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Als er vom Himmel fiel

von

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Dunkle Zeiten

Dunkle Zeiten
 

Leere. Jegliche Zeit floss gleichzeitig dahin und doch zog sie sich zäh wie Teer durch den Raum. Wie das Blut auf dem hellen Boden.

Alles schien kalt und still. Kein Ton. Sie starrte auf das Blut an seinem Arm. Eine klaffende Wunde. Tief genug, dass das Weiß des Knochens durch die Haut brach. Strahlend im Vergleich zum dicken, schweren, dunklen Blut. So kontrastierend matt zu seinen Augen. Als ihre Augen seine fixierten, verschwand bereits das glitzernde Strahlen aus ihnen. Sie wirkten besorgt.

Rya wurde schlecht. Der metalerne Geruch stach ihr unerbittlich in die Nase, als sie ihn endlich wahrnahm. Sie schlug sich die Hand vor den Mund. Ihr Magen verkrampfte sich durch die aufwallende Säure, aber Rya unterdrückte den Impuls, der ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.

„Rya“ Sie schrak auf. Der eiskalte Arm schlang sich um ihre Schultern. Der Schmerz brannte und trieb ihr die Tränen in die Augen. Doch der Schmerz in ihr, war noch größer.

„Keine Sorge. Mir geht es gut“, flüsterte seine sanfte Stimme in ihr Ohr. Erst jetzt bemerkte sie ihr Zittern, die Gänsehaut auf ihren Armen vor Angst.

Rya beruhigte sich etwas.

„Aber…“, murmelte sie betrübt. Sie schob Aiden sanft von sich. Ihr Blick fiel wieder auf seinen Arm. Sie zuckte, als seine kalte Hand ihre Wange berührte, aber der Schmerz war erträglicher, nicht erfrierender als sonst.

„Mach dir keine Gedanken. Es tut kaum weh und wird schnell heilen…“, versuchte er sie zu beruhigen. Rya jedoch wollte es ihm nicht recht glauben. Sie zog seine Hand von ihrer Wange und stand auf.

„Ich werde etwas zum Verarzten holen“, erwiderte sie matt und verließ das Zimmer. Aiden sah ihr nach, aber schon als sie außer Sicht war, blickte er zu seiner Hand. Nachdenklich sah er sie an.

„Warm… aber nicht… heiß…“

Als Rya in das Zimmer trat, hörte sie ein so lautes Knacken, dass es sie zusammen fahren ließ. Als sie zu Aiden sah, hob er bereits seine Hand von der Wunde, aus der nun kein Knochen mehr ragte. Rya hielt sich kurz die Hand vor den Mund und schluckte heftig. Der Säuregeschmack blieb ihr aber im Mund hängen.

„Musste das sein“, sagte sie angewidert und ließ ihre Hand wieder sinken.

„Ich hab doch gesagt, du brauchst dir keine Sorgen zu machen“, erwiderte Aiden ohne sie anzusehen. Den ausdruckslosen Blick am Boden haftend. „Meine Wunden heilen schneller als die eines Menschen. Wenn auch nicht mehr ganz so schnell, wie früher.“ Er sah sie an.

Sie seufzte kurz und kniete sich einen Augenblick später neben ihn. Sie legte die Bandagen beiseite. Das Blut auf seiner Wunde war frisch und es lief in kleinen Rinnsalen den Arm entlang. Vereinzelt tropfte es zu Boden. Rya spürte wie ihr Magen eine weitere Runde drehte, aber sie griff nach dem feuchten Handtuch, das in einer Schüssel mit heißem Wasser lag, und tupfte die Wunde vom Blut frei. Anschließend griff sie nach dem Wattebausch, der neben ihr auf einem Tablett lag. Rasch öffnete sie eine kleine braune Flasche. Der stechende Geruch des Desinfektionsmittels war fast noch stärker, als der des Blutes auf dem Holzboden. Sie tränkte die Watte mit dem Desinfektionsmittel und tupfte über die Wunde. Aiden zuckte kaum merklich.

„Entschuldige“, murmelte sie. Aiden schüttelte den Kopf.

„Ich habe mich zu entschuldigen.“ Rya sah auf. „Dein Holzboden…“, wies er mit seinem Kopf neben seine Hüfte. Rya schüttelte ihren.

„Kein Ding.“ Sie wand sich der Wunde mit gleichgültigem Blick zu. In ihrem Kopf kreiste, was gerade geschehen war, aber sie konnte es nicht verarbeiten. Es kam ihr so surreal vor.

„Warum… warum hat dich der Typ mit den Narben angegriffen?“, fragte sie, als sie den Wattebausch beiseitelegte und nach einer Kompresse griff. Sie riss die Verpackung auf und zog vorsichtig den schimmernden Stoff hervor.

„Er… hat Schuld an meiner Verbannung…“, erwiderte Aiden, als Rya die Kompresse auf seine Wunde legte. Sie sah verwundert auf. „Gewissermaßen…“

„Wie-?“ Aiden aber schüttelte den Kopf resigniert.

„Es ist eine lange Geschichte.“

„Und eigentlich sollte er tot sein?“, fragte sie und drückte zu fest auf die Wunde. Aiden zuckte erneut zusammen. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm.

„Entschuldige!“, rief Rya erschrocken auf. Hastig griff sie nach der Bandage und wickelte sie aus der Plastikverpackung aus. Sie legte den Stoff vorsichtig an. Nach einigen stillen Momenten klebte sie das Ende mit Pflasterstrip fest. Sie wühlte das Verbandszeug zusammen und richtete sich bereits wieder auf, als Aiden sie am Arm festhielt. Kühle Kälte, nicht beißend. Dennoch zuckte Rya zusammen. Er zog ihren Arm zu sich und drehte ihn. Ein langer, glatter Strich fuhr ihren Unterarm hinauf.

„Was ist mit dir?“, fragte er. Seine Augen sahen sie durchdringend an. Rya konnte seinem Blick nicht erwidern. Sie wich aus.

„Ich bin okay“, antwortete sie. „Ich dachte, der Typ würde mich umbringen, als er mir mit… mit seinem Nagel die Haut aufschlitzte! Aber es tut nicht mehr weh.“ Rya hätte schockiert klingen wollen, doch stieg ihr die Röte ins Gesicht. Die Wunde blutete schon lange nicht mehr. Sie riss ihren Arm von Aiden los und brachte das Verbandszeug zurück ins Bad.

Als sie die Schranktür zuklappte, stand Aiden bereits neben ihr.

„Ich hätte nicht erwartet, dass du so hart im Nehmen bist“, sagte er.

Rya lachte skeptisch auf.

„Das ist nur der Tatsache geschuldet, dass einfach alles, was passiert ist, noch nicht in meinem Kopf angekommen ist“, erwiderte sie und wand sich ihm zu. „Willst du mir jetzt erzählen, was es mit diesem Typ auf sich hat?“

„Vielleicht wollen wir vorher den Boden sauber machen?“, entgegnete er mit einer Frage. Rya sah ihm einen Moment in die Augen, aber holte schon einen Eimer unter dem Waschbecken hervor und füllte ihn mit heißem Wasser.
 

„Dieser verfluchte Engel!“, schimpfte Jin.

Er schob sich in eine enge, nasse Seitengasse, in der es nach vermoderten Müll und halbverwesten Ratten stank. Blut floss aus einer Wunde an seinem Bauch, die er mühevoll mit der Hand zudrückte. Erschöpft warf er sich gegen die kalte Steinwand und sank zu Boden.

„So ein verdammter Mist“, grummelte der Schwarzhaarige und betrachtete seinen mit blutverschmiertem Arm. Er keuchte heftig auf, als er den zerrissenen Stoff von der Wunde hob.

„Toll! Jetzt lass ich michschon wieder von Engeln halb töten! Dieser verdammte Aiden!“, schrie er wütend auf.

„Beruhige dich, Jin. So schlimm sieht es doch gar nicht aus“, säuselte eine weibliche Stimme belustigt. Als Jin aufsah, erblickte er das lächelnde Gesicht einer jungen Frau über sich.

„Fyena, was willst du hier?“, knurrte der Schwarzhaarige.

Das jüngere Mädchen kicherte.

„Mutter hat mich geschickt, um Joah aufzusuchen. Aber ich wollte lieber sehen, wie es zwischen dir und dem Prinzesschen ausgegangen ist. Obwohl ich nicht gedacht hätte, das ihre Kräfte schon so ausgeprägt sind, dich zu verletzen, Bruderherz“, erwiderte sie und sprang von der Mülltonne neben Jin, auf der sie saß. Sie beugte sich über ihren Bruder, der halb auf dem Boden lag, und zog seinen Arm beiseite. „Das sieht ja sehr schön aus. Und dein Blut riecht so wild!“

Sie verzog ihr Gesicht wie im Rauschwahn und legte sich begierig seufzend auf ihren Bruder. Jin zuckte kaum merklich zusammen.

„Fyena! Das ist nicht gerade angenehm“, brummte er sie an und sein Gesicht zeichnete die Wut in seinem Körper noch stärker als den Schmerz.

„Soll ich dich heilen?“, fragte sie ihn und strich ihm mit einer Hand über seine vernarbte Wange. Sie hob ihre Hüfte und näherte ihre Lippen den Seinen.

„Mach schon!“, fauchte er sie an und sie biss auf ihre Lippe bis Blut herausrann. Dann legte sie sanft ihre Lippen auf seine. Kaum schmeckte er das Blut, vergriff er sich mit seiner freien Hand in ihren langen, schwarzen Haaren und zog sie näher. Erregung durchfuhr ihren Körper und sie intensivierte den Kuss. Erst als sich ihre Brust vor Schmerz zusammenzog, löste sie keuchend ihre Lippen von ihm. Sie sah tief in die dunklen Augen ihre Bruders.

„Besser, Brüderchen?“, fragte sie. Ein Lächeln umspielte ihre geröteten Lippen.

„Tse!“, erwiderte Jin und versuchte sich aufzurichten. Fyena wich zurück und nahm Platz im Schoß seiner gestreckten Beine, als er sich aufrecht gegen die Wand lehnte. Sie legte ihre Hände auf seine Hüfte und sah ihn verführerisch an. Jin zog das Blut verschmierte, zerrisse dunkle Shirt aus und strich das halb trockene Blut von seinem Bauch. Diesen zierte nur noch eine leicht rosafarbene Narbe.

Fyena strich verspielt mit einem ihrer Finger über seine Brust.

„Ich habe schon fast vergessen, wie sexy du doch bist, Bruderherz“, sagte sie verschmitzt.

„Und ich habe vergessen, dass dein Blut Heilkräfte hat, weil du einen Engel ausgesaugt hast“, erwiderte er scharf und stoppte ihre Hand mit einem festen Griff. Fyena sah ihn empört an und riss ihre Hand los.

„Sag es nicht so! Ich habe ihn nicht ‚ausgesaugt‘. Ich bin doch keines von diesen transsilvanischen, flatternden Hirngespinsten! Er lag auf einem Opfertisch, ist ausgelaufen und ich habe mich einfach bedient. Schließlich bekommt man nicht alle Tage frisches Engelsblut“, entgegnete sie gekränkt und verschränkte die Arme. „Aber ein ‚Danke‘ hätte auch gereicht.“

„Fyena“, sagte Jin ruhig und die Schwarzhaarige konnte ihm nicht länger böse sein. Sie schlang ihre Arme um ihn.

„Hach!“, seufzte sie. „Nie kann ich wütend auf dich bleiben, Jin. Ich liebe dich einfach viel zu sehr“, säuselte sie und rutschte hervor. Sie stahl ihm genüsslich einen weiteren Kuss, während er sie skeptisch betrachtete. Einen Augenblick später schob er sie von sich. Verwirrt sah sie ihn an.

„Danke, Fyena.“ Er hielt ihr den blutverschmierten Arm hin. Ein kleines Rinnsal floss aus einer kaum merklichen Wunde. Als sie verwundert das Blut erblickte, sah sie ihm erwartungsvoll in die Augen. Als er nickte, legte sie ihre Lippen auf die Wunde und leckte verführerisch das Blut von seinem Arm. Beide blickten sich tief in die Augen.

„Das du mich dein Blut kosten lässt, ist eine seltene, aber große Ehre, Bruderherz. Hat dich etwa irgendetwas verärgert?“, fragte sie sinnlich und strich eine Strähne aus seinem Gesicht.

„Aiden“, antwortete er grimmig. Fyena zog ihre Hand hastig zurück.

„Der Engel, den du getötet hast?“, fragte sie erstaunt. „Er lebt?“

„Ja, verdammt! Er lebt!“, fuhr er sie heftig an und griff nach ihrem Handgelenk. Es knackte fürchterlich, aber Fyena verzog nicht ihr Gesicht. „Ich habe ihn ganz sicher getötet! Wie kann er noch leben?! Ich habe ihn in Fetzen zerrissen!“

Fyena legte ihre andere Hand auf die ihres Bruders, die soeben ihr Handgelenk gebrochen hatte. Sanft löste sie seine Finger von ihrer Haut. Das Gelenk schwoll lila an, eine Sekunde später sah es wieder normal aus.

„Du solltest die Regenerationsfähigkeit von Engeln nicht unterschätzen, Jin. Wenn mein Gelenk schon so schnell heilt, dann können sie so gut wie gar nicht sterben! Du hast auch überlebt. Ohne unsere Regenerationsfähigkeiten und meinem Blut wärst du gestorben“, erwiderte sie nüchtern. Ihr Bruder sah ihr scharf in die Augen. Dann wand er sich ab.

„Zumindest hat er mit mir genauso wenig gerechnet, wie ich mit ihm“, murmelte der Schwarzhaarige. „Aber was hatte er bei Ryanne verloren? Was heckt dieser alte Sack da oben wieder aus? Er kann unmöglich gewusst haben, dass ich hinter ihr her bin! Die halten mich doch für tot, dank Aiden.“ Nachdenklich legte er einen Finger unter sein Kinn. Sein freier Arm zog Fyena dicht an sich, legte sich um ihre Schultern. Zuerst betrachtete sie überrascht sein Profil, doch dann legten sich ihre Lippen auf seine Halsbeuge. Sie liebkoste ihn bis rote Flecken seinen Hals zierten.

„Aiden war seltsamerweise nicht bei voller Kraft. Er war regelrecht ein Schwächling. Dass er mich überhaupt so schwer verletzten konnte, dass ich flüchten musste…“, murmelte Jin vor sich hin. „Wieso sollte der Alte so einen schwachen Engel ausgerechnet zu Ryanne schicken? Es macht einfach keinen Sinn! Aber zumindest habe ich ihn nicht unverletzt zurückgelassen.“

Fyena löste sich von seinem Hals und sah ihm ernst in die Augen.

„Was ist mit dem Prinzesschen? Hast du ihr Blut gekostet?“, fragte die Schwarzhaarige.

Jin wich ihrem Blick aus.

„Als ich ihren Arm schon angeschnitten, ich brauchte es nur ablecken, als Aiden mich abgehalten und mir diese verdammte Wunde verpasst hat. Er scheint unsere Bräuche zu kennen, aber… nicht zu wissen,… wer Ryanne ist“, erwiderte er gereizt. „Das war die Chance überhaupt! Und dieser verfluchte Engel hat es mir vermasselt! Ich habe keinen Lust hinter meinem kleine Bruder die zweite Geige zu spielen!“ Jin schlug heftig gegen die Wand. Risse zogen sich von seiner Faust bis zum Dach. Gestein bröckelte von der Wand.

„Beruhige dich, Bruder! Solange Joah sich selbst nicht bewusst ist und auch dieser Engel nichts weiß, wird sich dir eine neue Chance bieten“, sagte Fyena und nahm Jins Gesicht in ihre beiden Hände. „So ungern ich dich auch teilen mag, du bist besser als Herrscher geeignet. Habe etwas Geduld.“ Ihre Lippen legten sich abermals auf seine und diesmal erwiderte er den Kuss von sich aus. Fyena löste kurz den Kuss.

„Lass uns in deine Gemächer gehen, so sehr ich auch den Geruch von Tod und Verwesung auch um mich herum mag“, hauchte sie auf seine Lippen und ließ ihre Zunge über sie fahren. Jin griff in ihre Haar und zog es samt ihren Kopf zurück. Sie stöhnte auf, als er ihre Kehle küsste.

„Du hast mir nichts zu befehlen“, knurrte er an ihren Hals und im nächsten Moment waren beide verschwunden.
 

„SO! Der Boden ist jetzt blitzblank! Kein einziger Fleck mehr! Wirst du mir jetzt bitte sagen, was da vorhin los war?!“, sagte Rya frustriert und warf das Poliertuch in ihrer Hand in einen Eimer.

Aiden seufzte.

„Ich werde wohl nicht umhin kommen, was?“, scherzte er, aber als er Ryas genervtes Gesicht sah, glitt sein Lächeln aus seinem Gesicht. „Gut. Aber mit Tee.“

„Aiden!“ Rya stemmte ihre Arme in ihre Hüften. Der Junge sah sie wehleidig an.

„Bitte…“, murmelte er. Rya war überrascht über diese verletzliche Seite an ihm, die sie noch nicht kannte.

„Na gut“, willigte sie resigniert ein und griff nach dem Eimer.

Als sie den Raum mit zwei Tassen Tee wieder betrat, saß Aiden bereits auf der hinteren Couch und sah durch die offene Balkontür zum Abendhimmel.

„Es ist schon spät geworden. Heute ist viel passiert, nicht wahr?“, fragte er sie, als sie eine Tasse vor ihm auf den Tisch stellte. Rya antwortete nicht. Sie setzte sich. Aiden seufzte.

„Es ist nicht so leicht… es auszusprechen…“, begann er. Er griff nach der Tasse und nahm einen Schluck. Sein Gesicht zeichnete die Qual in ihm. Die Trauer, die Wut. Rya fühlte sich bei diesem Anblick miserabel. Sie hätte ihn nicht drängen sollen.

„Aiden. Entschuldige! Wenn du nicht willst, dann-“

„Nein! Schon gut“, unterbrach er sie. „Du hast ein Recht darauf es zu erfahren. Also werde ich es dir auch erzählen.“

Er machte eine Pause. Rya lehnte sich zurück. Die Tasse Tee in ihrem Schoß haltend.

„Es hat alles angefangen, als ich starb“, leitete Aiden ein. Rya sah abrupt von der Tasse zu ihm.

„Du hast erzählt, dass… dein Tod deine einzige Erinnerung aus deinem Leben ist…“

„Ja. Ich war relativ jung. Vielleicht 10 oder 11. So genau weiß ich es nicht mehr. Ich erinnere mich, wie meine Eltern vor mir lagen. Überall Blut. Stichwunden und Messer in ihren Körpern.“ Er hielt kurz inne. „Ich weiß nicht, was der Mörder für eine Grund hatte, das zu tun, aber ich weiß… wie ich in der Ecke hockte und weinte. Ich konnte vor Angst nicht mal mehr atmen. Meine Lunge zerriss sich fast selbst vor fehlendem Sauerstoff. Dann hat er auch mich umgebracht. Der Mörder meiner Eltern, mein Mörder…“

Rya sah Aiden erschüttert an.

„Aiden…“ Doch er winkte ab.

„Dann bin ich in den Himmel gekommen. Schon komisch. Ich weiß, dass die Seelen durch einen Brunnen gereinigt werden, aber ich kann mich nicht mehr an meine eigene Reinigung erinnern. Alles, was ich weiß, ist, dass ich aufwachte. Auf einer Blumenwiese. Meine einzige Erinnerung, wie dieser Mensch mich bei vollem Bewusstsein in Stücke zerschnitt.“ Er sah Rya an. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie schluckte. „Jetzt kannst du vielleicht meine Abneigung gegen Küchen verstehen. Ich wurde in einer getötet.“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund und wich seinem Blick aus.

„Schon okay. Du konntest es nicht wissen. Ich habe es dir nicht erzählt.

Als ich zu weinen begann, um mich herum all dies strahlenden Blumen, kam ein Engel zu mir. Ihr Name war Elaine. Sie war wunderschön. Ungefähr 20 Jahre alt. Ich war so fasziniert von ihrer Schönheit, dass ich aufhörte zu weinen. Ihr Lächeln ließ auch mich lächeln. Sie erklärte mir, wo ich war. Sie hat auf mich aufgepasst, bis ich so wurde wie jetzt. Äußerlich wie ein 19-jähriger Jugendlicher. Ich habe viel von ihr gelernt.“ Er trank einen Schluck Tee. „Aber als ich ein ausgebildete Engel war, musste ich mich von ihr verabschieden. Sie wurde zum Schutzengel erklärt. Sie wurde zu einem kleinen Junge geschickt. Ich in den Innendienst berufen. Ich durfte die Wiesen pflegen. Später aber wurde ich ein Patrouilleengel.“ Aiden grinste. „Klingt total komisch das Wort, aber ich wurde abkommandiert auf der Erde aufzupassen, dass Dämonen nicht irgendeinen grundlosen Streit begannen. Es war toll. Ich durfte Elaine wiedersehen und sie beschützen. Ihr zurückgeben, was sie mir gegeben hat.“ Er trank wieder einen Schluck.

„Hast du…“, begann Rya vorsichtig. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie wollte die Frage nicht stellen. Sie hatte das Gefühl, dass sie die Antwort schon kannte und sie sie nicht hören wollte. „Hast du sie… geliebt?“

Aiden setzte die Tasse ab. Er verflocht seine Finger, seine Ellenbogen auf seine Knie gestützt. Er dachte einen Moment nach, lächelte leicht.

„Ja. Ich habe sie geliebt. Und ich liebe sie immer noch. Sie war die wichtigste Person in meinem Leben.“

Rya spürte das Reißen in ihrer Brust. Aber es machte keinen Sinn. Warum tat es ihr so weh? Aiden war doch nur ein Junge, wie jeder andere. Sie konnte ihre heftigen Gefühle nicht verstehen. Sie wollte es auch gar nicht. Sie hatten keinen Grund zu existieren. Rya sah zum Boden.

„Sie hat sich um den Jungen gekümmert, wie sie sich um mich gekümmert hat. Ich war ein bisschen eifersüchtig. Aber eigentlich hatte ich keinen Grund dazu. Er konnte sie ja nicht sehen, nicht so, wie ich sie sah. Die Tage waren ruhig. Aber… Eines Tages war die Ruhe vorbei. Ein ganzer Trupp Dämonen tauchte im Kindergarten des Jungen auf. Einige Schutzengel waren zu gegen. Unter den Dämonen war auch Jin.“

„Jin?“, fragte Rya.

„Der Dämon vorhin.“ Aiden strich sich über den Arm. Der Schmerz hatte aufgehört, äußerlich war es so gut wie verheilt, dennoch stach es ihn wie tausend Nadeln ins Fleisch.

„Er war der Anführer. Ich war am anderen Ende der Stadt. Mein Vorgesetzter hatte mir aufgetragen dort zu patrouillieren. Als ich von dem Aufruhr hörte und hineilte… war der Kampf so gut wie vorbei. Die Dämonen hatten es nur auf eines abgesehen. Auf das Kind, dass Elaine beschützte.“ In einem Zug war die Tasse leer. Aiden stellte sie auf den Tisch. „Die anderen Engel waren alle bewusstlos. Die anderen Trupps alle zu langsam. Ich war der Einzige, der Elaine hätte helfen können. Sie hat mich gesehen, Jin nicht. Sie schützte ihren Jungen. Jin…“ Er schluckte und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht bis in die Haare.

„Er hat sie getötet. Ich wollte ihn aufhalten. Er war unglaublich mächtig. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt einige Dämonen getroffen. Aber er war der Stärkste, dem ich je begegnet bin. Und er tötete Elaine. Ich konnte in ihren Augen das Licht erlöschen sehen.“

Tränen traten aus seine Augen. Sein ganzes Gesicht, gezeichnet durch Wasser. Rot, gequält. Rya wollte ihn berühren, ihn beruhigen, ihn aufmuntern. Sie konnte sich nicht rühren.

Aiden fasste sich.

„Er war verschwunden, als ich wieder denken konnte. Aber Wut quoll in mir auf! Ich konnte sie nicht zügeln. Eigentlich sollten Engel solche Gefühle nicht haben. Sie sollten glücklich sein. Ohne Zorn, ohne Angst, ohne Trauer, ohne Rache. Aber ich konnte es nicht kontrollieren. Es hatte bereits begonnen mich aufzufressen. Einige Jahre vergingen und als ich Jin das nächste Mal traf… Habe ich sie ausgelebt. Meine Rache. Die Narben auf seinem Gesicht sind von mir. Ich habe ihn zugerichtet, wie mein Mörder mich. Und ihm noch schlimmere Dinge angetan. Ich sah, wie er direkt vor mir starb. Und ich genauso. Ich starb genauso, wie er.“

Rya stockte der Atem. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

„Und dann hat Gott mich bestraft. Er nahm mir meine Flügel und verbannte mich. Und danach…“ Aiden sah auf. Sah direkt in Ryas Augen. Tränen füllten und verließen sie. „Danach habe ich dich getroffen.“

Rya schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht glauben, was sie ihm damit angetan haben musste. Sie wusste, wie sich dieser Schmerz anfühlte. Die Wut, den Rachedurst. Der lebendige Tod. Wie es sich anfühlt, wenn man lebendig stirbt. Sie vergrub ihren Kopf unter ihren Armen, krümmte sich zusammen.

„Es tut mir so leid, Aiden! Ich hätte dich… nicht dazu treiben sollen…“, schluchzte sie. Ihr ganzer Körper zitterte. Sie konnte es nicht abschütteln. Sie spürte wieder die Hände über ihren Körper fahren. Mit der Gewalt, die sie gebracht hatten. Ihre Augen waren weit geöffnet. Der dunkle Raum, das hämische Grinsen, die Messer, die ihre Sachen zerschnitten. Die Wut. Und die Angst diese Wut zu fühlen. Rya fühlte sich verloren in sich selbst. Alles war dunkel. Ihr ganzer Körper schmerzte.

„Ryanne? Ist alles in Ordnung?“ Aiden sah sie besorgt an. „Es ist bereits passiert. Du brauchst dir keine Gedanken machen, Rya-“

„NEIN!“, schrie sie auf. Er wollte sie berühren, aber sie hatte seine Hand weggeschlagen. Ihn von sich gestoßen. Sich in die hinterste Ecke der Couch geflüchtet. Ihr Körper bebte. Ihr Gesicht von Angst zerfressen. Sie verlor sich ganz. War fort. Schloss ihre Arme vor ihrem Gesicht.

Sie lachte. Rya lachte höhnisch auf. Aiden sah sie entsetzt an. Was passierte mit ihr? Er war doch derjenige, der hätte wahnsinnig werden sollen. Nicht sie.

„Du bist so dumm, Engel“, säuselte Rya. Ein Kichern drang durch ihre Hände. „Du solltest Dämonen nicht unterschätzen. Du wärst nie in der Lage einen der hochrangigen Dämonen wie Jin zu töten!“, spottete sie. Sie nahm ihre Hände von ihrem Gesicht. Rote Augen stachen Aiden entgegen. Er wusste nicht, was es war, aber…

„Du bist nicht Ryanne“, sagte er ruhig. Er konnte sie spüren. Die dämonische Aura, die sie umgab. Rya lachte auf und klatschte. Sie erhob sich. Er wich zurück, stand ebenfalls auf.

„Du bist anscheinend doch nicht ganz so dumm, wie ich vermutete.“ Rya grinste ihn an. „Aber du solltest merken, wen du vor dir hast.“ Sie umgriff seine Kehle, zog ihn an sich. Sie wirkte betörend. Selbst auf ihn, der ein Engel war. Die Anziehungskraft von weiblichen Dämonen war das Intensivste, was er jemals gefühlte hatte. Es versenkte seine Haut. Er roch die verbrannte Haut an seinem Hals. Rya ließ ihn nicht los, doch der Schmerz stoppte. Aiden sah sie verwirrt an. Rya kicherte abermals.

„Du hattest wohl nicht erwartet, dass ich das kann, nicht wahr? Ich muss dir aber leider deine Illusion nehmen. Dämonen meines Ranges können entscheiden, ob sie einen Engel mit bloßen Händen verbrennen wollen oder es ohne diesen kleinen Berührungsvorteil tun.“ Sie grinste breit.

„Wer bist du?“, fragte Aiden, umfasste Ryas Handgelenk.

„Ryanne. Wer sonst?“, lachte sie. „Ich und sie sind die gleiche Person. Ich bin aber der Teil, der später herrschen wird. Wer weiß, wie viel Zeit ich ihr noch lasse? Wo ich sie nur wegen dir so belasse. Ich kann ihre Anziehung zu dir durchaus nachvollziehen.“ Sie lächelte sanft, fuhr mit der anderen Hand über Aidens Wange. „Du bist wirklich süß, Kleiner. Und gewissermaßen, gehört sie dir schon. Aber du wirst sie leider nicht behalten können.“ Aiden weitete die Augen. Das Blut!

„Bingo! Als du ihre Schnittwunde heiltest, ist ein Teil von ihr in dich übergegangen. Was glaubst du, warum ihre Berührungen auf einmal weniger schmerzhaft waren.“ Das Lächeln umspielte ihr Lippen, die seine Lippen umspielten. Jedes Wort konnte er fühlen. Ihr Kuss war heiß, verbrennend heiß. Aiden fühlte, als würde sein ganzer Körper in Flammen aufgehen. Als sie von ihm abließ, keuchte er heftig. Er umfasste seinen Hals. Er konnte kaum atmen ohne Schmerz und Stiche in ihm.

„Du…“, krächzte er. Rya lachte auf. Sie hockte sich vor ihn, dem Häufchen Elend, dass er noch war. Das Grinsen auf ihrem Gesicht bösartig und verführerisch zu gleich. Aiden spürte den Hass und die Sehnsucht.

„Keine Sorge. Noch werde ich dich nicht töten. Außerdem glaube ich, dass Jin das viel lieber tun würde. Allerdings muss ich dir auch danken, Kleiner.“ Sie zeichnete Kringel auf seiner Wange. Er schwitzte vor Schmerz. Ihre Aura erdrückte ihn. „Dank dir, hat nicht Jin die Oberhand gewonnen. Niemals könnte ich diesen Typen über die Unterwelt herrschen lassen. Joah ist besser dafür geeignet.“ Sie seufzte erleichtert auf. „Also danke, Schätzchen.“

„Wa-?“ Seine Hals barst.

„Na, na, na. Du solltest lieber nicht reden. Sonst wird dein schöner Hals dich noch selbst umbringen. Aber ich kann es dir gern erklären.“ Sie lächelte verspielt. Rya beugte sich zu ihm hinunter, zu seinem Ohr. „Wer mich heiratet, wird der neue Herrscher der Unterwelt. Mich - die Tochter Satans“, flüsterte sie in sein Ohr. Dann fiel sie zur Seite. Die Aura verschwand. Aiden konnte spüren, wie der Schmerz nachließ. Die Luft füllte seine durstigen Lungen. Ryanne lag bewusstlos vor ihm.

„Rya“, flüsterte er. Strich ihr durchs Haare. Sie sah erschöpft aus, aber friedlich. Das war die Rya, die er kannte. Er lächelte matt. Lachte leise auf. „Da habe ich mir ja genau die Richtige ausgesucht, als ich hier landete.“

Er schüttelte den Kopf. Erhob sich. Nahm Rya in die Arme und trug sie zu ihrem Bett. Sein Hals brannte noch leicht, sein Arm stach ihm ins Fleisch. Aiden legte sie auf das weiße Leinen, deckte sie zu. Seine Augen blickten sie traurig an. Er wand sich ab und wollte den Raum verlassen, als er innehielt. Er drehte sich Rya wieder zu.

„Es gibt eine Regel unter Dämonen. Wenn sie der Person, nach der sie sich sehnen ihr Blut geben….“ Aiden stockte, biss sich auf die Unterlippe. Blut rann über sein Kinn. Rya schlief ruhig. Ihr Mund leicht geöffnet. ‚Was glaubst du, warum ihre Berührungen auf einmal weniger schmerzhaft waren‘, hallte es in seinem Kopf.

„Sie versprechen einander durch ihr Blut. Ob Engel und Dämonen auch…?“, murmelte er. Seine Lippen berührten ihre. Es war nicht wie vorher. Er verbrannte nicht. Seine Sehnsucht war größer. Größer als zuvor. Und als sich ihre Lippen wieder lösten, spürte Aiden keine Hitze mehr mit jeder Berührung. Sah keine Erinnerungen mehr. Fühlte die ganz normale Wärme einer Frau. Verließ das Zimmer.
 

+~+~+~+~+~+~+~+~+
 

Ich liebe diese Story immer mehr!XD

Nur habe ich iwie immer ein Problem, Überschriften zu finden...»

Vlt. sollte ich es einfach lassen.=)

Jez widme ich mich erst mal den andere Stories!XD
 

Sehn uns!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Fairytale_x3
2011-07-01T17:33:03+00:00 01.07.2011 19:33
uuuhh jetzt wird es interessant.

langsam verstehe ich das alles ein bisschen besser *g* das verhältnis zwischen jin und seiner schwester find ich ein wenig merkwürdig, muss ich gestehen, aber das lassen wir mal so dahin gestellt.

was ich viel besser und auch gleichzeitig erschreckend fand, war die szene am schluss. bzw. eben das alles zwischen aiden und rya. ich find es wirklich heftig, wie aiden gestorben ist, allerdings hättest du das ruhig ein wenig mehr ausarbeiten können, hätte ich kein problem mit gehabt.
richtig klasse fand ich dann aber den wechsel, als ihr zweites ich plötzlich zum vorschein kommt und irgendwie hat das ein wenig die hoffnung in mir zerstört, dass aus den beiden mal mehr wird *heul*

bester satz im text <333

„Jetzt kannst du vielleicht meine Abneigung gegen Küchen verstehen. Ich wurde in einer getötet.“


hier noch etwas, was mir aufgefallen ist:

Ihre Lippen legten sich abermals auf seine und diesmal erwiderte er den Kuss von sich aus. Fyena löste kurz den Kuss.

ich hätte die sätze besser mit einem 'und' zu einem zusammengesetzt.

Sie wurde zum Schutzengel erklärt. Sie wurde zu einem kleinen Junge geschickt.
hier das gleiche ich hätte das mit einem 'und' zusammen gefügt ;)




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