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Delilah – Die Liebe einer Wölfin

von

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47. Kapitel

Drei Tage.

Drei verfluchte, sich wie zäher Kaugummi dahinziehende Tage in denen Dean sich nicht hatte blicken lassen. Weder war er zu den Mahlzeiten erschienen, noch hatte er das Essen angerührt, das sie ihm vor die Zimmertür gestellt hatten. Auch nachts war er nicht aus seinem Zimmer gekommen, soviel verriet der schwindende Geruch seiner Präsenz im ganzen Haus. Lediglich wenn man dicht vor seiner Tür stand, konnte man ihn noch in seinem Zimmer wittern. Sogar deutlicher als sonst. Der Geruch von Blut und altem Schweiß wurde dabei immer beißender und hätte man nicht ab und zu eine Diele unter seinen leisen Schritten knarren hören, man hätte fast glauben mögen, er würde dort drin schon seit geraumer Weile mit einem Gürtel um den Hals an einem der Deckenbalken baumeln.

Die schwachen Lebenszeichen waren der einzige Grund, weshalb noch niemand versucht hatte, sich gewaltsam Zugang zu Deans Zimmer zu verschaffen, auch wenn James schon ein paar Mal kurz davor gestanden hatte, einfach die Tür einzutreten. Letzten Endes hatte er sich aber doch immer wieder dagegen entschieden und stattdessen versucht, seinen Bruder mit Worten dazu zu bewegen, endlich aus seinem Zimmer zu kommen.

Ohne Erfolg.

Delilah hatte es nicht einmal versucht, obwohl keine Minute am Tag verging, in der sie nicht daran dachte. Selbst nachts fand sie kaum Schlaf und wenn sie dann doch einmal vor Erschöpfung einschlief, so schreckte sie nach kurzer Zeit wieder hoch und suchte unbewusst unter der Decke nach Deans Körper, nur um dann ernüchtert und betroffen festzustellen, dass er nicht da war und auch nie wieder dort sein würde. Gerade in diesen Momenten war das Verlangen schier übermächtig, den kleinen Flur zu überqueren und sich vor Deans Zimmertür niederzulassen, um ihn um Verzeihung anzuflehen.

Doch was hätte es letztendlich gebracht, ihre Worte und Taten rückgängig zu machen? Deans Herz war bereits gebrochen und der Schaden angerichtet. Es gab tatsächlich kein Zurück mehr.

Aber es schmerzte immer mehr, beim Essen neben sich auf das unbenützte Gedeck blicken zu müssen.

Selbst Elijas Geschmack in Sachen Möbel konnte den Anblick nicht mildern, auch wenn er sich wirklich Mühe gegeben hatte. Der neue Esstisch ähnelte dem alten in Größe und Form, hatte jedoch ein etwas helleres Holz und eine andere Maserung, aber mit den neuen Stühlen passte er ganz gut hinein. Vor allem waren nun auch die Blutflecken verschwunden, die James auf dem alten Tisch hinterlassen hatte und die sich regelrecht in das alte Holz gefressen hatten.

Delilah stocherte lustlos in ihrem Essen herum. Ein kurzer Blick zu James verriet ihr, dass es ihm ebenso ging. Selbst Elija aß bedächtiger als sonst und sehr viel langsamer, während auch sein Blick immer wieder zu Deans Platz hinüberschweifte und man jeden Moment einen schweren Seufzer erwartete. Stattdessen sah er wieder äußerst nachdenklich auf seinen Teller.

Sie hatte ihn noch nie so gesehen. Beinahe wirkte er ebenso hilflos wie sie alle, aber eben nur fast. Denn wenn er wirklich gewollt hätte, hätte er seinen Sohn dazu zwingen können, sich an den Tisch zu setzen und endlich etwas zu essen. Nicht nur als sein Vater sondern auch als sein Rudelführer hätte er Dean dazu bringen können, sich unterzuordnen und den Anweisungen zu folgen. Doch er tat es nicht. Was auch immer für Gründe ihn dazu veranlassten, er nutzte seine Machtposition nicht aus.

„Wie lange kann ein Werwolf ohne Essen überleben?“ Die Frage war heraus, bevor Delilah sie zurückhalten konnte. Das bedrückende Schweigen war einfach unerträglich geworden.

„Wochen.“ James spießte mit seiner Gabel eine kleine Kartoffel auf, doch nicht um sie sich in den Mund zu stecken, sondern stattdessen zeichnete er damit kleine Kreise in die helle Pfeffersoße.

„Und ohne Flüssigkeit?“

„Eine Woche. Vielleicht noch ein oder zwei Tage mehr. Kommt auf die Bedingungen in der Umgebung an.“

Also war die derzeit herrschende trockene Hitze alles andere als ihr Freund. Dabei wurden sogar noch heißere Temperaturen für die kommende Woche angekündigt.

„Was, wenn er beschlossen hat, einfach zu verdursten?“

Keiner antwortete, stattdessen ließ James seine Gabel auf den Tellerrand sinken. An seiner Wange konnte man erkennen, wie seine Kiefer aufeinander mahlten.

Delilah schob ihren Teller von sich und stand auf. Sie hatte endgültig keinen Appetit mehr, also trug sie ihr Geschirr ab und warf die Reste ihres Essens in den Kompostkübel, den Rest räumte sie in den Geschirrspüler. Anschließend machte sie sich daran, die großen Töpfe und Pfannen mit der Hand abzuwaschen. Dabei kam sie immer wieder ins Stocken und musste mehrmals tief durchatmen, während sie die Tür in ihrem Kopf so fest sie konnte zuhielt. Doch mit jedem Tag der verging, gewann ihre Wölfin an Kraft und manchmal gelang es ihr sogar für kurze Zeit ganz zu entkommen und Delilah in ein Gefühlsbad zu stürzen, das ebenso hätte mit Säure gefüllt sein können.

Es tat so unglaublich weh.

„Hier.“

Sie fuhr erschrocken zusammen, als James ihr die große Salatschüssel hinhielt.

„Sorry.“

„Schon okay.“ Sie nahm ihm die Schüssel aus den Händen und tauchte sie in das warme Seifenwasser, um sie gleich abzuspülen. James blieb neben ihr stehen.

„Er wird sich wieder fangen.“

„Vor ein paar Tagen hast du noch gesagt, dass er nicht damit klarkommen wird. Ich denke, du hattest Recht.“

„Er braucht einfach noch mehr Zeit.“

Ihr entkam ein freudloses Lachen, während sie die Glasschüssel unter kaltem Wasser abspülte und auf die Abtropffläche stellte. „Und wie viel? Einen Tag? Zwei Tage? Vielleicht die ganze gottverdammte nächste Woche?“

Delilah schnappte sich die nächste Pfanne, gab zusätzlich etwas Spülmittel hinein und schäumte ordentlich das Innere mit einem Schwamm ein, um das Fett leichter zu lösen. Die Klammer, die schon seit Tagen ihre Brust zusammenpresste, zog sich erneut enger. Das Atmen wurde schwer.

Ihre Hände hielten in ihrer Tätigkeit inne, als James näher an sie herantrat und seine Witterung ihre Nase umspielte.

„Soweit kommt es nicht. Vorher zerren entweder Dad oder ich ihn da raus. Keiner von uns lässt zu, dass er irgendeinen Blödsinn anstellt.“ Er hob die Hand. Wollte ihr Gesicht berühren, ließ sie aber wieder fallen, als Delilah den Kopf neigte, so dass ihr inzwischen schulterlanges Haar es vor ihm verbarg.

„Ich hoffe es.“ Sie arbeitete weiter.

„Das ist ein Versprechen.“ Er trat wieder zurück und holte nach kurzem Zögern auch noch das restliche Geschirr vom Tisch, ehe er sie alleine ließ. Dem Geräusch nach zu urteilen, ging er wieder hoch zu Deans Zimmer. Vermutlich um noch einmal erfolglos mit seinem Bruder zu reden.
 

Die Nacht war lau, doch das Zirpen der Grillen keinesfalls tröstlich. Selbst das Bild des vollen Mondes am sternenklaren Himmel besaß keinen Zauber und auch keine Macht. Dabei hieß es doch immer, gerade in Vollmondnächten würden Werwölfe sich verwandeln und Angst und Schrecken verbreiten.

Ein Mythos. Natürlich. Aber bei diesem Anblick hätte Delilah sich gewünscht, dass der Vollmond tatsächlich irgendeinen größeren Einfluss auf Werwölfe besessen hätte. Besser gesagt auf einen ganz bestimmten.

Die vierte Nacht war angebrochen und noch immer keine Spur von Dean.

Ihre nackten Zehen berührten glattes Holz, als sie sich vom Boden abstieß und die Verandaschaukel in Bewegung brachte. Trotz des warmen Windes fröstelte es sie und Delilah schlang ihre Arme um sich, aber das würde nicht viel bringen. Es war nicht die Temperatur, die ihr zu schaffen machte, sondern das immer schlimmer werdende Gefühl in ihrer Brust und auch noch der leise Nachhall der Angst, der ihr immer noch im Genick saß, wenn sie an einen anderen Tag auf dieser Schaukel zurückdachte.

Ganz automatisch suchte sie die Schatten am Waldrand nach Bewegungen ab, selbst dann noch, wenn sie sich ins Bewusstsein rief, dass Nadine Meilenweit entfernt war und nie wieder zurückkommen würde. Nicht, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von einem ganzen Rudel Werwölfe in Fetzen gerissen zu werden.

Wäre sie jetzt bei Dean, könnte sie sich an ihn schmiegen und in seiner wärmenden Umarmung Schutz suchen. Vielleicht hätte sie dann auch endlich wieder Schlaf finden können, doch stattdessen hielten Sorge und Verzweiflung sie wach.

Es geschah so plötzlich, dass Delilah sich auf der Schaukel nach vorne krümmte, dabei die Hand fest gegen ihre Brust gepresst und um Atem rang. Ihr gesamter Brustkorb schien mit einem Mal in einem Schraubstock festzuklemmen, der sich unbarmherzig immer weiter zuzog, bis es sie zu zerquetschen drohte.

Ihre Wölfin steckte die Schnauze durch einen Spalt in der stark malträtierten Tür in ihrem Kopf hindurch und drängte sogar noch weiter nach vorne, während ihre Krallen an dem Holz kratzten und rissen. Schmerz überflutete Delilahs Herz, ließ ihre Augen brennen und sie für einen Moment blind und taub für ihre Umwelt werden, bis ein Geräusch im inneren des Hauses sie hochfahren ließ.

Sie konnte von ihrer Position aus nichts sehen, doch der Wind trug ihr den Gestank von Blut, Schweiß und Bitterkeit entgegen, unter dem der Geruch von herber Walderde beinahe völlig unterging.

Die Tür in ihrem Kopf gab nach und zersplitterte unter dem Ansturm der Wölfin in tausende Teile, während es Delilah auf die Füße riss.

Beim Kampf mit dem Fliegengitter vor der Tür brach sie sich zwei Fingernägel ab, doch sobald sie es ins Haus geschafft hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen und starrte den Schatten am anderen Ende des Flurs an.

Dean!“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen, trotzdem hielt die Gestalt für einen Augenblick lang inne.

Er drehte sich nicht zu ihr um, sondern warf lediglich einen flüchtigen Blick über seine nackte Schulter zu ihr rüber und obwohl sie in der Dunkelheit des Hauses seine Augen nicht erkennen konnte, so spürte sie doch ganz deutlich den Moment, als sie über sie glitten.

Ihr stellten sich sämtliche Haare zu Berge, während ihre Wölfin plötzlich abweisend zu knurren begann und die Zähne fletschte, obwohl sie gerade eben noch ganz anderes im Sinn gehabt hatte.

Dean ging weiter und verschwand lautlos im Bad.

Delilah stand für einen Moment noch wie erstarrt da, sank dann aber dort wo sie war zu Boden. Ihre Beine waren unfähig, sie noch länger zu tragen, während sie am ganzen Körper zu zittern begann.

Ein Grauen begann von ihr Besitz zu ergreifen, das sie noch nie zuvor verspürt hatte. Es lähmte sie regelrecht.

Wie lange sie dort saß und die Stelle anstarrte, wo Dean zuletzt gestanden hatte, wusste sie nicht, aber in der Zwischenzeit hörte sie Wasser rauschen und schon bald darauf folgte der angenehme Duft von Seife und Shampoo.

Erst als das Wasser abgedreht wurde, konnte Delilah sich selbst wieder vom Boden aufsammeln. Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Badezimmer und Dean trat mit einem frischen Handtuch um die Hüften in den Flur. Seine Haare waren feucht und auf seiner noch leicht von Blutergüssen gefärbten Haut zeichneten sich glitzernde Wasserperlen ab.

Sein Blick war ausdruckslos und seine Augen dunkel, als er flüchtig ihre Erscheinung streifte und dann in die Küche ging, dabei einen angenehmen süßlichen Duft hinter sich herziehend, dem jegliche Note eines Wolfes fehlte.

Er hatte sie angesehen, als hätte er sie gar nicht wahrgenommen oder als wäre sein Blick einfach durch sie hindurch gegangen, was fast noch schlimmer war.

„Dean?“ Delilah folgte ihm langsam, sich dabei deutlich bewusst, wie ihre Wölfin sich mit jedem Schritt den sie auf ihn zu tat, immer weiter duckte und die Ohren anlegte, während sie aggressiv die Zähne zu blecken begann. Sie stand kurz davor, anzugreifen.

Er reagierte nicht, stattdessen öffnete er den Kühlschrank, griff nach dem frischen Milchkanister in der Tür, schraubte ihn auf und setzte ihn an die Lippen. Wie durstig er sein musste, erkannte man daran, dass er die Milch in langen Zügen hinunterstürzte, während sie ihm übers Kinn lief und auf seine Brust tropfte. Erst nachdem er beinahe den ganzen Kanister geleert hatte, setzte er ihn wieder ab und wischte sich über den Mund. Als nächstes holte er die große Frischhaltebox mit dem Wurstsalat hervor, den es zum Abendessen gegeben hatte, kramte eine Gabel aus der Besteckschublade und fiel auch schon einen Moment später darüber her, ohne kaum einmal zu kauen.

Er vernichtete den gesamten Inhalt innerhalb kürzester Zeit.

Aus sicherer Entfernung hatte Delilah ihm dabei zugesehen, während ihre Hände den Stoff ihres Nachthemds vollkommen zerknitterten und ihre Wölfin sich weigerte, ihre Haltung aufzugeben. Stattdessen verspannte sie sich noch mehr, als Delilah schließlich an den Küchentresen herantrat und so zumindest für einen flüchtigen Augenblick Deans Aufmerksamkeit erlangte, ehe er auch schon wieder den weiteren Inhalt des Kühlschranks nach etwas Essbarem durchforstete.

Es mochte vielleicht beruhigend sein, dass er endlich etwas zu sich nahm, vor allem da sie glaubte, inzwischen deutlicher seine Rippen durch die blasse Haut hervorstechen zu sehen, aber sein Verhalten war es definitiv nicht. Ebenso wenig wie das ihrer Wölfin.

„Ist … alles mit dir in Ordnung?“ Es war einfach nur lächerlich ihn so etwas zu fragen, nachdem er sich tagelang nicht hatte blicken lassen. Tage in denen er mit niemandem ein Wort gewechselt, weder gegessen, getrunken noch geduscht hatte und in denen sie alle hatten befürchten müssen, er würde sich am Ende noch etwas antun.

„Ja.“ Er griff nach einem Schokopudding, riss den metallenen Deckel davon ab und stieß mit seiner Schulter die Kühlschranktür wieder zu, bevor er sich aus der Besteckschublade auch noch einen kleinen Löffel holte.

Bei seiner Antwort überfiel sie schieres Entsetzen und ihre Pupillen weiteten sich voller Schrecken. Sie hatte diesen Tonfall schon einmal gehört. Da war sie sich ganz sicher und obwohl ihr nicht mehr so genau einfallen wollte, wo genau das gewesen sein soll, betete sie doch inständig darum, dass sie sich einfach nur verhört hatte. Die Alternative dazu ließ es ihr eisigkalt den Rücken runter laufen.

„Bist du … sicher?“ Selbst ihre Stimme bebte.

„Ja.“

Nein…

Delilah hatte das Gefühl, als würde plötzlich sämtliches Blut aus ihrem Kopf in ihre Beine sacken, so dass sie sich an der Kante der Theke festkrallen musste, um nicht einfach umzukippen.

Diese Kälte. Dieses Fehlen jeglicher Emotion in der Stimme…

Der Hüne im Maßanzug!

Delilah musste sich endgültig auf einen der Barhocker ziehen, als ihr mit deutlicher Klarheit das ganze Ausmaß ihres Handelns vor Augen geführt wurde.

Oh Gott. Bitte sag, dass das nicht wahr ist!

„Dean?“

„Hm?“

„Schau mich an.“

Er tat es und doch wieder nicht. Sein Blick fixierte sie mit dem gleichen Interesse, mit dem man einen eingetrockneten Kaugummi auf der Straße, ein welkes Blatt im Wind oder ein verdammtes Sandkorn am Meer betrachtete. Als wäre sie klein, unbedeutend, alltäglich und eine unter tausenden von Personen, die einem im Laufe des Lebens über den Weg liefen, aber keinerlei bleibenden Eindruck hinterließen und nicht einmal den geringsten Gedanken wert waren.

Selbst als sie sich die Hand auf den Mund schlug, um ein Schluchzen zu unterdrücken und ihre brennenden Augen sich mit Tränen füllten, zeigte er keinerlei Regung. Stattdessen löffelte Dean seinen Pudding in aller Ruhe zu Ende, nun da sein gröbster Hunger gestillt war und räumte auf.

„Ich liebe dich!“, rief sie ihm in ihrer Verzweiflung hinterher, als er an ihr vorbei zur Tür hinausging und sie endlich ihre Sprache wiederfand.

Dean zuckte noch nicht einmal mit der Wimper.

Delilah sprang so hastig vom Stuhl, dass er hinter ihr umkippte, während sie schon damit beschäftigt war, Dean hinterher und die Treppe hinauf zu laufen. Erst kurz vor seinem Zimmer gelang es ihr, ihn wieder einzuholen und nach seiner Hand zu fassen.

Er blieb stehen.

„Bitte, tu das nicht!“, flehte sie ihn an und zerrte an ihm, damit er sich zu ihr herumdrehte, was er schließlich auch halb tat.

„Was soll ich nicht tun?“ Es klang beinahe gelangweilt.

„Das!“ Sie würde ihm am liebsten diese beschissene Maske aus Gleichgültigkeit herunter reißen, aber sie wusste, dass es keine Maske war. Er versteckte seine Gefühle und seinen Schmerz nicht hinter dieser emotionslosen Fassade, denn wenn es so gewesen wäre, hätte man manchmal, wenn auch nur eine sehr kleine, gefühlsmäßige Regung gesehen. Doch das war nicht der Fall.

Dean hatte das geschafft, was sie schon seit Tagen immer wieder versucht hatte, um ihren eigenen Gefühlen zu entkommen. Er hatte seinen Wolf vollkommen unterdrückt und somit alles, was ihn zu einem fühlenden Wesen machte.

Diese grauenvolle Erkenntnis ließ ihre eigene Wölfin die letzten Ketten ihrer Gefangenschaft von sich abschütteln und mit ihrer wiederkehrenden Präsenz schlugen auch Delilahs Gefühle mit voller Wucht in ihr ein.

Erneut sank sie in die Knie, während ihre Hände sich um Deans Arm krümmten und ihn festzuhalten versuchten. Es beutelte ihren ganzen Körper, während das Gefühl in ihrer Brust ihr buchstäblich den Atem raubte und dennoch stieß sie leise unter schweren Atemzügen hervor: „Bitte … lass ihn ... wieder frei!“

Dean drehte sich noch weiter zu ihr herum und sah auf sie herab, als wäre sie nichts weiter als ein kleines Staubkorn, das über den Boden tanzte. „Wen soll ich freilassen?“

Tränen wallten in ihren Augen und flossen schließlich über. „Deinen Wolf…“

Ihre Fingernägel hinterließen tiefe Spuren auf seiner Haut, als er ihr seinen Arm entzog und einen Schritt zurücktrat.

Etwas Dunkles funkelte hinter seinen von Schatten verhangenen Augen und die gleichgültigen Züge seines Gesichts schienen endgültig zu erstarren.

Dieses Mal war seine Stimme tatsächlich kalt, als er leise raunte: „Warum sollte ich? Du hast ihn verlassen. Es gibt nichts mehr, woran er sich noch festhalten könnte.“

Er trat noch einen Schritt zurück und legte eine Hand auf den Knauf seiner Tür. „Und du hast mich verlassen. Deine Entscheidung ist gefallen. Genauso wie meine.“

Er verschwand im Schutze seines Zimmers und schloss leise die Tür hinter sich. Das Drehen des Schlüssels klang so unglaublich endgültig.

Delilah starrte noch für einen Moment auf die Stelle, wo Dean gerade ebe noch gestanden hatte, dann brach sie zusammen.
 

Wie lange er ihr bereits sanft über den Rücken strich und sie gegen seine warme, starke Schulter geschmiegt dasaß, während seine Arme sie sachte wiegten, konnte sie nicht sagen. Ebenso wenig wie sie in ihr Zimmer und auf ihr Bett gekommen war. Aber James‘ Geruch war in diesem Augenblick so unglaublich tröstlich und seine Wärme, die sie beschützend einhüllte so voller Linderung, dass sie erneut zu weinen beginnen wollte. Doch sie konnte nicht. Dazu brachte sie nicht mehr die Kraft auf. Ebenso wenig zu etwas anderem.

Delilah war absolut am Ende ihrer Kräfte und sank daher nur noch mehr in diese wohlige Umarmung, um erneut die Augen zu schließen und sich endgültig fallen zu lassen. Sie wollte einfach nur noch schlafen und den Schmerz und die Welt um sich herum vergessen.
 

***
 

Eine Woche lang blieb sie im Bett. Aß und trank was James ihr brachte. Schleppte sich manchmal auch ins Bad, wenn ihre körperlichen Bedürfnisse ihr keine andere Wahl ließen und wusch sich bei dieser Gelegenheit rasch, nur um danach noch entkräfteter wieder auf die Matratze zu sinken und wieder in einen ihrer Dämmerzustände abzudriften, die ihre Tage durchzogen, während die kühleren Nächte sie in einen tiefen, alptraumdurchsetzten Schlaf zwangen, aus denen sie erst bei Tagesanbruch wieder hochschreckte. Jedes Mal war James da, um sie solange wie nötig zu beruhigen, bis sie endgültig in der Realität angekommen war, doch danach zog er sich ziemlich schnell wieder zurück, als wüsste er, dass sie sonst versucht wäre, ihn nachts aus ihrem Zimmer zu verbannen. Doch selbst dazu hätte Delilah nicht mehr genug Widerstand aufbringen können. In ihrer Melancholie war einfach alles zur Anstrengung geworden. Selbst das Atmen.

Irgendwann, sie konnte nicht sagen, ob erst ein paar Tage oder bereits ein ganzer Monat vergangen waren, kam Young bei ihrer Zimmertür herein und setzte sich zu ihr aufs Bett. Die schwere Arzttasche stellte er leise neben sich auf den Fußboden, bevor er sich ihr zuwandte und sie anlächelte.

„Ihr McKenzies entwickelt euch langsam zu meinen Sorgenkindern, wusstest du das?“

„Ich bin keine McKenzie…“ Sie drehte schwach ihren Kopf in seine Richtung und zwang ihre Augenlider dazu, offen zu bleiben, obwohl sie wie immer bleischwer waren.

Der Vampir lächelte noch breiter.

„Dem Papier nach vielleicht nicht, aber alles andere spricht eindeutig dafür. Das garantiere ich dir.“ Er berührte ihre Hand, ließ sie in seine gleiten und strich mit den Fingern seiner anderen Hand warm über ihre Haut. Langsam wurde er ernst.

„So kühl und dabei sagt man immer uns Vampiren nach, wir hätten eine Haut so kalt wie Marmor. Stimmt natürlich nicht, aber an hartnäckigen Gerüchten lässt sich bekanntlich schwer rütteln.“ Er seufzte leise. „Darf ich deinen Blutdruck messen?“

Sie nickte einmal schwach. Egal was es war, ihr war ohnehin schon alles gleichgültig. Sollte der Arzt ruhig machen. Es kümmerte sie nicht länger.

„Und bei dem Baby alles in Ordnung soweit?“ Young ließ ihre Hand nicht los, während er mit der anderen seine Tasche öffnete und einen Moment später ein kleines Kästchen mit einer Blutdruckmanschette daran hervorzog. Doch bevor er sie ihr anlegte, sah er sie mit seinen durchdringenden grünen Augen prüfend an und wartete auf eine Antwort.

Delilah horchte für einen Moment in sich hinein. „Ja, ich denke schon.“ Sicher wusste sie es allerdings nicht.

„Gut. Das ist gut.“ Young ließ ihre Hand nun doch los, damit er ihr die Blutdruckmanschette anlegen konnte.

Der Druck um ihren Arm wurde immer unangenehmer, während sich die Manschette knisternd mit Luft füllte und das Kästchen brummte, bis es offenbar endlich zufrieden war und der Druck fast schon erleichternd wieder nachließ.

Schweigend betrachtete der Vampir die Zahlen auf dem kleinen Display.

Schließlich nahm er ihr die Manschette wieder ab und verstaute das Blutdruckmessgerät wieder in seiner Tasche. Dafür hielt er sein Stethoskop in seinen Händen.

„Ich möchte gerne einmal deine Lunge abhören. Dazu müsstest du dich aufsetzen, meinst du, du schaffst das?“

Eigentlich nicht, doch mit seiner Hilfe saß Delilah am Ende in einer aufrechten Position und solange der Vampir sie stützte, würde das auch so bleiben.

Da Delilah die Prozedur bereits kannte, holte sie tief Luft, wenn Young es von ihr verlangte und atmete langsam wieder aus, während das kühle Metall über ihren Rücken fuhr. Als er damit fertig war, ließ er sie langsam wieder zurück in die Kissen sinken.

„Ich werde noch einen abschließenden Ultraschall machen, um zu sehen, ob mit dem Baby wirklich alles in Ordnung ist, aber dann hast du es überstanden.“

Wieder nickte sie und schloss müde die Augen.

Die Decke raschelte leise, als er sie ihr bis auf die Oberschenkel zurückzog und das Nachthemd über ihren Bauch nach oben schob.

Kurz zuckte sie zusammen, als das kalte Gel ihre Haut berührte, doch dann war alles ruhig, während Young mit dem tragbaren Ultraschallgerät über ihre Bauchdecke fuhr und in Ruhe das Baby auf dem kleinen Bildschirm betrachtete.

„Im Moment liegt es günstig. Falls du also wissen möchtest, was es wird, könnte ich es dir jetzt mit ziemlicher Sicherheit sagen.“

Die Worte holten sie für sie selbst überraschend etwas aus ihrer Erschöpfung und ließen sie wieder die Augen öffnen. Wieder war da ein Lächeln auf den so angenehmen Gesichtszügen des Vampirs, das so gar nicht zu ihrer eigenen Stimmung passen wollte.

Eigentlich musste Delilah gar nicht länger über seine Frage nachdenken, denn die Antwort hatte sie schon seit langem gewusst und kam ihr daher leicht über die Lippen.

„Nein. Ich möchte mich überraschen lassen. Aber wenn … James es wissen möchte, sag es ihm bitte.“ Dean würde sich ohnehin nicht mehr dafür interessieren. Dafür hatte sie gesorgt.

Von frischem Schmerz gepackt, schloss sie wieder die Augen und drehte den Kopf weg. Hoffentlich verschwand Young bald wieder. Sie wollte alleine sein.

„Verstehe. Dann werde ich ihn nachher fragen.“ Auch das Ultraschallgerät war schnell weggeräumt und das schmierige Gel von ihrem Bauch gewischt. Young zog ihr ebenso sanft wieder das Nachthemd darüber und deckte sie halb zu, da es immer noch nicht wirklich kühl war, es sie aber nach einer Decke verlangte.

Doch anstatt nun seine Tasche zu nehmen und endlich zu verschwinden, kramte er noch einmal darin herum, um ein kleines Glasfläschchen und eine Spritze daraus hervor zu ziehen, wie Delilah nach einem kurzen Blick bemerkte.

Nicht einmal die kurze Angst vor der Nadel, konnte sie dazu bewegen, sich irgendwie großartig zu rühren. Stattdessen sah sie schweigsam zu, wie der Vampir die Spritze aufzog.

„Das hier ist nur ein kleiner Cocktail, den ich selbst zusammengemixt habe. Er wird dem Baby nicht schaden und deinem Kreislauf wieder auf die Sprünge helfen. Dein Blutdruck ist für deine Verhältnisse viel zu niedrig und ich bin mir sicher, wenn ich deine Blutwerte sehen könnte, wären sie auch nicht besonders zufriedenstellend. Du musst wieder richtig essen und vor allem braucht dein Körper auch Bewegung.“ Young setzte das Fläschchen ab und drückte leicht auf das Ende der Spritze bis etwas Flüssigkeit aus der Nadel schoss. Danach band er Delilahs Arm ab, um in ihrer Armbeuge leichter eine Vene zu finden, ehe er die Stelle desinfizierte.

„Normalerweise würde ich einer werdenden Mutter wie dir Schwangerschaftsgymnastik empfehlen, um deine Muskeln zu trainieren. Die wirst du brauchen, wenn das Baby erst einmal richtig schwer zu werden beginnt und auch bei der Geburt sind sie sehr wichtig. Aber bei Gestaltwandlern habe ich die Erfahrung gemacht, dass es meistens nicht nötig ist, da ihr durch die Verwandlung in Tiere immer besser trainiert seid als gewöhnliche Menschen. Dennoch würde ich dir raten, dich so oft wie möglich zu bewegen und das ruhig auch als Wolf, solange es dich nicht irgendwie beeinträchtigt. Auch Sex kann deine Beckenbodenmuskeln trainieren, solange du dabei keine Schmerzen hast.“

Ja, natürlich. Weil sie ja auch gerade so viel Lust darauf hatte.

Das Piksen tat nur für einen Moment lang weh, danach entspannte Delilah sich wieder und konzentrierte sich auf das leichte Brennen, welches das Desinfektionsmittel an der Einstichstelle verursachte, während Young ihr einen Tupfer darauf drückte.

„Du kannst mich natürlich bei Fragen auch immer noch jederzeit anrufen und ich habe dir auch eine Bücherliste zusammengestellt, die dir vielleicht helfen wird, bei der richtigen Auswahl an Babybüchern. Weniger ist hierbei oft mehr und meistens ist es ohnehin besser, sich nicht von zu vielen Ratgebern verwirren zu lassen. Babys kommen auch ganz von alleine auf die Welt, aber es kann einem die Angst davor etwas nehmen, über die Vorgänge dabei Bescheid zu wissen. Wenn du willst, habe ich auch ein paar DVDs zu diesem Thema, solltest du sie dir vielleicht einmal ausleihen wollen.“

Während der Vampir redete und redete, wollte Delilah ihm am liebsten dieses sanfte Lächeln aus dem Gesicht schlagen, einfach nur weil es da war, ohne irgendeine Berechtigung darauf zu haben. Aber obwohl sie sich vor dem was er sagte, zu verschließen versuchte, drangen seine Worte doch irgendwie zu ihr durch und sie ertappte sich dabei, dass sie mehrmals nickte.

Mit Babybüchern hatte sie sich noch nicht auseinandergesetzt. Überhaupt hatte sie sich bisher wenig mit diesem Thema beschäftigt. Aber wann hätte sie die Zeit dazu aufbringen sollen? Ihr schwirrte so viel und doch nichts im Kopf herum. Delilah wusste wirklich nicht, wann sie genug Kraft dazu haben sollte.

Schließlich kam endlich der Zeitpunkt, an dem Young nichts mehr zu sagen und zu tun hatte und sich von ihr verabschiedete. Sie war froh, dass er da gewesen war, doch noch froher, als sie endlich wieder ihre Ruhe hatte.

James würde vermutlich bald mit dem Abendessen kommen, doch der Besuch hatte sie so angestrengt, dass sie schon jetzt nach kürzester Zeit wieder einschlief und sich ihren Träumen überließ.

Sie bemerkte daher zunächst gar nicht, wie jemand an ihr Bett heran trat, das Laken um ihren Körper zog und sie hochhob.

Erst als er sie langsam die Stufen hinunter und über die Schwelle ihres Heims trug, blinzelte Delilah vom Abendrot geblendet zu James auf und sah ihn fragend an.

„Wo bringst du mich hin?“

Er sah sie nicht an, sondern konzentrierte sich auf seinen Weg, aber seine Stimme war warm, als er ihr antwortete: „Weg von dem ganzen Deprischeiß.“



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