Die Fee und das Biest
Nachdem die anderen Mitglieder von Fairy Tail den Krankenraum verlassen hatten, zog sich auch Porlyusica aus Elfmans Krankenzimmer zurück, um einige Zutaten für Medikamente zu besorgen, die ihr ausgegangen waren, sodass die Raijinshû und Elfman alleine in dem weiß gekachelten Raum waren.
Freed ergriff als Erster das Wort, aber er war ja auch der Captain, also nichts Ungewöhnliches.
„Bixlow, du wirst am besten eine Weile die Gänge patrouillieren, während ich den einzigen Eingang bewache. Evergreen, du wirst hier drinnen bei Elfman bleiben“, wies er seine Teamkameraden an. „Meine Runen sollten eigentlich den Rest abdecken können.“
Sie nickte verstehend, doch Bixlow wandte sich stattdessen mit seinem patentierten, breiten Grinsen und mit dazugehöriger herausgestreckten Zungen zu Evergreen um, die es mittlerweile doch endlich geschafft hatte, sich aus Elfmans Laken zu befreien, nachdem sie von Bixlow in dessen Bett geschubst worden war, und sich an eine der Wände neben einem freien Bett zu lehnen.
„Können wir euch beiden Hübschen denn auch alleine lassen und es bleiben auch noch alle Kleidungsstücke an den Stellen, für die sie vorgesehen sind?“
Elfman brachte nur einen ärgerlichen Laut von sich und Evergreen fühlte wie sich erneut die Wärme in ihren Wangen ausbreiten wollte, doch sie fackelte dieses Mal nicht lange und griff nach dem Kissen auf dem Bett neben ihr, um es nach Bixlow zu werfen. Leider wich er tänzelnd aus und das Kissen klatschte nur mit einem dumpfen ‚Floff‘ gegen die gegenüberliegende Wand.
„Vergiss nicht, er braucht seine Bandagen!“, trällerte Bixlow und verschwand summend in den Gang vor den Krankenzimmern hinaus, während Freeds Lippen verdächtigerweise ein Lächeln umspielte, das sie gar nicht gutheißen wollte. Ärgerlich wollte Evergreen schon nach ihrer Brille greifen und überlegte ernsthaft, ob sie diese vielleicht hinunterziehen sollte, als Freed genauso schnell aus dem Krankenzimmer verschwand wie Bixlow.
Sie schloss die Augen und versuchte sich zu beruhigen.
Nun war sie mit Elfman alleine in diesem unschön eingerichteten Raum.
Alleine.
Ohne andere Menschen.
Alleine.
Niemand sonst war hier.
Hatte sie schon ‚alleine‘ erwähnt?
„Du solltest schlafen, solange es geht“, sagte sie schließlich zu dem im Bett liegenden Elfman, ohne ihn anzusehen.
Sie war wütend darüber, dass Bixlow andauernd Anspielungen machte, genauso wie über die Tatsache, dass er und Freed sie alleine mit Elfman gelassen hatten. Von Bixlow hatte sie ja nichts anderes erwartet, aber von Freed?
Evergreen gab ein leises Schnauben von sich und ging langsam zu dem auf dem Boden liegenden Kissen, um es wieder einzusammeln, auch wenn es frevelhafterweise Bixlow nicht getroffen hatte.
Als sie sich umdrehte und den schlafenden Berg von einem Mann betrachtete, wollte ihr Unmut weiterhin nicht schwinden, auch wenn besagter Berg scheinbar wenigstens schlau genug gewesen war, ihrer Anweisung Folge zu leisten. Sie war sich schon länger der Tatsache bewusst, dass besagter Berg langsam aber stetig einen größeren Platz in ihrem Inneren einnahm als Laxus und sie war sich ziemlich sicher, dass es sie störte. Noch mehr seitdem Bixlow davon wusste.
Sie war eine zarte Fee und er verwandelte sich regelmäßig freiwillig in ein Biest. Mal mit mehr Haaren, mal mit weniger, aber immer noch ein Biest. Wie passte das bitte schön zusammen?
Evergreen mochte Feen und Elfman hatte nicht das Geringste mit Feen gemeinsam.
Nun ja, zugegeben, sein Name beinhaltete zumindest das Wort „Elf“. Aber das war auch wirklich alles! Ja, genau!
Ihr Bild von dem idealen Mann beinhaltete viele Dinge. Die meisten davon glänzten oder schimmerten zumindest.
Sein Bild von einem idealen Mann beinhaltete auch sehr viele Dinge. Aber die meisten davon hatten mit außerordentlich großer Männlichkeit zu tun, die Evergreen nicht unbedingt als schimmernd empfand, aber Elfman beharrlich anstrebte.
Sie legte das Kissen zurück und ließ sich mit einem weiteren leisen Schnaufen auf dem Stuhl neben Elfmans Bett nieder. Als auf sein schlafendes, verbundenes Gesicht blickte, brach eine regelrechte Triade in ihr aus.
Es störte sie, dass sie ihm erlaubt hatte, sie nur „Ever“ zu nennen.
Es störte sie, dass sie mochte, wie er ihren Namen sagte.
Es störte sie, dass sie mochte, wie er sie anlächelte.
Es störte sie, dass sie mochte, wie er sie ansah.
Und er war auch noch jünger als sie.
Auch wenn in ihr größter Tumult herrschte, rutschte sie näher an sein Bett heran und griff schließlich nach seiner Hand. Sie war warm und rau.
Und verbunden.
So wie fast sein gesamter Körper.
Selbst sein halbes Gesicht war verbunden und sie konnte nur ein geschlossenes Auge sehen.
Evergreen seufzte geschlagen.
„Aber am meisten stört es mich, wenn du so verletzt in der Gegend rumliegst“, murmelte sie leise. Und auch nur weil er schlief. Sie würde ihm so etwas niemals sagen, wenn er wach wäre.
Dennoch konnte sie in ihrer Besorgnis, welche sie ebenfalls niemals zugeben würde, nicht anders, als ihm mit ihrer freien Hand durch die Haare zu fahren. Unerwarteterweise waren sie weich. Nichts an Elfmans war weich.
Außer wie er ihren Namen sagte.
Oder sie anlächelte.
Oder sie ansah.
Oh, verdammt…
Evergreen seufzte erneut und erneut klang es geschlagen.
Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sie sich vorgebeugt hatte, doch nun hing sie bereits halb über ihm.
Sie hatte spontan so unsinnige Bedürfnisse, wie ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben.
Wenigstens schläft er… dachte sie, als ihr peinlicherweise klar wurde, dass sie unsinnige Bedürfnisse hegte und ihr Gesicht sich schon gefährlich nah an seinem befand.
Evergreen war sich ziemlich sicher, dass sie eben diesen unsinnigen Bedürfnissen nachgegangen wäre, wenn Elfman in diesem Moment nicht seine Augen aufgeschlagen hätte. Nun ja, oder zumindest das eine unverbundene Auge. Allerdings war dieses eine Auge äußerst wach und klar, als er sie, die sie da so halb über ihm hing, ansah.
„Ever, es gehört zu den Pflichten eines wahren Mannes, den ersten Schritt zu tun“, sagte er klar und deutlich und sein Blick blieb fest.
Evergreen war zu perplex, um sich zu rühren, und die Außentemperatur der Haut ihres Gesichtes erklomm bis dato nie gekannte Höhen. Sie war peinlich berührt darüber, dass er scheinbar gar nicht geschlafen und stattdessen alles mitbekommen hatte; was sie gesagt hatte und vor allem, dass sie gewissen unsinnigen Bedürfnissen hatte nachgehen wollen! Aber noch wesentlich verlegener machte sie die Tatsache, dass er gerade wirklich gesagt hatte, was er… gesagt hatte.
„Also… Moment… ich…“, begann sie zu protestieren, auch wenn ihre Gedanken leer gefegt waren und sie partout nicht wusste, wie sie protestieren wollte. Schließlich versuchte sie wenigstens, sich zurückzuziehen, auch wenn sie ihm nicht in die Augen sehen konnte, doch die Hand, die sie zuvor noch gehalten hatte, und der dazugehörige Arm schlangen sich um ihre Mitte und seine andere, freie Hand vergrub sich in ihren Haaren, als er sie zu sich hinunterzog und sie küsste.
In diesem Moment bemerkte Evergreen, dass an Elfman noch etwas anderes weich war. Seine Lippen.
Und sie merkte, dass es sie störte, dass sie mochte, wie er sie küsste.
... allerdings musste sie rasch zugeben, dass das gelogen war. Es störte sie nicht.
Scheinbar hatten einige Berge schimmernde Goldadern.
Aber all das änderte nichts daran, dass sie außerordentlich verlegen ihr Gesicht an seiner Schulter vergrub.
Elfman hatte sie geküsst.
So richtig.
Und wirklich.
Am liebsten hätte Evergreen einmal kräftig ihren Kopf geschüttelt, um ihre Gedanken richtig zu rücken, doch dann hätte sie wohlmöglich den Kopf heben müssen und hätte sie Gefahr laufen können, Elfmans Gesicht zu sehen. Aber sie konnte das ja auch nicht so einfach auf sich sitzen lassen, oder?
Sie gab ein Schnauben von sich und versuchte geflissentlich die Tatsache zu ignorieren, dass sie halb auf ihm lag.
„Aber ein wahrer Mann hätte so etwas aufrecht stehend gemacht und nicht während er wie eine Mumie in einem Bett liegt“, murmelte sie gegen seine Schulter und versuchte zumindest ein bisschen Konter zu geben. Aber auch Evergreen musste zugeben, dass ihr Konter schwach klang, was sie aber auf den Fakt schob, dass sein Arm um ihre Mitte immer noch sehr irritierend war.
„Auch ein wahrer Mann muss die Schritte nehmen, wie sie kommen“, sinnierte Elfman. „Vielleicht wird der zweite ja besser…“
Als ihr bewusst wurde, was er gesagt hatte, schoss ihr erneut die Wärme ins Gesicht und sie überhörte die Schritte auf dem Gang fast. Evergreen schoss nur einen Moment zu spät aufrecht in die Luft, als Bixlow die Tür des Krankenzimmers öffnete. Sie wusste, dass ihr Kopf hochrot sein musste, denn Bixlows Grinsen wurde noch breiter, wenn das überhaupt möglich war.
„Aha! Ihr wart also doch unartig!“, feixte er.
Sie wagte es einen verlegenen Blick mit Elfman zu wechseln, dessen Gesicht genauso verräterisch rot aussah, wie sich Evergreens anfühlte.
„Er wird uns das bis in alle Ewigkeit vorhalten, oder?“, fragte er leise aus dem Mundwinkel heraus.
Evergreen bestätigte seine Befürchtungen ebenso leise mit einem geseufzten „Wenn nicht sogar noch länger...“.
