Nifflheim
Nifflheim
Als die Assassine erwachte wusste sie zuerst gar nicht wo sie war.
Dann bemerkte sie den Arm der sich um ihre Hüfte gelegt hatte.
Erschrocken fuhr Ruîn herum und blickte auf Jeran der neben ihr schlief.
Ach ja.
Langsam ließ sie sich wieder auf das Kissen zurück sinken und schloß
die Augen. Es war schon ziemlich hell draußen, vermutlich sogar schon
nach Mittag.
Das sie recht lange in Comodo getanzt hatten, daran konnte sie sich
noch erinnern, aber was war dann gewesen? Sie blinzelte.
Sie hatte ihre Klamotten, bis auf die Handschuhe, noch an. Ein Seitenblick
verriet ihr das auch Jeran fast vollständig bekleidet war. Es war also
nichts weiter geschehen. Vorsichtig schob sie seinen Arm von sich und
stand auf. Auf dem Boden lagen ihre und Jerans Schuhe, seine Jacke
und ihre Handschuhe schön verteilt um das ganze Bett herum. Auf der
Bettkante sitzend schlüpfte sie in ihre Assassinenstiefel und angelte
nach einem der Handschuhe der unter dem Bett hervorragte.
„Jetzt sag nicht du versuchst schon vor dem Frühstück zu flüchten?“
Sie fuhr herum. Jeran hatte die Augen geöffnet und beobachtete sie
mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. „Ach, zum Frühstück
sehen wir uns ja unten.“
„Das war nicht ganz das, an das ich gedacht hatte…“ Er beugte sich
zu ihr und legte ihr den Arm um den Hals. „Machen wir doch da
weiter wo wir gestern aufgehört haben…“ Während er sie küsste s
prangen Ruins Gedanken im Kreis. Jeran war viel direkter als sonst,
irgendetwas musste gestern Nacht wohl doch noch passiert sein.
Allerdings konnte sie sich an nichts weiter als an die Party erinnern
und an einige, sehr bunte und süße Getränke durch die sie sich
gekostet hatte.
Verdammt.
Nein sie konnte das nicht. Sie war immer noch verheiratet. Sie konnte
sich jetzt nicht einfach so doch noch in eine Affäre stürzen. Langsam
schob sie Jeran von sich weg und stand auf.
„Ich hab was zu erledigen.“
„Jetzt?“
„Ja, ich muss mich mit Solar treffen. Das Training lasse ich heute ausfallen.“
Damit stand sie auf und verließ das Zimmer. Jeran seufzte. Weg war sie.
Wie immer. Egal was er tat. Und dann wollte sie sich auch noch
ausgerechnet mit diesem Assassinen treffen! Mit einer schnellen
Bewegung fegte er alles das auf dem Nachttisch herumlag zu Boden.
Ruîn schlich sich weitestgehend im Cloaking an ihr altes Gildenhaus
und wartete vor dem Eingang darauf das Jemand herauskam, um
auch ungesehen hineinschlüpfen zu können. Sie wollte nicht unbedingt
mehr Aufmerksamkeit erregen als nötig. Da es schon Mittag war
schienen die meisten Leute entweder im Gemeinschaftsraum oder
beim Training zu sein, denn sie begegnete niemandem. An ihrer alten
Zimmertür angekommen überlegte sie kurz ob sie anklopfen oder
einfach reingehen sollte.
Ruîn seufzte.
Es war nicht mehr ihr Zimmer. Langsam klopfte sie dreimal und
öffnete dann die Tür. Ruîn erstarrte inmitten der Bewegung und blickte
auf Deedee, die in ihrem Bett lag und dann auf Solar der auf einem
Sessel gegenüber saß.
Die nun folgende Stille war beinahe Unerträglich. Die Drei blickten
sich an. Schließlich seufzte Solar und Ruîn fand ihre Stimme wieder.
„Raus.“
Sie blickte auf die Priesterin.
„Aber…“ Deedee zog die Decke an sich und machte keine Anstalten
sich zu erheben.
„Raus!“
Mit einer schnellen Bewegung schleuderte die Assassine einen ihrer
Giftpfeile auf die Priesterin. Dieser krachte nur ein paar Zentimeter
neben ihrem Kopf in das hölzerne Bettende. Mit einem lauten
Kreischen sprang Deedee aus dem Bett und an die Tür. Sofort schob
Ruîn sie auf den Flur hinaus und knallte ihr diese vor der Nase zu.
„Hey! Du kannst nicht…!“ Solar war aufgestanden und wollte an
die Tür aber Ruîn war schneller. Sie schob sich dazwischen und
drängte ihn in an den Sessel zurück.
„Sie wird das schon 2 Minuten lang überstehen. Dann bin ich wieder
weg.“ „Was willst du?“ Solar setzte sich wieder und hatte die Arme
verschränkt.
„Es beenden. Aber wie ich sehe ist das ja wohl nicht mehr nötig.“
Sie trat an den Schrank und nahm noch ein paar ihrer Waffen heraus.
Sie hatte bei ihrem Umzug noch nicht alles mitgenommen. Schnell
hatte sie ihre restlichen Klamotten zusammengerafft.
„Du hast doch damit angefangen.“
„So? Was habe ich denn getan?“
Nachdenklich betrachtete sie ein Katana von dem sie nicht mehr
wusste wem es gehörte.
„Na was wohl, mit diesem Clown geschlafen!“
„Nein hab ich nicht.“ Sie schüttelte den Kopf und reichte ihm das
lange Schwert. „Vielleicht hätte ich es sollen, keine Ahnung,
aber ich habe es nicht. Ist das deines?“ Er blickte flüchtig auf die
Waffe und zuckte mit den Schultern.
„Aber ich habe euch gestern gesehen. Ihr wart da in Comodo und ihr
lebt ja schließlich nun auch zusammen.“
„Halt mich ruhig für Blöd, aber das ich mit dir verheiratet bin, hat mir
wohl doch mehr bedeutet als eine Affäre.“
„Soll das nun alles meine Schuld sein?“ Er wanderte hinter ihr im
Zimmer auf und ab und Ruîn konnte ein Zittern in seiner Stimme
erkennen das ihr gar nicht gefiel. Sie legte das Schwert zurück,
sie brauchte es nicht.
„Nein, nein das ist es nicht.“ Mit zwei schnellen Schritten war sie bei
ihm und zog ihn an sich. „Es ist meine Schuld gewesen. Von Anfang
an habe ich falsch gehandelt.“ Solars Schultern zitterten heftig und
er klammerte sich fest an sie. Ruîn blickte nach oben an die Decke
damit sie nicht auch noch losheulen musste. Der Assassine sagte
irgendwas aber sie konnte nicht alles verstehen. Er hätte sie wohl
niemals in seine Gilde holen sollen dann wäre alles anders verlaufen.
Ruîn nickte zwar, während er sich das wohl mehr selbst, als ihr
erzählte, aber sie wusste doch das auch das nichts gebracht hätte.
Von Anfang an war er immer ihr kleiner Bruder gewesen, anstatt
der Mann an ihrer Seite.
Langsam löste sie ihre Arme von Solar und schob ihn eine
Armeslänge von sich weg. Mit einem leichten Kopfnicken
deutete sie in Richtung der Tür.
„Da draußen steht die Frau die besser zu dir passt als ich. Das weiß
ich seit dem ersten Moment als ich sie gesehen habe.“
Solar seufzte aber sie konnte sehen wie er versuchte sich ein Lächeln
zu verkneifen. „Wieso sagen das bloß immer alle?“
Sie lächelte als sie seine Hand nahm und ihm etwas hineinlegte.
„Dann weißt du ja was du zu tun hast.“ Ruîn trat an die Tür und
öffnete sie während er die Hand aufschlug und den goldenen
Diamantring betrachtete.
„Tu ihm weh und ich komme wieder, verlass dich drauf.“ Zischte sie
der Priesterin ins Ohr und wandte sich an die Treppe, während Deedee
mehr fragend als erschrocken zu Solar ins Zimmer blickte.
Als sie ins Freie hinaustrat musste sie erstmal richtig durchatmen.
Sie fühlte sich gleichzeitig wahnsinnig erleichtert und unheimlich
traurig, und sie hatte das Gefühl sie würde jeden Moment in
Ohnmacht fallen. Langsam machte sie ein Paar Schritte, dann
schwang sie sich den Beutel mit ihren Sachen über die Schulter
und drehte sich um. Ruîn sah nach oben an ihr ehemaliges Fenster.
Es war Deedee die ihr entgegenblickte. Als sich die Assassine
wieder ihrem Weg zuwandte sah sie wie die Priesterin ihr langsam
zum Abschied winkte.
„Das hier, das auch, oh ja das, das brauch ich eh nie…“ Mit den
Fingern schnippend förderte Ruîn ein Item nach dem anderen aus
ihrem Kafralager und übergab es an Isan die hinter ihr stand und
über ihre Schulter spähte.
„Und du bist dir sicher das du das willst?“
„Ja ich möchte mich so schnell wie möglich scheiden lassen.“
Sie standen an der Kafrastation von Payon weil Isan dort seit dem
frühen Morgen mit einem Verkaufsstand voller Bögen
herumgesessen hatte. Sie wollte sich gerade mit Thuris in dem
kleinen Restaurant treffen als Ruîn bei ihr aufgetaucht war, und
sie gebeten hatte einige Items zu verkaufen. Nun sahen sie gemeinsam
alles durch.
„Nah ich weiß, ich mein ja nur, kann das nicht noch warten, du kannst
ja noch etwas sparen. Oder lass dir einfach die Hälfte von Solar
geben.“ „Nein ich will das jetzt erledigen, außerdem hat er damals
die Hochzeit bezahlt.“
Sie seufzte als sie der Whitesmith mehrere Headgears überreichte.
„Scheiden lassen ist aber viel teurer…“ Murmelte Isan während sie
das Geld zückte. „So, den Rest leih´ ich dir bis ich alles verkauft habe.“
„Danke.“ Mit einem breiten Lächeln fiel Ruîn ihr um den Hals.
„Und wehe dir wenn du noch mal so einen Blödsinn machst.“
Die Whitesmith erhob drohend den Finger.
„Ich werde mich hüten.“
Nifflheim, die Stadt der Toten, in welcher auch der Scheidungsteufel
hauste, war nur äußerst schwierig zu erreichen. Entweder man kämpfte
sich durch die endlosen Wurzeln des heiligen Yggdrasilbaumes um
den herum die Waldstadt Umballa errichtet worden war, oder man
stürzte sich an seiner Wasserstelle quasi in den Tod. Ruîn wählte
den Sprung.
Die Stadt war dunkel und düster, die Gebäude aus rohem Stein
und alles was dort wuchs war blattlos und verdorren, aber hatte
trotzdem etwas unheimlich schönes an sich. Überall huschten weiße
Gestalten über die Strassen und die Ketten der größeren Monster
rasselten überall in den kleinen, verwinkelten Gassen. Man musste
sehr gut aufpassen, hier konnte man überall angegriffen werden und
nicht wenige hatten bereits ihre Seelen hier zurückgelassen. Langsam
überquerte die Assassine den Hauptplatz der Stadt, vorbei an einer
längst verstorbenen Kafraangestellten die ihr mit leeren, weißen
Augen zunickte. „Wiir siinnd auch immm Tode füür euch daaa…“
Es dauerte nicht lange bis sie das Haus des Teufels gefunden hatte,
es lag gleich links neben dem großen Platz und dann stand sie ihm
auch schon gegenüber. Es war ein schelmisch kicherndes Deviruchi,
oder was Ruîn eher vermutete, der Geist eines solchen.
Ähnlich wie schon bei ihrer Hochzeit ging es ganz schnell. Sie erklärte
warum sie hier war und das Monster kappte die magischen Bande
der Hochzeitszeremonie, mit denen sie und Solar verbunden waren
und alles wurde schwarz.
Als Ruîn erwachte war sie alleine. Das Deviruchi war nicht zu sehen.
Langsam versuchte sie aufzustehen, gab den Versuch allerdings
gleich wieder auf, als schwarze Punkte vor ihren Augen erschienen.
Sie atmete einige Male tief durch und kramte dann am Boden liegend
einen Butterflywing aus ihrer Tasche. Als ihren zur Zeit festgelegten
Kafrateleportpunkt hatte sie Lighthalzen gewählt, da dort das Ice
WoE startete und sie war froh nicht am Partysammelpunkt von
Prontera zu erscheinen, da sie immer noch nicht auf ihren Füßen
stehen konnte. Aber hier im Norden von Lighthalzen waren kaum
Menschen unterwegs. Hier trafen sich alle im Süden am Platz vor
dem großen Hotel. Sie konnte hier also in Ruhe auf einer der Bänke
an der Stadtmauer sitzen und wieder zu Kräften kommen.
Es war bereits später Abend als Jeran von der Abysslake Party
ins Gildenhaus zurückkehrte. Er war beunruhigt. Seit sie ihn
Gestern verlassen hatte, war Ruîn noch nicht wieder aufgetaucht.
Sie würde doch wohl nicht immer noch bei Solar sein? Er schloss
die Tür mit einem kräftigen Ruck und warf seine Waffen von sich.
Er konnte doch nicht einfach in sein ehemaliges Gildenhaus stürmen
und die Herausgabe einer verheirateten Frau fordern.
Leider.
Langsam ließ er sich auf das Bett fallen und starrte an die
Decke. Ein Schatten vom Fenster wanderte an ihm vorüber
und er hatte keine Ahnung wie lange er schon dalag als es
plötzlich an der Tür klopfte.
„Ich habe das WoE gestern verpasst, es tut mir leid.“ Es war Ruîn.
Sie sah ihn nicht an.
„Ist doch egal. Komm rein.“ Sie nickte während sie an ihm vorbei
ins Zimmer trat und ans Fenster wanderte.
Sie trug die Kette mit dem Ring nicht mehr.
Faihu kicherte als Isan ihm die Bunnyears aufsetzte und sich
selbst ein Piratenbandana samt Augenklappe.
„Hat das auch irgendeinen Grund das wir hier so…
so rum sitzen?“ Hinter ihnen am Tisch saß Thuris und lugte
skeptisch unter einem rosa Ayamhut hervor. „Ja, meinem
kleinen Schatz hier gefällt das nämlich.“ Sie nickte, hob ihren
Sohn hoch und drehte sich mit ihm schnell im Kreis bis Beide
laut lachten. „Und wo hast du das alles her?“ „Ich soll das für
Ruîn verkaufen. Sie brauchte das für ihre Scheidung.“ Isan ließ
Faihu auf den Boden zurück und der Junge rannte zu seinem
Vater um an dem langen Stoffband des Hutes zu ziehen.
„Hmmm, also hat sie sich wohl entschieden?“ „Vielleicht.“
Isan zuckte mit den Schultern. Sie hoffte das ihre Freundin
diesmal die richtige Entscheidung treffen würde.
Von dem Platz vor dem Gildenhaus drangen die üblichen,
spätabendlichen Geräusche nach Oben. Die Nähe zum
Hauptpartyplatz war auch deutlich zu hören. Ruîn blickte durch
ein paar Bäume hindurch nach Unten. Jeran saß hinter ihr auf
dem Bett und überlegte was sie ihm wohl zu sagen hatte.
„Solar und ich haben uns nicht wirklich lange unterhalten.“
Sie seufzte während er schwieg.
„Ich habe schon so viele Fehler gemacht…“
Sie atmete tief ein während sie sich langsam ihre langen Handschuhe
auszog und sie auf den Boden fallen ließ.
„Ich habe keine Ahnung ob das hier auch einer ist, aber…“
Als sie ihren roten Schal ebenfalls abnahm konnte Jeran ihre
Hände sehen.
„… aber ich möchte ihn machen.“
Sie trug den Ring.
Jeran stand auf während sie sich zu ihm umdrehte.
Sie trug seinen Ring!
Er zog sie an sich und küsste sie. „Ich war in Niffl…“
Er nickte während er ihr mit der Hand sanft über das
Gesicht strich. „Der Teufel hat… ich habe…“ Seine Stirn
berührte die ihre und Ruîn sah ihm an das er wusste was
sie meinte.
Das sie nun geschieden war.
Das sie jetzt bereit war, es mit ihm zu versuchen.