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Life with Hunter

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Life with Hunter


 

»Für weitere Evakuierungen bleibt nicht mehr viel Zeit.«

 

»Das Wichtigste ist, sich irgendwo weit weg von den Stränden aufzuhalten. Höhere Ebenen, so weit im Landinneren wie möglich.«

 

»Der Strom ist bereits in vielen Orten ausgefallen. Wir erwarten, dass das Gleiche auch in den restlichen über die Nacht hinweg geschehen wird.«

 

 
 

--

 

 

Die Stimme des Bürgermeisters schnarrt beständig, bis sie von einem statischen Rauschen gänzlich unterbrochen wird.

 

Emma Hamilton schaltet das batteriebetriebene Radio aus, das unter dem Tresen des Salt Waters sitzt. Anschließend sieht sie den Wellen zu, die sich aufbäumen, als wollten sie einen bei lebendigen Leibe fressen. Regen peitscht ihr ins Gesicht, als der Wind ihn in die überdachte Bar fegt. Er reißt an den Palmen und trägt das Heulen der Sirenen mit sich.

Zeitgleich kriecht das Meerwasser immer weiter den Sand hinauf. Als Emma das letzte Mal hingeschaut hat, war es noch weit von dem vordersten Liegestuhl entfernt gewesen. Nun zerrt und zieht das Wasser an ihm.

 

Schwarze Wolken türmen sich am Himmel auf. Sie ziehen Richtung Festland. Das weiß Emma nicht nur, weil ihr das der Meteorologe vor einigen Minuten über das Radio noch einmal bestätigt hat, sondern weil sie es ganz deutlich sehen kann.

Sie sind die Vorboten des Hurrikan Janet.
 

Ein Beben fährt durch Emmas Körper und sie zieht die Regenjacke enger. Im selben Moment wird sie an der Schulter gepackt und herumgedreht.

Geweitete Augen, in denen Panik lauert, starren sie an. „Das ist Selbstmord, Emma!“, ruft Oliver über das Rauschen des tobenden Meeres aus.

 

Die Angesprochene blinzelt ihn an, als wäre sie sich seiner Anwesenheit nicht bewusst gewesen. Danach wandert ihr Blick zu Eunice herüber, die hinter dem braungebrannten Mann mit dem durchnässten Hawaiihemd steht.

 

„Das weißt du genauso gut wie ich!“, fährt Oliver fort, als Emma nicht reagiert. Seine dunkelblonden Haare hängen ihm strähnig ins Gesicht. Er schüttelt Emma, lässt jedoch abrupt von ihr ab, als er es bemerkt. Fast so, als hätte er sich verbrannt. „Ich hab’ keine Lust wegen einer beknackten Bar draufzugehen.“

 

Im Hintergrund nickt Eunice. Der Wind zieht an ihren kurzen Dreadlocks. Die Schwarze trägt denselben gehetzten Ausdruck auf dem Gesicht wie Oliver. Es entstellt ihre geschmeidigen Züge.

„Er hat recht, Emma...“, sagt sie. „Die Bar ist es nicht wert. Hunter versteht das nur nicht.“

Emma liest es von ihren Lippen ab, weil ihre Stimme sie nicht erreicht. Zudem kann sie sehen, dass jegliche Gelassenheit aus ihrer schmalen Statur gewichen ist. Fortgewaschen wie das kleine Ruderboot, das in der Nähe angebunden war und von dem nun keine Spur mehr ist.

 

Emma löst sich aus ihrer Starre, nur um sich auf die Unterlippe zu beißen. „Ich weiß.“

 

Doch als ihr Blick zu Hunter Labrada zurückkehrt, der noch immer zwischen seiner Bar und den tosenden Wellen steht, als möchte er sagen „Bis hier hin und nicht weiter!“, ist sie sich nicht mehr so sicher.

Warum verstehen Oliver und Eunice sein Zögern nicht?

 

Gerade sie sollten es, denkt Emma. Gerade sie.

 

 
 

--

 

 

Die Sonne brennt vom knallblauen Himmel herunter. Nur die frischen Briesen, die Nyle Beach von dem Golf von Mexiko erhält, machen die Hitze erträglich. Trotzdem ist Emma schon vor einer gefühlten Ewigkeit ihr T-Shirt losgeworden und sitzt nur noch in einem gelben Bikini-Oberteil im Sand. Ihre braunen Haare sind in einem einfachen Zopf zusammengefasst, aus dem sich bereits einige Strähnen gelöst haben.

 

Dem Trubel um sich herum schenkt sie keine Beachtung. Nicht den Frauen, die sich schnatternd auf den Liegestühlen zwischen der kleinen Strandbar und ihr räkeln, und auch nicht den herumtollenden Kindern oder den Schwimmern.

 

Nein. Ihr Blick ist unentwegt auf das blaue Nass gerichtet, das unter der Sonne glitzert. Sie kann sich von diesem Anblick nicht losreißen. Es ist das erste Mal, dass sie vor ihm sitzt. Es ist zu groß, um es in Worte zu fassen, um es zu beschreiben. Emma zieht nur die Knie an ihren Körper und stützt ihre Arme auf ihnen ab.

 

„Hey du.“

 

Doch es braucht den Besitzer dieser Stimme, der sich einen Augenblick später in ihr Sichtfeld schiebt, um Emmas Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Blinzelnd schaut sie zu dem jungen Mann hoch. Seine dunkelbraunen Haare reichen bis zu seinem Kinn herunter und auf seinem Kopf ruht ein Strohhut, der schon bessere Zeiten gesehen hat.

 

„Du siehst verloren aus“, sagt er, als er sich ohne Aufforderung neben Emma in den Sand fallen lässt. Den roten Cocktail, den er in der Hand trägt, präsentiert er ihr mitsamt eines Lächelns, das von einem Ohr zum anderen reicht.

 

Emma hebt eine Augenbraue, bleibt jedoch bewegungslos sitzen. „Ach, was du nicht sagst...“

 

Doch ihre Antwort wirkt scheinbar nicht so ablehnend, wie sie es sich erhofft hat. Der Cocktail baumelt weiterhin vor ihr in der Luft und sein Lächeln scheint die Temperaturen noch etwas steigen zu lassen.

 

 „Ich sage es nicht nur, ich meine es. Glaub mir. Ich erkenne jemanden, der sich in seinen Gedanken verheddert hat.“

 

Sofort holt Emma Luft, obwohl es letztendlich kein Ton über ihre Lippen schafft. Wenn sie es abstreitet, wird sich seine Meinung diesbezüglich ohnehin festigen. Allerdings vermittelt er ihr den Eindruck, dass es dabei vollkommen egal war, was sie sagte oder eben nicht sagte.

 

„Der geht übrigens aufs Haus“, fährt der Sunnyboy vor ihr unbeirrt fort. Seine Augen lenken sich dabei über ihre Schulter hinweg zu der kleinen Strandbar herüber.

 

Emmas Blick folgt ihnen.

 

Der kleine Schuppen sieht nicht wirklich aus wie ein Lokal, das es sich leisten kann, freie Getränke auszugeben. Blaue Farbe blättert von schiefen Holzbalken, während das Schild mit dem Namen Salt Water längst ausgebleicht ist. Auf Emma wirkt es wie ein zusammengeschustertes Häuschen, das nur von den verrosteten Nägeln aufrechterhalten wird.

 

„Gibst du allen einen aus, die deiner Meinung nach verloren aussehen?“, fragt Emma, als sie sich wieder dem jungen Mann mit dem viel zu breiten Grinsen zuwendet und ihm den Drink abnimmt.

 

Dieser lacht auf. Frei und irgendwie unbefangen. Eine Antwort bleibt er ihr jedoch schuldig.

 

 
 

--

 

 

„Geht ihr schon mal vor“, presst Emma zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, um sie davon abzuhalten immerzu aufeinander zu schlagen. Die sommerliche Wärme ist von einer Frische abgelöst worden, die ihr Gänsehaut bereitet.

 

Oliver sieht sie entgeistert an. Seine Hände schnellen in die Höhe, als möchte er sie erneut bei den Schultern packen. Fast so, als möchte er sie erneut schütteln.  „Was soll das heißen? Das ist Wahnsinn, Emma! Hörst du? Wahnsinn!“

 

Doch Emmas Blick hängt auch weiterhin an Hunter Labradas Rücken.

 

Er sieht aus, als habe ihm jemand einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Der Wind zerrt an seiner Khaki-Shorts und dem Hemd, das ihm um die Schultern hängt. Den Strohhut hat er unlängst fliegen lassen. Der ist ersetzbar, erhältlich in fast jedem Laden in Nyle Beach. Nur nicht die offene Bar, in der sich Emma, Oliver und Eunice aufhalten. Deren Holzbalken ächzen und biegen sich unter den Wettereinflüssen.

 

Nur mit Mühe und Not löst Emma den Blick von ihrem Chef. „Vertrau mir, Oliver!“, brüllt sie nun, da der Wind ihnen laut um die Ohren saust. Die Sirenen schreien sich im Hintergrund noch immer die Seelen aus dem Leib. „Hunter und ich kommen nach!“

 

Sie weiß, dass es Wahnsinn ist. Alle anderen haben längst die Flucht ergriffen, sie sind alleine hier. Alleine, mit den tosenden Wellen, die am Strand mehr und mehr unter Wasser setzen, um alles, was sich ihnen in den Weg stellt, zu verschlingen.

 

Gerade mal ein halber Meter trennt das Wasser noch von Hunters Sandalen.

 

„Wir kommen nach!“, wiederholt Emma. Lauter, energischer diesmal. „Versprochen!“

 

Olivers dunkle Augen bohren sich in sie hinein, ehe er den Kopf schüttelt und sich abrupt abwendet. Er stapft zu Eunice herüber, ergreift ihre Hand und zerrt sie hinter sich her.

Kurz sieht Emma ihnen nach, solange, bis sie die überdachte Bar verlassen haben und über den Sand zu Olivers Truck rennen. Das Geräusch des Motors aber wird von dem Wind verschluckt.

 

Emmas Mustang steht daneben und für eine Sekunde spürt sie Sehnsucht in sich aufsteigen. Wie gern würde sie jetzt in ihren Wagen setzen und fahren. So lange, bis sie die sturmgrauen Wolken nicht mehr im Rückspiegel sehen kann.

 

Doch ein Blick in Hunters Richtung erstickt diese Gefühle und Gedanken im Keim. Stattdessen löst sie sich aus ihrer Haltung. Sie kämpft gegen den Wind an, als sie einen Fuß vor den anderen setzt und auf den aufgebrachten Ozean zutritt, dem Hunter denkt strotzen zu können.

 

 
 

--

 

 

Das Salt Water sieht nicht nach viel aus. Emmas Meinung ändert sich auch nicht, als sie sich der kleinen Strandbar ein zweites Mal annährt. Sie ist barfuss und der Sand fühlt sich wie Glut unter ihren Fußsohlen an, weshalb sie nicht lange an einem Ort stehen bleiben kann.

 

Diesmal hat sie sich eine Sonnenbrille mitgebracht. So schwarz wie sie ist, kann sie  beobachten, ohne sich beobachtet zu fühlen. Allerdings gehört ihr Blick ohnehin nur dem Besitzer des Salt Water.

 

Auch heute trägt er den lächerlichen Strohhut, als er an dem Tresen einige Cocktails mixt. Dasselbe fröhliche Lächeln wie den Tag davor ziert sein Gesicht, das von dunkelbraunen Haaren umrahmt ist.

 

Bis auf ein, zwei Hocker sind alle anderen vor dem Tresen frei. Die meisten aalen sich lieber auf Decken im Sand oder auf den parat gestellten Liegestühlen, von denen ebenfalls die Farbe abblättert.

 

Kurz überlegt Emma, ob sie dort Platz nehmen soll. Im Grunde weiß sie ohnehin nicht, warum sie hierher zurückgekommen ist. Sie mag keine Stalker. Auch sie selbst hat diese Veranlagungen nicht. Trotzdem bleibt diese Frage genauso unbeantwortet wie die, was sie überhaupt nach Nyle Beach gebracht hat.

Vielleicht hat sie einfach einen Ortswechsel gebraucht. Womöglich ist es auch ihre beendete Karriere als Profischwimmerin gewesen. Seitdem fühlt es sich an, als sei ein Teil von ihr verloren gegangen. Dabei hat sie diese Entscheidung aus freien Stücken getroffen. Wozu soll sie mit jemanden konkurrieren, wenn sie von vornherein weiß, dass sie keine Chance hat? Wenn dieses Wissen all ihren Spaß in Verzweiflung verwandelt?

 

Ein bisschen ironisch findet es Emma ohnehin. Schwimmen ist ihre Leidenschaft, doch einen Fuß ins Meer hat sie noch nie gesetzt. Es ist zu groß, zu weit und man selbst wirkt viel zu nichtig in ihm.

 

„Ich wusste, dass du zurückkommst.“

 

Emmas Blick wandert zu dem Barbesitzer herüber, der sie angrinst. Sie bringt ein schmales Lächeln zustande, das mehr ein Schauspiel als alles andere ist. „Es gibt hier nicht allzu viel zu erleben“, erwidert sie und zuckt mit den Schultern. Dennoch schlendert sie zum Tresen herüber und lässt sich auf dem Barhocker ihm gegenüber nieder.

 

„Was soll’s sein? Dasselbe wie gestern?“

Emma nickt. Zeitgleich stützt sie das Kinn auf die Handfläche und lässt den Blick über die andere Barkeeperin wandern.

Die Schwarze trägt einen violetten Bikini und schlendert mit einem Tablett an den Liegestühlen vorbei, um Getränke zu verteilen. Blicke folgen ihren schwingenden Hüften und ihrem kecken Grinsen.

 

„Also, was treibt dich zum Salt Water?“, wird sie gefragt, als der Cocktail vor ihr abgestellt wird.

 

„Warum heißt die Bar so?“

 

Ihr Gegenüber aber deutet lediglich mit dem Finger auf eine schwarze Kreidetafel, die Emma daraufhin überfliegt.

 

„The cure for anything is salt water: sweat, tears or the sea”, steht dort geschrieben, darunter das Menü, das von allerlei alkoholischen Getränken und von gegrilltem Fisch erzählt. Erst jetzt fällt ihr der steinerne Grill abseits der Bar auf, um den sich ein Mann in einem Hawaiihemd kümmert.

 

„Nicht sonderlich originell, huh?“, fragt Hunter und schiebt sich den Strohhut aus der Stirn.

Emma schmunzelt ohne es wirklich zu wollen. „Nicht wirklich.“

 

 
 

--

 

 

Seine Hand ist glitschig und kalt, als Emma nach ihr greift. Trotzdem hält sie an ihr fest, als hänge ihr Leben davon ab.

 

„Ich...“, stößt Hunter aus, als er ihr einen Seitenblick zuwirft. Er schüttelt den Kopf, sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzogen. Das Beben, das durch seinen Körper fährt, lässt seine Finger zittern. Es geht auch durch Emma hindurch wie ein Blitz, der aus den dunklen Wolken vor ihnen fährt.

 

„Ich...“ Hunter setzt erneut an und drückt ihre Hand. „Ich kann’s einfach nicht, Emma!“

 

Eine Welle schwappt über den Strand hinweg. Emma kann das Wasser durch ihre Turnschuhe weichen spüren. Es lässt ihr einen Schauer über den Rücken fahren, dabei ist sie bereits nass bis auf die Knochen. Die Regenjacke hängt an ihrem Leib wie ein Kartoffelsack, als möchte er sie herunterziehen, sie zum Aufgeben verlocken.

Vielleicht sollte ich hier bleiben, flüstert zudem ein Stimmchen. Mit Hunter. Dann würde sie erfahren, wie es sich anfühlt, im Ozean zu schwimmen. Sie würde das Salz nicht nur schmecken, sie würde es trinken. Daran ersticken.

 

Emma schüttelt sich und zieht an Hunters Arm, doch mehr als seine Aufmerksamkeit kriegt sie dafür nicht. „Es ist nur eine Bar!“, brüllt sie, doch ein fernes Donnern verschluckt ihre Lüge auf halbem Wege.

 

Ein Blick von Hunter genügt jedoch, um zu erkennen, dass er sie verstanden hat. Von seinem Lächeln ist nichts mehr übrig. Seine Augen sind hart, der Hurrikan wütet auch dort. „Du... hast doch keine Ahnung!“

Er zieht seine Hand aus ihrer, doch Emma hält an ihr fest wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring. Nur dass ein Rettungsring keinen von ihnen jetzt noch retten könnte.

 

„Geh doch einfach!“, setzt Hunter nach, lässt jedoch die Hand in Emmas sinken. Sein Blick geht wieder zum Meer hinaus, das ihnen zu Füßen liegt, nur um sich schon bald aufzubäumen und mit sich in die Tiefe zu reißen. „Ich brauche niemanden, der mein Händchen hält! Dich schon gar nicht, Emma!“ Und er startet einen neuen Versuch, sich ihrer zu entziehen.

Emma muss mit beiden Händen zupacken, um Hunter davon abzuhalten zwischen ihren Fingern hindurchzuschlüpfen.

 

Hunter gibt erneut auf. Entgültig. Emma kann es fühlen und sehen. Der Kampfgeist verlässt ihn, Muskeln lockern sich, Schultern sacken.

 

Einen Moment starrt Emma ihn von der Seite an, das tosende Meer und der beißende Wind vergessen. Ebenso die unterschwelligen Sirenen, die noch immer kreischen, um auch den Letzten vor Janet zu warnen.

 

Sie hat Hunter noch nie so gesehen, ist das einzige, an was Emma denken kann. Er hat Angst. Panische Angst. Der Grund dafür ist nicht der Hurrikan, es ist die kleine Strandbar, die bereits bei gutem Wetter aussieht, als würde sie jeden Augenblick in sich zusammenklappen wie ein Kartenhaus.

 

Das Salt Water ist sein Leben.

Dessen ist sich Emma schon immer bewusst gewesen, doch erst jetzt merkt sie, was es wirklich bedeutet.

 

Mit brennenden Augen dreht sie Hunter zu sich herum. Ihre nassen Finger lassen von seiner Hand ab, um sich an Hunters Wangen zu legen und ihn zu sich herüberzuziehen. Feuchte Lippen treffen sich zu einem tollpatschigen Kuss, den Hunter nicht erwidert.

 

„Wenn du jetzt gehst, wird es das Salt Water vielleicht nicht mehr geben“, ruft Emma gegen seine Lippen und versucht ihn trotz des peitschenden Regens in die Augen zu schauen, seinen Blick zu halten. „Aber wenn du bleibst, wird keiner mehr da sein, der es wieder aufbauen kann!“

 

Hunters Mund steht offen und Emma ist sich sicher, dass auch er das Meersalz auf seinen Lippen schmecken muss. Die Tropfen, die an seinen Schläfen und seinen Wangen herunterlaufen, sehen aus wie Tränen, als sein Blick zu seiner Bar wandert.

 

Er nickt. Zögerlich, widerwillig.

 

 
 

--

 

 

„Ich wette, du bist wegen eines Jobs hier. Liege ich richtig?“, richtet der Barbesitzer bei ihrem dritten Besuch das Wort an sie. Er stützt sich mit den Ellenbogen auf den splitternden Tresen des Salt Water ab und grinst sie an. Mit dem Strohhut und den zotteligen Haaren sieht er einmal mehr aus wie ein Bauerntrottel. Davon gibt es viele in Wyoming, in dem kleinen Kaff, in dem sie geboren ist. Es ist ein weiterer Grund gewesen, warum Emma ihre Sachen gepackt und gegangen ist. Sie hat sich in ihren Mustang gesetzt und ist gefahren, bis sich der Golf von Mexiko vor ihr aufgetan hat.

 

Wenigstens scheint ihr Gegenüber etwas mehr Grips als die Männer in ihrem Ort zu besitzen. Zumindest eine bessere Menschenkenntnis, wie es scheint.

 

Emma lächelt. „Passiert das so häufig?“

 

„Mindestens zweimal“, erwidert er und nickt in die Richtung des Mannes, der den Grill bedient und nebenbei an einem Cocktail schlürft. Auch heute trägt er wieder ein Hawaiihemd. „Oliver stammt aus New York. Elektriker oder so was. Er hatte das Stadtleben satt, glaube ich. Zu viel Hektik, zu viel Sinnlosigkeit – du weißt, wie das ist.“

 

Ein Schulternzucken folgt, ehe sein Blick weiterwandert und auf der schwarzen Barkeeperin zum Ruhen kommt. Sie hat eine Hand in die nackte Hüfte gestemmt, während die andere das Tablett hält und sie mit einigen Männern flirtet. „Und Eunice ist erst einige Wochen hier. Nach ihrer Scheidung wollte sie sich ein bisschen Urlaub gönnen. Was soll ich sagen? Sie ist nie wieder gegangen – aber ich habe gehört, so etwas geschieht tatsächlich öfter.“

 

Womöglich bildet es sich Emma ein, wahrscheinlich interpretiert sie zu viel in diese Worte hinein, doch... es klingt schon nach ein paar verlorenen Seelen, die sich zufällig hier zusammen gefunden haben. Es ist eine romantische Idee, die Emma droht den Magen umzudrehen.

 

„Und was hat es mit dir auf sich?“, fragt sie und dreht sich nun gänzlich auf dem Barhocker zu ihrem Gesprächspartner herum. „Hast du ein Herz für Streuner?“

 

Er schnaubt. „Hunter Labrada hier“, sagt er dann und tippt sich mit dem Daumen gegen die Brust seines offenstehenden Hemdes, „hat sein Medizinstudium geschmissen.“

 

„Medizinstudium?“ Emmas Augenbraue zuckt in die Höhe. „Das ist doch ein Witz, oder? Niemand schmeißt sein Medizinstudium, um eine Strandbar zu eröffnen. Vor allem eine, die wahrscheinlich nicht mal einen großen Profit macht.“

 

Kurz sieht Hunter sie überrascht an, doch dieser Ausdruck wird gleich darauf wieder von einem Lächeln verdrängt. Eines seiner typischen Lächeln, die von einem Ohr zum anderen reichen. „Warum denn nicht?“

 

Darauf hat Emma keine Antwort. Keine spontane, obwohl sie sicher ist, dass sie morgen, wenn sie zur Bar zurückkehrt, eine parat haben wird.

 

Nun lehnt sich Hunter verschwörerisch zu ihr herüber und sie hängt instinktiv an seinen Lippen. „Weißt du... ich habe festgestellt, dass man niemanden retten kann, wenn man nicht mal in der Lage ist, sich selbst zu retten.“

 

Es ist philosophisch. Das ist das Erste, was Emma durch den Kopf geht. Und ein bisschen schwachsinnig, wirft Emmas Verstand ein.

 

„Wahrscheinlich bist du durch dein Examen gefallen oder so was“, gibt sie schließlich zurück. „Anstatt das einfach zuzugeben, hast du diese noble Geschichte erfunden.“

 

„Vielleicht, vielleicht auch nicht.“ Da ist kein Zögern und keine Unsicherheit in seiner Stimme, gerade deshalb wird Emma nicht schlau aus ihm.

 

 „Du kannst übrigens sofort anfangen“, sagt er dann. „Platz für einen weiteren Streuner könnte ich noch aufbringen.“

 

Ihr verzogenes Gesicht quittiert Hunter mit einem Glucksen.

 

 
 

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Trotz Hunters Zustimmung ist der Weg zu ihrem Mustang eher ein Ziehen und Schleifen. Der Regen prasselt auf sie nieder, der Wind versucht sie zurück zum Strand zu reißen, doch Hunters Augen gehören nur seiner Strandbar.

 

Die Kreidetafel mit dem Zitat ist unlängst in den Sand gefallen. Als Emma einen Blick über ihre Schulter wirft, fällt ihr zudem auf, dass von dem Liegestuhl, den sie beobachtet hat, nichts mehr zu sehen ist. Es ist zu einem weiteren Opfer dieses Unwetters geworden. Zu einem Opfer von Janet.

 

Emma lässt nicht von Hunters Arm ab, auch nicht, als sie mit der Wagentür kämpft. Mit Mühe und Not kann sie die Tür einen Spalt öffnen und schiebt Hunter ins Innere.

 

„Mach schon! Mach schon!“ Es ist ein Mantra, das immer wieder ausgesagt wird. Wieder und wieder.

 

Hunter klettert von dem Fahrer- auf den Beifahrersitz. Emma ist ihm dicht auf den Fersen und zieht die Wagentür mit beiden Händen zu. Sogleich ist es windstill im Inneren, nur das Geräusch des Regens bleibt, als er auf das Autodach hagelt und Einlass fordert.

 

„Alles in Ordnung?“, fragt Emma an Hunter gewandt, als sie den Wagen anlässt. Er schnurrt wie ein rolliges Kätzchen – und zum ersten Mal an diesem Tag spürt Emma etwas Erleichterung über sich hereinbrechen.

 

Neben ihr wischt sich Hunter mit nasser Hand über das ebenso nasse Gesicht. „Ja... ja, lass uns fahren. Bitte.“ Er sieht nicht mehr zu dem Salt Water herüber, das im Seitenspiegel ihres Mustangs mit den schwarzen Wolken zurückbleibt. Es wird kleiner, bis es gänzlich im Spiegel verschwimmt. Emma beobachtet es, als sie versucht die Straße zu finden.

 

„Es ist ein Lebensstil, Hunter“, entrinnt es ihr, ehe ihr Gehirn es überhaupt realisiert. „Das, was die Bar so besonders gemacht ist, bist du. Immer schon gewesen.“ Die Worte fallen von ihren Lippen wie die Tropfen aus dem sturmgrauen Himmel.

 

Emmas Blick ist fest auf die verschwommene Straße gerichtet. Die Scheibenwischer quietschen und arbeiten auf Hochtouren, doch es ist Hunter Labradas Blick, auf den ihre Sinne konzentriert sind.

 

„Du hast Oliver und Eunice... und mir einen Sinn gegeben. Du hast uns aufgenommen und ohne große Fragen akzeptiert. Nicht das Salt Water.

 

Schweigen folgt, in dem eine Hand sich in Emmas Nacken legt und ein Daumen klammer Haut entlang streicht.

 

„Du rettest Leben, hörst du?“, flüstert Emma. „Nur eben auf deine ganz eigene Weise, Hunter.“

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Peacer
2014-02-27T20:53:11+00:00 27.02.2014 21:53
Waaaaah, so schön und so traurig und so wundervoll. <3
Gott, wie ich Hunter liebe. Und hell, ich shippe ihn total mit Emma, und dieser Oneshot hat mich total glücklich gemacht. Und traurig, weil die Bar. :(
Aber du hast es wie üblich geschafft, alle Emotionen, die ganze Atmosphäre perfekt herüber zu bringen, so, wie nur du es kannst. Du weißt schon, dass ich dich vergöttere, oder? xD
Gibt's auf deiner Festplatte noch mehr davon? Ich bin Hunter verfallen. xD
Von:  Trollfrau
2012-09-02T11:59:21+00:00 02.09.2012 13:59
So verdammt traurig und gefärlich und doch kommt die Stimmung so klar herüber, dass man sich dennoch hineindenken kann, wie es dort wohl wäre, wenn diese Gefahr nicht bestehen würde.
Diese Geschichte stimmt einen verdammt nachdenklich.
Ich bin wirklich froh, dass er sich hat doch erweichen lassen, mitzukommen.
Ich mag diese Geschichte
Von:  SinTheFox
2012-08-15T08:55:13+00:00 15.08.2012 10:55
Hallihallo, ^^

es ist eine sehr schöne, aber auch traurige Geschichte geworden.
Für Hunter tut es mir richtig leid, dass er seine Bar aufgeben muss, denn ich kann ihn sehr gut verstehen.
Ich hatte schon Angst, dass er einfach stehen bleibt und nicht damit gerechnet, dass Emma ihn doch noch überreden kann, mit ihm zu gehen.

Auch dein Schreibstil gefällt mir sehr gut, man kann schön flüssig lesen und sich alles bildlich vorstellen.

Ich hoffe, man liest sich mal wieder. ^^

LG
SinTheFox


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