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Das unausweichliche Ende

von

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Lächeln

Blut durchtränkte die obere Hälfte seines Yukatas, ein Großteil davon lief unablässig aus seinem Mund, sein Kinn hinab und tropfte auf den ehemals blauen Stoff. Natürlich war die große Wunde in seiner Brust daran schuld, doch die selbst blutete noch gar nicht besonders viel – das Schwert steckte noch darin und hemmte den Blutverlust.

Katsura konnte nicht anders und musste lächeln.

Das hier war das Ende. Aus und vorbei. Aber es überraschte ihn nicht – tief im Innern hatte er von Anfang an damit gerechnet, dass es so ausgehen würde, egal, was er gesagt hatte, egal, welch große Reden er geschwungen hatte. Darüber, dass sie nun Feinde waren und Katsura nicht zögern würde, ihn gnadenlos anzugreifen und zu töten, wenn es sein musste. Darüber, dass alles, was früher gewesen war, auch für ihn keine Rolle mehr spielte.

Die Wahrheit war, dass er in jeder Sekunde gezögert hatte. Die Wahrheit war, dass alles, was früher gewesen war, womöglich eine größere Rolle spielte als alles andere auf dieser Welt.

Katsura hatte eigentlich noch viel vorgehabt mit seinem Leben. Katsura wollte eigentlich noch nicht gehen. Aber daran konnte er nun auch nichts mehr ändern, er hatte es versaut. Gründlich versaut. Hieran war er selbst schuld, und irgendwie war das sogar in Ordnung, weil er viel zu schwach war, um sich noch Vorwürfe zu machen.

Seine einzige Sorge war, dass er nun vielleicht bald Shouyou-Sensei wiedersehen würde, und er nicht wusste, wie er ihm das alles erklären sollte. Dass sie verloren hatten, alles. Ihn, den Krieg, und sich selbst. Und dass Katsura ausgerechnet durch seine Hand gestorben war. Er wusste nicht, wie er Shouyou-Sensei das beibringen sollte, dass es einer seiner eigenen Schüler gewesen war, der Katsura ein Schwert durch die Brust gejagt hatte.

Wer sie in den letzten Monaten und Jahren gekannt hatte, hatte das alles kommen sehen. Es war keine große Überraschung. Aber zu Shouyous Zeiten waren sie noch Freunde gewesen. Oder zumindest … etwas in der Art. Katsura hatte immer gedacht, so etwas nenne man Freundschaft. Aber Shinsuke war ja schon immer anderer Meinung gewesen.
 

Der Raum ist so weit abgedunkelt wie möglich. Er sitzt auf dem leicht blutverschmierten Futon und betrachtet die Wunde an seinem Schienbein, die bereits beginnt, zuzuheilen. So lang kämpft er nun schon im Krieg. So lang, dass Wunden aus vorherigen Schlachten schon zu Kratzern geworden sind. Sie machen den Weg frei für neue Wunden, die wieder zu Kratzern werden, die wieder zu Narben werden. Es wird immer weiter gehen. Immer und immer weiter wird er kämpfen, fallen, aufstehen, kämpfen, fallen, aufstehen, kämpfen, fallen… Bis er irgendwann nicht mehr aufstehen kann.

Geschworen hat er es. Sich und den anderen.

Und doch war er heute so kurz davor, sein Versprechen zu brechen, doch schien es ihm heute einfach nur richtig, zu gehen.

Und hat er nicht auch die Berechtigung dazu? Ja, er wollte kämpfen bis er nicht mehr aufstehen kann, aber dass sein Körper noch aufstehen kann, heißt doch nicht, dass sein Geist es ihm gleichtut, oder doch?

Was, wenn sein Geist nicht mehr kann?

Mit einem Seufzen zieht Katsura das Pflaster von seinem Oberarm. Über Nacht will er etwas Luft an die Wunde kommen lassen. Das macht er immer so; das ist einer der Gründe, weshalb sein Futon aussieht, als habe er jemanden darauf geschlachtet, aber es ist besser für den Wundheilungsprozess, also tut er sich diese Sauerei eben an.

Nur ein weiteres, bedeutungsloses Opfer für den Krieg.

Mit kühler Hand fasst er sich an die Stirn, schließt die Augen. Das war ein absolut übertrieben theatralischer Gedanke. Unnötig und schädlich. Wie so viele in letzter Zeit. Allein schon an seinem schleppenden, ächzenden Gedankenkarussell kann er beobachten, wie er schwächer und schwächer wird.

Dieser Krieg frisst ihn auf.

Die Tür wird aufgeschoben, Licht strömt herein und Katsura schirmt noch immer die Augen mit seiner Hand ab, sodass er nicht sieht, wer zu ihm stößt, bis die Tür sich wieder schließt und er langsame, gewählte Schritte vernimmt.

Takasugi.

So bewegt sich nur Takasugi.

An seinen Fingern vorbei schielt er zu ihm hoch, beobachtet ihn dabei, wie er sich langsam an seiner Seite niederlässt, die Augen pausenlos auf ihn gerichtet.

»Was ist los?«, hört er sich heiser fragen, in der festen Annahme, dass gerade jemand gefallen ist und Shinsuke kommt, um es ihm zu sagen.

»Er hat es mir erzählt«, sagt Takasugi stattdessen. Seine Stimme klingt anders als sonst.

Langsam lässt Katsura seine Hand sinken und blickt ihn fragend an.

»Was du vorhin in der Schlacht gesagt hast«, fügt Takasugi hinzu.

Seine Worte beginnen, Sinn zu ergeben, und er wendet den Blick wieder ab. »Gintoki?«, fragt er. Im Augenwinkel nimmt er ein Nicken wahr, und verzieht das Gesicht. »Wieso erzählt er dir das?« Takasugi ist zu jedem hier distanziert, aber er und Gintoki haben normalerweise schon Schwierigkeiten, sich gegenseitig zu grüßen, wenn sie sich im Lager begegnen.

»Er ist angetrunken.«

Katsura schließt die Augen und atmet lang aus. Sie haben alle so ihre Wege, mit dem Krieg umzugehen, und keiner davon ist gesund. »Dieser Idiot…«, murmelt er – und spürt im nächsten Moment eine Hand an seinem Kiefer.

Mit einer unwirschen Bewegung dreht Shinsuke seinen Kopf zur Seite, sodass sie sich ins Gesicht blicken. »Tu das nie wieder«, sagt er leise.

Katsura blinzelt. »Wa-… Was?«

»Du sollst«, beginnt Takasugi – er sieht bedrohlich aus, doch seine Stimme klingt eher verzweifelt, und das irritiert Katsura, »nie wieder … auch nur in Erwägung ziehen … mich – uns im Stich zu lassen.«

Kotaro schluckt schwer. »Dich im Stich lassen…?«, wiederholt er sachte.

Der Griff um seinen Kiefer verfestigt sich und er kann sehen, wie Shinsuke die Zähne zusammenbeißt. Vorsichtig hebt Katsura eine Hand und legt sie auf Takasugis Unterarm. »Hey…«, flüstert er.

»Wenn du noch ein einziges Mal daran denkst, Seppuku zu begehen, dann… dann…« Er presst die Lippen zusammen, starrt ihm unentwegt in die Augen, und schnaubt zittrig. »Keine Ahnung«, sagt er dumpf. »Du sollst einfach nicht gehen. Ich kämpfe diesen Krieg nicht ohne – … Zura, du sollst den Scheißkrieg einfach überleben, kapiert?«

Ein gequältes Lächeln zieht sich über Katsuras Lippen, er verzichtet darauf, seinen Kameraden zu verbessern und ertappt sich dabei, wie seine Finger beruhigend über Takasugis Arm streichen. »Schon gut«, sagt er leise, und zieht die Brauen zusammen, als Shinsuke den Kopf senkt. »Ich hätte nicht erwartet, dass dir das so nahe geht…«
 

Er hatte immer darauf bestanden, dass sie keine Freunde waren. Dass alles, was sie verband, die Tatsache war, dass sie für die gleichen Ideale kämpften. Wenn er besonders schlecht drauf gewesen war, hatte er noch hinzugefügt, dass er sich selbst da gar nicht so sicher sei.

Sie waren keine Freunde. Sie waren nicht einmal Kameraden.

Und trotzdem hatte er ihn davon abhalten wollen, im Krieg einfach das Handtuch zu werfen.

Und trotzdem hatten sie Tage und Nächte miteinander verbracht, als Kinder, als Jugendliche, selbst nach dem Krieg noch.

Und trotzdem war da nun dieser Ausdruck in dem grünen Auge, das ihm noch blieb.

Dieser Ausdruck von Widerwillen.

Über Katsuras blutverschmierte Lippen zog sich ein Lächeln.

Zähneknirschend lehnte Takasugi sich weiter in seine Richtung, bohrte das Schwert noch tiefer in Katsuras Brust. Er keuchte heiser und schloss die Augen, spürte, wie sein Kopf nach vorn sackte. Lang würde er das nicht mehr aushalten. Er kam seiner letzten Grenze immer näher.

»…das.«

Entfernt nahm er seine tiefe Stimme wahr, für einen Moment war er wohl tatsächlich weggetreten gewesen. Als Katsura träge die Augen wieder öffnete und der Schmerz in seiner Brust zurückkehrte, konnte er sehen, wie Takasugis schmale Lippen sich zu einer verkrampften Linie verzogen hatten.

»Lass das«, knurrte er.

Katsura hatte keine Ahnung, wovon er sprach, und er war auch viel zu schwach, um darüber nachzudenken, also hatte er bereits nach wenigen Sekunden wieder vergessen, dass Shinsuke das gesagt hatte. Das Lächeln auf seinen Lippen bemerkte er selbst kaum noch, als er sein Gegenüber mit verschwommener Sicht betrachtete und schmerzhaft Luft holte für Worte, von denen er nicht wusste, ob es womöglich seine letzten waren.

»Wieso bist du … immer noch … hier…?«, brachte er stimmlos heraus. Takasugi müsste nur noch sein Schwert aus der Wunde ziehen, Katsura würde fallen und verbluten, innerhalb weniger Sekunden war seine Schätzung, Shinsuke müsste sich wirklich keine Sorgen mehr darum machen.

Das wutverzerrte Gesicht dicht vor dem eigenen konnte er schon nicht mehr erkennen.

Und er war sich fast sicher, dass auch die Stimme, die er kurz darauf hörte, nur noch eine Illusion seines schwachen Geistes war.

»Du hast keine Ahnung, wie schwer es ist, dich verdammten Bastard gehen zu lassen«, raunte jemand, der nicht Takasugi sein konnte, in sein Ohr. »Du hast keine Ahnung … wie schwer es ist … dein lächelndes Gesicht zu sehen und dich einfach zu töten… Lass … dieses verfickte Lächeln sein… Hör endlich auf damit und lass mich dich umbringen, Zura…!«

Ein letztes Mal schloss Katsura die Augen. Er hatte nicht die Kraft, sie noch einmal zu öffnen, all seine letzten Reserven gingen in sein Lächeln und in das, was von seiner Stimme noch übrig war.

»Ich heiße nicht Zura…«, krächzte er kaum hörbar, während seine Knie nachgaben und er an der Schwertklinge entlang nach unten sackte. »Ich heiße … Katsura…«

Mit einem ungehaltenen Knurren holte Shinsuke aus und trat Katsura von sich. Die Klinge verschwand aus dessen Oberkörper und mit einem furchtbar leblosen, dumpfen Laut prallte er auf dem Boden auf. Aus seinem Mund schoss ein weiteres Mal Blut und sein Kopf kippte zur Seite, Takasugi ließ sein Schwert sinken und starrte ihn an, hoffte, dass er endlich aufhören würde, zu lächeln – und er tat es nicht.

Ein Fluch trat über seine Lippen, als er mit aller Macht das Schwert in den Boden rammte und sich abwandte.

Hinter sich hörte er das stockende, friedliche Lachen eines Sterbenden.

»Ich hätte … nicht gedacht, dass … dir das … so nahe … geht…«

Katsura atmete röchelnd ein und aus und ein weiterer Teil von Shinsuke starb. Ohne sein Schwert mitzunehmen verließ er ihr Schlachtfeld. Er kehrte wortlos zu seinem Schiff zurück, sperrte sich dort ein und rauchte. Im Morgengrauen übergab er sich. Am Vormittag zerschlug er mit bloßen Fäusten den Großteil seiner Einrichtung. Mittags verbrannte er sein Boot.

Alles fühlte sich falsch an.

Nichts war mehr richtig.

Aber das war nichts Neues für Takasugi Shinsuke.

Es hatte immer schon darauf hinauslaufen sollen.

Er und Zura waren schlicht und einfach dazu bestimmt gewesen, einander irgendwann zu töten.

Es war das unausweichliche Ende.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  perfekt
2012-02-07T00:15:26+00:00 07.02.2012 01:15
Du bist fantastisch. Und das ist so tragisch. Ich glaub ich les es morgen nochmal.
Zura janai, katsura da.


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