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Die große Leere

von

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Von Schlangen und Säuen

XXVI. Von Schlangen und Säuen
 

Nathalie Peterson betrachtete lächelnd ihren kleinen Enkelsohn, der voller Begeisterung mit dem neu erworbenen Legoset spielte. Er türmte euphorisch bunte Steinchen aufeinander und präsentierte sie ihr voller Stolz.
 

„Schau mal, Oma, das hat mir Molly gezeigt! Ein Specht!“
 

Nathalie drehte die Figur andachtsvoll in ihren Fingern. „Das hast du ganz toll gemacht, Gus! Hast du dir das selber ausgedacht?“
 

„Die Farben hab‘ ich mir ausgedacht. Den Rest hat mir Molly gezeigt!“
 

„Molly? Ist das deine Freundin?“
 

„Ja“, nickte Gus bestätigend.
 

„Aus dem Kindergarten?“
 

„Nein, Molly ist schon groß. Sie geht schon zur Schule.“
 

„Oh, deine Babysitterin in Kanada?“
 

„Nö, Justins Schwester.“
 

Nathalie fühlte sich wie mit kaltem Wasser begossen. Für Stunden hatte sie Gus soweit beschäftigt gehalten, dass er seine neuen Lebensbedingungen, so gut es ging, vergessen konnte. Und sie auch. Sie schwieg, unsicher, was sie sagen wollte. Einerseits wollte sie diesen beiden perversen Mistkerlen – dem Samenspender und seinem minderjährigen Liebhaber – an die Gurgel gehen, die ihr ihren Enkel entzogen. Andererseits warnte sie eine innere Stimme, Gus unnötig zu verunsichern. Der Verlust seiner Mutter und ihrer Partnerin hatte ihn tief verunsichert, obwohl er sich inzwischen ein wenig gefangen zu haben schien. Ihre Tochter, ihr Baby… Sie hatte keine Tränen mehr. Aber Gus war ihr geblieben, und er sollte das beste Leben haben, das sie ihm nur irgend schenken konnte… Aber da war dieser Vater aufgetaucht und sein… Gefährte. Nathalie musterte Gus nachdenklich. Er hatte Lindsays helle Haut, die geschwungenen Augenbrauen – aber ansonsten sah er seinem leiblichen Vater wie aus dem Gesichte geschnitten aus. Mit seinem Aussehen hatte sie nie jemanden außer Lindsay in Verbindung gebracht. Da gab es Melanie und diese ferne Gestalt, die seinen Samen für Gus gegeben hatte. Und plötzlich war sie wie aus dem Nichts aufgetaucht. Nein, das stimmte nicht, Gus hatte immer wieder mit leuchtenden Augen von seinem Papa geredet. Auch Justin hatte er immer wieder erwähnt. Aber sie waren irreal geblieben, Figuren aus Erzählungen.
 

Nathalie schluckte und spürte kurz ein schlechtes Gewissen dann sagte sie: „Erzähl mir von Papa und Justin.“
 

Gus sah sieaufmerksam an und legte die Steine bei Seite. Er trat auf sie zu und schlang seine Arme um sie: „Ich hab dich lieb Oma, und Opa auch!“
 

„Ich weiß Gus, wir haben dich auch sehr lieb.“
 

„Aber ich muss bei Papa und Justin bleiben.“
 

„Und warum musst du das?“ fragte Nathalie aufmerksam, den Kloss in ihrer Kehle runterschluckend.
 

„Weil er mein Papa ist. Und Justin auch.“
 

„Justin ist dein Papa?“ fragte sie etwas fassungslos.
 

„Ja, jetzt schon. Justin war immer da. Noch mehr als Papa, als ich noch bei Mama und Mama und Jenny gewohnt habe. Er hat mir meinen Namen gegeben. Ich habe Justin lieb. Und ich habe Papa lieb. Er braucht mich. Mehr als ihr.“
 

Nathalie starrte den kleinen Jungen an. Etwas in ihrem Inneren begann sich zu formen. Bei dem ganzen Hin und Her hatten sie etwas vergessen. Was Gus wollte. Oh mein Gott.
 

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Um Schlag acht Uhr abends klingelte es an der Tür. Nathalie öffnete. Der junge blonde Mann, Justin Taylor, stand im Licht der Torlampe. Er lächelte sie höflich an.
 

Gus kam von hinten angerannt, sprang auf den Blonden zu und umklammerte ihn. Der Erwachsene hielt ihn fest, hob ihn hoch und küsste ihn zärtlich auf den Scheitel. Gus hielt ihm seine Legofigur unter die Nase, die er aufmerksam betrachtete: „Die ist toll, Gus, viel besser als Mollys!“
 

Das Kind strahlte. Nathalie schaute die Szene etwas befremdet an. Gus liebte diesen Jungen. Trotzdem stieß es ihr bitter aus, dass das Gus Erziehungsberechtigter sein sollte. Er war doch fast selbst noch ein Kind. Abgesehen von den Abartigkeiten, die er vermutlich mit Gus‘ Erzeuger trieb.
 

Über Gus Rücken trafen sich ihre Augen. Nathalie sah in zwei feste, intelligente, Selbstbewusstsein ausstrahlende blaue Tiefen. Das war kein Junge. Das war ein Mann, trotz der verspielten goldenen Frisur, der Stupsnase und der feinen Züge, die sie ein wenig an Lindsays erinnerten. Wie war das gewesen? Er war ein Künstler. Lindsay hatte ihm geholfen, Fuß zu fassen. Er musste gut sein, die Galerie ihrer Tochter hatte nichts Zweitklassiges ausgestellt. Man sollte ihn wohl nicht auf die leichte Schulter nehmen.
 

„Sag deinen Großeltern Tschüss“, wies er Gus leise an, „Papa wartet im Wagen.“
 

Gus flitzte los, kehrte aber so schnell es ging in Justins Arme zurück. Justin trug den Kleinen, der sich erschöpft an ihn lehnte, und sagte: „Gute Nacht, Mrs. Peterson.“
 

Nathalie sah ihnen nachdenklich nach. Der junge Künstler passte ihr nicht. Gus Vater passte ihr nicht.
 

Aber was war mit Gus?
 

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Gus war fast sofort in seinem Bett in tiefen Schlummer gefallen.
 

Brian und Justin saßen auf der Couch, Justins Kopf in Brians Schoß. Brian ließ die Fingerspitzen um Justins Schläfen kreisen, der ihn mit leisen wohligen Seufzern belohnte.
 

„In zwei Wochen ist Gus‘ Geburtstag“, sagte Justin leise.
 

„Ich weiß“, antwortete Brian nur.
 

Sechs Jahre.
 

„Was schenken wir ihm?“ fragte Brian.
 

„Er hat bereits jedes Spielzeug, in dessen Richtung er nur geschielt hat, du unpädagogischer Prasser.“
 

„Irgendwelche Vorschläge?“
 

„Du weißt, was er sich wünscht.“
 

„Nein. Nein, nein, nein, nein, nein!“
 

„Warum nicht? Wolltest du keines, als du klein warst?“
 

Brian dachte nach. „Doch, ich habe mir einen Hund gewünscht. Aber meine Mutter sagte, Tiere machen zu viel Dreck und kosten sinnloses Geld und Zeit.“
 

„Und willst du dasselbe zu Gus sagen?“
 

Brian schluckte: „Nein. Aber Meerschweinchen? Warum nicht ein… Killeralligator? Ein Puma? Ein Wolf? Aber Meerschweinchen?“
 

„Sind deutlich pflegeleichter. Ich hatte mal eins als Kind. Mr. George.“
 

„Oh Gott, noch so ein Pelzfrettchenfetischist!“
 

„Meerschweinchen sind keine Frettchen!“
 

„Pedant! Ich kann mir kaum ein Tier vorstellen, das ich abtörnender finde als ein Meerschweinchen!““
 

„Pudel?“
 

„Naja, vielleicht. Aber tut’s nicht auch ein Kinder-Ferrari?“
 

„Was soll Gus damit? Er hat bisher nicht einen Hauch von Interesse an Autos gezeigt. So traurig es auch sein mag für dich: Gus wünscht sich ein Haustier. Und zwar Meerschweinchen. Wenn du ihm also ernsthaft eine Freude machen willst…“
 

„Erpressung!“
 

„Naja, wir können’s auch bis zu seiner Einschulung verschieben. Aber ich habe wenig Hoffnung, dass er locker lassen wird.“
 

„Und wozu ist so ein Vieh gut?“
 

„Gus lernt Verantwortung für ein anderes Lebewesen zu übernehmen. So hatte Linds das doch formuliert?“
 

„Bah… wie soll da ein skrupelloser Ellbogen-Kapitalist aus ihm werden?“
 

„Wie du? Vergiss es! Außerdem warst du das nie wirklich.“

„Bring mein Weltbild nicht zum wanken… Mr. Super-Pädagoge.“
 

„Man tut, was man kann.“
 

Brian seufzte schicksalsergeben. „Und wer füttert die Pelzfussel und schrubbt ihren Käfig? Gus kann das nicht alleine.“
 

„Nein, das soll er ja auch mit ihnen lernen. Da werden wir wohl unterstützend zur Hand gehen müssen. Hätte also keinen Sinn, es einer Putzfrau zu übertragen.“
 

„Kotzwürgspei. Früher erschien es mir irgendwie attraktiver, mir eine Sau ins Heim zu holen…“
 

„Tja, diese Säue haben immerhin keine Sackratten.“
 

„Behauptest du!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  brandzess
2011-08-16T20:34:54+00:00 16.08.2011 22:34
aber sie hat ja irgendwie recht (und ich hasse es das zugeben zu müssen >.<) keiner hat Gus je gefragt bei wen er sein will.....*denk*
Von:  chaos-kao
2011-08-10T22:54:58+00:00 11.08.2011 00:54
xDDD Gus ist einfach nur super! Er bringt sogar seine sture Oma zum Nachdenken xD Also bisher machst du deine Sache echt gut, die Geschichte weiter zu führen.
Ich will mehr davon - bald! *__*


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