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Hallo Jule, ich lebe noch.

von

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Kapitel 1 - Der Anfang allen Übels

Mit einem Lächeln auf den Lippen setzte ich mich neben meine Cousine Finja ins Auto – ein großer, schwarzer VW-Bus – und taste nach meinem Gurt. Finja ist im Gegensatz zu mir recht groß, schlank und hat dunkelblonde Haare. Seit wir klein waren verstehen wir uns prächtig, was vielleicht auch an dem geringen Altersunterschied und somit ähnlichen Interessen liegt.

„Habt ihr alles?“

Mein Onkel sah vom Fahrersitz aus zu uns rüber. Herbert heißt er und schien immer etwas karg zu sein, obgleich er immer nett zu mir war.

„Ja, ich schon“, sagte ich höflich und streiche eine Falte aus meiner Bluejeans.

„Dito“, stimmte mir Finja zu und schnallt sich an, während ihr Vater den Bus über die lange Ausfahrt fuhr und dann in Richtung Stadt abbog.

Ich war seit ein paar Monaten 12 und besuchte die sechste Klasse der Realschule in Wormscheidt. Bisher hatte ich nur eine Person in meiner Klasse, die dieselbe Lieblingsserie hat, wie ich. Mara hieß sie, ist übergewichtig und mag genauso wie ich sehr gerne DragonBall.

Während ich aus dem Fenster schaute und Schadenfreude darüber empfand, dass dort draußen einige Menschen ohne Schirm durch den dicken Regen stapften, drehte Finja ihren Kopf zu mir.

„Hast du den Film schon gesehen?“

„Ja, mit meinem Vater“, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß und sehe in ihr schmales Gesicht.

„Und, ist er gut?“

„Ja, schon. Aber ich verrate dir lieber nicht zu viel.“

Es ging um den fünften Teil von Harry Potter, ich hatte ihn bereits am letzten Abend unserer Fahrradtour geguckt, aber dennoch habe ich mich über die Kinoeinladung meiner Cousine und ihres Vaters sehr gefreut.

Ich konnte schon von weitem das große und bunt beleuchtete Cinemaxx-Kino entdecken und rutschte aufgeregt auf meinem Sitz umher. In Wormscheidt besitzen wir kein Kino und somit ist jeder Besuch eine Seltenheit und unendlich aufregend.

Als wir aus dem Bus ausstiegen, schlugen uns dicke Regentropfen entgegen. Es war warm, mitten in den Sommerferien, selbst der Regen schien nicht kalt. Ich spürte, wie die Tropfen in mein T-Shirt einzogen und tat es Finja gleich, die mit großen Schritten auf den Weg zur Glastür des Kinos war.

Drinnen war es die Luft stickig und warm, beinahe unangenehm. Von überall drang einem Stimmengewirr an die Ohren und bunte, übergroße Filmplakate thronten an den hohen Wänden. Aufgeregt schloss ich zu meiner Cousine und meinem Onkel auf, die sich gerade in die Schlange für die Kinotickets eingereiht hatten, auf.

Ich war komplett überwältigt, als ich nach langem Warten in den Schlangen für Tickets, Popcorn und Cola endlich den großen Kinosaal betrat. Der Boden war mit dunklem Teppich ausgekleidet, an den Wänden hingen röhrenartige Lampen zur spärlichen Beleuchtung des Saales und vorne begrenzten zwei schwere, dunkelrote Vorhänge die Leinwand. Es lief bereits die Werbung und wir setzten uns schnell auf unsere Plätze. Die Sitze waren so weich, dass man tief in sie hineinsank. Im ganzen Saal roch es nach Popcorn und Chips, sodass auch ich endlich meine Hand in meine Popcorntüte gleiten ließ.

Wir näherten uns gerade dem Ende des Films, als mein Bauch zu krampfen begann. Wie bei einem Magen-Darm-Infekt. Wie es mir immer geraten wurde, griff ich nach meiner Cola und nahm ein paar große Schlucke, aber auch nach Minuten wurde es nicht besser.

Mittlerweile war der Film vorbei, alle standen auf. Auch ich, mit noch immer schmerzendem Magen. Dementsprechend gedrückt fühlte ich mich auch, als wir drei zusammen den Kinosaal wieder verließen. Sagen, dass ich Bauschmerzen hatte, mochte ich nicht. Schließlich war es ja nichts Schlimmes!

Als wir wieder im Auto saßen, beschlich mich die Hoffnung, dass wir jetzt direkt zu meiner Cousine nach Hause fahren würden und ich endlich schlafen könnte – vielleicht wären die Schmerzen morgen wieder weg. Schließlich hatte ich vorgehabt, noch ein paar Tage bei Finja zu bleiben.

„Ich habe Hunger“, quengelte Finja genau in diesem Moment.

„Wir können noch zu BurgerKing fahren“, schlug Herbert in dem Moment vor und hielt vor einer roten Ampel.

Da ich nicht sagen mochte, dass ich mich eigentlich viel lieber ins Bett legen würde, gab ich nur ein zustimmendes Geräusch von mir und fand mich wenige Minuten später in der Warteschlange des Fast-Food-Riesen wieder.

„Luna, was möchtest du essen?“

Auf Herberts Frage hin wandte ich meinen Kopf von dem Halter für die gebrauchten Tabletts ab – ich hatte mich in der Aluminiumseite gespiegelt und festgestellt, dass ich überaus blass war – und schüttle meinen Kopf sachte.

„Ich habe keinen Hunger.“

„Sicher?“

„Ganz sicher“, versicherte ich ihm.

„Möchtest du dann etwas trinken?“

„Nein.“

Herbert seufzte und fragt nun seine Tochter, was sie essen möchte. Ich hörte dem Gespräch gar nicht mehr großartig zu und sah mich nach einem freien Tisch für uns um.

„Ich setze mich schon mal, ja?“

„Warte, ich komme mit!“, warf meine Cousine ein und begleitete mich zu einem großen Tisch am Fenster.

Der Regen hatte mittlerweile aufgehört, einzig die dicken Tropfen an der Scheibe bezeugten noch, dass es vor kurzem wie aus Eimern gegossen hatte.

Als Herbert mit dem Tablett zu uns an den Tisch kam, schlug mir der Geruch von Pommes und Burger nur noch mehr auf den Magen. Schweigend lehnte ich meine Stirn ans Fenster und wartete darauf, dass die Beiden endlich aufgegessen hatten.

Innerlich verfluchte ich mich, dass ich mir keine Cola bestellt habe. Die Bauchschmerzen wurden immer schlimmer und ich hätte schwören können, dass mein Kopf parallel dazu immer wärmer wurde.

„Dann lasst uns losfahren“, dang die Stimme meines Onkels zu mir und riss mich aus meinen Gedanken. Er stand bereits und hatte das Tablett mit dem Müll in der Hand und Finja – sie hatte die ganze Zeit neben mir gesessen – rutschte nun auch aus der Bank raus, sodass ich auch aufstehen konnte. Ich wankte kaum merkbar und schlurfte den Beiden wortlos bis zum Auto hinterher. Mittlerweile nieselte es wieder.
 

Ich lag auf der Matratze neben dem Bett meiner Cousine und wälzte mich umher. Mein Magen tat schrecklich weh, krampfte sich immer wieder zusammen. Ich zog die Knie an, in der Hoffnung, es würde besser werden.

Neben mir hörte ich das leise und gleichmäßige Atmen von Finja, sie war also bereits eingeschlafen. Müde schloss auch ich meine Augen, aber die Schmerzen ließen mich nicht zur Ruhe kommen. Ich war gerade am eindösen, als ich merkte, wie sich mein Mageninhalt in der Speiseröhre nach oben schob.

Panisch stand ich von meiner Matratze auf, hastete durch das dunkle und große Zimmer von Finja, verließ es ausgesprochen leise und riss die Tür zum Badezimmer auf. Geistesgegenwärtig drücke ich noch schnell den Lichtschalter und versetze der Tür einen leichten Stoß, dass sie sich bis auf einen kleinen Spalt fast schließt, ehe ich mich würgend über die Toilettenschüssel beuge.

Beißend und brennend verließ das Essen des heutigen Tages meinen Körper durch Mund und Nase. Ich musste mehrmals Würgen, bis mein Magen leer schien. Keuchend griff ich mir etwas Toilettenpapier und schnäuzte mir die Nase. Einmal. Zweimal. Und jedes Mal merkte ich, wie etwas Kotze mitkam.

Angewidert warf ich das Papier ins Klo, wischte mir mit einem weiteren Stück den Mund ab und betätigte die Spülung. Im Gegensatz zu sonst fühlte ich mich jetzt nicht besser, obwohl ich mich übergeben hatte.

Normal verschaffte es mir während eines Magen-Darm-Infekts immer eine Art von Erleichterung, aber dies schien hier nicht der Fall zu sein. Ich spülte meinen Mund mit Wasser aus und kehrte schnell wieder in Finjas Zimmer zurück, in der Hoffnung, jetzt bald schlafen zu können.

Doch weit gefehlt.

Keine halbe Stunde später hastete ich erneut aus dem Zimmer, rannte regelrecht ins erleuchtete Badezimmer und übergab mich nochmals. Laut keuchend und würgend. Dieses Mal brannte es viel mehr, als ich die gelbe Flüssigkeit erbrach.

Gerade wischte ich mir den Mund ab, nachdem ich bereits meine Nase geputzt hatte, als meine Tante in der Tür stand.

„Na, wem geht es hier denn so schlecht?“, fragte sie hörbar besorgt.

„Mir…“, sagte ich überflüssiger Weise mit meiner näselnden und deutlich leidenden Stimme, ehe ich den Kopf zu meiner Tante drehte und gleichzeitig die Spülung betätigte.

Margot ist eine große, schlanke Frau mit wunderschönen dicken, braunen Haaren. Sie trug ihren Schlafanzug und schaute besorgt zu mir.

„Möchtest du lieber nach Hause, Luna?“

„Nein.. Ich leg mich wieder schlafen und wenn es gar nicht geht, dann gehe ich morgen Heim“, sagte ich schweren Herzens. Ich hatte mich lange auf den Besuch bei meiner Cousine gefreut.

Margot nickte und löscht das Licht im Bad, nachdem ich es verlassen hatte.

„Wenn es gar nicht geht, dann weckst du uns, ja? Wir können dich auch nach Hause fahren.“

„Danke“, sagte ich mit einem kränklichen Lächeln auf den Lippen und schlurfte wieder in das Zimmer meiner Cousine zurück. Ich war mir sicher, dass sie nicht schlief sondern wach war und gelauscht hatte. Aber ich war zu erschöpft, um mir weiter darüber Gedanken zu machen und legte mich wieder hin.

Ich wälzte mich noch etwas umher, ehe ich endlich einschlief. Mein Schlaf war traumlos und kurz. Als ich die Augen aufschlug, zeigte meine Handyuhr 7:50Uhr an. Aber an weiterschlafen war nicht zu denken, mein Magen bereitete mir unglaubliche Schmerzen, weswegen ich letztendlich ganz leise aufstand, aus dem dunklen Zimmer schlich und mich meine Füße über den Flur mit dem roten Teppich, die Treppen hinunter und in die Küche trugen.

Margot saß im Essbereich des Wohnzimmers und schaute von ihrer Zeitung auf, als ich durch die offene Küchentür zu ihr kam.

„Guten Morgen, Luna. Geht es dir besser?“

„Nicht wirklich, nein…“

„Möchtest du etwas trinken?“

Auf ihre Frage hin nickte ich und sie stand auf.

„Am besten koche ich dir einen schwarzen Tee.“, sagte sie liebevoll, nahm eine der Tassen aus dem schönen Holzregal und verschwand in der Küche.

Meine Füße standen auf den kalten Fliesen, als ich mich auf einen der gepolsterten Stühle setzte und mich im Essbereich umsah. Neben dem Tisch stand ein großes Aquarium mit vielen bunten Fischen, sowohl große als auch kleine. Neben der Tür zur Küche stand ein Schrank mit vielem, unterschiedlichem Inhalt. Von Tassen und Teegeschirr bis hin zu Basteleien und alten Zeitungen. Auf der anderen Seite der Tür war ein Regal mit Fischfutter und Kleinkram, der nicht wirklich hierher gehörte. An der Wand neben und gegenüber der Tür waren große Fenster, die viel Licht brachten und einen schönen Ausblick in den Garten boten.

Als Margot aus der Küche zurückkam, stellte sie mir eine schmale Tasse mit schwarzem Tee hin. Ich nippte vorsichtig daran, bekam aber nicht wirklich etwas runter.

„Möchtest du lieber nach Hause?“, fragte sie.

„Ja..“ Meine Antwort kam leise und niedergeschlagen und während meine Tante aufstand, um meinen Vater anzurufen, nippte ich erneut an meiner Tasse Tee. Normalerweise konnte ich bei jedem Magen-Darm-Infekt so viel Tee trinken wie ich wollte, aber dieses Mal bekam ich keinen Schluck runter.

Bald hörte ich, wie Finja in ihrem Zimmer aufstand, das Rollo hochzog, im Bad verschwand und beschloss, selbst nach oben zu gehen, mich anzuziehen und meine Tasche zu packen.

Während ich meine Zähne putzte, besah ich mir mein Spiegelbild. Meine braunen Augen wirkten trüb, meine Haut war überaus blass und leicht käsig. Seufzend strich ich mir eine Strähne meiner schulterlangen braunen Haare hinters Ohr, spülte meinen Mund aus und packte meine Kulturtasche zusammen, ehe ich diese im Zimmer meiner Cousine als letztes in meine Tasche tat.

„Schade, dass du jetzt krank geworden bist“, murmelte sie und sah mich an.

Ich nickte zustimmend. „Sehr schade… Ich komme einfach ein anderes Mal wieder.“

Als es unten an der Tür klingelte und ich das kurze Gespräch zwischen Margot und meinem Vater vernahm, schulterte ich meine Tasche, verabschiedete mich von Finja und ging die mit Teppich ausgekleidete Treppe hinunter.

„Na, mein krankes Huhn“, grüßte mich mein Vater und legte einen seiner stämmigen Arme um mich. Ich lächelte kränklich und schlüpfte dann in meine Sandalen, bekam von Margot noch eine Kotztüte für die Fahrt (für alle Fälle) und verabschiedete mich von ihr.



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