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Belladonna

von

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Ein Strauß bordeauxfarbener Rosen lag auf dem Rücksitz, die Blütenblätter wie Blutstropfen auf dem Polster versprenkelt. Dort lag er, vergessen, seiner Geste beraubt. Sie wusste, dass er keine Bedeutung hatte und keine erlangen würde, so sehr sie es sich auch einreden würde. Also ignorierte sie die Blumen und verscharrte im Geiste die Romantik, die sie zuvor nie wollte und die sie in diesen Zeiten so sehr brauchte.

Sie fühlte sich furchtbar alt und zerbrechlich, als ob jeder Teil von ihr nur durch rissige Fäden zusammengehalten werden würde, wie eine verstaubte Stoffpuppe die man vergessen hatte.

„Lass uns weggehen. Du und ich.“, sagte er neben ihr am Steuer, ohne sich zu ihr zu wenden.

Auch sie hielt den Blick starr gen Horizont, wo die Sonne zögerlich aufzugehen beabsichtigte und der Leib der vorigen Nacht von ihrem Licht entflammt wurde. Doch noch glühte er nur.

„Sag was.“, erklang es dumpf neben ihr.

„Was willst du hören?“

„Ein ‚Ja’“.

„Und wenn ich es dir nicht geben kann?“

„Dann sag nichts.“

Sie schwiegen wieder. Seine Worte schwebten zwischen ihnen, hallten in ihrem Kopf und hinerließen den unangenehmen Nachgeschmack von Erpressung, einer Drohung.

„Wenn du jedoch gehen willst…“, begann er leise, „dann kannst du natürlich. Ich werde dich zu nichts zwingen, das habe ich noch nie getan und werde ich nie tun.“

„Ja, ich weiß.“

Sie wand den Kopf leicht zur Linken und aus den Augenwinkeln fing eine Narbe an seiner rechten Hand ihren Blick. Sie war lang und verblasst, was ihr verdeutlichte dass sie schon alt sein musste. Aber sie hatte sie noch nie zuvor bemerkt. All die Jahre lang war sie da gewesen und erst jetzt hatte sie sie gesehen. Es weckte ein unangenehmes Gefühl in ihr. Welche Narben hatte sie sonst noch übersehen? An seinem Körper, an seiner Seele? Wäre sie aufmerksamer gewesen, hätte er dann vielleicht nie…?

Sie senkte den Blick. Sie war die Sorte Frau geworden, die sie früher gebrandmarkt hatte: Eine Frau, die nicht erkannte, dass der Mann, den sie liebte, vor ihren Augen verschwand und ein anderer an seine Stelle trat. Eine Frau, die einen Fremden in ihr Bett ließ. Völlig blind vor Liebe und Ignoranz, voll von Naivität und Gleichgültigkeit.

Er war nicht mehr der Mann von damals, dem sie ihre Seele in die Hände gegeben hatte, für den sie sich den Brustkorb aufgerissen hatte um ihn anstelle ihres Herzen in sich aufzunehmen. Dieser Mann, dessen Leichtigkeit, dessen Sarkasmus und dessen sich windendes Wesen sie mit jeder Facette seines Seins geliebt hatte, ob an den Tagen, an denen er sie in den Armen hielt und mit ihr lachend durch den Raum tanzte oder an den Tagen, an denen er vor Zorn und Ungläubigkeit allem gegenüber schrie und tobte und weinte, dieser Mann war in sich zusammengefallen und leise gestorben. Und an seine Stelle war dieser Fremde getreten, ein verbitterter Mann, dessen Welt erstarrt und dessen Innerstes sich ihr völlig verschlossen hatte. Dieser Unbekannte, dessen Augen sie einst flehend angesehen hatten, voller Schmerz und der Bereitschaft, für sie zu töten, selbst zu sterben.

Sie wusste nicht, ob er sie noch liebte. Sie selbst hatte aufgehört, ihn zu lieben. Ein Teil von ihr hoffte, dass nicht nur ihr eigenes sondern auch sein Herz hart und lieblos geworden war wie ein Stein. Es würde den Bruch nur erleichtern, wenn er je kommen sollte.

Doch noch wollte sie ihn nicht aufgeben wie die anderen, selbst wenn sie in einsamen Nächten stets daran dachte einfach fortzugehen von ihm und seinem lähmenden Hass, der sie zu ersticken drohte.

Einmal hatte sie ihn nach dem ‚warum’ gefragt. Nicht nach dem ‚was’ oder dem ‚wann’, denn sie wusste ja, was es war und wann es geschehen war. Sie war immerhin dabei gewesen. Nur begriff sie nicht, wie es ihn so sehr verändern konnte. Er hatte sie damals lange angesehen und ihr gesagt, dass er ihre Frage nicht verstünde. Also ließ sie dieses Thema ruhen, selbst wenn es ihr irgendwo wehtat.

Dann machte es ihr irgendwann nichts mehr aus; unabsichtlich, ahnungslos hatte er sie gebrochen und die Wunde war verheilt ohne dass er auch nur etwas gemerkt hatte. Oder vielleicht hatte er es doch gemerkt, sie wusste nicht, was es war. Er war nie ignorant oder unaufmerksam gewesen, aber er war auch nie apathisch. Was also war es…?

Sie zerbrach sich darüber nicht weiter den Kopf.

Warum auch, es würde nichts bringen. Sie war kein Sensibelchen, kein schwaches Ding, was nach jedem Schlag zu heulen begann und sich einkugelte, was jedes Wort dreimal umdrehte um nach einer gemeinen Andeutung zu suchen. Nein, sie war eine Kämpferin. Wenn sie weinte, dann nur aus Erschöpfung. Wenn sie schwieg, dann nur weil sie nichts zu sagen hatte. Nie, weil sie verletzt oder beleidigt war.

Und so hatte sie im Stillen ihre Tränen geweint, denn sie war müde davon gegen seine Apathie anzukämpfen, gegen die anderen, die ihr Dinge sagten, die sie bereits wusste und gegen sich selbst, gegen ihre eigene Dummheit und gegen die Stimme in ihrem Kopf, die ihr sagte, sie solle aufhören und die verlorene Schlacht anerkennen. Sie würde es nicht als Hoffnung bezeichnen, denn einfältig war sie nicht. Es war vielmehr die Weigerung, die Dinge so anzuerkennen wie sie geworden waren.

Ein unverbesserlicher Dickschädel, hatte er sie genannt und ihr dafür gedankt, denn sie hatte die Stärke, die er nicht hatte.

Sie war immer stärker gewesen als er, wütend auf die Welt, starrsinnig und aggressiv. Bereit für das zu kämpfen, was ihr wichtig war. Er, voll von Mitleid für die Welt und idealistischen Träumen. Ein hingebungsvoller, emotionaler Mann. Ein Mann, der sie davon abhielt, in Rage zu ergehen und Dinge zu tun, die sie bereuen würde. Ein Mann, dessen Seele sie mit ihrer eigenen Verbitterung vergiftet hatte...

Es war eine gefährliche Kombination, wie es sich herausgestellt hatte. Die anderen hatten sie vor dem Ende gewarnt noch bevor es überhaupt einen Anfang gegeben hatte: er war der Zündstoff, sie war der Funke. Zusammen entfachten sie ein Feuer, dessen Glut zu einem Großbrand geworden war und der alles verschlang, bis am Ende nur noch die erkaltende Asche geblieben war, umringt von der Zerstörung, die sie angerichtet hatten. Und nun waren sie an diesem Punkt angekommen, an dem es für alles zu spät war.

„Können wir kurz anhalten?“ , fragte sie leise.

Wortlos hielt er den Wagen am Straßenrand. Sie stieg aus und stapfte langsam durch das Unterholz Richtung Küste. Der Wind blies ihr salzige Luft ins Gesicht und Übelkeit stieg in ihr auf. An einem Baum lehnend übergab sie sich dann. Es fühlte sich an, als würde sie ihre Eingeweide auswürgen und selbst als ihr Magen geleert war und sie nur noch ausspucken konnte hatte sie immer noch das Gefühl, einen Brocken Teer im Innersten zu haben.

Wie leicht es doch damals war, dachte sie.

Wie schön, wie wohltuend waren die Zeiten, in denen er sie wortlos halten würde, wenn sie nicht mehr konnte. Nun rührte er sie nicht mehr an, küsste sie nicht mehr und schlief nicht mehr im selben Bett. Wenn sie ihn darum bat nahm er sie in den Arm, blieb in der Nacht bei ihr… doch er war leblos, mechanisch. Als ob es ihm unangenehm wäre, sie auch nur anzusehen. Irgendwann dann hatte sie aufgehört, ihn darum zu bitten. Er hatte nicht nach dem Grund gefragt.

Minuten vergingen bis sie zum Wagen zurückkehrte. Er war nicht ausgestiegen, hatte sich nicht einmal gerührt. Sie öffnete die Tür, setzte sich hinein und nahm aus der Seitenlade die halbleere Flasche. Ein, zwei Schlücke Wasser, mit denen sie sich den Mund ausspülte und die sie aus der offenen Tür aufs Gras spuckte. Sie begann, sich die Jacke auszuziehen.

„Nicht.“, sagte er ausdruckslos.

„Was meinst du?“

„Zieh dich nicht aus. Es ist kühl, du kannst dich erkälten.“

Sie sah ihn eindringlich an, suchte in seinen Zügen nach einer Regung. Aber er blickte auf die Straße, das Gesicht nichts sagend.

Sie streifte sich die Jacke wieder über.

„In Ordnung. Danke.“

Er schwieg und startete den Motor.

Sie fuhren eine Weile, die ersten Sonnenstrahlen fluteten den regennassen Asphalt und blendeten sie im Inneren des Wagens.

Ihre Hände legten sich wie von selbst über ihren Bauch. Das Leben ruhte dort in seliger Unwissenheit in der dunklen Höhle ihres Leibes, noch zu jung um von Unwissenden bemerkt zu werden und doch alt genug dass sie es spüren konnte, dieses winzige Herz welches inmitten all der Asche wuchs.

Er wusste es nicht und sie hatte nicht vor, es ihm zu sagen.

Sie sah ihn an, sah sein erleuchtetes Profil.

„Willst du denn, dass ich gehe?“, fragte sie und die Frage verunsicherte sie selbst.

Er war still und als er ihr schließlich antwortete klang seine Stimme heiser.

„Nein. Nie.“

„Dann bleibe ich bei dir.“

Sie wollte nicht wissen, was die Zukunft für sie bringen würde. Aber sie würde ihr ebenso wenig entkommen können wie die Nacht dem Morgen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-07-11T18:08:12+00:00 11.07.2011 20:08
Ein wundervoller Stil und sehr schöne Metaphern und Vergleiche, die alles sehr realistisch und gut ´nachvollziehbar machen. Ich mag auch die geheimnisvolle Atmosphäre, die geschaffen wird, wenn keine NAmen erwähnt werden. Manche Formulierungen fallen allerdings aus dem Stil.
Vielen Dank für diesen Beitrag
Chiyo


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