohr zu. Schon wieder, er hatte das Gefühl, dass ihm das was sagen musste, aber was? Während Sarus sich das Gehirn zermarterte, ging es Chrysler nicht besser. Abschätzend schaute er von Ayden zu Leyanne. Sah ganz so aus, wie wenn er doch mit der ganzen Wahrheit rausrücken musste. Denn so gut die beiden ihn kannten, so gut kannte er auch sie. Von der ganzen Verwandtschaft waren sie ihm am Liebsten, wenn sie nur nicht so verdammt anständig wären. Wenn er ihnen nicht bald einen vernünftigen Grund für seine Anwesenheit hier nannte, konnte es durchaus sein, dass er sich bald in einer fest verschlossenen Kiste auf dem Weg nach Übersee wiederfand. Gut, es würde ein Risiko sein, sie einzuweihen, aber er konnte auf ihren Familiensinn setzen, dass sie ihm nicht in den Rücken fallen würden.

Chrysler gab sich einen Ruck.

"Gut," meinte er. "Ich werde euch sagen, was ich hier suche. Ich hab ein wenig in der Bibliothek gekramt, den Weg nach El Dorado gesucht, Informationen über verborgene Schätze, untergegangene Schiffe. Das ist die reinste Fundgrube dort," erklärte Chrylser begeistert. Sarus hielt die Luft an. Das wurde ja immer besser! Ayden und Leyanne waren leider nicht so leicht abzulenken.

"Chrysler" erinnerte Leyanne deshalb sanft. "Die Universität."
 

"Ha," Chrysler schnaubte verächtlich. Kein Ohr für eine gute Geschichte.

"Ich würde wohl heute noch dort sitzen, wenn mir Kenia nicht geholfen hätte. Sie hat da ein Buch angeschleppt, das ...."

"Moment mal," unterbrach diesmal Ayden. "Kenia?" In seiner Stimme schwang leichte Panik mit.
 

Kenia, in der Bibliothek auf Avalon unterbracht, damit sie nichts "anstellen" konnte. Kenia, die es trotzdem immer wieder fertig brachte, in Schwierigkeiten zu geraten. Kenia, die das alles doch gar nicht wollte und andere immer mit reinriss.

Leyanne erinnerte sich schaudernd an das Buch mit den Zauberrezepten. Liebeskekse, brrr. Deshalb war es auch kein Wunder, dass die Geschwister fast gleichzeitig reagierten. Leyanne sprang auf und Sarus fühlte sich plötzlich von ihr an der Hand gepackt. Leyannes bunte Haarsträhnen standen in alle Richtungen ab und auch Ayden hatte plötzlich einen Zopf in seinen kurzen Haaren, ein Zopf, der in allen Farben schimmerte. Beide zeichneten merkwürdige Figuren in die Luft und murmelten etwas in einer fremden Sprache, die Sarus nicht verstand. Er wußte nicht, was hier vorging, aber er hatte das Gefühl, dass es im Büro plötzlich viel heller war. Trotzdem war das Licht viel weicher. Wenn Sarus Unterricht in praktischer Magie gehabt hätte, dann wüßte er jetzt, dass Leyanne und Ayden beide einen Schutzzauber gesprochen hatte. Er fühlte sich jetzt nur sicher und geborgen.

Ayden und Leyanne reagierten halt instinktiv, wie jeder vernünftige Avaloner.
 

Chrysler wußte was hier vorgefallen war. Und ging locker drüber weg.

"Das Buch war gar nicht so alt," machte er einfach weiter. "Grad mal 100 Jahre oder so. Und darin wurde ein Stein erwähnt, ein Kristall. 'Der Krüstal der Ehwigkeyt'. Der Stein selbst soll sehr alt sein. Genaueres weiß man nicht. Aber vor ca. 150 Jahren ist er von einem Botaniker entdeckt worden. Ich hab nun herausgefunden, dass dieser Botaniker Lehrer an dieser Universität hier war. Deshalb bin ich herkommen. Vielleicht hat er den Stein ja hier versteckt." Chryslers Augen glänzten vor Begeisterung.
 

Ayden schüttelte zweifelnd den Kopf. So war es immer mit Chrysler. "Du hast also gelesen, dass dieser Stein hier sein könnte und hast dich auf den Weg gemacht. Und? Welche Informationen hast du sonst noch?"
 

"Informationen?" fragte Chrysler verblüfft darüber, dass Ayden nicht gleich in Begeisterung ausgebrochen war.
 

"Ja, Informationen. Wer hat den Stein hergestellt oder gefunden. Und was kann er? Welche Fähigkeiten hat der Kristall," hakte Leyanne nach.
 

"Welche Fähigkeiten er hat," fragte Chrysler gedehnt. "Ich habe keine Ahnung, was der Stein kann."

Das dunkle Buch

Das war wirklich typisch Chrysler, sich verrückt zu machen wegen einer Sache von der er nicht mal wußte, wofür sie gut war. Ayden konnte da nur den Kopf schütteln.

Sarus fand, dass er sich jetzt langsam verziehen sollte. Kam ja wohl nichts interessantes mehr heraus.

Leyanne dachte inzwischen laut nacht.

"Wenn ich morgen keinen Unterricht hätte, dann könnte ich selbst in der Bibliothek nachforschen." Die beiden Männer wandten sich ihr zu.

"Und du meinst, du könntest mehr herauszukommen als ich," fragte Chrysler spitz.

"Das ist eine gute Idee," fand dagegen Ayden. "Das muss dann halt bis zum Wochenende warten."
 

"Äh," Sarus hob vorsichtig einen Finger. Drei Augenpaare richteten sich auf ihn.

"Heute abend ist doch die Feier zu Ehren des letzten Herbstmondes," bemerkte er schüchtern. "Und da haben wir doch morgen frei und dann ist schon Samstag."

"Aber natürlich," rief Ayden erfreut. "Bei diesen ganzen Vorfällen hab ich das schlicht und einfach vergessen. Und dabei finden heute abend überall Feiern statt. Du könntest rechtzeitig Zuhause sein, um bei der Zeremonie dabei zu sein." Ayden schaute Sarus wohlwollend an.

"Gut gemacht, Wolfie!" Komisch, jetzt machte es ihm gar nichts mehr aus, Wolfie genannt zu werden.

"Sag mal Sarus," fragte Leyanne. "Hast du Lust auf einen Ausflug?"
 

Wie schon einmal erwähnt, befindet sich die Bibliothek auf der Insel in einem wunderschönen Gebäude. Die Sonne zeichnete farbige Lichtkringel durch die bunten Glasfenster auf den Boden, durch die elegant geschwungenen, geöffneten Bogentüren wehte milde Herbstluft herein, Vogelgezwitscher ertönte. Sarus seufzte leise. Draußen war so schönes Wetter und er mußte hier drinnen seine Zeit absitzen und dabei hatte er doch heute frei. Leyanne schaute ihn über ihren Kneifer hinweg fragend an. Sarus seufzte noch einmal abgrundtief und schaute sehnsüchtig durch eines der Fenster hinaus ins Freie. Am liebsten würde er aufspringen um durch die Wälder draußen zu stromen. Durch die Wälder dieser merkwürdigen Insel. Die Blätter der Bäume hatten sich zwar herbstlich verfärbt, aber ansonsten war es hier irgendwie jahreszeitenlos. Sarus beschlich so ein Gefühl, als ob er schon mal hiergewesen war. Aber das war ja nicht der Fall, oder?
 

Sarus konnte nicht wissen, dass es vor ihrer Reise eine heftige Diskussion gegeben hatte, auf welchem Weg sie zur Insel reisen sollten. Chrysler und Ayden hatten den Standpunkt vertreten, "je schneller desto besser", also den kurzen Weg durch eine sich spiegelnde Oberfläche. Aber Leyanne war dagegen gewesen, denn das hätte bedeutet, Sarus Gedächtnis nach der Reise wieder zu manipulieren, ihm also die Erinnerung daran zu nehmen, dass er auf Avalon gewesen war. Leyanne setzte sich durch und so waren sie auf normalen Weg angereist. Wenn man den Flug auf einem fliegenden Drachen und eine Fahrt in einem führerlosen Boot durch Nebelschwaden als normal bezeichnen kann. Sarus hatte also keine Ahnung, dass er sich auf Avalon befand. Für ihn war es einfach "die Insel" auf der Leyannes Familie lebte und so wollen wir sie ab jetzt sicherheitshalber einfach nur "die Insel" nennen. Und dass ihm Talana, die Mutter von Ayden und Leyanne so bekannt vorkam, lag wahrscheinlich nur daran, weil Ayden seiner Mutter so furchtbar ähnlich sah. Auf alle Fälle hatte sie ihn herzlich willkommen geheißen und ihn eingeladen, an der Feier zu Ehren des letzten Herbstvollmondes teilzunehmen. Sarus hatte eine graue Kutte bekommen, wie alle männlichen Festteilnehmer sie trugen (die Frauen und Mädchen waren in silberweiße Umhänge gehüllt) und hatte sich an Leyannes Seite unter die Inselbevölkerung gemischt. Es war eine ruhige Feier gewesen. Besinnlich, beinahe wehmütig hatte Talana den letzten Vollmond des Herbstes verabschiedet. Zuerst hatten sie alle um ein großes Feuer herum gesessen (und keiner sprang darüber) und sie hatten sich leckeres Gemüse, saftige Fische und zartes Fleisch schmecken lassen und Sarus wurde wieder mal den Verdacht nicht los, dass er so, genauso schon mal dagesessen hatte.
 

Nach dem Essen hatten sie gesungen und dann waren die meisten älteren Männer verschwunden und Sarus hatte nicht mitgedurft. Er konnte ja nicht ahnen, dass die Druiden irgendein mühüsteriöses, geheimnisvolles Ritual durchführen mußten. Aber später waren alle an den See gegangen, um den Mond zu verabschieden. Der volle silberne Mond hatte sich im See gespiegelt und Talana hatte Blütenblätter und bunt gefärbtes Herbstlaub über das Spiegelbild im Wasser gestreut. Dazu murmelte sie leise Worte, die Sarus nicht verstand. Auf ihr Zeichen hin wateten 2 der Frauen in den silberweißen Umhängen in den See hinein, hoben die silberne Scheibe des Mondes heraus und trugen sie an Land. Sie schimmerte milchig silbern und schien gar nicht schwer zu sein. Die Menge am See bildete ein Spalier und sah schweigend und ehrfürchtig zu, wie die silberne Scheibe an ihnen vorbei getragen wurde.
 

"Sie wird den Winter über gut verwahrt," erklärte Leyanne dem Halbwolf. "Und im Frühling, wenn der erste Vollmond am Himmel steht, wird sie wieder in den See gebracht. Dabei geht es dann ein bißchen fröhlicher zu als heute Abend." Leyanne zwinkerte Sarus verschwörerisch zu. Sie gingen hinter den anderen zurück ins Dorf und Sarus drehte sich nochmals zum See um. Und dann riss er erstaunt die Augen auf. Und den Mund! Denn obwohl der Mond noch hoch am Himmel stand, war sein Spiegelbild im Wasser verschwunden!
 

Sarus hatte gut geschlafen. Talana hatte ihn in einer der kleinen runden Gästehäuser untergebracht, die sonst Pilgern und Reisenden vorbehalten war. Aber da selbst im sonst so gut informierten MarcoPolo-Reiseführer nichts über die Insel vermerkt war, fanden nur wahre "Insider" den Weg hierher und so war immer genügend Platz vorhanden. Die Häuser waren praktisch und gemütlich eingerichtet, aber Sarus mußte sich sein Frühstück deshalb nicht selber machen. Talana hatte ihn eingeladen mit ihr zu frühstücken und das Angebot nahm er gerne an. Ein wenig besorgt war er schon, was, wenn es etwas gab, das er gar nicht mochte? Aber seine Sorgen sollten unbegründet sein. Selbstverständlich kamen bei Talana nur wohlschmeckende Speisen auf den Frühstückstisch.
 

Schon als er in die große Küche kam, duftete es so intensiv nach frischem Brot, dass er fast schon vom Duft alleine satt wurde. Sarus ließ einen genießerischen Kennerblick über den schön gedeckten Tisch gleiten. Kühle Milch stand bereit, Butter und sahniger Käse. Verschiedene Fruchtmuse ebenso wie Honig und etwas, dass aussah wie cremige Schokolade. Auch an den herzhaften Gaumen war gedacht. Da gab es Wurst und getrocknete Fleischstreifen und gerade stellte Leyanne eine große Pfanne mit kroß gebratenen Würstchen und Spiegeleiern auf den Tisch. Sarus schnupperte andächtig. Und er hatte Angst gehabt, die würden sich hier nur ganz gesund ernähren, von Tee und Kräutern und Sprossen und Blütenblattnektar und Tautropfen und so nem Zeugs. Erleichtert langte er herzhaft zu und dermaßen gestärkt ging es dann zur Bibliothek und zu Kenia.
 

Sarus war schwer begeistert von der großen, dunkelhäutigen Bibliothekarin. Er konnte gar nicht verstehen, warum Leyanne jedes Buch, das Kenia ihr brachte, misstrauisch beäugte. Er jedenfalls las alles was Kenia ihm vorlegte. Und so machten sie sich auf die langwierige Suche nach dem KdE, dem Krüstal der Ehwigkeyt. Es war eine interessante Tätigkeit, Sarus lernte viel in dieser Zeit. Aber einige Stunden und noch mehr Bücher später war seine Begeisterung merklich geschwunden. Die für die Bücher wohlgemerkt, nicht für Kenia. Das war ja fast so schlimm wie in der Universität und genaugenommen hatte er heute ja einen Ferientag! Sarus startete seine Seufzerarie. Leyanne folgte seinen Blick und schaute ebenfalls eine Zeit lang gedankenverloren hinaus in die Natur. Dann seufzte auch sie und wandte sich dem nächsten Buch zu. Sie hatte Sarus vorgewarnt, er wußte warum sie hier waren.
 

Sie machten eine wohlverdiente Pause. Sarus und Leyanne tranken dankbar den heißen Kakao, den Kenia ihnen angeboten hatte. Leyanne hatte es sich in ihrem Stuhl bequem gemacht und ließ die Beine lässig über die Armlehne baumeln. Sarus hielt, in Ermangelung eines Lesezeichens, einen Finger zwischen den Seiten eines Buches. Unter den letzten Wälzern, die ihm Kenia gebracht hatte, war ein interessantes Werk über Wolflinge dabei gewesen. Mit hochgezogenen Augenbrauen las Sarus, dass seine Vorfahren wohl doch nicht die einfachen Fischer und Wirtsleute waren, für die er sie immer gehalten hatte. Das mußte er unbedingt weiterverfolgen. Mit dem Finger auf der Geschichte der Halbwölfe wollte Sarus wissen, warum sie nicht endlich aufgaben.

"Wir suchen nach etwas und wissen nicht mal, ob es überhaupt existiert, geschweige denn, ob wir hier überhaupt Informationen finden." Sarus deutete mit der freien Hand in einem weiten Bogen durch die Bibliothek. Der Gedanke, all die Bücher in der großen Halle durchlesen zu müssen, konnte einen wirklich erschlagen. Leyanne spielte nachdenklich mit ihrem Kneifer, den sie ja nur zum Lesen benötigte.

"Chrysler hat hier schon einen Text gefunden, der vom KdE gehandelt hat. In dieser Schrift heißt es, dass sich der Krüstal in der Salurischen Universität befinden soll. Und in der Universität haben wir 2 Lehrer, die sich in einem komaartigen Schlaf befinden und wir wissen nicht, warum. Was, wenn das mit dem Krüstal zusammenhängt? Deshalb möchte ich wissen, zu welchem Zweck der Krüstal der Ehwigkeyt geschaffen wurde."
 

"Vielleicht verleiht einem der Krüstal ja das ewige Leben," schlug Sarus vor. Leyanne und Kenia schauten sich an. "Möchtest du denn ewig leben?" wollte Kenia wissen.

"Warum denn nicht," meinte Sarus. "Das wäre doch toll, stellt euch das vor!" Kenia schüttelte den Kopf. "Ewig? Das wäre nicht mein Wunsch. Das würde Einsamkeit bedeuten. Ewige Einsamkeit. Denn all deine Freunde würden irgendwann sterben und dich verlassen" Sie stand auf um frischen Kakao zu holen. Leyanne nippte an ihrem Kakao.

"Weißt du, wie lang die Ewigkeit ist?" wollte sie wissen. Sarus bewegte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Leyanne stellte ihre Tasse auf dem Tisch ab und lehnte sich zurück.
 

"Im Land der Unendlichkeit steht ein großer diamantener Berg. Alle 1.000 Jahre kommt ein Vogel zu dem Berg und wetzt seinen silbernen Schnabel daran. Wenn nun der ganze diamantene Berg von dem Vögelchen mit dem silbernen Schnäbelchen abgewetzt ist, dann ist eine Sekunde der Ewigkeit vorbei." Für einen Moment herrschte Stille, dann schwang Leyanne beide Beine energisch auf den Boden.

"Es gibt ein Buch, in dem wir noch nicht nachgeschaut haben," sagte sie zu Kenia und schaute sie fest an. Für einen Moment verlor die Bibliothekarin ihre gewohnte Unbekümmertheit. "Du willst im Dunklen Buch nachschauen," fragte sie unsicher. Leyanne sah zwar nicht glücklich aus, aber sie nickte. Kenia sah zu einer silbernen Schale, die, mit einem feinen Tuch abgedeckt auf einem hochbeinigen Tischchen in ein Nische stand.

"Du hast erst den dritten Grad," erklärte sie. "Ich muß um Erlaubnis fragen, ob ich es dir aushändigen darf." Mit diesen Worten stand sie auf, ging zu der Nische mit der Schale und nahm das Tuch ab. Sarus stand neugierig auf und sah, das sich in der Schale einfaches Wasser befand. Kenia sah konzentriert hinein. Sie sagte leise etwas, was Sarus nicht verstehen konnte, dann schien sie zu lauschen. Schließlich nickte sie, straffte die Schultern, deckte die Schale wieder ab und verschwand in der Dunkelheit zwischen den Regalen.
 

Sarus sah Leyanne fragend an.
 

"Auf diese Weise "telefonieren" wir miteinander," erklärte sie ihm. "Wir lernen es in der Schule, es ist ganz einfach und natürlich überaus praktisch." Sie zwinkerte ihm zu. Kurze Zeit später war Kenia mit einem Buch zurück. Neugierig betrachtete es Sarus. Und dafür die ganze Show? Es war ein schlichtes Buch, nicht sehr dick, gebunden in einfaches schwarzes Leinen. Kenia sah sehr ernst aus, als sie es Leyanne überreichte. Diese legte es vor sich auf den Tisch und betrachtete es unschlüssig. Aber dann gab sie sich einen Ruck, klemmte sich den Kneifer auf die Nase und öffnete es. Sarus riskierte einen Blick. Er konnte die Schrift kaum entziffern, unsichere, wackelige Buchstaben und Ziffern in einer Sprache, die er nicht kannte. Aber die ersten Seiten waren vollgeschrieben mit Namen, soviel war sicher. Leyanne bemerkte seinen Blick.

"Das ist das Dunkle Buch, auch das Buch der dunklen Zeit genannt," beantwortete sie seine ungestellte Frage.

"Am Anfang der Zeit lebten magische und nichtmagische Wesen friedlich zusammen. Aber dann kam die Zeit, in der die nichtmagischen Menschen Angst hatten. Sie hatten Angst vor allem, was ihnen fremd war und auch Angst vor den Fähigkeiten und dem Können der magischen Wesen. Auch suchten sie einen Sündenbock für die Fehler und Sünden, die sie sich selbst nicht eingestehen wollten. Sie waren offen für Anschuldigungen gewisser Institutionen und die Angst schlug in Hass um. Keiner weiß, wie viele von uns in dieser Zeit auf grausamste Art und Weise ums Leben kamen. Die magischen Wesen zogen sich zurück. Hierher auf diese Insel, in die Wälder von Ahraqhuay, Ansedom und Llewellyen und an viele versteckte Orte. Hätten sie die Grausamkeiten gerächt, wären sie gegen die Angreifer vorgegangen, dann gäbe es heute wohl kein einziges Lebewesen mehr auf diesem Planeten. Heute glauben die Nichtmagischen nicht mehr an Magie. Aber Angst und Ablehnung dem Fremden gegenüber existiert auch heute noch. Dieses Buch hier handelt von der dunklen Zeit und diese Namen hier," vorsichtig strich sie über die Seiten, "das sind die Namen einiger derer, die in diesem "Krieg", den wir nicht wollten, umgekommen sind, gerade weil sie sich weigerten, ihre Kräfte einzusetzen, um sich selbst zu schützen." Leyanne atmete noch einmal tief durch, dann blätterte sie weiter, bis sie das Ende der Namensliste erreicht hatte.
 

Sarus wandte sich wieder seiner eigenen Lektüre zu. "Zwischen Rudel, Riten und Räude" war ein interessantes Werk über das Leben und Wirken der Wolflinge, er las sich fest und so bekam er nicht mit, wie Leyanne mit einem leisen Laut erschrocken aufblickte. Schutzsuchend griff sie nach einem der Amulette, die an ihrem Hals hingen und war dabei weiß wie die Wand hinter ihr.

Die Aufgabe des Krüstalls

Na bitte! Sarus Geheimwaffe, die puppyeyes hatten gewirkt. O.k., ein bißchen gemault hatte er auch, dass er ja Ferien habe und noch was anderes sehen wollte, als nur die Bibliothek. War schon verdächtig, wie schnell Leyanne ihm zugestimmt hatte. Wollte sie ihn etwa loswerden? Auf alle Fälle hatte sie sich mit Kenia abgesprochen und kurze Zeit später war Niall dagewesen. Niall war prima! Seine Verwandtschaft mit Kenia konnte er nicht verleugnen. Kurze schwarze Ringellöckchen, milchkaffeefarbene Haut und, als merkwürdiger Kontrast dazu, purpurfarbene Augen. Gemeinsam durchstreiften sie den herbstlich Wald der Insel. Auch wenn sich die Blätter schon rot verfärbt hatten, so hatte Sarus wieder das Gefühl, dass dieser Ort irgendwie nicht richtig von den Jahreszeiten berührt wurde. Ob es hier im Winter Schnee gab? Er mußte Leyanne unbedingt nach dem Namen der Insel fragen, denn Niall wollte (oder durfte) es ihm nicht sagen.
 

Davon abgesehen, war Niall gerade der Richtige, um mit ihm auf Streifzug zu gehen. Er war verwegen genug, um mit Sarus in den Zweigen des großen Weltenbaums zu klettern, aber besonnen genug, um den Wolfling daran zu hindern, im Großen Fluss, der die Insel durchquerte, ein kurzes Bad zu nehmen. Die Fluss-Sylphen sahen das nicht so gerne und man wußte nie, wie sie reagieren würden. Am Ende wurde Sarus noch in einen Seehund verwandelt, also das mußte ja nicht sein.
 

Sarus fühlte sich wohl mit Niall. Es kam ihm so vor, als ob er ihn schon ewig kennen würde. Niall ging es ähnlich. Er war überrascht, was für ein freundliches Wesen Sarus war. Niall hatte noch nicht viele Wolflinge kennengelernt. Genaugenommen war Sarus der erste. Zuerst hatte er sich auch nur um Sarus gekümmert, weil Leyanne ihn darum gebeten hatte. Ganz im Geheimen schwärmte er ein bißchen für sie.
 

"Oooch," meinte Sarus, als Niall ihm dies anvertraute, "Leyanne ist schon o.k. aber Ayden, also der ist einfach saaaagenhaft."

"Kann schon sein," erwiderte Niall. "Aber Ayden ist ja bloß Lehrer. Leyanne ist schließlich erster Schwertkämpfer und Wächter." Verwundert blickte Sarus den anderen Jungen an. Trotz seiner dunklen Hautfarbe sah man, dass seine Ohren rosa angelaufen waren, als er seine Angebetete verteidigte. Das mit dem Schwertkämpfen hatte er ja schon gewußt, aber ....

"Ein Wächter?" wollte er neugierig wissen. "Von was denn?" Niall schaute ihn verdutzt an.

"Na vom DEM Schwert natürlich!" erklärte er ungeduldig. Aber Sarus schaute so ratlos drein, dass sich Niall zu ihm hinüber beugte und ihm den Namen eines seeeeeehr berühmten mystischen Schwertes ins Ohr flüsterte, von dem die Legende sagt, das es sich auf Avalon befinden soll. Sarus bekam große runde Augen und sein Mund formte ein lautloses "Oh".
 

Leyanne, die keine Ahnung davon hatte, dass sie auf Sarus persönlicher Wertschätzungsskala ein paar Punkte nach oben gerutscht war, saß alleine in der Bibliothek und ordnete ihre Notizen über den Krüstal. Es war gut, dass Sarus ihr einen Grund geliefert hatte, ihn wegzuschicken, denn das, was sie herausgefunden hatte, war nicht für seine Augen bestimmt. Sie war sich ja nicht mal sicher, ob sie das alles Chrysler erzählen konnte. Mit seinem unbekümmerten Leichtsinn würde er die Gefahr, die vom Krüstal ausging, glatt übersehen.

Erschöpft legte Leyanne den Kopf auf die Unterarme und preßte die Stirn gegen die kühle Schreibtischplatte. Vor ihr schimmerte das Dunkle Buch. Sein dunkler Einband wurde von der Dunkelheit, die die Bibliothek ergriff, fast verschluckt, aber Leyanne wußte, es war da. Oh, sie wußte auch, dass das Buch an sich nicht das Böse war, aber sein Inhalt machte es dazu und sie war froh, dass Kenia es bald wieder an seinen sicheren Platz zurückbrachte. Mit einem Ruck setzte sich Leyanne wieder auf. Nein! Die Namen, die in diesem Buch standen, durften nicht in Vergessenheit geraten und gerade dieses Buch war sehr hilfreich auf der Suche nach dem Krüstal gewesen. Nicht die Dinge sind böse, sondern das, was wir aus ihnen machen. Der Krüstal war das beste Beispiel dafür. Sie schaute auf den Bogen Papier vor sich und auf die beiden Namen, die dort standen.
 

HORATIO GRAFTON
 

ERNEST FRANZ KAPPSTADT

Horatio Grafton war das beste Beispiel dafür, warum nichtmagische Wesen sich zu Recht vor magischen Wesen fürchteten. Er war der Prototyp des hochmütigen Zauberers in wallendem Umhang, der verächtlich auf das "primitive" Bauernvolk seiner Umgebung herabsah.

Selbst minderwertig magisch begabt, eher ein Alchimist denn ein Magier, war er schon von Kindheit an extrem neidisch auf all die, deren Zauberkräfte besser entwickelt waren als seine eigenen. Mehr magische Energie zu erlangen, wurde zu einer fixen Idee, die schließlich sein ganzes Dasein beherrschte. Die einzige Möglichkeit, so schien ihm, war, sie anderen, besser Ausgerüsteten zu nehmen. Da dies nicht freiwillig von sich gehen würde, schuf Grafton mit Hilfe der Alchimie einen Kristall, der in der Lage war, magische Energie anzuziehen und zu speichern.
 

Und so entstand der
 

Krüstal der Ehwigkeyt
 

Ein Stein von unsagbarer Schönheit und furchtbarer Macht. Er entzog Elfen, Feen und Zauberern ihre Lebensenergie und speicherte sie. Und Grafton, der Schöpfer des Krüstals wollte diese Macht für sich nutzen und einsetzten. Er sah sich schon am Ziel. Er, der mächtigste Magier aller Zeiten, der Meister von magischen und nichtmagischen Wesen. Beherrscher der Welt.
 

Ja, er sah sich bereits am Ziel seiner Träume. Und doch, es kam anders. Der Krüstal entzog sich seinem Zugriff. Oh, nicht, dass er ihn verriet! Oh nein! Der Stein handelte nur instinktiv. Er tat dass, wofür er geschaffen wurde und er machte keine Unterschiede. Und so war einer der ersten, dessen Kräfte auf "Ehwig" im Krüstal eingefroren wurden, Horatio Grafton selbst.

Selbst seine minimalen Kräfte sicherte sich der Krüstal und Horatio Grafton verschwand spurlos.
 

Viele Geschichten und Märchen rankten sich um die verlassene Alchimiewerkstatt, denn so mancher, der sich hineinwagte, ward nie mehr gesehen. Ein magisches Wesen ohne seine magische Energie wird nicht einfach zu einem normalen Menschen, nein, es schwindet, wird unsichtbar und löst sich schließlich auf. So war es Grafton ergangen und alle, die nach ihm kamen.
 

Nach einiger Zeit verschloss man Graftons Werkstatt und keiner wagte sich mehr in die Nähe des Gebäudes. Und der Krüstal, der doch nicht wußte, was er tat, tat ein Übriges. Er verströmte eine Aura des Unbehagens, welche schließlich das ganz Dorf erfasste. Die Bewohner verließen ihre Häuser und Hütten und zogen einer nach dem anderen, fort bis am Ende das ganze Dorf einsam und verlassen dalag. Es dauerte nicht lange, und der Wald holte sich zurück, was man ihm einst mühsam abgerungen hatte. Sträucher, Farne und Moose breiteten sich auf Mauern und Dächern aus und bald hätte ein Fremder, der zufällig des Weges gekommen wäre, nicht einmal bemerkt, dass er sich in einem ehemaligen Dorf befunden hätte. Aber es kam kein Fremder des Weges, das Dorf wurde vergessen, nur in Märchen und Legenden erzählte man manchmal vom verwunschenen Dorf.

Nur der Krüstal, der wurde in keiner Legende erwähnt. Denn all die, die von ihm hätten erzählen können, waren von ihm vernichtet worden.
 

Leyanne starrte immer noch auf das Papier mit den beiden Namen. Ausgerechnet Kappstadt! Ausgerechnet dem zerstreuten, schusseligen Botaniker war es gelungen, den Krüstal zu bannen. Er war es gewesen, der ihn in der Salurischen Universität in Sicherheit gebracht hatte. Und wenn Leyanne nicht total daneben lag, dann war eben dieser Krüstal, der jetzt in der Universität sein Unwesen trieb. Nur dass er die, die ihm zu Nahe kamen, nur einschläferte und ihnen nicht die Energie raubte. Noch nicht!
 

"Leyanne?" Kenia trat aus dem Dunkel. Sie sah sehr besorgt aus. "Ayden hat eine Nachricht geschickt. Es hat schon wieder jemanden erwischt. Diesmal ist es ein Schüler!"

wieder zurück

Mit großen Augen saß Sarus auf dem Hocker in der Krankenstation und wagte kaum, sich zu rühren.

Viel zu viel war in viel zu kurzer Zeit auf ihn eingestürzt.
 

Gerade eben noch hatte er mit Niall ein Rudel Sarastahirsche beobachtet. Sie hatten sich bis zum weißen Wald durchgeschlagen, der so hieß, weil die Blätter der Bäume silbrig weiß schimmerten. Sie sahen aus wie von feinem Schnee bestäubt. Mondbäume nannte Niall sie. Und deshalb war der Wald heilig. Die Jagd war verboten und die Hirsche, die ihn vorsichtig in der Abenddämmerung verließen, um zu äsen, ließen sich auch durch den Geruch eines Halbwolfes, der sich nicht weit von ihnen verbarg, nicht aus der Ruhe bringen.

Atemlos betrachtete Sarus die seltenen Tiere. Er mußte sich sehr beherrschen, dass seine Wolfsinstinkte nicht durchbrachen und er sich auf die edlen Tiere stürzte. Ohne Niall wäre er nie im Leben so dicht an die Herde herangekommen.

Plötzlich hob der Leithirsch den Kopf und blickte in ihre Richtung. Etwas mußte ihn aufgeschreckt haben. Mißtrauisch linste Niall zu Sarus hinüber, aber der hatte sich nicht gerührt. Als schließlich Kenia vorsichtig auf dem Weg hinter ihnen auftauchte und auf sie zukam, senkte der Hirsch beruhigt wieder das Haupt und die Herde äste friedlich weiter.
 

Kenia hatte nicht viel gesagt, sie nur bekümmert angesehen und auf dem schnellsten Weg zum Dorf zurückgebracht. Dort hatte Leyanne schon auf sie gewartet. Abmarschbereit! Sarus blieb gerade noch Zeit, seine Sachen zusammenzupacken und sich bei Talane und Kenia zu bedanken. Er und Niall klopften sich gegenseitig fest auf die Schultern und der Blick, den sie sich zuwarfen, enthielt das Versprechen, in Kontakt zu bleiben.

Und dann waren sie schon auf dem Weg zur Universität. Geheimhaltung hin, Geheimhaltung her. Im Gegensatz zur etwas umständlichen Anreise wollte Leyanne auf dem schnellsten Weg zurück. Und da sie sich auf einer Insel befanden, führte dieser durch's Wasser.

Nachdem auch sie sich von allen verabschiedete hatte, watete Leyanne in den See und Sarus einfach hinterher. Nach einem Blick auf ihr Gesicht hatte er beschlossen, besser keine Fragen zu stellen. Obwohl es ihn wirklich brennend interessiert hätte, wie sie zurück zur Universität kommen sollten, und vor allem, warum Leyanne es so eilig hatte. Erwartete sie etwa von ihm, dass er hinschwamm?

Etwas mulmig war ihm schon, als sie dann seine Hand nahm und ihn hinter sich her unter Wasser zog. Für einen Moment mußte er einen regelrechten Panikanfall unterdrücken. Aber dann tauchten sie auch schon wieder auf. Und während Leyanne grimmig ihre tropfenden Bündel an's Ufer hievte, blieb Sarus mit offenem Mund im gerade mal knietiefen Wasser stehen. Wie beim Canis Maior waren sie hierher gekommen? Statt dass er, wie man eigentlich erwarten könnte, im See auf der Insel wieder auftauchte, mit Talane, Kenia und Niall am Ufer, wohin sie ihnen gefolgt waren, stand er bis zu den Knien in dem kleinen Bach, der quer durch den Kräutergarten floss, was sehr praktisch war, weil man so das Wasser zum Bewässern der Pflanzen nicht von so weit her schleppen mußte.
 

Wie gesagt, Sarus stand mit offenem Mund da und fragte sich, wie sie das wohl geschafft hatten. Leyanne, für die das eine normale Art der Fortbewegung war, war schon ans Ufer geklettert und streckte ihm jetzt hilfreich die Hand hin. Widerstandslos ließ er sich aus dem Wasser ziehen. Und genauso widerstandslos tappte er hinter Leyanne her zu der kleinen Pforte, die, noch ein Mysterium, sonst immer fest verschlossen, sich sofort öffnete. Sarus nahm seine Tasche und folgte Leyanne, an der Kapelle vorbei zum Wohnheim. An der großen Treppe im Erdgeschoß verabschiedete sich Leyanne von dem Wolfling.

"Danke, dass du mit mir gekommen bist," meinte sie und zupfte ihn leicht am Ohr. Aber das Lächeln, dass sie ihm dazu schenkte, war kaum zu sehen.
 

Während Leyanne zu Ayden ging, um zu berichten, was sie alles in Erfahrung gebracht hatte, brachte Sarus seine Tasche auf sein Zimmer und zog sich trockene Sachen an. Er wußte nicht warum, aber irgendwie war er gereizt, verärgert. Er hatte eine schöne Zeit auf dieser Insel verbracht, in Niall einen duften neuen Kumpel gefunden und es wurmte ihn schon, dass Leyanne ihm nicht gesagt hatte, warum sie so schnell von dort weg mußten. Hatte sie denn kein Vertrauen zu ihm? Grummelnd und immer noch ein wenig verärgert, warum hatte er bloß nicht die Klappe aufbekommen und gefragt, schon blöd, wenn man so schüchtern war, machte der Wolfling sich auf den Weg in den Aufenthaltsraum seiner Klasse. Vielleicht waren ja auch andere Klassenkameraden schon zurückgekommen.
 

Sie waren alle da. Bis auf zwei! Der eine war Sarus. Und der andere?
 

Die verängstigten und besorgten Klassenkameraden drängten sich um Sarus, froh darüber, dass wenigstens er heil zurück war. Als sie einer nach dem anderen von den Herbstmondfeiern zurückgekommen waren, hatte ihr Klassenlehrer, Merill an'Riahg schon auf sie gewartet und angeordnet, sich in den Aufenthaltsraum zu begeben und dort zu bleiben. Viel wußten sie nicht, nur eines, der Fluch hatte wieder zugeschlagen. Und diesmal hatte es einen von ihnen erwischt. Und nachdem Sarus als letzter gekommen war, war es klar, der eine, der nicht mehr kommen würde, war ...
 

GÉROM
 

Keiner wußte genau, was passiert war. Wo es ihn erwischte hatte, wo er jetzt war. Die Mutigeren unter ihnen wollten sich schon auf den Weg machen, Erkundigungen einholen, aber der Klassenlehrer und seine Anweisung hielt sie hier fest. Nur Sarus, von dem noch kein Lehrer wußte, dass er wieder zurück war, Sarus konnte sich ohne Probleme frei bewegen.

Sarus konnte den bittenden Augen der Klassenkameraden nicht widerstehen. Obwohl etwas in ihm sagte, dass die Anweisung von Merill auch für ihn galt, war er immer noch verärgert genug, um sich jetzt aus dem Aufenthaltsraum zu stehlen und sich auf die Suche nach Gérom zu machen. Seiner Meinung nach war der beste Ort, Gérom zu finden, dort, wo sich auch die beiden anderen Opfer befanden. Die Krankenstation. Lautlos schlich er durch die Gänge, sorgsam darauf bedacht, nicht doch noch von einem Lehrer entdeckt und zurückgeschickt zu werden. Und, magisch begabt oder nicht, wenn ein Wolfling nicht entdeckt werden möchte, dann sieht ihn auch keiner!
 

Ca'Arni, die Schulkrankenschwester, war bei den Schülern sehr beliebt. Mit den blauen Augen und den blonden Locken war sie sozusagen die Urmutter aller Krankenschwestern. Gut, gut, sie hatte da ein paar sehr übel riechende und genauso übel schmeckende Heiltränke in ihrem Schrank stehen, die sie mit Vorliebe Schülern, die sich mit angeblichen Bauch- oder Halsschmerzen vor einer Klassenarbeit drücken wollten, verabreichte, aber wenn es darum ging, die leichten Schnittwunden, Prellungen und, eher seltener, Knochenbrüche, die man sich so beim Kampftraining zulegt, zu verarzten, gab es keine Bessere als sie. Im Moment hatte sie natürlich andere Sorgen, als sich um die Wehwehchen der Schüler zu kümmern, schließlich kam es nicht alle Tage vor, dass der Heil- und Kräuterkundige der Universität in einem ihrer Krankenbetten lag. Vor allem nicht, wenn sie absolut keine Ahnung hatte, wie sie ihn behandeln sollte und vor allem nicht wogegen. So viele Spezialisten wie in diesen Tagen hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Genauer gesagt seit der Epidemie 1753. (Ca'Arni hatte sich gut gehalten). Und so war sie natürlich nicht sehr erbaut davon, als ein kleiner Wolfling auftauchte und mit flehenden Augen darum bat, seinen kranken Klassenkameraden besuchen zu dürfen. Doch da es sich hier um keine ansteckende Krankheit handelte, und sie keine Ahnung davon hatte, dass sich die Schüler eigentlich alle in ihren Aufenthaltsräumen versammeln sollten, drückte sie ein Auge zu und erlaubte ihm, sich eine Weile zu Gérom ans Krankenbett zu setzen.
 

Und da saß er nun und fragte sich, was er hier sollte. Gut, er hatte Gérom gefunden. Und was nun? Ganz friedlich sah er aus, gar nicht so angespannt wie sonst. Und er lächelte, wie wenn er etwas schönes träumen würde. Sarus fand das unfair. Während er Drachenflüge und merkwürdige Schwimmtouren durch's Wasser unternahm, weil Leyanne herausbekommen wollte, warum die alle schliefen, und dann seine wirkliche schönen Ferientage vorzeitig abbrechen mußte, lag Gérom da, wie wenn es nichts schöneres gäbe und er gar nicht mehr aufwachen wollte. Leiser Groll rührte sich in seinem Herzen. Was ging ihn das alles an? Trotzdem beugte er sich über den bewußtlosen Klassenkameraden, drückte dessen Hand, die über dem Bettlaken lag und versprach ihm, dass alles wieder gut werden würde. Noch ein letzter Blick und er verließ leise die Krankenstation und machte sich auf den Weg zu den einzigen, die seiner Meinung nach einen Ausweg aus diesem ganzen Schlamassel finden würden.

Aber auf dem Weg zu Aydens Zimmer wurde er von Merill an'Riahg erwischt und zurück in den Aufenthaltsraum geschickt.
 

Anders als Sarus erwartet hatte, war Leyanne nicht sofort zu ihrem Bruder gegangen. Sie hatte gewartet, bis Sarus die Treppe nach oben gegangen war, hatte sich dann umgedreht und das Wohnheim wieder verlassen. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, sich trockene Sachen anzuziehen. Während sie durch den dunklen Park lief, sorgte eine leichte Brise dafür, dass ihre Kleidung und ihre Tasche wieder trockneten. Dass sie nicht schon auf dem Weg zum Wohnheim daran gedacht hatte, sich und Sarus auf diese Weise abzutrocknen, zeigte, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war. Jetzt, da sie wußte, oder es glaubte zu wissen, womit sie es zu tun hatten, wollte sie sich die Stelle, an der der Krüstal zugeschlagen hatte, einmal genauer anschauen. Vom Wohnheim bis zum Schulgebäude war es nicht weit und so dauerte es nicht lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Bevor sie einen kleinen Zauber anwandte, um die große Eingangstüre zu öffnen, umfaßte sie mit der rechten Hand das Amulett, dass um ihren Hals hing und sprach einen Schutzzauber aus. Der leichte Wind, der sie bis hierher begleitete hatte, legte sich schützend um sie. Dann öffnete sich die große Pforte und Leyanne schlüpfte in die Dunkelheit der Aula hinein.
 

Die Aula nahm fast die ganze Vorderseite des Schulgebäudes ein und war groß genug, um alle Schüler unterzubringen. Im Hintergrund führten große Treppen in das erste Stockwerk und im hinteren Teil des Erdgeschosses waren Versuchsräume untergebracht. Tagsüber war hier ein geschäftiges Treiben und es summte wie in einem Bienenstock, deshalb war die Stille, mit der sich das Gebäude jetzt umgab, umso unheimlicher.
 

Leises Klirren ertönte, als sich Leyanne mit dem sie schützend umgebenden Wind vorsichtig vorwärts bewegte. Sie schaute nach oben. Obwohl sie sie im Moment mehr ahnen als sehen konnte, wußte sie, dass dort vier mächtige Kristall-Leuchter hingen. Am Tag nahm man sie kaum zur Kenntnis, sie hingen einfach da, aber die Schulleitung sorgte dafür, dass sie immer sorgfältig gepflegt und gereinigt wurden, damit sie bei den Gelegenheiten, bei denen sie angezündet wurden, bei der Begrüßung der Schüler zum Schulbeginn und bei den Abschlußfeiern, im alten Glanz erstrahlten. Aus der Chronik der Universität wußte Leyanne, dass sie schon seit hunderten von Jahren da hingen. Vorsichtig umging sie die Stelle, an der man Prof. Tai G. Seng, Kae Song und jetzt Gérom gefunden hatte und ließ sich auf den flachen Treppenstufen nieder. Eine ganze Weile wartete sie so, bis der Mond weit genug gewandert war und sein Licht durch die großen Fenster in die Aula fiel und die Kristalle der Leuchter in silbernes Licht tauchte. Erst als der Mond weitergezogen war und die Aula wieder in die samtene Dunkelheit gehüllt war, verließ Leyanne ihren Platz. Sie wußte nicht wirklich, ob Ernest Franz Kappstadt den Krüstal hier verborgen hatte. Eingehüllt in die schützende Magie des Windes konnte der Stein ihr nichts anhaben, aber aus dem gleichen Grund konnte auch sie seine Aura nicht spüren. Dies war einer der Momente, in denen die Magie nicht weiterhelfen konnte. Als sie die Aula verließ und die große Türe sorgsam wieder hinter sich verschloß, wußte sie, dass sie Hilfe brauchen würden. Und zwar von einem magisch nicht begabten Wesen.
 

Am nächsten Morgen ging die Sonne auf wie an jedem Morgen. Bald wölbte sich der strahlende Azur des Himmels über das Land. Aber an diesem Tag gelang es den warmen Sonnenstrahlen nicht, den Morgennebel, der die Universität umwaberte, aufzulösen. Die ganze Universität war unter Quarantäne gestellt. Um eine Panik unter den Eltern zu vermeiden, war eine Nachrichtensperre verhängt worden. Nun ist es so, dass die Schüler der salurischen Universität nicht einfach nur so "nach Hause telefonieren". Brieftauben mußten abgefangen werden, Papierflieger und Origamitauben, selbst ein Glas Wasser konnte zweckentfremdet werden.

Der Nebel, ein einfacher Schutzzauber auf Wasserbasis, fing alle Nachrichten ab. Die eingehenden wurden an einen Außenposten weitergeleitet, einen Anrufbeantworter sozusagen. Ausgehende Nachrichten wurden im Schulsekretariat gesammelt. Um die würde man sich kümmern, wenn der ganze Vorfall aufgeklärt war.
 

Da das Schulgebäude geschlossen worden war und von Spezialisten von oben bis unten gründlich durchsucht wurde, waren die Schüler in die Aufenthaltsräume geschickt worden, wo sie sich, unter der Aufsicht der Klassenlehrer versteht sich, mit ihren Aufgaben beschäftigen sollten. An einen geregelten Unterricht war heute nicht zu denken.
 

Sarus hatte es sich mit seinen Büchern auf dem Boden bequem gemacht. Es gab sowieso zu wenig Tische und Stühle und da es hier für Übungen mit dem Kampfstab ohnehin zu eng war, beschäftigte er sich halt mit Heilkräutern. War eine gute Gelegenheit für seine Jahresarbeit. Irgendwann würde Prof. Seng auch wieder unterrichten und - Dornröschenschlaf hin oder her - so eine Hausaufgabe vergaß kein Lehrer!
 

Nachdenklich kaute Sarus auf dem Ende seines Bleistiftes herum. Er wußte gar nicht mehr, warum er gestern Abend so furchtbar gereizt gewesen war. Gérom stand ihm sehr nahe und es hatte ihn wohl sehr bedrückt, ihn so reglos daliegen zu sehen und er hatte sich so hilflos gefühlt, aber das war doch kein Grund gewesen, deshalb so wütend zu sein, oder? Heute Morgen war er nur noch neugierig. Er wüßte zu gerne, ob das, was immer Leyanne auf der Insel in Erfahrung gebracht hatte, ihnen allen aus diesem Schlamassel heraushelfen würde. So langsam keimte der Verdacht in ihm auf, dass er den Tag mit Niall nicht nur seinen unwiderstehlichen Puppyeyes zu verdanken hatte.

Unauffällig linste Sarus zur Tür. Ob er sich nicht doch mal schnell heimlich fortschleichen könnte? War aber nix zu machen. Merill hatte sich Tisch und Stuhl so hingestellt, dass er den ganzen Raum, alle Schüler und vor allem die Tür gut im Blickwinkel hatte. Keine Chance, da mal schnell zu verschwinden und zu schauen, was sich bei den Aydens tat. Seufzend wandte sich Sarus wieder seinen Büchern zu und den Heilkräften von Labkraut, Kamille und Gänseblümchen. Gänseblümchen? Hm!
 

Wenn Sarus die Möglichkeit gehabt hätte, bei dem "Familientreffen" von Ayden, Leyanne und Chrysler teilzunehmen, so hätte er kaum einen Unterschied zum letzten Mal entdeckt. Ayden tigerte wieder durch das Büro, während Chrysler wie hingegossen in einem Sessel lag. Nur Leyanne saß diesmal nicht hinter dem Schreibtisch sondern darauf. Viel gesprochen wurde nicht. Die Unterlagen, die Leyanne mitgebracht hatte, sprachen für sich und mußten nicht diskutiert werden. Eigentlich waren nur noch zwei Fragen offen!
 

Warum hatten sie noch keinem der Verantwortlichen vom Krüstal der Ehwigkeyt berichtet? Hatte Chrysler die Geschwister am Ende doch noch überredet, dass sie den Krüstal behalten sollte? Irgendwie war das nicht zu glauben und tatsächlich war es so, dass Ayden und Leyanne Chrylser von der Gefährlichkeit des Steines überzeugt hatten.

Aber war es wirklich der Krüstal? Alleine die Tatsache, dass die drei Opfer sich nicht in Luft aufgelöst hatten, sondern sich "nur" in einem komaartigen Schlaf befanden, hatte sie bis jetzt davon abgehalten, ihre Entdeckung zu melden.

Für den Krüstal der Ehwigkeyt sprach Chryslers erste Information, dass sich der Stein irgendwo in der Salurischen Universität befinden sollte. Und der Umstand, dass Kappstadt, der Bezwinger des Steines, Botanik an eben dieser Universität unterrichtet hatte. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass er während dieser Zeit den Stein gefunden, neutralisiert und dann irgendwo hier verborgen hatte. Aus seinen Aufzeichnungen ging genau hervor, wie er den Krüstal bezwungen hatte und dass er ihn dann, um ihn zu läutern und ihn vor der magischen Welt zu beschützen, an einem sicheren Ort verborgen hatte (leider war nirgends verzeichnet, wo.) Kappstadt wollte wohl verhindern, dass der Krüstal am Ende doch noch in falsche Hände fiel (bei dieser Bemerkung konnte sich Ayden einen vielsagenden Blick auf Chrysler nicht verkneifen).
 

Nun, so wie es jetzt aussah, hatte das mit der Läuterung nicht geklappt. Und jetzt mußte die magische Welt vor dem Krüstal beschützt werden. Aus irgendeinem Grund schlug dieser nicht mit voller Kraft zu. War das Kappstadt gewesen und sein Versuch der Läuterung? Oder ...
 

"Also meiner Meinung nach ist der Stein einfach voll. Hat seine Aufnahmekapazität erreicht und will endlich zuschlagen." vermutete Chrylser.

"Und deshalb macht er sich jetzt bemerkbar?" fragte Ayden zweifelnd.

"Vielleicht sucht er einen Herrn," schlug Chrysler vor. "Er ruft jemanden zu sich, der die magische Energie, die der Stein gesammelt und gespeichert hat, sich zu Eigen machen kann."

"Und warum hat er dann denen, die seinem Ruf gefolgt sind, soviel Energie geraubt, dass sie jetzt ohne Bewußtsein auf der Krankenstation liegen?" wollte Ayden wissen.

"Hat er ja nicht mit Absicht gemacht," verteidigte Chrysler den Stein. "Das war eine rein instinktive Handlung. Sie waren seiner nicht würdig. Er wurde geschaffen, um magische Energie zu sammeln und das hat er getan. Und gerade weil er nicht alle Energie abgezogen hat, bestärkt mich das in meiner Meinung, dass er bis oben hin voll ist und die Energie jetzt loswerden will und muß. Der Stein sucht einen Herrn."

"Den Herrn der Steine?" grübelte Aden. "Dann sind wir wohl die Gefährten, die den Stein vernichten müssen.

"Ja" kam es begeistert von Chrysler, der sich langsam damit abgefunden hatte, nicht der nächste Besitzer des Krüstals zu sein, sondern sein Bezwinger. "Aber glaube ja nicht, du könntest Legolas sein oder Haldir, du gehst grad noch so als Elrond durch." witzelte er.

"Solange du ein Zwerg bist oder ein Hobbit, soll's mir recht sein," konterte Ayden. Chrysler verstand einen Spaß, er ging in die Knie und ergriff gespielt erbost eine imaginäre Axt. "Der Krüstal muß vernichtet werden," brummte er und schlug zu.

"He, ich bin Elrond, das ist mein Text," beschwerte sich Ayden. Während die beiden Männer trotz der ernsten Situation herumflachsten, saß Leyanne erstaunlich schweigend da.
 

Der Krüstal war voll. Er suchte jemanden, der in der Lage war, ihn zu benutzen. Und das konnte kein magisch begabtes Wesen sein. Wenn man sich durch einen Zauber geschützt dem Stein nährte, konnte man ihn nicht wahrnehmen. Und wenn man es ungeschützt tat - bumm - Dornröschenschlaf.

Nachdem man alle Opfer in der Aula gefunden hatte, mußte sich der Stein logischerweise dort befinden und Leyanne hatte schon eine Ahnung, wo er zu suchen war. Und wo ein nichtmagisches Wesen zu finden war, wußte sie auch.

Die Macht des Krüstals

Sarus würde diesen Tag bestimmt nicht als einen seiner besten Schultage bezeichnen. Aber sie hatten ihn alle einigermaßen gut überstanden. Merill hatte seine Klasse die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen und sogar das Essen war ihnen in ihrem Aufenthaltsraum serviert worden. Am späten Nachmittag hatten sie dann für eine halbe Stunde nach draußen gedurft. Unter Aufsicht, versteht sich. Einmal um den Sportplatz rum und das war's. Für Sarus, der gewohnt war, sich viel an der frischen Luft zu bewegen, war das nicht genug. Kein Wunder, dass er so gereizt war. Und dann hatten die Ayden's sich den ganzen Tag nicht blicken lassen. Während er sozusagen in Haft saß, retten die vielleicht gerade die Welt. Ohne ihn! Richtig unfair war das, da konnte man doch sauer werden.
 

Sarus öffnete sein Fenster. Er braucht frische Luft. Der Mond war noch nicht aufgegangen, aber wenn, dann würde er fast immer noch ganz rund am Himmel stehen. War es wirklich erst vorgestern gewesen, dass sie sein Spiegelbild aus dem Teich gehoben hatten? Müßig ließ Sarus seinen Blick die Hauswand hinabgleiten. Eigentlich müßte man da doch ganz einfach hinunterklettern können. Der Gedanke war noch nicht ganz Zuende gedacht, da war Sarus schon halb zum Fenster hinaus. Für einen gutdurchtrainierten Wolfling war das doch ein Klacks. Wie er nachher aber wieder hinaufkommen sollte, daran verschwendete Sarus keinen Gedanken. Hauptsache, er kam ungesehen hinaus. Geschickt kletterte Sarus den Efeu hinunter und landete kurz darauf im weichen Gras. Der Wolfling blieb auf dem Rasen, wo das Geräusch seiner Schritte verschluckt wurde. Seine kleine einsame Gestalt verschwand in der Dunkelheit.
 

Sarus hatte wirklich vorgehabt, Ayden oder Leyanne in ihren Büros im Verwaltungsgebäude aufzusuchen. Der schnellste Weg dorthin führte ihn am Schulgebäude vorbei. Aber etwas bremste seinen Schritt. Etwas zog ihn ins Schulgebäude hinein. Wie schon Leyanne am Abend vor ihm, stand er vor dem großen Portal. Zögerte. Was sollte er hier? Er wollte doch ...

Sarus vergaß, was er vorhatte. Er sprach keinen Schutzzauber, wie auch, auch keinen Öffnungszauber, aber dennoch öffnete sich das große Tor, als Sarus die Hand auf den Türgriff legte.
 

Die große Aula kam ihm unheimlich vor. Gewohnt dass sich hier sonst Schüler aller Klassen und Jahrgänge tummelten, empfing ihn an diesem Abend eine gähnende Leere, eine Stille, die fast schon bedrohlich wirkte. Trotzdem ging Sarus weiter. Hinein in die dunkle Halle. Die Treppen im Hintergrund konnte man nur erahnen. Mit zögernden Schritten ging Sarus durch den dunklen Raum. Unter einem der mächtigen Kristalleuchter ging Sarus in die Knie. Er kniete da in dem leeren dunklen Raum und wartete. Sarus wußte nicht worauf. Er wußte auch nicht, dass er fast an derselben Stelle kniete, an der man Professor Seng, Kae Song und Gérom gefunden hatte. Wie still es war. Kaum zu glauben, dass sich hunderte von Lebewesen im näheren Umkreis befanden.

Einmal konnte er den triumphierenden Schrei eines Nachtvogels hören, der Beute schlug, dann war es wieder still. Wie wenn die Natur den Atem anhielt. Sarus hatte das Gefühl, sie alle würden auf etwas warten.
 

Und dann ging der Mond auf. Auch wenn seine Strahlen noch nicht ganz die hohen Fenster der Aula erreichten, so erfüllte er doch mit seinem silbernen Licht den Raum. Und dann plötzlich war es da. Zuerst hörte er ein Summen und dann leuchtete der Leuchter über ihm auf. Nicht silbern im Licht des Mondes, auch nicht golden im Licht der Kerzen. Nein, es war eine Farbe, die Sarus später nie richtig würde beschreiben können. Es war ein warmes Orange mit einem Hauch von Rosa. Mit einem leisen Klirren löste sich das Licht vom Kronleuchter und schwebte auf Sarus zu. Dieser hielt den Atem an. Das, was immer es war, war einfach wunderschön. Es war ein Stein, ein Kristall, ungefähr so groß wie eine Männerfaust. Von innen heraus leuchtet der Stein in einem kräftigen Orange, dass zu den Rändern hin heller wurde und schließlich zu einem zarten Roséton verblaßte. Ohne lange nachzudenken streckte Sarus die Hand aus und sanft wie ein Schmetterling ließ sich der Stein auf seiner ausgestreckten Handfläche nieder. Fasziniert betrachtete Sarus den leuchtenden Stein in seiner Hand. War das der Krüstal der Ehwigkeyt? Welche Kraft von ihm ausging. Und eben diese Kraft durchströmte ihn, er fühlte sich unbesiegbar. Instinktiv wußte Sarus, dass er in diesem Moment das mächtigste Wesen der Welt war. Er war plötzlich der mächtigste Magier des Universums.
 

Ein boshaftes Lächeln schlich sich in seine sonst so liebenswerten Züge. Er würde es allen zeigen. All denen, die hinter seinem Rücken gelästert hatten, nur weil er ein einfacher Wolfling war. Ein Wolfling und dann noch ohne magische Fähigkeiten! Ha, die würden schön gucken, er würde sie alle vernichten, die Welt von den Magis befreien. Er würde ein Held sein, sie würden Bücher über ihn schreiben, sein Leben verfilmen und man würde Sarus-Plüschis kaufen können und ...
 

"Und was hast du jetzt vor?" ertönte es plötzlich hinter ihm. Erschrocken drehte Sarus sich um und konnte im Licht des Krüstals eine Gestalt auf der Treppe sitzen sehen. Sie trug einen weißen Umhang, deren Kapuze das Gesicht verhüllte. Aber eine kurze Kopfbewegung, die Kapuze rutschte herunter und es war Leyanne, die da auf der Treppe saß. Ihr sonst so drolliges Gesicht hatte diesmal einen sehr ernsten Ausdruck und ihre bunten Haarsträhnen, Zeichen ihrer magischen Fähigkeiten, waren wieder sehr gut zu sehen. Sie saß da, barfuß, balancierte ein großes Gefäß, in dem eine grünliche Flüssigkeit geheimnisvoll leuchtete, auf den Knien und schaute ihn ernst an.

"Was hast du jetzt vor?" wiederholte sie ihre Frage.
 

Sarus preßte sich den Stein gegen die Brust und starrte Leyanne wild mit flackernden Augen an.

"Das ist meiner," knurrte er. "Ich habe ihn gefunden, er gehört jetzt mir!"
 

Leyanne nickte. "Es ist wohl so, dass er dich gesucht hat und ihr habt euch gefunden und was jetzt, was wollt ihr tun?"
 

"Wir sind jetzt der mächtigste Magier aller Zeiten, niemand kann uns noch aufhalten. Wir werden all diejenigen vernichten, die uns betrogen und verraten und über uns gelästert haben. Endlich können wir die Welt von den magischen Wesen säubern, den Überbleibseln einer längst vergangenen und überholten Zeit." Sarus Stimme hallte in dem großen Raum und sie klang, wie wenn sie selbst aus alter Zeit kam. War das überhaupt noch Sarus, der da sprach?
 

Und nicht nur seine Stimme hatte sich verändert, auch sein Aussehen. Seine Züge hatten eindeutig wölfische Formen angenommen und die Augen schimmerten in dem gleichen orangerosé wie der Krüstal. Die Pupillen waren nur noch stecknadelgroß, kaum noch zu sehen. Gerade und aufrecht stand Sarus da, er strahlte etwas aus, einen eiskalten Haß der bedrohlicher wirkte als heiße, wütende Raserei.

Er meinte ernst was er sagte, jedes einzelne Wort. Er würde alle Magie auf der Welt auslöschen, er hatte jetzt die Macht dazu.
 

Leyanne tat es weh, ihn so zu sehen. War Sarus wirklich die ganze Zeit neidisch gewesen? War er wegen seiner mangelnden Fähigkeiten gehänselt worden? Verachtet? Vermutlich von jedem etwas. Deshalb war er auch anfällig für die Einflüsterungen des Steines.

Leyanne senkte den Kopf und betrachtete die geheimnisvoll schimmernde Flüssigkeit in der Schale auf ihren Knien. Bevor sie die letzte Waffe einsetze, wollte sie noch einmal versuchen, Sarus zum Sprechen zu bringen. Denn im Moment war es der Stein, der aus ihm sprach.
 

"Du hast wirklich vor, alle zu vernichten," fragte sie ihn. "Deine Klassenkameraden, deine Freunde, meine Familie, alle, die immer freundlich und gut zu dir waren?"
 

JAAAAA!!! dröhnte es in Sarus Kopf. Er konnte es schon richtig vor sich sehen. Die entsetzen Gesichter von Talana, Kenia, Niall und all den anderen, wenn er das Wasser des Sees über ihre Insel hereinbrechen ließ. Seine Lehrer und Schulkameraden, die überall reglos auf dem Schulgelände lagen, darunter auch Ayden, Chrysler und Leyanne. Und Professor Seng, Kae Song und Gérom würden für immer in tiefem Schlaf liegen, niemals aufwachen und nie erfahren, dass es allein in seiner Macht lag, was mit ihnen geschah. Sarus sah es genau vor sich. Gérom, wie er lächelte, während er schlief. Talana, die Hohepriesterin, die ihn so freundlich zum Bleiben einlud, Merill, der ihn an seinem ersten Schultag begrüßte, Ayden, der ihn anlächelte, Niall, wie er den Arm um ihn legte und ihm die Hirsche zeigte, Ca 'Arina, die ihm erlaubte, sich zu Gérom zu setzen, Chrysler, wie er schwungvoll die Haare zurückwarf, Daleth, der Tzaphirion herumscheuchte, Leyanne, die ihn über den Rand ihres Kneifers hinweg zuzwinkerte, Gérom, Keami, Choko, Merill, Kae Song, der Direktor, Ayden, Niall, Daleth, Kenia....
 

Sarus Gedanken drehten sich im Kreis, immer schneller, immer wilder, ihm wurde schwindelig, alles drehte sich und dann schrie es in ihm
 

NEIN!!
 

"Nein!" Sarus krümmte sich zusammen, er kämpfte gegen diese Stimme an, die in ihm flüsterte und wisperte, wie mächtig er sein würde, wie weise und wie wunderbar die Welt wäre ohne all die, die ihn verachteten und verhöhnten.

Sarus kämpfte dagegen an und der Glaube an seine Freunde und der Gedanke an ihr gemeinsames Lachen half ihm, dem verführerischen Wispern in seinem Inneren zu widerstehen.
 

Er hielt den Stein immer noch in der Hand, als er sich endlich aufrichtete und der Stein funkelte und leuchtete stärker als zuvor, aber das unnatürliche Leuchten in Sarus Augen war weg. Sie blickten klar wie eh und jeh,. Er stand jetzt genauso stolz und aufrecht da wie vorher, aber diesmal war es nicht der Stein, der aus ihm sprach, sondern die Würde eines Wolflings, der weiß, dass er den ärgsten Feind von allen bezwungen hatte, sich selbst!
 

Vorsichtig drehte er sich zu Leyanne um, die immer noch auf der Treppe saß. Würde sie arg böse auf ihn sein? Aber Leyanne lächelte ihn an. Es war ihr sehr schwergefallen, zuzusehen, wie Sarus sich quälte, dagegen ankämpfte, nie hatte sie sich hilfloser gefühlt. Und die Erleichterung, als er es geschafft hatte! Zaghaft lächelte Sarus zurück. Wie auf Kommando blickten beide auf den Stein in seiner Hand. Dieser funkelte immer noch in leuchtendem Orange. Zornig, wütend, weil ihm das perfekte Medium entgangen war.
 

"Was machen wir jetzt damit?" fragte Sarus leise.

"Wir müssen ihn vernichten!"

Sarus nickte zustimmend, holte weit aus und warf den Krüstal mit voller Wucht auf den Boden, aber ...

"Er löst sich nicht," Sarus starrte den Stein an, der in seiner Hand wie festgeklebt festsaß. Hilfe suchend wandte er sich Leyanne zu. Diese stand leise seufzend auf.

"Ich hatte wirklich gehofft, das hier nicht tun zu müssen." Vorsichtig hob Leyanne die Schale hoch über ihren Kopf. "Halt die Luft an," riet sie dem Wolfling. Gehorsam holte Sarus tief Luft, während Leyanne leise einige Beschwörungen murmelte.

Die grünliche schimmernde Flüssigkeit löste sich aus dem Gefäß, schwebte empor, breitete sich aus und -
 

platschte auf Sarus und den Stein herab.

Die Macht wird gebrochen

Sarus hustete, oder war es der Stein? Auf alle Fälle löste sich der Stein aus Sarus Hand, kullerte über den Boden und blieb dann liegen. Er hatte das zornige Funkeln verloren, glimmert nur noch leicht orange. Sarus stand wie ein begossener Pudel da. Patschnass! Vorsichtig schnupperte er an seinem Ärmel. Iiiiih! Vorwurfsvoll guckte er Leyanne an, das war ja ..
 

Ja, Leyanne war es beinahe peinlich, aber um Sarus von dem Stein befreien zu können, hatte sie ihn fast in Fencheltee ertränken müssen. Ausgerechnet Fencheltee! Kappstadt hatte das Zeug wohl literweise zu sich genommen und war aus diesem Grund immun gegen die Macht des Steines gewesen. Leyanne schüttelte es jetzt noch. Wenn ihre eigene Schutzmagie nicht stark genug gewesen wäre, hätte sie das Zeug auch noch trinken müssen. Aber wenigstens war Sarus "Opfer" nicht umsonst gewesen. Die Macht des Steines war gebrochen. Gut, er war noch nicht vollständig zerstört, aber das ließ sich ändern. In der Aula war es jetzt, nachdem das Leuchten des Steines schwächer geworden war, wieder recht dunkel, als plötzlich mit einem knallenden WUSCH die Kerzen in sämtlichen Kronleuchtern aufbrannten Aus einer der Ecken der Aula kam Chrysler zum Vorschein. Seinem zufriedenen Lächeln nach war er für die "Erleuchtung" verantwortlich. Von der anderen Seite kam Ayden auf sie zugeschritten, die Hände in den Ärmeln seiner grauen Kutte verborgen. Er bewegte stumm die Lippen und ein sanfter Wind wirbelte behutsam um Sarus herum und trocknete seine Kleider. Die leichte Brise umblies ihn sacht von der Ohren- bis zur Schwanzspitze und huschte dann davon. Den unangenehmen Fenchelgeruch nahm sie mit. Aus purer Gewohnheit schüttelte Sarus sich noch mal und fühlte sich dann bereit für alles, was da noch kommen mochte.
 

Leyanne nahm ein graues Bündel von der Treppe auf und ging dann auf den Krüstal zu. Die anderen folgten und sie standen in einem lockeren Kreis um den Stein herum. Jetzt erst entdeckte Sarus, dass nicht nur Leyanne und Ayden einen weißen bzw. grauen Umhang trugen, nein auch Chrysler trug so eine graue Kutte und sah richtig ungewohnt darin aus. Ernst, verantwortungsvoll. Aber das lustige Zwinkern, mit dem er Sarus bedachte, als er bemerkte, das dieser ihn verblüfft anstarrte, zeigte, das irgendwo in der Kutte noch der alte Chrysler steckte. Verlegen richtete Sarus jetzt wie alle anderen seinen Blick auf den Stein.

"Ist er zerstört?" fragte er dann hoffnungsvoll. Doch Leyanne schüttelte den Kopf.

"Es gehört ein bißchen mehr dazu als ein wenig Fencheltee, um einen solchen Stein zu vernichten," bemerkte Chrysler in leichtem Plauderton. "wenn das überhaupt je möglich ist."

"Wir könnten ihn verstecken, verbuddeln, ins Meer werfen," schlug Sarus vor. Alles würde er tun, damit der Stein nie wieder auftauchen würde.

"Er würde immer wieder zum Vorschein kommen, egal wo wir ihn auch verbergen." Leyanne hob die Schulter. "Wir müssen es einfach versuchen."

"Nicht versuchen," korrigierte Ayden seine Schwester. "Wir werden den Stein heute Abend endgültig vernichten. Wir haben vier Magier, für jedes Element einen."
 

Vier? Sarus blickte sich um. Also er kam nur auf drei. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, dass Leyanne das graue Bündel ausschüttete, dass sie neben sich abgelegt hatte und es entpuppte sich als genau so einen Umhang wie auch Ayden und Chrysler ihn trugen. Nur war er kürzer, so in etwa Sarus Größe. Verdattert streckte er die Arme aus, als Leyanne ihm den Umhang über die Schulter legte. Er paßte genau.
 

"Aber ich bin doch kein Magier," protestierte der Wolfling. Leyanne schmunzelte und auch Ayden verzog die Lippen zu einem Lächeln. Chrysler beugte sich zu ihm herunter. "In diesem Moment, Wolfie, bist du immer noch mit dem Stein verbunden, und auch wenn er keine Macht mehr über dich hat, so kannst du doch seine Macht für dich nutzen. Wie wäre es, wenn du damit den Stein vernichtest?" Sarus blickte die anderen mit großen Augen an. Widerstandslos ließ er sich von Ayden auf seinen Platz im Kreis stellen. "Du stehst für das Element Erde, Sarus. Die Erde ist die Natur und damit bist du doch vertraut, nicht wahr?"

Sarus nickte. Erst zaghaft, dann noch einmal, selbstbewußter. Hatte er sich nicht gerade geschworen, alles zu tun, damit der Stein verschwand?
 

Aufmerksam hörte er zu, als Ayden ihm erklärte, was er zu tun hatte.
 

"Ich stehe hier für die Luft - für den Atem der Welt"
 

"Ich stehe hier für das Feuer - für das Licht der Welt"
 

"Ich stehe hier für das Wasser - für die Quelle der Welt"
 

"Ich stehe hier für die Erde - gemeinsam mit Luft, Feuer und Wasser geben wir der Welt Leben, geben wir ihr Schutz"
 

In Ayden's Hand, der für die Luft sprach, erschien ein weißes Licht. Kurz darauf leuchtete es in Chrysler's Hand rot auf, wie das Feuer, für das er stand. Leyanne's Licht leuchtete blau auf, so blau wie das Meer. Und Sarus? Er konnte es kaum glauben, aber auf seiner Handfläche bildete sich eine kleine leuchtende grüne Kugel aus Licht. Zuerst flackerte sie etwas, doch je sicherer sich Sarus wurde, desto stärker wurde auch sein Licht. Chrysler hatte Recht. Er, ein Wolfling hatte magische Kräfte. Aber nur solange der Stein existieren würde. Danach würde er wieder normal sein. Ohne magische Fähigkeiten. Für einen Moment verspürte Sarus ein Bedauernd, fast so etwas wie einen Verlust. Er wurde unsicher, zweifelte und sein Licht erlosch beinahe, aber nur beinahe. Denn dann leuchtete es wieder hell auf, genauso hell wie das der anderen. Wenn er schon einmal in seinem Leben Zauberkräfte hatte, dann wollte er sie auch sinnvoll einsetzen.
 

Ayden hob seine Hand mit der hellen leuchtenden Kugel hoch über den Kopf.

"Vier Elemente, zum Schutz vereint gegen den einen, der nicht sein darf."

"Vier Elemente, vereint bestehen wir gegen die Bedrohung!" Chrysler folgte Ayden und hob seine Hand ebenfalls über den Kopf. Jetzt war Sarus dran.

"Vier Elemente, vereint im Kampf gegen die Finsternis!" Er hob seine Hand und somit sein Licht so hoch wie er nur konnte. Jetzt blieb nur noch Leyanne übrig.

"Vier Elemente, vereint gegen die dunklen Kräfte."
 

Kaum merklich waren die Lichter des Kronleuchters langsam wieder erloschen und die Aula wurde nur noch von den Lichtkugeln in den Händen der Vier erleuchtet. Der Krüstal glimmerte nur noch leicht und über allem lag das sanfte Licht des Mondes.

Die Lichtkugeln lösten sich von den Händen der Vier und schwebten aufeinander zu. Über dem Krüstal verharrten sie für einen Moment, dann, in einem leuchtenden Farbenwirbel vereinten sie sich zu einer einzigen Kugel, die, nachdem die Farbwirbel zur Ruhe gekommen waren, irisierend pulsierte.

Sarus stand mit offenem Mund da. So etwas Schönes hatten sie geschaffen? An so etwas großem, mächtigen sollte er beteiligt sein? Erwartungsvoll stand er da und wartete darauf, was als nächstes passieren würde. Bis hierher hatte Ayden ihm erklärt, was er tun mußte, aber was würde jetzt geschehen? Er ließ die leuchtende Kugel nicht aus den Augen, als diese sich langsam absenkte, über dem Krüstal der Ehwigkeyt schwebte und diesen dann komplett einhüllte.

Leyanne streckte die Arme nach vorne aus, die Handflächen zeigten nach oben. Ayden und Chrysler taten das gleiche und Sarus beeilte sich, es ihnen nachzutun.
 

"Aus dem Schoß der Erde geboren,

mit finsteren Mächten dann verschworen,

brachte er viel Leid und Not,

Schlimmeres noch als den Tod.

Doch heute gebannt für alle Zeit

ist der Krüstal der Ehwigkeyt

nur noch ein gewöhnlicher Stein

dies ist mein Wille, so soll sein."
 

Leyanne hatte klar gesprochen und deutlich.
 

"Dies ist mein Wille, so soll sein." wiederholte Ayden
 

"Dies ist mein Wille, so soll sein." schmetterte Chrysler
 

Dies ist mein Wille, so soll sein." hauchte Sarus,.
 

Die leuchtende Kugel reagierte auf jene, die sie schufen. Bei Leyannes Worte versprühte sie einen blauen Farbregen, bei Ayden einen silberweißen. Bei Chrysler flogen rote Funken und bei Sarus grüne Kleeblätter und dann war die Kugel verschwunden. Übrig blieb nur noch ein ganz gewöhnlicher Stein. Und dieser, das konnte man im Mondlicht genau sehen, brach mit einem leisen Knirschen auseinander.

Alles wird gut

Und der Krüstal offenbarte ihnen sein Geheimnis! In seinem Inneren befand sich eine Aushöhlung, in der, dicht aneinander gedrängt wie Beeren an einem Strauch, unzählige kleine weiße Lichtkugeln schimmerten.
 

"Na der war aber wirklich voll," brummte Chrylser.

Gebannt schauten alle zu, wie sich die kleinen Lichter vom Stein lösten. Erst zögerlich, als könnten sie es gar nicht glauben, frei zu sein, dann immer schneller schwebten sie empor. Die Aula war sanft erleuchtet von ihrem Licht und ein Summen lag in der Luft. Fröhlich. Jubilierend. Die Lichter schwebten immer weiter nach oben und man hatte das Gefühl, sich unter freiem Sternenhimmel zu befinden. Dann hatten die ersten Lichter die Mondstrahlen erreicht. Sie tauchten in das Mondlicht ein und vereinigten sich mit ihm, eines nach dem anderen, bis nur noch 4 Lichter übrig waren. 3 von ihnen waren nicht ganz so strahlend wie die anderen. Sie tanzten noch ein wenig auf und ab, dann flatterten sie durch ein geöffnetes Fenster wie Glühwürmchen davon. Das letzte Licht zögerte, schien sich nicht in den Mondstrahl zu trauen, doch dann faßte es sich ein Herz, schwebte empor und verging im Mondlicht.
 

Sarus atmete hörbar aus. Ihm war nicht bewußt gewesen, dass er die Luft angehalten hatte. Ayden war neben ihm in die Knie gegangen und hatte ihm dem Arm um die Schultern gelegt und beinahe hätte Sarus ihn geben, ihm mal zu zwicken, damit er sicher sein konnte, das er nicht träumte. Chrysler und Leyanne lehnten aneinander und gaben sich gegenseitig Halt. Was für ein fantastisches Erlebnis!
 

Sarus Neugierde wurde stärker als die Ehrfurcht vor diesem Wunder.

"Diese Lichter waren wunderschön, aber was waren sie eigentlich? Und wie kamen sie in den Stein hinein?"

Ayden war aufgestanden und klopfte sich den Staub von der Kutte.

"Das war die magische Energie derer, denen der Krüstal die Energie geraubt hat. Ihre magischen Seelen sozusagen. Ohne diese kann kein magisches Wesen existieren. Wenn wir den Stein nicht zerstört hätten, hätte er sie bis in alle Ewigkeit in sich eingeschlossen und sich ihrer Macht bedient. Aber jetzt konnten sie sich befreien und zum Mondlicht zurückkehren. Denn vom Mond kommt alle Magie und kehrt auch wieder zu ihm zurück."
 

"Die drei nicht ganz so hellen Lichter waren die von Prof. Seng, von Kae Song und von Gérom. Der Stein hat ihnen nur einen Teil der Energie entzogen und noch nicht ihre Seelen. Deshalb hat es sie auch nicht zum Mondlicht hingezogen sondern zurück zu ihren Besitzern." erklärte Leyanne.

"Und das letzte Licht? Warum hat es gezögert?" wollte Sarus noch wissen.
 

"Also ich denke, das war Horatio Grafton, der Schöpfer des Krüstals." äußerte Ayden seine Vermutung. "Vielleicht war sich seine magische Seele bewußt, was er getan hatte und wollte dafür büßen. Denn wenn magische Energie nicht rechtzeitig ins Mondlicht zurückfindet, dann bleibt sie für immer hier, als Irrlicht."
 

Sie waren langsam zum Portal gegangen und Ayden hatte das Tor, welches er früher am Abend für Sarus geöffnet hatte, wieder versiegelt. Jetzt standen sie draußen auf dem vom Mondlicht beschienenen Rasen und bestaunten den Nachthimmel. Sterne und Mond schienen ganz nah, näher als sonst. Sarus atmete die würzige Luft tief ein. Was für ein Abenteuer! Aber nun war es vorbei und alles würde wieder in Ordnung kommen, oder nicht? Er mußte sich vergewissern.

"Es ist doch jetzt alles wieder o.k., nicht wahr?" Er wandte sich mit seiner Frage an Ayden, von dem er hoffte, eine wahrheitsgemäße Antwort zu bekommen.

"Ja," erwiderte dieser feierlich. "Wir haben es geschafft, wir alle zusammen. Der Krüstal ist vernichtet und kann nie wieder jemandem schaden. Und das verdanken wir auch dir. Du hast dich tapfer geschlagen, Sarus. Ein wahrer Wolfling aus dem Hause Sastre!"

Zum Glück war das Mondlicht nicht hell genug, als das man sehen konnte, wie Sarus rosa anlief vor Verlegenheit. Verlegen zog er mit der Fußspitze Kreise im Gras.

"Och, das war doch nichts," meinte er, und, "das hätte doch jeder getan," was man halt in solchen Situationen von sich gibt. Und dann zuckte er erschrocken zusammen, denn Chrysler schrie plötzlich "Jipppie", packte seine Cousine bei den Händen und tanzte mit ihr den Weg hinauf. Leyanne lachte, versuchte sich zu befreien, aber besonders viel Mühe gab sie sich dabei nicht. Ayden folgte den beiden etwas langsamer mit Sarus an seiner Seite.

"Nun, was war das für ein Gefühl, magische Kräfte zu haben?" wollte er wissen. Sarus mußte erst ein wenig über diese Frage nachdenken, bevor er antworten konnte.

"Eigentlich habe ich überhaupt nichts gemerkt," gestand er dann. "Und auch nichts gemacht, es kam von ganz allein."

Ayden nickte zufrieden. "Das ist wahre Magie! Etwas davon steckt in jedem von uns. Aber weißt du, wenn man versucht, die Magie zu zwingen, dann kommt nichts Gutes dabei raus, das hast du ja gesehen."

"Ayden? Ist jetzt wirklich alles wie es vorher war? Professor Seng und Kae Song wachen doch wieder auf, oder?

"Natürlich, und auch Gérom. Wahrscheinlich sitzen sie in ihren Betten und wissen überhaupt nicht, was los ist."

Sarus nickte zufrieden. Gemeinsam mit Ayden schlenderte er gemächlich den Weg entlang
 

Die Krankenstation war hell erleuchtete, als sie dort ankamen. Die Heilkundigen konnten sich nicht erklären, was geschehen war und die Patienten protestierten, je nach Temperament mehr oder weniger lautstark dagegen, dass man sie in ihren Betten festhielt.

Während Ayden sich auf die Suche nach dem Direktor machte, ging Sarus endlich zu Gérom.

Besonders dankbar zeigte der sich nicht gerade. Missmutig saß er in seinem Bett und musterte Sarus unwillig.

"Was willst du denn hier?" maulte er. "Und was hast du denn da für ne Kutte an, du schaust aus wie ne Vogelscheuche." Sarus konnte nicht anders, er stürzte sich auf Gérom und schlang die Arme um ihn. Dabei lachte und schluchzte er gleichzeitig. Verlegen tätschelte ihm Gérom den Rücken und wußte nicht, was er sagen sollte. Deshalb waren beide ganz froh, als Ca 'Arni auftauchte und Sarus wegscheuchte wie ein junges Huhn.

Wahre Helden / Abschied

Sarus wischte sich die Tränenspuren aus dem Gesicht und sah an sich hinunter. Er war stolz darauf, diesen Umhang zu tragen, mochte Gérom davon halten, was er wollte. Am Ende des Flures sah er Ayden beim Schuldirektor stehen und, etwas abseits davon, Chrysler und Leyanne. Mit würdigen Schritten, dem Umhang angemessen, wie er fand, ging er auf sie zu. In diesem Moment drehte Ayden sich zu ihm um. Hatte er gespürt, dass er kam? Sarus gefiel der Gedanke, dass an diesem Abend eine Verbindung zwischen ihm und der Familie Ayden entstanden war, die so schnell nicht wieder gelöst werden würde. Dieser Gedanke und das warme Lächeln mit dem Ayden ihn begrüßte, erfüllten ihn mit Wärme. Auch wie ihm Leyanne vergnügt zuzwinkerte und Chrylser ihm liebevoll die Haare verwuschelte, zeigte ihm, dass er irgendwie zu ihnen gehörte. Wenn schon nicht als Familienmitglied, dann doch als Freund.

Ayden winkte ihn zu sich heran, legte ihm eine Hand auf die Schulter und schob ihn näher zum Direktor.

"Das ist er, Sarus Sastre, ohne ihn hätten wir es nicht schnell geschafft." Der Direktor blickte wohlwollend auf ihn herab und Sarus, der bis zu diesem Tage kaum ein Wort mit ihm gewechselt hatte, wusste mal wieder nicht, wohin gucken vor lauter Verlegenheit. Auch der Direktor legte ihm die Hand auf die Schulter. "Wir sind stolz darauf, einen Schüler wie Sie an unserer Universität zu haben," erklärte er mit tiefer Stimme. "Lehrer Grey hat mir gesagt, was Sie für uns getan haben, Sarus." Sarus hatte das Gefühl, als ob er wachsen würde, mindestens 5 cm größer war er. Aber bei den nächsten Worten des Direktors schrumpfte er wieder zusammen, denn...

"Ich hoffe, Sie haben alle Verständnis dafür, dass wir diesen Vorfall geheim halten werden. Selbstverständlich werden wir es der Fachwelt nicht vorenthalten, Avalon muss informiert werden und Llewellyen, aber ich möchte die Schüler und vor allem die Eltern nicht weiter beunruhigen. Die Gefahr wurde gebannt, es wäre unsinnig, im Nachhinein für Unruhe zu sorgen, Ängste zu schüren. Ich danke Ihnen allen noch mal, was Sie für uns getan haben, für die ganze magische Welt." Er nickte jedem einzelnen zu und ging dann den Flur weiter, auf eine Gruppe Heilkundiger zu.

Sarus ließ die Ohren hängen. Also keine Siegerehrung.

"Keine Feierlichkeiten, Ordensverleihungen, Galas zu unseren Ehren. So ein Mist!" Es war Chrysler, das das sagte und er sprach Sarus voll aus dem Herzen. Er sah genauso enttäuscht aus wie der Wolfling.

"Ach kommt schon," Leyanne hakte sich bei den beiden ein. "Ist doch egal, das es ein Geheimnis bleiben wird, wir wissen, was wir getan haben, und allein das zählt."

Sarus fiel es schwer, sich damit abzufinden, ein geheimer Held zu sein. Aber genaugenommen war er froh, dass er über gewisse Aspekte des heutigen Abends nicht Rede und Antwort stehen mußte, denn schließlich war er für eine gewisse Zeit den Versuchungen des Steines erlegen. Er war wirklich gespannt, was wohl Gérom und die anderen sagen würden, warum sie in die Aula gegangen waren. Hatte der Stein sie etwa auch gerufen? Aber diese Frage sollte niemals beantwortet werden, denn keiner der drei konnte sich daran erinnern, überhaupt in die Aula gegangen zu sein.
 

Die Quarantäne wurde aufgehoben und es dauerte nicht lange, bis alles wieder seinen gewohnten Lauf ging. Am nächsten Morgen war es Sarus ein wenig mulmig zumute, als er durch die Aula und unter den Kristalleuchtern hindurch zu seinem Klassenzimmer ging. Und er war ein wenig enttäuscht, als statt Leyanne wieder Professor Seng den Unterricht für Kräuterheilkunde abhielt. Also wirklich alles beim Alten.

Aber für den Nachmittagstee erhielt er eine Einladung in Ayden's Büro. Es gab eine kleine Abschiedsfeier für Leyanne und Chrysler, die die Universität an diesem Abend verlassen würden. Leyanne hatte vor, auf die Insel zurückzukehren und Chrysler schwärmte von Ägypten und einem geheimnisvollen roten Türkis, den er dort suchen wollte. Belustigt tätschelte Sarus dem Abenteurer die Hand und wünschte ihm viel Glück. Er hatte für Chrysler inzwischen die gleiche liebevoll herablassende Zuneigung entwickelt wie Ayden und Leyanne. Der würde sich nie ändern. Leyanne versprach, schöne Grüße auf der Insel auszurichten und ließ den Brief, den ihr Sarus heimlich für Niall zusteckte, geschickt in ihrer Tasche verschwinden. Und er wurde nicht mal verlegen, als sie ihn zum Abschied umarmte. Wirklich zu schade, dass sie gehen mußte und zu schade, dass er sie nicht mal beim Schwertkampf gesehen hatte. Aber wer weiß, was die Zukunft bringen würde?
 

Gemeinsam mit Ayden stand er auf den Treppenstufen draußen vor der Eingangshalle und winkte Chrysler und Leyanne nach, die es vorgezogen hatten, die Universität auf dem normalen Weg zu verlassen.

Ist das das Ende?

Epilog
 

Endlich war Ruhe eingekehrt in der Salurischen Universität. Fragt nicht, was da jeden Abend vor dem Schlafengehen (und während der Schlafenszeit) los war.

Es gibt Dinge, die muß man nicht wissen. Und das gehört eindeutig dazu.
 

Sarus Sastre schlief den Schlaf der Gerechten. Nein, noch nicht ganz ...
 

Nach dem Schlafengehen war er noch einmal aufgestanden und hatte sich an seinen Arbeitstisch gesetzt. Nachdem er in letzter Zeit mehrere Deja Vus hatte und sich nicht sicher war, ob er sich auf sein Erinnerungsvermögen verlassen konnte, wollte er sicherstellen, dass die Geschichte des 'Krüstals der Ehwigkeyt' nicht verloren ging. Er hatte ein leeres Schulheft zur Hand genommen und füllte dieses jetzt Seite um Seite mit den Geschehnissen der letzten Tage. Erst als er wirklich alles, was er wußte, aufgeschrieben hatte, legte er den Stift zur Seite und schlüpfte unter die Bettdecke. Zufrieden seufzend kuschelte er sich zurecht und schlief kurz darauf ein.
 


 

Sarus Sastre schlief den Schlaf der Gerechten. Und auch der Ahnungslosen? Wir werden sehen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  felitastic
2004-12-13T12:30:48+00:00 13.12.2004 13:30
Süß! *smile*
Hübsch geschrieben, ganz lustig und unterhaltsam. Vielleicht ein paar Dialoge mehr ;) aber trotzdem gut (immerhin hab ichs bis zum Ende durchgehalten, das is doch was *gg*).
Chrysler war mein persönlicher Liebling! ^_^

Lg neko =^.^=
Von:  Beldaran
2003-11-06T16:38:45+00:00 06.11.2003 17:38
...ja, weiterschreiben! :))

Und ich bin ja sooo gespannt, auf die Geschichte von Faye und Vivlest - erzählst du die auch noch, Pego?

Bel* ;)
Von:  Beldaran
2003-11-06T16:37:43+00:00 06.11.2003 17:37
Nicht nur das Vorwort, auch die Hauptgeschichte ist genial, wundervoll, mitreissend, niedlich, phantasievoll hoch drei und gut komponiert mit sauberen Übergängen, in sich stimmigen Figuren, logischer und komplexer Handlung, tollen farbigen Bildern, angenehmer Sprache.. eine Geschichte, wie ich sie eigentlich in nem Kinderbuch oder sowas (halt was wirklich Gedrucktes, so von richtigen Verlagen ;)) erwarten würde und nicht hier auf Animexx..

Was ich noch an Kritik wegen ein paar Forumulierungen oder so habe, die nicht absolut überzeugen, schreibe ich dir per mail, aber das ist nur ganz wenig, gar nicht der Rede wert.

Haste fein gemacht, Pego :)
bis dann dann, Bel*
Von:  Beldaran
2003-11-06T16:37:25+00:00 06.11.2003 17:37
(Hier (endlich..) der 'richtige' Kommentar *g*)

Diese Vorgeschichte ist in sich stimmig, abgerundet und klasse geschrieben. Besonders durch die Kommentare in den Klammern, aber auch sowieso durch den Stil, in dem erzählt wird, wirkt sie niedlich und sehr locker, so als würde Mama am Bett sitzen und eine tolle Gute-Nacht-Geschichte erzählen und gar nicht so, als würde ich in einem hochseriösen Buch lesen (die sind immer so ernst, die Bücher *g*).
Die Charaktere sind überzeugend, in der Geschichte werden alle Sinne angesprochen, jederzeit kann man sich die Umgebung gut vorstellen (wie sie aussieht aber auch, wie es riecht), obwohl gar nicht soviele, zumindest gar nicht auffällig, Details beschrieben werden.

So süsse Details, dass zb die Birkenschößlinge der Fayenne auf den Schoss krabbeln und sich streicheln lassen, habe ich beim erstem Mal lesen gar nicht alle mitbekommen.

Abgesehen von ein paar Rechtschreibfehlern habe ich auch gar nix zu korrigieren gefunden. ^^

Bel* :)
Von:  Beldaran
2003-09-24T20:55:40+00:00 24.09.2003 22:55
Also, das ist ja wirklich unheimlich süss. Und richtig gut geschrieben. Hach, wie schön :)
Nen richtigen Kommentar gibts aber erst später, jetzt les ichs erstmal ganz durch. *froi*
Von: abgemeldet
2003-07-17T17:41:46+00:00 17.07.2003 19:41
schreib weiter, aber schnell^^


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