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Love Hospital

von

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Beschattung

Anni hielt ihr Versprechen. Sooft es ihr eben möglich war, ging sie an Wills Zimmer vorbei und immer, wenn sie einen glaubwürdigen Grund vorzuweisen hatte ging sie auch hinein. Anni wusste, dass sie nicht die einzige war, die Dr. Anderson auf Will angesetzt hatte. Auch Kelly, Dr. Nyles und Kinley oder Coons – sie alle waren in die Sache eingeweiht und beteiligten sich an der Beschattung. So kam es, dass Will niemals allein in seinem Zimmer war, egal ob seine Schwester ihn besuchen kam oder nicht. Einmal, als Anni mal wieder bei ihm war, um seine Kissen auszu-schütteln, ihm eine neue Flasche Mineralwasser hinzustellen und sein Glas auszu-tauschen, hatte er sie plötzlich am Handgelenk gepackt.

„Weißt du, was ich wirklich komisch finde?“, fragte er und Anni wusste nicht ob sie sich darüber ärgern sollte, dass er sie ohne zu fragen duzte, oder ob sie sich schleunigst davonmachen sollte, weil er womöglich etwas ahnte.

„Ich finde es echt komisch, wie fürsorglich hier alle zu mir sind“, sagte er und ließ ihr Handgelenk los. Er machte einen ziemlich verdutzten Eindruck. Ganz so, als habe ihn diese Erkenntnis gerade erst und völlig unangekündigt ereilt.

„Natürlich kümmern wir uns um Sie. Wir wollen doch, dass Sie gesund werden.“

„Wirklich?“, Will sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. Was war das denn für eine Frage?

„Sicher. Sie sind hier in einem Krankenhaus. Und in einem Krankenhaus gibt es Ärzte, die ihre Patienten gesund pflegen wollen.“

„Hm“, machte Will und starrte an die gegenüberliegende Wand. „Aber kann es nicht auch sein“, sein Blick wanderte langsam an dem Tropf vorbei, der immer noch an seinem Arm hing und blieb schließlich an seinem Wasserglas hängen, „dass es dort auch Ärzte gibt, die genau das nicht wollen?“

Anni blinzelte. Der Mann hatte sie nicht mehr alle, oder...? Sie erstarrte. War es vielleicht wirklich möglich, dass Dr. Anderson oder einer der anderen Ärzte oder Pfleger etwas in Wills Medikamente mischten, um seine Genesung herauszu-zögern? Um so vielleicht mehr Zeit zu gewinnen um den wahren Grund für seinen „Unfall“ herauszufinden? Sie schauderte. Wenn dem tatsächlich so war... Aber, wer sollte so etwas denn getan haben?

„Ist dir nicht gut? Du bist plötzlich so blass um die Nasenspitze.“

Anni riss sich zusammen und sah Will freundlich lächelnd an. Der hatte die Stirn in tiefe Falten gezogen und musterte sie skeptisch.

„Nein, nein. Alles Bestens. Ich habe nur gerade überlegt, dass es bald Zeit wird, Ihre Fäden zu ziehen. Vielleicht kann ich das sogar heute schon machen. Ich werde gleich mal einen Arzt fragen.“ Sie nickte ihm noch einmal freundlich zu und verließ dann schnell den Raum.

Vor Dr. Andersons Zimmer machte sie halt. Sollte sie wirklich klopfen? Was wenn er wieder beschäftigt war? Nun gut, sie hatte ihn beim letzten Mal oben-ohne gesehen; konnte es noch peinlicher werden? Da fiel ihr ein, dass er dieses Mal ja auch unten herum nackt sein konnte, weil er seine Kleider aus irgendeinem Grund mitten im Raum wechselte. Anni wollte eigentlich gar nicht so genau darüber nachdenken. Schon allein die Vorstellung – mehr als peinlich!

Immer noch stand sie unschlüssig vor der Tür. Und während sie noch all ihren Mut zu sammeln versuchte, hob sie langsam die Hand und klopfte. Stille.

Okay, vielleicht war er ja gerade im Bad. Sie klopfte noch einmal. Und nochmal, lauter diesmal. Nichts. Also versuchte sie die Klinke herunterzudrücken. Abgeschlossen. Er war nicht da. Anni ließ Kopf und Schultern sinken. Jetzt hatte sie sich so zusammengerissen und sich getraut zu klopfen und was war!? Er war nicht da! Ärgerlich!

Sie drehte sich um und ihr Blick streifte dabei das Fenster, das auf einen Teil des Gartens hinausging, den sie von ihrem Zimmer aus nicht sehen konnte. Und da unten, eingerahmt von mehreren Büschen und einer alten Eiche, sah sie Dr. Anderson vertieft in eine Unterhaltung mit Dr. Nyles, den Teddy wie immer an seine Seite gedrückt. Da ist er also, dachte Anni und wandte sich um. Sie stand vor den Aufzügen und musste auch nicht lange warten, als sich die Aufzugtür direkt vor ihr öffnete. Im Aufzug stand Dr. Knox.

„Ah, Schwester Anni, richtig? Schön Sie zu sehen. Ich bin nämlich auf dem Weg in die OP und ich wollte eigentlich nach Schwester Marcy suchen lassen, aber wo ich Sie hier treffe...“

Und so fand Anni sich in einem OP-Saal wieder. Es war nicht derselbe, in dem sie zuvor Will operiert hatten, aber dieser sah jenem zum verwechseln ähnlich. Außerdem handelte es sich dieses Mal nicht um einen Notfall, nämlich um eine Blinddarmentfernung, wobei das Organ sich in keinem wirklich bedenklichen Zustand befand. Die besorgten Eltern des Patienten – einem kleinen, blonden Jungen namens Jerry – hatten die Operation aber sehr wohl für notwendig gehalten und so lag der Junge nun auf dem Behandlungstisch und versank in einem Narkosetraum. Ungewöhnlich an dem Jungen war allerdings, dass er die ganze Zeit über lächelte. Dieses Lächeln verschwand auch nicht von seinen Lippen, als Dr. Knox das Messer an seinem Bauch ansetzte und auch nicht, als sein Blinddarm in einer kleinen Blechschale landete. Wahrscheinlich, so dachte Anni, hatte er sich dieses Lächeln von dem Krankenhauspersonal abgeschaut. Als Neu-ankömmling hatte sie dieses Lächeln ganz schön irritiert, aber mit der Zeit gewöhnte man sich daran.

Anni behielt während der ganzen Prozedur das EKG im Auge und überprüfte in regelmäßigen Abständen Puls und Körpertemperatur. Jerrys Zustand blieb durchgehend stabil, worüber Anni sehr erleichtert war. Dr. Knox redete unter-dessen über alles Mögliche und fragte sie mindestens fünf Mal, warum sie nicht Ärztin geworden war, anstatt bloß Krankenschwester. Anni ließ sich Zeit mit ihrer Antwort, sodass für eine Weile nur das Piepen des EKG und das Klappern der Geräte zu hören war – und das war eine weitere Besonderheit dieses Kranken-hauses: Im OP wurde niemals Musik gehört und es waren für gewöhnlich nicht mehr als drei Personen an einer Operation beteiligt, solange es sich nicht um einen besonders kritischen Notfall handelte, bei dem der Rat mehrerer Ärzte benötigt wurde. Heute waren sie deshalb nur zu zweit im OP und so gab es nichts und niemanden, der sie stören oder ablenken konnte.

„Ich weiß nicht. Der Beruf Arzt hat mich eigentlich schon als Kind sehr ange-sprochen, aber nach dem Abitur hat mein Schnitt so nicht ausgereicht um Medizin zu studieren. Zuerst habe ich mich dann für ein soziales Jahr entschieden und so bin ich eben im Krankenhaus gelandet, wo ich ja ohnehin später hinwollte. Und dann hat mir das Dasein als Schwester so gut gefallen, dass ich gar nicht mehr daran gedacht habe Ärztin zu werden... Studiert habe ich dann später trotzdem.“

„Aha“, machte Dr. Knox und schwenkte sein Skalpell im sauberen Wasser. „Und was haben Sie stattdessen studiert, wenn ich fragen darf?“

Da entdeckte Anni draußen zwei bekannte Gesichter, die sie beinahe vergessen ließen, dass man ihr gerade eine Frage gestellt hatte. Der Raum, in dem die OP stattfand, unterschied sich nur durch eine Kleinigkeit zu dem auf der Notfall-station und die bestand in einem einzigen großen Fenster in der Wand, die der Eingangstür gegenüberlag. Anni sah Kelly und Dr. Nyles im Gang erscheinen. Halb verdeckt von der Familie des Jungen, die die OP beobachtete, so als wollte sie sicher stellen, dass Dr. Knox auch alles richtig machte.

Ihre Antwort: „Lyrik“, ging beinahe in einem erschrockenen Luftholen unter, als sie sah, wie Kelly sich zuerst an Dr. Nyles Brust schmiegte, der sich kurz darauf zu ihr hinabbeugte und sie küsste. Mitten auf den Mund.

„Aha. Sehr schön. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich ein paar Ihrer lyrischen Ausbrüche zu lesen bekäme. Reichen Sie mir bitte den Tupfer.“

Wie in Trance streckte Anni die Hand aus und gab Dr. Knox den Tupfer.

Noch immer konnte sie die Augen nicht von den beiden Turteltauben abwenden. Was war da los? Ging Kelly etwa fremd? Und das ausgerechnet mit Dr. Nyles, den Anni keine halbe Stunde zuvor mit Dr. Anderson hatte sprechen sehen?

Fast hätte sie den Tupfer fallen gelassen, aber zum Glück nahm Dr. Knox ihn ihr rechtzeitig aus der Hand ohne eine Veränderung in ihrem Verhalten zu bemerken.

„So“, sagte er. „Das hätten wir.“

Auch, nachdem die OP längst vorbei und die Liege mit dem Jungen von Kinley und Coons abtransportiert worden war, bekam Anni das Bild der beiden einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wusste Dr. Anderson davon? Und war das der Grund für ihre schwierige Beziehung? Oder flüchtete Kelly sich bloß aus Frustration in Dr. Nyles Arme? Anni sortierte die sauberen Werkzeuge zurück in ihre Schubladen.

Sie war sich absolut nicht sicher, was sie glauben sollte. Aber eine Sache war klar: In diesem Krankenhaus ging mehr vor, als sie ermessen konnte.



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