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Ein ungewöhnlicher Mitbewohner

von
Koautor:  Caracola

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3. Kapitel

Als er zum ersten Mal nach der Arbeit in sein neues Zuhause kam, kribbelte es regelrecht in seinem Bauch. Nicht nur, dass diese Nacht einfach der totale Hammer für ihn gewesen war, wie eigentlich fast jede Nacht, nein, Adrian hatte sich auch schon die ganze Zeit auf diese Wohnung gefreut.

Als er hinter sich die Haustür schloss, sperrte er wieder ab und ging dann ohne Umschweife ins Badezimmer. Zwar hatte er schon im Club geduscht, um den Großteil des Glitters wieder abzubekommen, aber die hier brauchte er jetzt dringend, um sich zu entspannen und von seinem Trip runterzukommen.

Adrian musste bei dem Gedanken schmunzeln, während er sich entkleidete. Wenn man ihn so denken hörte, konnte man meinen, er wäre jede Nacht auf Drogen. Aber das was er konsumierte, war absolut legal. Tanzen brachte ihn in Euphorie, machte ihn unglaublich glücklich und belebte ihn auf eine Weise, wie es sonst nichts auf der Welt konnte. Genau aus diesem Grund hatte er diesen Job, nicht weil er das Geld brauchte, auch wenn es sich gut anfühlte, sich darum keine Sorgen machen zu müssen, nein, er brauchte diesen Kick. Es hätte ihm auch schon gereicht, ein paar Abende in irgendeiner Disco abzuhängen, um sich die Seele aus dem Leib zu tanzen. Aber wenn er für etwas, das ihm so großen Spaß machte, auch noch Geld bekommen konnte, wäre er dumm gewesen, das nicht anzunehmen.

Jetzt allerdings unter der Dusche, war er einfach nur froh, dem Lärm entkommen zu sein und in sein frischbezogenes Bett fallen zu können. Was er auch schon kurze Zeit später tat.
 

***
 

Emily erwachte erst vom leisen Piepsen ihres Weckers. Er leuchtete in bunten Farben, bis sie einmal darauf klopfte und sich dann aufsetzte.

Es war relativ dunkel im Zimmer. Als sie die Gardinen ein Stück aufzog, konnte sie auch sehen warum. Es schüttete wie aus Kübeln und der Himmel war dunkelgrau.

Emily sprang nur kurz unter die Dusche und zog sich dann die Sachen vom letzten Abend über. Dann ging sie in die Küche und setzte Kaffee auf. Da er erst so spät nach Hause gekommen war, nahm Emily nicht an, dass Adrian bald am Frühstückstisch auftauchen würde, aber trotzdem machte sie eine ganze Kanne Kaffee und ging nach unten, um die Zeitung zu holen.

Eine Weile saß sie am Küchentisch und las die neuesten Nachrichten. Da die Schlagzeilen aber im positivsten Sinne deprimierend genannt werden konnte, ließ sie es bald wieder bleiben und setzte sich in den alten Sessel im Wohnzimmer vor den Fernseher.

Sie stellte ihn sehr leise, um Adrian nicht aufzuwecken. Außerdem sah sie sich sowieso mehr im Zimmer um, als auf den Bildschirm. Ihr war noch nicht ganz klar, wie sie den Raum am liebsten gestaltet hätte. Natürlich ein großes Sofa, auf dem man gemütlich sitzen und Fernsehen konnte. Außerdem einen Tisch und ein Regal für Fernseher und Stereoanlage. Ein Bücherregal? Es war schwer zu sagen, was sie alles hinein stellen sollten. Immerhin hatte jeder die meisten seiner Sachen in seinem Zimmer.

Sie würde einfach mit Adrian darüber reden, wenn er wach war. Auf jeden Fall wollte sie ein buntes Lichtspiel für das große Fenster. Und dabei würde sie sich nicht reinreden lassen.

Sie schmunzelte in ihre Kaffeetasse, als sie daran dachte.
 

Adrian wachte vom Geruch frischen Kaffees auf.

Wenn es um Geräusche ging, schlief er wie ein Stein, selbst wenn jemand neben ihm staubsaugte. Immerhin musste er einen so festen Schlaf haben, wenn er am Tage das nachholen wollte, was er in der Nacht versäumte, aber bestimmte Gerüche nahm er dafür umso deutlicher wahr. Also rieb er sich kurz die Augen und setzte sich dann auf. Es war noch relativ früh am Morgen, er hatte nur wenige Stunden geschlafen. Aber der Gedanke daran, heute einen freien Tag zu haben, da er für heute Abend frei bekommen hatte, machte ihn mit einem Schlag putzmunter.

Sein Chef verlangte dafür, dass er am Montag da war, weil sie da wieder einmal Ladysnight hatten und es sich keiner der männlichen Tänzer leisten konnte zu fehlen. Immerhin bedeutete das meist einen fetten Bonus.

Also stand er schließlich auf, zog sich eine schwarze Seidenshort an – er liebte luftdurchlässige Stoffe – und kam dann ins Wohnzimmer geschlendert, während er seine Frisur zu bändigen versuchte, die in alle Richtungen abstand.

„Guten Morgen.“, begrüßte er seine frischgebackene Mitbewohnerin und schnupperte dann noch deutlicher. Er hatte sich also nicht geirrt, was den Geruch anging. „Hey, darf ich mir auch einen Kaffee nehmen?“ Das wäre jetzt genau das Richtige, um in die Gänge zu kommen. Schön, wenn er mal wieder einen Tag so früh angehen konnte.
 

Emily erschrak fast, als Adrian in der Wohnzimmertür auftauchte. Sein Zimmer lag direkt daneben. Trotzdem wunderte sie sich, dass sie ihn nicht gehört hatte.

„Guten Morgen. Klar, ich hab mehr gemacht.“ Sie sah kurz an ihm herunter. Er schien auf jeden Fall kein Problem damit zu haben, halbnackt herum zu laufen. „Milch ist im Kühlschrank.“, rief sie ihm noch hinterher, als er sich auf den Weg in die Küche machte.

Er konnte es sich auf jeden Fall leisten nur in Shorts herum zu laufen. Daran bestand kein Zweifel. Aber Schwule achteten ja angeblich meistens auf ihren Körper. Wahrscheinlich sollte sie sich etwas von seinen Essgewohnheiten abschauen. Emily war zwar keinesfalls übergewichtig, aber sie machte sich nur selten die Mühe, etwas Gesundes für sich selbst zu kochen. Stattdessen aß sie einfach weniger. Vielleicht konnte sie Adrian fragen, ob sie eine Art Kochplan erstellen sollten. Ihr wäre es lieber gewesen für zwei Leute zu kochen. Das machte ihr mehr Spaß. Aber sie würde erstmal abwarten. Immerhin hatte sie einen völlig anderen Tagesablauf. Vielleicht würden sie sich gar nicht oft zu Gesicht bekommen.

Im nächsten Moment klingelte es an der Tür. So früh am Morgen vermutete Emily bloß den Postboten.

„Hast du was bestellt?“, fragte sie mit einem Blick in die Küche, als sie zur Tür unterwegs war.

Als sie durch den Spion sah, war sie mehr als überrascht.

„Julie?“ Sie hatte kaum die Tür geöffnet, als ihre Freundin in der Wohnung stand. Und nicht allein. Sie hatte eine riesige Orchidee in den Händen, die sich Emily entgegen streckte und sofort anfing zu sprechen.

„Hey! Sorry, dass ich schon so früh vorbei schneie. Luke hat mich mit einem Wochenendtrip überrascht und ich wollte vorher noch hier vorbei, um dir die Pflanze zu geben.“

Außerdem wollte sie sich ihren Mitbewohner ansehen. Das musste Julie aber nicht sagen, denn es war Emily ohnehin klar.

Julie knuffte Emily in die Schulter. „Keine Sorge, bin gleich wieder weg. Luke wartet im Auto.“ Trotzdem zwinkerte sie Emily zu und sah sich neugierig in der Wohnung um. Anscheinend hatte sie Adrian in der Küche gehört, denn sie steuerte geradewegs darauf zu.

Emily konnte nicht anders als hinterher zu laufen. Beinahe wäre sie gegen Julie geprallt, die im Türrahmen stehen geblieben war.

„Hi!“

„Adrian, das ist eine Freundin von mir. Julie.“

Julie schüttelte Adrians Hand und hatte irgendwie einen seltsamen Blick aufgesetzt. Im nächsten Moment erklärte sie warum.

„Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“
 

Lächelnd folgte er dem Kaffeegeruch bis zu seinem Ursprung. Zwar hätte er dabei auch bei Emilys Tasse landen können, aber er hatte schließlich doch den Weg in die Küche eingeschlagen. Gerade als er nach einer eigenen Tasse im Schrank griff, läutete es an der Tür.

Seltsam, so früh am Samstagmorgen? Das gleiche schien auch seiner Mitbewohnerin durch den Kopf zu gehen, denn sie fragte ihn, ob er was bestellt habe. Daraufhin konnte er nur den Kopf schütteln und sich frischen, heißen Kaffee einschenken.

Die Stimmen im Flur sagten ihm schon Mal, dass es sich nicht um den sexy Postboten handeln konnte. Er grinste. Vermutlich eine Freundin.

Adrian schenkte sich Milch und Zucker ein, ehe er sich in der Tasse rührend umdrehte und so früh am Morgen schon angestarrt wurde.

„Hi!“, lächelte er Emilys Besuch zu, streckte ihr die Hand entgegen, ehe er einmal von seinem Kaffee nippte. Genau richtig.

Obwohl er sich unter diesem seltsamen Blick von „Julie“ unwohl fühlte, zeigte er es nicht, sondern lehnte sich stattdessen lässig gegen die Küchenanrichte.

Wäre doch gelacht, wenn eine Frau ihn so früh am Morgen schon aus der Fassung brachte.

Was bei ihren nächsten Worten beinahe auch passiert wäre. Immerhin meinte sie in diesem seltsamen Tonfall, er würde ihr bekannt vor kommen. Tja, das konnten so einige Ladys in dieser Stadt behaupten. Aber kaum eine war dabei, die ihn einmal in „Zivil“ gesehen hatte.

Also nippte er noch einmal seelenruhig an seinem Kaffee und meinte dann leichthin: „Ich wohne schon seit Jahren in dieser Stadt, fahre fast täglich mit der Bahn, kaufe nur hier in der Gegend ein. Schon möglich, dass wir uns schon einmal über den Weg gelaufen sind.“ Auch wenn sie ihm absolut nicht bekannt vorkam.

„Möchten Sie auch einen Kaffee?“, bot er ihr schließlich an.
 

„Nein, nein, sicher nicht beim Einkaufen oder so was…“ Julie starrte Adrian derartig an, dass es Emily fast peinlich war. Sie winkte wegen des Kaffees ab und grübelte weiter.

Julie sah verdammt gut aus. Klein, zierlich, blond, mit dunklen Augen. Sie schleppte auch immer wieder neue Freunde an, die sie dann nach ein paar Tagen oder Wochen entsorgte. Dann kam sie meistens zu Emily und heulte sich aus, bis der nächste vor der Tür stand.

Man konnte es bildlich sehen, als in Julies Hirn die Glühbirne anging. Sie grinste breit und sah dann Emily an.

„Ja, genau. Mensch, in normalem Licht hätte ich dich fast nicht erkannt.“ Ihr Grinsen wurde noch breiter und sie sah einmal an Adrian hinauf und hinunter. Am liebsten hätte Emily sie aus der Küche geschoben.

„Nein, kein BWLer, da hast du Recht. Mann, hättest du halt was gesagt.“ Emily verstand kein Wort von dem, was Julie von sich gab. Dementsprechend sah wohl auch ihr Gesichtsausdruck aus.

„Ach, komm schon. Du hättest mir sagen können, dass du deswegen gestern nicht mitgekommen bist. Wäre schon ein bisschen seltsam gewesen, oder?“

Von der Straße her war nachdrückliches Hupen zu hören. Luke schien nicht gerade geduldig zu sein. In dieser Straße um diese Uhrzeit am Samstag so ein Theater zu machen, war ziemlich dreist. Warum klingelte er nicht einfach?

„Oh, hört sich so an, als müsste ich los.“

Mit einer kurzen Verabschiedung und einem überbreiten Grinsen für Adrian flitzte Julie in den Flur und zur Tür hinaus. Bevor sie die Treppen hinunter rannte umarmte sie Emily noch und flüsterte ihr mit einem Zwinkern zu. „Am Montag kommst du dann aber mit. Er ist echt gut!“
 

Er lächelte immer noch, obwohl seine Augen kalt wie Eiskristalle wurden, als seine Tarnung offensichtlich aufgeflogen war. Zum Glück schien Emily nicht zu verstehen, was ihre Freundin meinte, aber er kapierte durchaus. Was ihn verdammt sauer machte. Das war sein erster Tag in dieser Wohnung. Sein erster Tag überhaupt mit einer Mitbewohnerin und eigentlich hatte der Tag auch hervorragend angefangen, aber nein, diese Frau musste ihm mit ihren Worten so derartig in die Eier treten, dass er beinahe die wenigen Schlückchen Kaffe wieder hervor gewürgt hätte.

Obwohl er solche Blicke gewöhnt war, fühlte er sich unter der Musterung von Julie vollkommen entblößt. Als hätte er noch nicht einmal seine eigene Haut an, was ebenfalls nicht zur Förderung seiner guten Laune beitrug.

Du hast den Mietvertrag unterschrieben. Sie kann dich nicht gleich wieder rausschmeißen.

Er redete sich in Gedanken gut zu, dabei die Panik unterdrückend, die ihn vermutlich erst recht verraten hätte. Doch anstatt nun zu hyperventilieren oder sich mit Daumen und Zeigefinger den Ansatz seines Nasenrückens zu massieren, lächelte er noch charmanter Emilys Freundin zu, die dank des ungeduldigen Hupens endlich einen Abgang machte. Er mochte sie schon jetzt kein Bisschen.
 

Immer noch verwirrt, schloss Emily die Tür hinter ihrer Freundin. Die Pflanze hatte sie immer noch in der Hand, als sie wieder in die Küche kam.

„Kannst du mich erleuchten? Ich hab keine Ahnung, was sie meint. Woher kennt ihr euch denn?“

Emily war schon immer ein neugieriger Mensch gewesen, aber weniger aufdringlich als Julie es war.

Sie stellte die Orchidee in die Spüle und wässerte sie, schnitt die Plastikfolie ab und stellte sie anschließend auf die Fensterbank neben den kleinen Kasten mit frischen Gewürzen.
 

Als er schließlich mit seiner Mitbewohnerin wieder alleine in der Küche stand, fiel es ihm schwer, die ruhige und gelassene Fassade aufrecht zu erhalten. Es wäre aber unfair Emily gegenüber gewesen, seine schlechte Laune jetzt an ihr auszulassen. Immerhin konnte sie absolut nichts dafür und trotz allem freute er sich ja immer noch auf ihren Ausflug am Nachmittag.

Also trank er mit großen Zügen seinen Kaffee leer und machte sich mit den Worten: „Ich kenne sie nicht.“, auf den Weg in sein Zimmer, um sich die Sportsachen überzuziehen. Keine fünf Minuten später hatte er sich seinen Schlüssel geschnappt und verließ die Wohnung, nachdem er Emily mitgeteilt hatte, er würde eine Runde Joggen gehen.

Oh, er würde mehr als das. Normalerweise ging er am Wochenende nicht zum Training. Aber heute war ihm einmal verdammt danach, seine Muskelpartien lechzen zu hören.
 

Emily hatte ihm verwundert hinterher gesehen, aber nichts weiter dazu gesagt. Vielleicht hatte Julie sich auch geirrt. Immerhin gehörte sie nicht zu den hellsten Birnen im Laden.

Was sie gesagt hatte, ließ vermuten, dass sie meinte, Adrian würde in diesem Club arbeiten. Im Shadow. Würde zumindest seine Nachtschichten und den Job im ‚Entertainment’-Business erklären.

Die nächste Tasse Kaffee lang versuchte Emily zu entscheiden, ob sie das stören würde, wenn es der Wahrheit entsprach.

Ja, der Job gefiel ihr nicht. Exotischer Tänzer. Aber das bedeutete ja nicht, dass er ein schlechter Mensch war, Drogen nahm oder Ähnliches. Das hoffte sie zumindest. Und gestern Nacht war er nicht mit einem anderen Kerl nach Hause gekommen, um lauten Sex im Flur zu haben. Also würde Emily wieder erstmal abwarten. Vielleicht irrte sich Julie ohnehin.
 

***
 

Als Adrian von seinem Training nach Hause kam, war er wieder bester Laune. Krafttraining war für ihn schon immer ein absoluter Entspannungsfaktor gewesen, auch wenn man das körperlich nicht unbedingt behaupten konnte. Aber zumindest ließ es ihn geistig ruhig werden, während seine Muskelpartien brannten und um ihr Leben schwitzten.

Er duschte sich noch ausgiebig und zog sich dann eine unauffällige Jeans an – er liebte diese Hosen einfach – dazu das schwarze Shirt von gestern und darüber noch eine Karamellfarbene Lederjacke.

Pünktlich wie immer stand er bei Fuß, als ihr Ausflug los gehen konnte.
 

Um kurz vor eins zog sich Emily für ihren kleinen Ausflug um. Adrian war vor kurzem nach Hause gekommen. Er war völlig durchnässt gewesen, denn draußen regnete es immer noch. Naja, das hatte sicher zumindest den Vorteil, dass das Möbelhaus nicht total überfüllt sein würde. Sie würden sich also in aller Seelenruhe umsehen können.

„Fertig?“, fragte sie unnötiger Weise, denn pünktlich um ein Uhr stand Adrian im Flur und wartete offensichtlich darauf, dass sie losfuhren.

Der Wagen stand nur einen Block weiter, den sie im Sprint hinter sich brachten. Der Regen prasselte auf das Dach des Minis mit der Englischen Flagge nieder und Emily machte die Heizung und die Lüftung an, da die Scheiben sofort beschlugen.

Während der Fahrt versuchte Emily Adrians Geschmack ein wenig auszukundschaften.

„Hast du dir schon Gedanken gemacht? Was würdest du außer einer Couch und Fernsehmöbeln fürs Wohnzimmer besorgen?“

Sie hätte auch über den Vorfall heute Morgen sprechen können, aber dazu hatte offensichtlich Adrian wie auch sie keine Lust. An Julie gewöhnte man sich entweder oder man ließ es bleiben. Sie war nur irgendwie an Emily hängen geblieben. Sie wussten beide nicht recht warum.
 

Da es draußen noch immer regnete, mussten sie sich beeilen, zu ihrem Wagen zu kommen. Umso angenehmer war es, als schließlich die Wärme der Heizung den Wageninnenraum erfüllten und er gedankenverloren aus dem Fenster starren konnte. Das machte er auch immer in der Bahn, im Bus, im Zug, eigentlich überall, wo er darauf wartete von einem Ziel zum anderen zu kommen. Da er dabei für gewöhnlich alleine war, schreckte er leicht zusammen, als Emily das Wort an ihn richtige.

Er hatte sich zwar noch nicht so richtig Gedanken über das Wohnzimmer gemacht, da er sowas meistens erst entschied, wenn er eine Auswahl an Möbel vor sich hatte, dennoch sollte er ihr eine Antwort geben.

„Wie wäre es mit ein paar Regalen, wo wir Grünpflanzen hin stellen könnten. Das macht den Raum gleich viel lebendiger. Was hältst du eigentlich von Barhockern für die Küchentheke?“

Im Grunde war es ihm relativ egal, wie der gemeinsame Wohnbereich aussah. Wenn sie nur das nahmen, was Emily gefiel, würde es ihm sicher auch gefallen, denn ihr Zimmer hatte sehr gemütlich auf ihn gewirkt.

„Hast du eigentlich etwas gegen Fische?“, fragte er plötzlich aus einer geistigen Eingebung heraus. Er wollte schon immer ein Aquarium in einem seiner Regale im Wohnzimmer stehen haben. Seit er von Zuhause weg war, vermisste er immer wieder den beruhigenden Anblick seiner teuren Zierfische, die er als Kind besessen hatte.
 

Das mit den Barhockern war eine gute Idee. Genauso wie die mit den Grünpflanzen. Allerdings musste Emily ihm etwas gestehen. „Ich bin nicht sonderlich gut mit Pflanzen, muss ich zugeben. Ich strafe sie meistens mit Ignoranz und das funktioniert, solange ich nicht völlig vergesse, sie zu gießen.“

Also würde auch das mit den Fischen zu seinem Bereich gehören. Sie wollte keine Verantwortung für die Tiere übernehmen. Aber wenn Adrian sich damit auskannte hatte sie sicher nichts dagegen. Das sagte sie ihm auch.

Nach einer kurzen Fahrt durch den dichten Verkehr kamen sie auf den großen Parkplatz des Möbelhauses an. Es war, wie erwartet, wenig los. Die wenigen Leute, die dort umerhgingen, waren meistens Pärchen. Der einzige Grund, warum Emily sich in Möbelhäuser manchmal unbehaglich fühlte. All dieses Glück machte sie eifersüchtig und unglücklich. Zumindest war sie heute nicht ganz allein hier. Auch wenn ihre Begleitung nicht ihr Freund, sondern ihr schwuler Mitbewohner war, der vielleicht in einem Stripclub sein Geld verdiente.

Sie schnappten sich eine große Tasche und folgten den Pfeilen auf dem Boden in die Wohnzimmerabteilung.

Die ersten paar Ausstellungsstücke trafen überhaupt nicht Emilys Geschmack. Sie waren schwer und dunkel, wie in einem alten Adelshaus, in dem man Leichen im Keller fand. Bei den dunklen Metallleuchten an der Decke schauderte Emily fast.

Auf der Couch, die ihr auf den ersten Blick gefiel, saß gerade ein hübsches Mädchen von ungefähr 18 Jahren und redete begeistert auf ihren Begleiter ein. Der zog sie nach einer halben Minute hoch und drückte ihr einen Kuss auf, als wären überhaupt keine Menschen im Umkreis von zehn Kilometern.

Emily sah zu Boden, als sie ein schmerzhaftes Ziehen in der Herzgegend verspürte. Sie ignorierte es und ging zu einem Regal hinüber, das ihr zwar nicht gefiel, aber zumindest von der Szene ablenkte. Außerdem stand ein grüner Bilderrahmen darauf, von dem sie die Nummer auf einen kleinen Zettel in ihrer Tasche schrieb, um ihn später bei den Kleinteilen mitzunehmen.

Emily hasste es sich schlecht zu fühlen, wenn andere Menschen frisch verliebt waren und das in der Öffentlichkeit zeigten. Sie wollte nicht eifersüchtig sein. Und trotzdem konnte sie nichts dagegen tun.
 

Die ersten Gegenstände in der Möbelabteilung erinnerten ihn an sein Elternhaus. Nein, danke. Er ging weiter und sah sich interessiert bei den Sofas um.

Natürlich fiel ihm auch das Pärchen auf, dass hier öffentlich knutschte, im Geiste meinte er auch zu ihnen, sie sollten sich vielleicht zu den Betten verziehen, aber im Grunde kümmerten sie ihn wenig, also konzentrierte er sich wieder auf die Möbel.

Ein rotes Sofa mit großen Polstern lachte ihm munter zu und er ließ sich kurzerhand einfach darauf fallen, um es auszuprobieren. Dabei konnte er schon beinahe seine Hüftknochen knirschen hören. Sofort kam er wieder auf die Beine und schenkte dem harten Möbelteil einen Blick, als hätte es ihn persönlich beleidigt, ehe er sich beschwingt einem anderen Modell zuwandte.

Lindgrün, nicht unbedingt seine Lieblingsfarbe, aber es war ein sehr schöner Farbton und vor allem sah es nicht nur weich und kuschelig aus, es fühlte sich auch so an. Vielleicht etwas zu weich. Wenn man darin zu lange saß, könnte man Gefahr laufen, davon gefressen zu werden. Also schnell zum nächsten.

Adrian wurde es nicht müde, sich immer wieder auf verschiedene Ausführungen von diesem beliebten Mobiliar zu setzen, obwohl er dabei Emily fast vergaß. Allerdings sah er immer mal wieder hoch, um zu sehen, ob sie schon weiter gegangen war, damit er sie nicht aus den Augen verlor.

Schließlich blieb er auf einem fliederfarbenen Teil sitzen, dass sowohl nett zu seinem Hintern war, aber auch etwas für den Rücken bot. Und bei intensiverer Überprüfung stellte er fest, dass es auch eine hervorragende Federung hatte. Nicht dass er das einmal ausprobieren würde, aber wenn schon testen, dann richtig.
 

Emily sah Adrian eine Weile beim Testen der Sofas zu. Er schien das ziemlich ernst zu nehmen und ließ sich fast auf jedes der ausgestellten Modelle fallen, um dann von den meisten mit einem unzufriedenen Gesichtsausdruck wieder aufzustehen. Am Ende schien er aber doch mit einem ziemlich großen, fliederfarbenen Sofa zufrieden zu sein. Zumindest blieb er dort länger sitzen und hoppelte ein wenig darauf herum. Emily wollte gar nicht so genau wissen, was er da genau testete. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

„Gefällt es dir? Es ist ziemlich groß.“ Das war die Wahrheit. Aber es würde auf jeden Fall trotzdem in ihr Wohnzimmer passen. Und gemütlich sah es auch aus. Ohne dabei den Eindruck zu machen, den Betrachter erschlagen zu wollen. Die Farbe machte viel aus und würde mit den dunklen Holzdielen sicher gut zusammen passen.

Sie ließ sich auf einer Ecke des Sofas nieder. Ein wenig von Adrian entfernt.

Er war anscheinend ein Tester, auf den man sich verlassen konnte. Es fühlte sich weder zu hart, noch zu weich an. Außerdem waren die großen Kissen durchaus Emilys Fall. Auf das Monstrum von Couch konnten sie sich bestimmt einigen, aber zuerst wollte Emily die restlichen Möbel zusammen suchen. Sie sollten ziemlich unauffällig sein, um den Raum mit dem Sofa nicht völlig zu verstopfen.

Sie gingen weiter zu den Regalen, wo sie sich relativ schnell auf weiße, halbhohe Modelle einigten, die man ebenfalls mit ein paar Schubladen kombinieren konnte. Emily packte ein paar bunte Kugeln und einen großen Holzteller in ihre Tasche. „Couchtisch?“ Es war eine allgemeine Frage. Wollten sie überhaupt einen haben? Wenn ja, was für einen? Emily hatte sich schon ziemlich auf das große Fliedersofa eingeschossen, aber dazu würde wahrscheinlich sehr wenig passen.

„Vielleicht etwas mit Glas?“ Allerdings würden sie dann ständig die Platte abwischen müssen.
 

Gerade vollkommen im Testrausch vertieft, zuckte er zusammen, als er schließlich Emilys Stimme hörte. Sofort musste er lächeln. Er hatte sich verliebt. Das Teil war einfach genial. Sogar groß genug, um seine langen Beine zu beherbergen, wenn er einmal alleine auf der Couch herum lenzte.

Er wollte es haben, war aber durchaus ihrer Meinung, sich erst einmal noch andere Möbelstücke anzusehen, ehe sie sich endgültig entschieden.

Die Regale waren hell und freundlich. Aber auch praktisch und solide. Adrian war sofort mit ihnen einverstanden. Das mit dem Couchtisch würde allerdings kniffelig werden. Dass sie einen brauchten, stand für ihn nicht einmal zur Debatte. So oft wie er alles mögliche dort ablegte, während er sich in der Nähe befand, wäre es geradezu ein Sakrileg, keines zu besitzen.

„Also mir würde der da drüben sehr gut gefallen.“, meinte er, ehe er sich auch schon auf den Weg zu besagtem Teil begab. „Das Milchglas zeigt nicht gleich alle Flecken und das fein geschwungene Untergestellt aus lackiertem Edelstahl, sieht weder zu modern, noch zu pompös aus. Außerdem hat er noch eine praktische Ablage darunter. Für Fernsehzeitschriften oder so.“

Er war auch nicht zu groß oder zu klein, sonder würde sich geradezu schlicht in alles integrieren. Allerdings war Adrian sehr darauf erpicht auch Emilys Meinung zu dem Tisch zu hören. Immerhin musste er ihnen ja beide gefallen.
 

Emily sah sich den Tisch genau an. Das Metallgestell gefiel ihr nicht vom Fleck weg. „So wie du das beschreibst, könnte man meinen, du arbeitest hier.“, sagte sie lachend. Der Tisch gefiel ihm wohl ziemlich gut.

„Um ehrlich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen, dass er besonders gut zu den Regalen passt. Aber vielleicht können wir irgendetwas besorgen, das auch ein wenig Metall hat und dem Tisch ein wenig ähnelt. Dann passt es zusammen.“

Sie überlegte kurz.

„Vielleicht ein Pflanzenregal oder sowas?“ Es würde gut neben die Regale und neben das große Fenster passen, ohne den Raum völlig zu verstopfen. Die Idee gefiel ihr. War bloß die Frage, ob und wo sie so etwas her bekamen.
 

Sie beschlossen, mit der Entscheidung bezüglich des Tisches noch etwas zu warten, und sich erst einmal weiter in dem Möbelhaus umzusehen. Außerdem musste hier irgendwo das hauseigene Restaurant sein. Adrian hatte einen Bärenhunger und heute noch nichts gegessen. Als er es erblickte, berührte er Emily kurz am Arm, um darauf aufmerksam zu machen.

„Hättest du Lust, mit mir etwas zu essen? Ich lade dich ein.“ Er lächelte sie mit dem Enthusiasmus eines Hungernden an, der es kaum noch warten konnte, das Buffet zu stürmen.
 

„Klar, gerne.“, beantwortete sie seine Frage. Sie hatte auch ziemlichen Hunger. Außerdem gehörte es zu einem Besuch im Möbelhaus fast dazu, dass man im Restaurant einen Zwischenstopp einlegte.

Emily stellte sich mit dem roten Plastiktablett bei den Theken an und überflog erst einmal das Angebot. Es gab natürlich Salate und Sandwiches. Aber nachdem es schon Nachmittag war und sie noch nicht viel gegessen hatte, war ihr mehr nach etwas Warmem.

Sie entschied sich schließlich für Fisch auf Reis und einen kleinen Beilagensalat. Das war nicht allzu teuer und die Portion war wirklich riesig. Sie würde auf jeden Fall satt werden. Dazu nahm sie sich noch einen Apfelsaft und wartete auf Adrian, der sich wohl noch nicht zu einer Entscheidung durchgerungen hatte. Emily stand an der Kasse und warf ihm ein Lächeln zu. Bis jetzt machte er wirklich einen netten Eindruck. Wenn das so weiter ging, würden sie sicher längere Zeit miteinander auskommen.

Als er schließlich zahlte konnte sie einen Blick auf seinen Ausweis werfen und war überrascht.

„Du bist ja jünger als ich.“, stellte sie überrascht fest, als sie dabei waren, sich einen freien Tisch zu suchen.
 

Die Auswahl am Buffet war einfach zu groß, als dass er sich gleich hätte entscheiden können. Was ihm seine Wahl wirklich schwer machte. Doch schließlich, als Emily schon zu Ende gewählt hatte und er noch immer ein leeres Tablett vor sich her trug, entschloss er sich für den Lachssalat mit der herrlichen Yoghurt-Dill-Soße. Es war eine riesige Portion, also würde er sicher einiges daran zu tun haben. Dazu nahm er sich schließlich auch noch ein Stück Himbeerkuchen und einen Orangensaft pur.

Bei der Kassa zahlte er schnell, ehe er auf ein paar freie Tische direkt neben einer großen Fensterfront zusteuerte. Ihre Feststellung über sein Alter überraschte ihn etwas. Er hatte sich bisher noch gar keine Gedanken darüber gemacht, da er so etwas auch für unwichtig hielt.

Dennoch interessierte es ihn nun brennend, wie alt sie selbst war. Sie sah nicht wirklich merklich älter als er selbst aus.

„Schade, dass ich keinen Blick in deinen Ausweis werden darf. Dann wären wir im Moment gleich schlau.“ Er lächelte sie an und zog die durchsichtige Folie von seiner Schüssel.

„Stört es dich denn, dass ich jünger bin?“ Um wie viel auch immer?

Er nahm einen großen Schluck von seinem Saft, immerhin hatte das intensive Sofatesten ihn doch ganz schön durstig gemacht.

„Außerdem, wie heißt es doch so schön: Jüngere Männer tun Frauen gut. Selbst wenn wir nur zusammen wohnen.“ Er zwinkerte ihr lächelnd zu, und schob sich ein Stück Lachs in den Mund, woraufhin er einen Moment lang genießend das Gesicht verzog. Das war einfach göttlich!
 

„Nein, es stört mich nicht. Es sind auch nur zwei Jahre.“ Aber irgendwie hatte sie nicht erwartet, dass er jünger war als sie selbst. Mit dem nächsten Kommentar hätte er sie beinahe verunsichert. Das hätte sich beinahe nach einer Anmache angehört, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er schwul war. Trotzdem sah sie ihn etwas skeptisch über ihren Tellerrand hinweg an, als er ihr zuzwinkerte.

Ihr Fisch war ziemlich gut. Nicht zu trocken und die Sauce mit dem Reis war auch lecker, aber einfach viel zu viel für sie.

Sie aßen eine Weile schweigend vor sich hin, aber dann gewann ihre Neugier die Oberhand.

„Sag mal, das ist vielleicht eine sehr persönliche Frage so ins Blaue… Aber hast du eigentlich einen Freund?“ Sie wollte nur wissen, ob sie wohl demnächst ein knutschendes Pärchen in ihrer Küche vorfinden würde. Ein männliches Pärchen.

„Ich hab nichts dagegen, wenn er vorbei kommt und über Nacht bleibt oder so.“

Natürlich hatte sie nichts dagegen. Immerhin wohnten sie nur zusammen und sie hatte ihm nicht in sein Privatleben hineinzureden. Aber sie wollte, dass er sich keine Gedanken darüber machte, dass er seinen Freund nicht mitbringen konnte. Immerhin gab es in ihrem Leben auch jemanden, der vielleicht…

Sie lächelte und sah ihn an, während sie auf ihre Antwort wartete. Dabei sah sie neidisch auf sein Kuchenstück. Sie hätte sich auch etwas Süßes zum Dessert nehmen sollen. Aber eigentlich hatte sie nichts angelacht. Vielleicht würde sie sich nachher ein paar Kekse mitnehmen, die es am Ende der Runde ebenfalls zu kaufen gab. Im Moment trank sie ein wenig von ihrem Apfelsaft, der ihr Verlangen nach etwas Süßem zumindest für kurze Zeit stillte.
 

Sie war also achtundzwanzig. Ein gutes Alter. Fand er. Überhaupt war Mittezwanzig ein sehr gutes Alter. Man war weder zu jung, noch zu alt. Einfach in der Blüte seiner Jahre. Und er genoss diese Zeit mehr, als man sich vielleicht bei ihm vorstellen konnte.

Auf ihre Frage hin runzelte er kurz verwirrt die Stirn. Natürlich hatte er einen Freund. Sogar mehrere. Sein bester Kumpel Tyson würde sicher auch bald bei ihm anfragen, wann er denn die neue Bude betrachten dürfe. Als Emily allerdings dann auch noch hinzufügte, dass sein Freund auch ruhig über Nacht bleiben könne, begriff er erst.

Scheiße, er hätte sich fast verraten, hätte er zu schnell darauf geantwortet. Am Ende hätte sie ihn für einen Typen gehalten, der mehrgleisig fuhr.

„Ich bin seit einiger Zeit solo.“, antwortete er schließlich ruhig. Dann musste er sie nicht gleich noch mehr belügen. Die Lüge mit dem Schwulsein reichte ihm schon. Er war eigentlich ein ehrlicher Mensch.

„Und du? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte? Nicht, dass ich aus Versehen einmal einen Kerl verprügel, weil der sich mitten in der Nacht an unserem Kühlschrank bedient. Eine kleine Vorwarnung, wäre also nett.“

Er lächelte immer noch. Ihm war es überhaupt nicht peinlich über solche Sachen zu sprechen.

„Hast du heute Abend eigentlich schon was vor? Oder hättest du Lust, dich mit mir vor die Glotze zu hängen? Ich hätte mal wieder richtig Lust auf einen DVD-Abend und da ich heute frei hab, würde ich dieses Defizit gerne einmal nachholen. Vielleicht sogar schon auf unserer neuen Couch?“

Noch ehe Emily auf irgendeine der Fragen antworten konnte, machte es aus seiner Hose ein Geräusch, als würde ein Blitz einschlagen und dann ging auch schon der Song ‚We will rock you‘ von Queens los. Mit entschuldigender Geste griff er nach seinem Handy und hob ab.

„Ja?“ Er hatte die Nummer vorher geprüft. Unbekannt. Also konnte es keiner sein, den er kannte. Am anderen Ende der Leitung war ohnehin eine Frau.

Mit konzentrierter Miene stocherte er mit der Gabel in seinem Salat herum, während er aufmerksam zuhörte, hier und da zustimmte und dann für Dienstag Abend einen Termin um Acht Uhr im MoonDance-Restaurant ausmachte. Eines der absoluten Luxusrestaurants bei denen die Speisekarten grundsätzlich in einer anderen Sprache geschrieben waren.

Schließlich verabschiedete er sich noch höflich lächelnd und legte wieder auf. Er stopfte das Handy in seine Hosentasche zurück und richtete seine volle Aufmerksamkeit wieder auf Emily. So als wären sie gerade nicht gestört worden.

„Was wolltest du gerade antworten?“
 

Emily hatte gerade den Mund geöffnet, um ihm zu antworten, als sein Handy losging. Sie wäre beinahe zusammen gezuckt, aber heutzutage war man es ja wirklich gewohnt, dass die interessantesten Melodien plötzlich von irgendwoher erschallten, um dann mit einer Antwort auf den Anruf abgebrochen zu werden.

Angestrengt versuchte sie dem Gespräch nicht zu lauschen, sondern stocherte in den Überresten ihres Mittagessens herum. Sie nahm noch eine winzige Portion Fisch auf die Gabel und steckte sie sich in den Mund. Wenn Essen vor ihr stand konnte sie meistens nichts übrig lassen. Vor allem, wenn es so lecker war. Dabei war sie schon lange voll. Man traute ihr gar nicht zu, dass sie derartige Mengen verdrücken konnte, aber das tat sie auch nicht oft.

Lächelnd ließ sie die Gabel wieder sinken, als Adrian sie ansprach.

„Also zu dem Kerl, der vielleicht unseren Kühlschrank ausräumt… Ja, da ist jemand, der vielleicht mal über Nacht bleibt, aber das kommt äußerst selten vor.“

Das war noch untertrieben. Die Beziehung, die eigentlich gar keine war, lief nach seinem Zeitplan. Das hieß, dass Emily sprang, wenn Zach pfiff. Deshalb kam er auch fast nie bei ihr vorbei, sondern sie fuhr zu ihm. Sie wusste, dass es Blödsinn war, aber sie war schwach und ließ sich immer wieder von ihm einwickeln.

„Und wegen des DVD-Abends. Klar, ich bin dabei.“ Die Vorstellung heute schon gemütlich auf ihrem neuen Sofa zu sitzen und sich einen Stapel DVDs anzusehen war genau das, was sie wollte. „Ich mag gemütliche Abende. Stell dir vor, ich haben sogar Popcorn zu Hause.“

Bei dem Gedanken ein eingerichtetes Wohnzimmer zu bekommen, wurde sie ganz aufgeregt und strahlte ihn an. „Dann iss noch deinen Kuchen und wir bestellen unsere Couch.“ Bei dem ‚unsere’ musste sie lachen. Das hörte sich verdammt gut an.

„Allerdings müssen wir uns auf Filme einigen. Hast du DVDs? Bei mir sieht’s da leider schlecht aus, aber ich bin Mitglied in einer Videothek. Wir könnten auch auf dem Rückweg was holen.“
 

Gut, also falls einmal ein Kerl wirklich in der Nacht den Kühlschrank plünderte, würde er zuerst Fragen stellen, bevor er ihn auf die Matte warf. Das Adrian nämlich dazu in der Lage war, wussten die Wenigsten. Aber er hatte schon sehr früh, gezwungenermaßen Selbstverteidigung gelernt. Allerdings hatte er zu diesem Mittel schon sehr lange nicht mehr greifen müssen und dafür war er dankbar.

Da er im Moment keinen rechten Appetit mehr auf den Himbeerkuchen hatte, immerhin aß er auch seinen Salat nicht zu Ende auf, packte er sich ihn in Folie ein und nahm in kurzerhand einfach mit. Zusammen mit dem Popcorn heute Abend, würde sich sicher noch Platz dafür finden.

Also standen sie beide auf, um ihr neues Baby zu bestellen und es liefern zu lassen. Er freute sich schon wahnsinnig auf den heutigen Abend. Lange her, dass er so etwas das letzte Mal gemacht hatte. Ansonsten war er meistens unterwegs.

Was ihn wieder auf die Filmfrage brachte. Natürlich hatte er viele verschiedene DVDs, bestimmt würde da auch etwas für sie dabei sein. Aber was sahen sich Homosexuelle an? Brokeback Mountain? Den Film hatte er zwar auch, aber nur weil es ihn interessiert hatte, wie sich die zwei Heteroschauspieler in diesem Film anstellten.

Er musste zugeben, sie haben ihre Sache sehr gut rübergebracht. Ein ernsthafter Film mit einem harten Ende. Aber sicherlich keiner seiner Lieblinge.

„Du könntest dir ja mal meine DVD-Sammlung ansehen. Steht im Regal direkt neben meinem Bett.“ Damit sie aber auch gleich eine ungefähre Vorstellung davon hatte, was alles so im Angebot stand, begann er ihr gleich ein paar Filme aufzuzählen. „Terminator 1-3, Blade 1-3, Der Sternwanderer, V wie Vendetta, Leon - Der Profi, Girls Next Door, Brokeback Mountain…“ Das musste er jetzt einfach noch anfügen. „Pretty Woman“ Den hatte er von seiner Exfreundin, zusammen mit: „Findet Nemo.“ Pech, wenn sie ihren Plunder bei ihm hatte liegen lassen. "Love Vegas, Das fünfte Element, Die Mumie, Sin City..." Wenn sie noch mehr hören wollte, würde sie sich wirklich seine Sammlung ansehen müssen. Das waren längst noch nicht alle.
 

Wieder hob sie ihre Augenbraue. Das hörte sich nach einer großen DVD-Sammlung an. Wenn auch nicht nach einer Sammlung, die sie bei einem Schwulen erwartet hatte. Wahrscheinlich verschwieg er ihr ein paar seiner DVDs. Sofort dachte sie an Pornos, die er unter dem Bett versteckte, ließ den Gedanken dann aber fallen. Das ging sie überhaupt nichts an.

Außerdem war einer ihrer absoluten Lieblingsfilme in seiner Sammlung, den sie schon ewig nicht mehr gesehen hatte. „Du hast den ersten Terminator? Cool, den würde ich gern mal wieder sehen.“

Begeistert schlenderten sie zusammen zum nächsten Kundenberater und bestellten ihre Couch und die Regale. Die Couch war noch am selben Tag lieferbar. Die Regale leider nicht, dafür konnten sie aber den Couchtisch gleich mit dem Auto mitnehmen.

Emily kaufte noch ein paar Kerzen, den grünen Bilderrahmen und zwei Postkartensets, die sie an ihr Regal in ihr Zimmer hängen wollte. Sie zeigten Paisley-Muster und die andere Sammlung fünf verschiedene Gummienten in knalligen Farben. Emily hatte vor sie im Bad aufzuhängen, aber da würde Adrian sicher ein Wörtchen mitzureden haben.

Außerdem warfen sie mehr oder weniger planlos Dinge für die Küche in ihre große Plastiktüte. Dabei waren ein Korkenzieher, ein Messerblock und ein paar Schneidebretter. Dinge die man eben so brauchte und andere Kleinigkeiten. In der Abteilung mit den kleinen Einzeldingen kam Emily sowieso immer in den totalen Kaufrausch.

Bei den Tassen stoppte sie sich selbst nur unter großem Kraftaufwand. Sie mochte unterschiedlich geformte und gemusterte Tassen. Früher hatte sie einmal Teedosen gesammelt, von denen sie aber nur noch wenige benutzte. Irgendwann gab man wohl die meisten Sammelleidenschaften auf. Am Ende teilten sie die Rechnung und Emily zahlte ihre paar Kleinigkeiten extra.
 

Auch Adrian packte sich noch so Einiges ein, während sie durch das Möbelhaus schmökerten. Darunter wären: ein Wäschekorb, neue Kleiderbügel, ein Bonsaibäumchen und - worauf er am aller meisten stolz war, weil es sicherlich seiner Tarnung sehr diente - auch noch ein großes Poster in schwarzweiß mit einem nackten Mann darauf, der sich auf einem weißen Schaffell räkelte und dieser die Beine so gekonnt platziert hatte, dass man seiner Fantasie freien Lauf lassen musste, wenn man sich seinen Intimbereich vorstellen wollte. Aber oft war weniger mehr. Das kannte er nur zu gut und gerade wenn der Geist nur inspiriert wurde, anstatt auf nackte Tatsachen hingewiesen zu werden, war das Erlebnis umso eindrucksvoller. Außerdem gefiel Adrian der Schwarzweißstil des Bildes. Er hätte es sich zwar niemals gekauft, wenn Emily nicht dabei gewesen wäre, aber irgendwie machte es auch Spaß, einmal etwas so Merkwürdiges zu tun, wie das Bild eines nackten Mannes zu kaufen.



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