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Ich warte auf dich

von

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Stürmische Zeiten

Mit dem Tod ihrer Mutter begann nicht nur das Leben von Lenjas kleinem Bruder, sondern auch ein neuer Abschnitt für das Mädchen selbst. Natürlich war es eine herbe Umstellung für alle. Niemand konnte Láfa ersetzen. Und niemand sollte sich auch nur im Entferntesten anmaßen, wenn es nach Lenja ging. So gut sie konnte, wollte sie dem kleinen Ári eine Stütze sein und als Schwester die Mutterrolle übernehmen. Die Rolle, die Láfa verwehrt blieb.
 

Sie hatte es ihrer Mutter auf dem Sterbebett versprochen und ein Ehrenwort durfte nicht gebrochen werden, schon gar nicht bei den Zwergen. Doch dass sich das Mädchen damit eine Aufgabe zumuten, die ihre Kräfte weit überschreiten würde, ahnten nur wenige. Um genau zu sein, waren es Balin und Dwalin, die sich um ihre Nichte und den kleinen Neffen sorgten.
 

Ásgrímur versank zusehends in Kummer. Kummer über den Tod seiner Frau, Kummer über die fehlende Mutter seiner beiden Kinder und versank zuletzt in Selbstmitleid. Er war unzufrieden mit der Situation, mit sich selbst und allem und jedem, der ihn umgab. Von Lenja erwartete er mehr als ein kleines Mädchen von zehn Jahren stemmen kann. Auch sie, ein unerschrockener kleiner Wildfang wie sie es war, schaffte es nur zu Beginn die Aufgaben ihres Vaters zu seiner Zufriedenheit zu erfüllen.
 

Ári wurde zwar von einer anderen Zwergin gestillt, doch war es an Lenja ihren kleinen Bruder den Rest des Tages zu umhegen und zu umpflegen. Sie hatte nicht viel Ahnung von Babys und das Geschrei des Kindes ging ihr jedes Mal durch Mark und Bein. Sie versuchte alles um den Kleinen ruhig zu bekommen. Sie gab ihm ein Fläschchen, kontrollierte seine Windel, lief mit ihm auf dem Arm gefühlte 100km im Haus auf und ab, doch nicht immer half es. Manchmal hatte Lenja Glück und ihr Bruder beruhigte sich schnell. Sehr oft jedoch schlief Ári aber erst wieder fest ein, wenn die Sonne bereits im Begriff war aufzugehen.
 

„Na endlich. Du kleiner Plagegeist hast dir aber mal wieder schön viel Zeit gelassen deine große Schwester zu ärgern, was?“, dachte das Mädchen, wenn ihr Bruder endlich Ruhe gab und ihr ein wenig Schlaf zu gönnen schien.
 

Doch Lenja fehlte die Zeit andere Tätigkeiten im Haushalt zu erledigen, die ihr Vater von ihr verlangte. Putzen, Kochen, Waschen und sich um den Kleinen kümmern. Sie wusste nicht, wie ihre Mutter das ganze Pensum geschafft hat. Klar, Láfa hatte wohl mehr Zeit gehabt sich in ihre Rolle einzufinden. Doch Lenja wusste schon nach kürzester Zeit nicht mehr, wie sie dem gerecht werden sollte.

Auf Fragen ihrer Onkel reagierte sie immer noch viel zu stolz und lehnte stur wie sie nun einmal war Hilfe von den beiden rigoros ab. Keiner sollte sie für schwach halten. Nicht jetzt. Auch wenn sie selbst noch ein Kind war, sollte keiner denken, dass sie ihre Aufgabe nicht erfüllen konnte.
 

Doch nach knapp einem Monat war Lenjas Kraft aufgebraucht. Sie vergaß immer wieder Aufgaben im Haushalt. Sie war zu sehr mit ihrem Bruder beschäftigt. Immer wieder nickte sie tagsüber bei ihrer Arbeit ein und wurde von Áris Geschrei abrupt aus ihrem Schlaf gerissen.
 

Lenja merkte selbst, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. Ihr Vater verlangte zu viel. Nur wie sollte sie es diesem Mann begreiflich machen, dass sie litt? Dem Mann, der ihre Mutter auf dem Gewissen hatte? Er, der Láfa gedrängt, sie unter Druck gesetzt und nun als Quittung seiner Tat seinen Kindern die Mutter genommen hatte? Für Lenja stand es außer Zweifel, dass Ásgrímur am Tod ihrer Mutter Schuld hatte. Sie begann ihn in jener Nacht des Schmerzes zu hassen und dieses unbändige Gefühl loderte immer mehr in ihrer Seele auf.
 

Ihr Vater kümmerte sich nicht um sie oder seinen Sohn. Er kümmerte sich nur noch um sich selbst. Tagsüber war er nicht zu Haus, da er im Dienste des Königs unterwegs war. Und nach getaner Arbeit kam er meist erst in tiefster Nacht heim. Wo er war, wusste Lenja nicht. Zu Beginn hatte sie überlegt ihn darauf anzusprechen. Doch wie ein Gespräch beginnen, wenn ihr Gegenüber kaum mit ihr spricht? Ásgrímur neigte noch nie zum Schwatz, doch sprach er kaum mehr als drei Worte mir seiner Tochter nach Láfas Tod.

So ließ Lenja die Fragerei und hoffte, dass es sich mit der Zeit vielleicht wieder bessern und er sich wenigstens um Ári kümmern würde. Doch es passierte nichts.
 

Nach einer weiteren Nacht ohne Schlaf hielt es Lenja nicht mehr aus. Sie hob Ári aus seinem Bettchen und band ihn sich in einem Tragetuch vor den Bauch. Es war noch sehr früh am Morgen. Die Sonne war im Begriff hinter dem Einsamen Berg aufzugehen. Die Luft war frisch. Lenja konnte ihren Atem sehen als sie sich über einen Außenweg der Wallanlagen zu Dwalin und Balin aufmachte. Sie musste sich Hilfe holen. Ári und sie, sie beide brauchten ihre Onkel nun.
 

Lenja klopfte an die schwere Tür. Sie wartete kurz. Nichts rührte sich. Sie versuchte es erneut mit mehr Nachdruck. Wieder kein Erfolg. Sie atmete tief durch und überlegte. Ári schlief seelenruhig an ihrer Brust. Das war ja klar. Die ganze Nacht machte er Radau und nun holte er seinen Schlaf nach. Lenja wusste nicht, ob sie Lachen oder Weinen sollte beim Anblick ihres Bruders. Wollte sie etwas erreichen, musste sie nun handeln.
 

„Also gut, ihr Schlafmützen. Wenn ihr es nicht anders wollt, dann muss es eben auf die harte Tour geschehen“, dachte sich das Mädchen und hämmerte wie wild gegen die Tür.
 

„Onkel Balin, Onkel Dwalin! Macht mir endlich die Tür auf! Ich weiß ganz genau, dass ihr mich gehört habt. Nun macht endlich auf. Ich muss unbedingt mit euch sprechen. Sofort! Los jetzt! Macht die Tür auf! Ich habe Ári dabei und uns beiden geht es nicht gut. Bitte, öffnet die Tür!“
 

Ein Poltern begleitet von einem lauten Fluchen war hinter der Tür zu hören als sie kaum später von Dwalin geöffnet wurde. Wäre es nicht um etwas ungemein Wichtiges gegangen, hätte Lenja sich beim Anblick ihres Onkels bestimmt kaputt gelacht. Es war wirklich ein Anblick für die Götter: Der große Zwergenkrieger in Unterhemd und langen Unterhosen. Lenja wusste, dass Dwalin ein Morgenmuffel war, doch wirkte er wacher als sie ihn sonst zu dieser Uhrzeit kannte. In seinen Augen konnte sie Besorgnis lesen und so schob sie sich ohne weitere Erklärung an ihm vorbei in den Raum.
 

Lenja ließ sich mit Ári zusammen auf dem Sofa nieder. Der Kleine schlief immer noch seelenruhig.

Dwalin setzte sich neben die beiden und sah seine Nichte eindringlich an. Er hatte sie bereits einige Tage nicht mehr gesehen, doch das Mädchen machte keinen guten Eindruck auf ihn. Sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, ihre Haare hingen anders als sonst ungeordnet an ihrem Kopf herunter und sie wirkte blass und zerbrechlich.

Nie hatte Dwalin Lenja in so einem Zustand gesehen. Nicht einmal als sie bei einer ihrer Kletteraktionen über die Fluten in den Fluss gefallen war und daraufhin mit einer schweren Grippe an das Bett gefesselt war. Etwas musste nicht in Ordnung sein. Und er hatte da auch schon so einen Verdacht. Doch war es an Lenja nun das Wort zu ergreifen und sich selbst aus ihrer Situation zu befreien. Sie war bis jetzt zu stolz und zu stur gewesen sich von ihm oder Balin helfen zu lassen.
 

„Schieß los. Was können wir schon zur frühen Stunde für dich tun, Kleine?“, fragte Dwalin Lenja und sah ihr tief in ihre müden grünen Augen, welche von einem rötlichen Schimmer umgeben waren.
 

„Es geht nicht mehr Onkel Dwalin. Vater... er verlangt so viel von mir...er ist nie da und wenn er dann daheim ist, kümmert er sich nicht um uns. Ich meine, er wollte doch unbedingt einen Sohn. Aber er kümmert sich ja noch nicht mal um Ári. Um mich muss er sich doch nicht kümmern. Ich bin schließlich schon groß, aber Ári... es ist so anstrengend. Ich muss alles machen. Wirklich alles. Und Vater spricht kein Wort mit mir. Höchstens sagt er mir, was ich machen soll. Doch das wird auch immer weniger. Er lässt mich mit Ári im Stich. Wir bekommen ihn kaum zu Gesicht. Ich habe schon das Gefühl, wir wohnen mit einem Gespenst zusammen, das kommt und geht, wann es will. So kann es doch nicht mehr weitergehen, oder?“, sprach Lenja und sah ihren Onkel mit Tränen in den Augen an.
 

„Natürlich kann das nicht so weitergehen“, Balin war unbemerkt in den Raum getreten. Lenja drehte ihren Kopf hastig in seine Richtung. „Nur sollte dir auch eins bewusst sein, liebe Lenja. Damit wir dir helfen können, musst du dir auch helfen lassen. Es soll kein Vorwurf sein, doch denk nach, wie oft Dwalin und ich dich bereits mit Ári unterstützen wollten und du stur, wie du nun einmal bist, alles abgelehnt hast. Bitte denk in Zukunft daran, dass wir dir nichts Böses wollen, wenn wir dir helfen möchten. Du und auch Ári, ihr beide seid uns wichtiger als alles auf der Welt und keiner unterstellt dir Schwäche, wenn du verzweifelt bist, mein Kind.“
 

„Du hast ja Recht, Onkel Balin“, flüsterte Lenja mit gesenktem Haupt.
 

Dwalin nahm seine Nichte in die Arme und strich ihr zärtlich über den Rücken. „Hey, nicht den Kopf hängen lassen. Wir werden uns schon etwas einfallen lassen. Was meinst du Balin: Sollten wir uns unseren Schwager nachher mal schnappen und ihm ein bisschen ins Gewissen reden? Vielleicht ist ihm ja nicht klar, was er den beiden zumutet?“
 

„Das könnte sein. Nun ja, er hat ja auch seine Frau verloren. Aber wir sollten etwas gegen seinen Tunnelblick tun, nicht wahr? Mach dir mal keine Gedanken, Lenja. Wir kümmern uns darum und sprechen heute noch mit deinem Vater“, erwiderte Balin.
 

Lenja schniefte kurz und nickte vorsichtig. Sie hoffte so sehr, dass ihre Onkel Recht behalten würden und sich nach dem Gespräch alles endlich wieder normalisieren würde. Nur ein Quäntchen Unbehagen blieb. Lenja kannte ihren Vater. Er war genauso stur und engstirnig wie sie. Und das war nicht immer die beste Voraussetzung für Ratschläge.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Manu19
2016-03-31T15:15:52+00:00 31.03.2016 17:15
Huhu,
was muss ich da lesen? Lenjas Vater kümmert sich nicht um seine Kinder? Ist der Verrückt geworden, er kann doch unmöglich verlangen das ein 10 Jahre altes Mädchen alles im Haushalt machen kann.
Nun gut Lenja ist wie ich gelesen hab auch sehr stur und nimmt ungern Hilfe an, aber jetzt scheint sie an einem Punkt angelangt zu sein wo es nicht mehr weiter geht. Ich hoffe mal dass es gut gehen wird.

LG Manu19
Antwort von:  LenjaKa
03.04.2016 11:13
Hey,
ja, Lenja ist stur und will manchmal mit dem Kopf durch die Wand... bis die sich Hilfe holt, kann schon einiges daneben gehen. Leider. Ihr Vater suhlt sich so ziemlich in seinem Elend anstatt auf seine Kinder Acht zu geben. Das die beiden seine Hilfe bräuchten, bekommt der gar nicht mehr mit. Was da schief gegangen ist? Leider einiges...

VG LenjaKa


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