Zum Inhalt der Seite

Far Away

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

In weite Umhänge gehüllte Gestalten huschten durch die Dunkelheit, die nur von flackernden Fackeln erhellt wurde.

„Habt Ihr alles?“ fragte die eine.

„Natürlich!“ erwiderte die andere, ihre melodiöse Stimme klang leicht gereizt.

„Oh Ihr Götter, ich flehe euch an, zeigt mir das Opfer, dessen Blut mich zu meinem Ziel führt!“

Weißes Leuchten erhellte den Raum, bis sich darin ein Bild formte.

Ein junges Mädchen lag zusammengerollt auf einem Bett. Offensichtlich schlief sie tief und fest.

„Das ist sie! Komm! Komm zu mir!“

Doch offensichtlich war sie nicht stark genug, das Mädchen setzte sich zwar auf und blickte sich verwirrt um, nur um sich im nächsten Moment wieder hinzulegen.

„Und was nun, Eure Hoheit?“ fragte die erste Person.

„Es ist schwieriger als ich dachte… ich werde mich ausruhen und es später noch einmal versuchen!“ eine Handbewegung und das Leuchten erlosch, sodass der Raum erneut nur von Fackeln beleuchtet wurde.

„Ich bin sicher, beim nächsten Mal werdet Ihr erfolgreich sein!“

1

Verwirrt setzte ich mich auf. Hatte mich da nicht eben jemand gerufen? Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass es drei Uhr morgens und somit völliger Quatsch war. Also mummelte ich mich wieder in meine Decke und war bald darauf wieder eingeschlafen.

Das nächste Mal wurde ich von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken ihn gegen eine Wand zu werfen, lies das dann aber bleiben, schaltete ihn einfach aus und schlief glatt noch einmal ein. 15 Minuten später kam allerdings meine Mutter hereingestürmt und ich wurde zum dritten Mal geweckt. „Kannst du nicht aufstehen wenn dein Wecker klingelt? Jeden Montag das selbe Theater, das nervt!“ Die Antwort war ein grummeln. Es gab nur eine Sache die ich weniger mochte als Montage. Und das waren Montage an denen ich eine Arbeit schrieb. Trotzdem setzte ich mich auf und griff nach meinen Kleidern, die ich mir vorsorglich schon gestern hingelegt hatte.

Als ich das Esszimmer betrat saßen meine Geschwister schon am Frühstückstisch. Ich grummelte mein übliches „Morgen“, das mir Mama mühsam antrainiert hatte und setzte mich auf meinen Platz. „Guten Morgen Etienne!“ kam es von Julien, Kassy, die eigentlich Kassiopeia hieß, nickte nur zum Zeichen das sie mich gehört hatte.

Etienne. Es gab Zeiten, da habe ich diesen Namen gehasst. Niemand den ich kannte hatte diesen Namen. Spötteleien waren also vorprogrammiert. Ich war nur froh, dass niemand herausgefunden hatte, dass Etienne eigentlich ein Jungenname war. Der Himmel weiß, wie Mama diesen Namen durchgesetzt hat, aber sie hat ihre Vorliebe für ungewöhnliche Namen bei uns offenbar ausgelebt. Aber nach 16 Jahren gewöhnt man sich auch an seltsame Namen und Sticheleien.

Da Kassy und ich morgens meistens keinen Hunger hatten löffelten wir nur Lustlos jeweils eine kleine Portion Cornflakes bzw. Müsli in uns hinein, wobei wir uns in eisiges Schweigen hüllten. Wir waren eben beide typische Morgenmuffel, im Gegensatz zu Mama und Julien, die aufstehen und loslegen konnten.

Obwohl ich verschlafen hatte kamen wir pünktlich aus dem Haus, ich kam sogar noch einmal dazu meine Aufschriebe zu überfliegen und brachte die Arbeit mehr oder weniger gut hinter mich. Der Rest des Tages verlief ereignislos. Das heißt beinahe! Ich war mit meinen Geschwistern auf dem Nachhauseweg, als ich wieder eine Stimme hörte. Verwirrt blickte ich mich um. „Etienne? Hey Etienne! Wo läufst du denn hin ?“ Überrascht blickte ich mich um und erkannte, dass ich von unsrem Nachhauseweg abgewichen war. „Habt ihr das eben auch gehört?“ Was gehört?“ Kassys braune Augen musterten mich besorgt. „Na diese Stimme! Da hat doch eben jemand gerufen“ Mein Bruder runzelte die Stirn. „Niemand hat hier gerufen! Und du hast eher ausgesehen als hätte dich jemand hypnotisiert!“ „Da hat ganz sicher jemand gerufen. Ich weis doch was ich gehört habe!“ Aber die beiden wollten mir nicht glauben. Auch unsere Mutter nicht. „Du hast gestern einfach zu lange gelernt und bist wahrscheinlich einfach übermüdet!“ Mit diesen Worten wuschelte sie mir lächelnd über den Kopf und wandte sich wieder dem Essen zu. Da ich Gestern wirklich noch bis halb eins gelernt hatte, beschloss ich es dabei zu belassen. Julien und Kassy hatten ja schließlich auch nichts gehört und daher dachte ich, das die Sache damit beendet wäre. Doch weit gefehlt, wie sich noch herausstellen sollte...

Einige Wochen später hatte ich den Vorfall schon wieder fast vergessen. Allerdings änderte sich das drastisch. Wir waren auf dem Heimweg und ich träumte vor mich hin. Julien und Kassy liefen ein ganzes Stück vor mir, als plötzlich wieder jemand nach mir rief. Ich bemerkte gar nicht, wie ich vom Weg abwich und in eine völlig andere Richtung lief. Wobei nicht merken die falsche Bezeichnung war. Es war eher so als würde ich aus einem Fenster schauen und meinem Körper dabei zusehen, wie er irgendwohin lief wo ich eigentlich nicht hin wollte, egal wie sehr ich auch schreiend und tobend mit den Fäusten gegen das Glas schlug. Dann hörte ich plötzlich Stimmen, die meinen Namen riefen. Da ich aus irgendeinem Grund die Kontrolle über meinen Körper wieder hatte drehte ich mich um und sah, wie die beiden „Kleinen“ meinen Namen und um Hilfe schreiend auf mich zu gerannt kamen. Als ich mich wieder umdrehte wusste ich auch wieso. Vor mir hatte sich eine Art Portal geöffnet und in dem Moment als Julien nach mir griff fühlte ich einen Ruck und stürzte mitten durch das komische Ding. Nur leider kam ich auf der anderen Seite nicht wieder raus!

Stattdessen fiel und fiel ich, aber auf dem Boden kam ich nicht auf. Um mich herum schienen Bilder abzulaufen, die ich aber nur schemenhaft und in Fetzen war nahm. Tiefer und tiefer. Mir wurde übel, ich kämpfte darum mein Essen bei mir zu behalten, mich zu orientieren und etwas zu erkennen. Ersteres schaffte ich irgendwie, das zweite war hoffnungslos, ich wusste nicht mal wo oben und unten war. Ich fiel mit rasender Geschwindigkeit, glaubte aber zu erkennen, dass die Bilder Rückwärts abliefen. Schließlich wandte ich meine Aufmerksamkeit meinem Handgelenk zu an dem ich immer noch ein zerren spürte. Und hielt entsetzt inne. Dort manifestierte sich eine Hand! Eine zierliche Frauenhand mit einem auffälligen Goldring mit einem großem weißen Stein in der Mitte. Die Hand sah nicht besonders kräftig aus und ich versuchte mich loszureisen. Mit aller Kraft riss ich meinen Arm zurück und trat gleichzeitig von unten gegen das Handgelenk. Es funktionierte, ich wurde tatsächlich losgelassen, aber sobald die Hand verschwand war auch das „Portal- Tunnel- was auch immer Dingens“ plötzlich weg und ich stürzte unaufhaltsam auf den Boden zu. Ich glaubte noch zu erkennen das es eine weite Graslandschaft war, dann schlug ich auf und verlor das Bewusstsein.
 

„Verdammt!“ die hübsche junge Frau hob ärgerlich den Kopf und schlug mit solcher Wucht auf den Tisch, dass ihre zahlreichen Armreifen klirrten. „Sie ist mir entwischt. Ich brauche dieses Mädchen, koste es was es wolle!“ „Habt ihr sie unterwegs verloren?“ fragte eine andere Frau. „Wenn ja, sind die Chancen sie zu finden gering.“ „Keine Sorge! Dieses kleine Biest ist irgendwo hier, da bin ich mir ganz sicher. Schicke sofort meine Soldaten los!“ „Jawohl Prinzessin!“ „Und Maketaton! Sag ihnen sie sollen ihr kein Haar krümmen und sie ohne viel Aufsehen herbringen. Ich brauche sie leider lebendig.“ „Wie ihr wünscht“ Maketaton verbeugte sich und verschwand.
 

Der Junge blinzelte verwirrt. Doch auch als er sich die Augen fest gerieben hatte war das Mädchen noch da. Sie war ein sehr seltsames Geschöpf. Ihr Haar und ihre Haut waren viel heller als bei einer Adligen und sie trug extrem seltsame Kleidung in leuchtenden Farben. „Aziz, warum trödelst du denn jetzt schon wieder?“ „Herr, hier liegt ein fremdes Mädchen!“ „Und wenn schon. Lass sie liegen!“ „Aber ihr könnt sie doch nicht sterben lassen!“ rief Aziz und schaute seinen Herrn mit entsetzt aufgerissenen Augen an. „Doch das kann ich!“ Inzwischen stand er neben Aziz und musterte das Mädchen. „Aber sie gefällt mir. Nimm sie mit!“ Mit diesen Worten drehte er sich um und warf ihm seinen Mantel zu. „Wickle sie darin ein und dann komm endlich!“

Zu hause angekommen war das Entsetzen groß. „Marik! Nichts dagegen das du ständig irgendwelche Geliebten hast, aber musst du sie jetzt auch noch zu uns ins Haus bringen?“ fragte der Vater des Jungen entsetzt. „Wahrscheinlich wieder irgend so ein Mädchen, dass er irgendwo aufgegabelt hat!“ meinte Mariks Mutter seufzend. „Nein diesmal nicht! Ich habe sie außerhalb der Stadt gefunden. Aziz! Bring das Mädchen in einen Gästeraum und wickle sie aus den Tüchern!“ Aziz gehorchte seinem Herrn, legte das Mädchen vorsichtig auf ein Gästelager und entfernte die Tücher. Der Rest der Familie betrachtete sie nachdenklich bis staunend. „Damit währe unser Problem wohl gelöst.“ „Du willst sie...“ das Mädchen brach mitten im Satz ab uns starrte ihre Mutter entsetzt an. „Ja, das will ich!“ „Aber was, wenn sie nicht geeignet ist? Wenn sie Probleme macht und uns blamiert?“ „Wir haben ja noch Zeit!“ meinte Mariks Vater beschwichtigend. „Wir warten bis sie aufwacht und dann sehen wir weiter. Zur Not haben wir ja noch etwas Zeit, ihr die richtigen Manieren beizubringen.“ „Wo hast du die denn eigentlich aufgegabelt?“ „Sie lag außerhalb der Stadtmauer in der Steppe. Es war weit und breit niemand zu sehen und deshalb habe ich sie hier her gebracht. Ich habe keine Ahnung warum sie dort lag.“ „Vielleicht sollte sie verkauft werden und ist weggelaufen.“ „Das denke ich nicht. Wenn sie wirklich hätte verkauft werden sollen hätten die Händler gut auf sie aufgepasst, sie ist sicher einiges wert.“ „Warten wir einfach bis sie aufwacht, dann können wir sie fragen!“ Mit diesen Worten drehte sich Mariks Vater um und verschwand. Nachdem sie Aziz noch einige Befehle erteilt hatten verließen auch die anderen den Raum. Aziz holte Wasser, mit dem er dem Mädchen vorsichtig das Gesicht abwischte, dann legte er ihr einen feuchten Lappen auf die Stirn und flößte ihr etwas Wasser ein. Den Rest des Tages verbrachte er damit an ihrem Bett zu sitzen und ihr ab und zu etwas Wasser einzuflößen. Er wich nur von ihrer Seite wenn jemand von den Herrschaften seine Dienste beanspruchte.
 

Als ich aufwachte hatte ich keine Ahnung wo ich war und wie ich dorthin gekommen war. Ich lag auf einer Art Bett und war mit Tüchern zugedeckt, auf meiner Stirn lag ein feuchtes Tuch. Das nächste was mir auffiel war, dass es in dem Zimmer unglaublich heiß und ich total durchgeschwitzt war. Das war ja total ekelhaft! Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit musste ich duschen. Aber wo war ich eigentlich? Um das rauszufinden wollte ich aufstehen und aus dem Fenster schauen. Na ja, die Betonung lag auf wollte, denn mir drehte sich alles und keine zwei Sekunden später lag ich wieder auf dem Bett. Beim zweiten Versuch war ich vorsichtiger und kam tatsächlich bis zum Fenster. Ich musste erst mal schlucken. Ich sah staubige Straßen, wobei das eigentlich nur festgetretene Erde war, und jede Menge verschiedene Häuser. Kleine Häuser, große Häuser, ärmliche Lehmhütten und prächtige Villen. Und natürlich Menschen. Viele Menschen. Ein richtiges Gewusel. Völlig verwirrt lies ich mich wieder auf mein Bett sinken und beschäftigte mich mit den nächsten Fragen die sich mir unweigerlich aufdrängten. Wie kam ich nach hause? Ich wusste ja nicht mal wo ich war, davon wie ich hergekommen war ganz zu schweigen. War ich wirklich durch ein Portal gerissen worden oder träumte ich nur? `Nun, das lässt sich leicht herausfinden´ dachte ich und kniff mir kräftig in den Arm. „Aua“ rief ich überrascht. Ich hatte fest damit gerechnet keinen Schmerz zu spüren. Ich wurde aus meinen Grübeleien gerissen, als die Tür aufging und ein Junge, vielleicht zwei, drei Jahre jünger als ich, das Zimmer betrat. Ich staunte nicht schlecht, der Junge hatte braune Haut und schwarze Kringellocken, bekleidet war er mit einer Art kurzem Rock, der auf Kniehöhe endete. Als er sah das ich wach war lächelte er und sagte etwas in einer komischen Sprache, von der ich kein Wort verstand. `Na toll. Auch das noch!´ dachte ich. „Tut mir Leid, aber ich verstehe dich nicht!“ Jetzt schaute auch er verwirrt drein. Offenbar verstand er mich genauso wenig wie ich ihn. Wir schauten uns kurz an, dann seufzten wir beide gleichzeitig. Ich musste kichern. `Wir schaffen es nicht, miteinander zu reden, aber so was klappt! Zum totlachen!´ dachte ich. Im nächsten Moment steckte ein recht hübsches Mädchen den Kopf ins Zimmer. Sie starrte mich kurz an, dann wandte sie sich an den Jungen und fragte ihn etwas. Da ich sowieso nichts verstand begann ich das Mädchen genauer anzuschauen. Ihr Haar war dunkelbraun und glatt, ihre Haut um einiges heller als die des Jungen. Sie schien in der Rangordnung höher zu stehen als er, vielleicht war sie seine Chefin. „Nein, dazu sieht sie zu jung aus. Sie ist nur ein bisschen älter als ich“ dachte ich und schüttelte den Kopf. Meine verschwitzten Haare vielen nach vorn in mein Gesicht und als ich sie zurückstrich merkte ich, dass sie vor Fett und Schweiß fast trieften. „Oh mein Gott! Ich muss tagelang nicht gebadet haben! Und diese Hitze macht es nur noch schlimmer.“ In der Gegenwart des Mädchens kam ich mir plötzlich ziemlich schäbig vor, sie hatte ein sehr gepflegtes Äußeres und trug Kleider, die offensichtlich teuer gewesen waren das wusste ich daher, weil sie zusätzlich zu ihrem schön gearbeiteten Kleid noch Goldschmuck trug. Die beiden hatten ihre Unterhaltung offenbar beendet, denn das Mädchen verlies den Raum und wir waren wieder unter uns. Ob es eine Möglichkeit gab, wie ich mich mit ihm verständigen konnte? Da fiel mir etwas ein. Ich zeigte auf mich und sagte meinen Namen: „Etienne!“. Der Junge schien nicht zu verstehen, was ich von ihm wollte, er starrte mich wieder nur Verständnislos an. Wieder deutete ich auf mich und wiederholte meinen Namen noch einmal. Endlich fiel der Groschen. „Eten?“ fragte er und zeigte auf mich. Ich schüttelte lächelnd den Kopf. „Etienne“ berichtigte ich ihn, Nach ein paar weiteren Versuchen konnte er meinen Namen recht gut aussprechen und versuchte mir seinen beizubringen. Peinlicherweise stellte ich mich nicht viel geschickter an als er. Ich brauchte ungefähr ebenso viele Versuche wie er bis er mit meiner Aussprache zufrieden war. Er hieß Aziz. Bei mir klang der Name zuerst nach Axix oder nach Asys. Mehr viel mir nicht ein, also hing ich wieder meinen Gedanken nach. Ich war gerade dabei mir zu überlegen, wie ich meine Fragen als Pantomime darstellen sollte, als das Mädchen zurückkam. Sie war in Begleitung einer anderen Frau, einem Jungen und einem etwas älteren Mann. Wieder begann eine Unterhaltung von der ich nichts verstand, aber ich glaubte sie beratschlagten was sie jetzt mit mir machen sollten. Nach kurzer Zeit hatten sie offenbar einen Entschluss gefasst, den die Frau kam zu mir, legte mir die Hände auf die Ohren und begann etwas vor sich hin zu murmeln. Dann das Gleiche noch einmal, diesmal mit meinem Mund. Erst passierte nichts, doch als sie die Hände wegnahm bekam ich auf einmal stechende Kopfschmerzen, meine Ohren fingen an zu klingeln und meine Zunge brannte als hätte ich auf eine Chilischote gebissen. Ich krümmte mich zusammen und begann mich auf dem Bett hin und her zu werfen, wobei ich immer wieder schrie: „Macht das es aufhört, macht das es aufhört!“. Dann verebbte der Schmerz so schnell wie er gekommen war. „Glaubt ihr das es funktioniert hat?“ hörte ich eine männliche Stimme sagen. „Nach ihrer Reaktion zu Urteilen: ja!“ das schien die Stimme der Frau zu sein. Ich riss den Kopf hoch und starrte ungläubig von einem zum anderen. Wieso verstand ich plötzlich was sie sagten? Sie sprachen immer noch ihre Sprache, das hörte ich ganz deutlich. Es musste irgendetwas mit dem zu tun haben was die Frau mit mir gemacht hatte. „So wie es aussieht versteht sie uns jetzt.“ Wieder die erste Stimme. „Wie heißt du?“ „Etienne“ antwortete ich eingeschüchtert. Der Mann machte einen sehr herrischen Eindruck auf mich, ganz offenbar war er gewohnt Befehle zu erteilen und das diese eingehalten wurden. Das schien bei allen vier Personen die das Zimmer gerade betreten hatten der Fall zu sein. Die Einzige Ausnahme war Aziz. Er schien eher der zu sein der die Befehle ausführte und war mir von allen am sympathischsten. „Wo kommst du her?“ „Deutschland“ „Noch nie davon gehört! Wo liegt das?“ „In Mitteleuropa!“ „Was ist Mitteleuropa?“ Mir dämmerte langsam, dass diese Menschen entweder nichts von Erdkunde verstanden oder ich irgendwo in der hintersten Pampa gelandet war. „Europa ist eine Art Ansammlung von Ländern. Und irgendwo mittendrin liegt Deutschland“ versuchte ich das Ganze zu erklären. Sofort wurde ich mit weiteren Fragen bestürmt. „Hey, ihr verwirrt sie ja gerade völlig. Sie weis ja nicht mal mehr wo ihr der Kopf steht“ dankbar blickte ich den Jungen an der mir in diesem Moment Beistand leistete. „Bringt mir meinen neuen Besitz nicht durcheinander, bevor sie überhaupt etwas gemacht hat.“ Im nächsten Moment wandelte sich meine Dankbarkeit in Wut um. „Besitz? Wessen Besitz bin ich bitte schön? Ich gehöre niemandem und dir erst recht nicht!“ Ich war aufgesprungen und ging auf den Jungen zu. Mein Vater würde jetzt wahrscheinlich sagen, dass er tot umgefallen wäre wenn Blicke töten könnten. Aber leider konnten sie das nicht. Ich beschränkte mich also darauf böse zu schauen und weiter auf ihn zuzugehen. Bevor ich den Jungen erreicht hatte wurde ich plötzlich an den Haaren gepackt, zurückgerissen und einen Moment später lag ich wieder auf dem Bett. Verdattert setzte ich mich wieder auf, Aziz starrte mich an als käme ich vom Mond oder etwas in der Art und die vier Herrschaften sahen mich fast ebenso verwundert wie wütend an. „Was fällt dir eigentlich ein so mit meinem Sohn zu reden der dir das Leben gerettet hat? Er hätte dich einfach liegen lassen sollen. Du...“ Weiter kam sie nicht, denn sie wurde von dem Mann unterbrochen. „Beruhige dich, sie ist verwirrt und weis nicht, was sie sagt. Ich bin sicher sie wird sich entschuldigen. Nicht war Etienne?“ „Ich bedanke mich dafür, dass du mir das Leben gerettet hast, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich nicht dir gehöre“ Mein Sturkopf, unter dem meine Familie des öfteren zu leiden hatte, machte sich bemerkbar. Ich legte es also drauf an. . „Jetzt hör mir mal gut zu du Gör!“ Der Tonfall der Frau war nicht sehr freundlich. „Du bist nicht von hier, deshalb hast du keine Rechte! Nur Pflichten uns gegenüber, die dein Leben gerettet haben. Du wirst bei uns arbeiten um für dein anmaßendes Benehmen zu bezahlen. Und zwar so lange, bis wir dich irgendwohin verkaufen oder dich anderweitig loswerden. Jede Respektlosigkeit wird streng bestraft! Hast du verstanden? Wenn du verstanden hast, ANTWORTE GEFÄLLIGST“ Die letzten Worte schrie sie. Ich zuckte vor Schreck zusammen und beeilte mich mit meiner Antwort. „Ja“ Im Gegensatz zu meiner großen Klappe gerade eben klang das richtig kleinlaut. „Aziz wird dich jetzt einweisen und dir alles zeigen.“ Die vier Herrschaften verließen den Raum und ließen mich mit Aziz allein, der sich sofort daran machte die Befehle seiner Herrin in die Tat umzusetzen.

Und so begann mein Leben hier...

2

Ich gewöhnte mich schnell ein. Das heißt, mir blieb eigentlich keine andere Wahl, denn die Herrschaften hatten mich dauernd auf dem Kicker. Besonders die Frauen hatten es offenbar auf mich abgesehen und nutzten jede Gelegenheit, um mich bloßzustellen.

Zum Glück hatte ich Aziz, er erklärte mir was ich nicht wusste, also fast alles, und half mir meine Haare unter dem Kopftuch zu verstecken, das ich auf Anweisung von Sitre zu tragen hatte. Sitre war eine Priesterin der Göttin Tegis, der Göttin des Wissens, und hatte dadurch bewirken können, dass ich ihre Sprache verstand. Ihr Mann Okan war das Oberhaupt der Familie und ihre Kinder Selda und Marik brachten mich mit ihrer verwöhnten Art des öfteren auf die Palme.

Das Land in dem ich gelandet war hieß Nasduna und war ein Wüstenland. Große Teile waren unfruchtbar, nur in der Nähe der Flüsse wuchsen und gediehen jede Menge Pflanzen und Bäume. Laut Aziz waren fast alle Städte hier in der Nähe von Flüssen angesiedelt. Die Stadt in der ich gelandet war, war die Hauptstadt Lin und lag am größten Fluss im ganzen Land. Er hieß Benel und erinnerte mich von den Ausmaßen her an den Nil oder den Amazonas.

Mein Tagesablauf war eigentlich immer gleich. Früh aufstehen, was mir als Morgenmuffel besonders zu schaffen machte, in der Küche beim Frühstück helfen und die Herrschaften wecken, wobei ich meistens zu Marik geschickt wurde. Anschließend wurde geputzt, gewaschen, das Mittagessen vorbereitet, eingekauft und noch vieles mehr. Da ich, auch auf Sitres Anweisung, das Haus kaum verlassen durfte, fiel einkaufen schon mal aus. Darüber war ich ziemlich dankbar, da ich die Hitze nicht gewöhnt war. Die meiste Zeit half ich also in der Küche. Wenn ich das Haus mal verlassen durfte, oder besser gesagt musste, war immer jemand dabei, der auf mich acht gab.

Es gab allerdings eine Sache, die ich nicht verstand. Warum verkaufte man mich nicht einfach weiter, wenn man mich nicht dahaben wollte? Und das wollten sie ganz offensichtlich nicht. Sie beschwerten sich oft genug über mich und ich hatte immer häufiger das Gefühl, dass besonders die Frauen mich am liebsten dem nächst besten Sklavenhändler geschenkt hätten. Es schien als würden sie mich aus einem Grund bei sich behalten, von dem ich nichts wusste. Und ich hatte keine Ahnung, ob das gut oder schlecht war.
 

Einige Wochen später hatte ich zu meiner großen Verwunderung den Auftrag, auf dem Markt ein paar Besorgungen zu machen. Zusammen mit meinem treuen Begleiter Aziz ging ich also los. Leise Spötteleien wie: „Seht mal, Aziz meint mal wieder seine Göttin beschützen zu müssen!“ und albernes Gekicher folgte uns, was wir allerdings ignorierten. Das Aziz den Boden unter meinen Füßen anbetete war inzwischen sogar mir aufgefallen und normalerweise bin ich bei solchen Sachen eher schwer von Begriff.

Auf dem Marktplatz machte mir die Hitze ziemlich zu schaffen, ich hatte länger nichts getrunken und daher mit starkem Schwindel zu kämpfen. Die vielen Leute trugen nicht gerade zur Besserung bei. Aziz merkte das und brachte mich zu einem schattigem Platz am Rand des Marktes. „Wartet hier. Ich erledige die Einkäufe alleine. Nicht das ihr mir noch in Ohnmacht fallt.“ Und weg war er. Da sich mir alles drehte wiedersprach ich nicht, lehnte mich dankbar gegen eine Hauswand und schloss die Augen. Plötzlich wurde ich angesprochen. „Entschuldigung, geht es dir nicht gut?“ Ich öffnete verwirrt die Augen und blickte einer Frau ins Gesicht, die mich besorgt musterte. „Es geht schon.“ Ich lächelte sie an. „Mir ist nur ein wenig schwindelig wegen der Hitze.“ „Das dachte ich mir. Willst du etwas trinken? Du siehst durstig aus.“ Sie hielt mir einen Wasserschlauch hin. „Trink ruhig so viel du willst.“ Kurz schoss mir ein Satz durch den Kopf, den meine Mutter oft gesagt hatte: „Nimm nie etwas zu Essen oder zu Trinken von Fremden an!“ Allerdings hatte ich wirklich großen Durst und so schob ich meine Bedenken zur Seite. Ich nahm den Wasserschlauch und trank ein paar große Schlucke. Als ich ihn wieder zurückgegeben hatte breitete sich plötzlich eine merkwürdige Taubheit in meinem Körper aus und meine Augenlieder wurden schwer. Ich merkte noch wie ich zur Seite kippte, dann war alles plötzlich schwarz.
 

Ich wachte mit schrecklichen Kopfschmerzen wieder auf. Ich wollte mich strecken und ein paar wenig freundliche Worte über diese Tussi loswerden als ich merkte, dass ich gefesselt und geknebelt war. Sofort bekam ich leichte Panik. Was tun? Die Fesseln konnte ich nicht lösen, dazu waren sie zu fest. Um Hilfe schreien? „Wie denn? Du bist geknebelt du dumme Nuss!“ sagte ich mir selbst. Also beschloss ich mich erst einmal umzusehen, was sich aber als ziemlich überflüssig erwies. Der einzige Einrichtungsgegenstand, den ich sehen konnte, war ein großer Tisch in der Mitte des Raums. Ansonsten nichts. Nur kahle nackte Steinwände soweit ich mich umschauen konnte, was zugegebenermaßen nicht weit war.

Ich hörte Schritte, dann wurde eine Tür geöffnet und zwei Frauen traten ein. Die eine war die, die mir auf dem Marktplatz Wasser gegeben hatte, die andere kannte ich nicht. Ich hatte Selda schon sehr hübsch gefunden, aber diese Frau war einfach wunderschön. Sie hatte Kinnlanges, dunkelbraunes Haar, hellbraune Haut und lief, als schwebe sie über den Boden. Ihr elegantes weißes Kleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihren schlanken Körper und sie trug schöneren Schmuck als Selda und Sitre zusammen. Eben der Typ Frau, neben dem man sich sofort drei Meter groß, plump und hässlich vorkommt.

„Wer sind sie und was wollen sie von mir?“ fragte ich sobald sie mir den Knebel abgenommen hatten. „Nun um auf deine Frage zu antworten, ich bin Prinzessin Malika, und das ist meine Dienerin Maketaton.“ Während sie sprach viel mir ein auffälliger Ring an ihrem Finger auf. Ein Goldring mit einem großen weißen Stein. Irgendwo hatte ich den schon mal gesehen. Ich zermarterte mir das Hirn wo, kam aber zu keinem Ergebnis. „Als du mir damals entwischt bist...“ Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment viel es mir wie Schuppen von den Augen. Die Hand damals im Portal. Sie hatte den gleichen Ring getragen. „Du hast mich hierher gebracht!“ „Genau. Und jetzt werde ich dich opfern.“ „Opfern?“ mir fehlten die Worte. „Warum das denn?“ „Ganz einfach. Mit deinem Blut kann ich einen Zauber wirken der dafür sorgt, dass sich der Kronprinz in mich verliebt. Er wird mich heiraten und ich werde Königin.“ Im gleichen Tonfall hätte sie mir auch etwas übers Wetter erzählen können. Ich war entsetzt. Sie hatte mich deswegen entführt? Sie wollte mich töten, nur um jemand anders zu verzaubern? „Das ist doch.... es wird nicht funktionieren!“ meine Stimme klang mindestens eine Oktave höher als sonst, was aber auch kein Wunder war. Schließlich machte ich mir vor Aufregung mangels einer Hose fast ins Kleid. „Natürlich wird es das! Ich habe Ronug gebeten mir das beste Opfer zu bringen und du bist hier gelandet!“ „Aber...“ „HALT DEN MUND!“ Ich zuckte zusammen. Diese Frau meinte es wirklich ernst.

Sie klatschte in die Hände und im nächsten Moment betraten zwei große bullige Kerle den Raum. „Legt sie auf den Altar und schneidet ihr die Kehle durch!“ „Sie hätte genauso gut sagen können, dass wir jetzt alle zusammen Kaffee trinken“ schoss es mir durch den Kopf. Der eine Kerl verschwand, während der andere sich daran machte, mir mit einem kleinen Dolch die Fesseln zu durchtrennen. Doch dabei machte er einen, für ihn schlimmen, Fehler: Er schnitt mir zuerst die Fesseln an den Händen durch! Als meine Beine frei waren verpasste ich ihm einen Tritt dahin, wo es am meisten weh tat. Er krümmte sich stöhnend zusammen und der Dolch fiel ihm aus der Hand, woraufhin ich ihn mir schnappte. Wenn die Kerle mich wieder einfingen, sollten sie das wenigstens mit ein paar Kratzern oder einer Stichwunde bezahlen. Dann meldete sich langsam mein Verstand. Ich sollte machen, dass ich wegkam! Planlos rannte ich los, ich wollte nur noch weg von diesen Verrückten. Ich hatte Glück, auf dieser Seite war eine Türe, die ich bisher noch nicht gesehen hatte. „Bitte lass es keine Besenkammer oder so etwas sein“ flehte ich und ich hatte schon wieder Glück. Ein langer Gang, der nur von Fackeln erleuchtet wurde, befand sich dahinter. Ich nahm die Beine in die Hand, denn jetzt kam der andere Mann wieder ins Zimmer und die beiden Frauen, offensichtlich aus ihrer Schreckstarre erwacht, begannen Zeter und Mordio zu schreien.

Ich hatte keine Ahnung, wohin dieser Gang führte, aber ich lief trotzdem weiter. Hinter mir hörte ich die Schritte und Stimmen meiner Verfolger. `Rechts, links, wieder rechts und dann gerade aus? Wie viele Knicke macht dieser Gang eigentlich´ fragte ich mich. `Und noch wichtiger, wann finde ich ein Versteck?´ Meine Kondition war noch nie besonders gut und ich merkte, dass mir langsam die Puste ausging.

Ein Versteck fand ich zwar nicht, dafür aber nach der nächsten Ecke ein Fenster. Ich schaute hinaus. Meine Verfolger schienen die Ecke fast erreicht zu haben.

Das Fenster war nicht so hoch das der Sprung tödlich enden würde, aber ein paar Knochenbrüche wären möglich. Sie kamen um die Ecke gestürmt.

Ich beschloss, dass „vielleicht ein paar Knochen brechen“ besser war als „bestimmt die Kehle durchgeschnitten bekommen“ und kletterte auf Fensterbrett. Fast hatten sie mich erreicht.

Ich sprang. Oder besser gesagt: ich wollte springen, aber in diesem Moment erreichte mich einer meiner Verfolger und packte mich am linken Handgelenk. Erschrocken drehte ich mich um und stach reflexartig mit dem Dolch, den ich Gott sei dank immer noch in der Hand hatte, nach seinem Handgelenk. Ich landete einen Zufallstreffer und kam frei, allerdings kippte ich nach hinten, fiel rückwärts aus dem Fenster und landete direkt in den Armen von irgendeinem Mann, der gerade unter dem Fenster vorbeigelaufen war. Ich murmelte ein Danke und fragte nach dem Weg zum Markt. „Dort entlang.“ Ich rannte so schnell ich konnte und hielt erst an, als ich mir sicher war, das niemand mehr hinter mir her war. Irgendwann traf ich auf Aziz, der mich suchte. „Wo wart ihr denn? Ich habe mir Sorgen gemacht!“ „Später. Wir müssen so schnell wie möglich nach Hause.“ Zu Hause angekommen musste ich eine ewig lange Strafpredigt über mich ergehen lassen, von wegen unfähig einfach irgendwo sitzen zu bleiben und so weiter, anschließend wurde kurz gepeitscht. Ich hatte irgendwie das Gefühl, ich sollte besser den richtigen Grund für mein Verschwinden verschweigen und so erzählte ich, dass ich Aziz gesucht und mich dabei verlaufen hätte.
 

Prinzessin Malika stürzte aus ihrem kleinen Palast und wäre beinahe mit Prinz Siamun zusammen gestoßen. „Hast du ein Mädchen mit Kopftuch gesehen?“ „Wenn du die meinst die gerade aus dem Fenster gesprungen ist, dann ja.“ „Wohin ist sie?“ Der Prinz zeigte in eine Richtung „Dort lang. Was hat sie denn getan, dass du ihr hinterher rennst?“ „Sie ist eine kleine Diebin und hat mich außerdem schwer beleidigt. Aber das geht dich eigentlich nichts an.“ Damit rauschte Malika davon. „Den Versuch, irgendetwas über die momentanen Intrigen und Pläne eurer Cousine heraus zu bekommen, können wir wohl vergessen.“ meinte Siamuns Begleiter. „Mich würde im Moment eher interessieren, wer das Mädchen war. Einer Diebin würde Malika niemals hinterher rennen. Da ist was im Busch.“ „Warum habt ihr die Prinzessin eigentlich in die falsche Richtung geschickt?“ „Ich hatte irgendwie das Gefühl es sei besser so. Außerdem ist schon allein der Grund das Malika dieses Mädchen fangen will Grund genug um ihr zu helfen.“ Die beiden Männer machten sich auf den Heimweg.

3

„Etienne mach das, Aziz tu dies, du machst das...“

Seit Tagen ging es schon so. Der Grund war der, dass der Kronprinz Geburtstag hatte und jede adlige Familie ihm etwas schenken musste. Mir war das ganze eigentlich egal, aber die Herrschaften gehörten einer niedrigen Adelsfamilie an und hofften, durch ihr Geschenk in der Gunst des zukünftigen Königs zu steigen.

Für Okan und seine Familie hieß das: Sich tagelang den Kopf darüber zu zerbrechen, was man dem werten Herren denn schenken könnten, für die Dienerschaft hieß es: die guten Kleider der Herrschaften waschen, trocknen und auf Makel überprüfen, den Schmuck auf Hochglanz polieren, während der Arbeit alles stehen und liegen zu lassen weil die Herrschaften, insbesondere die Weiblichen, dauernd etwas anderes wollten und in meinem Fall noch zusätzlich Benimmregeln. Warum ich die lernen musste war mir allerdings schleierhaft. Die einzige Antwort die ich erhalten hatte war „tu es einfach du undankbares Gör!“ gewesen und so kam es, dass ich in Seldas Zimmer saß, ihren Schmuck auf Hochglanz polierte und nebenbei die Benimmregeln durchging die ich mir aufgeschrieben hatte.

Ich legte gerade ein Schmuckstück zur Seite und wollte mir ein neues nehmen, als mich plötzlich etwas im Nacken traf. „Aua!“ Wütend funkelte ich Selda an. “Schau nicht so, ich hatte dich mehrmals gerufen!“ zischte sie mich an. Ich verdrehte genervt die Augen, stand auf und sammelte auf dem Weg zu ihr noch den Schuh ein, den sie nach mir geworfen hatte. Sie hatte kein einziges mal nach mir gerufen, da war ich mir absolut sicher. Genauso wie ich mir sicher war, was als nächstes kommen würde. „Ich habe nichts, was ich anlässlich dieses Termins anziehen könnte!“ `Der Kandidat hat hundert Punkte´. Mit hochgezogenen Brauen warf ich zuerst einen Blick auf den leeren Kleiderschrank, dann auf den Hüft hohen Stapel, der sich neben ihr auftürmte. Dann leierte ich den Satz herunter, den ich in den letzten Tagen schon duzende Male gesagt hatte: „Ihr würdet sogar in Lumpen die schönste Frau auf dieser Veranstaltung sein! Um so etwas triviales wie Kleider müsst ihr euch keine Sorgen machen!“ „Da hast du recht, aber ich kann doch nicht in diesen armseligen Stoffstücken in den Palast gehen! Das wäre Majestätsbeleidigung!“ Theatralisch warf sie die Arme in die Luft. „Lauf sofort zum Schneider...“ Ich schaltete auf Durchzug, den Monolog der jetzt folgte kannte ich sowieso schon auswendig.

Eine gefühlte Stunde später war sie endlich fertig und ich machte dass ich wegkam. Der Schneider begrüßte mich mit einem Lächeln, er kannte diese Familie und regte sich über so etwas schon nicht mehr auf. „Das übliche?“ „Lady Selda wünscht, dass ihr Kleid unvergleichlich, einmalig, bezaubern, noch nie da gewesen, elegant, unbeschreiblich, kostbar uns so weiter und so weiter ist. Und natürlich darf es auch keinem ihrer Kleider auch nur im entferntesten ähnlich sein!“ Ich musste erst mal nach Luft schnappen. Die komplette Beschreibung hatte ich nur beim ersten mal wiederholt und anschließend war ich wegen Luftmangel beinahe umgekippt. „Also keine Veränderung zu den Befehlen von Gestern!“ „Nein. Ich möchte wissen, zu was die Frau so viele Kleider braucht!“ Ich ließ mich auf einen Schemel nieder und schaute ihn anklagend an. „Schau mich nicht so an, ich kann nichts dafür!“ „In gewisser Weiße schon! Du hast die Kleider ja schließlich alle genäht. Hast du schon mal den Berg gesehen? Und wer darf das alles wegräumen? Ich! Hallo, die Frau hat einen Kleiderschrank in dem ich alle meine Bücher bequem unterbringen könnte und dann hätte ich noch platz für meine komplette Garderobe!“ „Du hast es ja bald geschafft!“ Aufmuntern wurde mir auf die Schulter geklopft. „ETIENNE! Wo ist dieses faule Gör schon wieder? Was glaubt sie wofür sie bezahlt wird?“ „Ich werde nicht bezahlt!“ murmelte ich und machte, dass ich zurück zu Selda kam.

Bei ihr angekommen bekam ich wieder einen Schuh ab, diesmal ins Gesicht. „Wo bist du gewesen? Mein Schmuck säubert sich nicht von allein!“ „Ich..“ „Spar dir deine Erklärungen! Mach endlich! Hast du die Verhaltensregeln gelernt? Wahrscheinlich nicht, oder? Was hast du zu tun, wenn du einem hohen Adeleigen begegnest?“ „Ich sinke auf die Knie und berühre mit der Stirn beinahe den Boden. In dieser Position verharre ich, bis mir befohlen wird etwas anderes zu tun oder die Person den Raum verlassen hat.“ „Und was wirst du auf keinen Fall tun?“ „Der Person direkt ins Gesicht sehen, reden, oder aufstehen, bis mir ein entsprechender Befehl erteilt wird.“ Für einen Moment war Selda sichtlich sauer, da sie keinen Grund hatte mich zu bestrafen. „Ich wünsche eine Demonstration!“ Ich erstarrte. „Was ist? Ich warte!“ Sie grinste mich an, sichtlich froh einen neuen Weg mich zu demütigen gefunden zu haben. Es war ein schönes Lächeln, aber ich kannte sie inzwischen gut genug um zu wissen, dass sie nur auf eine Weigerung meinerseits wartete. Genau das hätte ich liebend gerne getan, aber das hätte wieder eine Bestrafung zur Folge gehabt und ich hatte gestern schon den halben Tag nichts essen dürfen. Heute morgen war ich leider auch nicht zum Frühstücken gekommen, da Selda mich hatte rufen lassen bevor ich etwas essen konnte und ich war dementsprechend hungrig, ich würde umkippen wenn ich nichts essen durfte. Ich hatte also die Wahl. Entweder schluckte ich meinen Stolz hinunter und kniete vor Selda nieder oder ich weigerte mich und bekam kein Essen mehr, worauf ein Schwächeanfall folgen würde. So oder so, Selda würde ihren Spaß haben.

Kurz überlegte ich, was auf lange Sicht schlimmer wäre und sank nach einigem Zögern auf die Knie. Ich konnte sehen wie Seldas Grinsen noch größer wurde, dann verschwand ihr Gesicht aus meinem Blickfeld, da ich den Kopf senkte bis ich mit der Stirn nur noch wenige Zentimeter vom Boden entfernt war. Jetzt hieß es warten. Ich hatte garantiert keinen Fehler gemacht, Aziz hatte mir gezeigt wie es richtig gemacht wurde.

Ich wartete und wartete. Wahrscheinlich hätte ich morgen noch hier gesessen, wenn Miss von und zu nicht eingefallen wäre das ich ihren Schmuck in dieser Position nicht polieren konnte. „Was sitzt du so faul auf dem Boden? Die Arbeit macht sich nicht von alleine!“ Im nächsten Moment traf mich schon wieder ein Schuh. Dreimal in so kurzer Zeit? Das musste ein neuer Rekord sein. „Jawohl Herrin.“ Den Rest des Vormittags verbrachte ich, Gott sei dank ungestört, damit Halsketten, Ringe und anderen Schmuck zu polieren.
 

Ein paar Tage später war es endlich so weit, was ein erleichtertes Aufatmen seitens der Dienerschaft zur Folge hatte. Endlich hatte dieser Wahnsinn ein Ende.

Doch leider ließ die nächste unangenehme Überraschung nicht lange auf sich warten. Zur allgemeinen Überraschung sollten nämlich Aziz und ich die Herrschaften begleiten. Ich wurde von einer Dienerin gründlich gewaschen und bekam ein schlichtes Leinenkleid, das eine angenehme Abwechslung zu den kratzigen Wollkleidern war. Anschließend wurden meine Haare gekämmt bis sie glänzten und dann wurde das ganze höchst sorgfältig unter einem Kopftuch versteckt. Den Abschluss bildete eine Art Kajal, mit dem meine Augen geschminkt wurden.

So langsam wurden mir die Sache unheimlich. Erst ein Leinenkleid, dann Schminke? Sklaven hatten kein Recht auf Schminke und auf das recht teure Leinen, das nur Leute trugen die es sich auch leisten konnten, erst recht nicht. Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass die Herrschaften bestimmt nur Eindruck schinden wollten. Also hielt ich einfach still.

Als ich fertig war wurde ich schon erwartet. „Hör gut zu! Du wirst nichts tun was unseren Ruf in irgendeiner Weise schädigen könnte. Hast du verstanden?“ Sitre war mir mit jedem Wort etwas näher kommen und sie machte mir solche Angst, dass ich ihr vermutlich auch versprochen hätte mir eine Glatze zu rasieren. „Wenn du dich nicht daran halten solltest, wirst du es bereuen!“ Sie warf einen bedeutungsvollen Blick in Aziz’s Richtung. „Ja Herrin!“ Völlig eingeschüchtert folgte ich ihnen zum Wagen.

Nach etwa einer halben Stunde fahrt erreichten wir endlich den Palast. Ich musste erst mal schlucken. Das Gebäude war gigantisch. Ich hatte zwar schon einige Burgen und auch ein Schloss gesehen aber im Vergleich hierzu... Armselige Hütten konnte ich da nur sagen. Allein schon an diesem riesigen Tor hätte ich einen Tag lang stehen und Verzierungen suchen können. Dutzende Muster waren ineinander verschlungen und bildeten größere Muster, die dann wieder ein neues Muster bildeten, die wiederum Teil eines anderen waren. Ich konnte allerdings nicht besonders lange staunen, da wir rasch durch das Tor gewunken wurden. Dann ging es durch einige lange Gänge und ich warf meinen Kopf andauernd hin und her um möglichst alles zu sehen. Okan wurde das nach einiger Zeit zu bunt und so packte er meinen Kopf und zwang mich so ihn still zu halten. An einer riesigen Treppe mussten wir aussteigen und laufen. Aziz und ich kämpften mit den Stufen, aber im Gegensatz zu den Herrschaften hielten wir uns prächtig. Zu viert hechelten sie hinter uns her, wodurch wir etwas Zeit hatten um wieder zu Atem zu kommen. Schließlich kamen noch einige lange Gänge, dann waren wir in dem Saal in dem uns der Prinz erwartete.
 

Stinklangweilig! So konnte man die Situation am besten umschreiben. Das war zumindest die Meinung von Siamun, einziger Sohn des Königspaares und somit Thronfolger. Der Tag zog sich immer länger hin und mit jedem Besucher schienen die Reden länger und einfallsloser zu werden. Konnten diese Leute ihre Geschenke nicht einfach abgeben und wieder verschwinden? Leider konnte man gegen so alte Traditionen kaum etwas unternehmen und so unterdrückte er zum wiederholten male ein Gähnen. Immerhin war er beim letzten Geschenk angelangt. Hoffentlich nicht wieder ein Schwert. Das wäre das sechste an diesem Tag!

Endlich öffneten sich die großen Flügeltüren des kleinen Empfangssaals und die letzte Familie trat ein. Seltsam war das keine der sechs Personen irgendetwas in den Händen hielt. Die zwei Diener, die mit gesenkten Köpfen hinter ihren Herrschaften herliefen, sanken wie vorgegeben auf die Knie und verbeugten sich, die anderen vier Personen verneigten sich auf die für niedrigen Adel typische Weiße. Der älteste Mann begann mit einer Begrüßung, die die Vorherigen in Punkto Langeweile um längen schlug. Während er also mit halben Ohr den Erklärungen zuhörte wie geehrt sie sich fühlten und wie lange sie überlegt hatten was sie ihm denn schenken sollten, musterte er die Diener. Der Junge sah ziemlich gewöhnlich aus und das einzig besondere an dem Mädchen schien ihr Kopftuch zu sein. Na ja, eigentlich waren ihre Köpfe das einzige was er von den beiden sehen konnte.

Am Rande bekam er mit das der Mann, wie hieß er doch gleich, seine Rede beendet hatte, weswegen er seine Aufmerksamkeit wieder ihm zuwandte. „Euer Geschenk sollte etwas besonderes und zu gleich etwas nützliches sein. Darum... Etienne komm her!“ Das Mädchen erhob sich und trat nach vorne. „Euer Geschenk ist dieses Mädchen hier. Mein Sohn hat sie vor einigen Monaten gefunden, seitdem lebt sie bei uns. Jetzt soll sie euch gehören.“ „Schön und gut, aber was ist so besonders an diesem Mädchen?“ Seine Neugier war geweckt, wie kam dieser Mann darauf, dass dieses Mädchen nützlich und etwas besonderes sei? Es gab genügend Menschen, die für Arbeit im Palast morden würden.

Anstelle einer Antwort gab eine der Frauen dem Diener ein Zeichen. Dieser stand auf, flüsterte dem Mädchen etwas zu und entfernte schließlich ihr Kopftuch, worauf eine Flut ungewöhnlich heller Haare über ihren Rücken und ihre Schultern fiel. „Wirklich interessant!“ Ein kurzes Danke, eine lange Verabschiedung und dann waren sie endlich weg. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein langes Haar und wandte sich dem Mädchen zu, dass immer noch auf dem Boden saß. Irgendwie hatte er das Gefühl sie schon einmal gesehen zu haben, aber darum konnte er sich auch später noch kümmern. „Folge mir!“ Befahl er ihr harsch und schritt noch fast im selben Moment zu einer kleinen Tür an der Seite hinaus.
 

Ich stand auf und beeilte mich hinterher zu kommen. Da der Kerl aber ein ziemliches Tempo vorlegte war das nicht so einfach, da ich bei jedem Schritt den er machte zwei machen musste. Warum waren die Leute in diesem verfluchten Land auch allesamt so groß? Und warum starrten mich eigentlich alle so an? Am liebsten hätte ich auf irgendwas eingeschlagen. In mir kochte die Wut. Was fiel diesen reichen, arroganten Schnöseln eigentlich ein? Was war ich? Ein Gegenstand den man weiterreichen konnte wenn man genug davon hatte? Einzig der Gedanke an Aziz hielt mich davon ab den Palast zusammen zu schreien. Seine letzten Worte kamen mir in den Sinn. „Vergebt mir!“ Sollte das heißen er hatte es gewusst? Schreien schien doch keine so schlechte Idee zu sein.

Leider kam ich nicht dazu, denn wir hatten unser Ziel offensichtlich erreicht. Er riss eine Tür auf und brüllte „Debah!“ Ein junger Mann, ich schätzte ihn auf etwa zwanzig Jahre, trat heraus. „Das Mädchen wird von nun an bei uns arbeiten. Bring sie zu den anderen und lass sie irgendwo einteilen wo noch Leute gebraucht werden!“ Sprachs, drehte sich um und verschwand. Debah musterte mich kurz, dann drehte er sich um und wies mir an ihm zu folgen.

Der Rest des Tages war der blanke Horror! Zuerst wurde ich nur angestarrt, dann wurde getuschelt und schließlich wurde ich mit Fragen bombardiert und von einigen besonders „mutigen“ Exemplaren der Gattung „Hofdamen“ sogar angetatscht. Eine zog mir heftig an den Haaren um herauszufinden ob ich eine Perücke trug.

Am ende des Tages hatte ich eine Mordsstimmung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn ich auch nur noch einmal eine Frage bezogen auf mein Aussehen und meine Herkunft beantworten musste würde ich jemanden umbringen. Um dem Auszuweichen legte ich mich einfach auf das mir zugewiesene Lager und tat so als ob ich schlafen würde.

Was sich allerdings wegen starkem Heimweh als schwierig herausstellte. Perfekte Voraussetzungen für meinen ersten Arbeitstag im Palast. Ich lies wegen Schlafmangel dreimal etwas fallen, schnitt mich beim Gemüseschneiden in den Finger und verlief mich jedes Mal, wenn ich etwas holen oder wegbringen sollte.

„Was muss dieser Palast auch so riesig sein“ grummelte ich, als ich knapp eine Woche später den Weg zu den Stallungen suchte. Ich sollte dem Prinzen etwas bringen, das er vergessen hatte. Ich lief also völlig orientierungslos mit einem kleinem Päckchen im Arm durch eine verwirrende Anzahl von Gängen. „Warum um alles in der Welt gibt es hier keine Wegweiser?“ fragte ich als ich vor Kreuzung Nummer „was weiß ich wie viel“ stand und schon wieder nicht weiter wusste. „Weil niemand damit gerechnet hat, dass hier irgendwann mal ein Mädchen mit dem Orientierungssinn eines Blinden rumläuft! Wobei das noch eine Beleidigung für alle Blinden ist.“ gab ich mir selbst die Antwort. „Sind die Pferde bereit?“ hörte ich plötzlich eine Stimme rufen, was mich veranlasste aus dem Fenster zu schauen. „Soldaten, Pferde und einige Futterstellen? Na wenn das nicht mal nach Stall aussieht!“ murmelte ich. „Die einzige Frage: wie um alles in der Welt komme ich dort hin?“ Zehn Minuten und vier falsche Türen später war ich endlich am Ziel. Jetzt musste ich nur noch den Prinzen suchen. Bevor ich allerdings groß zum suchen kam machte mir das Pferd, an dem ich gerade vorbei ging, einen Strich durch die Rechnung...
 

So langsam reichte es! Es konnte doch nicht so schwer sein ein Päckchen vorbei zu bringen! Eigentlich hatten der Prinz und sein Gefolge schon vor einiger Zeit aufbrechen wollen, aber sein Päckchen war immer noch nicht da. Als er gerade jemanden deswegen losschicken wollte erschien die neue Dienerin. Kein Wunder hatte es so lange gedauert. Angeblich verlief sie sich sogar auf dem Weg von einem Kochfeuer zum nächsten. Er setzte zu einer verärgerten Bemerkung über ihre Verspätung an, als er sah, wie das Pferd an dem sie vorbei lief von einem Stein getroffen wurde. Ausgerechnet Alp Arslan, dass nervöseste Pferd des ganzen Stalles. Er scheute, stieg auf die Hinterbeine und wirbelte mit den Vorderhufen durch die Luft. Er hätte das Mädchen getroffen, wenn nicht ein junger Mann sie im letzten Augenblick zur Seite gestoßen hätte. Im nächsten Moment brach ein unglaublicher Tumult los. Das Pferd stürmte über den Hof, Stallknechte versuchten es einzufangen, Hofdamen kreischten... kurz: ein unglaubliches Durcheinander. Siamun ignorierte das alles und beobachtete wie der Mann, der mit dem Mädchen auf dem Boden gelandet war, sich erhob und ihr beim aufstehen half. Sie bedankte sich, lief zu ihm, drückte ihm mit kreidebleichem Gesicht sein Päckchen in die Hand, verbeugte sich und machte dass sie weg kam.

Nachdem ich dem Prinzen das Päckchen gegeben hatte verschwand ich wieder im Gebäude und lehnte mich zitternd an eine Wand. Was musste dieses blöde Pferd auch gerade dann durchgehen, wenn ich daneben stand? Wäre der Mann nicht gewesen, hätte ich im besten Fall eine ordentliche Gehirnerschütterung. Ich war so durcheinander das mir nicht mal auffiel, dass ich den Weg zurück ohne weitere Zwischenfälle fand. Kaum in der Küche angekommen wurde auch schon ein Becher warme Milch in meine Hand und ich auf den nächsten Stuhl gedrückt. Natürlich wussten alle schon bescheid. Kein noch so ausgeklügeltes Kommunikationsnetzwerk funktionierte so gut wie die Münder klatschsüchtiger Hofdamen. Da ich aussah als würde ich im nächsten Moment umkippen und mir mit meinen zitternden Händen vermutlich noch eine Hand abgeschnitten hätte wurde kurzer Hand beschlossen, dass ich mich erst mal beruhigen sollte, bevor ich wieder weiterarbeitete. Also wurde ich zu einem schattigen Plätzchen navigiert und dort alleingelassen. Ich seufzte. Erst brach ich mir beim Sturz durch ein Portal fast den Hals, dann wurde ich von Sitre beinahe umgebracht, eine verrückte Prinzessin wollte mich bei einem Ritual opfern und dann trampelte mich beinahe ein Pferd nieder. Es konnte ja nur besser werden...

4

Hatte ich nicht gesagt, dass es nur noch besser werden konnte? Tja, ich hatte mal wieder unrecht. Diese Situation war nicht besser. Sie war noch nicht mal schlimmer. Es war schlicht und ergreifend... ein Alptraum! Anders konnte man es nicht beschreiben.

Warum hatte ich nicht einfach meinen Mund gehalten? Dann wäre ich jetzt nicht in dieser Situation. Aber ich hatte doch nicht einfach zusehen können. Das arme Kind! Allerdings... jetzt war es nicht wirklich besser dran.
 

Eine Woche vorher:
 

Eigentlich hatte alles völlig harmlos angefangen. Ein paar Wochen nach dem Vorfall im Stall wurde die Hofdame krank, die für das Zimmer des Prinzen zuständig war. Und wie das Schicksal so spielte, wurde mir die Ehre zu teil, diese Arbeit zu übernehmen.

Mit einem Stapel Lacken bewaffnet machte ich mich also auf den Weg ins hoheitliche Schlafzimmer. Der Raum war zum Glück picobello aufgeräumt, ich konnte mich also sofort dem Bett zuwenden und machte mich daran die Lacken zu wechseln.

Dabei gab es nicht viel was ich falsch machen konnte und ich war auch ruck zuck fertig. Mein Blick glitt noch einmal durchs Zimmer um sicher zu gehen, dass ich auch nichts vergessen hatte. Etwas gab es leider doch, weswegen ich mich vors Bett kniete und eine Art Nachttopf darunter hervorzog.

Genervt runzelte ich die Stirn. Dieses Land erinnerte mich nicht nur wegen der Landschaft an Ägypten, es war eigentlich auch genauso Fortschrittlich. Der einzige Grund warum es einen Nachttopf gab war der, dass es Nachts verdammt kalt wurde und keiner bei mindestens zehn Grad unter Null durch ewig lange Gänge zur Toilette gehen wollte.

Während ich also über den Sinn oder den Unsinn der oben genannten Utensilien senierte hörte ich plötzlich ein „Vorsicht hinter dir!“

Ich wirbelte, den Bottich in der Hand, herum und sah mich einer, mir unbekannten, Frau gegenüber. Allerdings ließen das Messer in ihrer Hand und der Schal der ihr Gesicht verdeckte darauf schließen, dass sie mir nicht mal eben guten Tag sagen wollte. Letzte Zweifel wurden beseitigt, als sie auf mich losging.

Wiedereinmal retteten mich meine unüberlegten Handlungen, auch Reflexe genannt. Ich schwang, mangels einer Waffe, einfach den Nachttopf auf ihren Kopf zu, womit die werte Dame offenbar nicht gerechnet hatte. Ich landete mal wieder einen Zufallstreffer, die Dame verlor kurz das Gleichgewicht und ich nutzte das aus um an ihr vorbei zu kommen. Allerdings hatte sie sich schnell wieder erholt und vermutlich hätte sie mich skalpiert oder sonst irgendwas, hätte Siamun nicht noch einmal Retter in der Not gespielt. Mit seinem Schwert, warum auch immer er es dabei hatte, schlug er ihr den Dolch aus der Hand und riss ihr das Tuch vom Kopf. Jetzt erkannte ich die Frau. „Makedingeskirchens“ oder wie sie hieß. Ein kurzer Blick, der wohl „dich krieg ich noch“ heißen sollte, in meine Richtung, dann stürmte sie nach draußen, was wegen dem ebenerdigen Zimmer und Fenstern die bis zum Boden reichten nicht weiter schwierig war.

Kopfschüttelnd blickte ich ihr nach. „Was wollte sie von dir?“ „Mich vielleicht zu einem Kaffeekränzchen einladen?“ Unnötig zu erwähnen das er damit nicht zufrieden war. „Veralbern kann ich mich selbst!“ „Keine Ahnung! Fragt sie doch am besten selbst!“ Mit diesen Worten schob ich den, glücklicherweise leeren, Nachttopf, der seltsamerweise keinen Kratzer abbekommen hatte, wieder unter das Bett, schnappte mir das alte Bettzeug und rauschte aus dem Zimmer.

Allerdings bekam ich auf dem Weg in die Wäscherei schon bald ein schlechtes Gewissen und als ich dort ankam hätte ich mir am liebsten in den Hintern gebissen. Warum hatte ich so rumgezickt? Okay, sein herablassender Ton war das letzte gewesen aber er hatte bestimmt eine Möglichkeit mir zu helfen. Immerhin war er der Kronprinz! Und die Sache betraf ihn fast noch mehr als mich. Zumindest auf lange Sicht. Also würde ich dem Prinzen alles erzählen.

Das war allerdings leichter gesagt als getan! Obwohl ich bei ihm angestellt war konnte ich nicht mal eben vorbei schauen wenn mir gerade danach war. Ich musste warten bis er Zeit und vor allem Lust hatte mich zu empfangen. Und beides hatte er für den Rest des Tages nicht.

Die nächste Überraschung kam pünktlich zum Frühstück am nächsten Morgen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass das „Stadium des Anstarrens“ nach gut zwei Monaten abgeschlossen wäre, aber offenbar war es zurück und das noch schlimmer als vorher. Überraschte Blicke, wütende Blicke, neugierige Blicke...

Im Speisesaal wurde noch lauter als sonst getuschelt. Als ich reinkam wurde es augenblicklich still, zumindest so lange, wie ich brauchte um die Tür hinter mir zu schließen und an den ersten beiden Tischreihen vorbei zugehen. Dann ging es noch lauter weiter, auch wenn ich vorher gedacht hatte, dass eine Steigerung nicht möglich wäre.

Rhiannon kam mir schon entgegen und zerrte mich zu einem Tisch mit zwei freien Plätzen. Rhia, meine beste Freundin. Allerdings hätte ich sie in diesem Moment am liebsten auf den Mond geschossen, denn sie hatte nichts besseres zu tun, als mich mit Fragen zu bombardieren. „Du musst mir unbedingt erzählen, wie du das geschafft hast! Und warum hast du mir nichts erzählt? Ich dachte...“ „Jetzt halt aber mal die Luft an!“ unterbrach ich sie. „Wie hab ich was geschafft? Wovon redest du? Und warum starren mich alle so an?“ „Du bist die neue Geliebte des Prinzen. Im ganzen Palast spricht man von nichts anderem mehr!“ Ich war froh das ich saß, ansonsten wäre ich wahrscheinlich umgekippt. So verschluckte ich mich nur an dem Wasser, das ich gerade trinken wollte und musste heftig husten, was mir wenigstens etwas Zeit gab mich wieder zu fassen. „Ich? Die Geliebte des Prinzen? Das ist nicht wahr. Da muss jemand was falsch verstanden haben!“ „Wie viele Frauen mir Namen Etienne gibt es hier?“ Bevor ich antworten konnte fuhr sie fort. „Wie viele davon haben goldenes Haar? Und wie viele arbeiten in der Küche? W...“ „Schon gut, schon gut, krieg dich wieder ein. Die Beweislage ist eindeutig! Wie komme ich denn nun zu dieser Ehre?“ „Das musst du doch am besten wissen.“ „Du scheinst mir aber besser informiert zu sein.“ „Sag bloß, du wusstest wirklich von nichts!“ „Wirke ich auch nur Ansatzweiße so als hätte ich auch nur die geringste Ahnung?“ „Nein, eigentlich nicht.“ „Entschuldigt bitte ihr beiden, aber seine Majestät wünscht dich zu sehen.“ Ich erschrak so sehr, dass ich den Rest meines Getränks über meinen Rücken nach hinten beförderte. Mit eingezogenem Kopf sah ich zu wie Debah, der persönliche Diener des Prinzen, sich das Wasser aus den Augen wischte und mich, trotz meines Attentats, freundlich ansah. „Kommst du bitte mit?“ Mein Appetit hatte sich inzwischen entgültig verabschiedet und so stand ich auf und folgte ihm.

In den Räumen des Prinzen wurde ich angewiesen zu warten, weswegen ich dastand wie bestellt und nicht abgeholt und an meinen Armreifen herumspielte, die ich sowohl an jedem Hand- wie Fußgelenk trug. Sie waren aus Bronze und so angepasst, dass ich sie nicht ausziehen konnte. Der eingravierte Falke war das Wappen des Prinzen und zeigte, dass ich in dessen Diensten stand. Im Grund konnte man sagen, dass der Palast in drei Teile geteilt war. In einem Lebte der Prinz, im anderen dessen Schwester und im dritten das Königspaar. Je nach dem wie viele Kinder das Königspaar hatte wurde der Palast aufgeteilt.

Inzwischen hatte ich gelernt, wie man die unterschiedlichen Stände anhand des Schmucks erkannte. Der Adel trug Gold, die Priester Silber und die Angestellten des Palastes Bronze. Die Diener breite Reifen um Hand- und Fußgelenke und die Palastwachen ähnliche Reifen um die Oberarme. Im Grunde eigentlich ganz einfach!

Nach einiger Zeit kam auch endlich seine Majestät und ich begann ihm mal ordentlich die Meinung zu geigen. Oder besser gesagt: ich wollte ihm die Meinung geigen, aber er unterbrach mich schon im dritten Satz. „Halt den Mund!“ seine Augen funkelten wütend. „Meine werte Cousine scheint ja Großes mit dir vor zu haben und das hat selten etwas gutes zur Folge! Also was will sie von dir?“ „Woher wollen sie wissen das Prinzessin Malika etwas von mir will? Vielleicht hatte die Frau ja auch einfach nur was gegen mich?“ Oh man, ging das schon wieder los! Wir schienen keine zwei Sätze wechseln zu können ohne uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

„Erstens: Du bist aus einem Fenster in Malikas Palast gesprungen!

Zweitens: Sie ist persönlich hinter die hergerannt!

Drittens: Deine Unfälle in letzter Zeit!

Viertens: Der Vorfall von Gestern! Reicht das? Das wären ziemlich viele Zufälle auf einmal.“

Ich war baff. „Woher wissen sie von den Unfällen? Und was macht sie so sicher das die Prinzessin dahinter steckt?“ „Das Pferd wurde von einem Stein getroffen, Öl verschüttet sich nicht von allein auf Treppen, vor allem nicht wenn dort normalerweise niemand mit Öl vorbeikommt und ebenso wenig fallen befestigte Blumenvasen mal eben schnell von einem breiten Vorsprung. Die Sache mit dem Strick erklärt sich von allein, oder? Und Malika hat vor jedem deiner Unfälle jemanden in den Palast geschickt. Also, was hat sie vor?“

„Sie hat gesagt sie wolle mich opfern.“ „Opfern?“ Debah hatte sich bisher im Hintergrund gehalten, aber jetzt mischte er sich ein. „Menschenopfer sind verboten! Darauf steht dir Todesstrafe.“ „Das weiß sie selbst genauso gut. Warum? Weißt du das?“ „Sie will einen Zauber wirken, damit ihr euch in sie verliebt.“

Ich wurde angestarrt als hätte ich eben die Existenz der vier Gottheiten verleugnet. „Du musst etwas falsch verstanden haben!“ „Genau! Sie meinte bestimmt einen der anderen fünfhundert Kronprinzen! Wo sind die denn alle? Unter eurem Bett? Halt, da habe ich ja schon selbst nachgesehen! Wenn ihr sie findet warnt sie bitte, ja?“

Der Prinz starrte mich an, als wolle er mir an die Gurgel gehen. „Hör sofort auf dich über mich lustig zu machen!“ „Habt ihr mich erwischt? Na so ein Mist. Dann muss ich mir wohl jemand anderes suchen den ich veräppeln kann. Würdet ihr mich jetzt bitte entschuldigen? Ich habe zu tun!“

Mit diesen Worten wollte ich die beiden eigentlich stehen lassen, wurde aber von Siamun am Handgelenk gepackt bevor ich auch nur drei Schritte weit gekommen war. „Du bleibst hier!“ „Wovon träumt ihr Nachts?“ „Auf jeden Fall nicht von dir!“ „Stimmt, das scheint ihr ja tagsüber zu tun!“ Mein Versuch mich loszureisen blieb erfolglos.

„Jetzt hör mir mal genau zu!“ die sonst so angenehme Stimme war nur noch ein Zischen. „Ich will Malikas Pläne durchkreuzen, was auch immer die sein mögen. Dazu muss ich dich allerdings im Auge behalten können. Und das geht eben nur, wenn du meine Geliebte wirst. Ich habe darauf genauso wenig Lust wie du, aber die Alternative ist noch weniger verlockend, findest du nicht auch?“

So ungern ich das auch tat, ich musste zugeben, dass er Recht hatte. „Wehe du behältst deine Finger nicht bei dir!“ „Keine Sorge!“ Ich wurde abschätzig gemustert. „An so einem kleinen Ding wie dir habe ich kein Interesse.“ Zu meinem Leidwesen war nichts zum werfen in der Nähe, sonst hätte der Prinz jetzt irgendwas an den Kopf bekommen. Zugegeben, ein Meter fünfundvierzig war nicht besonders groß, aber ich hatte die Hoffnung das ich noch wachsen würde. Schließlich war ich ja erst sechzehn.

„Ich gehe packen!“ mit diesen Worden stürmte ich aus dem Raum, bevor ich dem Drang nachgeben konnte einem gewissen Herrn das Gesicht zu zerkratzen.

In meinem Zimmer angekommen ließ ich meine Wut an meinen wenigen Habseeligkeiten aus, indem ich sie erst durch die Gegend warf und anschließend grob in einen Sack stopfte. Wobei ich eigentlich keinen Sack gebraucht hätte. Das bisschen Zeugs konnte ich eigentlich auch so tragen.

Wären ich also packte ging die Tür auf und ein Haufen Hofdamen kamen hereingeschwirrt. Eine davon war Rhia, die mir mit meinen wenigen anderen Freundinnen alles gute wünsche wollte.

„Jetzt heul nicht gleich los! Der Strohkopf ist sicher schneller wieder da als wir gucken können. Allzu lange wird sie den Prinzen nicht für sich begeistern können.“

Rhia verdrehte genervt die Augen. Solche Sticheleien waren bei Tiada an der Tagesordnung und mit der Zeit hatte ich mich daran gewöhnt. Meistens ignorierte ich sie, aber heute stand es mir sowieso schon bis hier. „Du solltest mal schön die Klappe halten. Soweit ich weiß wirft er freiwillig noch nicht mal einen Blick in deine Richtung! Und das, obwohl du ihn herumschwirrst wie eine Fliege um einen Misthaufen!“ Ich schnappte mir meinen Sack und versuchte an Tiada und ihrem Fanclub vorbeizukommen, aber leider blockierten sie die Tür. „Würde ihre zukünftige Hoheit bitte ihren Hofstaat aus dem Weg räumen? Ich möchte durch.“ Sie waren allesamt so baff, dass sie mich ohne Widerstand durchließen. Ich winkte Rhia noch einmal kurz zu, dann verließ ich hoch erhobenen Hauptes den Raum.

Dann hatte ich erst mal meine Ruhe. Malika unternahm keine weiteren Versuche irgendetwas zu erreichen und mit den Hofdamen hatte ich auch kaum noch Kontakt. Alles in allem: Mein Leben wurde furchtbar langweilig und eintönig. Doch dieser Zustand hielt gerade mal eine Woche lang an. Denn genau so lange brauchte ich um wieder in Schwierigkeiten zu geraten. Nach einigen wohl dosierten Portionen gezielten Nervenstrapazierungen gab er mir schließlich die Erlaubnis, mich in der Stadt ein bisschen umzusehen.

Allerdings unter drei Bedingungen:

Erstens: Ein Soldat musste mich begleiten.

Zweitens: Eine Hofdame musste mit.

Drittens: Ich sollte keinen Unsinn veranstalten oder mich sonst irgendwie auffällig benehmen.

Ich schnappte mir also Rhia und wir machten uns, mit einem Soldaten im Schlepptau, auf den Weg zum Marktplatz. Und natürlich dauerte es nicht lange, bis der Ärger und ich und fanden...

Nachdem wir an einigen Ständen vorbeigebummelt waren fiel uns ein Menschenauflauf ins Auge. Neugierig wie wir waren schoben wir uns an den Leuten vorbei um besser sehen zu können, den Soldaten verloren wir dabei aus den Augen. Was wir allerdings sahen gefiel mir überhaupt nicht. Ein ziemlich großer Kerl hielt ein kleines Kind fest. Ein kleinerer, ziemlich dicker Kerl mit massig Goldschmuck kam mit einem glühenden Eisenteil in der Hand aus dem Tempel vor uns. Die hatten doch nicht etwa vor, das arme Ding zu brandmarken, oder? Offenbar doch, denn in der Menge wurde leises Gemurmel laut. Satzfetzen wie: „Die arme Kleine!“ oder „ausgerechnet Ronugtempel“ waren zu hören, aber offenbar hatte keiner vor einzugreifen.

„Hört sofort auf, verdammt noch mal“ Unbeschreiblich erleichtert nahm ich zur Kenntnis, dass sich offenbar doch jemand für das Kind einsetzte. Zumindest so lange, bis mir auffiel das ich selbst gerufen hatte. Bevor ich überhaupt wusste was ich tat war ich auch schon auf den Platz gelaufen und hatte mich zwischen Mädchen und Priester geschoben. Bei den tödlichen Blicken die mich trafen hätte ich mich am liebsten wieder verzogen, aber jetzt steckte ich schon im Schlamassel. Also hieß es Augen zu und durch.

„Ich bin Alos, der Aufseher dieses Tempels und ich werde diese kleine Diebin jetzt brandmarken, wie es die oberste Priesterin befohlen hat.“ „Diebin? Das ist ein hungriges Kind!“ Ein verdammt hungriges Kind, wenn ich mir ansah wie abgemagert es war. „Diebin bleibt Diebin, hungrig oder nicht. Und wenn du aufmüpfiges Ding nicht sofort verschwindest, kannst du dich gleich dazu stellen!“ „Mir ist egal, was deine oberste Priesterin befohlen hat. Ihr könnt doch kein Kind brandmarken, was seit ihr für Barbaren?“ Mein Versuch das Mädchen von hier wegzubringen wurde beendet, bevor ich überhaupt damit begonnen hatte. Der riesige Kerl packte mich und zerrte mich zu Alos.

Wie war das mit dem unauffällig sein nochmal?
 

Zurück am Anfang
 

Mir schwirrten allerlei wirre Gedanken durch den Kopf, während der fette Kerl mich musterte. Er wickelte sich sogar eine meiner blonden Strähnen um den Finger. „Eine wirklich sonderbare Färbung. Schade das du dich so ungebührend verhalten hast, du hättest eine hübsche Tempeldienerin abgegeben.“ Am liebsten hätte ich ihm vor die Füße gekotzt. Da würde ich doch eher eine Übernachtungsparty mit Malika veranstalten, als in so einem knappen Tempeldieneroutfit in der Nähe dieses Lustmolchs zu sein. Der zog mich ja so schon fast mit Blicken aus.

Zu meiner Erleichterung wandte er sich ab und ging zurück in den Tempel. Vermutlich wollte er sein Brandeisen neu einheizen. In der Zwischenzeit war es ziemlich abgekühlt. Währenddessen schnitt mir ein Kerl die Träger meines Kleides durch. Hätte ich keinen Stoffstreifen als Gürtel um die Talje gehabt wäre ich jetzt nackt gewesen. Warum war der BH noch nicht erfunden? Und warum hatte ich meinen alten nicht angezogen?

Eins stand jedenfalls fest: Ein gewisser jemand würde sich freuen. Und ein anderer jemand würde mich wahrscheinlich später in den Kerker werfen lassen. Schließlich hatte ich ja versprochen, keinen Unsinn anzustellen.

Dann kam Mr. klein, fett und widerlich zurück und meine Aufmerksamkeit richtete sich auf das heiße Eisen. Irrte ich mich oder glühte es noch stärker als letztes mal?

Ich sträubte mich versuchsweise, was aber nur dazu führte, dass ich noch fester gepackt wurde. Alos hatte inzwischen hinter mir Position bezogen und hob den, mir unleserlichen, metallischen Schriftzug. Ich spürte die Hitze schon, als das Metallstück noch schätzungsweise zehn Zentimeter entfernt war. Der Schmerz traf mich also keinesfalls unvorbereitet. Weh tat es aber trotzdem.

Ich schrie wie am Spies. Warum griff dieser blöde Soldat nicht ein? Dem würde ich noch was erzählen! Aber erst mal musste ich versuchen nicht unmächtig zu werden. Tränen liefen über meine Wangen und meine Schulter brannte. Außerdem war mir von dem Geruch von verbranntem Fleisch schlecht geworden.

Inzwischen war ich losgelassen worden und da mich nichts mehr aufrecht hielt sackten mir die Knie weg. Auf dem Boden angekommen begann mein Magen zu rebellieren. Schade das Alos nicht mehr vor mir stand. Ich hätte ihm gerne mein Frühstück „zu Füßen gelegt". Echt unglaublich was für Gedanken ich in solchen Augenblicken hatte. Das war wohl, was man gemeinhin als „Galgenhumor“ bezeichnete.

Das Kind! Dieser Gedanke brachte mich dazu meine Aufmerksamkeit etwas anderem zuzuwenden, als den Überresten meines Frühstücks, die vor mir auf dem Boden lagen. Ich hatte das ganze nicht durchgemacht, um jetzt zuzusehen wie das arme Ding gequält wurde.

„Aufhören!“ schrie ich wieder einmal. Oder besser gesagt: ich krächzte. Das Schreien vorhin hatte meine Stimmbänder wohl etwas überstrapaziert. Verdammt! Irgendetwas musste ich tun. Aufstehen konnte ich allerdings nicht, da Muskeln und Knochen sich offenbar in Pudding verwandelt hatten.

„Aufhören!“ Das klang zwar schon besser, aber immer noch leise und kläglich. Also auf ein neues. Räuspern, tief Luftholen, und losschreien. „Aufhören, verdammt noch mal!“ Dieses mal war ich laut und deutlich zu hören, aber deswegen hörten sie nicht auf. Sie hörten wegen der riesigen Druckwelle auf, die über den Platz fegte und Alos samt Dienerschaft mehrere Meter weit über den Platz und an die nächste Wand schleuderte.

Der näherkommende Boden war das letzte das ich sah, dann war alles schwarz und der Schmerz war weg.

5

Anmerkung: Die Kursiv geschriebenen Wörter sind deutsch (Was ja außer Etienne niemand versteht)!

Rechtschreibfehler sind wie immer umsonst und ansonsten wünsche ich allen die das lesen, allen voran natürlichshinichi_san, viel Spaß!
 

Schmerzen. Das war das einzige, dessen ich mir sicher war. Ich hatte Schmerzen. Außerdem hatte ich einen widerlichen Geruch in der Nase.

Was war passiert? Meine Gedanken fuhren wie wild Karussell und der Versuch sie zu ordnen wurde mit stechenden Kopfschmerzen belohnt. Große Klasse! Vielleicht sollte ich einfach wieder einschlafen? Das erschien mir die beste Lösung und kurze Zeit später driftete ich zurück ins Reich der Träume.

Der nächste Versuch. Meine Gedanken drehten sich jetzt wesentlich langsamer und der Geruch war durch Übelkeit ersetzt worden. Ob das allerdings so viel besser war...

„Na, endlich wieder wach?“ Ich drehte den Kopf. Der Prinz saß ein paar Meter entfernt auf einem Stuhl und sah mich auf eine Weise an, bei der ich mir nicht sicher war ob er wütend war oder sich das Lachen verkneifen musste.

„Du hast wirklich ein erstaunliches Talent dafür, dich in Schwierigkeiten zu bringen. Musstest du dich wegen eines Kindes unbedingt mit dem Aufseher eines Ronugtempels anlegen?“

Ich setzte mich vorsichtig auf während sich die Fetzen in meinem Kopf langsam zu vollständigen Erinnerungen zusammensetzten. „Also hört mal! Das arme Ding wollte doch nur etwas zu essen!“ „Opfergabe stehlen ist ein Verbrechen.“ „Trotzdem kein Grund, ein hungriges Kind wie ein Stück Vieh zu brandmarken!“ „Die oberste Priesterin hat diese Bestrafung angeordnet.“ „Und wenn Gott persönlich...“

Der Rest des Satzes blieb dem Prinzen erspart, da mir in diesem Moment auffiel, dass ich von der Hüfte aufwärts nackt war. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, schnappte mir mit der rechten Hand die Decke und warf mit der linken ein Kissen in Richtung Siamun. Letzteres bereute ich sofort, da meine Schulter durch die Bewegung schmerzte und das Kissen nicht einmal in die ungefähre Richtung seiner Hoheit kam.

„Stell dich nicht so an! Glaubst du vielleicht, ich hätte noch nie eine nackte Frau gesehen?“ Ich wurde knallrot und wollte gerade zu einem bissigen Kommentar ansetzten, als die Tür aufging und Rhia das Zimmer betrat.

„Du kommst genau richtig. Kümmere dich um sie, ich habe zu tun“ Mit diesen Worten rauschte Herr Von und Zu aus dem Zimmer.

„Warum bist du denn so rot?“ Die Frage wurde von einem wissenden Lächeln begleitet. „Na hör mal, ich bin halb nackt!“ „Ach so.“ Sie nickte, aber ihre Gesichtsausdruck sagte mir, dass sie etwas anderes dachte.

„Warum eigentlich?“ Der Themenwechsel war zwar nicht wirklich elegant, erfüllte aber seinen Zweck. „Die Wunde sollte freigelassen werden, bis sie halbwegs verheilt ist. Der Stoff würde nur wehtun und außerdem die Heilung behindern.“

„Heißt das ich muss die ganze Zeit so rumlaufen?“ Ich musste ein ziemlich entsetztes Gesicht gemacht haben, denn Rhia fing laut an zu lachen.

„Nein, natürlich nicht. Ich habe hier ein paar Kleider so umgeändert, dass sie die Stelle freilassen.“ Sie hob ein Kleid hoch, bei dem der linke Ärmel und ein Teil des Rückens fehlten.

„Was ist eigentlich mit dem Mädchen? Der Priester hat sie doch nicht etwa erwischt?“ Allein bei dem Gedanken wechselte meine Gesichtsfarbe von tomatenrot zu kalkweiß.

„Nein, ihr geht es gut. Hier ist sie!“ Erst jetzt bemerkte ich das Kind, dass hinter Rhia stand und sich ängstlich in ihrem Rock verkrallt hatte. Total eingeschüchtert linste sie hinter ihrer Hüfte hervor.

Auf meine Frage wie es ihr ging antwortete sie nicht, stattdessen löste sie sich von Rhia, kam ein paar Schritte auf mich zu und warf sich zu Boden.

„Ich danke euch, eure Majestät, dass ihr mich gerettet habt.“ Ich musste schlucken. Das war genau die Haltung, zu der Sitre und Selda mich so oft gezwungen hatten.

„Gern geschehen. Aber könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Alles!“ Die Antwort kam prompt und ohne zu zögern, der Kopf lag allerdings immer noch auf dem kalten Boden.

„Steh bitte auf! Der Boden mag zwar hübsch sein, aber ich habe nicht vor, dich über das genaue Muster auszufragen.“ Zögerlich hob sie den Kopf und als sie sah, dass ich sie anlächelte, stand sie schließlich auf.

„In Ordnung!“ Ich klatschte in die Hände. „Ich würde vorschlagen, dass mir Rhia beim anziehen hilft und anschließend fallen wir drei hübschen in der Küche ein und holen uns alles Essbare, das nicht bei drei auf den Bäumen ist!“ Die beiden fingen an zu kichern und als mein Magen dann auch noch laut zu knurren anfing brachen wir alle in schallendes Gelächter aus.

Fünfzehn Minuten später kamen wir mit einer großen Schüssel Obstsalat aus der Küche zurück. In einem der unzähligen Pavillons im Garten machten wir es uns gemütlich und ich lud dem Kind eine extra große Portion auf den Teller.

„Iss, du brauchst dringend ein paar Kilo mehr auf den Rippen!“ Lächeln sah ich zu, wie sie misstrauisch einen Bissen probierte und dann anfing, den Teller in Rekordzeit leer zufuttern.

„Was ist eigentlich mit meinem Freund dem fetten Priester?“ fragte ich zwischen einer Erdbeere und einem Stück Melone. Moment mal! Erdbeeren und Melonen? Die dürften in diesem Klima doch überhaupt nicht wachsen! Und warum fiel mir das erst jetzt auf?

„Der? Der kann froh sein, wenn er nicht eingekerkert wird!“ Die sanfte Stimme meiner Freundin riss mich aus meinem hochwichtigen Gedankengang über Klimazonen und Vegetation.

„Eingekerkert? Wieso das denn?“ Verwirrt legte ich meinen Kopf schief und zuckte zusammen, als dadurch mein Zopf in Bewegung kam und die Narbe auf meinem Rücken streifte.

„Na ja, die Gesetze erlauben Widerspruch, er hätte dich also erst dann bestrafen dürfen, wenn du dem Kind zur Flucht verholfen hättest. Und genau das haben seine Tempeldiener ja verhindert.“ Ich nickte und füllte dem Mädchen noch mal nach.

„Er muss also mit einer Strafe rechnen?“

„Wenn du eine normale Bürgerliche gewesen wärst vermutlich nicht, aber da du die Geliebte des einzigen königlichen Prinzen bist... und mal ehrlich, kaum ein Adliger würde das Wort „Verrat“ auf dem Rücken seiner Geliebten gutheißen, glaubst du nicht auch? Außerdem hat deine Druckwelle ihm einen ordentlichen Schrecken eingejagt.“

„Woher kam die eigentlich?“

„Na du bist mir ja vielleicht eine Nummer! Erst wirbelst du einen Priester in Übergröße mehrere Meter durch die Luft und dann tust du so als wüsstest du von nichts!“ Meine Brauen wanderten auf die meiner Familie so bekannten Art nach oben und ich legte meinen Kopf schief, was natürlich prompt ein neues Zucken zur Folge hatte.

„Was genau meinst du?“

„Ach komm schon, die Welle ging von dir aus! Warum hast du bisher eigentlich mit keinem Wort erwähnt, dass du Priesterin bist?“

„Das wüsste ich auch gerne!“ Zum zweiten mal an diesem Tag schrie ich und warf, mangels eines Kissens, meinen Teller in die Luft, wo er sich einmal um die eigene Achse drehte und schließlich mit dem Essen voraus wieder auf meinem Schoss landete. Verflucht! Das gab bestimmt ein paar nette Flecken! Warum schlich sich dieser hochwohlgeborene Blödian aber auch an?

„Priesterin? Ihr müsst irgendwas durcheinander bringen!“ Ich versuchte mich gerade an Schadensbegrenzung und sammelte die inzwischen doch recht vermatschten Früchte von meinem Rock.

„Nun, das lässt sich leicht herausfinden!“ Mit diesen Worten packte mich der Prinz am Handgelenk und zerrte mich aus dem Pavillon. Den Teller mit Fruchtmatsch ignorierte er dabei geflissentlich und so kam es, dass der gebrannte Tonteller zu der unbeschreiblichen Ehre eines zweiten Freiflugs kam, exklusive weicher Landung. Er knallte auf den Boden und Rhia, die offensichtlich zwischen Neugier und Pflichtbewusstsein schwankte, ließ die Scherben nach kurzem Zögern einfach liegen und rannte uns hinterher.
 

Siamun stürmte regelrecht durch die Gänge, seine hellhaarige Begleiterin schleifte er mehr oder weniger hinter sich her.

„Geht das auch ein bisschen langsamer? Ich kann nicht so schnell.“ Das kleine Mädchen war ziemlich aus der Puste, was angesichts des Tempos in dem sie neben ihm hertrabte eigentlich auch kein Wunder war. Als sie nicht mehr mithalten konnte und deswegen zu stolpern anfing mäßigte er sein Tempo etwas.

Kurze Zeit später hatten er sein Ziel erreicht: die „Priesterschule“.

„Ah, mein Prinz! Was führt euch und eure reizende Begleitung hierher?“ Moses, der Ausbilder der Scoahpriester, kam auf ihn zu, sein Interesse galt aber ganz offensichtlich Etienne.

„Dieses Mädchen scheint eine der von den Göttern erwählten zu sein. Überprüf das doch bitte!“

„Sie ist nicht von hier, oder?“

„Doch natürlich!“ Die helle Stimme triefte vor Sarkasmus. „Das sieht man doch sofort! Ich frag mich wie man bei meinem landestypischen Aussehen darauf kommt, dass ich Ausländerin bin!“ Beleidigt wandte sie ihm den Rücken zu, was Moses einen guten Ausblick auf ihren Rücken und damit auch auf die linke Schulter gewährte.

„Bei Scoah und den anderen Göttern! Ein frisches Brandmal!“ Der ältere Mann überschlug sich vor Aufregung fast.

„Ist das etwa eure berüchtigte neue Geliebte? Die, die ein Straßenkind gerettet hat? Die mit dem sonnenfarbenen Haar? Die..“

„Ja, das ist sie.“ fiel Siamun ihm genervt ins Wort. „Oder glaubst du es gibt hier seit neustem massenhaft Strohköpfe?“ Den letzten Satz bereute er sofort, denn der eben genannte „Strohkopf“ fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und funkelte ihn wütend an.

„Was habt ihr gerade gesagt?“ Bei Scoah, er steckte in Schwierigkeiten! Er suchte beinahe panisch nach etwas, dass ähnlich wie Strohkopf klang , sie aber nicht wütend machen würde. Mit dem Ergebnis, dass ihm keine einfielen.

„Jetzt hört mir mal gut zu Hochwohlgebohren!“ Ach du lieber Himmel, wenn Augen Funken sprühen konnten machten diese ihre Arbeit verdammt gut!

„Keiner hat euch gezwungen mich zu eurer Geliebten zu machen, also hört gefälligst auf, euch über mein Aussehen zu beschweren!“ Eigentlich wollte er dazu einen Kommentar abgeben, aber die Worte blieben ihm quasi im Hals stecken, da ihm genau in diesem Moment auffiel, was für eine außergewöhnliche Färbung ihre Augen hatten. Sie waren von leuchtend hellem blau und wurden zur Mitte hin dunkler, was ihm das Gefühl gab als würde er darin versinken, wie in einem tiefen See...

„Jetzt beruhigt euch wieder!“ Die Stimme von Moses sorgte dafür, dass Etienne ihren Kopf abwandte.

„Komm her Mädel, machen wir den Test!“ Das „Mädel“ drehte sich von Siamun weg und dieser schüttelte heftig den Kopf. Was war gerade mit ihm losgewesen? Er hatte schon mit haufenweise schönen Frauen zu tun gehabt, die meisten davon wesentlich schöner als Etienne, aber solche Gedanken... Nein, so etwas hatte er nicht mehr gedacht seit... Schwamm drüber, daran wollte er jetzt nicht denken. Um sich abzulenken beobachtete er Etienne dabei, wie sie eine faustgroße Kugel von Moses entgegen nahm. Wirklich zu wissen was sie damit tun sollte wusste sie offenbar aber nicht, denn sie starrte mit verwirrter Mine abwechseln zwischen der Kugel und Moses hin und her, der seelenruhig Anweisungen gab. Schließlich nickte sie und begann die Kugel anzustarren.

Erst passierte nichts, dann begann die Kugel von innen heraus zu leuchten und zerstob schließlich in tausende schwarzer Funken. Sie zuckte kurz zusammen, als hätte sie Angst sie kaputt gemacht zu haben, als allerdings keine entsprechende Reaktion kam schien sie sich wieder zu entspannen.

„Eindeutig eine Scoahpriesterin!“

„Wirst du sie ausbilden?“

„Aber natürlich!“ Moses bekräftigte seine Antwort mit einem nicken, dann winkte er seinen zukünftigen Schützling zu sich, um ihr Ort und Zeit mitzuteilen.

„In Ordnung!“ ergriff der Prinz wieder das Wort.

„Jetzt da das alles geklärt ist können wir ja wieder gehen. Ach ja, zieh dir etwas anderes an!“ Er deutete auf das Kleid mit den Saftflecken. „Das sieht ja furchtbar aus!“

Den darauf folgenden, wahrscheinlich bissigen, Kommentar verstand er schon nicht mehr richtig, da er aus dem Raum rauschte.

6

„Los, versucht es noch einmal!“ Wie oft hatte ich diesen Satz in den letzten Tagen wohl gehört? Genau wusste ich das nicht. Irgendwann hatte ich einfach aufgehört zu zählen. Also stieß ich nur einen genervten Seufzer aus und machte das ganze Affentheater noch einmal. Sprich: Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie die Magie durch meine Fingerspitzen nach außen trat und Funken bildete. So weit so gut. Das war der theoretische Teil. Klappte eigentlich auch ganz gut.

Das eigentliche Problem war der praktische Teil. Die paar armsseligen Leuchtpünktchen, die über meinen Fingerspitzen herumdümpelten, als Funken zu bezeichnen wäre die Übertreibung schlechthin gewesen. Also: keine Verbesserung. Nicht die geringste. Fast schon verzweifelt blickte ich Moses an.

„Warum klappt es nicht?“ Meine Stimme klang zittrig und wenn ich auch nur halb so beschissen aussah wie ich mich fühlte, dann würde mein Lehrer mich bald vom Boden wischen müssen. Ich hatte nämlich vor, in Selbstmitleid zu zerfließen. Jawohl!

„Alle außer Lady Etienne gehen raus und üben!“ Noch eine Veränderung. Nicht nur das ich plötzlich in den niederen Adelsstand erhoben worden war, ich hatte auch noch die entsprechende Anrede verpasst bekommen. Lady Etienne. Wow ! Zum Glück nannten mich Rhia und der Prinz weiterhin beim Vornamen. Ich hatte nämlich die nervige Angewohnheit, nicht auf Mylady zu reagieren. Zumindest reagierte ich jetzt noch nicht. Aber da man sich ja bekanntlich an alles gewöhnt....

„Und was machen wir jetzt?“ fragte ich während ich Moses zu ein paar Kissen in der Nähe eines Fensters folgte.

„Nun, ich dachte es könne nicht schaden, euch etwas über Magie zu erzählen.“ Skeptisch legte ich meinen Kopf schief.

„Und das soll helfen?“ Wenigstens musste ich nicht mehr aufpassen, was mein Zopf machte. Die Wunde heilte ziemlich gut und tat inzwischen kaum noch weh. Vorausgesetzt, man lehnte sich nicht gegen eine Steinwand wie ich gerade. Aua! Verdammter Mist.

„Ihr wirkt während der Übungen ziemlich verkrampft. Könnte es sein das ihr Angst habt?“ Volltreffer. Moses war zwar schon Anfang fünfzig, aber nicht auf den Kopf gefallen. Gedankenverloren nickte ich.

„Ich habe gesehen, wie diese Männer gegen die Wand gekracht sind. Sie hätten sich das Genick brechen können. Ich hätte Unschuldige verletzen können.“ Ich starrte mein Gegenüber aus weit aufgerissenen Augen an, während sich meine Hände in meinen blonden Haaren verkrallten. „Das macht mir höllische Angst!“ Ich hielt inne als ich bemerkte das Moses mich merkwürdig musterte.

„Ich hoffe dem Prinzen ist bewusst, was für ein Juwel ihm da in die Hände gefallen ist!“

„Wohl eher in die Arme gesprungen!“ murmelte ich leise.

„Was habt ihr gesagt?“

„Ach nichts. Nur laut gedacht.“

„Wie auch immer. Genau diese Angst muss abgebaut werden! Sie wirkt wie eine mentale Blockade. Daher dachte ich, etwas über den Ursprung eurer Macht zu erfahren würde euch vielleicht helfen.“ So wirklich glaubte ich zwar nicht daran, aber vielleicht hatte er ja recht.

Im Grunde wusste natürlich niemand genau, woher die Kräfte der Priester eigentlich kamen. Aber man ging davon aus, das die Götter ihre Priester bei der Geburt erwählten und ihnen ein gewisses „Maß an Macht“ verliehen. Dieses „Maß“ entschied darüber, wie mächtig der jeweilige Priester war. Kurz: Je mehr Magie man bei der Geburt verliehen bekam desto mehr Power hatte man und desto mächtigere Zauber konnte man wirken. Was bei mir heißen würde, dass vermutlich jeder Tempeldiener mächtiger war als ich. Wunderbar!

„Und was für Kräfte haben die Götter und die jeweiligen Priester?“ fragte ich als der Monolog zu Ende war. Ich musste dringend diese trüben Gedankengänge stoppen.

„Das ist schwierig. Das hängt sowohl von der jeweiligen Person als auch vom jeweiligen Gott ab. Außerdem gibt es teilweise Überschneidungen. Aber im groben könnte man sagen, dass Ronug der Gott des Lichts, des Lebens und alles Guten ist. Die zugehörigen Priester sind meistens Krieger, können aber bis zu einem gewissen Grad auch heilen. Scoah ist der Gott des Chaos, des Todes und der Dunkelheit, seine Priester sind auch meist Krieger, sie können aber auch Gifte und Medizin herstellen. Tegis ist die Göttin des Wissens, ihre Priester sind meist Gelehrte und Sterndeuter. Und zum Schluss gibt es noch Peroka, die Göttin der Pflanzen und Lebewesen. Perokapriester haben starke Heilkräfte oder sind begehrte Gärtner.“ Schweigen.

„Was bedeutet Krieger?“ fragte ich vorsichtig. Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Wenn ich mit irgendwelchen Waffen herumhantieren musste... Hoffentlich gab es genug Perokapriester um meine Trainingpartner zu verarzten.

„Kommt mit!“ Mein Lehrer führte mich zu einem kleinem Balkon, von dem man in den Hof hinunter schauen konnte. Einer meiner Mitschüler machte eine kurze Bewegung, als würde er etwas werfen. Gespannt beobachtete ich, wie etwas unförmiges schwarzes über den Hof fegte, direkt auf die Zielscheibe an der gegenüberliegenden Wand zu. Im nächsten Moment war sie mit Nadeln gespickt. Und zwar komplett.

„Muss ich das etwa auch lernen?“ fragte ich als ich es irgendwie geschafft hatte meinen Mund, dessen Unterkiefer auf Bauchnabelhöhe gehangen hatte, wieder zu schließen.

„Müssen nicht, aber das ist eine einfache Übung.“ Einfach? Nur weil eine Übung einfach war hieß das noch lange nicht, dass ich sie schaffen würde.

„Macht euch keine Sorgen wenn es nicht gleich so klappt, Derian ist einer der besten.“ beeilte sich Moses zu sagen als er meinen Gesichtsausdruck sah.

„Das wird garantiert nicht gleich so klappen! Oder hast du vergessen wie schwer ich mich jetzt schon tue?“

„Nein natürlich nicht, aber ich bin sicher, dass das nur daran liegt, dass ihr euch selbst blockiert. Aber dürfte ich euch etwas persönliches fragen?“ Offenbar versuchte er das Thema zu wechseln.

„Natürlich! Frag nur, ich bin ein offenes Buch.“ Fast jedenfalls.

„Warum seid ihr die Geliebte des Prinzen? Ihr passt nicht in... in...“

„Sein übliches Beuteschema?“ beendete ich den Satz.

„Beuteschema?“ Beinahe konnte ich die Fragezeichen um seinen Kopf schwirren sehen. „Wieso Beute? Er jagt euch doch nicht. Und was ist ein Schema?“

„Das ist eine Redewendung, nicht wörtlich gemeint. Ich versuche es zu erklären.“ Ich fuhr mir mit einer Hand durch mein Haar und überlegte, wie ich das am besten umschreiben konnte.

„Also, wenn.... wenn ein Mann zum Beispiel mit vielen Frauen flirtet und diese Frauen haben alle eine Gemeinsamkeit, dann entsprechen diese Frauen alle dem selben Muster, was umgangssprachlich auch Beuteschema genannt wird.“ So wirklich zufrieden war ich damit nicht, aber besser konnte ich es nicht.

Flirtet?“ Ich stöhnte. Ich sollte mir dringend abgewöhnen, einfach deutsche Wörter zu benutzen oder Redewendungen einfach zu übersetzen. Obwohl das stellenweise zu lustigen Situationen führte.

„Um auf deine Frage zurückzukommen, ich habe keine Ahnung. Ich bin weder schön, noch reich.“ Das war zwar eiskalt gelogen, aber der Prinz war der Meinung, dass Malika versuchen würde aus der Situation Profit zu schlagen, daher wäre es besser, wenn wir das schwer verliebte Paar spielen würden. Was auch immer das nützen sollte.

„Also wenn ich ehrlich sein soll, ihr seid das beste, das seiner Majestät je passiert ist!“ Jetzt war ich dran mit dem dumm aus der Wäsche schauen. Vielleicht hatte Moses ja ein bisschen zu viel Sonne abbekommen.

„Ihr habt etwas, das keine seiner Geliebten je hatte. Und zwar ein mitfühlendes Herz. Oder glaubt ihr eine Adelstochter hätte eine Narbe riskiert um einem Kind zu helfen? Oh nein, die hätte tatenlos zugesehen und es vielleicht sogar noch lustig gefunden.“

„So schlimm werden die schon nicht sein! Außerdem glaube ich nicht, dass mein unendliches Mitgefühl der Grund ist.“

„Ihr hattet wohl noch nicht viel mit dem Hochadel zu tun, oder? Ihr habt keine Ahnung, wie grausam eine gelangweilte Prinzessin auf der Suche nach Unterhaltung sein kann. Aber ihr scheint den Prinzen sehr beeindruckt zu haben.“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Ihr seid die erste, die bei ihm in den Gemächern wohnt. Sonst waren sie stets tabu und zwar für jeden, der nicht zur Familie gehört oder dort aufräumen soll.“

„Ach wirklich?“ Ich war tatsächlich die einzige? Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, meine Brust würde vor Stolz anschwellen. Moment mal! Stolz? Was für einen Grund gab es bitte darauf stolz zu sein? Der Kerl war der größte Schürzenjäger im Palast, wenn nicht sogar des ganzen Landes. Also gab es definitiv keinen Grund. Und deswegen war ich es auch nicht. Punkt. Ende der Diskussion.

Ich schüttelte heftig den Kopf um solche Gedanken zu vertreiben und stieß mich vom Balkongeländer ab.

„Ich muss los, der Prinz sagte, er wolle etwas mit mir besprechen.“

„In Ordnung. Und übrigens, alles was ich euch erzählt habe stimmt.“ Er lächelte mich an wie ein Vater, der seiner Tochter gerade versichert hatte, dass sie keine Figurprobleme hatte und alle anderen bloß neidisch waren.

Meine Laune besserte sich dadurch tatsächlich, aber ich hatte keine Ahnung, dass Moses mich angelogen hatte.

Als ich in den Aufenthaltsräumen im Schlossteil des Prinzen ankam war niemand da. Super! Erst schärfte er mir ein, ich solle nach dem Training sofort hierher kommen und dann lies er mich warten. So eine Unverschämtheit!

Um mir die Zeit zu vertreiben ging ich zu einem der großen Fenster, kletterte auf dem etwa Hüft hohen Sims und kuschelte mich in die Kissen die dort lagen. Okay, bei mir ging der Sims bis etwas über den Bauchnabel, aber ich war ja auch ungefähr zwanzig Zentimeter kleiner als die durchschnittlichen Landesbewohnerrinnen. Von den Männern ganz zu schweigen.

Ich schob diese Gedanken zur Seite und blickte hinaus in den Garten. Das war einer der Vorzüge an diesen Räumlichkeiten. Der wunderschöne Garten mit all diesen Pflanzen, von denen ich die Hälfte nicht kannte und deren Duft sich zu einem unglaublichen Aroma vermischte, den Pavillons, den verwundenen Pfaden und das Stück am anderen Ende, an dem der Benel durch den Garten floss. Dort konnte man sogar baden. Einfach wunderschön.

Ein Räuspern sorgte dafür, dass ich meine Aufmerksamkeit etwas anderem zuwandte. Der Prinz hatte in Begleitung einer Frau das Zimmer betreten.

Eine Anstandsdame? Das war das erste, dass mir zu ihr einfiel. Sie war groß und so schlank, dass sie schon fast dürr wirkte. Ihr schon leicht graues Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengefasst, was sie noch strenger wirken lies.

Die gute alte weibliche Intuition hatte mal wieder recht.

„Das ist Lady Neriman, sie wird dir Etikette und Verhaltensregeln beibringen.“

„Wozu das denn?“ Eigentlich war ich der Meinung, dass meine Mutter ihren Job sehr gut gemacht hatte.

„Du kannst nicht immer durch die Gegend rennen und mit den Leuten reden wie es dir gerade passt. Und wenn du mit anderen so sprichst wie mit mir, dann ist mein Ruf schneller ruiniert als Malika ihre Kleider wechseln kann. Also?“ Meine Hände begannen unkontrolliert zu zittern und ich verschränkte sie vor der Brust, damit er es nicht sah.

„Wie ihr wünscht, Hoheit.“ War das meine Stimme? Wow. Sie klang sogar in meinen Ohren so giftig, dass ich mich wunderte warum der Prinz überhaupt noch lebte. Er tat mir leider nicht den Gefallen tot umzufallen, sondern starrte mich einfach nur unbewegt an.

„Diesen Tonfall müsst ihr euch abgewöhnen. Ihr sprecht mit dem zukünftigen König!“ Im Gegensatz zu ihrem Äußeren war die Stimme der Frau unglaublich angenehm. Sie war tief und hatte etwas beruhigendes.

Mein Kommentar war ein schnauben. Wenn Mr. Von und Zu nicht dauernd einen auf „ich bin der Größte“ machen würde wäre ich auch höflicher. Außerdem: Was um alles in der Welt sollte dieses Theater? Ich würde einfach als Geliebte hier vor mich hin versauern. Ende. Wozu also die Mühe?

„Also, wann und wo?“ Meine Stimme klang immer noch als wolle ich jemanden an die Gurgel gehen, aber was sollte ich machen? Mir war in Rekordzeit die Laune ruiniert worden.

„Jeden Tag nach eurem Training im kleinen Besprechungsraum seiner Majestät.“ Mit diesen Worten verbeugte sich mein neuster persönlicher Folterknecht und lies uns einfach stehen.

Jetzt da wir allein waren hätte ich ihn fragen können, was das ganze sollte. Eigentlich wollte ich das auch. Aber nach einiger Zeit fiel mir auf, dass wir beide schweigend in ein anderes Eck starrten. Und das gefühlte drei Stunden!

Man, mir war nie aufgefallen, wie viele Dinge es gab die man anstarren konnte. Da drüben stand eine Obstschale. Hatte dieser Hocker schon immer da gestanden? Und die Fliesen unter meinen Füßen waren wirklich erstaunlich!

Und das war absolut erbärmlich! Ich verhielt mich wie ein verängstigtes Kleinkind. Er würde mir schon nicht den Kopf abreisen.

Also holte ich tief Luft, hob den Kopf und sah, dass der Prinz schon auf dem Weg zur Tür war.

„Warum?“ Das Wort hing in der Luft, völlig zusammenhangslos, aber er war nicht dumm. Ich würde es zwar ihm gegenüber niemals zugeben, aber er war sogar ziemlich klug. Oder zumindest wirkte er so.

„Dein Verhalten lässt zu wünschen übrig!“

„Ist das alles?“

„Ist das nicht genug?“ Er klang, als würde er einem trotzigen Kind erklären, warum es sich nicht gehörte andere anzuspucken. „Die Leute reden schon über dich. Einige glauben, ich wolle dich heiraten. Deswegen möchte der Adel dich kennen lernen. Wenn du dich dabei so benimmst wie gerade eben werden Gerüchte entstehen.“

„Gerüchte über eine Scheinbeziehung? Das ist eine Tatsache. Und wenn ich einfach still und leise vor mich hinlebe werden sie das alles bald vergessen haben.“

„Tatsachen kann man verschleiern, aber Gerüchte sind wie Kletten. Man wird sie nie mehr los. Außerdem solltest du viel in der Öffentlichkeit zu sehen sein. Je mehr Leute dich kennen und respektieren, desto unantastbarer wirst du für Malika. In einem Monat ist ein Bankett, zu dem du eingeladen bist. Halte dich also ran.“

Einen Monat, um alles zu lernen, was eine Adlige schon von Geburt an lernte. Na super. Für wen hielt der mich?

Das kleine Straßenmädchen lugte vorsichtig hinter einer Säule hervor. Für sie musste ich mir noch etwas überlegen. Einfach nach Hause schicken ging nicht. Ihre Familie war bettelarm und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder stehlen musste.

„Willst du mir in den Garten gehen Kija?“ Das Kind war sofort Feuer und Flamme und ich freute mich schon auf die Ablenkung. Der nächste Monat würde die Hölle werden.

7

Hölle? Na gut, das war vielleicht ein bisschen übertrieben.

Ich machte zwar im Bereich Magie keine wirklichen Fortschritte, dafür stellte ich mich im Benimmunterricht gar nicht mal so schlecht an. Zumindest nachdem ich das „Malika nachahmen und sich dabei die Beine brechen“ Stadium hinter mir hatte.

Es hatte relativ genau drei Tage gedauert bis ich erkannt hatte, dass ich ihren „Ich schwebe einen halben Meter über den Boden Gang“ wohl nie draufhaben würde. Obwohl: Eigentlich hatte ja eher Lady Neriman drei Tage gebraucht um mir diese Tatsache verständlich zu machen.

Dann ging es allerdings steil Bergauf. Ich lernte wie ich mich gegenüber dem Adel zu verhalten hatte, wann und wie tief ich mich zu verneigen hatte und alles, was eine Prinzessin sonst so können musste.

Als Bürgerliche aus gutem Hause, die in eine Familie von niedrigem Adel eingeheiratet hatte, wusste Neriman sehr gut, mit welchen Problemen ich zu kämpfen hatte. Und was noch besser war: Sie wusste für vieles die Lösung. Selbstsicher auftreten und so tun als wäre nichts. Frei nach dem Motto: „Wenn Leute klug wirken wollen reden sie laut!“

Wie auch immer, nach einem Monat waren Neriman und ich recht gute Freundinnen geworden und sie hatte mich soweit gebracht, dass ich den Abend durchstehen würde, ohne den Prinzen dabei bis auf die Knochen zu blamieren. Außerdem kam ich nicht mehr jedes mal zu spät, weil ich den Weg nicht fand, was das Unterrichtsklima wesentlich verbessert hatte.

Dann kam der große Tag. Eigentlich hatte ich ja ausschlafen wollen, aber ich wurde schon früh morgens von zwei äußerst euphorischen Hof- beziehungsweise Anstandsdamen geweckt, die jede einen riesigen Stapel Kleider überm Arm hatten.

Bevor ich in irgendeiner Weise reagieren konnte wurde mir die Decke weggezogen und keine zwei Minuten später stand ich mitten im Zimmer und probierte sage und schreibe dreißig verschiedene Kleider an. An sich wäre das ja nicht weiter schlimm gewesen, aber Neriman und Rhia beratschlagten bei jedem gefühlte drei Stunden, sodass die Anprobe bis zum Mittag dauerte. Das dass erste Kleid der glückliche Sieger war besserte meine Laune nicht wirklich.

Ebenso wenig wie der Berg Schmuck, bei dem sie sich Gott sei Dank für eine der letzteren Kombinationen entschieden, und die Diskussion über Frisuren gleich im Anschluss.

Alles in allem dauerte die gesamte Prozedur bis irgendwann nachmittags!

Ich atmete erleichtert auf und wollte mich elegant aus dem Staub machen, kam aber nicht mal bis zur Tür, bevor ich an beiden Armen gepackt und ins Badezimmer geschleift wurde. Geschleift wohlgemerkt! Ich wurde nicht gebracht, gelotst oder geschoben, nein sie zerrten mich regelrecht hinter sich her.

„Hey ihr beiden, ich kann mich alleine waschen!“ Mein Protest stieß wieder mal auf taube Ohren. Diese Diskussion führten Rhia und ich schon seit sie zu meiner Hofdame ernannt worden war.

„Wir sind für euer Aussehen und euer Wohlergehen verantwortlich. Und außerdem ist heute das Bankett. Würdet ihr also bitte kooperieren?“

„Natürlich, das Bankett! Wie hatte ich das nur vergessen können?“ Darf ich vorstellen: Meine Ironische Seite.

„Und ich dachte schon ich hätte die ganzen Kleider anprobiert, weil ich plötzlich zur Monoequin mutiert bin.“

„Was ist eine Monekin?“

„Könnte man mit Modepüppchen übersetzen.“ Rhia hatte in den letzten Monaten eine beeindruckende Anzahl von deutschen Wörtern gelernt, das meiste davon Sprüche wie „leck mich doch am A...llerwertesten“, oder Redewendungen wie „wer einmal lügt dem glaubt man nicht, auch wenn er gleich die Wahrheit spricht“.

„Wie auch immer, jetzt werden wir euch von Kopf bis Fuß abschrubben!“ Mit diesen Worten wurde ich mit einem lauten Platschen in das, glücklicherweise warme, Badewasser geworfen.

Das aufwärmen des Wassers erfolgte nach dem Prinzip der Fußbodenheizung der Römer. Unter und an den Seitenwänden der im Boden eingelassenen Wanne befanden sich Holräume, in die heiße Luft geleitet wurde. Man durfte nur nicht vergessen, rechtzeitig einzuheizen.

Wie auch immer, Rhia und Neriman machten ihre Drohung war und schrubbten mich von Kopf bis Fuß, bis sich vermutlich eine Woche lang kein Schmutz auch nur in meine Nähe wagen würde.

Dann wurde ich mit meinem Lieblingshauöl, mit Pfirsichduft, eingerieben und mein noch feuchtes Haar gekämmt und geflochten.

Anschließend steckten mich die beiden in das ausgesuchte Kleid und begannen mich mit Schmuck zu behängen, sodass ich mir bald vorkam wie ein Weihnachtsbaum. Obwohl ich eigentlich wusste, dass die beiden sich auf meine Bitte hin noch zurückgehalten hatten. Die meisten Adeligen trugen wesentlich dicker auf, zumindest wenn man Selda und Sitre glauben durfte. Gegen die beiden wirkte ich richtig bescheiden.

Wie auch immer, jetzt fehlte nur noch der letzte Schliff in Form des schwarzen Kajals, den ich noch von meiner Ankunft im Palast kannte. Anschließend wurden meine getrockneten Haare aufgeflochten und gebürstet. Als Rhia und Neriman mit dem Ergebnis zufrieden waren wurde ich zum Saal geführt, in dem das Bankett stattfinden sollte.

Jetzt hieß es warten bis ich reingerufen wurde. Die Zeit, die mit dem Tempo einer Schnecke mit Rheuma oder Gicht dahin schlich, vertrieb ich mir damit, am einer meiner Haarsträhnen herumzuspielen und unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten.

Als die Tür dann endlich geöffnet wurde wusste ich nicht, ob ich erleichtert jubeln oder panisch davonrennen sollte. Ich entschied mich für eine Zwischenlösung: Ich bekam Panik, versuchte aber das in den Griff zu bekommen und betrat mit ruhigem Gesicht den riesigen Saal. Zumindest hoffte ich das es ruhig und gefasst war, denn ich sah mich meinem schlimmsten Albtraum gegenüber: Einem riesigen Saal voll fremder Menschen.

Ich gab mir gedanklich eine schallende Ohrfeige, holte tief Luft und lief die Treppe hinunter, wobei ich versuchte darauf zu achten, meinen Rücken gerade zu halten und nicht auf den Saum meines langen Rocks zu treten.
 

Prinzessin Malika sonnte sich in der Bewunderung der männlichen und im Neid der weiblichen Besucher des Banketts.

Eigentlich wurde es ja abgehalten weil alle neugierig auf sie neuste Eroberung ihres Cousins waren. Die Frau, die es geschafft hatte das Herz, oder besser gesagt: die Gemächer, des Prinzen zu erobern.

Angeblich war sie eine Schönheit mit goldenem Haar... So ein Blödsinn.

Sie hatte sie damals ja relativ gut gesehen und daher wusste sie, dass an diesen Gerüchten nichts dran war. Das kleine Miststück war blass wie eine Leiche, ihre Augen hatten irgendeine wässrige Farbe gehabt, an die sie sich schon gar nicht mehr richtig erinnerte, und was die Haare anging, wer versteckte denn bitte goldenes Haar unter einem Kopftuch?

In Gedanken schüttelte sie den Kopf über diese Dummheit und wandte sich wieder ihrem Gesprächspartner zu.

Er war zwar mehr als doppelt so alt wie sie, aber er war einflussreich und deswegen genau die Art von Mann, den sie gerne als Verbündeten hatte. Außerdem starrte er sie mit diesem bewunderndem Blick an, den sie so oft bei Männern bemerkte.

Davon war im Moment allerdings nichts zu sehen, stattdessen blickte er mit einer Mischung aus Verwunderung und Verzückung zur Tür. Genau wie jeder andere auch wohlgemerkt.

Neugierig darauf was die Aufmerksamkeit aller Personen auf sich zog, drehte Malika den Kopf und erstarrte.

Da war dieses kleine ausländische Gör. Ihre Haut war inzwischen etwas dunkler geworden, aber noch immer deutlich heller als die ihre. Und ihre Haare hatten tatsächlich... einen Gelbton! Gold. Von wegen!

Beinahe hätte sie mit den Zähnen geknirscht als sie sah, das Siamun sie begrüßte und offenbar vorhatte, den Rest des Abends an ihrer Seite zu verbringen.

Und als ob das nicht schon genug wäre, hatte sich offenbar der gesamte Saal auf einmal beschlossen, mal eben schnell guten Tag zu sagen. Allen voran ihr ehemaliger Gesprächspartner, der sich gerade mit Hilfe seiner Ellenbogen durch die Menge arbeitete.

Innerhalb von Sekunden war Malika außen vor. Ein Gefühl, das sie bisher nicht gekannt hatte und das ihr auch überhaupt nicht gefiel. Schließlich war sie ihr ganzes Leben lang als eine der größten Schönheiten im ganzen Land gerühmt worden.

Allerdings fiel ihr nach einiger Zeit etwas auf, dass ihre Laune etwas besserte. Die Blicke von Siamuns ehemaligen Geliebten. Vielleicht würde sich dieses Problem bald von selbst lösen.
 

„Man bin ich froh, dass das vorbei ist.“ Mit diesen Worten lies Etienne zahlreiche Armreifen klirrend auf einen Tisch fallen und wandte sich zu Siamun um.

Er musste zugeben, dass sie ihn positiv überrascht hatte. Er hätte nicht gedacht, dass sie sich so gut schlagen würde.

„Ich würde euch gerne um etwas bitten.“ Aha. Deswegen waren neben Debah und Rhiannon auch noch Neriman, Moses und Kija im Zimmer. Offenbar hatte sie sich Verstärkung geholt.

„Es geht um Kija. Sie braucht dringend Arbeit und ich wollte euch bitten, ihr arbeit im Palast zu geben.“ Ungläubig starrte er sie an. Ein Straßenkind? Im Palast?

„Kommt nicht in Frage!“

„Aber wenn sie kein Geld verdient muss sie wieder stehlen!“ Etienne machte ein Gesicht, als wollt sie in Tränen ausbrechen.

„Und sie hat ja auch nur gestohlen, um sich zu ernähren.“ mischte Rhiannon sich ein, während Moses und Debah zustimmend nickten. Das war ja die reinste Verschwörung.

„Nein!“

„Bitte! Bitte, bitte, bitte!“ Offenbar hatte Etienne die Taktik gewechselt. Vom logischen Überzeugen zum betteln.

„Ich bitte euch!“ Ihre Stimme schien sich plötzlich zu verändern. Sie wurde süßer, wie Honig und genauso dickflüssig. Sie schien ihm in den Gehörgang zu fliesen, bis er kaum noch etwas anderes wahrnahm.

„Bitte“ Sprach sie immer noch, oder hallte ihre Stimme nur in seinem Kopf nach? Wie auch immer, er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis einfach Ja und Amen zu sagen, egal was sie wollte.

„Unglaublich!“ Moses Stimme war das einzige, das ihn daran hinderte genau das zu tun. Er klammerte sich beinahe an diesem Klang fest und versuchte, den Kopf frei zu bekommen.

„Sie beeinflusst seinen Willen.“

„Was soll ich tun?“ Etienne klang, als hätte Moses bestritten, dass der Mond am Himmel stand.

„Ihr habt offenbar die Fähigkeit, den Willen anderer Leute zu beeinflussen.“

„Ich kann noch nicht mal ein paar Funken erzeugen. Wie soll ich da den Willen dieses Dickschädels beeinflussen können?“ Siamun beschloss, diese Beleidigung zu überhören.

„Das ist etwas anderes. Funken erzeugen ist eine aktive Fähigkeit, Willensbeeinflussung eine passive.“

„Aktiv und Passiv?“

„Aktiv bedeutet, dass ihr aktiv etwas tut. Zum Beispiel einen Dolch erschaffen und werfen oder Funken bilden. Bei passiven Fähigkeiten wird eher etwas beeinflusst. Beispiele dafür wären eure eben demonstrierte Fähigkeit andere zu beeinflussen oder das herstellen von Gift und Medizin.“

„Warum hast du sie nicht auf passive Fähigkeiten getestet?“ fragte Rhia ihren Onkel.

„Weil sie bei Scoahpriestern sehr selten sind. Sie kommen eher bei Peroka- oder Tegispriestern vor.“

„Okay, dieses spannende Thema wäre geklärt. Was ist jetzt mit Kija?“ Damit kamen sie wieder auf das eigentliche Thema zurück.

„Meinetwegen. Soll sie halt hier bleiben. Irgendwas finden wir schon für sie.“ Das strahlende Lächeln, das Etienne ihm daraufhin schenkte, machte ihm bewusst, dass sie wahrscheinlich alle Register gezogen hätte um ihren Willen durchzusetzen. Und wenn sie ihn dazu hätte zwingen müssen.

„Das muss ich sofort meiner Mutter erzählen.“ Das Kind hüpfte, total überdreht, wie ein Ball auf ihn zu. Allerdings verbeugte es sich nicht wie vorgegeben, was er eigentlich gedacht hatte, sondern klammerte sich an einem seiner Beine fest, hob den Kopf und strahlte ihn an.

Und in diesem Moment fragte er sich, warum er dieses süße kleine Ding jemals auf die Straße hatte werfen wollen.

8

„Das muss ich sofort meiner Mutter erzählen.“

Aus genau diesem Grund maschierte die wahrscheinlich seltsamste Gruppe die Nasduna je gesehen hatte durch die Straßen von Lin.

Das komische war dabei allerdings nicht die Konstellation, obwohl die mit einem königlichen Prinzen, einer Hofdame, einer Ausländerin, einem Priester, einer Anstandsdame, einem gerade beförderten Straßenkind und zwei bis an die Zähne bewaffneten Soldaten wirklich extrem gewöhnungsbedürftig war.

Das eigentlich seltsame war, dass sich die Gruppe, die sich laut Etienne den „Kija-Fanclub“ nennen könnte, schnurstracks vom Palast der Königsfamilie zum Armenviertel spazierte. Allerdings erklärte das eindeutig die Soldaten.

Seine königliche Hoheit rümpfte die Nase, als sie endlich ihr Ziel erreichten: Die heruntergekommene Hütte, in der Kijas Familie hauste. Leben konnte man das ja nicht nennen. Dagegen musste dringend etwas getan werden. Dagegen und gegen diesen widerlichen Gestank.

Siamun machte sich eine Notiz auf seinem geistigen Merkzettel, direkt unter „herausfinden, warum Etienne ihn so nervös machte“. Dieser Punkt machte ihm wirklich Sorgen. Allein schon wegen der Tatsache, dass er inzwischen nicht mehr wusste, ob er sie hassen oder mögen sollte und das er tatsächlich überlegte, ob an ihrer Geschichte von Portalen und anderen Welten etwas dran war.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Tür öffnete und sie eintreten konnten. Er sah sich einer dürren Frau Mitte dreißig gegenüber, die sich schützend vor drei Kindern im Alter von drei bis zehn Jahren aufgebaut hatte und offenbar vorhatte, die Palastwachen mit Blicken zu erdolchen. Eigentlich kein Wunder, Leute wie sie hatten meist keine guten Erfahrungen mit dieser Berufsgruppe.

Ihr Blick löste sich erst, als ihre Tochter zu ihr stürzte und sie mit einem aufgeregten Wortschwall überfiel.

„Mama, das ist Lady Etienne!“ Aufgeregt zeigte sie mit dem Finger auf die eben genannte.

„Sie ist ja so toll, so TOLL!“ Sie wollte ihre Mutter offenbar hinführen, aber die weigerte sich mit einem Blick auf die Wachen weiterhin, auch nur einen Schritt von der Stelle zu weichen.

„Könntet ihr bitte raus gehen? Wir versprechen auch zu schreien, wenn irgendwas ist.“ Etienne blickte erst die Wachen dann Siamun an, der ihnen einfach nur zunickte, woraufhin sie verschwanden.

„Wer seid ihr?“ Diese Frage war durchaus berechtigt und so gab es erst mal eine Vorstellungsrunde, die aber nicht wirklich zur Besserung der Stimmung beitrug.

„Wir werden die Unannehmlichkeiten wieder gut machen, dass schwöre ich!“ Panik lag in ihrer Stimme.

„Sie müssen doch nichts gutmachen. Ihre Tochter hat niemandem etwas getan.“ Bei diesem Worten drapierte Etienne ihren Mantel so, dass das Brandmal auf ihrer Schulter vollständig verdeckt wurde. Außerdem veränderte sich der Klang ihrer Stimme wieder, wurde süß. Offenbar versuchte sie unbewusst die Familie zu beruhigen.

Siamun wusste nicht genau ob es daran lag, oder ob Kijas Bruder einfach nur neugierig war. Auf jeden Fall schob sich der etwa dreijährige Junge hinter seiner Mutter hervor und tapste auf Etienne zu.

„Sind die echt?“ fragte die männliche Kija-Ausgabe und deutete auf ihre goldene Haarpracht, die, heute ausnahmsweise offen, in sanften Wellen über ihre Schultern bis zur Talje fiel.

„Khem!“ rief seine Mutter erschrocken.

Ohne auf die Frau zu achten ging Etienne vor dem Jungen in die Hocke.

„Ja sind sie. Willst du mal anfassen?“ Mit diesen Worten hielt sie Khem eine Haarsträhne hin.

Seine Augen wurden riesengroß und er ließ sich die Strähne durch die Finger gleiten. Dann packte er zum entsetzen aller Anwesenden zu und zog einmal kräftig.

Die Reaktionen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Khems Mutter schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund, offenbar sah sie ihr Ende nahen. Neriman schnalzte missbilligend mit der Zunge und das arme Opfer fing schallend an zu lachen. Siamun selbst verspürte das seltsame Verlangen, dem Jungen ordentlich eins auf die Finger zu geben.

„Und? Jetzt überzeugt dass sie echt sind?“ Dieser Satz machte den restlichen Familienmitgliedern offenbar Mut, denn die nächste halbe Stunde verbrachte Etienne damit, auf dem Boden zu knien und sich von vier Kindern bewundern zu lassen, was ihr offenbar gefiel.

Dann wurde das Geschäftliche geregelt. Kija würde als Botenjunge, na ja, eher Botenmädchen, im Palast arbeiten, was der finanziellen Situation, die sich seit dem Tod des Familienvaters extrem verschlechtert hatte, wirklich helfen würde.

Und so machte sich der Kija-Fanclub nach verrichteter Arbeit wieder auf den Heimweg.

Allerdings sollte es noch lange dauern, bis sie dort ankamen, denn unterwegs trat der Zustand ein, wegen dem die Wachen mit von der Partie waren.

Sieben große, muskulöse Kerle stellten sich ihnen in den Weg.

„Rückt die Kleine raus, dann wird niemand verletzt!“ Niemand musste fragen, wer mit der Kleinen gemeint war. An Kija hatten die bestimmt kein Interesse.

Die Soldaten reagierten sofort und bezogen Stellung, aber spätestens als die Männer weiße Dolche herraufbeschworen war klar, dass diese beiden keine Change hatten. Nicht gegen Ronugpriester, die aus der Entfernung angreifen konnten. Moses war zwar Scoahpriester, hatte alleine allerdings keine Change und Malika hatte bestimmt keine Schwächlinge geschickt.

Es kam wie es kommen musste: Die Wachen waren relativ schnell ausgeschaltet und trotz aller Bemühungen von Moses kamen die Kerle immer näher, was ihn schließlich dazu brachte, tief in die Trickkiste zu greifen und ihnen den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Das würde sie zwar nur kurz aufhalten, gab Siamun und den andren wenigstens die Zeit davonzulaufen. Die Männer ignorierten die bewusstlosen Soldaten und stürmten hinterher. Leider schmolz der Vorsprung wie Butter in der Sonne, da Etienne nicht schnell genug rennen konnte. Als sie dann auch noch stolperte und hinfiel begann einer von ihnen weiße Nadeln zu beschwören, die er auf das Mädchen niederprasseln lies.

Moses Versuch einen Schutzschild aufzubauen scheiterte kläglich. Er war schon viel zu erschöpft und die Nadeln drangen einfach durch den Schild, wurden nicht einmal langsamer.

„NEIN!“ Der helle Schrei eines Kindes durchschnitt die Stille. Kurz darauf folgte ein zweiter, diesmal von Etienne.

Kija hatte sich zwischen die auf dem Boden sitzende Frau und die Nadeln geworfen, sie mit ihrem Körper geschützt. Über und über damit gespickt ging das Kind zu Boden.

„Kija? Kija! Wach auf! SOFORT!“ Etienne rüttelte an ihrer Schulter als wolle sie sie aufwecken.

„Kija, bitte!“ Ihre Stimme, inzwischen nur noch ein Flüstern, zitterte. Niemand sonst wagte es etwas zu sagen. Noch nicht einmal die Angreifer.

„...es wagen?“ ihre Stimme, die eben noch voller Verzweiflung gewesen war, bebte jetzt vor Zorn. Siamun hätte sich bei diesem Klang spontan am liebsten irgendwo versteckt, den anderen ging es offenbar nicht wirklich anders. Währenddessen stand das hellhaarige Mädchen auf, den Kopf immer noch gesenkt, sodass ihr Haar ihr Gesicht verdeckte.

„Wie könnt ihr es wagen?“ Bei diesen Worten hob sie den Kopf und im nächsten Moment kam man in den Genuss zu sehen, wie sieben riesige Kerle entsetzt zurücksprangen.

Zu spät! Einen Augenblick später gingen drei in Flamen auf. Innerhalb von Sekunden hatte das schwarze Feuer sie zu Asche verarbeitet.

Die übrigen vier nahmen die Beine in die Hand und liefen was das Zeug hielt, kamen aber nicht mal bis zur nächsten Ecke. Schon ein paar Meter vorher wurden Nummer vier, fünf und sechs von schwarzen Dolchen, ähnlich denen die Moses benutzt hatte, richtiggehend aufgespießt. Seltsamerweise waren die Schutzschilde, an denen er fast verzweifelt wäre, überhaupt kein Hindernis. Die Dolche flogen hindurch als wären sie nicht vorhanden.

„Wer bist du?“ Nummer sieben schlotterte am ganzen Körper und der größer werdende dunkle Fleck unter seinen Füßen lies darauf schließen, dass es sich... na ja, nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte.

„Dein schlimmster Albtraum!“ Die junge Frau, die alle bis vor ein paar Augenblicken als sanftmütig und harmlos bezeichnet hätten, machte eine Handbewegung als wolle sie etwas zu sich herziehen und Sekunden später hatte sie ihn über die Straße zu sich geschleift und ihn auf Augenhöhe gebracht, was bedeutete, dass der gut dreißig Zentimeter größere Kerl vor ihr auf dem Boden kniete.

„Wer hat dich geschickt?“ Ihre Stimme war so kalt, dass ein Feuer wahrscheinlich Gänsehaut bekommen und ausgegangen wäre.

„P...P...Prinzessin Malika.“

„Braver Junge.“ Beinahe sanft strich eine zierliche Hand über seine Wange.

„Ich werde dich jetzt laufen lassen. Und du wirst zu deiner Auftraggeberin gehen und ihr folgendes sagen: Wenn sie das noch einmal, ich wiederhole, ein einziges mal macht, dann passiert mit ihr das gleiche wie mit deinen Freunden, klar?“ Mit diesen Worten machte sie eine wegwerfende Handbewegung, woraufhin er ein ganzes Stück nach hinten flog und über den Boden rutschte. Unsicher versuchte er sich aufzurappeln, was ihm nach dem zweiten Versuch auch gelang.

„Etienne?“ fragte Rhiannon vorsichtig als der Kerl außer Hörweite war.

„Ist sie...?“

„Ja.“ Etienne drehte sich um, sank neben Kija auf die Knie und zog den leblosen Körper, die Nadeln hatten sich mittlerweile aufgelöst, in ihre Arme. Dann begann sie zu schluchzen.

„Es tut mir so Leid! Es tut mir so Leid. Vergib mir!“ Sie vergrub ihr Gesicht in den schwarzen Locken und begann sich nach vorne und hinten zu wiegen.

Siamun legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Komm, wir müssen hier weg! Wer weiß, ob Verstärkung kommt.“ Er glaubte zwar nicht wirklich daran, aber seiner werten Cousine war grundsätzlich alles zuzutrauen.

„Kommt, gebt sie mir!“ Moses kniete sich vor Etienne hin und streckte die Arme aus. Zur allgemeinen Verwunderung gehorchte sie widerstandslos.

„Du darfst dir keine Vorwürfe machen!“ Aus irgendeinem Grund konnte der Prinz es nicht ertragen, sie so verzweifelt zu sehen. Er packte leicht sie an den Oberarmen.

„Hast du gehört? Dich trifft keine Schuld.“

Sie sah ihn an, Tränen liefen über ihre Wangen, ihr Gesicht war gerötet und verquollen.

„Es ist meine Schuld! Ganz allein meine!“ Sie trommelte bei jedem Wort mit den Fäusten gegen seine Brust.

„Wenn ich nicht wäre würde sie jetzt noch leben. Ich“ Ein Schlag. „Dürfte.“ Ein weiterer. “Eigentlich. Nicht. Hier. Sein.“ Nach jedem Wort ein weiterer Schlag, der aber mit jedem mal schwächer wurde. Schließlich krallte sie die Hände in sein Oberteil und fing wieder hemmungslos an zu schluchzen.

Seine Hoheit war kurz vorm Verzweifeln. Er hatte in seinem Leben viel mit Frauen zu tun gehabt, aber noch nie war er in dieser Situation gewesen. Er hatte schlicht und ergreifend keine Ahnung was er tun sollte.

Schlussendlich tat er das einzige, das ihm einfiel: Er löste ihre verkrampften Hände von seiner Kleidung, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie. Zu seiner Erleichterung funktionierte es. Sie wurde ruhiger, ihre Augen schlossen sich flatternd und sie schlang die Arme um seinen Hals, klammerte sich fest.

Als er sicher war, dass sie sich so weit beruhigt hatte, löste er sich von ihr. Ihre himmelblauen Augen blinzelten ihn verwirrt an, dann kippte sie plötzlich um, dass sie beinahe zusammen zu Boden gegangen wären.

„War wohl etwas zu viel für sie.“ sagte Moses in die peinlich berührte Stille hinein.

Siamun widerstand dem Drang, seinen Kopf gegen die nächste Hauswand zu knallen. Welcher Teufel hatte ihn denn da geritten? Er hatte sie geküsst, vor versammelter Mannschaft. Ganz große Klasse!

„Wenn irgendjemand etwas davon rumerzählt...“ er lies den Satz unbeendet. Er bezog sich allerdings nicht auf den Kuss, dazu hatte er schließlich jedes Recht, sondern auf den Angriff. „Wer weiß was Malika macht, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlt.“ Mit diesen Worten hob er Etienne hoch und marschierte in Richtung Palast.

9

WOW! Ich hab tatsächlich zwei Vavoriten... Danke an [[shinichi_san]] und [[Kyo_without_love]]! Es gibt tatsächlich Leute die das Lesen...
 

P.S. Rechtschreibfehler gehen wie immer aufs Haus! ;)
 

Pizza! Das war mein erster Gedanke als ich aufwachte. Ich wollte Pizza! Und Spaghetti! Unmengen an Schokolade! Und Pfannkuchen!

Moment mal! Ich mochte doch gar keine Pfannkuchen. Egal! Ich kam nach kurzem Überlegen zu dem Schluss, dass ich mir im Moment sogar selber die Haare vom Kopf gefressen hätte.

Mühsam setzte ich mich auf. Zweimal in so kurzer Zeit unmächtig werden, das war ein neuer Rekord.

Aber wenigstens tat mir diesmal nicht alles weh, sondern ich fühlte mich nur, als ob mich eine Dampfwalze überfahren und dabei ausgequetscht hätte. Ich war total ausgebrannt.

Bevor ich aber weiter über meinen Zustand nachdenken konnte fiel mein Blick auf den Teller neben mir. Frisches Brot, kalter Braten, dazu verschiedenes Obst und Gemüse sowie einen großen Krug Orangensaft. Wer auch immer mir das hingestellt hatte, ich liebte diese Person!

Ohne auf meine Umgebung zu achten fiel ich über das Essen her und begann zu futtern, als hätte ich einen Monat lang gehungert.

„Du hattest Recht Onkel, sie hat wirklich Hunger!“ Ich hob den Kopf und blickte Rhia an, die nur mit äußerster Mühe einen Lachkrampf zurückhielt. Eigentlich kein Wunder, mein Mund war so voll, dass ich richtige Hamsterbacken hatte und außerdem hing mir ein Stück Braten aus dem Mund. Genau in diesem Moment kann natürlich auch noch der Prinz dazu, klasse!

„Na, wieder wach?“ Mit hochrotem Kopf nickte ich und schluckte.

„Was genau ist eigentlich passiert?“

„Wisst ihr das denn nicht mehr?“ Ich senkte den Kopf.

„Doch, aber ich habe gehofft, es wäre nur ein Traum gewesen...“

„Etwas muss mir aber noch erklärt werden!“ durchschnitt Siamun die Stille. „Ich dachte, sie hätte kaum aktive Kräfte!“ Das hatte ich eigentlich auch gedacht.

„Nun ja, sicher bin ich mir nicht, aber Mylady erwähnte mal, dass sie Angst vor ihren Kräften habe. Ich vermute, dass ihre Angst die Magie unterdrückt. Als dann die Sache mit Kija passierte“ ich zuckte bei der Erwähnung zusammen, „wurde sie so wütend, dass ihre Kräfte einfach ausgebrochen sind. Erinnert mich also bitte daran, dass ich euch nie wütend mache!“ Den letzten Satz hatte er nur gesagt um mich aufzumuntern, aber leider klappte das nicht.

Das arme Kind war meinetwegen gestorben und ich hatte mich auf das selbe Niveau heruntergelassen wie diese Dreckskerle. Sie hatten noch nicht einmal die Zeit gehabt zu schreien. Dann hatte ich auch noch einen hysterischen Anfall bekommen und mich erst wieder beruhigt, als der Prinz mich geküsst hatte... Gott wie peinlich! Jetzt dachte er bestimmt weiß Gott was von mir, so wie ich mich an ihm festgeklammert hatte.

Am liebsten wäre ich wieder unter die Decke gekrochen um meinen, schon wieder, karminroten Kopf zu verstecken.

„Etwas musst du uns aber erklären: Was meintest du mit „ich dürfte eigentlich nicht hier sein“?“ Rhia legte den Kopf schief und schaute mich skeptisch an. Mit Ausflüchten würde ich jetzt nicht wirklich weiter kommen, das ahnte ich. Auf meinen fragenden Blick hin nickte der Prinz nur und so begann ich, die Geschichte von vorne zu erzählen. Von den Stimmen die ich gehört hatte, über die Sache mit dem Portal, bis hin zu dem Tag, an dem ich in den Palast gekommen war.

„Was meinst du, ist es möglich, Menschen durch ein Portal in eine andere Welt zu zerren?“ Rhia blickte ihren Onkel fragend an.

„Ja, aber das wäre einer der verbotenen Zauber.“ Moses strich sich nachdenklich über das Kinn. „Die verbotenen Zauber sind aus zwei Gründen verboten.“ erklärte er mir.

„Erstens können sie unglaublichen Schaden anrichten und zweitens nur von der Person rückgängig gemacht werden, die sie ausgesprochen hat.“

Klirr. Der Teller zersprang auf dem Boden. Ich konnte nicht nach hause?! Nie wieder? Malika würde mir garantiert nicht helfen, da würde eher ein Kamel fliegen lernen.

Ich fing wieder an zu schluchzen. Mir wurde das alles zu viel. Ich wollte nach hause, wo mich meine Eltern vor allem bösen beschützten und keine kleinen Kinder umgebracht wurden oder dreckige Mörder verbrannten, nur weil ich einen Tobsuchtsanfall bekam.

Heiße Tränen liefen über meine Wange und ich senkte den Kopf, sodass meine Haare die Sicht auf mein Gesicht verdeckten. Ich sah einfach furchtbar aus wenn ich weinte und das Maß an Peinlichkeit war sowieso schon kurz vorm Überlaufen. Ich konnte Siamun schon jetzt nicht mehr ins Gesicht sehen, ohne dabei an... eine bestimmte... Aktion zu denken, da musste ich ihm nicht auch noch mein verquollenes Gesicht zeigen.

„Gibt es wirklich keine Möglichkeit?“ Eine große warme Hand legte sich auf meine Schulter und drückte sie leicht.

„Nur die, dass die Prinzessin ihren Zauber auflöst. Und das wird sie ja wohl kaum tun!“

„Wenn Etiennes Geschichte stimmt, könnten wir einen Deal eingehen. Malika schickt sie zurück und ich gebe ihr was sie will.“

„Sie will euch heiraten!“ meinte ich mit hochgezogenen Augenbrauen, worauf seine Hoheit leichenblass wurde. Ich musste leise kichern, was allerdings eher wie erstickter Schluckauf klang, da ich noch nicht vollständig aufgehört hatte zu weinen.

„Warum eigentlich? Sie ist doch eure Cousine und müsste daher ziemlich weit oben in der Thronfolge stehen, oder?“

„Nein, sie hat eigentlich kein Anrecht auf den Thron, da sie meine Cousine mütterlicherseits ist und Mutter hat in die Königsfamilie eingeheiratet. Das ist wahrscheinlich auch der Grund für Malikas Hass auf meine Familie.“

„Sie hasst deine Familie, weil ihre Tante deinen Vater geheiratet hat? Das verstehe ich nicht.“ Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen und blickte den Prinzen fragend an, wobei ich hoffte, dass mein Gesicht nicht mehr ganz so schrecklich aussah.

„Mein Vater war ursprünglich mit Malikas Mutter verlobt. Ihre Familie ist sehr einflussreich, deswegen wurde die Hochzeit beschlossen. Allerdings hat er sich in Tante Dafinas jüngere Schwester verliebt, meine Mutter.“ Ich nickte, so langsam ergaben die Puzzelteile ein Bild.

„Sie glaubt also, dass ihr der Thron rechtmäßig zusteht, da deine Mutter ihrer Mutter den Verlobten weggeschnappt hat?“ Siamun sah mich an als wolle er mir ein Leckerli geben und mich den Kopf tätscheln.

„Genau!“

„Aber ich denke mal wir sind uns alle einig, dass eine Heirat zwischen Malika und dir keine gute Idee ist, oder?“ Diese Worte kamen von einem mir unbekannten jungen Mann, der bis vor kurzem in einer Ecke gestanden hatte.

„Etienne, das ist Horace, einer unserer Soldaten und mein bester Freund. Er wird in Zukunft dein Leibwächter sein. Du wirst den Palast nicht ohne ihn verlassen!“

Gestern hätte ich mich über diesen Vorschlag noch lauthals beschwert, aber jetzt nickte ich nur. Moment mal! Den Kerl kannte ich doch. Ich kramte in meinem Personengedächtnis, das mich beinahe im Stich lies, dieses untreue Geschöpf, und fand nach einigem stöbern zu guter letzt doch sein Gesicht im hintersten Winkel. Allerdings ohne Namen, dafür in Verbindung mit einem Pferd.

„Sie haben mich in den Stallungen damals gerettet!“ Ein leichtes Nicken zeigte, dass ich recht hatte.

„Danke noch mal.“ Stumm schaute er mich an. Was mir ehrlich gesagt Schauer über den Rücken jagte. Er war riesig, mindestens zwei Meter, und so gebaut, dass ein Kleiderschrank wie eine zierliche Primaballerina wirkte. Seine kurz geschorenen Haare und der verschlossene Gesichtsausdruck trugen nicht gerade dazu bei, ihn freundlicher wirken zu lassen. Allerdings war er wahrscheinlich gerade deswegen für den Job ausgesucht worden. Er jagte potenziellen Angreifern bestimmt schon von weitem so viel Angst ein, dass sie sich schleunigst wieder verzogen.

Ein lautes Grummeln zog die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf sich.

„Sagt bloß, ihr habt immer noch Hunger!“ Neriman starrte mich an wie einen Außerirdischen.

„Wo futtert ihr das alles hin?“ Als treuer Anstandswauwau machte sie sich ständig Sorgen um meine Figur.

„Sie hat nur sehr viel Energie verbraucht und muss deswegen ihre Reserven wieder auffüllen!“ Das war Moses, der Retter meiner Stimmung. Die hatte nämlich die Angewohnheit sich in unterirdische Bunker zu verziehen, wenn ich hungrig war und sich etwas zwischen mich und das Essen stellte. Und der Retter meines Gewissens, denn nach so einem Zwischenfall mit Heißhunger aufzuwachen war doch nicht normal!
 

Die nächsten Tage waren ruhig und friedlich. Ich nutzte das, um Kijas Familie noch mal einen Besuch abzustatten und mich zu entschuldigen, was der Mutter einen riesigen Schrecken einjagte.

Na ja, eigentlich jagte eher Horace ihr den Schrecken ein. Allerdings war er sogar mir etwas unheimlich, obwohl er eigentlich ein netter Kerl zu sein schien. Etwas schweigsam und einschüchternd zwar, aber es war schon erstaunlich, wie die Leute ihm Platz machten.

Zu meiner Überraschung schien mir niemand die Schuld zu geben, oder zumindest lies es sich keiner anmerken. Stattdessen erzählten sie mir aufgeregt, dass vor kurzem jemand aus dem Palast da gewesen wäre und ihr einen Job in der Palastküche angeboten hätte.

Das verdankte sie, zumindest ihrer Meinung nach, nur mir und vermutlich hätte sie mir die Füße geküsst, wenn ein Blick meines persönlichen Bodyguards sie nicht in einen verängstigten Eiszapfen verwandelt hätte.

Er nahm den Job wirklich ernst, wofür ich wirklich dankbar war. Ich wurde nämlich langsam bekannt. Die Gerüchteküche brodelte seit der Sache mit Alos auf Hochtouren und daher waren allerlei Geschichten über mich im Umlauf, weswegen ich öfter angesprochen wurde. Das dass meiste reine Spekulationen und Übertreibungen waren verstand sich natürlich von selbst. Ich beschloss aber trotzdem, die Öffentlichkeit in nächster Zeit zu meiden.

Und so kam es, dass Rhia und ich gut eine Woche später unseren freien Morgen damit verbrachten, den Soldaten beim Training zuzusehen. Die werte Dame hatte sich doch tatsächlich in den Kopf gesetzt mich mit dem Prinzen zu verkuppeln und als ich meinte, dass sie sich das an den Hut stecken konnte hatte sie mich gepackt und mit den Worten „das wird deine Meinung sicher ändern“ hierher geschleift.

Okay, ich musste zugeben dass er gut aussah, aber das hatte ich schon vorher gewusst. Auch das er sehr... gut gebaut war. Schließlich hatte ich Augen im Kopf und an seinem Hals hatte ich auch schon gehangen.

Außerdem war ich einmal ins Bad gestolpert als er drin war... ein hoch auf den Badeschaum, sonst wäre das ganze wohl noch peinlicher geworden.

Allerdings fiel mir noch etwas anderes auf. Rhia stieß in regelmäßigen Abständen Seufzer aus und dabei starrte sie nicht in die Richtung des Prinzen. Stattdessen himmelte sie wie ein Mondkalb Horace an. Ich strich mir kichernd eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

Amor brauchte offenbar selbst etwas Hilfe dachte ich, als ich zwei Stunden später beobachtete, wie meine Freundin ihm stotternd etwas zu trinken anbot. Obwohl, bei den Blicken, mit denen die beiden den jeweils anderen ansahen wenn sie dachten er würde es nicht merken, würde es wahrscheinlich auch reichen, wenn ich sie in eine Besenkammer sperren würde. Ich dürfte sie eben erst nach getaner Arbeit wieder rauslassen!

Aber erst wollte ich etwas anderes ausprobieren. Und so verbrachte ich den Rest des Tages mich Pläneschmieden.

Zwei Tage später wollte ich mit den Vorbereitungen für Operation „Blindfischverkupplung“ beginnen. Irgendjemand musste ja schließlich etwas tun. Die beiden hatten Gestern geschlagene drei Stunden über das Wetter unterhalten. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden gewesen, wenn sie sich nicht bei mindestens dreißig Grad im Schatten über Nebel und Regen geredet hätten. Außerdem hatte Rhia mich heute Morgen tatsächlich angefaucht, was mir denn einfiele, meine Position als Horaces Schützling auszunutzen um mich an ihn heran zu machen. So langsam wurde mir das zu bunt!

Bevor ich allerdings beginnen konnte wurde ich von einer bildhübschen jungen Frau angesprochen. Esra war eine von Siamuns Exgeliebten und ehe ich mich versah steckten wir mitten in einer Unterhaltung.

Nach einer halben Stunde schnattern und kichern waren wir beide durstig und so kam es gerade recht, das Esras Dienerin mit zwei Weinkelchen vorbeikam.

Eigentlich hätte es mich stutzig machen müssen! Genau in dem Moment in dem ich sagte das ich durst hatte kam eine Dienerin mit Getränken um die Ecke. Fast die selbe Situation wie damals auf dem Marktplatz.

Mein letzter zusammenhängender Gedanke war, dass der Wein ungewöhnlich süß schmeckte.
 

Rhiannon stürmte durch jeden Raum im Palastteil des Prinzen, konnte ihre Herrin aber nirgendwo finden. Also raste sie im Eiltempo wieder zurück in die Gemächer seiner Hoheit.

„Jetzt habe ich offiziell überall gesucht! Sie ist verschwunden!“

„Wer ist verschwunden?“ Der Besitzer eben dieser Gemächer sah sie mit einem Blick an, der eindeutig „was soll das Theater?“ sagte.

„Etienne! Ich kann sie nicht finden!“ Mit einem Schlag war der Gesichtsausdruck verschwunden.

„Wie bitte? Wie kann das sein? Hat irgendjemand etwas gesehen?“ Keine fünf Minuten später waren alle mobil gemacht worden.

Horace stürmte los um die Palastwachen an den Toren zu befragen, Moses suchte in der Schule, Siamun in den anderen Palastteilen.

„Es ist meine Schuld!“ Rhia ließ sich auf das Bett sinken.

„Ach was! Die Prinzessin schmiedet bestimmt wieder ihre Pläne und Etienne steckt mittendrin. Aber bis jetzt ist sie ja jedes mal wieder entwischt.“ Neriman legte ihr tröstend die Hand auf die Schulter.

„Ihr versteht das nicht! Ich habe ihr heute morgen einiges an den Kopf geschmissen! Eigentlich wollte ich mich ja entschuldigen und jetzt ist sie weg...“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie versuchte, sie mit dem Handrücken wegzuwischen, wobei sie ihren Kajal verwischte und schwarze Schlieren auf Wangen und Handrücken hinterlies.

Seltsam! Als sie Etienne das erste mal sah hätte sie nie gedacht, wegen ihr jemals so aufgelöst zu sein. Im Gegenteil, sie hatte sie und ihr Dauergrinsen nicht leiden können.

Das hatte sich erst geändert, als sie eines Nachts aufgewacht war und das Bett der Ausländerin leer vorgefunden hatte. Sie sah gerade noch, wie sie durch die Tür verschwand.

Aus ihr damals unbekannten Gründen war sie ihr gefolgt und hatte sie schließlich in eine Ecke gekauert vorgefunden. Sie hatte geweint und immer wieder „ich will nach hause“ geschluchzt. Sie hatte sie getröstet und seitdem waren sie Freundinnen gewesen.

Bis gestern.

„Was war denn?“

„I.. ich habe Mist dahergeredet, von wegen sie würde sich an Horace ranmachen... I..ich war so eifersüchtig, weil er sie immer so... a...anders behandelt. Als wäre sie zerbrechlich oder so...“

„Sie ist zerbrechlich! Oder sieht zumindest so aus. Außerdem ist es seine Aufgabe sie zu beschützen, kein Wunder also das er vorsichtig ist.“

„D..das weiß ich doch auch.“

„Außerdem ist es nicht die Art unserer Lady einfach so zu verschwinden. Ich bin sicher, da steckt etwas anderes dahinter.“ Rhia holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Schließlich hatte Lady Neriman recht.

Kurze Zeit später kamen die Männer mit schlechten Neuigkeiten zurück. Etienne war verschwunden und niemand wusste wohin.

10

Wo war ich? Und vor allem: wie war ich hier hergekommen?

Ich schüttelte meinen Kopf und fragte mich, wer mein Gehirn wohl gegen Zuckerwatte ausgetauscht hatte. Die letzten... Tage oder waren es nur Stunden? waren in einem zähen Nebel verborgen. Das letzte an das ich mich erinnerte war, dass ich einen Schluck Wein getrunken hatte, dann war mir übel geworden. Esra hatte mich in eine abgeschiedene Kammer gebracht, damit ich mich ausruhen konnte, dann hörten meine Erinnerungen auf.

Ich hätte mir in den Hintern treten können! Ich hatte aus der Sache mit Maketaton damals wohl absolut nichts gelernt. Dabei mochte ich Wein nicht einmal. Na auch egal, Siamun würde mich dafür wahrscheinlich übelst in den Hintern treten, ich musste das also nicht selbst erledigen.

Bestens, dann konnte ich mich ja auf meine Flucht konzentrieren. Leichter gesagt als getan, meine Hände waren gefesselt und mit einem Seil, das von der Decke hing, über meinen Kopf gebunden. Eine ziemlich unangenehme Position, zumal ich mich mitten im Raum befand und das Seil so kurz war, dass ich auf Zehenspitzen stehen musste, damit meine Handgelenke nicht das ganze Gewicht alleine tragen mussten.

Außerdem hatte der Raum keine Fenster, der einzige Weg hinaus war also die Türe. Nicht besonders verlockend, aber ich war Malika zweimal entkommen, da würde ich es bei Esra, oder wer immer das war, auch schaffen.
 

Im Palast, besser gesagt: in den Räumlichkeiten des Prinzen, herrschte helle Aufregung. Seit gestern Abend war Lady Etienne verschwunden und, verständlicherweise, nicht mehr aufgetaucht.

Die Stimmung war deswegen extrem geladen und Rhia hatte schon den Vorschlag gemacht, zu Prinzessin Malikas Palast zu stürmen um die Herausgabe der jungen Dame einfach zu erzwingen.

Dieser Vorschlag war leider abgelehnt worden, da jegliche Beweise für eine Beteiligung der Prinzessin fehlten.

„Und was sollen wir dann tun?“ Etiennes Hofdame fuhr sich schon wieder mit den Händen durch die Haare, inzwischen waren die sonst so glatten und ordentlichen kinnlangen Haare ein einziges Durcheinander.

„Sie kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!“

„Offensichtlich doch. Die Wachen habe sie nicht rausgehen sehen und im Palast ist sie nicht.“ meldete sich Debah zu Wort.

„Vielleicht gehen wir das Ganze falsch an.“ Siamun wandte sich von dem Fenster ab, durch das er die letzten zwanzig Minuten gestarrt hatte.

„Was sollen wir denn falsch machen? Wenn sie das Gelände verlassen hätte, hätten die Wachen sie doch gesehen, oder?“ Die Frage kam von Lady Neriman.

„Wenn sie es auf normale Art verlassen hätte ja. So gibt es nur zwei Möglichkeiten:

Entweder hat sie sich über die geheimen Fluchtwege rausgeschlichen, was aber unmöglich ist, da sie die nicht kennt, oder sie wurde gegen ihren Willen hinausgeschafft.“

Betretenes Schweigen.

„Nehmen wir mal an, Prinzessin Malika steckt wirklich dahinter.“ spann Horace den Faden weiter.

„Dann wird sie sich Lady Etienne wohl kaum einfach über ihre Schulter geworfen und durchs Haupttor rausgetragen haben.“

„Was bedeutet, sie muss irgendwie anders rausgeschafft worden sein!“ Mann konnte förmlich hören, wie es in den Köpfen zu rattern begann. Nur Rhia blickte verdattert drein.

„Und was bringt uns das jetzt? Ich meine: Wir wissen weder wer sie hat noch wo sie ist.“

„Überleg doch mal! Welche Personengruppe am Hof hat ihre Augen und Ohren überall?“ Debah sah aus, als wolle er gleich Purzelbäume schlagen vor Begeisterung. Auch Rhia riss die Augen auf.

„Natürlich: die Hofdamen!“

„Genau! Es ist nahezu unmöglich, irgendwas zu tun ohne das diese Klatschtanten etwas mitbekommen.“

Rhia überprüf das bitte!“ Siamun hatte den Satz noch nicht mal halb fertig, da war sie schon auf dem Weg zur Tür.

Die folgende halbe Stunde war die längste seines Lebens. Wer hätte gedacht, dass er ihre ständigen Zankereien a la „Räum dein Zimmer auf, dieses Chaos ist ja nicht auszuhalten!“ vermissen würde?

Wenn ihr auch nur ein Haar gekrümmt wurde...

„Hoheit, der Papyrus kann für die ganze Sache nicht wirklich was.“ Überrascht sah er auf seine Hände und bemerkte, dass er tatsächlich ein Stück in kleine Fetzen riss. Hoffentlich waren keine wichtigen Notizen darauf gewesen.

Als Rhia dann endlich wieder in den Raum gestürmt kam stoben unzählige Papyrusfetzen wie Schnee über den Boden, als seine Hoheit förmlich hochschnellte und alles fallen lies.

Genervt stöhnte sein Diener auf, schließlich durfte er das alles aufsammeln.

„Also“ hechelte Rhiannon „es hat zwar niemand wirklich gesehen, wie sie entführt wurde, aber eine der Hofdamen hat sie gestern Nachmittag mit Lady Esra gesehen. Eine andere meinte, sie habe etwas später gesehen, wie die beiden in einem abgelegenen Teil des Palastes verschwunden sind.“

„Das heißt leider gar nichts. Es ist zum verzweifeln.“

„Sie kann sich deswegen so gut daran erinnern, weil Etienne leichenblass war und sich auf Lady Esra stützen musste um nicht umzufallen. Auf die Frage hin ob sie einen Arzt brauchen würden meinte sie nur, dass alles in Ordnung wäre und Lady Etienne sich nur hinlegen wollte.“

„Am Morgen ging es ihr doch noch gut!“ Neriman runzelte die Stirn.

„Genau das ist der hüpfende Punkt, wie Etienne jetzt sagen würde.“ Da Etienne häufig komische Sachen sagte wunderte sich keiner über diesen Satz.

„Ich glaube, wir sollten der Dame ein paar Fragen stellen.“
 

Lady Esra bekam den Schreck ihres Lebens, als sie in den Empfangssaal seiner Majestät spazierte und sich fünf Personen gegenübersah. Das wäre ja eigentlich nicht weiter schlimm gewesen, wäre sie nicht angestarrt worden, als ob ihr jeder im Raum am liebsten den Hals umgedreht hätte. Einer furchteinflössender als der andere.

„Wie mir zu Ohren gekommen ist hattet ihr gestern eine nette Unterhaltung mit meiner Prinzessin.“ richtete der Prinz das Wort an sie. Besondere Betonung legte er dabei auf die Worte „Unterhaltung“ und „meiner“. Sie schluckte. Einfach ruhig bleiben, schließlich konnte man ihr nichts beweisen!

„Ja. Sie ist wirklich ein entzückendes Wesen. Kein Wunder also, dass ihr mich nicht mehr empfangt.“

„Sie ist mehr als nur entzückend!“ zischte eine junge Frau mit kinnlangen schwarzen Haaren. „Sie ist schön, mutig, warmherzig...“ Mit einer Handbewegung unterbrach der Prinz den Redeschwall.

„Und ihr habt nicht Reinzufälligerweise etwas mit ihrem Verschwinden zu tun?“ Bei diesen Worten legte er den Kopf leicht schief, was ihr mehr Angst machte als wenn er sie angeschrieen hätte.

„Nein!“ meinte sie mit hoffentlich fester Stimme.

„Wirklich nicht?“ meinte jetzt ein locker zwei Meter großer Kerl, dessen Haar so kurz war, dass es aussah als hätte er Bartstoppeln auf dem Kopf.

„Jemand hat gesehen, wie ihr sie in einen abgelegenen Teil des Palastes gebracht habt.“ Siamun legte die Fingerspitzen aneinander, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

„Ihr war übel und sie wollte sich hinlegen.“

„Und warum habt ihr sie nicht in meine Gemächer gebracht?“

„Die waren zu weit entfernt, dass hätte sie nicht geschafft.“ So langsam bekam sie feuchte Hände.

„Sie lügen.“ Diesmal sprach ein älterer Mann.

„Kurze Zeit vorher sind sie zusammen in der Näher der Gemächer gesehen worden.“

„Wir sind während unserer Unterhaltung ein bisschen herumgelaufen.“ Sie fühlte sich als würde sie in die Ecke gedrängt.

„Sie lügen schon wieder.“ meldete sich Lady Neriman, die einzige ihr bekannte Person außer dem Prinzen, zu Wort.

„MyLady hat keinen guten Orientierungssinn, deswegen würde sie niemals in einen Teil des Palastes gehen, den sie nicht kennt.“ Hier hatte sich wirklich jeder gegen sie verschworen.

„Jetzt hör mal gut zu, Püppchen!“ Die junge Frau kam mit einem noch wütenderem Gesichtsausdruck, falls das überhaupt möglich war, auf sie zugestampft.

„Wir wissen, dass du irgendwas damit zu tun hast. Und wir werden sie finden, ob du willst oder nicht. Und wenn ihr dann auch nur ein Haar gekrümmt wurde, dann werde ich mich um dich kümmern!“ Sie brachte ihr Gesicht so nahe an das von Esra, dass diese instinktiv einen Schritt zurück trat.

„Das wird nicht nötig sein, Rhiannon.“ Erleichtert atmete ihre Ladyschaft auf.

„Das werde ich selber erledigen.“ Das war wie ein Schlag in den Magen! Ganz plötzlich fielen ihr eine halbe Millionen andere Orte ein, an denen sie jetzt lieber wäre.

„Es war nur meine Aufgabe, sie aus dem Palast zu schaffen. Dann habe ich sie nur übergeben.“ Sie war wirklich stolz darauf, wie fest ihre Stimme klang.

„An wen?“ der Prinz lehnte sich leicht nach vorne und sie musste schlucken. Der ganze schöne Plan war dahin und das einzige das sie jetzt noch tun konnte um ihren Hals zu retten war reden.
 

Ich wusste nicht, wie lange ich auf den Zehenspitzen balanciert hatte, als plötzlich die Tür aufging und eine mir leider viel zu bekannte Person eintrat.

„Ihr?“ fragte ich erstaunt.

Alos grinste mich auf diese widerliche Art an, die ich schon damals, als er mir das Brandmal verpasst hatte, kennen lernen durfte.

„Ich liebe schöne Dinge.“ Er lies seinen Blick über meinen Körper wandern, stoppte dabei kurz an Brust und Hüfte.

„Das einzige, dass ich noch mehr liebe,“ er trat hinter mich und löste mein Haarband „sind seltene Dinge.“ Er begann mit den Fingern durch die Strähnen zu gleiten. Zu schade, dass ich keine Knoten oder Hexen drin hatte.

„Und du“ er nahm die Hände aus meinen Haaren und lies sie stattdessen über meine Seiten gleiten „bist beides. Schön und selten.“

Ich verlagerte mein Gewicht auf das linke Bein und versuchte, mit dem rechten nach hinten auszutreten. Leider traf ich nicht sondern streifte sein Bein nur, aber wenigstens lies er mich los.

„Was wollt ihr von mir?“

„Deinen Körper.“ Mir wurde schlecht. Und zwar nicht auf die „ich- fühl- mich- ein- bisschen- unwohl“ -Art sondern auf die „ach- du- scheiße- ich- hab- ein- Problem“ –Art.

„Und... was wollt ihr damit?“ Wollte ich das wirklich wissen?

„Ihn besitzen.“ Nein, ich wollte es nicht wissen.

Ich spürte wie die Fesseln gelöst wurden. Alos mochte zwar dick sein, aber er war trotzdem ein Stück größer als ich. Und damit auch stärker. Schwerer sowieso.

„Aua!“ Ich verzog das Gesicht, als meine Arme gewaltsam hinter dem Rücken verschränkt und wieder gefesselt wurden.

„Nur zur Sicherheit. Wir wollen uns doch nicht wehtun.“ Er lachte und gab mir einen Klaps auf den Hintern, weswegen ich noch einmal nach ihm trat, diesmal leider völlig daneben.

Was genau dann passierte, wusste ich nicht, aber im nächsten Moment lag ich auf dem Boden und Alos kniete neben mir, seine Hände auf meinem Körper. Genauer gesagt auf meinen Schultern, er schob die Träger meines Kleides beiseite. Ich presste die Arme an die Seite und konnte das herunterrutschen verhindern, allerdings machte es dann einfach ratsch und der obere Teil meines Kleides war ein Zweiteiler.

Als er mit der anderen Hand meinen Rock hochschieben wollte fing ich wieder an zu treten und zu schreien, was allerdings nur zur Folge hatte, dass er sich auf meine Beine setzte und mir auch noch das letzte bisschen Bewegungsfreiheit nahm.

Das mit dem Schreien löste er eben so simpel, er küsste mich einfach. Wenn ich jemals geglaubt hatte, dass ein Kuss gleich ein Kuss war, dann wurde ich jetzt eines besseren belehrt. Während bei Siamun alles gekribbelt hatte und mein Hirn auf Stand- by gegangen war, fühlte ich jetzt nur Ekel und mein einziger Gedanke war: „nimm deine Zunge aus meinem Hals, Dreckskerl!“

Als dann auch noch der Würgereiz einsetzte biss ich einfach zu. Schön auf die Zunge, juhu!

„Aua, du kleines Miststück!“ Alos löste sich tatsächlich von mir. Allerdings hielt dieser Sieg nur kurz von, denn schon einen Augenblick später scheuerte er mir eine, sodass mein Kopf nach rechts geschleudert wurde. Etwas warmes floss über meine Wange, offenbar hatte er mir die Nase blutig geschlagen.

„Versuch das nicht noch einmal! Und falls du versuchen willst Magie anzuwenden: Die Droge, die man dir verabreicht hat, hat dich nicht nur vorübergehend ruhiggestellt, sondern blockiert auch für ca. drei Tage deine Kräfte.“

Das erklärte, warum er nicht schon längst ein Aschehäufchen war.

Er küsste mich wieder, diesmal auf den Hals. Offenbar wollte er meinen Zähnen aus dem Weg gehen. Diese Gelegenheit nutzte ich. Ich schrie nach Siamun, meinen Eltern, Rhia, irgendwem.

„Halt die Klappe!“ Er scheuerte mir noch einmal eine und hielt mir den Mund zu. In diesem Moment flog die Tür mit einem lauten Krachen auf.
 

„Siamun stürmte durch die Gänge des Hauses. Hoffentlich kam er nicht zu spät! Und war er hier überhaupt richtig? Es gab ja immerhin noch die Möglichkeit, dass Esra gelogen hatte oder Alos Etienne woanders hingebracht hatte.

Doch dann hörte er, wie jemand seinen Namen schrie. Gut, jetzt wusste er wenigstens wo er hinmusste. Auch wenn das dass einzig gute an dieser Situation war.

Dann hörte er ein „halt die Klappe!“, eindeutig eine männliche Stimme. Er platzte in genau dem Moment ins Zimmer, in dem das laute Klatschen einer Ohrfeige zu hören war.

Zwei Gesichter fuhren zu ihm herum. Eins blutverschmiert und tränenverquollen, das andere von Entsetzen und männlicher Gier verzerrt.

Entsetzt blieb er im Türrahmen stehen. Alos saß auf Etienne, ihr Rock war hochgeschoben, ihr Oberteil zerrissen. Außerdem lagen seine Hände an Stellen, an denen sie nichts zu suchen hatten.

Das ließ seine Selbstbeherrschung zerplatzen wie eine Seifenblase. Er riss den fetten Kerl von Etienne herunter und begann, wie ein Berserker auf ihn einzuprügeln.

„Hört auf Hoheit! Ihr bringt ihn um!“ Er wurde gepackt und ein Stück von dem Mann weggezerrt, der umfiel wie ein nasser Sack.

„Er hat es verdient!“ zischte er Horace zu und wollte weitermachen, aber er wurde weiter festgehalten.

„Kümmert euch lieber um Lady Etienne! Ich mach das hier schon.“ Zähneknirschend zwang er seinen Körper sich zu entspannen und wandte sich dem Mädchen zu, dass sich inzwischen auf die Seite gedreht und zusammengekauert hatte.

„Jetzt wird alles gut! Ich bin da.“ Er berührte sanft ihre Schulter und sah sich dabei im Raum um. Zum Glück hatte Horace die Türe geschlossen, sodass niemand reinsehen konnte. Wenn irgendjemand Etienne so sah wäre ihr Ruf ruiniert.

Vorsichtig löste der Prinz die Fesseln und beim Anblick ihrer wunden Handgelenke, sie hatte offenbar versucht sich zu befreien, hätte er am liebsten noch einmal zugeschlagen.

Allerdings hielten ihn zwei helle Arme, die sich um seinen Hals schlangen, davon ab.

„Ich hatte solche Angst!“ Die Kleine zitterte wie Espenlaub. Er schlang vorsichtig die Arme um sie und gab beruhigende Zischlaute von sich.

„Hat er dir wehgetan?“ Eigentlich eine blöde Frage, schließlich hatte sie bestimmt keine rote Farbe im Gesicht, aber er musste Gewissheit haben.

„Hat er dich angefasst?“ Wenn ja, dann würde er ihn persönlich in den hintersten Winkel von Scoahs Reich befördern.

An seiner Brust schüttelte sie den Kopf.

„N.. nur die S.. Schläge. Ihr seid g... g...gekommen, bev.. vor er etwas anderes t.. tun konnte.“

Er sammelte einen Fetzen vom Boden auf, vermutlich von ihrem Kleid, und befeuchtete ihn mit Speichel. Wasser wäre ihm zwar lieber gewesen, aber im Moment war eben keins vorhanden.

„Schau mich an Kleines!“ Mit diesen Worten begann er, ihr sanft das Blut aus dem Gesicht zu wischen. Als das erledigt war wickelte er sie in seinen Umhang und brachte sie in den Palast zurück, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wurden.

Mit einem lauten „den Göttern sei dank!“ stürzte Rhia in Etiennes Schlafzimmer und schlug die Decken zurück, sodass Siamun sie nur noch ablegen musste.

Der Arzt, der schon gewartet hatte, untersuchte sie vorsichtig, schmierte Salbe auf ihr Handgelenke, wickelte einen Verband darum und gab ihr ein paar Tropfen, die für einen ruhigen Schlaf sorgen sollten. Anschließend nahm er den Prinzen bei Seite.

„Sie schein keine schweren Verletzungen zu haben. Die Nase ist nicht gebrochen, sie hat nur blaue Flecken, ihre Arme werden auch bald abgeheilt sein. Ansonsten konnte ich zumindest äußerlich nichts feststellen. Seelisch kann es natürlich ganz anders aussehen. Das braucht Zeit. Ansonsten würde ich sagen: viel Ruhe und sie bald wieder auf den Beinen. Sollte sie nicht schlafen können geben sie ihr diese Tropfen.“ Er drückte ihm ein blaues Fläschchen in die Hand, verbeugte sich und ging.

Siamun ging zu dem Bett zurück, in dem das Mädchen inzwischen halbwegs ruhig schlief. Unter ihren Liedern zuckte es und sie warf den Kopf manchmal unruhig hin und her, während Rhia beruhigend auf sie einredete.

Nie wieder, versprach er ihr im Stillen. Er würde dafür sorgen, dass sie so etwas nie wieder durchmachen musste. Und wenn es das letzte war, das er in diesem Leben tat.

11

Es war mitten in der Nacht und Siamun lag, mit hinter dem Kopf verschränkten Armen, auf seinem Bett. Er konnte hören, wie Etienne sich im Nebenzimmer hin und her warf, dabei murmelte sie unverständliches vor sich hin. Offenbar sorgten die Tropfen nur dafür, dass sie schlafen konnte. Ruhiger Schlaf sah anders aus.

Dann erstarb das Gerede und nach einem letzten Knarren des Bettes war es still. Offenbar schlief sie jetzt ruhig.

Er hatte geschworen, dass ihr so etwas nie wieder passieren würde. Nur wie sollte er das anstellen? Bei Alos und Esra war das kein Problem. Es gab genug Beweise, um beide Lebenslang wegzusperren. Aber Malika war da schon ein anderes Thema.

Vielleicht sollte er sie einfach nach hause schicken? Sie schien sehr behütet aufgewachsen zu sein, folglich konnten ihre Eltern ihr bestimmt am besten helfen.

Allerdings konnte das nur Malika. Vielleicht sollte er wirklich...

Seine Gedanken wurden von tapsenden Schritten unterbrochen. Überrascht setzte er sich auf und sah, im Licht der Kerze die auf seinem Nachttisch stand, Etienne neben seinem Bett stehen.

„Was ist denn los?“ Nachts war es eiskalt und sie bewegte sich auf der Stelle, um warm zu bleiben.

„Ich kann nicht schlafen. Und wenn ich dann doch einschlafe bekomme ich Alpträume.“

„Willst du noch ein paar Tropfen?“ er griff nach dem Fläschchen, dass neben der Kerze stand.

„Kann ich nicht bei euch schlafen?“ der Arm erstarrte mitten in der Bewegung und landete mit einem „pflaff“ wieder auf den Lacken.

„Bitte?“ Ihre Augen flehten, aber sie schien nicht zu versuchen seinen Willen zu beeinflussen.

Wenn sie weiter in dem Nachthemd, das Rhia ihr angezogen hatte, in der Kälte stand, würde sie noch krank werden. Deswegen, und nur deswegen, rutschte er zur Seite und hob die Decke an.

„Komm!“ Sie rollte sich auf der Matratze zusammen und er deckte sie vorsichtig zu. Innerhalb von ein paar Minuten war sie eingeschlafen und er ertappte sich selbst dabei, dass er sie wie eine übervorsichtige Glucke beobachtete. Okay, er wollte ihr über die Sache hinweghelfen. Jetzt zufrieden?

Er hatte es ja schließlich versprochen. Ganz zu schweigen davon, dass ihn der Gedanke, ihr könne etwas passieren, schon nach dem Messer unter seinem Kissen greifen lies.

Mit einem frustriertem Schnauben lies er sich auf seine Seite des Kissens sinken und war kurz darauf eingeschlafen.
 

Als Rhiannon am nächsten Morgen nach Etienne sehen wollte fand sie nur ein leeres Bett vor. Das schlimmste befürchtend und einer Panikattacke mehr als nur nah, stürzte sie aus dem Zimmer. Das einzige, dass sie davon abhielt laut loszubrüllen war Debah, der ihr mit einem honigkuchenpferdbreitem Grinsen bedeutete, still zu sein. Er wies mit dem Finger auf das Bett seines Herrn.

Auf Zehenspitzen schlich die Hofdame heran und spürte, wie bei dem Anblick, der sich ihr bot, ihre Mundwinkel nach oben wanderten.

Etienne und der Prinz lagen zusammen im Bett, eng aneinandergekuschelt, ihr Kopf an seiner Brust und seine Arme fest um sie geschlungen.

In stiller Übereinkunft ließen die Beiden sie erst mal schlafen und zogen sich in eine Ecke zurück.
 

Siamun wachte davon auf, dass es im Bett ungewöhnlich warm war. Außerdem roch es nach Pfirsich. Als er sich aufsetzten wollte bemerkte er, dass er einen weichen, angenehm warmen Körper an sich drückte.

Ähm... waren sie nicht jeder auf einer Seite des Bettes eingeschlafen?

Sein Versuch aufzustehen, ohne Etienne dabei zu wecken, wurde mit einem Prusten quittiert, was wiederum dafür sorgte, dass Etienne aufwachte und ihn aus verschlafenen Augen ansah.

„Was ist den los?“

„Schlaf einfach weiter!“ Er hatte das Wort „einfach“ nicht mal halb ausgesprochen, da fiel ihr Kopf mit einem „Pflaff“ wieder aufs Kissen und sie befand sich im Reich der Träume.

„Ist was?“ fragte er die beiden Diener, die in einer Ecke standen und ihn auf diese „Ich- weiß- etwas- das- du- nicht- weißt“ –Art angrinsten.

Im Laufe dieser Woche wurden sowohl Alos als auch Esra zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Ein Problem weniger. Dafür hatte er um so mehr Zeit, sich um Etienne zu sorgen.

Die junge Dame hatte nämlich aufgehört zu essen, war leichenblass und starrte einen grossteil des Tages die Wand an. Es war zum aus der Haut fahren.

Da ging man als Prinz schon selbst in die Küche, um etwas zu essen zu holen und dann aß die Dame nichts davon. Und wenn doch, dann... blieb es... nicht lange drin.

Schließlich wandte er sich hilfesuchend an Rhia, die ihn in die Küche schleifte. Innerhalb weniger Minuten hatte sie verschiedene Früchte und eine Schüssel sowie zwei Messer organisiert.

„Helft mir bitte beim schälen!“ mit diesen Worten drückte sie ihm ein Messer in die Hand und machte sich selbst an die Arbeit. Ratlos starrte er auf das Messer und die Frucht. Dann versuchte er, Rhia nachzuahmen. So schwer konnte das ja nicht sein!

„Aua!“ Blut lief an seinem Daumen hinunter. So viel zu den Thema!

„Ihr wollt doch so nicht weiterschälen? Ihr verschmiert doch die ganze Frucht!“ bevor er irgendwas erwidern konnte packte sie ihn und begann, seinen Finger zu verbinden. Dann ging es weiter.

Ein paar Früchte und einiges mehr an Schnitten später war endlich alles kleingeschnitten. Rhia packte alles in die Schüssel und gab ordentlich Honig darüber.

„Wenn sie das nicht isst, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Mit diesen Worten drückte sie ihm die Schüssel in die Arme.

Etienne war weder in ihrem Zimmer, noch in seinem oder einem den Aufenthaltsräume. Blieb als letzte Möglichkeit noch der Garten.

Und tatsächlich: Etienne hatte sich auf den, von der Sonne erwärmten, Fliesen der Terrasse zusammengerollt. Vorsichtig, damit sie nicht erschreckte, setzte er sich neben sie. Hmm, wirklich angenehm warm.

Als er einige Zeit lang nichts sagte, hob sie den Kopf und sah ihn fragend an.

„Ich hab dir was zu essen mitgebracht.“

„Danke!“ Sie schob sich ein Stück Orange in den Mund, kaute lange darauf herum und schluckte es schließlich hinunter.

„Wollt ihr auch etwas?“ Sie schob ihn die Schüssel hin. Nach kurzem Zögern nahm er sich ein Stück Banane.

Wirklich viel aß die Kleine ja nicht, aber wenigstens schien sie es diesmal bei sich behalten zu können. Mit aller Macht unterdrückte er ein zufriedenes Grinsen. Er stand wohl kurz davor, seinen Fehler von damals zu wiederholen.

Der Gedankengang wurde unterbrochen, als sich ein Gewicht auf seine Oberschenkel senkte. Etienne hatte sich neben ihm ausgestreckt und ihren Kopf auf seinen Schoß gelegt.

„Geht es dir inzwischen besser?“ Ihr Haar hatte im Licht einen leichten Rotschimmer.

„Körperlich ja.“ Sie fuhr mit den Fingern über einen der grünlich schimmernden Flecken, die ihr Gesicht immer noch zierten.

„Er hat ganz schön zugeschlagen!“

„Ich habe ihm in die Zunge gebissen!“ in ihrer Stimme schwang Stolz mit, was ihm zum lächeln brachte.

„Gut gemacht!“ er ertappte sich selbst dabei wie er begann, mir den Fingern durch ihr Haar zu fahren. Schnell legte er die Hand wieder neben sich auf den Boden, was ihm einen leichten Klaps aufs Knie einbrachte.

„Weitermachen!“ brummelte sie und er konnte ein lachen nicht unterdrücken. Sie war offenbar die reinste Schmusekatze.

„Ich vermisse meine Familie.“ teilte sie ihm plötzlich zusammenhangslos mit.

„Erzähl mir von ihnen.“ Er wurde ernst. Über ihre Vergangenheit wusste er so gut wie nichts.

„Wir sind zu fünft. Papa, Mama, Julien, Kassy und ich. Ich bin die älteste, Kassy die jüngste und Julien liegt dazwischen.“

„Wart ihr euch ähnlich?“

„Nicht wirklich. Kassiopeia ist der Sturkopf der Familie, Julien der Chaot. Ich bin das Mäuschen, dass in der Ecke sitzt und Bücher liest.“

„Wie seit ihr miteinander ausgekommen?“

„Gar nicht.“ Sie lachte leise auf.

„Bei uns sind regelmäßig die Fetzten geflogen. Meine Schwester und ich wollten beide nie nachgeben. Sie kann einfach nicht einsehen, wann sie unrecht hat und ich will immer das letzte Wort haben. Wir schaukeln uns quasi gegenseitig hoch.“

„Und dann?“

„Stürmt sie meist wutschnaubend aus dem Zimmer und ich werde auf diese „du- bist- doch- älter- kannst- du- nicht- nachgeben“ –Art angesehen. Mir fehl eben der Nesthäkchenbonus.“ sie zuckte mit den Schultern.

„Julien dagegen ist viel zu gutmütig. Er geht in unseren Streitereien unter. Wie ist das bei dir? Du hast doch auch eine Schwester, oder?“ das sie ihn geduzt hatte ignorierte er einfach mal. Es gefiel ihm irgendwie.

„Banu ist zwei Jahre älter als ich. Als Kind konnte sie mich leicht manipulieren. Sie wusste genau wie sie die Dinge drehen musste, damit ich tat was sie wollte. Wenn sie zum Beispiel wollte, dass ich Kekse für sie stibitzte und ich mich weigerte, sagte sie einfach, dass ich das sowieso nicht hinbekommen würde. Und ich musste dann natürlich das Gegenteil beweisen. Hinterher habe ich mir jedes mal ein Loch in den Bauch geärgert und bin beim nächsten mal doch wieder drauf reingefallen.“

„Ich habe noch eine Frage.“ sie drehte sich so, dass sie ihn ansehen konnte.

„Wer ist Safiya?“ Er wurde stocksteif.

„Das geht dich nichts an!“ mit diesen Worten stand er einfach auf und ging.

Einen Tag später saß er seiner großen Schwester gegenüber.

„Nur damit ich das richtig verstehe. Du willst wissen, was du tun kannst um Etienne zu helfen? Was ist los mit dir? Bist du krank?“

„Nein, bin ich nicht!“ verärgert funkelte Siamun seine Schwester an.

„Der Tod von Kija und die Sache mit Alos waren einfach zu viel für sie. Ich wollte nur wissen was ich tun kann, um ihr darüber hinweg zu helfen.“ Banus bernsteinfarbene Augen funkelten amüsiert.

„Gib ihr etwas zu tun. Je weniger sie darüber nachdenken kann desto besser.“

„Und was bitteschön?“

„Zeichnen, sticken, was weiß ich! Oder schenk ihr ein Haustier. Ein Kätzchen vielleicht oder ein Kaninchen. Streng deinen Grips an Brüderchen! Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen.“ Noch während er darüber nachdachte sprach sie weiter.

„Sie scheint übrigens ein nettes Mädchen zu sein. Ich dachte ja zuerst, dass du den selben Fehler machen würdest wie damals, aber...“

„Hast du ihr etwa von Safiya erzählt?“

„Erzählt? Nein. Ich habe sie vielleicht kurz erwähnt, aber mehr nicht.“

„Lass es bitte einfach, in Ordnung?“ meinte er auf dem Weg zur Tür.

„Das ist ewig her und ich habe daraus gelernt.“ Mit einem leisen „klack“ schloss er die Tür hinter sich.

„Oder schenk ihr ein Haustier. Ein Kätzchen vielleicht oder ein Kaninchen.“ Diese Worte gingen ihm durch den Kopf, als er über den Marktplatz schlenderte.

Er hatte sich für das Haustier entschieden. Gezeichnet hatte Etienne schon vorher und beim sticken würde sie sich wahrscheinlich selbst verletzen.

Also schlenderte er von Stand zu Stand und sah sich unzählige Katzen, Kaninchen, Schlangen und Vögel an, bis er schließlich fündig wurde.

12

Vielen Dank an shinichi_san, die die Taufpatin von Scharlatan ist und an seiner „Entwicklung“ maßgeblich beteiligt war.
 

12
 

Ich saß auf meinem Bett, meinen Coollegeblock auf dem Schoß, einen Bleistift in der Hand und versuchte zu zeichnen. Versuchte wohlgemerkt. Zustande brachte ich nämlich nichts.

Das lag zum einen an mangelndem Talent und zum anderen an noch weniger Konzentration. Meine Gedanken wanderten immer wieder zu dem Gespräch, dass ich mit Rhia geführt hatte. Der Inhalt waren, welch ein Wunder, meine Gefühle für Siamun gewesen.
 

Eine Stunde vorher in Etiennes Lieblingspavillon:
 

„Jetzt komm schon! Gib es doch endlich zu! Du bist in ihn verkracht, wie du es ausdrücken würdest.“ Ich legte die Stirn auf meine angewinkelten Knie und seufzte leise.

„Erstens heißt es „verknallt“ und zweitens sollte ich das wohl besser wissen. Ich mag ihn, aber mehr nicht.“

„Soso, du magst ihn also nur. Deswegen starrst du ihn auch immer an, sobald du denkst es würde keiner merken! Verstehe!“ sie nickte wichtigtuerisch und sah mich dabei auf eine Art an, die eindeutig „das glaubst du doch selbst nicht“ sagte.

„Beweise mir das Gegenteil!“ versuchte ich mich an einem Totschlagargument.

Nun, da wären: Die eben genannte Blicke, dein Dauergeseufze, die Art, wie du dich Nachts an ihn kuschelst und nicht zu vergessen: du spielst wie eine Verrückte an deinen Haaren herum, sobald er sich mit dir unterhält. Reicht das? Ich hab noch mehr!“ ich spürte wie meine Wangen heiß wurden. Alleine bekam ich immer noch Albträume, deswegen war es inzwischen schon fast zur Gewohnheit geworden mit ihm in einem Bett zu schlafen.

„Ich kann alleine nicht mehr schlafen und an meinen Haaren spiele ich doch dauernd rum, das hat meine Eltern schon immer genervt, besonders beim Essen.“

„Du knotest dir fast die Finger am Kopf fest, sobald er ins Spiel kommt.“

„Er macht mich nervös?!“

„Ach? Warum wohl?“ Sackgasse. Mist! Da war wohl ein Themenwechsel angesagt.

„Ist das da hinten Horace zusammen mit Tiada?“ Rhias Kopf fuhr herum.

„Wo?“ sogar ein Gehörloser hätte die Eifersucht aus ihrer Stimme heraushören können.

„Oh, du wirst nervös! Warum wohl?“ lachte ich.

„Hör auf damit!“ eingeschnappt warf sie eins der Kissen, auf denen wir saßen, nach mir.

„Rhia ist in Horace verknallt! Rhia ist in Horace verknallt!“ sang ich und warf im Takt Kissen nach ihr, die sofort wieder zurückkamen und Sekunden später war eine Kissenschlacht im Gange, bei der sich Neriman die Haare ausgerauft hätte, wenn sie sie gesehen hätte.
 

Wieder in Etiennes Zimmer:
 

Ich schüttelte den Kopf. Rhia mochte zwar recht haben, aber das half mir nicht wirklich. Ich fuhr mir mit einer Hand über das Gesicht. Warum passierte das ausgerechnet mir?

Es war völlig normal, dass sich Teenager in irgendwelche Promis oder Adelige verknallten, die für sie unerreichbar waren. Nur ich musste mir jemanden aussuchen, der direkt vor meiner Nase saß und trotzdem unerreichbar war. Super gemacht Etienne! Ganz große klasse!

Seufzend lies ich mich auf den Rücken sinken und bedeckte mit dem Arm meine Augen.

Ein leises klopfen und ein räuspern ließen mich sofort wieder hochfahren. Der Inhalt meiner Gedanken stand in der Tür, auf dem Arm ein Kätzchen. Ein Kätzchen? Man, träumten Verliebte immer so komisches Zeug? Soweit ich wusste mochte der Prinz Katzen nicht besonders und wenn ich mir die Kratzer auf seinen Armen, die ich bemerkte als er näher kam, so ansah, ging es der Katze nicht wirklich anders. Mit einem Fauchen sprang sie von Siamuns Arm, tapste ein paar Schritte auf mich zu und beäugte mich misstrauisch, so als ob sie nicht wüsste, was sie von mir halten sollte.

Offenbar schien ihr Urteil zu meinen Gunsten auszufallen, denn sie begann um meine Beine zu streichen und versuchte, an meinem Rock hochzuklettern. Als sie dann, zugegebener Maßen mit ein bisschen Hilfe meinerseits, auf meinem Schoß angekommen war, rollte sich zusammen und lies sich von mir streicheln, was ich gleich ausnutzte, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen.

Das Fell war dunkelbraun mit dunklen Querstreifen und so weich, dass ich am liebsten immer weiter gestreichelt hätte. Dem Schnurren nach, das mein Gast von sich gab, wäre er wohl damit einverstanden gewesen.

„Ich hatte schon Angst, er würde dich kratzten.“ Die tiefe Stimme zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

„Es ist ein er? Wie heißt er denn?“

„Der kleine Plagegeist hat noch keinen Namen. Du darfst dir einen aussuchen.“

„Echt?“ Ich ging im Kopf sämtliche Namen durch, die mir einfielen.

„Er gehört ab jetzt dir.“ Ich hörte mit dem Streicheln auf und blickte mein Gegenüber überrascht an. Siamun hatte den Kopf abgewendet, aber ich sah den Rotschimmer auf seinen Wangen trotzdem. Wie niedlich!

„Danke! Was hältst du von Schoko?“ das würde zur Fellfarbe passen.

„Komischer Name.“ Er wandte mir das Gesicht wieder zu und ich merkte, dass ich ihn mal wieder anstarrte. Er war wirklich schön. Nicht gutaussehend, sondern schön und zwar auf eine Art, dass man ihn vom Gesicht her fast für ein Mädchen hätte halten können.

Ich meine: wozu brauchte ein Kerl bitteschön Pfirsichhaut, okay, der Zimtfarbton passte nicht so ganz zur Bezeichnung „Pfirsichhaut“, aber ich hatte während der ganzen Zeit hier nicht einen Pickel entdeckt, und so lange Wimpern, dass er einem damit theoretisch das Auge ausstechen konnte?

Wären nicht die breiten Schultern, ein markantes Kinn und der schmale Mund gewesen hätte ich ihn, wäre ich seine Mutter gewesen, vermutlich in Kleider gesteckt und als Vorzeigepuppe benutzt. Wen wunderte es da, dass ich ihn anhimmelte?

Ein lautes Klirren lies uns beide herumfahren. Dem Kater war offenbar langweilig gewesen und er hatte begonnen, einen Schmetterling zu jagen. Leider ging er dabei vor wie ein Elefant im Porzellanladen. Eine Blumenvase lag schon als Scherbenhaufen auf dem Boden und er hatte es irgendwie geschafft, die Hälfte meiner Kleider, die im Ankleidezimmer gehangen hatten, auf den Boden zu befördern.

Jetzt raste er, einen Schal hinter sich herziehend, durch den Raum, schlitterte noch ein Stück über den Boden und wäre beinahe gegen die Truhe am Bettende geknallt. Dem Schmetterling war das alles längst zu viel geworden, weswegen er einfach aus dem Fenster flatterte.

„Scharlatan!“

„Was?“

„Ich werde ihn Scharlatan nennen. Das passt doch, oder? Was für eine Katzenart ist das eigentlich?“

„Eine Graukatze, fünf Monate alt. Er wird zwar nicht mehr gesäugt, muss aber langsam an feste Nahrung gewöhnt werden. Die Mutter ist leider gestorben, deswegen wurde er mit der Hand aufgezogen. Der Tierarzt wird nachher vorbeikommen und dir alles mitteilen, was du wissen musst.“ Lächelnd beobachtete ich, wie Scharlatan versuchte sich zu putzen. Dabei fielen mir rotbraune Flecken an den Ohren auf, als er sich den hellen Bauch leckte.

„So eine habe ich hier noch nie gesehen.“

„Sie kommen aus einem unserer Nachbarländer.“

„Ach so.“ meinte ich nur, als ich den Schal vom Hinterbein meines neuen Haustiers wickelte.

Scharlatan machte seinem Namen alle Ehre. Sein größtes Hobby schien „Siamun- in- den- Wahnsinn- treiben“ zu sein.

Er bestand lautstark darauf, Nachts bei uns im Bett schlafen zu dürfen, brachte Unterlagen durcheinander oder spazierte über gerade frisch beschriebene Papyrusrollen, wobei er niedliche Pfotenabdrucke auf den Fliesen hinterlies.

Ich konnte Debah gerade noch davon abhalten, den buschigen Schwanz des Katers irgendwo festzubinden.

Allerdings liebten wir den Kater bald heiß und innig, trotz des ganzen Unfugs den er anstellte.

Außerdem gab es noch andere Veränderungen: Auf meine bitte hin stellte Siamun Aziz ein und ich beschloss, dass ich von der Art, wie Horace und Rhia umeinander herumschlichen, ein für allemal genug hatte. Von Rhias Stimmungsschwankungen ganz zu schweigen. War ich eigentlich auch so?

Schamlos wie ich war, spannte ich auch Siamun in meine Pläne mit ein. Er bestellte meinen ahnungslosen Leibwächter zu einem bestimmten Ort auf dem Hof, an dem „rein zufällig“ Rhia nach einem Ring suchte, den ich dort „verloren“ hatte. Zufälle gab es...

Nur Leider lief das ganze nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ein paar Metern über ihnen beobachteten Siamun, Moses und ich, wie die beiden sich gegenseitig anhimmelten. Nur schien das der jeweils andere nicht zu bemerken. Es war zum Mäuse melken!

„Warum machen die nichts? Da sind die beiden endlich mal allein, kommen aber trotzdem nicht voran!“ Ich riss mir beinahe die aschblonde Strähne aus, an der ich herumspielte.

„Lass sie doch, sie brauchen eben Zeit.“ grummelte Moses verstimmt. Der Gedanke, seine einzige Nichte könne mit einem Kerl anbandeln, gefiel ihm offenbar nicht wirklich. Von der Seite war keine Hilfe zu erwarten und Siamun sah auch nicht aus, als hätte er große Ahnung vom Verkuppeln. Da musste ich die Sache wohl selbst in die Hand nehmen.

Die Frage war nur: was tun? Einfach „küsst euch endlich, ihr Idioten!“ zu schreien war wohl wenig produktiv und außerdem ein absoluter Stimmungskiller.

Wäre das hier ein Buch, dann würde die Heldin, in diesem Fall Rhia, jetzt stürzen und im letzten Moment vom Helden, ob sie ihn nun mochte oder nicht, aufgefangen werden, wodurch sich die beiden unweigerlich näher kommen würden. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Jetzt gab es nur ein Problem: Worüber um alles in der Welt sollte meine Hofdame stolpern, wenn nicht einmal ein Strohhalm auf dem Hof lag?

Mein Blick fiel auf eine Art Aufzug. Na ja, eigentlich war es mehr eine Holzplatte, die mit Seilen hoch und runtergelassen werden konnte. Das war riskant, könnte aber funktionieren.

„Siamun, gibst du mir bitte einen Dolch?“ eine Priese meiner passiven Kräfte dazu und schon hatte ich was ich wollte. Echt praktisch.

Bevor einer der beiden kapierte was ich vorhatte oder mich gar aufhalten konnte, war ich schon beim Aufzug und schnitt zwei Seile durch. Die entsprechende Seite des Brettes fiel nach unten und es schwang ziemlich schnell auf Rhia zu. Fast zu schnell. Ich hatte leider vergessen, dass mein schöner Plan ja auch nach hinten losgehen könnte. Jetzt war es zu spät.

Die Reaktion von Horace war filmreif. Im einen Moment hatte er noch dagestanden und meine Freundin angestarrt, im nächsten sprintete er in einer Geschwindigkeit, die ich ihm bei der Größe nie zugetraut hätte, über den Hof und stieß sie zur Seite.

Wow. Das Brett hatte die beiden nur knapp verfehlt. Moses würde mich umbringen, soviel stand fest. Ich machte mir eine geistige Notiz, beim nächsten Mal erst nachzudenken und dann zu handeln.

Dann fesselte die Kussszene unter mir meine Aufmerksamkeit. Wenigstens etwas lief nach Plan, sagte ich mir grinsend.

Was überhaupt nicht zum Plan gehörte war, dass irgend so ein Idiot laut „Yeah!“ brüllte. Die beiden Turteltauben fuhren auseinander. Wer auch immer das gewesen war, ich würde ihm den Kopf abreisen.

Mit hochrotem Kopf funkelte Rhia mich an. Horace war da schon ruhiger, er schaute mich nur an, als wisse er nicht, ob er mich küssen oder erwürgen solle.

Mist! Hatte ich etwa selbst gebrüllt?

„Warst du das etwa?“ meine Freundin deutete auf den Lastenaufzug. Ich nickte leicht.

Kopf abreisen strich ich gleich wieder von der to do- Liste, ich würde heute wahrscheinlich sowieso stranguliert werden...

Diesem Schicksal entging ich dann doch, Romeo und Julia hatten beschlossen, dankbar zu sein und Moses beschränkte sich darauf, mich böse anzusehen.

Außerdem machte er noch einige Tests mit mir um herauszufinden, was genau mit meinen Kräften loswar. Das Ergebnis war... überraschend.

Ich hatte sowohl starke Fähigkeiten im aktiven als auch im passiven Bereich, was eher selten vorkam. Meist hieß es entweder oder.

Außerdem war der aktive Teil hinter einer Art Schutzschild „eingesperrt“, was wahrscheinlich auch der Grund für meine Probleme beim Training war. Um das in den Griff zu bekommen brauchte ich einen neuen Lehrer. Zu meinem Glück war die Schwester des Prinzen, Prinzessin Banu, sehr gut darin und so kam es, dass ich mich in ihrem Teil des Palastes wiederfand.

„Hallo!“ begrüßte sie mich lächelnd und ich verneigte mich, wie es das Protokoll verlangte, immerhin war das Siamuns große Schwester.

„Ich habe gehört, du hättest ein Problem mit einem Schild?“ mein Problem war schnell erklärt und sie nickte Gedankenverloren.

„Ich müsste mich in deinem Kopf umsehen. Erlaubst du es mir?“ ich zögerte. Das gefiel mir nicht. Meine Gedanken gehörten mir und niemandem sonst.

„Ich werde nur den Schild ansehen, alles andere werde ich meiden!“ Augen wie flüssiges Bernstein sahen mich an. Geradeheraus und ehrlich. Nach kurzem zögern nickte ich und sie legte mir die Hände an die Schläfen.

Keine Schmerzen, kein Gefühl als würde mir jemand im Hirn rumwühlen. Erleichtert öffnete ich die Augen und nahm das Gesicht vor mir unter die Lupe.

Die Schönheit lag wohl in der Familie. Allerdings war sie auf eine andere Art schön als ihre Cousine. Malika war auf eine klassische Art schön. Groß, schlank, makellose Haut.

Die Prinzessin vor mir war auch groß und schlank, hatte aber einen Leberfleck auf der Wange und eine kleine Narbe an der Braue, was ihr Gesicht interessant aussehen lies. Lebendig, nicht wie in Stein gemeißelt.

„Es ist kein besonders komplizierter Schild. Einfach, aber stark.“ riss sie mich aus meinen Gedanken.

„Warum habe ich eigentlich einen?“ ich schüttelte den Kopf. Das hatte ich nie verstanden.

„Das kann verschiedene Gründe haben. Bist du früher nicht unterrichtet worden?“

„Nein, so etwas wie Priester gibt es bei uns nicht. Und schon gar keine Magie...“ ich brach den Satz ab.

„Dann ist der Schild ganz natürlich. Wie du inzwischen herausgefunden hast, können unsere Kräfte, besonders bei Scoah- und Ronugpriestern, sehr gefährlich sein, wenn sie außer Kontrolle geraten.“ Oh ja. Ich fröstelte bei dem Gedanken, wie ich die Kerle in Flammen hatte aufgehen lassen.

„Und da es niemanden gab, der dich unterrichten konnte, ist der Schild entstanden. Überlege doch mal, was sonst hätte passieren können!“

„Aber ich habe nie irgendwas gemerkt.“

„Weil er schon immer da war, du kanntest es nicht anders. Und wie du ja schon gemerkt hast, sinkt der Schild von alleine, wenn es erforderlich ist. Ich bin sicher, das wäre auch vorher schon passiert, wärst du in so eine Situation gekommen. Und jetzt sollten wir daran arbeiten, mit dem Schild umzugehen.“

„Und wie soll ich das machen? Ich wusste bis vor kurzem noch nicht einmal, dass er da ist.“

„Er mag ja von allein entstanden sein, aber um beständig zu sein muss er durch deine Kraft gespeist werden. Du hast also auf jeden Fall die Kontrolle und musst nur noch lernen wie es geht.“ Mit diesen Worten ging es los.
 

Anmerkung: Graukatzen gehören zur Familie der Wildkatzen und kommen eigentlich in China vor. Über ihre Lebensweise ist nur wenig bekannt, weswegen ich mir einiges an künstlerischer Freiheit herausnehmen kann...

13

„Du hast also auf jeden Fall die Kontrolle und musst nur noch lernen wie es geht.“

Leichter gesagt als getan. Nach zwei Wochen schaffte ich es zum ersten mal, den Schild zu senken. Weitere zwei Wochen und ich schaffte es, ohne vorher irgendwelche Konzentrationsübungen zu machen.

Und siehe da: endlich klappte es auch mit dem Training bei Moses. Nach zwei Versuchen sprühte ich Funken und eine Woche später warf ich mit den anderen Schülern Nadeln auf Zielscheiben, aus denen irgendwann Messer wurden.

Dabei machte ich eine interessante Entdeckung: bei jedem sahen die Dolche beziehungsweise Nadeln anders aus. Sie waren zwar alle schwarz, aber beim einen hatten sie einen auffälligen Griff, beim anderen eine Gravur...

Bei mir war auf der Klinge eine Schlange, die sich um eine Mondsichel wand... Wirklich begeistert war ich über dieses Motiv zwar nicht, aber es hätte schlimmer kommen können. Bei einer meiner Mitschülerinnen, einem Mädchen mit teuren Kleidern und Tussigetue, war der Griff mit Totenköpfen verziert und bei einem bulligen Kerl prangte ein Herz gut sichtbar auf dem Knauf. Also beschloss ich, dass ich Glück gehabt hatte und belies es dabei.

Alles in allem lief es ganz gut, zumindest in diesem Bereich. Im privaten sah es ganz anders aus.

Ich hatte immer geglaubt, unerwiderte Liebe sei schmerzhaft, aber jetzt wusste ich, das dass eine Untertreibung war. Es trieb mich fast in den Wahnsinn. Das der Prinz beim Thema „Safiya“ immer abblockte machte die Sache nicht besser.

Also stürmte ich das Zimmer von Banu und forderte lautstark eine Erklärung.

„Eigentlich möchte ich es dir nicht erklären!“ sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum.

„Dann hättest du es gar nicht erst erwähnen dürfen! Siamun weigert sich und mich lässt das Gefühl nicht los, dass es etwas ist, das ich besser wissen sollte.“ Mit vorgeschobener Unterlippe setzte ich mich ihr im Schneidersitz gegenüber. Ich würde erst gehen, wenn ich bescheid wusste.

„Also gut.“ Sie stieß einen schweren Seufzer aus.

„Safiya war die erste große Liebe meines Bruders. Und gleichzeitig auch die, die ihn am meisten verletzt hat. Er war vierzehn und betete den Boden unter ihren Füßen an. Wir waren alle froh darüber, er war für sein alter viel zu ernst. Zumindest so lange, bis wir sie kennen lernten.“ Mir wurde leicht flau im Magen. Das klang nicht gut.

„Sie war, gelinde gesagt, ein Miststück. Du hättest sie hören sollen!“ die bernsteinfarbenen Augen loderten beinahe vor Wut.

„Auf die Frage ob ihr mein Kleid gefällt hätte sie genauso begeistert mit „Ja“ geantwortet wie auf das Angebot zusammen vom Palastdach zu springen. Wir haben ihn gewarnt, aber er wollte nicht hören. Er überhäufte sie mit Geschenken, trug sie auf Händen, hätte sich von ihr sogar als Putzlappen benutzen lassen!“ ein Kissen flog gegen eine Wand und warf beinahe eine Vase um.

„Und dann?“ fragte ich mit eingezogenem Kopf.

„War sie eines Tages plötzlich weg. Und mit ihr alles was Siamun ihr geschenkt hatte. Und sogar noch etwas mehr, wenn du verstehst was ich meine!“ Ach du heilige Scheiße war alles was mir dazu einfiel.

„Er machte sich schreckliche Sorgen, bis sie dann eines Tages bei Hof auftauchte. Und zwar als Frau eines alten, aber gut betuchten Adeligen. Inzwischen ist sie eine reiche Witwe.“

„Das sie sich das getraut hat... Da muss doch für einen Skandal gesorgt haben!“ wenn es etwas gab mit dem ich mich inzwischen auskannte, dann waren das die Klatschtanten bei Hof.

„Nein, denn sie war nicht nur Geldgierig, sondern auch schlau. Sie bat ihn ihre „Beziehung“ geheim zu halten. Angeblich aus Angst vor Neidern. Inzwischen wissen wir ja, dass das nicht stimmte.“

„...Eine Frage habe ich noch.“ sagte ich nach kurzem Zögern. Wollte ich die Antwort überhaupt?

„Was hat das ganze mit mir zu tun?“ Banu hatte auf meinem ersten Bankett damals erwähnt, dass sie befürchtet hatte, Siamun würde den selben Fehler wie mit Safiya machen.

Ihr Blick lag so lange auf mir, dass ich glaubte, sie würde nie antworten. Die Wut war aus ihrem Blick gewichen, stattdessen sah ich nur aufrichtiges Bedauern in ihren schönen Augen.

„Sie war Hofdame.“ Ein Satz, nur ein verdammter Satz, trotzdem traf es mich wie ein Schlag in den Magen. Ich stand auf und taumelte aus dem Zimmer. Banu versuchte nicht mich aufzuhalten, vermutlich begriff sie, dass ich allein sein musste.

Gott, ich war eine lebende, atmende Erinnerung an diese Frau. Er musste mich regelrecht hassen! Aber er war doch nett zu mir gewesen. Hatte mir Schutz geboten und mich in sein Bett gelassen, mich sogar getröstet, wenn ich verzweifelt gewesen war.

„Er hat dir geholfen um sich selbst zu retten!“ meinte eine gehässige Stimme in meinem Kopf.

„Er hat von Anfang an klar gemacht, dass er kein Interesse an dir hat!“ Aber ich hatte Interesse an ihm. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar. Das durfte er niemals herausfinden! Es gab schon genug Gemeinsamkeiten zwischen ihr und mir, noch mehr würden weder er noch ich ertragen. Er würde glauben, ich wäre wie sie.

Und war ich das nicht eigentlich auch? Ich ließ mich beheimaten und beschützen. Und gegebenenfalls auch noch retten, wenn das mit dem Beschützen nicht klappte. Im Grunde war ich eine zweite Safiya. Meine Sicht verschwamm, ich war kurz davor zu heulen.

„Ist alles in Ordnung?“ schnell wischte ich mir über die Augen und wandte mich zu Aziz um.

„Was, wie... ähm... klar, alles in Ordnung. Nur ein Anfall von Heimweh, nicht weiter schlimm.“ Ich hatte oft Heimweh, deswegen würde er mir glauben.

„Ach du grüne Neune, was ist denn mit dir passiert?“ Er hatte ein Veilchen und überall blaue Flecken.

„Nur ein paar Kerle, die auf eine Schlägerei aus waren, mehr nicht.“ Winkte er ab. Ich spürte, wie sich die Verzweiflung, die ich bis eben noch gespürt hatte, in Wut umwandelte. Hier glaubte wohl jeder, dass er die Leute, die mir etwas bedeuteten wie Dreck behandeln konnte. Nicht mit mir! Siamun konnte ich zwar nicht mehr helfen, aber wenigstens konnte ich Aziz die Möglichkeit geben, sich zu verteidigen.

Ich schloss die Augen und beschwor einen meiner schwarzen Dolche herauf, den ich meinem Diener in die Hand drückte.

„Das kann ich nicht annehmen MyLady!“ Verdattert blickte er mich an.

„Natürlich kannst du! Ich bestehe sogar darauf! Ich habe dafür gesorgt, dass er sich nicht auflöst.“ Das taten magisch beschworene Waffen nämlich, es sei denn, man legte einen bestimmten Zauber darauf. Das war mir zwar schwer gefallen, aber ich hatte es geschafft.

„Ich danke euch!“ er verneigte sich, den Dolch an seine Brust gepresst als wäre er ein kostbares Relikt. Ich müsste lächeln, trotz der Wut im Bauch.

„Du warst mein erster Freund.“ Mit diesen Worten lies ich ihn stehen, ich wollte lieber alleine sein.

In meinem Zimmer angekommen stellte ich mich vor den Spiegel. Ich hatte mich nicht wirklich verändert, seit ich hergekommen war. Meine Haut war etwas dunkler, sie hatte einen Honigfarbton, mein Haar war etwas gewachsen und von der Sonne ausgebleicht.

Aber das war es auch schon mit der Veränderung. Ich war immer noch klein und an meinen kindlichen Gesichtszügen hatten sich auch nichts getan. Bald war ich ein Jahr hier, fast die Hälfte davon hatte ich im Palast verbracht.

Ich sah an mir herunter. Ich trug ein Kleid, das nicht mir gehörte. Ebenso wenig wie der Schmuck. Nichts in diesem Zimmer gehörte mir. Nichts außer den Sachen in der Truhe am Bettende. Ich öffnete sie. Darin lagen mein Ranzen und die Kleider, die ich damals getragen hatte. Damals. Wie das klang.

Seufzend holte ich die Jeans heraus und stieg hinein. Ich bekam sie gerade noch über die Hüfte, konnte aber den Knopf nicht schließen. Offenbar war ich doch gewachsen, wenn auch nur in die Breite. Frustriert warf ich die Hose an die Wand und lies mich auf mein Bett sinken. Es war doch alles zum heulen!

„Etienne? Du musst dich für das Bankett heute Abend fertig machen!“ Auch das noch! Schon wieder so ein blödes Treffen mit noch blöderen Leuten. Leider Pflicht für mich.

Also setzte ich ein Lächeln auf und zog ein anderes Kleid an. Schmuck, Schminke, alles wie immer. Vielleicht konnte ich mich ja mit Kopfschmerzen entschuldigen. Dann wäre wenigstens etwas nicht wie immer.

Über mich selbst verärgert schüttelte ich innerlich den Kopf, während Rhia mein Haar zu einem hohem Zopf zusammenfasste. Das war genug. In Selbstmitleid konnte ich später noch versinken, jetzt musste ich erst mal einen auf schwer verliebt machen. Wobei das von meiner Seite aus ja schön längst nicht mehr gespielt war...

Und ehe ich mich versah änderte sich meine Gefühlswelt schon wieder. Was viel dieser Ziege eigentlich ein? Okay, sie war zu diesem Bankett eingeladen. Okay, sie war die Tochter eines Adeligen. Aber was gab ihr bitte schön das Recht, am Arm meines Prinzen zu hängen?

Tja, da war dieses Bankett wenigstens zu etwas gut. Und wenn es nur mein Selbstmitleid in rasende Eifersucht umwandelte.

Da der Prinz selbst auch nicht allzu erfreut über diese Aufdringlichkeit war, beschloss ich, dass ich das Recht hatte, ein wenig Wut an dieser Tussi auszulassen.

„Hallo!“ ich warf ihr den giftigsten Blick zu, den ich auf Lager hatte.

„Ähm... guten Tag! Ich freue mich, euch endlich mal kennen zu lernen.“ Ihr Gesichtsausdruck sagte da etwas ganz anderes.

„Ich habe schon so viel von euch gehört, aber ich muss zugeben, ich hatte mir euch ein bisschen älter vorgestellt.“ Falsches Thema Mädel, ganz falsches! Wenn ich etwas nicht mochte, dann wenn man mich darauf ansprach.

„Das kann ich verstehen, ich sehe wesentlich jünger aus las ich bin.“ Himmel, ich klang wie Tiada, wenn sie mal wieder lästerte.

„Bei euch ist das ganz anders, ihr seht so... reif aus.“ Die kläglichen Reste ihres Lächelns fielen aus ihrem Gesicht. Wenigstens war sie keine Schönheit. Im Gegenteil, sie sah fast langweilig aus, was mich mit einer gewissen Genugtuung erfüllte. Immerhin hatte ich den exotischen Status einer Blondine.

„Danke.“ Das klang aber reichlich gepresst.

Innerlich grinsend schob ich sie auffällig unauffällig bei Seite und hackte mich bei Siamun ein. Die Dame verstand den Wink mit dem Zaunpfahl, na ja eigentlich eher den Schlag mit dem Gartentor, und verschwand mit Unwettermine in der Menge, die von unserer kleinen „Unterhaltung“ zum Glück nichts mitbekommen hatte.

„Alles in Ordnung?“ fragte ich meinen Begleiter, dessen Mine sich auch zehn Minuten später nicht geändert hatte.

„Kopfschmerzen, schon den ganzen Tag. Und egal was ich mache, es wird einfach nicht besser.“ Mit zusammengebissenen Zähnen massierte er sich die Schläfen. Am liebsten hätte ich ihm eine Aspirin angeboten, aber mein Vorrat war inzwischen Leider zu neige gegangen.

Als das Bankett, gefühlte drei Tage später, endlich zu Ende war, machten wir beide, dass wir wegkamen. Er wollte noch schnell ein paar Dokumente durchsehen, ich wollte nur noch raus aus diesem Kleid und ins Bett.

Seufzend schloss ich die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen. Scharlatan begrüßte mich auf seine Art: er strich mir um die Beine und wollte gestreichelt werden. Lächelnd bückte ich mich und kraulte ihn hinter den Ohren, dabei viel mein Blick auf ein Stück Papyrus, das auf dem Boden lag.

„Hast du etwa schon wieder Siamuns Arbeitszimmer durcheinander gebracht?“ schimpfte ich leise, während ich das Dokument aufhob um genau das herauszufinden. Leider konnte ich die Handschrift, auch wenn ich die Schrift inzwischen relativ gut lesen konnte, nicht entziffern.

In diesem Moment flog die Tür auf und ein wutschnaubender, meine Katze und die ganze Welt verfluchender Siamun kam hereingestampft.

Was er sah gefiel ihm offensichtlich nicht: ich, die eines seiner Dokumente las, das er wahrscheinlich die ganze Zeit gesucht hatte. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie seine Laune vom Kellerverlies unter den Meeresspiegel sank.

„Was fällt die eigentlich ein? Erst verwüstet deine Katze mein Arbeitszimmer und dann list du auch noch vertrauliche Dokumente?“ Okay, er war wütend. Aber ich auch und das Geplänkel mit dieser Lady hatte nicht wirklich geholfen.

„Wenn die Dokumente so verdammt wichtig sind, warum bewahrst du sie nicht wo anders auf?“ meine Stimme war kaum mehr als ein Fauchen.

„Das ist mein zuhause, ich habe das Recht, meine Unterlagen liegen zu lassen, wo immer ich will.“ Das empörte Funkeln in seinen schwarzen Augen stachelte meine Wut noch weiter an.

„Zufälligerweise ist das auch das zuhause meines Katers und er hat das Recht, herumzulaufen wo er will!“

„Herumlaufen, nicht Zimmer verwüsten! Er hat in dieser Woche drei Kissen zerfetzt!“

„Mein Gott, er ist ein halbes Jahr alt! In dem Alter konntest du noch nicht einmal laufen!“

„Ich habe nie so viel kaputt gemacht!“ Natürlich, seine Hoheit musste natürlich seine Ehre verteidigen. Vollidiot!

„Natürlich! Hochwohlgeboren haben ja keine Fehler!“ meinte ich sarkastisch, womit ich seine empfindlichste Stelle mit einer vollen Breitseite traf. Wutschnaubend riss er mir den Papyrus aus der Hand.

„Du bist genau wie Safiya!“ Volle Breitseite seinerseits. Ich fing an zu zittern wie Espenlaub. Wie konnte er es wagen? Es war eine Sache, mir das selbst vorzuwerfen, aber eine völlig andere, es von ihm an den Kopf geworfen zu bekommen.

Ich spürte, wie etwas in mir Hochzukochen begann. Keine Wut, zumindest nicht nur. Etwas schwarzes, beängstigendes, fremdes, das zugleich vertraut war. Ich zitterte stärker.

Scharlatans lautes Maunzen zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Der Kater, der bis eben auf dem Bett gesessen und sich geputzt hatte schien völlig verängstigt zu sein. Panisch sprang er vom Bett und lief in den Garten.

Als ich ihm mit den Augen folgte und mich dabei wunderte, was ihm solche Angst machte, blieb mein Blick an der Obstschale hängen. Die Schüssel zitterte ebenfalls und zwar so stark, dass sie beinahe über den Tisch hüpfte. Die Blumenvasen wackelten ebenfalls bedenklich.

Heilige Scheiße, es war gar nicht ich, die zitterte und bebte, es war der Raum!

14

Heilige Scheiße, es war gar nicht ich, die zitterte und bebte, es war der Raum!

Was zur Hölle war hier los? Ich hatte immer noch das Gefühl, ich würde innerlich kochen und irrte ich mich oder wurde das Beben im gleichen Maße stärker wie das Brodeln in meinem inneren? Und warum zur Hölle kam das so bekannt vor?

„Was ist hier los?“ mein Gegenüber funkelte mich an, als wäre ich Schuld an dem ganzen hier.

Schuld... irgendwo in meinem Kopf läutete eine Glocke in der Größe von Big Ben.

Schuld... ich war schuld an Kijas Tod... ich hatte die Kontrolle verloren...

Die Puzzelteile in meinem Kopf fielen an ihren Platz, Lücken schlossen sich, das ganze ergab ein Bild. Als ich die Kerle eingeäschert hatte war es ganz genauso gewesen. Irgendetwas war hochgekocht und explodiert.

Und da ich mich offenbar unbewusst weigerte den Prinzen zu flambieren, suchte sich die Magie einen anderen Weg. Ich atmete tief durch. Erst mal musste ich den Schild hochziehen. Auf Anweisung von Banu hatte ich ihn nicht wieder hochgezogen, da mir der Moment, den ich fürs absenken brauchte, das Leben kosten könnte, wenn ich wieder in eine gefährliche Situation kam. Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass es auch so eine Situation geben könnte. Ich war völlig ungeübt darin, ihn wieder aufzubauen.

Okay, ich musste im Grunde einfach alles umgekehrt machen. Konnte ja nicht so schwer sein! Meine Augen schlossen sich und ich konzentrierte mich auf den Teil des Kopfes, in dem sich das verdammte Problem befand. Normalerweise war das ein leuchtender schwarzer Ball, im Moment glich das ganze aber eher einem Lavastrom, der sich unaufhaltsam seinen Weg bahnte. Mist, das würde schwer werden.

Ich schickte Energie in meinen Schild und er begann sich aufzubauen, wurde aber gleich wieder niedergewalzt. Der zweite und der dritte Versuch führten zum gleichen Ergebnis. Verdammt! Offenbar war der Schild nur dafür ausgelegt, meine Kräfte im Zaum zu halten, wenn sie sich wie jetzt selbstständig machten war er offenbar nutzlos. Super!

Die schwärze floss durch meinen Körper und in den Boden, brachte ihn zum beben.

Ich musste hier weg, sonst würde ich noch den Palast zusammenstürzen lassen! Woher ich das wusste? Keine Ahnung! Ich wusste es einfach, so wie ein Kind weiß, dass man einen knurrenden Hund nicht streicheln soll.

Ohne weiter auf Siamun zu achten stürzte ich in den Garten. Der Druck in mir stieg weiter an, ich hatte das Gefühl zu platzen wie eine überreife Frucht. Ich musste dringend einiges davon abbauen.

Suchend blickte ich mich um. Überall Pflanzen, Pavillons, der Fluss.... Am Flussufer gab es doch Kies, oder? Das könnte gehen.

Mit einer Geschwindigkeit, die mich selbst überraschte, rannte ich dort hin und watete zur Sicherheit noch ein Stück ins Wasser, damit möglichst viel Abstand zwischen mir und dem Palast lag. Dann stellte ich jeden Widerstand ein, lies die Schwärze nach außen treten und stellte mir vor, wie sie sich in Flammen verwandelte.
 

Verwirrt blickte Siamun Etienne nach, die mit wehendem Zopf und sich hinter ihr aufbauschendem Rock durch den Garten stürmte. Sie hatte ihm beim verlassen des Zimmers beinahe über den Haufen gerannt, so eilig hatte sie es. Was zur Hölle war hier los? Und warum bebte der Boden?

Apropos beben, hatte das gerade aufgehört? Er sah sich um und tatsächlich, alles stand still. Zu still.

„Etienne?“ keine Antwort. Wieder rief er, diesmal etwas lauter. Gleiches Ergebnis.

Irgendwas stimmte da nicht, er wusste nur nicht was. Zögerlich betrat er seinen Garten und schlug des selben Weg ein wie das zierliche Mädchen vor ihm.

Er fand sie im Fluss. Sie war bis zur Hüfte ins Wasser gewatet, hatte die Hände zu Fäusten geballt und den Kopf in den Nacken gelegt, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, als hätte sie schmerzen.

Um sie herum bildeten die schwarzen Flammen eine Kugel, verbrannten sie aber nicht. Im Gegenteil, sie schienen nicht einmal heiß zu sein.

Zögerlich streckte er die Hand aus. Hatte sie schmerzen? Oder war das verzerrte Gesicht nur ein Ergebnis von starker Anstrengung?

„Finger weg!“ ein paar Zentimeter vor der Flammenwand zuckte er zurück. Banu stürmte auf ihn zu, ihren Rock bis über die Knie gerafft, damit sie nicht stolperte.

„Bei allen Göttern, was ist hier los?“

„Keine Ahnung. Wir haben uns gestritten, das Gebäude fing an zu wackeln und Etienne ist rausgerannt, als wäre Scoah persönlich hinter ihr her. Den Rest siehst du ja selbst.“

„Mist!“ seine Schwester biss sich auf die Lippe.

„Was Mist?“

„Klingt, als hätte sie die Kontrolle verloren. Und ich habe auch noch behauptet, es wäre besser den Schild unten zu lassen.“ Sie fuhr mit einer Hand über ihr Gesicht.

„Du hast was?“ er musste sich verhört haben. Seine kluge und belesene Schwester hatte so einen Schwachsinn behauptet?

„Einen Schild zu errichten oder abzusenken braucht Konzentration, besonders wenn man es wie sie eigentlich gar nicht kann. Ihr Schild ist entstanden, weil es für sie keine andere Möglichkeit gab. Du siehst ja selbst, was passiert.“

„Und wieso hast du ihr gesagt, sie solle ihn unten lassen?“ so langsam riss ihm der Geduldsfaden. Seine Kleine stand unter einer Feuerkuppel und Banu hielt ihm irgendwelche Vorträge.

„Aus dem selben Grund, aus dem du ein Messer unter deinem Kopfkissen hast. Im Kampf zählt jede Sekunde.“ Das leuchtete ihm zwar irgendwie ein, aber trotzdem...

„Kannst du irgendetwas tun?“ meinte Siamun ein paar Sekunden später.

„Nein. Wir müssen warten, bis sie von selbst aufhört. Ich habe das ungute Gefühl, dass wir sonst als Aschehäufchen enden werden. Das ist übrigens auch der Grund, aus dem ich froh bin, dass ich Tegispriesterin bin und mich fast nur mit geistigen Schilden auskenne.“

Die schwarzen Flammen begannen zu flackern und erloschen schließlich. Keiner sagte ein Wort. Etiennes Kopf lag noch immer im Nacken, aber ihre kindlichen Gesichtszüge entspannten sich wieder, schließlich senkte sie den Kopf und schlang die Arme um ihren Körper.

Ihr Rock trieb auf dem Wasser, weswegen es aussah, als wäre sie aus einer Lotusblüte emporgewachsen. Zitternd watete sie an Land, lief an Siamun und Banu vorbei, wobei sich die beiden nicht einmal sicher waren, ob sie überhaupt wahrgenommen wurden und sank schließlich zu einen zitterndem und wimmerndem Häufchen Elend zusammen.

Aus dem Wimmern wurde schluchzen, daraus wurde herzzereisendes Weinen. Zögerlich streckte der Prinz die Hand aus und wollte sie tröstend auf ihre Schulter legen, zog sie aber wieder zurück.

Hatte er überhaupt das Recht dazu? Immerhin war er ja schuld an der ganzen Misere. Er hatte sie bis aufs Blut gereizt, seine Wut an ihr ausgelassen. Als ob sie etwas dafür konnte, dass Scharlatan sein Arbeitszimmer verwüstete oder diese Ziege vorhin wie eine Klette an ihm gehangen hatte.

Das Dokument hatte wahrscheinlich auf dem Boden gelegen und sie hatte es aufgehoben um es ihm zu bringen und was machte er? Er reagierte wie ein vierjähriger Junge, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. Bei den Göttern, er war erwachsen!

„Etienne?“ fragte Banu vorsichtig. Die Angesprochene erhob sich, sah aber niemanden an.

„Ich würde gerne allein sein.“ Mit diesen Worten lief sie in den Palast zurück, ohne sich noch einmal umzusehen.

„Was genau ist eigentlich passiert?“ fragte Banu kurze Zeit später, als sie in einem der Gartenpavillons saßen.

Nach kurzen Zögern antwortete Siamun ihr, da er dringend einen Rat brauchte.

Klatsch. Der Ton einer Ohrfeige schallte durch den Garten. Verdattert sah Siamun seine Schwester an.

„Du hast was? Bist du noch ganz bei Trost?“ der Angesprochene sank auf seinem Kissen zusammen und rieb sich die pulsierende Wange.

„Kein Wunder ist so etwas passiert! Wie konntest du sie nur mit diesem Miststück vergleichen?“

„Das ist mir so rausgerutscht. Ich konnte ja nicht wissen, dass sie es so aufnimmt. Sie weiß ja noch nicht mal, wer sie ist.“

„Doch das weiß sie.“ Banus Stimme zitterte vor Empörung.

„Ich habe es ihr erzählt.“

„Du hast was? Bist du noch ganz bei Trost?“ Okay, das war eindeutig eine Retourkutsche und nicht besonders originell, aber ihm viel nichts anderes ein.

„Sie hatte ein Recht darauf es zu erfahren. Was dachtest du denn, was passieren würde, wenn du ihr keine Antwort gibst? Sie wusste das etwas nicht stimmte und das hat sie fertig gemacht.“

„Und wenn sie jetzt denkt, ich würde sie mit Safiya auf eine Stufe stellen?“

„Das denkt sie, seit sie es erfahren hat.“ Banu sah ihn durchdringend an, ihre bernsteinfarbenen Augen schienen in sein innerstes zu sehen.

„Und kannst du mir ehrlich sagen, dass es nicht so ist?“ Siamun öffnete den Mund und schloss ihn unverrichteter Dinge wieder. Sah er in Etienne wirklich eine zweite Safiya?

Es stimmte, er hatte besonders zu Anfang jeden ihrer Schritte mit Argusaugen überwacht, ständig in der Angst verraten zu werden.

Wann hatte sich das geändert? Inzwischen vertraute er ihr, auch wenn er es selbst kaum glauben konnte.

„Du solltest dringend deine Gefühle aussortieren! Und sieh zu, dass du das wieder hinbiegst, sonst wirst du dir ein Leben lang in den Hintern beißen, wie Etienne sagen würde. Auch wenn ich nicht weiß, wie man sich selbst in den Hintern beißen kann...“ Mit diesen Worten stand sie auf, schüttelte ihren Rock aus und machte sich auf den Weg zu ihrem Teil des Palastes.

„Ach übrigens!“ sie drehte sich noch einmal um.

„Im restlichen Palast war nur ein leichtes Beben zu spüren, es wurde niemand verletzt.“

„Und warum bist du dann hier?“ Siamun runzelte die Brauen.

„Mein sechster Sinn hat sich gemeldet.“ Mehr sagte sie nicht. Er blieb noch lange sitzen und starrte den Himmel an, als ob der Mond ihm eine Antwort geben könnte. Irgendwann stand er schließlich auf und ging zurück.

Wie lange stand er jetzt schon da und starrte sie an? Eigentlich hatte er sich entschuldigen wollen, aber sie hatte geschlafen und so hatte er sie einfach nur angestarrt.

Sie lag zusammengerollt auf dem Bett, ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Wiedereinmal streckte er zögerlich die Hand aus, legte sie ihr dieses mal aber tatsächlich auf die Schulter und wollte sie eigentlich wecken, tat es dann aber doch nicht, sondern lies die Hand einfach liegen.

Ihm war nie aufgefallen, wie zierlich sie eigentlich war. Er hatte gewusst, dass sie klein war, aber erst jetzt bemerkte er, dass er ihre Schulter spielend leicht mit einer Hand quetschen könnte.

Siamun hatte in ihr immer nur jemanden gesehen, der trotz aller Probleme stets versuchte, dass beste aus seiner Situation zu machen. Jetzt fiel ihm die Kehrseite der Medaille auf: Sie war alleine in einer fremden Welt, würde ihre Familie nie mehr wieder sehen und war noch zusätzlich mit Kräften gesegnet, um die sie nie gebeten hatte.

Innerlich aufstöhnend nahm er die Hand von ihrer Schulter und fuhr sich damit durch sein schulterlanges Haar. Er war ja so ein Trottel!

„Wenn du schon dabei bist mit Selbsterkenntnis um dich zu schmeißen,“ meldete sich Banus Stimme in seinem Kopf „dann könntest du dir den Rest auch gleich eingestehen!“ Warum musste seine innere Stimme eigentlich wie die von Banu klingen? Der Vortrag von vorhin war ja schon schlimm genug gewesen.

„Ich werde schweigen wie ein Grab! Gib es einfach zu!“ Na schön, er mochte sie. Jetzt zufrieden?

„Magst du sie oder MAGST du sie?“ Halt doch einfach die Klappe! In Ordnung, Etienne hatte in etwa so viel mit Safiya gemeinsam wie ein Kaninchen mit einem Skorpion, er war auf jedes männliche Wesen eifersüchtig, dass in ihre Nähe kam (inklusive eines gewissen Katers) und generell hätte er sie am liebsten eingesperrt, damit ihr nichts passierte. Aber das hieß noch lange nicht, dass er in sie verliebt war!

Das hieß... genau das. Er stieß die Art von Seufzer aus, die er immer von seinem Vater hörte, wenn er sich mit seiner Frau gestritten hatte. Er musste einiges wieder gerade biegen und hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte.
 

Ich hatte Banu und den Prinzen einfach stehen gelassen, war in mein Zimmer gelaufen und hatte mich dort weinend auf mein Bett geschmissen.

Irgendwann gingen mir die Tränen aus und ich hickste noch ein paar Minuten lang, dann wurde es so still, dass ich nur noch meinen Herzschlag hörte.

Was genau war passiert? Warum waren meine Kräfte so plötzlich außer Kontrolle geraten?

Ich hatte zwar schon gehört, dass das ganze recht emotionsabhängig war, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich meine: viel hätte nicht gefehlt und die Decke wäre heruntergekommen! Das war doch einfach krank! Ich war eine wandelnde Zeitbombe, wenn ich keinen Weg fand diese Erdbebennummer in den Griff zu bekommen.

Während ich mich vom Bauch auf die Seite drehte und mich wie ein Embryo zusammenrollte fasste ich den Entschluss, gleich morgen mit Moses und Banu darüber zu reden.

Keine drei Minuten später ging die Tür auf und der Prinz kam herein, sagte leisem meinen Namen. Da er der letzte war, mit dem ich jetzt reden wollte stellte ich mich einfach schlafend. Dann würde er hoffentlich wieder gehen!

Natürlich tat er mir den Gefallen nicht, dieser Blödian! Stattdessen machte er einige Zeit lang gar nichts oder jedenfalls bekam ich nichts mit, ich hatte ja die Augen geschlossen. Vielleicht hob er ja gerade sein Messer hoch, um mich damit zu erstechen. Obwohl ich ihm das eigentlich nicht zutraute.

Gerade als ich die Augen öffnen wollte um zu sehen, ob er überhaupt noch da war, legte sich eine große warme Hand auf meine Schulter. Da ich noch immer das Galakleid trug, dass ich auf dem Bankett getragen hatte und dieses schulterfrei war, traf er nur auf meine nackte Haut, welche sofort zu kribbeln begann. Offenbar hatte ich nicht nur Schmetterlinge im Bauch, sondern auch Ameisen unter der Haut!

Irgend wann, es kam mir wie eine Ewigkeit vor, nahm er die Hand von meiner Schulter und stieß einen schweren Seufzer aus. Es war die Art von Seufzer, die man von Menschen hört, die eine schwere Entscheidung zu treffen hatten.

Dann verlies er das Zimmer, schloss die Tür mit einem leisen klacken hinter sich und ich war wieder allein mit meinen Ängsten, Sorgen, Wünschen und Gefühlen.
 

Ich hoffe, die Erklärungen waren ausreichend. Wenn nicht, einfach nachfragen ;)

15

Es war zum aus der Haut fahren! Rhiannon beobachtete ihre Herrin, die mit Papier und Stift dasaß und offenbar zeichnen wollte. Dagegen wäre ja eigentlich nichts einzuwenden gewesen, wenn sie nicht seit... ähm, wie lange eigentlich? die Wand angestarrt hätte.

Die erste und einzige Hofdame von Lady Etienne Allen fuhr sich mit beiden Händen durch ihr ebenholzfarbenes Haar und stieß einen schweren Seufzer aus.

Da waren sich die beiden Turteltäubchen endlich näher gekommen und dann? Verfehlten sich die beiden eiskalt! Waren die beiden blind, oder so etwas in der Art? Allein die Art, wie die beiden sich anstarrten sprach Bände.

„Es ist nicht auszuhalten mit den beiden!“ sagte sie später zu Horace, als sie sich trafen.

„Da denkt man, sie hätten sich endlich gefunden und dann rennen die beiden aneinander vorbei. Dabei ist es doch so offensichtlich, dass sie in ihn verkracht, äh ich meine verknallt, ist. Wie ist es bei ihm? Hast du was aus ihm herausbekommen?“

„Nein, aber das ist zum Glück auch nicht wirklich nötig.“ Der beste Freund des Prinzen nahm die Hand seiner hoffentlich zukünftigen Verlobten und drückte einen Kuss auf die Handfläche.

„Er sieht sie auf die selbe Art an, mit der ich dich immer angestarrt habe!“

„Und das heißt im Klartext?“

„Er sieht sie an, als ob er sich auf den Boden legen und als Fußabstreifer benutzen lassen wolle. Natürlich nur, wenn keiner hinsieht, aber ich habe ihn, wenn auch nur durch Zufall, trotzdem erwischt.“

„Dann gibt es nur noch eins, das wir tun können!“ Sie schlug mit der freien Hand, die andere lag immer noch in der von Horace, auf den Tisch.

„Wir tun das, dass sie für uns getan hat!“

„Du willst sie beinahe umbringen?“ in den dunklen Augen funkelte unterdrücktes Gelächter und gespielte Empörung.

„Tut mir Leid, da kann ich schon aus Prinzip nicht mitmachen, ich bin ihr Leibwächter!“

„Ich dachte eigentlich, wir überspringen den Teil mit dem umbringen und gehen gleicht zum verkuppeln über!“ beide mussten laut lachen und begannen, Pläne zu schmieden um der Frau zu helfen, die für ihr Glück verantwortlich war.

Pläne, die nie zum Einsatz kommen sollten, da das Schicksal, oder der Zufall? andere Pläne hatte.
 

Wie lange ging das jetzt schon so? Fast einen Monat oder so etwas in der Art. Einen Monat, in dem der Prinz und ich uns mieden wie die Pest. Oder es zumindest versuchten.

Tatsache war, dass ich das nicht so einfach konnte. Ich erwischte mich regelmäßig dabei, wie ich ihn anstarrte. Sobald er allerdings hersah, schaute ich schnell wo anders hin. Wir redeten auch nur noch das nötigste. Wer hätte allerdings gedacht, dass mir sein Gemeckere über mein unordentliches Zimmer fehlen würde? Ich hatte mich dabei erwischt, wie ich das Chaos noch verschlimmerte, nur damit er mit mir redete!

Früher hätte ich mich über den bloßen Gedanken halb tot gelacht, jetzt schüttelte ich nur den Kopf und fragte mich, ob ich nicht langsam reif für die Klapse wäre.

Etwas weiches, das um meine Beine strich, riss mich aus meinen Gedanken. Scharlatan wollte seine Streicheleinheiten. Der Kater war ein ganzes Stück gewachsen und fraß inzwischen beinahe problemlos feste Nahrung. Zu meiner Freude, wie ich zugeben musste.

„Was soll ich denn machen?“ fragte ich das Tier auf meinem Schoß, das mir natürlich keine Antwort gab.

„Ich habe zwei Möglichkeiten!“ meinte ich kurze Zeit später zu mir selbst.

„Die erste wäre, dass ich weiter hier sitzen bleibe und mich selbst bemitleide. Darin bin ich inzwischen richtig gut und mit etwas mehr Übung bringe ich es noch zur Perfektion!“ Scharlatan stieß einen Laut aus, der Verdächtig an ein Schnauben erinnerte.

„Ja ich weiß, keine gute Idee.“ lachte ich.

„Die zweite Möglichkeit wäre, dass ich mich ganz einfach entschuldige. Weiß du was? Genau das werde ich machen!“ Ich hob den Kater hoch, gab ihm ein Küsschen auf die Nase und setzte ihn auf dem Boden ab.

Okay, was genau wollte ich denn sagen?

„Entschuldigung, dass ich fast den Palast habe einstürzen lassen? Ich habe übrigens einen Weg gefunden, das unter Kontrolle zu bekommen, ich muss nur gelegentlich kleinere Erdbeben oder Feuerinfernos erzeugen! Zum Stressabbau, weißt du?“ Wenn das nicht mal ein Paradebeispiel für eine verhunzte Entschuldigung war...

Ich hörte auf, im Spiegel nach nicht vorhandenen Pickeln zu suchen und wandte mich stattdessen meinen Haaren zu. Ich entfernte das Gummi, kämmte sie gut durch und flocht sie zu einem Zopf, der sofort wieder geöffnet und durch einen Pferdeschwanz ersetzt wurde. Dann flocht ich mir zwei Zöpfe und entschied mich zu guter letzt doch für den guten, alten Pferdeschwanz. Und da hatte ich mich über Rhia und Neriman aufgeregt?

Genug Zeit geschunden! Davon wurde das ganze auch nicht besser. Ich atmete einmal tief durch, nahm eine gerade Haltung an und verlies das Zimmer, bevor ich auch noch auf die absurde Idee kam, mit der Schminke rumzuexperimentieren. Augen zu und durch war die Devise.

Von „Augen zu und durch“ war allerdings nichts mehr zu merken, als ich im Arbeitszimmer des Prinzen stand. Stattdessen rutschte mir ein „Gott wie siehst du denn aus?“ heraus. Super Auftakt zu einer Entschuldigung Etienne! Wirklich, ich sollte Diplomatin werden!

Zu meiner Verteidigung: Siamun sah wirklich nicht gut aus. Die zimtfarbene Haut hatte einen leicht käsigen Ton, der im krassen Gegensatz zu den rotglühenden Wangen stand.

„Mir geht es gut!“ meinte er nur, stand auf und kam ein paar Schritte auf mich zu. Irrte ich mich, oder hatte er Probleme mit dem Gleichgewicht?

„Was will...“ weiter kam er nicht, weil er plötzlich einfach umkippte, wie ein gefällter Baum. Reflexartig versuchte ich ihn aufzufangen, da er aber um einiges größer und schwerer war als ich, gingen wir zusammen zu Boden.

Er hatte ganz eindeutig Probleme mit dem Gleichgewicht! Und ich hatte eindeutig Probleme zu atmen, was nicht nur an seinem Gewicht lag.

„Ach du meine Güte, du glühst ja beinahe! Hast du etwa Fieber?“

„Ich habe doch schon gesagt: mir geht es gut!“ trotzig wie er war, versuchte er aufzustehen, was ihm nach zwei gescheiterten Versuchen auch gelang. Ich rappelte mich ebenfalls auf und legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Stirn.

Ach du grüne Neune, entweder war ich tiefgefroren oder er kurz vorm überkochen.

„Du hast Fieber, du gehörst ins Bett!“

„Tu ich nicht!“ trotzig wie ein kleines Kind! Ohne auf seinen Protest zu achten bugsierte ich ihn in sein Schlafzimmer. Das er sich nicht groß wehrte zeigte, dass ich mit meiner Vermutung Recht hatte: Es ging ihn schlechter als er zugeben wollte.

Dort angekommen brüllte ich so laut nach Debah, dass der Patient erschrocken zusammenzuckte.

„Er hat Fieber, hol bitte einen Arzt!“ forderte ich ihn mit etwas gemäßigter Stimme auf, während ich mich daran machte, seine Hoheit ins Bett zu stecken und ein feuchtes Tuch organisierte, das ich ihm auf die Stirn legte. Dankbar seufzte er auf und schloss die Augen.

„Er hat sich eine starke Erkältung eingefangen.“ meinte der Hofarzt nach abgeschlossener Untersuchung.

„Viel Ruhe, Schlaf und diese Medizin, dann sollte es ihm bald wieder besser gehen.“ Er drückte mir ein rotes Fläschchen in die Hand und gab mir die Anweisung, ihm Regelmäßig davon zu geben.

Brav nickte ich, setzte mich auf den Bettrand und verabreichte ihm gleich mal die erste Dosis.

„Willst du mich umbringen? Das schmeckt ja scheußlich!“ Ich brach in schallendes Gelächter aus. Da lag er, mehr tot als lebendig, und beschwerte sich über den Geschmack der Medizin. Männer!

„Solange es hilft...“ presste ich zwischen Gelächter und Seitenstechen hervor. Dieser Gesichtsausdruck war einfach nur niedlich!

Irgendwann fiel er in einen unruhigen Schlaf, wobei er sich immer abwechselnd auf und wieder zudeckte. Offenbar wechselte sein Körper zwischen Hitzewallungen und Schüttelfrost hin und her. Armer Kerl.

Ich saß den ganzen Nachmittag am Bett, wechselte das feuchte Tuch und gab ihm seine Tropfen. Als ich irgendwann aufstehen und etwas essen wollte, packte mich eine zu warme Hand und hielt mich fest.

„Bitte, lass mich nicht alleine!“ die samtschwarzen Augen glänzten fiebrig und ich war mir nicht einmal sicher, ob er mich überhaut sah.

„Bitte geh nicht weg!“ Ich setzte mich wieder.

„Natürlich nicht, ich bleibe.“ Er seufzte abermals erleichtert auf und schlief wieder ein, lies meine Hand aber nicht los.

„Könntest du mir etwas zu essen bringen?“ bat ich Rhia, als sie später bei mir vorbeischaute und die auch sofort losstürmte.

„Ähem...“ ich drehte mich zu Horace um, der hinter mir stand und nervös von einem Bein aufs andere trat.

„Ich... ich würde euch gerne etwas fragen MyLady.“

„Nur zu, schieß los!“ ich strich mir eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht und musterte den Mann mir gegenüber, der offenbar so aufgeregt war, dass ihm nicht mal die Redewendung auffiel, die ich benutzt hatte.

„Ja äh, ich wollte wissen..., was ich fragen wollte... wie hält man um die Hand einer Frau an?“ zum Glück saß ich schon und lehnte am Bett, sonst wäre ich vermutlich umgekippt wie ein gefällter Baum.

Mein zwei Meter großer, grimmig dreinschauender, Kleiderschrank mäßiger Leibwächter wollte so etwas von mir wissen?

„Das fragst du mich?“ vorsichtig wechselte ich die Sitzposition, damit ich etwas bequemer saß.

„Ich bin erstens eine Frau und zweitens bin ich nicht von hier, woher soll ich denn bitteschön wissen, wie man das hierzulande macht?“ Horace senkte geknickt den Kopf.

„Ich wusste nicht, wenn ich fragen sollte.... Wie macht man es denn bei euch?“

„Ähm... gute Frage. Es ist ja nicht so, dass schon duzende Männer um meine Hand angehalten hätten.“ Ich warf einen Blick auf das angespannte Gesicht und die Hände, die er nervös knetete und beschloss, meinem Herzen einen Stoß zu geben.

„Ich war einmal bei so etwas dabei. Der Mann hatte einen Ring in der Hand, ging vor der Frau auf die Knie und fragte, ob sie ihn heiraten wolle.“ Ich drehte mich weg und deckte Siamun zu, der die Decke schon wieder beiseite getreten hatte.

„Du könntest es natürlich auch machen wie mein Großvater! Er hat all sein Geld zusammengekratzt, eine Schachtel von Omas Lieblinspralinen und so viele rote Rosen wie er tragen konnte gekauft, sich vor ihr Fenster gekniet und ihr ein selbstgetextetes Lied vorgesungen.“ Ich musste lachen.

„Und, wie ging es aus?“

„Mein Urgroßvater hat auf ihn geschossen. Was die beiden allerdings nicht davon abgehalten hat, doch noch zu heiraten! Zumindest haben die beiden es mir so erzählt.“

„Ich glaube, ich nehme die erste Möglichkeit. Nicht das Rhias Onkel noch auf die Idee kommt mit Dolchen zu werfen...“

„Eine gute Wahl. Obwohl ich glaube, sie würde Moses die Hölle heiß machen, wenn er dir auch nur ein Haar krümmt.“ Ich wollte ihm aufmunternd auf die Schulter klopfen, ließ es aber bleiben, da ich erstens nicht wirklich dort hinauf kam und zweitens hielt mein Patient meine Hand immer noch fest, sodass aufstehen nicht wirklich eine Option war. Also wünsche ich ihm nur viel Glück.

Ansonsten blieb der Tag relativ Ereignislos. Irgendwann schlief ich ein und wachte davon auf, dass mir jemand eine warme Decke um die Schultern legte. Es war mitten in der Nacht und dementsprechend kalt. Kein Wunder das ich zitterte.

Alle einwände dass ich doch ins Bett gehen sollte ignorierte ich mit der Begründung, dass ich sowieso nicht wegkönne. (Rhia vertrat allerdings die Meinung, dass ich einfach nur nicht wegwollte.)

Als ich das nächste Mal aufwachte dämmerte es. Vorsichtig strich ich Siamun eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und fühlte seine Temperatur, die inzwischen wieder im normalen Bereich zu sein schien. Erleichterung machte sich in mir breit, besonders als er die Augen öffnete und mich ohne diesen fiebrigen Blick ansah.

„Geht es dir besser?“ ein schwaches Nicken war die Antwort und diesmal war ich es, die erleichtert aufseufzte.

„Es tut mir Leid!“ seine Stimme klang noch immer ein bisschen belegt, verursachte mir aber trotzdem Gänsehaut.

„Ist schon in Ordnung! Man kann sich ja nicht aussuchen wann man krank wird.“

„Nicht das! Ich meinte die Sache mit Safiya. Ich hatte kein Recht, so etwas zu behaupten. Es ist mir nur so rausgerutscht.“

„Vergeben und vergessen. In gewisser Weise hattest du ja sogar recht.“

„Nein hatte ich nicht!“ gereizt versuchte er sich aufzusetzen, was ihm aber offenbar nicht gut bekam, denn er lies sich stöhnend zurück in die Kissen sinken.

„Du hast ungefähr so viel Ähnlichkeit mit ihr wie Horace mit einer Tänzerin!“ als ich widersprechen wollte schnitt er mir das Wort ab.

„Allein schon das hier,“ er zeigte auf mich, die immer noch beben seinem Bett saß und die Tropfen, die auf dem kleinen Tisch standen, „ist etwas, das sie nie getan hätte. Du hast nie um etwas gebeten und wenn doch, dann immer nur um anderen zu helfen. Sie hätte sich eher umgebracht! Nur Leider habe ich das zu spät erkannt und musste den Preis für meine Dummheit zahlen.“

„Aber...“

„Nichts aber! Safiya ist Vergangenheit und wird es bleiben. Verstanden?“ Schicksalsergeben nickte ich und der Prinz strich mir über die Wange. Mir geschlossenen Augen kuschelte ich meine Wange gegen seine Handfläche, die rau von Schwielen war, und genoss die Berührung. Wenn ich noch näher ranrutschte würde ich bald auf seinem Schoß sitzen, was ich persönlich nicht schlecht finden würde. In diesem Moment flog die Tür auf.

„Wie geht es dem Patienten?“ rief Rhia fröhlich und wir fuhren auseinander, als wäre ein Chinaböller zwischen uns explodíert.

„Stören wir?“ fragte meine beste Freundin mit Unschuldsmine. Welch eine Blitzmerkerin!

Ich schluckte ein „ja und wie!“ hinunter und schüttelte den Kopf, wobei mir auffiel, dass einige Leute Päckchen trugen.

Und was machte Tiada bitte schön hier? Dass das Königspaar anwesend war verstand ich ja noch, sie wollten bestimmt nach ihrem Sohn sehen. Horace, Rhia und Debah erklärten sich von selbst. Banu, Moses und Neriman würden sich auch noch irgendwie erklären lassen, aber Tiada?

„Was wollt ihr alle hier?“ ich wurde fassungslos angestarrt.

„Sag bloß, du weißt nicht, was für ein Tag heute ist!“ Ich schüttelte den Kopf, da ich absolut keine Ahnung hatte.

„Der zwölfte Tag des neunten Monats!“ Ach du grüne Neune! Ich hatte doch glatt meinen eigenen Geburtstag vergessen!

„Hier, auspacken!“ das größte Päckchen wurde mir in die Hand gedrückt.

„Horace, Neriman, Onkel Moses und ich haben zusammengelegt.“ Neugierig knüpfte ich das Band auf und hob den Deckel.

Im Inneren lag ein glänzendes, hellblaues Etwas, das sich beim herausholen als Kleid herausstellte. Himmel, war das etwa Seide?

„Den Stoff haben wir importieren lasen, genäht hat es Tiada!“ Ich besah mir das Kleid genauer. Es war schlicht, aber trotzdem elegant. Die Art Kleid, das ich bevorzugt auf öffentlichen Veranstaltungen trug. Die Stiche waren gleichmäßig gesetzt, als wäre es mit einer Nähmaschine genäht worden.

„Es ist wunderschön!“ Ich blinzelte heftig, als ich merkte wie meine Augen feucht wurden. Bevor es allerdings zu einem sentimentalen Ausbruch kommen konnte wurde mir schon das nächste Geschenk unter die Nase gehalten.

Ich öffnete es und hätte es vor Schreck beinahe fallen gelassen. Darin lag ein Schmuckset, bestehend aus Kette, Ohrringen und Armband. Alles aus Silber und mit glänzendem schwarzem Onyx besetzt. Der Schmuck einer Priesterin!

Onyx für Scoah, Schneeachat bei Ronug, Lapislazuli für Tegis und Aventurin für Perokapriester.

Debahs Geschenk war ein blaues, zu meinem Kleid passendes Haarband. Erneut blinzelte ich Tränen weg.

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll... Danke!“

„Nichts zu danken!“ die Königin lächelte mich an und ich lächelte scheu zurück, was immerhin schon mal ein Fortschritt war. Bei unserer ersten Begegnung wäre ich vor Angst fast gestorben.

„Ich habe auch etwas.“ Ich wandte meine Aufmerksamkeit Siamun zu, der aufgestanden war und, zum Glück nicht mehr schwankend, in sein Arbeitszimmer ging.

„Da fällt mir ein, ich habe noch etwas zu erledigen! Komm, du kannst mir helfen!“ mit diesen Worten zog Rhiannon Horace aus dem Zimmer.

„Ich müsste dann auch wieder los!“ meinte Banu und schwups, war sie zur Tür hinaus. Bis der Prinz zurückkam herrschte im Zimmer gähnende Leere. Zumindest bis auf meine Wenigkeit.

„Hier“ er hielt mir ein flaches Päckchen hin, das ich sofort öffnete. Nicht dass ich Neugierig war, nein niemals! Ich wollte nur wissen was drin war.

Ein Armband! Diesmal allerdings ohne Onyx und in Form einer Schlange. Ich nahm den Reif heraus und schob ihn über meine Hand, wobei ich schon fast erwartete, er würde sich von alleine um mein Handgelenk winden.

„Du hast doch mal erwähnt, dass dir Silber lieber ist als Gold, und da dachte ich... Gefällt es dir?“

„Es ist wunderschön!“ einem plötzlichem Impuls folgend schlang ich die Arme um seinen Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Danke!“ sein verdattertes Gesicht brachte mich dazu ausgelassen zu lachen. Kaum zu glauben, vor ein paar Stunden war ich noch in Depressionen versunken und jetzt wäre ich am liebsten durch das Zimmer getanzt. Das waren vielleicht Stimmungsschwankungen!
 

Draußen auf dem Flur führte Rhia einen kleinen Stepptanz auf.

„Halleluja! Sieht aus, als könnten wir uns eine Menge Arbeit sparen! Eigentlich fast schade um unseren schönen Plan...“ sie vollführte eine übermütige Drehung und hielt abrupt an, als sie beinahe mit Horace zusammengestoßen wäre.

„Es gehört sich nicht, andere in so privaten Situationen zu beobachten!“ meinte er streng.

„Das sagt der, der so angestrengt durch den Türspalt linst, als wolle er durchkriechen?“ gespielt empört stemmte sie die Hände in die Hüften und funkelte ihn an, während er die Tür geräuschlos schloss.

„Ich wollte nur sichergehen, dass nichts passiert, immerhin bin ich für ihre Sicherheit verantwortlich.“ Er lächelte. Für die beiden freute er sich wirklich, immerhin war Siamun seit seiner Kindheit sein bester Freund und in Lady Etienne sah er inzwischen die süße kleine Schwester, die er nie gehabt hatte. Wenn er schon beim Thema Schwester (und damit auch beim Thema Familie) war, dann könnte er doch die Gelegenheit nutzen...

„Würdest du bitte mitkommen? Ich möchte dir etwas geben... und dich etwas fragen!“ überrascht über den plötzlichen Themen- und Stimmungswechsel folgte Rhiannon ihm in einen ruhigen Teil des Gartens.

„Ähm... du weißt ja, ich komme mit meiner Familie nicht gut aus... daher habe ich eigentlich keine Ahnung wie man das macht...“ umständlich nestelte er an einem Beutel herum den er am Gürtel trug und sank auf die Knie.

„Willst du meine Frau werden?“ mit diesen Worten hielt er ihr einen Ring hin.

Es war ein einfacher Ring aus Bronze ohne Verzierungen, aber ihr Herz setzte trotzdem kurzzeitig aus und begann dann dreimal so schnell weiter zu schlagen, während ihr Magen offenbar eine Runde Rodeo ritt.

Und da ihr Verstand sich sowieso verabschiedet hatte und ihr keine besonders geistreiche Antwort einfiel, fiel sie ihm einfach um den Hals.

„Ja.“ Nicht geistreich? Na wenn das keine Untertreibung war...
 

Okay, ich gebe zu ich habe keine Ahnung wie man als Mann bei einer Frau um die Hand anhält!

(Was vielleicht auchdaran liegen könnte, dass ich selbst eine bin...)

Ich habe mich einfach an dem einzigen Antrag orientiert, den ich live miterleben konnte und hoffe, dass ich halbwegs hinbekommen habe... auch wenn ich beim schreiben fast gestorben bin ;)

16

Es war friedlich. Hecktisch durch die Hochzeitsvorbereitungen, aber trotzdem irgendwie friedlich. Ob es nun daran lag, dass es sonst nicht wirklich etwas zu tun gab, oder daran, dass Siamun und ich nicht mehr dauernd Augentennis spielten konnte ich nicht wirklich sagen, aber das störte mich auch nicht. Ich genoss es einfach.

Bei diesen Gedanken bahnte sich ein amüsiertes Kichern den Weg durch meine Kehle, was mir verwunderte Blicke von Banu und Neriman einbrachte.

„Was ist den so lustig?“ zwischen Nerimans Brauen erschien eine Falte.

„Nichts!“ meinte ich und lenkte unser Gespräch wieder auf etwas Altes, etwas Neues, etwas Geborgtes und etwas Blaues. Diese Tradition gab es hier eigentlich nicht, aber ich hatte sie erwähnt und Rhia wollte sie unbedingt für ihre Hochzeit übernehmen.

Deshalb saßen wir hier und zerbrachen uns den Kopf. Etwas Neues war relativ einfach, wie in den meisten Fällen war es das Brautkleid. Das Blaue hatten wir auch schon, ich wollte ihr das Haarband leihen, dass ich von Debah bekommen hatte, womit etwas Geborgtes auch abgehackt gewesen wäre. Fehlte nur noch etwas Altes. Allerdings viel uns einfach nichts ein.

Rettung nahte in Form von Moses, der mich eigentlich nur zum Unterricht, den ich doch knallhart vergessen hatte, holen wollte.

Als ich ihm auf dem Weg unser Leid klagte, strich er sich nachdenklich über das Kinn und meinte, er habe noch eine Kette von Rhias Mutter, die er ihr eigentlich zur Hochzeit schenken wollte, worauf ich so laut jubelte, dass man es bis in den Palasttempel hören konnte, wie Moses nachsichtig lächeln bemerkte.

Die nächste Überraschung gab es beim Unterricht, Moses hatte beschlossen, die Übung mit den Zielscheiben etwas schwieriger zu gestalten und Banu um Hilfe gebeten, die nun ein ganzes Stück neben den Scheiben stand und sich konzentrierte, um einen Schild drüber zu legen.

Die Übung an sich war eigentlich einfach, man musste nur das Ziel treffen. Aber schon nach dem ersten Schüler war klar, dass es verdammt schwierig war. Die meisten Dolche prallten einfach ab, Derian und drei andere schafften es immerhin, ihre Dolche durch das Kraftfeld zu schleudern, allerdings verlangsamten sie sich so stark, dass sie nicht mehr weit kamen.

Dann war ich an der Reihe. Während ich zu dem markierten Punkt ging, grübelte ich über mein Vorgehen nach. Der Schild war offenbar sehr stark, ich musste also mehr Kraft als sonst hineinstecken wenn ich nicht hinter Derian zurückbleiben wollte.

Zwischen uns hatte sich eine Art Rivalität entwickelt, er war der beste in der Klasse, aber ich machte rasch Fortschritte und unsere Klassenkameraden schlossen schon Wetten ab, ob ich ihn überflügeln würde oder nicht. Ich wollte nicht gegen einen dreizehnjährigen verlieren, er machte sich darüber lustig, dass ich noch nicht mit der Ausbildung fertig war.

All diese Gedanken verdrängte ich, während ich in Position ging und mich auf den schwarzen Ball in meinem Innersten konsentrierte, der sofort anschwoll, als ich ihn anstupste. Ich hob die Hand und über meiner Handfläche erschien ein Dolch, der etwa einen halben Zentimeter darüber schwebte. Dann stellte ich mir vor, wie der Dolch über den Platz fegte, den Schild durchbrach und in der Zielscheibe stecken blieb. Dann holte ich aus und warf.

Schlagartig wurde es ruhig. Die Schüler und Lehrer starrten abwechselnd die Scheibe und mich an, als könnten sie es nicht glauben. Mir selbst ging es nicht anders. Warum um alles in der Welt steckte mein verdammter Dolch im Ziel?

In Ordnung, „warum hatte mein verdammter Dolch im Ziel gesteckt“ wäre die bessere Formulierung, er löste sich gerade auf.

„Verdammt, das Mädel bringt mich noch ins Grab!“ dieser Satz durchdrang die Stille wie ein Peitschenhieb.

„Wirft den Dolch einfach durch! Habt ihr den Schild abgebaut, Prinzessin?“

„Nein! Der Dolch ging einfach durch, wie ein Schwert durch Wasser!“ Banu musterte mich bei diesen Worten genau, weshalb ich mir schon langsam wie ein seltenes Tier im Zoo vorkam. An manche Dinge gewöhnte man sich wohl nie...

„Und was heißt das jetzt bitte?“ fragte ich vorsichtig und begann, eine Strähne meines Haars um die Finger zu zwirbeln.

„Das heißt, dass du wesentlich mächtiger bist, als wir alle bisher dachten!“ mit diesen Worten strich ihre Hoheit sich eine vorwitzige Strähne aus dem Gesicht, wobei mir auffiel, dass ihr Haar vom selben blauschwarz wie das ihres Bruders war. Wesentlich kürzer zwar, ihres ging, wie bei den meisten Frauen, nur bis zum Kinn, aber genauso glatt und glänzend. Warum hatte er eigentlich so lange Haare? Selbst die meisten Frauen trugen ihre Haare wegen der Hitze nicht länger als bis zum Kinn, seine hingegen gingen bis knapp über die Schultern.

Hey, Moment mal! Was dachte ich da eigentlich? Jetzt war wohl kaum der Zeitpunkt über Frisuren nachzudenken!

Innerlich über mich selbst den Kopf schüttelnd wandte ich mich wieder Banu zu, nur um festzustellen, dass alle schon auf dem Weg zurück waren. Offenbar hatte mein hochkomplexer Gedankengang mich länger beschäftigt, als ich gedacht hatte.

Drei Wochen später war es soweit. Die Hochzeit würde stattfinden! Bei diesem Gedanken begann wieder total überdreht durchs Zimmer zu hüpfen. Ich war Rhias Bürgin!

Arrangierte Ehen waren hier zwar keine Seltenheit, aber Zwangsehen waren verpönt. Daher war es Sitte, dass bei jeder Hochzeit zwei Bürgen dabei waren, die bezeugten, dass die Ehe freiwillig geschlossen wurde. Sagte einer Nein, war die Sache erledigt. Nicht das ich das vorhatte, Gott bewahre!

Mit einem fetten Grinsen im Gesicht holte ich mein Kleid aus dem Schrank, in dem inzwischen eine ganze Menge hingen. Eigentlich hatte ich das blaue anziehen wollen, aber ich hatte den Gedanken wieder verworfen. Schließlich war das Rhias großer Tag, da wollte ich nicht all zu sehr auffallen.

Da meine Hofdame damit beschäftigt war, sich selbst fertig zu machen und Neriman ihr dabei half, zog ich mich seit langem mal wieder selbst an. Was sich als schwieriger herausstellte als gedacht.

Das verdammt Ding wurde nämlich hinten zugeschnürt und ich drohte mich heillos zu verheddern. Verdammter Mist! Als ich kurz davor war das vermaledeite Teil in die nächste Ecke zu befördern hörte ich Schritte aus dem Raum des Prinzen und stürzte erleichtern in das angrenzende Zimmer. Wo ich beinahe mit einem halbnackten Siamun kollidiert wäre.

Um die röte auf meinen Wangen zu verbergen drehte ich mich schnell um.

„Könntest du mir bitte helfen?“ als ich merkte wie sich die Schnüre über meinen Rücken spannten, lies ich mit einer Hand das Kleid los und räumte meine Haare aus dem Weg, wobei ich versuchte nicht darauf zu achten, dass die Haut an jeder Stelle die er berührte zu kribbeln begann.

„Ist es auch nicht zu fest?“

„Nein. Danke für deine Hilfe!“ mit diesen Worten lächelte ich ihn kurz an und ging zurück in mein Zimmer. Wo Scharlatan schon auf mich wartete und mir schnurrend um die Beine strich.

„Hast du wieder etwas angestellt?“ fragte ich gespielt streng, worauf der Kater mich ansah, als wolle er sagen: „wie kannst du so etwas auch nur denken?“

In genau diesem Moment streckte Siamun den Kopf durch die Tür und hielt ein zerfetztes Etwas hoch, an dem ein paar Federn hingen.

„Dein entzückendes Kätzchen hat mal wieder einem Kissen gezeigt, wer hier das sagen hat!“ er regte sich inzwischen schon gar nicht mehr auf, was mich ungemein erleichterte, da ich schon befürchtet hatte, er würde einen Herzinfarkt bekommen.

„An irgendwas muss er sich seine Krallen eben schärfen!“

„Wäre ein Baum nicht die bessere Wahl gewesen?“ fragte er und runzelte die Stirn.

„Erklär das doch bitte ihm!“ meinte ich und deutete auf den Kater, der dasaß und sich den hellen Bauch putzte, als könne ihn kein Wässerchen trüben.

Dann war es endlich so weit. Die Vorbereitungen waren abgeschlossen und ich führte Rhia, die noch aufgeregter war als ich, falls das überhaupt möglich war, zum Altar, an dem schon Banu, die die Zeremonie leiten würde, der Bräutigam und Siamun, der Bürge von Horace, warteten.

Als wir alle auf unseren Plätzen standen, saßen, oder in meinem und Siamuns Fall: knieten begann Banu zu sprechen, worauf es augenblicklich totenstill wurde.

Als sie die einführenden Worte beendet hatte wandte sie sich mir zu.

„Lady Etienne Allen! Bürgt ihr mit eurem Leben und eurer Ehre dafür, dass diese Frau aus freien Stücken hier ist?“

Ich legte mir die Hand aufs Herz und sagte mit fester Stimme:

„Ich schwöre!“ worauf die Prinzessin mir huldvoll zunickte und ihrem Bruder die gleiche Frage stellte. Auch er legte die Hand aufs Herz und antwortete.

Jetzt war das Brautpaar an der Reihe.

Horace ergriff die Hand seiner Verlobten und legte sie auf sein Herz.

„Ich schwöre, dich für alle Zeiten zu lieben, zu ehren und zu beschützen!“ als er geendet hatte legte sie seine Hand auf ihr Herz und antwortete:

„Und ich verspreche dir, dir für alle Zeiten treu zu sein.“ Verstohlen wischte ich mir eine Träne aus dem Auge. Diese Schwüre durften sich Braut und Bräutigam selbst ausdenken und waren eigentlich das allerwichtigste an dem Ganzen. Was würde ich wohl an meiner Hochzeit sagen? Diesen Gedanken wischte ich schnell bei Seite als Rhiannon sich vor mich kniete. Meine Aufgabe war noch nicht beendet. Mit zitternden Händen nahm ich den Kohlestift, der neben mir lag und begann, die Schriftzeichen, aus denen sich Horaces Namen zusammen setzte, auf ihre Brust zu zeichnen, genau über ihr Herz. Die Zeichen hatte ich tagelang geübt, damit mir ja kein Fehler passierte.

Dann griff ich nach einer Schale, in der sich eine schwarze Flüssigkeit befand, und einem Pinsel und begann, die Zeichen damit nachzufahren.

„Nur nicht kleckern, nur nicht kleckern!“ sagte ich mir dabei die ganze Zeit, die Farbe würde nämlich nie wieder verblassen. Und tatsächlich: ich schaffte es ohne Zwischenfälle und stellte sie Schale erleichtert wieder weg.

Innerhalb von Sekunden zog die Farbe in die Haut ein und würde nie wieder verschwinden. Ebenso, wie die Ehe nie wieder gelöst werden würde, bis zum Tod.

Dann sprach Banu den Segen und es war vorbei. Zumindest der Teil im Tempel. Die ausgelassene Feier im Hof fing jetzt erst an. Die Küche hatte zahlreiche kalte Platten und Salate zubereitet und Rhia und ich, die beide den ganzen Tag vor Aufregung kaum etwas gegessen hatten, stürzten uns darauf wie die Aasgeier. Es war wirklich lustig und die meisten Leute blieben, bis man es vor Kälte kaum noch auf dem Palasthof aushielt. Das Aufräumen würden morgen die Hofdamen übernehmen.

„Gott bin ich froh, dass ich den Job nicht machen muss!“ mit diesem Gedanken kuschelte ich mich an meinen Bettgenossen, der sofort die Arme um mich schlang. Innerhalb von Sekunden war ich eingeschlafen und wachte erst auf, als mich am frühen Morgen zwei Soldaten aus dem Bett zerrten und mich für den Mord am König verhafteten.

17

Fassungslos starrte ich auf die sich schließende Kerkertüre.

Was in Dreiteufelsnamen war hier los? Ich sollte jemanden umgebracht haben? Irrtum, ganz großer Irrtum! Ich hatte schließlich ein Alibi. Sofern keiner auf die Idee kam, den Prinzen als Lügner hinzustellen. Aber wer würde sich das schon trauen?

Niemand, wie sich ein paar Stunden später herausstellte. Das war auch gar nicht nötig.

Als ich von zwei Wachen in den Anhörungssaal „gebracht“ worden war hatte ich noch gedacht, alles würde sich klären.

Als die Anklage verlesen wurde, dachte ich es wäre ein schlimmer Scherz. Ich und den König umbringen? Was bescheuerteres war denen wohl nicht eingefallen, oder? fragte ich mich, während ich überlegte, ob ich heulen oder hysterisch lachen sollte.

Dann knallte man mir einen Dolch vor die Nase. Einen schwarzen Dolch, mit einer eingravierten Schlange, die sich um eine Mondsichel wand, der mir das Herz in die Hose rutschen lies.

Das war unmöglich! Bei jedem sahen die Dolche anders aus, wie kam also einer von meinen dort hin?

Eine sehr gute Frage, das fand auch der Vorsitzende des königlichen Beraterstabs, der die Befragung leitete. Eine Frage, auf die ich keine Antwort wusste. Es war, wie schon gesagt, ein Ding der Unmöglichkeit.

Für mich gab es nur eine Möglichkeit: Damals, als ich geübt hatte Dolche zu erzeugen die sich nicht auflösten, hatte ein ganzer Haufen neben mir gelegen. Davon hätte sich jemand mühelos einen wegnehmen können, aber davon wollte niemand etwas wissen.

Die Beweislast war erdrückend und ich galt als überführt, Alibi hin oder her. Den Dolch hätte ich ja auch jemand anderem geben können.

„Haltet ihr mich alle für dämlich?“ brüllte, oder eher kreischte?, ich, einen letzten Versuch startend, jemanden dazu zu bewegen mir zu glauben.

„Wenn ich den König tatsächlich umgebracht hätte, dann hätte ich den Dolch doch nicht in der Leiche stecken lassen! So hätte ich doch gleich eine Ankündigung schicken oder einen Zeugen mitnehmen können!“

„Es ist euer Dolch, also müsst ihr ihn zumindest dem Mörder gegeben haben, wenn ihr es selbst nicht wart. Selbst dann wäre es immer noch Beihilfe zum Mord.“ Das Verlangen, dem Kerl kräftig eins auf die Nase zu geben stand im krassen Gegensatz zu meinen schweißnassen Händen und meinem rasendem Herzen, dass offenbar von der Hose wieder nach oben gewandert war und dort nun so heftig pochte, dass ich meinte, es wolle mir gleich aus der Brust springen.

Bei seinen Worten war mir, als würde irgendetwas in meinem Hinterkopf anklopfen und rufen: „Hey, hier, ich bin wichtig!“ aber es steckte so tief in dem wirren Durcheinander meiner Gedanken, dass ich es nicht finden konnte.

„Was für einen Grund sollte ich den haben, ihn umzubringen?“

„Vielleicht hatte er Einwände gegen eure Beziehung mit dem Prinzen?“

„Nein! Er war sehr nett zu mir und schien mich zu mögen!“ ich erinnerte mich noch genau an meine erste Begegnung mit Siamuns Eltern, und sie war eigentlich sehr gut verlaufen.
 

Einige Monate vorher:
 

Ich kauerte auf dem Boden und zählte im Geiste die Orte auf, an denen ich lieber gewesen wäre, was im Grunde so ziemlich jeder gewesen war, einschließlich Schule und Zahnarzt.

Vor mir saßen, auf einem leicht erhörten Podest, ähnlich dem auf dem Siamun damals gesessen hatte, der König nebst Gemahlin. Live und in Farbe. Wow!

Allerdings hätte ich mich wesentlich wohler gefühlt, wenn endlich jemand etwas gesagt hätte.

„Willst du uns nicht mal dein Gesicht zeigen?“ bei diesen Worten sprang mein Kopf nach oben als säße er auf einer gespannten Feder und ich blickte in zwei amüsiert lächelnde Gesichter.

„Sieht aus, als wäre sie nervös!“ die Stimme seiner Majestät klang ähnlich wie die von Siamun, nur etwas rauer. Apropos Siamun, wo war der Kerl eigentlich? Schickte ein armes kleines Mädchen alleine in die Höhle des Löwen, also wirklich!

Mit einem Seufzer erhob sich ihre Majestät, schritt von dem Podest herunter und kniete sich vor mich. Nur mit äußerster Selbstbeherrschung hielt ich mich davon ab, zurückzuweichen. Sie wirkte zwar nicht bedrohlich oder so, aber sie hatte etwas an sich, dass ich nicht in Worte fassen konnte. Irgendeine Mischung aus Sanftmütigkeit, Erhabenheit und Schönheit, die meine Fluchtreflexe bis auf ihre Grenzen strapazierte.

Bevor ich allerdings dem Drang zu rennen nachgeben konnte zog sie mich auf die Beine, legte mir eine Hand unters Kinn und drückte mein Gesicht nach oben, sodass ich direkt in ihres schaute.

„Bei den Göttern, ist die niedlich!“ sie strahlte mich an und drehte mich einmal um die eigene Achse.

„Und diese Figur! Zierlich wie eine Puppe, aber trotzdem Kurven. Ich muss sagen, mein Sohn hat einen guten Geschmack!“

„Wenn wir gerade von deinem Sohn sprechen... wo steckt er eigentlich wieder? Schickt das arme Mädchen einfach alleine hierher!“

„Dein Sohn hat eben einfach keine Manieren!“ mit diesen Worten zog sie mich in eine Sitzecke, bugsierte mich auf eines der Kissen und lies sich äußerst unköniglich auf das Kissen mir gegenüber plumpsen. Von dieser unglaublichen Erhabenheit war plötzlich nichts mehr zu spüren, stattdessen musterte sie mich neugierig.

Ihr Mann murmelte etwas, das verdächtig nach „es ist immer nur mein Sohn, wenn es ihr gerade in den Kram passt“ klang und gesellte sich zu uns.

„Also, jetzt erzähl mal! Wie läuft es mit unserem Sohn?“ Neugierig war diese Frau wohl überhaupt nicht, oder?

„Eigentlich ganz gut, wenn wir uns nicht gerade gegenseitig an die Gurgel gehen...“ Ups, hatte ich das jetzt wirklich gesagt?

„Wunderbar!“ meinte der König zufrieden, worauf ich mich beinahe an dem Wein verschluckte und heftig husten musste. So konnte man seine Verlegenheit natürlich auch überspielen.

„Wenn eine Beziehung funktionieren soll, muss man hin und wieder mal streiten!“

Komisch, genau das hatten meine Eltern auch oft gesagt.

„Wenn man nicht streitet, heißt das in den meisten Fällen, dass man nicht mehr miteinander redet und das ist viel schlimmer als das streiten!“ ich legte meinen Kopf schief. Irgendwie klang das einleuchtend.

Gedankenverloren nippte ich weiter an dem Wein, als mich die Stimme der Königin wieder aus meinen Gedanken riss.

„Eigentlich hatte ich mir ja fest vorgenommen, dich nicht zu mögen... aber irgendwie habe ich das Gefühl, das ist gründlich schief gegangen. Aber eines sage ich dir trotzdem: wenn du ihn unglücklich machst, bringe ich dich um! Verstanden?“

Ich nickte nur. Sie meinte das ernst, das sah ich ganz deutlich. Diese Frau liebte ihren Sohn ganz offensichtlich.
 

Wieder in der Gegenwart:
 

Ich hatte den König gemocht. So furchteinflößend er im ersten Augenblick auch gewirkt hatte, er war ein unglaublicher netter Mann und guter Vater gewesen. Ihn umzubringen hätte mich quasi um einen Bilderbuchschwiegervater gebracht. Gesetzt des Falles natürlich, ich hätte den Prinzen geheiratet.

Im Hintergrund sah ich, wie Siamun leise auf Rhia einredete und diese nickte. Toll, ich hoffte, die beiden diskutierten nicht über meine Auszugspläne sondern formulierten ein Todschlagsargument, das meine Unschuld bewies. Allerdings glaubte ich, dass mir das nicht wirklich helfen würde.

„Bringt sie in ihre Zelle, bis wir uns auf ein Urteil geeinigt haben!“ Als mich die Kerle packen wollten meldete sich Siamun zu Wort.

„Das ist nicht nötig! Ich werde sie in ihrem Zimmer unter Arrest stellen!“

„Aber eure Hoheit...“ näselte der Kerl in einem Tonfall, der mein Aggressionspotential in ungeahnte Höhen schießen ließ. Am liebsten hätte ich diesem Schleimer die spitze Nase gebrochen. Wenn ich denn hingekommen wäre... manchmal war es ein echter Fluch klein zu sein!

Ohne auf die Einwände dieses Schleimbolzens einzugehen zog Siamun mich vom Stuhl hoch und aus dem Raum.

Ich wollte etwas sagen, mich bedanken, aber ich bekam kein Wort heraus. Das Tempo, das er vorlegte, war zu hoch und außerdem kämpfte ich darum, nicht in Tränen auszubrechen.

Kaum in seinen Räumlichkeiten angekommen war dieser Kampf vorbei. Die Tränen gewannen und das Haushoch.

Meine Beine knickten mir plötzlich weg und ich landete unsanft auf dem Boden, wo ich anfing zu schluchzen und zu wimmern.

„Ganz ruhig!“ beruhigend strich er mir mit der Hand über den Kopf. Ruhig? Ich war ruhig! Wenn Ruhe einen Namen hätte würde sie Etienne heißen! Ein neuer Schwall heißer Tränen ließ mich noch lauter schluchzen. Na bitte, was hatte ich gesagt? Die Ruhe selbst!

Okay, das war jetzt nicht fair. Er wollte mich ja nur trösten, also sollte ich mich besser zusammenreisen und nicht mit sinnlosen, ironischen Gedankenfetzen um mich werfen.

„I...ich habe i...i..hn nicht um..ge..br..br..acht!“ na also, ging doch. Gesetzt des Falles er verstand dieses Gebrabbel.

„Ich weiß!“ mit diesen Worten schlang er beide Arme um mich und zog mich an seine Brust, wo ich mich festkrallte und in einer Lautstärke, die jedes Feuerwehrauto in den Schatten gestellt hätte, losheulte.

Keine Minute später flog die Tür auf und wir fuhren erschrocken auseinander. Die Königin, na ja, jetzt war sie Königinwitwe, kam herein.

Sie rannte nicht, sie lief nicht einmal besonders schnell, wirkte aber trotzdem wie ein Orkan, der durch den Raum fegte.

Siamun rappelte sich schnell auf, zog mich mit hoch und schob mich hinter seinen Rücken. Wollte er mich etwa beschützen? Glaubte er mir vielleicht sogar? Hoffnung regte sich in mir, wie ein kleiner Schmetterling, der aus seinem Kokon schlüpfte. Vielleicht würde die Sache doch gut ausgehen.

„Mutter... sie war es nicht!“ am liebsten hätte ich ihn geküsst. Ihre Hoheit schien nicht so begeistert, sie schnaubte nur.

„Darüber bilde ich mir lieber selbst ein Urteil! Komm her Mädchen!“ ihr ton klang eisig und für kurze Zeit überlegte ich, ob ich mich nicht einfach weiter hinter Siamun verstecken sollte. Allerdings, wäre das nicht so etwas wie ein Schuldeingeständnis? Dieser Gedanke trieb mich aus meinem schützendem Versteck.

Ich wurde mit einem Gesichtsausdruck gemustert, der sich kaum von der Stimmer unterschied und der mich dazu brachte, den Blick abzuwenden.

„Sie mich an!“ mein Kopf wurde nach oben gedrückt und ich war gezwungen, ihr ins Gesicht zu sehen.

„Und jetzt sag mir, ob du irgendetwas mit dem Mord an meinem Mann zu tun hast! Und wage es nicht zu lügen!“ Als ob ich die Aufforderung gebrauch hätte!

„Nein! Ich habe wirklich nichts damit zu tun! Ich bitte euch glaubt mir!“ Erneut wollten mir Tränen in die Augen steigen aber ich kämpfte sie irgendwie zurück.

Der Blick der Frau mir gegenüber schien sich durch meine Augen direkt in meine Seele zu bohren. Dabei viel mir auf, dass die Farbe die selbe war wie bei Siamun. Ein samtiges Schwarz, bei dem man die Pupille kaum vom Rest der Iris unterscheiden konnte.

„Ich glaube dir!“ sie nahm ihre Finger unter meinem Kinn weg.

„Ich hatte schon immer ein gutes Gespür dafür, ob jemand lügt und du... du scheinst die Wahrheit zu sagen.“ Erleichtert merkte ich, dass ihre Stimme inzwischen mehr nach Kühlschrank als nach Gefriertruhe klang, immerhin ein Fortschritt.

„Ich habe gehört, was ich hören wollte. Nun liegt es an dir!“ sie wirkte plötzlich unglaublich erschöpft und man sah ihr das Leid an. Sie musste ihren Mann mehr geliebt haben, als mir bewusst gewesen war.

„Majestät?“ mein Ruf brachte sie dazu, kurz vor der Tür noch einmal umzudrehen.

„Es tut mir Leid!“ ein freudloses lächeln huschte über das Gesicht von Königin Sharina.

„Das weiß ich.“ Dann fiel die Tür ins Schloss.

Kurze Zeit starrten wir beide auf die Verzierungen der Tür, dann meldete sich der Prinz zu Wort.

„Du musst dich umziehen! Irgendwas unauffälliges und einen Umhang!“ noch während er sprach zog er mich in mein Zimmer, riss die Tür zum Ankleideraum auf und begann, sich durch meine Kleider zu wühlen.

„Warum umziehen?“ fragte ich total verwirrt und fing das Kleid auf, das er mir zuwarf. Es war eines aus meiner Zeit als Dienerin. Warum hatte ich die eigentlich nicht weggeworfen?

„Rhia holt Daria. Wenn alles gut geht, bist du heute Abend in Sicherheit.“

Daria? Was um alles in der Welt hatte Kijas Mutter damit zu tun? Und warum Sicherheit? Moment mal, hieß das etwa...?

„Du willst das ich abhaue?“ meine Stimme klang ganz schrill und bei „anhaue“ kippte meine Stimme als wäre ich im Stimmbruch.

„Im Großen und Ganzen... ja!“ er warf mir noch einen Umhang mit Kapuze zu, den ich allerdings einfach fallen lies.

„Das... das...ist Wahnsinn! Mr. Spitznase wird das als Schuldeingeständnis sehen! Soll ich vielleicht auch noch ein Geständnis verfassen?“

„Jetzt hör mal!“ er packte mich sanft an den Oberarmen und drängte mich in Richtung Bett, wo ich mich dann auch brav hinsetzte, ihn aber trotzdem weiter ansah wie ein Auto.

„Wenn der König ermordet wird, sorgt das für Unruhen. Und die kann man am besten Beseitigen, indem man den Mörder findet und verurteilt. Je schneller, desto besser.“ So langsam dämmerte mir, worauf er hinauswollte.

„Du glaubst also, ich soll als Sündenbock herhalten?“

„Genau!“ Siamun nickte.

„Selbst wenn die Beweislast nicht so stark wäre, würde man das vermutlich machen, einfach um Probleme zu vermeiden.“

„Aber wenn ich getötet werde, was passiert dann mit dem wirklichen Mörder?“

„Sollten sie ihn finden, erhältst du ein ehrenhaftes Begräbnis und wirst von allen Anschuldigungen freigesprochen. Wenn nicht... gehst du als Königsmörderin in die Geschichte ein...“ Na wenn das mal keine tollen Aussichten waren!

„Ich kann nicht gehen!“ ich wurde angeblickt, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

„Man wird denken, du hättest mir zur Flucht verholfen!“ was er ja eigentlich auch vorhatte. Und dann? Beihilfe zur Flucht einer Mörderin? Das konnte ich nicht zulassen!

„Damit würdest du dir alles verderben! Du hast dein Leben lang versucht, ein würdiger König für dein Volk zu werden, das kannst du doch jetzt nicht einfach wegschmeißen!“

„Ja, da hast du recht. Hör mir zu, Kleines!“ schnitt er mir das Wort ab, als ich den Mund öffnete, um zu wiedersprechen.

„Ich wollte immer der beste König aller Zeiten werden. Und nach der Sache mit Safiya habe ich noch zusätzlich versucht, die perfekte Königin zu finden.

Mein Vater meinte mal, er könne nur wegen meiner Mutter ein guter Herrscher sein. Damals habe ich ihn nicht verstanden, aber jetzt tue ich es.

Ich würde alles tun, was du von mir verlangst, dir alles geben, ob gut oder schlecht. Aber du willst nichts. Und deswegen werde ich ein guter König werden.“

„Aber...“

„Nichts aber! Ich liebe dich, und ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert!“ er lief knallrot an.

„Hä?“ Ne jetzt, oder? Da bekam ich mein lange erträumtes Liebesgeständnis und alles was mir dazu einfiel war „Hä“? Ging es mir noch zu gut? Hätte es nicht wenigstens „wie bitte“ sein können? Allerdings hätte ich auf die Frage wie ich hieß vermutlich mit „George Washington“ oder „Angela Merkel“ geantwortet, so durcheinander war ich.

Bevor ich noch mehr unqualifizierte Kommentare abgab fiel ich ihm einfach um den Hals.

„Ich dich auch!“ Meine Augen wurden schon wieder feucht. Himmel, hatte ich nicht schon genug geheult?

Bevor ich allerdings das Zimmer fluten konnte wurde ich eine Armeslänge nach hinten geschoben.

„Wirklich?“ auf seinen Wangen lag immer noch ein leichter Rotschimmer. Eine Antwort bekam ich allerdings nicht mehr raus, da wieder gegen seine Brust gepresst und geküsst wurde, dass ich bis in die Zehen zu kribbeln begann. Ich schlang die Arme um seinen Hals, er zog mich auf seinen Schoß.

Ein räuspern lies uns wieder auseinanderfahren. Rhia und Daria standen in der Tür und schienen sich nicht sicher zu sein, ob sie peinlich berührt dreinblicken oder grinsen sollten.

„Wie stören euch ja nur ungern, aber ich glaube, wir haben einen Fluchtplan zu schmieden!“

Der plan war schnell gefasst und denkbar einfach: Da Kijas Mutter in der Küche arbeitete war es für sie ein leichtes, das Schlafmittel, das ich damals vom Doktor bekommen hatte, in das Essen für die Soldaten vor meiner Tür zu mischen. Sobald sie schliefen würden sie und Aziz mich befreien und mit mir fliehen.

18

Daria starrte aus den Augenwinkeln die Gestalt an, die neben ihr herhuschte. Der weite Umhang hüllte sie vollständig ein, die Kapuze hatte sie tief in ihr Gesicht gezogen. Was ehrlich gesagt auch gut war.

Die Flucht aus dem Palast hatte zwar reibungslos geklappt, aber Lady Etienne war leider so unauffällig wie ein schwarzer Fleck auf einem weißen Kleid, nämlich unübersehbar. Und sie mussten ja immer noch zu ihrem Versteck gelangen...

Aziz, der direkt hinter ihnen lief, dachte ähnliches. Morgen würde die Hölle los sein und bis dahin mussten sie ein Versteck gefunden haben, sonst hatten sie ein ausgewachsenes Problem.

Einige Zeit später klopfte Daria an die „Tür“ eines ziemlich baufälligen „Gebäudes“...? na ja, „Verschlag“ traf es Aziz Meinung nach eher. Und dieser Gestank erst! Eine Mischung aus verdorbenen Lebensmitteln, Erbrochenem und anderem, was er allerdings weder eindeutig zuordnen konnte noch wollte.

„Was wollt ihr?“ die Tür öffnete sich nur einen Spalt breit, in der Dunkelheit dahinter konnte man absolut nicht erkennen.

„Ich bin es!“ zischte die hochgewachsene Frau im gleichen Tonfall zurück.

„Wir brauchen ein Versteck und zwar schnell!“ Für einen Moment lang dachte sie, man würde ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen, aber dann schwang sie auf und sie zerrte ihre Herrin ins Innere.

„Daria? Was willst du hier?“

„Ich muss mit meinem Schwager sprechen!“ der schuldete ihr nämlich noch einen Gefallen, den sie jetzt einfordern wollte.

„Ach, du brauchst Hilfe von uns? Ich dachte, du wärst ein Günstling vom Liebchen des Prinzen!“ das dieser Idiot einem aber auch aus allem einen Strick drehen musste war ihr ja schon immer auf die Nerven gegangen, aber heute hätte sie ihm am liebsten den dürren Hals umgedreht.

„Von dir bestimmt nicht, ich kenne den Weg ja!“ mit diesen Worten tastete sie nach Lady Etiennes Arm und wollte sie am Türwächter vorbeiziehen, was allerdings aus zweierlei Gründen nicht funktionierte:

Erstens erwischte sie versehentlich Aziz, der sich, den Beschützer mimend, zwischen die Ausländerin und den Kerl geschoben hatte und zweitens begann dieser doch tatsächlich Zeter und Mordio zu schreien, woraufhin im hinteren Teil des Zimmers eine Tür aufflog und mehrer Menschen mit Kerzen den Raum betraten.

Ein recht kleiner Mann führte die Gruppe an. Die Hofdame atmete erleichtert auf als sie ihren Schwager erkannte.

„Was ist hier los?“ seine raue Stimme, die sie immer an einen Sandsturm erinnert hatte, war für sie noch nie so beruhigend gewesen.

„Können wir das unter vier Augen besprechen?“ wieder tastete sie nach dem Arm und erwischte diesmal auch den Richtigen. Etienne lies sich Wortlos in die Dunkelheit ziehen.

Die Gänge waren duster und ziemlich niedrig, ein grossteil der Leute musste den Kopf einziehen, die Kerzen spendeten nur spärliches Licht und dass es draußen dunkel war half ebenso wenig wie die zugenagelten Fenster.

Beide Frauen atmeten erleichtert auf, als sie in einen großen Raum mit hoher Decke kamen, in dem zahlreiche Fackeln für bessere Sicht und sogar ein bisschen Wärme sorgten.

Damit waren die Vorteile dieses Raums allerdings schon aufgebraucht. Die Menschen die darin lebten waren bestenfalls schmutzig und abgemagert, in schlimmeren Fällen hatten sie hässliche Narben oder sahen aus wie wandelnde Leichen.

Aziz und Daria nahmen Etienne in die Mitte und versuchten, sie so gut es ging von dem Elend abzuschirmen, auch wenn das im Grunde unmöglich war. Der Raum war viel zu weitläufig.

Schnellstmöglich folgten die drei Emad in einen kleinen Nebenraum.

„Also, was wollt ihr?“ wie immer kam er gleich zum Punkt.

„Wir, oder besser gesagt sie,“ Daria zeigte auf die verhüllte Gestalt, „brauchen ein Versteck!“

„Und du glaubst, dass wir euch mit offenen Armen empfangen?“ seine Stimme klang sarkastisch.

„Ich glaube“ meinte sie mit erzwungener Ruhe „dass du noch sehr genau weißt, wer dich damals versteckt und gesundgepflegt hat!“

Als ihr Schwager die Stirn runzelte und ein verärgertes Schnauben ausstieß wusste Daria, dass sie gewonnen hatte. Man konnte über die Menschen die auf der Straße lebten sagen was man wollte, aber sie vergasen nie, wer ihnen Gutes getan hatte. Eine wichtige Regel, wenn man auf der Straße überleben wollte.

„Na gut, aber wenn wir wegen euch Schwierigkeiten bekommen...“ den Rest des Satzes lies er unbeendet, aber die Küchenhilfe wusste auch so, was er meinte. Hier lebten vor allem verwitwete Frauen, Kinder ohne Eltern und Kranke, die nicht mehr arbeiten konnten, die sich nur noch durch Diebstähle ernährten. Und durch das Geld, das Emad mit seinem Marktstand einnahm.

„Schwierigkeiten sind das letzte, was wir wollen!“

„Dann such dir und deinen Freunden ein Plätzchen.“ Damit war die Angelegenheit fürs erste abgeschlossen.

Die Ecke, die sie sich aussuchten war dunkel und lag in einem ruhigeren Teil des Raumes.

Lady Etienne lies sich dort nieder und schwieg. So war es abgesprochen und daran hatte sie sich gehalten, seit sie den Palast verlassen hatten.

Sie sprach zwar grammatikalisch völlig korrekt, was für eine Ausländerin verblüffend war, aber ihr Akzent hätte sie sofort verraten. Das arme Ding konnte einem wirklich Leid tun!

Noch dazu, wenn sich die ganze Mühe nicht auszahlte!

Schuld daran waren die Kinder, die, von Neugier getrieben, versuchten herauszufinden, was sich unter dem Umhang versteckte. Aziz und Daria hätten zwar versucht es zu verhindern, aber Leider waren Straßenkinder wesentlich schlauer als der Adel ihnen zugestand und so bemerkten die beiden erst was los war, als es schon zu spät war.

Beim übermütigen Fangen spielen rannte eines der Kinder einen Bogen um die Dame, wobei es sich am Umhang festklammerte. Der Schwung riss Etienne zu Darias entsetzen in Richtung Raummitte, der Verschluss löste sich, der Umhang wurde weggerissen und das Mädchen landete unsanft auf ihrem Hintern.

Einen Moment sagte niemand etwas, dann ging die jetzt enttarnte Frau vor dem Kind in die Hocke, streckte ihr die Hand entgegen und fragte höflich:

„Könnte ich bitte meinen Mantel wiederhaben?“ in der Stille hätte man Grillen zirpen hören können, wenn denn irgendwo welche gewesen wären.

Statt einer Antwort legte das Mädchen ihren Kopf leicht schief, sah ihr gegenüber einen Moment lang prüfend an und meinte schließlich strahlend:

„Du bist aber hübsch!“ Etienne blinzelte verblüfft, waren der Rest des Raumes immer noch schwieg und Aziz sich im Stillen fragte, wie viele Jahre seines Lebens die ganze Aufregung wohl kosten würde.

„Wieso sind deine Haare so hell? Bist du alt?“ die Frage kam von einen etwa vierjährigen Jungen.

„Nein, ich bin erst siebzehn!“ sie musste schallend lachen.

„Das ist das erste mal, dass ich nicht für jünger gehalten werde!“

„Aber nur Alte haben helle Haare!“ Er runzelte die Stirn, ging um sie herum und griff nach ihrem dicken, geflochtenem Zopf, der über ihren Rücken hing. Daria, der sie Situation bekannt vorkam, wollte schon eingreifen, aber ein anderer Kommentar zog die Aufmerksamkeit des Jungen auf sich und er lies den Zopf los.

„Alte Leute haben weiße Haare!“ meinte die Umhangdiebin naseweiß und blickte mit der Überlegenheit der Älteren auf den etwa ein Jahr jüngeren hinab.

„Ihr Haar hat... hat... die Farbe von Stroh!“ sichtlich zufrieden mit ihrem Vergleich drückte sie den Mantel in die Hand der Besitzerin.

„Da wo ich herkomme ist das eine häufige Haarfarbe. Wir nennen sie blond!“

Plont? Was für ein komisches Wort!“

Ein räuspern brachte Daria dazu, ihre Aufmerksamkeit von den Kindern ab und ihrem Schwager zuzuwenden, der zusammen mit einer kleinen Gruppe Leuten neben ihr stand, die hier auch „die Aufseher“ genannt wurden. Sie sorgten dafür, dass alles was da war gerecht verteilt wurde. Oder in diesen Fall: sie verbreiteten den Klatsch weiter.

„Ich nehme mal an, dass wir es hier mit der neusten Eroberung des Prinzen zu tun haben.“ „Stimmt!“

„Und was zur Hölle soll sie hier? Sollte sie nicht im Palast sein und es sich gut gehen lassen?“ diese Worte kamen von Alma, wem auch sonst? Allerdings konnte man ihr den Hass auf den Hochadel auch nicht übel nehmen, schließlich hatte irgendeine fürstliche Prinzessin ihren Mann unberechtigterweise einkerkern lassen, weil sie sich von ihm belästigt fühlte. Er war gestorben, ohne seine damals schwangere Frau jemals wieder zu sehen.

„Sie soll als Sündenbock für den Mord am König herhalten!“

„Und sie ist unschuldig?“

„Sieht sie wie eine Mörderin aus?“ Daria zeigte auf Etienne, die wiedereinmal den „Echtheitstest“ über sich ergehen lassen musste. Sprich: ein Kind hing an ihrem Zopf und zog mit aller Kraft, sehr zum Entsetzen sämtlicher Mütter im Raum.

„Würde man Mörder am Aussehen erkennen können, dürfte es keine Toten geben!“ der Rest der Gruppe stimmte Emad mit einem Kopfnicken zu.

„Ich bitte euch, sie hat sich zwischen meine Tochter und einen Priester mit Brandeisen gestellt, obwohl sie auch einfach hätte zusehen können! Sie ist ein guter Mensch, sie würde niemals Grundlos jemanden töten...“

„Dann sind die Gerüchte also wahr?“ fragte jemand und Daria nickte. Damit hatte sie so gut wie gewonnen. Auf der Straße gab es die Regel, gleiches mit gleichem zu vergelten. Half man jemandem, so half derjenige einem im Gegenzug auch.

Und da Kija die Nichte von Emad gewesen war, war jetzt quasi seine Pflicht, Lady Allen zu helfen. Dagegen konnte niemand etwas tun und so wurde beschlossen, dass sie zumindest vorerst bleiben würden.

Sehr zum Missfallen eines etwa elfjährigen Jungen, der unbemerkt in einer anderen Ecke saß und offenbar äußerst unzufrieden mit dieser Entwicklung war.
 

Ich saß in einer Ecke und tat so, als ob mich die Blicke der anderen Leute im Raum nicht stören würden. Oh man, immer wenn ich dachte es wäre endlich vorbei ging es wieder von vorne los. Na ja, in einer Woche würden sie sich an mich gewöhnt haben. Hoffte ich zumindest.

Als ein Schatten auf mich fiel hob ich den Kopf. Eines der Kinder, genauer gesagt das Mädchen das mir meinen Umhang geklaut hatte, hatte sich zwischen mich und die nächste Fackel gestellt.

„Wie hast du das gemacht?“ sie deutete auf meine Haare, die ich aus Langeweile zu einen französischem Zopf geflochten hatte.

„Das ist ein französischer Zopf. Soll ich dir auch einen machen?“ fragte ich, froh über ein bisschen Ablenkung.

Das Mädchen, sie hieß Suada, war hellauf begeistert, schließlich war das ja ihre Absicht gewesen.

Ich kramte in meinem kleinem Beutel nach meinem Kamm. Viel hatte ich nicht dabei, er enthielt nur den besagten Kamm, ein paar Münzen, ein bisschen Verbandszeug für den Notfall und ein silbernes Armband in Form einer Schlange. Ich hatte mich einfach nicht dazu überwinden können, es im Palast zu lassen.

Während ich mich geduldig durch die Knoten und Hexen in ihren schwarzen Haaren kämpfte erzählte sie. Von ihrem Bruder, der auf dem Markt nach Arbeit suchte, ihrer Mutter, die schon lange krank war, ihrem Vater, der irgendwann abgehauen war und der Familie einen Berg Schulden hinterlassen hatte.

„Aber irgendwann werde ich ganz reich sein! Und dann kaufe ich so viel Essen, dass wir alle dick werden und wir schlafen auf weichen Betten! Betten sind doch weich, oder?“ ich musste leise lachen.

„Die meisten schon!“ auf jeden fall weicher als der Boden auf dem wir Momentan schliefen.

„Hast du eigentlich auch eine Mama?“ ich teilte den oberen Teil ihrer Haare in drei Stränge und fing an zu flechten.

„Ja habe ich.“ Meinte ich leise und nahm noch eine Strähne dazu. Rechts über Mitte, links über Mitte und bloß nicht heulen!

„Und wo ist die?“ Kindliche Neugier konnte manchmal echt grausam sein!

Allerdings kam ich um eine Antwort herum, da ich aus dem Augenwinkel eine komische Bewegung wahrnahm. Ich drehte meinen Kopf und sollte recht behalten.

Ein Junge, ich schätze ihn auf etwa zehn Jahre, kam mit einem Messer auf mich zu. Aufgrund der Vorfälle in meiner Vergangenheit misstraute ich Leuten mit Messern grundsätzlich, aber selbst wenn ich das nicht getan hätte, wäre der Blick des Jungen Grund genug gewesen, die Beine in die Hand zu nehmen.

Als er ausholte und das Messer auf mich hinunter sausen lassen wollte, lies ich mich einfach nach hinten fallen, der Angriff ging ins leere.

Zum Glück für den Jungen hatte ich meine Kräfte inzwischen gut unter Kontrolle und Moses war ein guter Lehrer gewesen. Ich würde ihn also nicht versehentlich töten.

Ich stellte mir vor, wie eine einzelne schwarze Nadel in sein Handgelenk piekste, gerade so tief, dass es wehtat und er das Messer fallen lies.

Keine Sekunde später schrie er auf, ich schnappte mir das Messer und brachte sowohl mich als auch Suada außer Reichweite.

„Okay, was sollte das?“ fragte ich so ruhig wie möglich, obwohl mein Herz immer noch raste und massenhaft Adrenalin durch meinen Körper pumpte.

„Nur wegen Leuten wie dir!“ schrie er mich an. Inzwischen hatte sich ein kleiner Kreis um uns gebildet.

„Nur wegen Leuten wie dir sind meine Eltern tot! Ich hasse dich!“

„Jetzt bleib mal ganz ruhig, Junge!“ ich versuchte so autoritär wie möglich zu klingen. Nerimans Stimme hallte in meinem Kopf wieder. `Versucht immer so zu tun, als würdet ihr alles unter Kontrolle haben!´

„Du weißt gar nichts! Du weißt nicht wie es ist, seine Eltern nie wieder zu sehen! Du...“

„Jetzt halt mal die Luft an!“ jetzt brüllte auch ich. Autorität hin oder her.

„Erstens: Selbst wenn irgendwelche Adelige deine Familie getötet haben, ich hatte damit nichts zu tun!

Zweitens: Ich weiß sehr wohl wie es ist, seine Familie nie wieder zu sehen!

Und Drittens: Du hast keine Ahnung wer ich bin, was ich gesehen und erlebt habe. Also tu nicht so als ob du alles wüsstest!“ inzwischen schrie ich nicht mehr. Meine Stimme war ruhig und beherrscht, sie zerschnitt die Stille wie eine Rasierklinge. Was vermutlich viel effektiver war als Brüllen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es. Abgesehen von meinem Herzschlag.

Der Junge und ich hätten uns vermutlich noch ein zweistündiges Wettstarren geliefert, hätte Suada nicht an meinem Rock gezupft. Aus großen kaffeebraunen Augen sah sie zu mir auf.

„Du siehst deine Mami nie mehr wieder? Warum?“ fragte sie als ich als Antwort auf ihre erste Frage kurz nickte.

Ich holte meinen Zopf nach vorne und begann, damit herumzuspielen.

„Ich habe doch erzählt, dass ich aus einem weit entfernten Land komme.... ich... ich...“ kurz zögerte ich. Wie sollte ich das erklären?

„Ich bin entführt und gegen meinen Willen hergebracht worden.“ Das kam der Wahrheit doch ziemlich nahe.

„Und warum gehst du nicht einfach zurück?“ höhnte mein beinahe Attentäter.

„Weil ich es nicht kann! Es ist weit weg und niemand hier kennt meine Heimat. Nur mein Entführer kennt den Weg und er wird mir niemals helfen....“

Irgendetwas feuchtes lief über meine Wange. War die Decke undicht? Wieder etwas feuchtes, diesmal auf der anderen Seite. Und wieder. Zu meinem Entsetzen merkte ich, das ich weinte.

„Nicht weinen!“ versuchte Suada mich auf Kindliche Art zu trösten.

„Wir können uns meine Mama ja teilen!“ sie strahle, als wäre das die beste Idee, die sie jemals gehabt hatte.

Ich fiel auf die Knie, schlang die Arme um das Kind und heulte mir die Augen aus.

19

„Was soll das heißen, sie ist verschwunden?“ Erjon, der ehrenwerte Vorsitzende des Beraterstabs, von Etienne auch liebevoll „Mr. Spitznase“ genannt, machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

„Das was ich gesagt habe!“ genervt schloss Siamun die Augen und massierte sich die Schläfen.

„Sie ist weg, nicht mehr da, sie hat uns verlassen, ihr Zimmer ist leer, sie weilt nicht mehr unter uns! Reicht das? Ich hab noch mehr!“

„Und wie konnte das bitteschön passieren?“

„Lord Erjon!“ genervt flüchtete sich der Prinz in eisige Höflichkeit.

„Dürfte ich Sie daran erinnern, dass es einige Personen im Palast gibt, die Etienne sehr zugetan sind und die ihr einen Mord niemals zutrauen würden? Zwei der Küchenhilfen sind heute morgen nicht zur Arbeit erschienen und sie gehören zu genau dieser Gruppe!“

„Eure Hoheit wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass zwei Küchenhilfen ein duzend Wachen überwältigen konnten!“

„Nein! Sie haben sie nicht überwältigt, sondern ihnen ein Schlafmittel ins Essen getan! Oder glauben Sie, alle wären zufällig zur gleichen Zeit eingeschlafen?“

Erjon öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, schloss ihn dann aber unverrichteter Dinge wieder.

„Wie auch immer“ meinte er nach kurzen Zögern.

„Ich werde sofort einen Suchtrupp zusammenstellen! Die Mörderin muss so schnell wie möglich gefunden werden und dann werde ich sie höchstpersönlich in die dunkelste Zelle sperren, die ich finden kann!“

Der Kronprinz verkniff sich jeden Kommentar. Er hatte schließlich einen Mörder zu finden!
 

Ich langweilte mich. Wie lange war ich schon hier? Eine Woche? Zwei?

Ich seufze laut, während ich einem etwa zehnjährigen Mädchen Namens Anuket die Haare kämmte. Unter den Frauen war das „französischer Zopf-Fieber“ ausgebrochen und ich war inzwischen bei Zopf Nummer zwanzig. Die Leute, insbesondere die Kinder, schienen langsam ihre Scheu vor mir zu verlieren.

„Aua!“ rief ich, als Suada beim Versuch mir einen Zopf zu flechten etwas zu stark zog. Um sie herum standen ungefähr ein duzend Frauen und Mädchen, die alle schlaue Kommentare abgaben, die aber alles nur noch schlimmer machten.

Wenn das so weiter ging, hatte ich am Abend keine Haare mehr!

„Was willst du denn?“ die ärgerliche Stimme der selbsternannten „Meisterin der Zöpfe“, für alle anderen aber immer noch Suada, brachte mich dazu den Blick von Anukets dunkelbraunen Haaren abzuwenden.

Der Junge der mit dem Messer auf mich losgegangen war kam auf mich zu. Aus reiner Angewohnheit legte ich den Kopf schief, was ich sofort bereute, denn mein Haar, das immer noch den Frisierversuch über sich ergehen lassen musste, ziepte heftig.

Ich zischte verärgert auf und brachte mich wieder in eine aufrechte Position.

Werder auf Suadas Frage noch auf meine Geste ging er ein, sondern setzte sich einfach nur auf den Boden, lehnte sich gegen die Wand und beobachtete mich aus dunklen Augen.

Erst als ich fertig war rückte er mit dem Grund für sein Auftauchen raus.

„Ich möchte mit dir sprechen! Allein!“ fügte er noch hinzu, als ich keine Anstalten machte aufzustehen.

Kurz wog ich in meinem Kopf das für und wieder ab, stand auf und klopfte den Schmutz von meinem Rock.

Er würde schon nicht so blöd sein und mich ein zweites mal angreifen. Und selbst wenn, seit ich meinen Schild unter Kontrolle hatte führten Derian und ich ein Dauerduell um den Platz des Klassenbesten. Ich war also alles andere als Wehrlos. Wenn man mich nicht gerade mit Drogen voll pumpte!

Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Daria sich von der Gruppe Frauen, mit der sie sich unterhalten hatte, entfernte und uns in einen kleinen Raum folgte, der mir bisher nie aufgefallen war.

Während ich darauf wartete, dass er etwas sagte, trat die ehemalige Küchenhilfe hinter mich und begann, den Knoten, den Suada in meine Haare gemacht hatte, zu entwirren.

Durch das vernagelte Fenster fiel gerade genügend Licht um das Gesicht des Jungen zu erkennen.

„Nein, sie wird nicht weggehen!“ beantwortete ich die unausgesprochene Frage.

Mit einen Seufzen fuhr er sich durchs Haar, das aussah, als hätte es ein wildgewordener Gärtner mit einer Heckenschere geschnitten.

„EstutmirLeid!“ der Satz war genuschelt und so schnell hervorgepresst worden, dass ich kaum etwas verstand.

„Was?“

„Ich hab gesagt, dass es mir Leid tut!“ seinem zerknirschten Gesichtsausdruck nach schluckte er gerade einiges an Stolz hinunter.

Diesmal seufzte ich.

„Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es in Ordnung ist. Andererseits kann ich dich auch verstehen. Aber mit einem Messer auf mich loszugehen? Was hätte dir mein Tod gebracht?“

Der Junge gab mir keine Antwort, stattdessen fand er den Boden unter meinen Füßen plötzlich sehr interessant.

„Ich bin sicher, deine Eltern hätten nicht gewollt, dass du wegen ihnen zum Mörder wirst!“ mit diesen Worten legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

Ich musste mir dringend etwas ausdenken um diesen Leuten zu helfen! Ob der Prinz mich wohl eine Suppenküche einrichten lassen würde? Ich konnte ja schlecht alle in den Palast schleppen, schließlich war er das Regierungszentrum und kein Wohnheim für Obdachlose.

Er blickte mich an wie ein begossener Pudel.

„Wie heißt du eigentlich?“ versuchte ich das Thema zu wechseln, was sich aber als überflüssig erwies, da Aziz im selben Moment vom Markt zurückkehrte.

Er und Daria hatten noch eine zusätzliche Aufgabe: Sie erzählten überall herum, dass man mir den Mord am König in die Schuhe schieben wollte.

Damit wollte der Prinz meine Gefangennahme noch etwas erschweren.

„Mylady?“ fragend blickte er sich um.

„Ich komme gleich!“ rief ich und wandte mich wieder dem dürren Kind vor mir zu.

„Also? Verrätst du mir jetzt deinen Namen oder nicht?“

„Seth! Ich heiße Seth!“ Ich musste lächeln.

„Das ich Etienne heiße weißt du ja wahrscheinlich!“

Immer noch leicht keuchend drückte mir Aziz ein Stück Papyrus in die Hand.

„Das hat mir ein Bote auf dem Markt gegeben!“

Ich brauchte ein bisschen um die Mitteilung zu verstehen, bei zwei Worten musste ich sogar um Hilfe bitten.

‚Triff mich heute Nacht in der hinteren Gasse am Marktplatz’ keine Unterschrift, kein Siegel, schließlich wusste man ja nie, wer eine Nachricht in die Hände bekam.

Lächelnd faltete ich den Zettel in der Mitte und ging damit zu einer der Fackeln. Wenn ich den Prinzen treffen sollte konnte das nur eines bedeuten: er hatte den Mörder gefunden.

Der Papyrus fing sofort Feuer, ich lies ihn fallen und beobachtete, wie er zu einem Häufchen Asche wurde. Bald konnte ich wieder zurück!

Einige Stunden später lief ich, wieder einmal in meinen Umhang gehüllt, zusammen mit Aziz über den Markplatz.

Die Gasse, in der wir warten sollten lag ziemlich abgelegen und sie war auch ziemlich dunkel. Ein seltsames Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Irgendwie hatte ich plötzlich ein ganz mieses Gefühl bei der Sache.

Heftig schüttelte ich unter meiner Kapuze den Kopf. Ich würde doch nicht anfangen Paranoid zu werden? Nur weil ich hier einmal entführt und einmal öffentlich gebrandmarkt worden war?

Automatisch wanderte meine Hand zu meinem linken Schulterblatt, wo für den Rest meines Lebens das Wort „Verrat“ stehen würde.

Mit einem tiefen Seufzen lehnte ich mich an die Wand. Jetzt hieß es warten.

Aus Langeweile fing ich an, einen Stein durch die Gasse zu kicken. Dann starrte ich den Mond an. Schwarze Wolken schoben sich davor und gaben ihn wieder frei. Wenn ich lange genug hinstarrte erkannte ich Formen. Da war ein Haus, ein Elefant, ein Schuh...

So langsam könnte aber mal jemand kommen! Mit diesem Gedanken rieb ich mir fröstelnd die Arme. Nachts wurde es hier eiskalt. Die Wand an der ich lehnte gab zwar noch etwas Wärme ab, aber bei gefühlten minus zwanzig Grad würde das nicht lange helfen.

Endlich hörte ich Schritte und wollte schon erleichtert aufatmen, doch zu meinem Entsetzen merkte ich, dass mir keiner der Männer auch nur im Entferntesten bekannt vorkam.

Und noch viel wichtiger: wo zum Teufel war Siamun?

„Wer seid ihr?“ eine durchaus berechtigte Frage, die ich da stellte.

„Das tut nichts zur Sache! Komm einfach mit und mach uns keinen Ärger!“ sämtliche Haare auf meinen Armen stellten sich auf. Irgendwie war die Situation ähnlich wie die damals mit Kija! Hoffentlich war diesmal das Ende anders, ich wollte nicht noch mehr Menschen töten!

Ganz offensichtlich hatte man uns reingelegt! Die Nachricht war nicht von Siamun gewesen und das konnte nur eins bedeuten: irgendjemand hatte einen Spion im Palast. Und aufgrund des Schneeachats, der bei einigen der Männer den Schmuck zierte, tippte ich auf Malika.

Tippen und im dunkeln Tappen konnte ich allerdings auch später noch, jetzt musste ich erst mal hier weg.

Also schnappte ich mir Aziz und zog ihn tiefer in die Gasse hinein, die sich zu meiner Bestürzung aber als Sackgasse herausstellte.

Ich stieß einige deutsche Flüche aus und schob mich vor meinen ehemaligen Mitsklaven, was im Grunde aber lächerlich war, da er etwas größer war als ich.

Allerdings war ich hier die Priesterin die mit Dolchen um sich werfen und Leute abfackeln konnte.

Während die Männer immer näher kamen, wichen Aziz und ich bis kurz vor die Wand zurück. Immerhin einen Vorteil hatte die Sackgasse: es konnte niemand von hinten angreifen!

Ich lies zur Aschreckung ein Paar Dolche vor mir schweben, während ich fieberhaft überlegte, wie ich einen Angriff abblocken konnte.

Warum verdammt noch mal hatte ich absolut lein Talent für Schutzschilde? Und warum konnte man mich nicht einfach in Ruhe lassen?

Okay, Schluss damit! Ich atmete tief ein, konsentrierte mich auf den Ball in meinem inneren und lies ihn anschwellen, bis mich die Magie ganz ausfüllte und nach außen trat.

Diesmal allerdings nicht in Form von Dolchen, sondern als Druckwelle, ähnlich der mit der ich damals auf dem Marktplatz Also mitsamt Tempeldiener ausgeschaltet hatte.

Zum Glück für meine Gegner hatte ich diesmal die Kontrolle, sodass sie zwar gegen die nächste Wand knallten, sich dabei aber keine größeren Verletzungen zuzogen.

„Lasst mich in Ruhe, ich will euch nicht wehtun!“ die einzige Antwort darauf war ein spöttisches Lachen. Einer der Männer hatte das Glück, nicht die Mauer sondern einen seiner Kameraden getroffen zu haben, auch wenn dieser das vielleicht nicht unbedingt als Glück bezeichnet hätte.

Er hob den Arm um etwas nach mir zu werfen, doch ich war schneller und nagelte seinen Ärmel mit einem meiner Dolche fest.

Ich wollte gerade nach Aziz greifen, um ihn an den noch recht orientierungslosen Männern vorbei zu zerren, als in meinem Hinterkopf Schmerz explodierte.

Beim Versuch das Gleichgewicht zu halten taumelte ich gegen eine Wand, die Dolche fielen klirrend zu Boden und lösten sich auf.

Völlig verwirrt berührte ich mit einer Hand die schmerzende Stelle, während ich mich mit der anderen immer noch an der Wand abstützte.

Irgendetwas feuchtes lief über meinen Nacken und durchweichte die Rückseite meines Kleides.

„Damit hast du wohl nicht gerechnet, was du Zwerg?“ der Mann, den ich vorhin an die Wand genagelt hatte, lachte schon wieder, aber ich ignorierte ihn und starrte weiter meine Hand an.

Meine Fingerspitzen waren rot, blutrot!

„Was..., wie...“meine gestammelten Versuche eine Frage zu stellen lösten auch bei den anderen Gelächter aus.

Ich drehte ruckartig den Kopf, um sie wütend anzufunkeln und das nächste das ich sah waren die Wände, die auf mich einstürzten.

20

Als ich aufwachte fühlte sich mein Hirn wieder mal wie Watte an. Mein Schädel brummte, als würde ihn jemand mit dem Presslufthammer bearbeiten und mir tat generell alles weh, insbesondere der Hinterkopf. Was zur Hölle war passiert?

Diese Kerle hatten uns eine Falle gestellt, aber dann? Der Schmerz...

Ich hätte gerne meinen Hinterkopf abgetastet um zu sehen, was so wehtat, aber ich war wieder mal gefesselt. Diesmal allerdings mit Eisenketten an den Hand- und Fußgelenken, sodass mein Körper ein X bildete und ich mit dem Rücken an der groben Steinwand lehnte. Wenigstens musste ich nicht balancieren!

Probeweise zog ich an einer Kette, aber sie bestand offenbar aus massivem Eisen, zumindest wenn man der Rostschicht glauben konnte. Die Fesseln an sich waren zu eng als dass ich rausschlüpfen konnte und selbst wenn: die Türe meiner Zelle war massives Holz und das einzige Fenster befand sich in ungefähr drei Metern Höhe, von dem Gitter davor mal ganz zu schweigen.

Gott! Mein Kopf fühlte sich an als würde er gleich explodieren und vor meinen Augen begann wieder alles zu verschwimmen. Beinahe erleichtert sank ich zurück in die schmerzfreie Dunkelheit.

Platsch....

Erschrocken riss ich die Augen auf, als eiskaltes Wasser über mein Gesicht lief, mein Kleid durchnässte und mich aus meiner wohltuenden Bewusstlosigkeit riss.

„Na, ist die Prinzessin endlich aufgewacht?“ die schadenfrohe Stimme klang in etwa so angenehm wie ein rostiges Scharnier.

Ich blinzelte das Wasser aus den Augen und blickte in das Gesicht von... ja, wie hieß die Tussi eigentlich? Made... Make.... na ja, eigentlich auch egal! Die Dienerin von Malika eben!

„Was willst du?“ meine Stimme klang leider nicht so fest und sicher wie ich es wollte.

„Ich? Eigentlich gar nichts!“ wieder dieses unangenehme Kichern.

„Meine königliche Prinzessin hat Interesse an dir, nicht ich!“

„Königlich? Malika ist ebenso wenig eine ‚königliche Prinzessin’ wie ich!“ ich versuchte so herablassend wie möglich zu klingen.

„Nur direkte Mitglieder den Königsfamilie tragen diesen Titel! Und darum ist und bleibt Malika eine ‚fürstliche Prinzessin’!“

Es gab drei verschiedene Adelsgruppen: der niedrige Adel, die ‚Lord’ und ‚Lady’ genannt wurden, der Hochadel mit ihren ‚fürstlichen’ Prinzen und Prinzessinnen und eben die Königsfamilie.

Und wenn Siamun sie nach der Nummer in die Finger bekam, würde selbst Malikas Status sie nicht mehr retten können.

Apropos retten, da war doch noch etwas anderes!

„Was habt ihr mit Aziz gemacht?“ hatte er entkommen können? Oder war er in einer anderen Zelle?

Statt einer Antwort begann die Dienerin lauthals zu lachen.

„Du bist wirklich dumm!“ meinte sie höhnisch und trat einen Schritt zur Seite, wodurch ich freie Sicht auf die dritte Person im Raum hatte: schwarze Kringellocken, kaffeefarbene Haut, einen Eimer in der Hand und ein Gesichtsausdruck, als wäre er lieber ganz wo anders.

Eindeutig mein ehemaliger Mitsklave, aber wieso war ich dumm?

In meinem Kopf begann es zu arbeiten. Ich war dumm und es hatte irgendetwas mit Aziz zu tun... Ich konnte förmlich hören wie es ‚Klack’ machte, die Zahnräder in meinem Kopf ineinander griffen und Erinnerungen zu Tage förderten, die aus den verwirrenden Rätseln der letzten Tage verblüffend einfache Lösungen machten.

Ich, wie ich Aziz einen meiner Dolche in die Hand drückte.

Erjon, der mir so einen als Mordwaffe präsentierte.

Aziz, der mir eine Nachricht gab, die sich als gefälscht herausstellte.

Den Schlag auf den Hinterkopf, obwohl keiner der Angreifer hinter mir gestanden hatte.

Und zu guter letzt Aziz, ohne einen Kratzer und mit offensichtlich schlechtem Gewissen.

Gott, ich war wirklich dämlich gewesen!

Ich heftete meinen Blick auf den Jungen und merkte, wie ich dabei die Augen zu Schlitzen verengte

„Verräter!“ Aziz zuckte als hätte er einen Stromschlag bekommen. Ich hatte den Leuten um mich herum vertraut! Und offenbar hatte Malika genau das ausgenutzt.

Ohne ein Wort zu sagen lies er den Eimer fallen und stürmte aus der Zelle.
 

Aziz rannte um eine Ecke, lehnte sich an eine grobe Steinwand und lies sich daran zu Boden gleiten. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und unterdrückte den Drang, laut zu schreien.

Das durfte er nicht! Amilas wegen! Seinetwegen! Wegen Lady Etienne!

Er zwang sich tief einzuatmen und stand auf. Für Amila würde er alles tun, egal wie schrecklich es war.
 

Misstrauisch betrachtete ich Malika, die mit ihrem eleganten weißen Kleid, der hochgewachsenen, schlanken Figur und dem Goldschmuck in meiner Zelle ziemlich fehl am Platz wirkte. Warum hatte sie dieses mal kein Messer? Oder wollte sie das Kehledurchschneiden auf später verschieben? Na ja, eigentlich war mir das egal.

„Du wunderst dich bestimmt, warum du deine Kräfte nicht einsetzen kannst, oder?“ so angenehm ihre Stimme auch war, bei mir verursachte sie Brechreiz.

„Das liegt an den Drogen, die man mir verabreicht hat, nicht wahr?“ Das taube Gefühl in meinem Kopf hatte ich recht schnell einordnen können. Es war wohl die gleiche Substanz wie damals bei Alos.

„Wie auch immer.“ Meinte sie mit einem Gesichtsausdruck, als hätte ich ihr die Poante eines großartigen Witzes versaut.

„Jetzt kann ich in Ruhe...“

„Mich opfern? Glaubst du tatsächlich, dass so ein Liebeszauber Gefühle erzwingen kann? Würdest du einen Mann heiraten der dich nicht wirklich liebt, nur um Königin zu werden?“ meine Stimme klang verzweifelt. Ich wollte nicht sterben! Ich wollte Siamun nicht an Malika verlieren!

„Königin werden war nur ein netter Nebeneffekt. Eigentlich wollte ich meinen lieben Cousin nur unglücklich machen!“ ihr Lächeln war absolut grausam.

„Wird er unglücklich, mach das seine Familie unglücklich. Das ist nur gerecht, wo Sharina und ihre Kinder doch alles haben, was rechtmäßig mir zusteht.“ Okay, diese Frau musste zum Psychiater! Und zwar dringend!

„Aber ich habe einen besseren Weg gefunden!“ das klang nicht gut! Ich bekam Gänsehaut und mein Magen zog sich zusammen. Eine Strähne hatte sich aus dem Haarband gelöst und fiel mir ins Gesicht, als ich den Kopf senkte um die Angst in meinen Augen zu verbergen. Malika griff danach und wickelte sie um ihren Finger.

„Ich habe gesehen, wie er dich ansieht! Wenn dir irgendetwas passiert, wird er sich davon nie wieder erholen! Er wird sich ein Leben lang die Schuld dafür geben. Und das wäre schlimmer als alles, was ich mir jemals ausdenken könnte!“

„Du willst also einfach meine Leiche in den Palast schicken? Am besten noch mit einem Grußschild?“ ich versuchte spöttisch zu klingen.

„Warum schreibst du nicht gleich ein Geständnis?“

„Solange ich mein Ziel erreiche ist mir alles andere egal!“ Okay, den Psychiater konnte man vergessen. Die Frau gehörte in den geschlossenen Maßregelvollzug!

„Und ich werde dich nicht einfach töten!“ sie brachte ihr Gesicht auf die selbe Höhe wie meines. Ihre Augen waren schwarz. Allerdings nicht weich und samtig wie die von Siamun, sondern hart und kalt wie Onyx. Tief in ihnen sah ich ein leicht irres Funkeln, das mir Angst machte. Malika meinte jedes Wort, das sie gesagt hatte genau so. Und mein Tod würde nicht schmerzfrei sein, das wurde mir in diesem Moment klar.

Eine schlanke und elegante Hand legte sich mit leichtem Druck auf meinen Kopf. Was hatte sie bitte vor?

Schmerz fuhr durch meinen Schädel. Jetzt wusste ich bescheid. Offenbar konnte Malika mit ihren Kräften Menschen foltern. Ich hatte nicht gewusst, dass so etwas möglich war.

Es fühlte sich an, als würden sich heiße Stricknadeln der Größe sieben in mein Hirn bohren, während ein Bauarbeiter mit meinen Schädel mit einem Presslufthammer bearbeitete. Oder benutzte ihn jemand zum Nüsse knacken?

Eigentlich egal, ich konnte einen Schrei nicht unterdrücken und Tränen liefen über meine Wangen. Dann entfernte sie ihre Hand und der Schmerz verschwand so schnell, wie er gekommen war. Erleichtert sackte ich zusammen, soweit die Ketten es zuließen.

„Na, wie hat dir das gefallen?“ die Antwort sparte ich mir, ich hob einfach nur den Kopf und suchte ihren Blick. Sollte sie doch dort herauslesen, was auch immer sie herauslesen wollte! Doch ihre Reaktion war anders als erwartet. Statt höhnische Bemerkungen von sich zu geben erwiderte sie meinen Blick, wurde leichenblass und begann zu schreien, als hätte sie plötzlich Todesangst.
 

In dem Moment, in dem Etiennes Blick sich mit ihrem traf wusste Malika, dass sie einen Fehler gemacht hatte, doch sie konnte nicht mehr wegsehen. Sie wurde in das helle blau gezogen, tiefer und tiefer, während kindliche Ängste und schlimme Situationen zutage gefördert und erneut durchlebt wurden.

Ihre Mutter, die sie ignorierte wenn sie Nachts Albträume hatte.

Wie sie ausgeschimpft wurde, wenn sie nicht besser als Banu war.

Wie man sie als fünfjährige zur Strafe in eine dunkle Kammer sperrte.

Das ewige Alleinsein, obwohl sie doch von Menschen umgeben war.

Und die Leitsätze ihrer Kindheit: ‚Du darfst nicht hinter diesen Kindern zurückstehen!’ ‚Sie haben alles, was rechtmäßig dir gehört!’ ‚Du bist solange wertlos, bis du sie nicht übertroffen hast!’

Wertlos! Wertlos! Du bist Wertlos! Ein Nichts! Von überall her kamen diese Stimmen. Sie konnte nicht entkommen.

Ohne den Blick von der kleinen Frau ihr gegenüber lösen zu können hielt sie sich die Ohren zu.

„Aufhören! Hör sofort auf! Lass mich!“ Sie wollte nichts hören. Sie wollte nichts davon wissen. Sie war doch nicht wertlos, oder? Sie hatte gelernt, sie hatte geübt, warum war sie nicht die beste?

Vermutlich wäre es ewig so weitergegangen, hätte sich Maketaton nicht zwischen ihre Herrin und Etienne geworfen. Der Blickkontakt war gebrochen und Malika kam frei.

Keuchend und zitternd stützte sie sich an einer Wand ab. Das konnte nicht sein! Die Droge müsste ihre Kräfte komplett lähmen. Wie konnte dieses Gör da... Nein! Ausgeschlossen! Die Prinzessin schüttelte heftig den Kopf und lies sich von ihrer Dienerin aus den Raum ziehen. Mit einem Rums viel die Tür zu, während das Schloss mit einem Klacken einrastete.

„Eine Hohepristerin?“ fragte die Wache, als sie den Schlüssel aus der Tür zog.

„Sieht so aus!“ murmelte Maketaton. Malika selbst schwieg. Eine andere Möglichkeit das gerade erlebte zu erklären gab es nicht. Nur die vier Hohepriester hatten diese Fähigkeit, die man im Volksmund auch ‚letzte Verteidigung’ nannte. Hatten diese Priester all ihre Kräfte aufgebraucht oder konnten sie nicht nutzen, wie in Etiennes Fall, so aktivierte sich diese Fähigkeit wenn man Todesangst hatte.

„Da mache ich nicht mit!“ der Wachmann hängte den Schlüsselbund an den Hacken neben der Tür und drehte sich zu ihr um.

„Die Geliebte des Prinzen zu entführen und in eine Zelle zu sperren ist eine Sache. Aber eine Hohepriesterin? Sied ihr verrückt?“ Sie hob die Hand und legte sie auf seine Wange, lies gerade genug Magie hineinfließen dass ein leicht stechender Schmerz entstand. Er zuckte.

„Wenn du ihr nicht da drinnen Gesellschaft leisten willst, dann bleibst du auf deinem Postern! Hast du mich verstanden?“ der junge Mann riss die Augen auf und nickte stumm.

Furcht war Malikas Meinung nach schon immer der beste Lehrmeister gewesen. Menschen betrogen ihre Liebsten, Freunde und Verwandte, aber niemals jemanden den man fürchtete.
 

Was war eben losgewesen? Ich hatte zwar keine Ahnung, aber wirklich wissen wollte ich es auch nicht. Ich schnaubte leise. So langsam wurde ich wohl zum Pessimisten! Aber Hauptsache es funktionierte.

Ich hatte also einen Weg, mir meine Lieblingsfeindin vom Leib zu halten, trotz Drogen. Blieb nur noch zu hoffen, dass ich es noch einmal hinbekam.

Als die Zellentür sich das nächste mal öffnete wusste ich genau, aus wie vielen Ziegeln die Wand bestand und mit den Staubkörnchen und den Schimmelpilzen war ich auch schon perdu. Kurz: ich hatte kein Auge zugetan und mein Kopf hämmerte, als würde jemand damit Schlagzeug spielen. Von Hunger und Durst ganz zu schweigen.

Ich hob den Blick und versuchte, den von Malika damit einzufangen, aber sie wich mir aus. Direkt vor mir blieb sie stehen.

„Das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen!“ ihr rechter Zeigefinger traf auf meinen nackten Oberarm.

„Sonst was?“ meine Stimme klang herausfordernd, obwohl das vermutlich keine gute Idee war.

Der Finger wanderte meinen Arm hinab und ich spürte wieder einen scharfen Schmerz. Im nächsten Moment floss ein dünnes Rinnsal Blut hinab und tropfte auf den Boden. An der Stelle, an der die Fingerkuppe meine Haut berührt hatte, war ein feiner, etwa zehn Zentimeter langer Riss zu sehen, als hätte man mich mit einer Rasierklinge oder einem Skalpell geschnitten.

„Und das gleiche kann ich auch mit deinen Augen!“ flüsterte sie mir ins Ohr. Sanft. Zuckersüß. Mir wurde schlecht, aber mein Blick senkte sich auf den Boden zu meinen Füßen. Mir fehlte ein Schuh! Ich konzentriert mich auf meine bloßen Zehen. Zählte Rillen und Unebenheiten des Bodens. Versuchte mich abzulenken.

Ich schrie natürlich trotzdem. Die einzige Möglichkeit das zu verhindern wäre gewesen, mir die Stimmbänder rauszureisen. Und selbst dann hätte ich nur einfach kein Geräusch mehr gemacht.

Die Hand wanderte abwärts, über meine Stirn, die linke Schläfe, über meinen Hals zum Brustbein und schließlich zu meiner Brust. Dort stoppte sie. Hatte sie mich überall geschnitten wo ihr Finger war? Oder hatte Malika einfach nur Schmerzen verursacht? Ich wusste es nicht, traute mich aber auch nicht nachzusehen.

Die Prinzessin legte ihre Hand mitten auf meine Brust und bevor ich mich auch nur fragen konnte was sie vorhatte, bekam ich plötzlich das Gefühl, jemand hätte mir eine Abrissbirne direkt auf den Solar Plexus gehauen.

Sämtliche Luft schien auf einmal aus meinen Lungen zu entweichen und ich begann, verzweifelt nach Luft zu schnappen.

Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Nicht genug! Das Gefühl gleich zu ersticken verzweifelt an meinen Fesseln zerren, während das irre Gelächter des wohl blaublütigsten Folterknechts der Welt durch den Raum hallte.

Reflexartig warf ich den Kopf herum, suchte Malikas Augen und versuchte, sie wieder in diese gestrige Schockstarre zu versetzen. Es klappte! Ihre braune Haut wurde blasser, ihre Augen weiteten sich. Innerlich jubilierte ich. Ich hatte zwar keine Ahnung was genau ich da tat, aber solange es die Prinzessin quälte konnte es nur gut sein.

Bamm. Etwas hartes traf mich am Kopf uns störte meine Konzentration gerade so lange, dass Malika sich losreisen konnte.

Das Hochgefühl erstarb und ich wandte meinen Kopf zur Tür. Maketaton wich meinem Blick aus und bückte sich nach ihrem Schuh. Lange scharfe Fingernägel bohrten sich in meine Kopfhaut.

„Du kleines Miststück hast es ja nicht anders gewollt!“ als die zweite Hand in meinem Blickfeld erschien, kniff ich meine Augen so fest wie möglich zu. Zwei Finger strichen sanft über meine Augenlider.

Als Kind hatte ich mir mal versehentlich Desinfektionsmittel ins Auge gerieben. Genauso fühlte sich das an.
 

Aziz hatte Panik. Egal wen er nach Amila fragte, keiner wusste eine Antwort. Alle hatten ganz plötzlich etwas zu tun, oder hatten den Namen noch nie gehört.

Aber irgendwo musste sie ja sein! Er lockte Lady Etienne in einen Hinterhalt, dafür passierte seiner Schwester nichts. Das war die Abmachung gewesen. Wo also war sie?

In seiner Verzweiflung stürmte in ein Zimmer nach dem anderen.

Küche: nichts. Wäscherei: nichts. Schlafräume: Fehlanzeige. Gärten und Vorratskammern: auch nichts. Malikas Gemächer: nein.

Inzwischen war in den abgelegeneren Räumen angekommen. Er riss eine Tür auf und erstarrte. Der Raum war leer, bis auf einen Tisch. Auf diesem Tisch lag Amila. Mit Ledergurten festgebunden. Ihre Arme hingen rechts und links herab und irgendetwas dunkelrotes klebte daran. Eingetrocknetes Blut!

Man hatte seine kleine Schwester an einen Tisch gefesselt und verbluten lassen! Ein Menschenopfer? Aber das war doch verboten!

Der Junge zog die Tür hinter sich zu und ging aus wackeligen Beinen näher zum Tisch. Sie war so blass. Ihre Haut war kalt. Wie hatte Prinzessin Malika das tun können? Seine fröhliche, lachende Schwester? Mit einer Hand fuhr er über ihre Korkenzieherlocken, die den seinen so ähnlich waren.

Er musste sich fest auf die Zunge beißen, um nicht laut zu schreien. Sonst hätte man ihn gefunden und ebenfalls in eine Zelle gesperrt. Und das konnte er sich nicht leisten. Nicht, wenn er Malika zur Rechenschaft ziehen wollte.

21

„Ihr Verschwinden wird von Beraterstab einstimmig als Schuldgeständnis gesehen!“ Lord Erjons Stimme hallte durch den Raum uns Siamun wiederstand dem Drang auf irgendetwas einzudreschen.

Es war zum aus der Haut fahren! Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Nicht einmal die Hofdamen. Die letzten Tage waren komplett für die Katz gewesen.

Und zu allem Überfluss war dann auch noch Daria aufgetaucht und hatte hysterisch verkündet, dass Etienne und Aziz verschwunden seien. Irgendwelche wirren Wortfetzen von Nachrichten, Gassen und einem Schuh, den man offenbar gefunden hatte, direkt neben einem blutigen Stück Holz.

Seine rechte Hand wanderte zum Nasenbein und begann, es zu massieren. Er bekam schon wieder Kopfschmerzen.

Etwas weiches strich plötzlich um seine Beine. Als der Prinz die Augen wieder öffnete und nach unten sah, blickte Scharlatan ihm auffordernd entgegen, nur um dann noch einmal um seine Beine zu streichen und anschließend mit einem elegantem Satz auf seinen Schoß zu springen.

Siamun stieß einen tiefen Seufzer aus und begann, Etiennes Kater gedankenverloren hinter den Ohren zu kraulen, welcher es sich auch prompt auf den Oberschenkeln seiner Majestät bequem machte und lauthals zu schurren anfing.

„Ist irgendetwas?“ fragte er die stellenweiße doch ziemlich erstaunt dreinblickenden Senatsmitglieder mit hochgezogenen Brauen. Die meisten schüttelten einfach nur den Kopf, nur Erjon konnte sich offenbar nicht mit dem Tier abfinden. Seit er als Kind von einer Katze gekratzt worden war machte er lieber einen großen Bogen um diese Tiere.

„Könntet ihr dieses Tier nach draußen bringen und euch dann wieder auf unser Gespräch konzentrieren?“ Siamuns Augenbrauen wanderten noch ein Stück höher. Warum denn bitteschön? Scharlatan störte doch niemanden. Reden, nachdenken und zuhören konnte er auch wenn er die Katze streichelte und schreiben musste er auch nicht!

Er wollte gerade zu einer bissigen Antwort ansetzten als der Kater, dem Erjons Tonfall offenbar auch nicht gefiel, von seinem Schoß sprang, sein ganzes Fell sträubte und den ehrenwerten Senatsvorsitzenden wütend anfauchte.

Der tat genau das falsche: er trat nach der Katze. Die wich behände aus, lief zum Tisch des Schriftführers und begann sämtliche dort liegende Dokumente auf den Boden zu schmeißen. Edis versuchte zwar ihn aufzuhalten, aber das brachte ihm nur ein paar tiefe Kratzer ein.

Zu guter letzt folgte noch das Tintenfass, dann sprang Etiennes Haustier von Tisch herunter, landete elegant auf den mit Tinte übergossenen Papyrusseiten und spazierte mit hocherhobenem Schwanz aus dem Saal, eine Spur von Pfotenabdrücken hinterlassend.

Betretenes Schweigen folgte, das kurz darauf von lautem Prusten durchbrochen wurde. Siamun fiel vor lachen fast vom Stuhl. Jetzt wusste er auch, warum Etienne das immer so komisch gefunden hatte.

Wenn sein Gesicht auch nur halb so bedeppert ausgesehen hatte wie das von Erjon...

Edis saß inzwischen auf dem Boden und versuchte, zu retten was noch zu retten war. Die Tinte hatte den Papyrus durchweicht und dadurch so gut wie alle Dokumente unleserlich gemacht und je mehr Leute anfingen zu lachen, desto sauertöpfischer wurde die Miene des Vorsitzenden.

Die große Tür wurde plötzlich geöffnet, Horace führte Aziz herein und „Mr. Spitznase“ stürzte sich auf die Ablenkung wie ein Geier auf einen Kadaver.

„Bist du nicht einer von denen, die Lady Etienne zur Flucht verholfen haben?“

„J..ja!“ der Junge kniete sich hin und berührte wie vorgeschrieben mit der Stirn den Boden. Dann setzte er sich wieder auf, sein ganzes Gewicht ruhte auf seinen Unterschenkeln und Fersen.

„Ich habe dazu eine wichtige Aussage zu machen!“ die dunklen Augen richteten sich auf seine Hoheit, der aussah, als wolle er aufspringen. Sachte schüttelte Aziz den Kopf, versuchte ihm zu signalisieren, dass er sitzen bleiben sollte.

„Lady Etienne hat den König nicht ermordet, sie ist unschuldig!“ Totenstille im gesamten Saal.

„Hat sie nicht? Und wer dann?“

„Ich!“

„Und wer hat dich dazu angestiftet?“ die Frage kam von Siamun selbst, der doch aufgestanden war.

„Prinzessin Malika Wazata.“ Erneutes Schweigen.

„Und der Dolch?“ Tamer, das älteste Mitglied des Beraterstabs, strich sich mit einer Hand über den Bart.

„Ich werde die ganze Geschichte von vorne erzählen!“ Aziz schluckte und holte tief Luft, die Augen unverwandt auf den Prinzen gerichtet.

„Vor einigen Monaten wurde ich auf dem Marktplatz überfallen und zusammengeschlagen, ich trug aber außer einigen blauen Flecken keine Verletzungen davon. Lady Etienne wurde aber deswegen sehr wütend und sie gab mir einen ihrer Dolche, damit ich mich in Zukunft verteidigen konnte.

Einige Zeit später gab Prinzessin Malika mir den Befehl, den König zu ermorden und das Ganze Lady Etienne anzuhängen. Außerdem erhielt ich ein starkes Schlafmittel. Ich arbeite in der Küche, es war also kein großes Problem für mich, das Mittel in das Essen ihrer Hoheiten zu mischen. Nachts schlich ich mich in das königliche Schlafzimmer und ermordete den König mit meinem Dolch.“

„Und wo ist Etienne jetzt?“ Siamun ballte die Hände zu Fäusten. Wenn Malika hinter dem Mors an seinem Vater steckte und Aziz ihr geholfen hatte, dann hieß das...

Er tastete nach seinem Schwert und griff ins leere. Verdammt, er hatte es an seinen Stuhl gelehnt und da war es immer noch. Drei Meter hinter ihm. Mist.

Er zwang sich seinen Zorn so gut es ging hinunterzuschlucken und sich auf Aziz’s Antwort zu konzentrieren.

„Auf Befehl der Prinzessin habe ich sie in einen Hinterhalt gelockt.“ Also befand sie sich vermutlich in ihrer Residenz.

„In Ordnung!“ Erjons Stimme hob sich über das leise Gemurmel im Saal hinweg.

„Wir werden unser weiteres Vorgehen besprechen. Bringt den Jungen solange in den Kerker.“ Der Prinz schloss die Augen, holte tief Luft und setzte sich wieder auf seinen Platz.
 

Angst. Das war das so ziemlich einzige, dass ich im Moment fühlte. Angst.

Ich befand mich immer noch in meiner Zelle, war immer noch mit den Ketten an die Wand gefesselt. Die Augen hatte ich bei Malikas letzter Foltereinlage geschlossen und seitdem nicht mehr geöffnet. Etwas warmes, klebriges war über meine Wangen gelaufen und dort festgetrocknet, ich hatte den Geschmack von Blut im Mund. Vermutlich hatte ich mir die Lippen aufgebissen. Es brannte hinter meinen geschlossenen Liedern und bei dem einzigen Versuch sie zu öffnen war es nur noch schlimmer geworden.

Ich zitterte, obwohl es eigentlich nicht kalt war. Aber ich war durstig und hungrig. Wann hatte ich das letzte mal etwas gegessen?

Wie aufs Stichwort öffnete sich die Tür. Ich hörte Schritte, dann hielt mir jemand einen Becher an die Lippen. Das Wasser schmeckte seltsam süßlich, aber ich war so durstig, dass es mir egal war. Die Drogen wirkten laut Alos etwas drei Tage, solange würde ich ohne Wasser nicht durchhalten.

Hoffentlich fand Siamun mich bald!
 

Wieso brauchte der Beraterstab eigentlich immer so lange, um sich auf irgendwas zu einigen? Genervt fuhr sich der Prinz mit einer Hand durch sein langes Haar.

Etienne war unschuldig und wurde von Malika gefangengehalten! Was gab es da zu besprechen? Missmutig lies er sich auf sein Bett fallen.

Wenn es nach ihm ginge, hätte gleich heute Nachmittag ein Trupp Soldaten bei seiner Cousine an die Tür geklopft, alles durchsucht und Malik mitsamt Etienne einfach in den Königspalast gebracht.

Aber nein, man musste ja erst alle möglichen Strategien durchsprechen, das für und wieder abwiegen und so weiter und so weiter...

Einerseits verständlich, andererseits absolut nervtötend. Die Familie Wazata gehörte nun einmal zu den einflussreichsten Familien des Landes und keiner wollte es sich mit ihnen Verscherzen.

Frustriert drehte er sich auf die Seite und vergrub den Kopf in den Kissen, nur um herauszufinden, dass jemand die Bettwäsche gewechselt haben musste. Der vertraute Pfirsichgeruch war verschwunden, stattdessen roch seine Hoheit nur Seife. Na ganz toll!

Kurz überlegte er, ob er Aziz noch einen Besuch abstatten und ihm ein paar Fragen stellen sollte, entschied sich aber dagegen. Bei seiner momentanen Laune würde der Junge das Gespräch wahrscheinlich nicht überleben und er brauchte ihn noch.

Ein erneuter Seufzer. Eine Drehung auf den Rücken. Er war viel zu unruhig. Irgendwie musste er sich beruhigen.

Der Übungsplatz war leer und lag im Dunkeln. Zumindest, bis der Prinz die Fackeln rings herum angezündet hatte. Dann ging er in einen der angrenzenden Räume und griff nach seinem Bogen, dem Köcher mit den Pfeilen sowie einer Sehne.

Mit geübten Bewegungen befestigte er eine der Schlaufen in der entsprechenden Kerbe, stellte das Ende auf dem Boden ab, drückte das obere Ende nach unten und schob die Schlaufe am anderen Ende der Sehne über die Spitze. Als er den Arm locker ließ spannte sich die Sehne.

Zurück am Übungsplatz band er sich den Köcher um die Hüfte, stellte sich so, dass sein Körper mit dem Ziel einen rechten Winkel bildete und nahm einen Pfeil heraus. Siamun legte an, zog die Sehne fast bis zum Ohr, zielte und lies los. Ein dumpfes Geräusch erklang, als der Pfeil eine Zielscheibe traf.

Der dritte Ring von innen. An sich kein schlechtes Ergebnis, aber doch nicht so gut wie sonst. Siamun schüttelte den Kopf, sein langes Haar strich über Schultern und Rücken.

Nächster Schuß. Anlegen, spannen, zielen, loslassen. Fast genau den Übergang zwischen zweitem und drittem Kreis. Schon besser!

Anlegen. Spannen. Zielen. Loslassen. Anlegen. Spannen. Zielen. Loslassen. Mit jedem Schuß merkte seine Hoheit, wie er ruhiger wurde. Seine Gedanken kamen zum erliegen, der gefühlte Klumpen in seinem Bauch löste sich. Jeder Schuß landete näher am Zentrum, die letzten sieben gingen genau in die Mitte.

„Sieben von zwölf in die Mitte. Kein schlechter Schnitt.“ Auch wenn er für gewöhnlich besser war.

„Willst du auch mal?“ Siamun drehte sich zu Horace um. Der Leibwächter lehnte an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt, die Beine überkreuzt.

„Nein danke!“ er schüttelte den Kopf.

„Beim Kämpfen bin ich besser als du, aber im Bogenschießen werde ich dich nie schlagen.“

„Es währe ja auch eine Schande, wenn ich als Prinz nicht in mindestens einer Sache besser wäre, meinst du nicht?“ wie immer wenn sie alleine waren, ging Horace zum du über.

Lachend ging Siamun zu den Zielscheiben, drehte und zog einen nach dem anderen heraus. In der Zeit entfernte sein bester Freund die Sehne. Gemeinsam räumten sie auf.

Der Garten war nicht so ruhig wie der Übungsplatz. Grillen zirpten, Falter schwirrten durch die Luft und in den Sträuchern raschelte es. Vermutlich war Scharlatan auf Ratten- und Mäusejagd.

Die beiden jungen Männer setzten sich auf die Stufen von Etiennes Lieblingspavillon und schwiegen eine Weile.

„Machst du dir Vorwürfe?“ Siamun blickte ihn nachdenklich an.

„Du?“ das war zwar keine Antwort auf die Frage, aber Horace kannte ihn schon lange und konnte die unausgesprochene Antwort trotzdem erkennen.

„Ich bin ihr Leibwächter. Ich hätte da sein müssen. Ich hätte sie beschützen müssen!“

„Du weiß genauso gut wie ich, dass dir niemand Unterschlupf gewährt hätte. Die meisten dieser Leute misstrauen Soldaten viel zu sehr. Und jetzt behaupte nicht, dass du harmlos wirken kannst. Etienne hat dich mal eine Kreuzung aus Bulldogge und Wandschrank genannt. Und auch wenn ich nicht weiß, was sie mit Kreuzung mein, so klingt die Kombination von Bulldogge und Wandschrank doch ungeheuer passend!“

„Hey!“ lachend boxte Horace gegen den Oberarm des Prinzen. Lady Etiennes Sätze und Worte die keiner so wirklich verstand blieben allen im Gedächtnis haften, was stellenweiße für komische Situationen sorgte.

„Und nicht zu vergessen dein Gesichtsausdruck!“ Siamun musste grinsen.

„Schon der Normale schlägt jeden in die Flucht, von den zornigen ganz zu schweigen. Wenn du nicht gerade Rhia anhimmelst oder mit Kätzchen spielst!“ Nur drei Personen wussten, dass Horace ausgesprochen Tierlieb war: Rhiannon, Etienne und Siamun. Die beiden Frauen hatten sich lachend auf dem Boden gekugelt, als sich der zwei Meter große Soldat damals auf den Boden gesetzt hatte und mir den Worten ‚wer ist das süße Kätzchen? Ja wer?’ begonnen hatte Scharlatan zu ‚knuddeln’, wie Etienne es nannte.

„Sie bedeutet dir sehr viel, nicht war?“ Abrupter Themenwechsel. Siamun antwortete nicht, er nickte nur.

„Mir auch! Ich habe mir immer eine kleine Schwester wie sie gewünscht...“ stattdessen hatte er einen Vater, der ihm die Schuld am Tod seiner Frau gab, eine verhasste Stiefmutter und eine verzogene jüngere Stiefschwester. Kein schöner Gedanke. Aber das war vorbei. Er war kein Kind mehr. Er war ein selbstständiger Mann. Und er würde seine eigene Familie gründen. Eine Familie voll Liebe und Gelächter. Keines seiner Kinder würde sich jemals ungeliebt und einsam fühlen!

Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Horace blickte in Siamuns ernstes Gesicht und lockerte die Fäuste, die er unbewusst geballt hatte.

„Wir werden sie befreien!“
 

Himmel! Als ich mit diesem Kapitel angefangen habe hätte ich nie gedacht, dass es so enden würde! Ich hatte eigentlich etwas ganz anderes geplant... Das habe ich jetzt einfach ein Kapitel weiter geschoben. Na so was aber auch. Ich hoffe, es gefällt trotzdem!

22

‚Wir werden sie befreien!’ klang wesentlich einfacher als es war. Denn auch ein Mitglied der Königsfamilie konnte nicht einfach in irgendwelche Häuser marschieren und sie durchsuchen. Zumindest nicht ohne die Zustimmung des Senats.

Und der tat das, was er am besten konnte: diskutieren. Siamun war wieder mal kurz vorm explodieren. Nur die Tatsache, dass es absolut nichts nützen würde hielt ihn davon ab. Es gab nur zwei Personen im Reich, die den Senat überstimmen konnten und das waren der König und die Königin. Ersterer fiel ja leider aus und seine Mutter wollte er nicht auch noch hineinziehen. Sie hatte schon genug durchgemacht.

Also saß der Kronprinz wieder mal im großen Saal und hörte zu. Die Senatoren konnten sich einfach nicht einigen. Viele der Adelsfamilien hatten Handelsbeziehungen miteinander, auch mit der Familie Wazata. Und natürlich wollte sich die niemand verderben.

Einige meinten, dass eine Entführung eine ernste Sache sei, andere wollten wegen einer bürgerlichen Frau, die auch noch aus den Ausland kam, keinen Streit riskieren.

Man diskutierte hin, man diskutierte her und bis jetzt war noch kein Ende in Sicht.

„Könnten Sie sich auch irgendwann mal einigen?“ zur Not würde Siamun auch ohne Rückhalt des Beraterstabs handeln.

„Es könnte ein Menschenleben auf dem Spiel stehen!“

„Mein Sohn hat völlig Recht!“ Alle Köpfe drehten sich zur Tür. Königin Sharina hatte die Arme über der Brust verschränkt und blickte ziemlich missbilligend drein.

„Eure Majestät!“ die zwanzig Männer standen auf und verneigten sich, während sie zu ihrem Platz ging, sich setzte und elegant die Beine übereinander schlug.

„Könnte mir also bitte jemand verraten, warum hier irgendwelche Kaffeekränzchen abgehalten werden? Wir haben hier eine Entführung und einen Zeugen, was für einen Grund gibt es also, hier groß um den heißen Brei herum zu diskutieren?“

„Aber der Zeuge könnte doch auch gelogen haben!“ Das war ja so was von klar gewesen! Was zählte schon ein Leben, wenn Erjons geschäftliche Beziehungen auf dem Spiel standen? Entrüstet schüttelte Siamun den Kopf.

„Das werde wir am ehesten herausfinden, wenn wir Etienne gefunden haben!“ dem konnte niemand etwas entgegensetzen und so gab der Beraterstab mehr oder weniger freiwillig sein Einverständnis.
 

Malika kochte vor Wut, als sie mit einem kleinem Fläschchen durch die Gänge ihrer Residenz stürmte. Wie konnte diese kleine Made Aziz es wagen, vor dem Senat ein Geständnis abzulegen? Ein leichtes Kribbeln im Nacken sagte ihr, dass der Zauber, der die Eingänge schützte, sich wieder aktiviert hatte. Siamun versuchte also immer noch einzudringen. Sollte er doch!

Lange würde der Schutz nicht mehr halten, da machte sie sich keine Illusionen, aber er würde nicht so einfach zu Etienne kommen, dafür würde sie sorgen!

„Verschwinde!“ herrschte sie den Soldaten an, der auch ohne zu Zögern das Weite suchte. Lächelnd ließ sich die fürstliche Prinzessin auf dem Boden nieder, kippte die dunkelrote Flüssigkeit in ein Schälchen und tauchte ihre Finger hinein.

Es war das Blut von Azis’s heiß geliebter kleinen Schwester Amila, mit dem sie auch die Außentüren gegen Eindringlinge gesichert hatte. Eigentlich verboten, aber mit Menschenblut konnte man die mächtigsten Zauber wirken und um Verbote kümmerte sie sich schon lange nicht mehr.

In Windeseile begann Malika die Kerkertür mit Zeichen zu versehen, während sie unablässig vor sich hin murmelte. Als sie fertig war glühten die Zeichen rot auf und verschwanden dann, eine unschuldig aussehende Tür zurücklassend. Sofern eine Kerkertür unschuldig aussehen konnte.
 

Also das war nun wirklich peinlich! Da kam man mit Soldaten, Senatsmitgliedern und Priestern zu einer Hausdurchsuchung, nur um dann an der Eingangstür zu scheitern.

In Ordnung, es war eine durch Zauber geschützte Tür, aber nichts desto trotz eine Tür.

Siamun seufzte mal wieder tief und versuchte, zumindest äußerlich ruhig zu bleiben. Die Priester taten ihr bestes und die Ausgänge wurden alle überwacht, niemand kam herein oder hinaus, aber er wurde trotzdem das Gefühl nicht los, dass er sich besser beeilen sollte.

Wie aufs Stichwort kam einer der Priester auf ihn zu.

„Eure Hoheit!“ Er verneigte sich und knete dabei scheinbar nervös seine Finger.

„Gibt es etwas neues?“

„Wir haben herausgefunden, durch welchen Zauber die Tür geschützt wird. Sehr wirkungsvolle Magie, für die Menschenblut benötigt wird.“

„Menschenblut?“ der Prinz verschluckte beinahe seine eigene Zunge. Menschenopfer waren verboten! Entweder war Malika sich ihrer Sache sehr sicher, oder sie war ziemlich verzweifelt.

„Ja. Wie auch immer, der Schutz mag ja stark sein, aber er hat zwei Schwachpunkte: Der erste wäre, dass die Türe geschlossen sein muss, sonst ist die Wirkung dahin.“

„Das heißt also, dass uns nur jemand die Tür öffnen muss?“

„Genau. Entweder jemand von innen, oder ein Blutsverwandter von der Person, deren Blut verwendet wurde, was die zweite Schwäche wäre.“ Was im Klartext hieß, dass ihre Chancen da durchzukommen bei Null lagen. Keiner der Angestellten würde die Tür von innen öffnen und ein Verwandter war unmöglich zu finden, wenn man nicht einmal wusste, nach wessen Familie man eigentlich suchte. Aber vielleicht wusste Aziz ja etwas.

Etiennen Diener saß, an Händen und Füßen gefesselt, an eine Hauswand gelehnt, die Augen hatte er geschlossen. Seine dunkle Haut war blass und er wirkte erschöpft, als hätte er kaum geschlafen. Was er vermutlich auch nicht hatte, die Kerker waren nicht besonders gemütlich.

Neben ihm lehnte Horace mit lässig vor der Brust verschränkten Armen an der Hauswand, den Jungen immer aus den Augenwinkeln im Blick.

„Weißt du irgendetwas über den Schutzzauber?“ Stummes Kopfschütteln.

„Gibt es einen ungeschützten Eingang?“

„Nicht dass ich wüsste...“ Aziz’s Stimme klang rau, als hätte er laut geschrieen oder zu wenig getrunken. Vermutlich letzteres. Der Prinz beobachtete, wie der Junge nervös die Fingerspitzen aneinander rieb und stellte seine letzte Frage:

„Weißt du, wessen Blut verwendet worden ist? Gibt es irgendwelche Verwandten, die uns die Tür öffnen würden?“ seufzend schloss der Diener die Augen, lehnte den Kopf hinter sich an die Wand und schwieg. Schwieg so lange, dass Siamun schon glaubte, er würde gar nicht antworten.

„Ich bin mir nicht sicher, aber ich würde gerne etwas ausprobieren!“ er hob die Hände in einer bittenden Geste und Horace zog einen Dolch.

„Es könnte eine Falle sein!“ meinte er.

„Das weiß ich auch! Aber weißt du eine andere Lösung?“ statt einer Antwort durchtrennte der Soldat die Fesseln, was so viel wie ‚Nein’ bedeutete. Auf der dunkelbraunen Haut konnte man deutlich Fesselspuren erkennen und der Junge massierte seine Gelenke, während er zum Eingang ging.

Davor blieb er stehen, holte tief Luft und griff nach dem Griff. Alles hielt den Atem an. Normalerweise war das der Augenblick, in dem die Tür rot aufleuchtete und einem stechender Schmerz den Arm hinaufschoss, aber bei Aziz? Nichts! Die vorher unüberwindliche Barriere schwang auf, als gäbe es den Schutzzauber gar nicht.

Was im Grunde nur eines bedeuten konnte: Aziz war mit Malikas Menschenopfer verwandt. Bei Scoah! Oder wie Etienne sagen würde: Ach du heilige Scheiße!

Siamun und Horance liefen, je ein Schwert in der Hand, hinter dem fünfzehnjährigen Jungen durch die Gänge und kamen bald im Kerkergewölbe an.

Etiennes Zelle zu finden war einfach: es gab nur eine einzige Zelle mit einer Wache davor.

„Schließ die Tür auf!“ Es gab nur sehr wenige, die sich Siamun in diesem Moment wiedersetzt hätten und die meisten dieser kleinen Gruppe hätten sich das zweimal überlegt, wenn ein mindestens ebenso schlecht gelaunter zwei Meter großer Mann neben ihm stand. Die Wache sah das offenbar genauso und nahm einen großen Schlüsselbund vom Hacken an der Wand. Mit zitternden Händen suchte er den richtigen Schlüssel heraus, steckte ihn ins Schloss und drehte ihn herum.

Im selben Moment glühten auf der Tür rote Zeichen auf.

„Weg da!“ brüllte Eliah, aber die Warnung des jungen Priesters kam fast zu spät. Veysel machte zwar einen Satz nach hinten, war aber nicht schnell genug. Der Zauber, der zum Glück nur auf kurze Distanz wirkte, erwischte noch das rechte Bein des Soldaten und hinterlies dort tiefe Schnittwunden, die bis zum Knochen reichten. Wäre er stehen geblieben, hätte es ihm wahrscheinlich die Kehle durchtrennt.

„Holt einen Perokapriester!“ schrie Horace durch die Gänge und Atem, eine der Palastwachen, rannte sofort los, während Siamun versuchte, die Blutung irgendwie zu stillen. Sein dünner weißer Leinenmantel half da leider wenig, er war innerhalb kürzester Zeit von Blut durchweicht.

„Es tut mir leid wegen eurer Geliebten!“ Veysels Atem kam in kurzen Stößen, die Schmerzen waren beinahe unerträglich.

„Ich war dagegen, aber sie wollte nicht hören... ich hatte keine Wahl...“

Schritte auf dem Steinboden kündigten Atem und den Priester an und hielten den Prinzen davon ab, Veysel zu packen, ihn kräftig durchzuschütteln und ihm zu erklären, dass er sehr wohl eine Wahl gehabt hatte: Er hätte Etienne zur Flucht verhelfen können!

„Oh je, das sieht nicht gut aus!“ mit diesen Worten kniete sich Emad neben den Verletzten und entfernte den provisorischen Verband. Die Wunden bluteten zwar noch, wenn auch nicht mehr so stark wie zuvor. Der vierzigjährige hielt seine Hände über das Bein und schloss die Augen. Grünes Licht pulsierte und der jüngere Mann seufzte erleichtert auf, während man zusehen konnte, wie die Schnitte sich langsam schlossen, bis nur noch feine rosa Narben an das Geschehen erinnerten. Die Narben und die Zeichen an der Tür, die eindeutig mit Blut geschrieben waren.

„Sind die noch gefährlich?“ fragte Horace und musterte sie misstrauisch, als fürchtete er, der Zauber könne sich noch einmal aktivieren.

Aziz, der vergessen etwa abseits stand, schluckte. Er verstand nicht viel von Magie, aber er vermutete, dass auch hier Amilas Blut verwendet worden war. Vielleicht würde der Zauber, wenn er überhaupt noch aktiv war, auch hier verschonen? Einen Versuch war es wert. Zumindest das war er Lady Etienne schuldig, nach allem was sie für ihn getan hatte.

Er schluckte, holte einmal tief Luft und bevor ihn jemand aufhalten konnte hatte er die Türe geöffnet und die Zelle betreten.

Der Anblick war so grässlich, dass er wie angewurzelt stehen blieb, was zur Folge hatte, dass Siamun und Horace ihn beinahe umrannten. Man hatte Etienne an die Wand gefesselt, wo sie bewusstlos zusammengesunken war, soweit die Ketten es erlaubten. Sie hatte überall blaue Flecken und dünne Schnittwunden, über ihre Wangen zogen sich zwei dicke Spuren aus Blut, das offenbar unter ihren Liedern hervorgequollen war.

„Oh mein Gott!“ der Prinz stieß Aziz zur Seite und er taumelte einfach gegen die nächste Wand, an der hinab auf den Boden rutschte.

„Etienne?“ sanft strich Siamun mit den Fingerspitzen über ihre Wange, bemüht keiner ihrer Verletzungen zu berühren.

„Kannst du mich hören Kleine?“ hektisch machte sich Horace an den Fesseln zu schaffen und kurze Zeit später sank ihr lebloser Körper in seine Arme.

„Alles in Ordnung, ich habe dich!“ ein leiser Seufzer schlich sich über ihre Lippen.

„Siamun!“ wusste sie dass er da war, oder hatte sie nach ihm gefragt?

Er beschloss, das er sich darüber später Gedanken machen konnte und trug sie nach draußen, wo bereits Emad wartete.

„Am besten bringen wir sie nach oben, ich brauche mehr Licht!“ im Eilschritt liefen die vier Männer die Gänge entlang, Aziz und Veysel wurden einfach nicht weiter beachtet und blieben zurück.

Auf dem sonnigen Hof legte Emads Assistentin Alisha einige Decken und Kissen auf den Boden,

worauf das blonde Mädchen vorsichtig abgelegt wurde. Die Hände des Priesters begannen wieder grün zu leuchten und erleichtert beobachtete Siamun, wie die Verletzungen zu verheilen begannen.

„Mehr kann ich leider nicht tun, meine Fähigkeiten heilen nur Wunden, keine Verletzungen wie die an ihren Augen.“ Mit diesen Worten wickelte Emad ihr einen Verband um die Augen.

„Siamun?“ Etiennes stimme klang rau, als hätte sie geschrieen oder lange nichts getrunken.

„Ich bin hier!“ er griff nach ihrer Hand.

„Ich kann meine Augen nicht öffnen? Warum geht es nicht?“ entsetzt versuchte sie sich loszureisen.

„Keine Sorge, Lady Etienne!“ versuchte der Arzt sie zu beruhigen.

„Ich habe euch die Augen verbunden, sobald ihr im Palast seid wird sich mein Kollege um eure Augen kümmern. Seid unbesorgt!“ die Fingernägel, die sich in die Hand des Prinzen krallten, zeigten, dass sie sich sehr wohl Sorgen machte.

Während Siamun noch überlegte, wie er sie beruhigen konnte, schallte ein Ruf über den Hof.

„Eure Majestät, wir haben Prinzessin Malika gefangen genommen!“ Sofort machten sich alle auf den Weg dorthin und ließen Etienne in Alishas Obhut zurück.

23

Vorsichtig nippte ich an der Wasserschale, die Alisha mir an die Lippen hielt. Das kühle Nass befeuchtete meine Kehle und füllte ein wenig das riesige Loch in meinem Magen. Mit einem erleichterten Seufzer lehnt ich mich an die Wand hinter mir und lauschte anstrengt nach irgendwelchen hinweisen, ob man Malika nun gefangen hatte oder nicht.

Allerdings machte Alishas ständiges Geplapper das unmöglich. Sie redete vom Wetter, ihren Kindern, der neusten Mode... kurz: über nichts, was mich im Moment interessiert hätte.

Ich wollte lieber wissen was mit meinen Augen loswar, ob Malika verhaftet worden war oder ob die Mordanklage gegen mich aufgehoben war.

Obwohl: ersteres wohl eher doch nicht. Was wenn ich blind war? Wenn dieses hoheitliche Miststück mich so schwer verletzt hatte, dass jede Hilfe nutzlos war?

Ich erschauerte und versuchte diese Gedanken wieder zu verscheuchen. Perokapriester konnten Verletzungen mit Magie heilen, bestimmt würden sie auch meine Augen wieder hinkriegen. Und wenn nicht? Dann konnte ich später immer noch ausflippen.

„Könnte ich noch etwas Wasser haben?“ meine Stimme krächzte immer noch, aber wenigstens schmerzten nur noch meine Kehle und meine Augen, meine Haut fühlte sich normal an. Entweder war ich wochenlang bewusstlos gewesen und alles war von allein verheilt, oder, was wahrscheinlicher war, man hatte mich geheilt.

„Aber natürlich Mylady!“ erneut wurde eine Schale an meine Lippen gehoben und ich schluckte gierig.

„Mehr!“ ein leises Kichern, dann plätscherte Wasser. Himmel, ich hatte Durst! Doch die Schale kam nie an meinem Mund an.

Stattdessen hörte ich einen dumpfen Laut und im nächsten Moment durchnässte etwas, hoffentlich Wasser, meinen Rock.

„Was ist los?“ ich war verwirrt. Nichts sehen zu können war absolut grauenhaft.

„Alisha?“ Statt einer Antwort wurde ich am linken Arm gepackt und grob auf die Beine gezerrt.

„Komm mit du kleines Miststück! Mal sehen, wie weit der Prinz geht, um dich zurückzubekommen!“ Maketatons unangenehme Stimme jagte mir Schauer über den Rücken und mir blieb nichts anderes übrig, als mich über den Hof und die Treppen hinauf schleifen zu lassen.
 

Maketaton hatte all ihre Kraft in den Schlag gesteckt, mit dem sie die Ärztin niedergestreckt hatte und zerrte Etienne hinter sich die Treppen hinauf.

Es war ihr egal, dass die junge Frau mehrmals fast stürzte, genauso wie es ihr egal war, dass sie vielleicht nie wieder würde sehen können, oder dass sie selbst vielleicht sterben würde.

Alles was zählte war das Leben der Prinzessin zu retten. Niemand würde der Frau etwas zu leide tun, die sie vor einen grausigem Schicksal bewahrt hatte. Die ihr im dunkelsten Moment ihres Lebens als einzige die Hand entgegengestreckt hatte.

Wäre sie nicht gewesen hätte ihr Vater sie mit dreizehn an ein Bordell verkauft, nur um sich von dem Geld noch mehr Alkohol zu kaufen. Die Narbe auf ihrem Bauch, entstanden als er einmal betrunken mit einem Messer auf sie los war, erinnerte sie immer wieder daran, wie tief sie in Prinzessin Malikas Schuld stand.

Wild entschlossen zerrte sie die blonde Frau auf die Mauerbrüstung, hielt sie wie ein Schutzschild vor sich und hielt ihr ein Messer an die Kehle.

„Siamun Terupin! Wenn ihr die Kleine lebendig zurückhaben wollt, lasst die Prinzessin gehen!“
 

Auf dem Hof herrschte totenstille. Selbst Malika schien den Atem angehalten zu haben.

Siamun konnte es nicht fassen. Wie hatte er so blöd sein können?

Er hatte sie allein gelassen! Warum hatte er Horace nicht bei ihr gelassen? Am liebsten hätte er seinen Kopf gegen eine Wand gehauen. Aber das hätte leider nichts gebracht. Er brauchte einen Plan. Und Zeit.

„Und wer sagt mir, dass du sie gehen lässt, wenn ich Malika freilasse?“ vielleicht konnte er sie so sehr aus der Fassung bringen, dass sie einen Fehler machte.

„Reicht euch etwa mein Wort nicht?“

„Reicht die meines, dass ich Malika gehen lasse sobald Etienne sicher hier unten angekommen ist?“

„Aua!“ der leise Schrei der kleineren Frau war offenbar die Antwort: Nein!

Der Prinz ballte die Fäuste. Im blieb wohl nichts anderes übrig als mitzuspielen.

„Lass sie gehen!“ Horaces Gesichtsausdruck nach zu schließen gefiel ihm das überhaupt nicht, aber er liebte Etienne wie eine Schwester und würde ihr Leben niemals gefährden. Wiederwillig löste er das Seil, mit dem er Malika gefesselt hatte und gab ihr einen Schubs in Richtung Ausgang.

„Verschwinde, bevor ich es mir anders überlege!“
 

Also so langsam reichte es mit dem hin und her gelaufe! Wenn Maketaton hier einen Marathon veranstalten wollte sollte sie doch, aber bitte ohne mich!

Ich verfehlte eine Stufe und wäre beinahe mitsamt meiner „Begleitung“ die Treppe runtergestürzt, aber Mailkas Dienerin war stärker als sie aussah und schaffte es, uns beide irgendwie abzufangen. Eigentlich schade!

„Gut gemacht Maketaton!“ Aha! Wir waren offenbar draußen und hatten Malika getroffen. Na super! Wenn die beiden mich gehen ließen würde ich einen Besen fressen. Und tatsächlich, ich wurde weiter gezerrt, wer hätte das gedacht.

Die Dunkelheit hinter meinen Liedern machte mir Angst. Es kam mir vor als würde ich in tiefer Nacht umherirren, obwohl es nach der Temperatur zu urteilen wahrscheinlich eher früher Nachmittag war. Die Sonne brannte auf meinen Kopf und bald würde es unerträglich heiß sein.

Ich wusste nicht, wie lange ich durch die Gegend gestolpert war, als die beiden schließlich stehen blieben. Was hatten sie denn jetzt vor? Neugierig spitzte ich die Ohren um möglichst viel von ihrem leisen Gespräch mitzubekommen gab, es aber nach kurzer Zeit auf und versuchte irgendeinen Ausweg zu finden.

Wegrennen konnte ich nicht, ich wäre sowieso nur bis zur nächsten Wand gekommen. Durch die Verletzungen an meinen Augen und dem Verband konnte ich meinen neuen ‚schau- mir- in- die- Augen- Kleines’- Trick auch vergessen. Blieb nur noch meine restliche Magie.

Beinahe seufzte ich erleichtert auf, als ich in meinem Inneren den vertrauten schwarzen Ball entdeckte. Die Frage warum zum Teufel ich ihn trotz allem sehen konnte wurde von Entsetzten überschattet. Die Kugel, die sonst hell geleuchtet hatte, glomm nur noch leicht, es würde also noch einige Zeit dauern, bis die Drogen wieder aus meinem Körper verschwunden waren.

Trotzdem startete ich einen Versuch und stupste den Ball sanft an, welcher daraufhin kurz aufflackerte, sonst passierte nichts. Verdammt, ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ein ziemliches Problem hatte. Malika und Maketaton würden mich nicht am Leben lassen, eher würde die Hölle einfrieren!

Ich wünschte, ich könnte etwas sehen. Am liebsten hätte ich den Verband abgerissen, aber was hätte das genützt? Trotzdem tasteten meine Hände darüber, suchten den Knoten und zupften daran.

Mit Gewalt zwang ich meine Arme wieder nach unten. Es würde schon seinen Grund haben dass er da war. Stattdessen tastete ich lieber nach einer Wand. Ich war müde, mein Fuß ohne Schuh tat mir weh und wollte mich einfach nur noch irgendwo anlehnen. Oder noch besser: hinlegen und eine Woche schlafen.

Unsicher machte ich ein paar Schritte nach rechts und streckte Hilfe und Haltsuchend die Arme aus. Himmel, wie hielten Blinde das nur aus?

Grob wurde mein Handgelenk gepackt und ich hörte Maketatons schnarrende Stimme direkt an meinem Ohr.

„Wo willst du denn hin, Kleine?“ bevor sie mich so heftig zurückriss, dass ich beinahe gestürzt wäre.

Kleine? Wie konnte sie es wagen, Siamuns Spitznamen für mich zu benutzen? Wütend wollte ich ihr auf den Fuß treten und traf daneben. Oder davor. Keine Ahnung. Als ich zu einer spitzen Bemerkung ansetzten wollte spürte ich einen Windhauch, als wäre etwas an meinem Kopf vorbeigeflogen, im nächsten Moment schrie Malikas Dienerin auf. Dem dumpfen Geräusch nach zu urteilen hatte sie etwas am Kopf oder sonst wo getroffen. Wobei... wenn es bei mir am Kopf vorbeigeflogen war musste es bei ihr etwa Brusthöhe gewesen sein.

Aber egal, ich fühlte, wie ihre Hand sich lockerte, riss mich los, drehte mich um und rannte los.

Direkt in die nächste Wand! Mist! Das war ja so was von klar gewesen! Vorsichtig tastete ich meine Nase ab und stellte erleichtert fest, dass sie offenbar nicht gebrochen war sondern nur blutete.

„So tut doch etwas, Prinzessin!“

„Und was denn? Hast du vergessen, dass ich für die meisten meiner Fähigkeiten Berührungen brauche?“ Aha, das war ja hoch interessant.

Mit einer Hand an der Wand tastete ich mich vorsichtig die Straße entlang, immer weg von den Stimmen meiner Kidnapper. Als ich eine Hand an meinem Oberarm spürte bekam ich vor Schreck beinahe einen Herzinfarkt.

Als mich ‚Wer auch immer’ mitziehen wollte stemmte ich die Fersen in den Boden. Noch einmal würde ich mich nicht durch die Gegend zerren lassen.

„Wer bist du?“ Lady Neriman wäre bestimmt stolz auf mich gewesen. Meine Stimme zitterte nicht einmal halb so sehr wie meine erschöpften Beine.

„Ich bin es, Seth!“ Vor Erleichterung hätte ich beinahe geweint.

„Was machst du hier?“

„Daria hat uns um Hilfe gebeten. Komm, solange die anderen sie noch ablenken!“ Das lies ich mir nicht zweimal sagen. Im Gegensatz zu Maketaton führte er mich vorsichtig, warnte mich vor spitzen Gegenständen und Hindernissen sodass wir ohne große Zwischenfälle ankamen, wo auch immer Seth mich hinbrachte.

Das leise Gemurmel lies mich auf Malikas Palast schließen, aber ganz sicher war ich erst, als sich zwei kräftige Arme um mich schlangen und mich hochhoben, als würde ich nichts wiegen. Der vertraute Geruch von Weihrauch und etwas, dass ich auch nach all der Zeit immer noch nicht identifizieren konnte stieg mir in die Nase und beruhigte mich. Siamun. Jetzt würde alles gut werden. Ich war in Sicherheit.

Das waren meine letzten Gedanken bevor ich erschöpft einschlief, meinen Kopf an der Schulter des Prinzen.
 

Einen Tag später:
 

Als ich wieder aufwachte war für einen Moment alles wie immer. Ich lag im Bett, eng an Siamun gekuschelt, mein Kopf auf seiner Brust.

Offenbar war es noch mitten in der Nacht, es war so dunkel, dass ich absolut nichts erkennen konnte. Seltsam. Mit einem Schulterzucken wollte ich mich wieder unter die Decke kuscheln als mir auffiel, dass es für mitten in der Nacht viel zu warm war. Normalerweise fielen die Temperaturen Nachts unter den Gefrierpunkt!

Mit einem Schlag kam alles zurück. Der Hinterhalt, meine Gefangenschaft und die Sache mit meinen Augen. Ruckartig setzte ich mich auf und tastete mein Gesicht ab. Keine spürbaren Narben oder Verletzungen, nur der Verband um meinen Kopf.

„Ganz ruhig!“ Siamuns tiefe Stimme floss wie Balsam über meine Nerven.

„Wie lange bist du schon wach?“ ich drehte mich zu ihm und tastete vorsichtig nach seinem Gesicht, wenn ich ihn schon nicht sehen konnte.

„Schon eine ganze Weile. Ich wollte dich nicht wecken, es sah aus als hättest du den Schlaf bitter nötig.“ Ich strich über seine Lippen und merkte, dass er leicht lächelte.

„Hat der Arzt schon etwas über meine Augen gesagt?“ das Lächeln verschwand.

„Das hat sich noch niemand angesehen. Ich rufe Rhia damit sie dir beim Waschen und Anziehen hilft und dann hole ich den Hofarzt. Und wenn dass nichts hilft eben den obersten Perokapriester. Und wenn deine Augen geheilt sind kannst du endlich dein Zimmer aufräumen. Da drinnen sieht es ja aus wie in einer Abstellkammer!“ ich hörte den Schalk in seiner Stimme und beschloss mitzumachen.

„Hey! Dieses Chaos hat ein hochkomplexes System!“ schmollend schob ich die Unterlippe vor und zupfte mit den Fingern an meinen zerzausten Haarsträhnen.

Ungefähr eine Stunde später entfernte der Doktor den Verband und wies mich an, die Augen geschlossen zu halten. Seine Finger massierten sanft meine Schläfen und erleichtert merkte ich, wie das brennen hinter meinen Augenliedern weiter nachließ und schließlich komplett abebbte. Ein tiefer Seufzer entwich meiner Kehle.

„Bevor ich euch nun bitte die Augen zu öffnen muss ich euch noch mitteilen, dass ich nicht alle Schäden beheben konnte. Das hätte gleich danach passieren müssen.“ Nur leider waren die Verletzungen fast zwei Tage alt.

„Vermutlich wird eure Sehkraft nicht ganz zurückkommen. Öffnet jetzt bitte langsam eure Augen!“

Ich schluckte heftig, holte tief Luft und hob langsam die Lieder. Doch ich musste sie sofort wieder schließen weil das Licht furchtbar grell in meine Augen stach. Ich wartete bis das brennen nachließ und startete einen zweiten Versuch.

Diesmal hob ich erst eine Hand um mich gegen die Sonne anzuschirmen, dann hob ich die Augenlieder langsam, Stück für Stück.

Alles in meinem Blickfeld war total verschwommen, als würde ich durch einen Wasserfall blicken. Ich konnte zwar Farben und Konturen erkennen, aber alles schien irgendwie ineinander zu verlaufen. Das Teilte ich auch dem Arzt mit.

„Das sollte sich in den nächsten Tagen bessern. Ich werde Morgen noch einmal vorbeikommen.“ Mit diesen Worten verlies der Arzt den Raum.

Gedankenverloren saß ich da, bis Scharlatan auf meinen Schoß sprang und getsreichelt werden wollte.

24

Meine Augen heilten tatsächlich. Dank der Hilfe von Doktor Arton waren meine Augen nach etwa einem Monat soweit geheilt, wie es nach Malikas kleiner Foltereinlage möglich war.

Im Klartext: Auf meinem linken Auge war die Sehkraft beinahe so gut wie zuvor, während ich auf dem rechten immer noch alles verschwommen sah.

Sobald ich mich allerdings daran gewöhnt hatte glich das linke das nahezu Problemlos aus. Schwierig wurde es nur bei schlechten Lichtverhältnissen. Aber hey, wer sah im Dunkeln schon so gut wie am Tag?

So gesehen war eigentlich alles wieder Friede Freude Eierkuchen, hätte Siamun nicht beschlossen, mich in Watte zu packen. Ich durfte kaum noch aus dem Zimmer und wenn, dann nur in Begleitung.

Das Aziz mich hintergangen hatte fand ich schrecklich, aber Siamun unterzog alle seine Angestellten deswegen einer eingehenden Prüfung. Angefangen bei den Stallburschen, über die Hofdamen bis hin zum Küchenpersonal und zu guter letzt sogar noch Rhia, Horace und den Rest unseres engsten Freundes- und Bekanntenkreises.

Das war der Moment gewesen, in dem mir der Kragen platzte. Nicht nur das er mich einsperrte, er isolierte mich auch noch von meiner besten Freundin!

Auf meine Anschuldigungen hin zuckte er allerdings nur mit den Schultern und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu. Wenn er glaubte, er könne mich so abservieren hatte er sich aber geschnitten. Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust, schob schmollend die Unterlippe vor und tapste ungeduldig mit dem Fuß auf dem blankpolierten Marmor auf und ab.

Gefühlte drei Stunden später gab ich allerdings entnervt auf und stürmte beleidigt auf die Terrasse, wo ich mich in meinem Lieblingseck zusammenrollte und mit einem wolligen Seufzen die Wärme der Fliesen genoss.

Weiter durfte ich nicht, beim letzten Versuch in den Garten zu gehen hatte Siamun mich gepackt und mich wie einen Sack Kartoffeln über der Schulter zurück in mein Zimmer transportiert.

Die Person, die sich neben mir auf den Boden setzte ignorierte ich geflissentlich, unternahm aber nichts dagegen, als er meinen Zopf in die Hand nahm und begann, sanft daran zu zupfen. Einfach woanders hinstarren konnte ich ja schließlich auch.

„Jetzt komm schon, hör doch bitte auf mit schmollen!“ ich schnaubte nur ungehalten.

„Es ist erst einen Monat her, dass wir dich mehr tot als lebendig aus einem Verlies geholt haben!“

„Ach wirklich? Und ich dachte das hätte ich nur geträumt!“ ich setzte mich auf, warf meinen Zopf nach hinten und blickte Siamun direkt ins Gesicht.

„Ich war dort! Schon vergessen? Malika hat mir die Haut zerschnitten und meine Augen fast ruiniert. Und jetzt willst du mich einsperren? Dann hätte ich ja auch gleich dort bleiben können!“

„Das ist nicht gerecht!“ er funkelte mich an, offenbar hatte ich einen Nerv getroffen.

„Wenn unsere Rollen vertauscht gewesen wären, würdest du dich anders verhalten?“

„Würdest du es zulassen? Würdest du dich einsperren lassen?“ Sein schweigen war Antwort genug: nein!

„Siehst du? Ich will ja kein Kaffeekränzchen mit ihr halten oder ihre neue beste Freundin werden, aber ihr vor dem Gericht und dem Beraterstab unter die Nase zu reiben, dass ihr verdammter Plan nicht geklappt hat, diese Rache wird so süß sein wie Vollmilchschokolade mit Nougat!“

Siamun schloss die Augen, stieß einen dieser scheißschweren ‚ich muss eine Entscheidung treffen’ Seufzern aus und nickte dann.

„In Ordnung, du darfst bei dem Prozess dabei sein! Aber du hältst dich von Malika und ihren Helfern fern! Haben wir uns da verstanden?“

„Ja Sir, eure Hoheit Sir!“ lachend salutierte ich. Als ob ich mich freiwillig in die Nähe dieser Wahnsinnigen begeben würde!

„Das ist mein voller ernst!“ ein unterdrücktes Lächeln, inzwischen kannte der Prinz mich gut genug, um zu wissen wann ich herumalberte und wann nicht.

Immer noch kichernd drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte ihm ein Danke ins Ohr, nur um mich anschließend neben ihm auszustrecken und meinen Kopf auf seinen Schoß zu legen.
 

Einige Tage später:
 

So eine Gerichtsverhandlung war im Grunde nicht besonders spannend, aber ich war trotzdem jeden Morgen pünktlich da und ging erst am Ende wieder.

Anklagen wurden vorgelesen, Zeugen und Opfer befragt, Beweise vorgezeigt, untersucht, für wichtig befunden oder wieder verworfen.

Ich war überrascht wie viel Malika und ihre Helfer auf dem Kerbholz hatten. Nicht nur meine Entführung und die Intrige gegen die Königsfamilie, sondern auch etliche Menschenopfer um sich und ihre Interessen zu schützen. Bei der genaueren Ausführung wurde mir beinahe schlecht. Hätte ich nicht schon vorher gewusst, dass die Frau einen an der Klatsche hatte, spätestens jetzt wäre der Groschen gefallen.

So ging es offenbar auch dem Senat und dem Gericht. Immer mehr von ihnen schlugen sich auf Siamuns Seite, flohen wie Ratten von einem sinkendem Schiff. Denn genau dazu war die fürstliche Prinzessin Malika Wazata in den letzten Tagen geworden.

Immer noch so schön, dass es mir den Atem verschlug, gekleidet in elegantes Leinen und behäng mit erlesenem Goldschmuck, würde ihr davon doch nichts mehr bleiben. Ich mochte zwar eine ausländische Bürgerliche sein, die ihren Stand einzig und allein dem Kronprinzen verdankte, doch Menschenopfer waren strengstens verboten und auf Gewalttätigkeit gegenüber dem Königshaus stand sowieso der Tod.

Allein der Gedanke daran lies mich frösteln, während ich mir angestrengt lauschend eine Haarsträhne durch die Finger gleiten lies. Heute sollte das Urteil gesprochen werden, alles wartet in angespannter Stille auf den Richter.

Als sich die großen Flügeltüren öffneten schnellte ich richtiggehend von meinem Sitz hoch, als wir zum aufstehen aufgefordert wurden.

„Meine verehrten Herrschaften, erheben sie sich und begrüßen sie den ehrenwerten Richter Lord Arkon!“

Lord Arkon war ein stattlicher Mann von etwa vierzig Jahren, mit breiten Schultern und leicht ergrautem Haar. Während er an seinen Platz ging kam mir der Gedanke, dass er sich wahrscheinlich nicht bestechen oder einschüchtern lassen würde. Ein zufriedenes Lächeln huschte über mein Gesicht. Malika konnte ihr letztes Gebet sprechen!

„Aufgrund der mir vorgelegten Beweise verfüge ich folgendes Urteil: Die Angeklagte Mailka Wazata wird der Entführung und des mehrfachen Mordes, sowie einer geplanten Straftat gegen das Königshaus für Schuldig befunden und deswegen zum Tode verurteilt. Bitte setzten Sie sich!“

Einen Moment lang hörte man das rascheln von Stoff, dann senkte sich Stille über den Saal, so dick und schwer, dass man sie mit dem Messer hätte schneiden können, während die Informationen langsam aber sicher im meinem Hirn verarbeitet wurden.

Es war vorbei! Ich musste nie wieder Angst haben, jemand würde mich entführen. Keine Opferrituale. Keine Heimkehr...

Die Erkenntnis traf mich wie ein Steinschlag. Keine Malika hieß für mich kein Weg nach Hause. Leise seufzend schloss ich die Augen und lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. Eigentlich dachte ich, ich hätte mich damit abgefunden, aber da hatte ich mich offenbar geirrt. Andererseits: was sollte ich jetzt noch ändern? Wahrscheinlich würde sie mich nur dann zurückschicken, wenn man ihr eine Begnadigung bot. Und selbst dann würde es mich nicht wundern, wenn ich in der Steinzeit oder auf dem Mars landen würde.

Nein, da blieb ich dann doch lieber an diesem Ort, wo ich mich auskannte und inzwischen eingelebt hatte. Und wenn ich die Wahl hatte zwischen Siamun, einem Haufen Neandertaler mit Keulen und kleinen grünen Männchen... Tja, wer machte da wohl das Rennen? Mann hatte manchmal echt schwierige Entscheidungen zu treffen, nicht wahr?

Okay, dieser Gedankengang war echt absurd, was mir trotz meiner trüben Stimmung ein Lächeln aufs Gesicht zauberte und so entging mir der Blick, den Malika mir beim vorbeigehen zuwarf.

Ein paar Stunden später spazierte ich mit Lady Neriman durch den Garten. Die immer noch recht heiße Abendluft war schwer vom Duft der Blumen, ich atmete tief ein und schloss einen Moment die Augen, da sehen in der Dämmerung sie zu sehr anstrengte.

„Wie schafft der Gärtner es wohl, dass in einem so trockenen Land so viele Blumen blühen?“ diese Frage beschäftigte mich schon seit einiger Zeit. Es regnete kaum und der Garten war zu weitläufig, um alleine durch den vorbeifließenden Fluss bewässert zu werden.

„Manche Perokapriester haben die Fähigkeit Pflanzen wachsen zu lassen. Mein Mann ist der Beste in diesem Bereich!“ in der tiefen Stimme meiner Anstandsdame klang Stolz mit.

„Soll das heißen, dein Mann ist hier der Gärtner?“ und ich hatte gedacht, alle Adeligen wären reiche Snobs. Neriman lachte.

„Man sollte meinen, dass er nach seiner Arbeit hier“ sie machte eine ausholende Bewegung „Abends keine Blumen mehr sehen könnte, nicht wahr? Aber nein, sobald er nach hause kommt macht er in unserem Garten weiter. Dort sieht es aus wie in einer Oase!“ die ältere Dame lachte, was ein recht ungewohntes Geräusch war. Sonst war sie immer ziemlich ernst und gefasst.

„Wenn er auch nur halb so schön ist wie dieser Garten hier, dann muss es ein Paradies sein.“

„Es ehrt mich, dass euch mein Werk gefällt!“ erschrocken wirbelte ich herum, wobei mein Haar, heute ausnahmsweise offen, über meine bloßen Arme und den Rücken strich.

Der schlanke Mann, der mit eleganten Schritten auf uns zulief, war dermaßen zierlich gebaut, dass ich ihn im Leben niemals für einen Gärtner gehalten hätte. Bei so viel Zartheit und Anmut hätte ich eher auf Tänzer getippt.

„Dieser Garten ist einfach wundervoll!“ meinte ich und machte eine leichte Verbeugung. Mehr war nicht nötig, schließlich hatten wir den gleichen sozialen Stand.

Mit einer Formvollendeten Verbeugung ergriff er meine Hand, führte sie an seine Lippen und meinte:

„Es ist mir eine Ehre euch endlich persönlich kennen zu lernen, Mylady! Mein Name ist Sacha“ Mit knallrotem Gesicht zog ich erschrocken die Hand zurück. Mit charmanten Bemerkungen konnte ich immer noch nicht richtig umgehen, auch wenn sie von einem Mann kamen, der locker mein Vater hätte sein können, wenn nicht sogar mein Großvater.

Unsicher schielte ich zu Neriman hinüber, aber der schien das Verhalten ihres Mannes nicht das geringste auszumachen. Kurze Zeit später merkte ich auch wieso.

„Liebling, du hast da was im Haar!“ Sacha, der, wie mir jetzt auffiel, seiner Frau nur bis zur Schulter reichte, hob die Hand an das leicht graue Haar seiner Frau und zog zu meiner Verwunderung eine Lotosblüte hinter ihrem Ohr hervor.

Neriman nahm ihm die Blüte ab und kicherte ausgelassen, während sie daran roch und sie sich anschließend ins Haar steckte. Das gab mir den Rest. Meine strenge, ernste und stets korrekte Anstandsdame kicherte! Wie ein verliebter Teenager!

Fassungslos sah ich zu, wie der Gärtner seiner Frau einen Kuss auf die Lippen drückte und sich leise mit ihr unterhielt. Mich schienen sie völlig vergessen zu haben.

Die beiden Turteltauben schienen so mit sich beschäftigt zu sein, dass sie vermutlich nicht mal einen rosa Elefanten oder eine explodierende Atombombe bemerkt hätten, wenn es denn in dieser Welt welche gegeben hätte.

So wunderte es mich auch nicht, dass keiner der beiden den näherkommenden Wächter bemerkt hatte, der jetzt vor mir stehen blieb.

Der eingravierte Pfau auf den Bronzebändern um seine Oberarme weiß ihn als Soldat der Königin aus. Nur was wollte er von mir?

„Lady Etienne, Prinzessin Malika wünscht euch zu sehen!“ verwirrt blinzelte ich. Was wollte sie bitteschön von mir? Hielt sie mich für blöd? Als ob ich mich freiwillig in ihre Nähe begeben würde!

Keine fünfzehn Minuten später beschloss ich, dass mich Malika nicht nur für so blöd hielt, sondern dass ich tatsächlich so blöd war! Mit einem leisen Klicken schlossen sich die Türen des Palastflügels hinter mir, in dem meine Lieblingsfeindin bis zu ihrer Hinrichtung in Gewahrsam sein würde.

Eine Tür wurde geöffnet und die schöne Frau, die ruhig auf einem Stuhl saß, hob den Kopf. Ein Lächeln, dass mir das Blut in den Adern gefrieren lies, zierte ihr Gesicht.

„Da bist du ja, meine Liebe!“ diese falsche Freundlichkeit mit der sie mir auch auf den vielen Festlichkeiten und Banketts begegnet war und die ich ihr, im Gegensatz zu vielen anderen, nie abgekauft hatte, rief bei mir beinahe Brechreiz hervor.

Sie erhob sich und schwebte auf mich zu, wobei mir kurz die Frage durch den Kopf schoss ob sie wohl bei Sacha Unterricht genommen hatte.

Sie wollte eine meiner Haarsträhnen um ihren Finger wickeln, aber ich gab dem übermächtigen Drang in mir nach und schlug ihre Hand weg.

„Fass mich nicht an!“

„Bist du etwa böse auf mich?“ ein sinnlicher Schmollmund, den ich mit einem schnauben quittierte. Blöde Fragen bedurften keiner Antwort. Auch wenn ihre Kräfte momentan mit Drogen ruhiggestellt waren, so war sie doch immer noch oberste Ronugpriesterin und hatte sicherlich noch ein paar Asse im Ärmel. Also würde ich keine ihrer Gliedmaßen in meine Nähe lassen.

„Wenn du mir irgendwas zusagen hast, dann spuck es aus! Andernfalls werde ich jetzt gehen.“ Die Arme schützend vor der Brust verschränkt schob ich meine Hüfte leicht zur Seite, eine Position die ich immer einnahm wenn ich mich selbstsicherer gab als ich mich fühlte.

„Würden Sie uns bitte alleine lassen? Nur ganz kurz?“ Malika klimperte mit den Wimpern, lächelte zuckersüß und schon war der Wachmann verschwunden.

Das konnte doch nicht wahr sein! Machte der Kerl etwa auch Männchen? Lies sich einfach von Malika den Kopf verdrehen! Was dachte er denn wen er hier bewachte? Mutter Theresa?

Ich drehte mich auf dem Absatz herum und wollte gehen, doch ihre Worte ließen mich wie versteinert stehen bleiben.

„Willst du etwa nicht nach hause?“ mein Kopf schoss herum und ich konnte meine Kinnlade gerade noch oben halten.

„Du hast mich richtig verstanden. Siamun hat auf meinen Vorschlag noch keine Antwort gegeben, aber wenn du dafür sorgst, dass er mich begnadigt, dann schicke ich dich zurück!“

Daher wehte also der Wind! Sie war sich nicht sicher, ob Siamun mitspielen würde und holte mich deswegen mit ins Boot.

Die Antwort sollte doch eigentlich klar sein. Malika war gefährlich. Gemeingefährlich. Ein Fall für den Psychiater. Aber ich wollte meine Familie wiedersehen. Mich mit meinen Geschwistern streiten, die verrückten Küchenkreationen meiner Mutter probieren, auch wenn sie nicht immer schmeckten. Aber ich konnte diese Frau doch nicht einfach davonkommen lassen! Was sollte ich nur tun?

Ohne ein Wort zu sagen rannte ich aus dem Zimmer.
 

Puh, geschafft! Langsam aber sicher nähern wir uns dem Ende... Und diese Geschichte hat tatsächlich drei Favoriten! Ich hätte nie gedacht, dass das überhaupt jemand liest. Vielen Dank dafür!
 

P.S. Rechtschreibfehler gehen wie immer aufs Haus!

25

Ziemlich planlos streifte ich durch den Palast. Ich hatte keine Lust Siamun, Rhia oder irgendjemand anderes zu sehen. Ich musste nachdenken und zwar alleine.

Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Wie denn auch, wenn ich nicht mal wusste was ich wollte? Es war doch zum aus der Haut fahren!

Eigentlich hatte ich ja geglaubt, ich wüsste wie meine Entscheidung ausfallen würde. Jetzt merkte ich, wie sehr mich die Tatsache dass ich keine Wahl gehabt hatte dabei beeinflusst hatte.

Ich wurde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als ich beinahe gegen eine mit Ranken verzierte Säule lief. Verwirrt blinzelnd schaute ich mich um und bemerkte, dass ich mich verlaufen hatte. In diesem Teil des Palastes war ich noch nie gewesen. Das war mir schon länger nicht mehr passiert. Na so was aber auch!

Da ich sowieso keinen Plan hatte wo ich war ging ich einfach auf gut Glück weiter, was zu Folge hatte, dass ich mich noch mehr verirrte.

Irgendwann, nach unzähligen Kreuzungen, Gängen und verschlossenen Türen traf ich auf die Königinwitwe. Hoppla, ich war doch tatsächlich in einem ganz anderen Teil des Palastes gelandet!

Sie hörte meiner Erklärung was ich hier tat zu und wies mich dann an, ihr zu folgen. Zu meinem Erstaunen führte sie mich nicht zurück, sondern zu einer großen reich verzierten Tür, vor der zwei Wachen vom selben Kaliber wie Horace standen, die ohne ein Wort zur Seite traten, als Sharina einen großen Schlüsselbund hervorholte und die Tür aufschloss.

Das erste was ich sah als ich den dahinterliegenden Raum betrat war ein riesengroßer, wunderschöner Wandteppich, auf dem das Wappen des Landes abgebildet war.

Ein wunderschöner Pfau mit glänzendem Gefieder, über dem ein Adler beschützend seine Schwingen ausgebreitet hatte.

„Der Pfau ist das Wappen der Königin. Er steht für die Schönheit unserer Heimat. Der Adler, das Wappen des Königs, steht für den Stolz.“ Der Blick von Siamuns Mutter war während ihrer Erklärung auf den Teppich gerichtet gewesen, jetzt fiel er auf eine kleine Schatulle, die auf einem Tisch direkt darunter stand. Sie schloss sie mit einem kleineren Schlüssel auf und entnahm ihr ein goldenes Etwas, das mit grünen und blauen Edelsteinen besetzt war.

„Das ist eine unserer ältesten Traditionen. Dieses Schmuckstück wird von der Königin oder der Kronprinzessin bei ihrer Hochzeit getragen. Oder in diesem Fall: die Braut des Königs.“

Also würde Siamuns Braut diese Kette tragen? Bei diesem Gedanken wurde mir plötzlich speiübel. Der Prinz musste irgendwann heiraten und wenn ich ging, dann war das ganz bestimmt nicht ich.

Dabei wurde mir noch etwas anderes klar: Wenn ich schon auf den bloßen Gedanken an eine andere Frau so reagierte, was würde ich dann tun, wenn dieser Fall tatsächlich eintreten sollte?

Die Kälte der Nacht kroch durch die kleinen Fenster und brachte mich zum Frösteln. Inzwischen war es komplett dunkel geworden und im Freien würde mein Atem wahrscheinlich weiße Wolken bilden.

„Danke Hoheit, ihr habt mir sehr geholfen!“ ich hatte meine Entscheidung getroffen.

„Genau das war meine Absicht!“ die schöne Frau lächelte mich an und mir wurde etwas leichter ums Herz.

„Dann gibt es nur noch ein Problem!“

„Und das wäre?“

„Wie komme ich wieder in Siamuns Palast zurück?“
 

Einige Stunden früher:
 

Siamun saß in seinem Arbeitszimmer, in der Hand einen dünnen Pinsel und starrte auf das Stück Papyrus vor ihm. Eigentlich hatte er ja arbeiten wollen, aber alles was er bis jetzt zustande gebrach hatte war ein Klecks Tinte, der sich immer weiter ausbreitete.

Mit einem leisen Seufzen legte er den Pinsel bei Seite und fuhr sich mit den Händen durch das lange Haar.

‚Begnadige mich, und deine niedliche kleine Freundin darf nach Hause!’ Was Malika ihm vor ein paar Stunden gesagt hatte geisterte ihm seitdem im Kopf herum. Was in aller Götter Namen sollte er tun?

Einerseits verdiente Etienne es nach Hause zurück zu dürfen, nach allem was sie durchgemacht hatte. Andererseits konnte er seine Cousine nach allem was sie getan hatte nicht einfach die Strafe erlassen. Das würde alles in Chaos stürzen. Gefangene mit geringeren Vergehen würde rebellieren, der Beraterstab würde Probleme machen und Malika würde einfach weitermachen wie bisher. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass er Etienne nicht gehen lassen wollte. Vielleicht sollte er einfach jemanden fragen?

„So ist das also!“ Banus bernsteinfarbene Augen blickten ernst.

„Da sitzt du natürlich in einer Zwickmühle... Aber meinst du nicht, dass das Etiennes Entscheidung ist? Immerhin geht es um ihre Zukunft!“

Der Prinz schnitt eine Grimasse. Soweit war er auch schon gewesen.

„Leichter gesagt als getan. Du weißt doch genau, dass ich Malika nicht einfach so gehen lassen kann!“

„Dann willst du sie zum Bleiben zwingen?“

„Nein, natürlich nicht!“ Siamun senkte den Kopf, sein schwarzes Haar fiel nach vorne und kitzelte dabei seine Arme.

Als es dunkel wurde setzte sich der Prinz einen der etwa hüfthohen Simse, die an den Fenstern seines Aufenthaltsraumes vorbeiführten.

Die untergehende Sonne färbte den Himmel blutrot, ein schöner Anblick.

Er hing seinen Gedanken nach, während der Himmel sich dunkel färbte und es merklich kühler wurde.

Als die Türe sich öffnete wurde er aus seinen Gedanken gerissen und drehte sich um.

Etienne stand dort und zwirbelte eine Haarsträhne um ihre Finger.

Zögerlich, als ob sie nicht wusste was sie tun sollte, kam sie näher und kletterte auf den Sims um sich neben ihn zu setzten.

„Ich… ähm… Mailka…“

„Malika hat dir angeboten, dich nach Hause zu schicken, nicht wahr?“ schnitt er ihr das Wort ab.

„Ja!“ sie schwieg.

„Und? Wie hast du dich entschieden?“ fragte er, als er die Stille nicht mehr ertrug.

„Ich.. ich möchte bleiben! Wenn ich kein Klotz am Bein oder sonstiges Ärgernis bin… bitte ich dich mich bei dir bleiben zu lassen!“

Siamun stieß zischend den Atem aus, von dem er gar nicht wusste, dass er ihn angehalten hatte.

Etienne, die dieses Zischen falsch deutete sprang auf und wedelte erschrocken mit den Armen durch die Luft.

„Aber ich kann… wenn ich störe…“ weiter kam sie nicht, weil er sie packte, an sich drückte und küsste, bis sie beinahe erstickte.

„Himmel, ich hatte solche Angst du würdest gehen!“

Sie kuschelte sich an ihn, lehnte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen.

„Tja, du musst es wohl noch eine Weile mit mir aushalten! Und du auch!“ meinte sie, als Scharlatan schnurrend um ihre Beine strich.
 

Die Hinrichtung war eine Woche später.

Eigentlich hatte ich nicht dabei sein wollen, aber Siamun hatte darauf bestanden.

„Wenn du nicht anwesend bist, könnte das zu Problemen führen.“

„Probleme? Wieso Probleme?“

„Du bist inzwischen zu bekannt, meine Kleine! Die Menschen bewundern dich dafür, dass du dich als Bürgerliche gegen eine Adlige gestellt und gewonnen hast. Wenn du nicht dabei bist, könnte das als Zeichen von Angst und Schwäche gesehen werden.“

„Ja und?“ ich legte den Kopf schief.

„Außerdem habe ich mich nicht gegen Malika gestellt, sondern nur versucht mein Leben zu retten!“

„Aber bereits das ist mehr, als die meisten anderen wagen würden! Malika hat so vielen Menschen Leid zugefügt und keiner hat sich je gewehrt, weil sie es als Sinnlos betrachteten. Denke doch nur mal an Kija und Aziz‘s Schwester. Und dann kamst du…“

Mit einem Seufzen gab ich nach.

„Na gut. Aber wenn ich mich vor all den Leuten übergeben muss, ist das deine schuld!“

Und so kam es, dass ich wie ein VIP auf weichen Kissen unter einem schattenspendenden Baldachin saß und ungehinderte Sicht auf den Galgen hatte, an dem Malika bald baumeln würde.

Ich nippte an meinem Kelch mit Wasser und überlegte, ob ich nicht einfach wieder verschwinden könnte, als mein Blick auf einige bekannte Gesichter fiel.

Da waren Daria und ihre Kinder, die Leute, die mich versteckt hatten, die Angehörigen von Malikas Opfern, die ich während der Gerichtsverhandlung gesehen hatte und sogar Aziz war gefesselt und mit einem Soldaten an seiner Seite erschienen um die Mörderin seiner Schwester hängen zu sehen.

In ihren Blicken sah ich Hoffnung, freudige Erwartung und stellenweiße sogar so etwas wie Ehrfurcht und so blieb ich sitzen, brachte es nicht übers Herz diese Menschen zu enttäuschen.

Malika wurde etwa eine halbe Stunde später hergeführt und ich spürte, wie sich alles in mir verkrampfte.

Es war soweit!

Ein mir unbekannter Scoahpriester nahm eine letzte Segnung vor und betete für einen sicheren Übergang in Scoahs Reich, wo all ihre Sünden vergeben sein und ihre Seele Frieden finden sollte.

Dann wurde die ehemalige Prinzessin auf ein Podest geführt und der Henker legte ihr die Schlinge um den Hals.

Ein letztes Mal richteten sich ihre harten schwarzen Augen auf mich und selbst auf diese Entfernung verursachte mir der Wahn in ihnen eine Gänsehaut.

Die Klappe im Boden öffnete sich, Malika fiel und es war vorbei.

Die leere in ihren konnte ich nicht ertragen, darum schloss ich die Augen und lehnte meine Stirn an Siamuns Schulter, während Tränen meine Wangen hinunterliefen.
 

Das nächste größere Ereignis war Siamuns Krönung, was mir endlich Gelegenheit gab, mein blaues Seidenkleid mal anzuziehen anstelle es im Schrank versauern zu lassen.

Aber irgendwie hatte ich mir eine Krönung anders vorgestellt. So richtig mit Zeremonie und so.

Stattdessen gab es einfach nur ein Fest, auf dem jeder Essen und Trinken konnte so viel er wollte, für die Bewohner von Lin wurde sogar ein riesiges Buffet vor den Toren des Palastes aufgebaut.

Das einzig halbwegs zeremonielle war gewesen, dass Siamun auf seinem Pferd einmal durch die Stadt geritten war, aber da hatte ich nicht dabei sein dürfen. Stattdessen hatte ich auf der Palastmauer gesessen und dem Spektakel von oben zugesehen, zusammen mit Rhia.

Jetzt saß ich an einer der Tafeln und lauschte mit halbem Ohr den Unterhaltungen am Tisch.

Ich schmollte ein bisschen, denn bis jetzt katte sich keiner der Senatoren für die falschen Anschuldigungen entschuldigt und vermutlich würden sie es auch nie tun, dazu waren die meisten viel zu aufgeblasen.

„Und eure Majestät? Habt Ihr schon eine Braut ausgewählt?“ diese Frage erregte nun doch meine Aufmerksamkeit und so spitze ich die Ohren.

Leider konnte ich nichts sehen, da ich einen Tisch weiter saß und in die andere Richtung blickte, ich hätte mich also umdrehen müssen. Blöde Etikette!

Aber glücklicherweise schienen meine Tischnachbarn dieses Thema mindestens so interessant zu finden wie ich, denn die Gespräche in der näheren Umgebung verstummten.

„Ja, ich habe jemanden im Auge!“ vor Schreck verschluckte ich mich beinahe an dem kleinen Gebäckstück, dass ich mir gerade in dem Mund geschoben hatte. Schnell trank ich einen Schluck Saft.

„Wen denn?“ fragte eine der Frauen sie bei Siamun am Tisch saßen, vermutlich war sie mit einem der Senatsmitglieder verheiratet.

Statt einer Antwort hörte man wie ein Stuhl verrückt wurde. Die Damen und Herren neben mir drehten sich allesamt auf ihren Plätzen herum und ich schloss mich ihnen an, wenn auch nicht aus Neugier.

Ich würde dem Miststück die Augen auskratzen!

‚Beruhige sich Etienne! Noch hat die Dame nicht ja gesagt!‘ Na klar, als ob irgendjemand seinen Antrag ablehnen würde.

Doch zu meiner Überraschung kam der neue König auf mich zu, ergriff meine Hand und zog mich zur großen Haupttafel hinüber.

„Lady Etienne Allen dürfte den meisten von Ihnen bekannt sein!“

Unter anderen Umständen wären die fassungslosen Gesichter der zwanzig Senatsmitglieder wahnsinnig komisch gewesen, aber heute wurde ich erst kalkweiß und dann tomatenrot.

„Das soll wohl ein Witz sein!“ Erjon wirkte alles andere als belustigt, aber das war klar. Er konnte mich nicht ausstehen, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruhte.

„Nein, das ist mein voller Ernst!“ meine Fingernägel gruben sich in Siamuns Unterarm, während ich versuchte den Blicken Stand zu halten. Himmel, ich hatte das Gefühl gleich zu streben!

„Tja, der Apfel fällt wohl nicht weit vom Stamm!“ ein älterer Herr strich sich lächelnd mit der Hand über den Bart.

„Erinnert Ihr euch noch an die Sache mit Atem und Sharina? Was wurde damals im Senat diskutiert, als sich der damalige Kronprinz einfach über die Entscheidung des Senats und seiner Eltern hinwegsetzte und seine Braut selbst auswählte!“

Neugierde überlagerte meine Nervosität. Stimmt. Siamuns Vater hatte nicht die ihm vorbestimmte Braut geheiratet, was zu dem ganzen Zirkus in den letzten Jahren geführt hatte.

Sollte ich ihn dafür hassen oder lieben?

„Und so eine schlechte Königin war ich doch nicht, oder?“ mischte sich nun auch die Königinwitwe ein.

„Bei Euch war das etwas völlig anderes!“ warf der Vorsitzende sofort ein.

„Ihr seid von adeligem Geblüt wohingegen dieses…“ er warf mir einen abschätzigen Blick zu „dieses Gör nicht einmal den Titel verdient den sie jetzt trägt!“

Ich spürte wie Siamun sich neben mir anspannte und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.

Der Beraterstab unterhielt sich leise, ich verstand kaum was geredet wurde, in meinen Ohren rauschte es.

„Was meint ihr dazu, eure Hoheit?“ wandte sich schließlich einer an Siamuns Mutter.

„Nun… ich mag Etienne und ich möchte meinen Sohn glücklich sehen. Andererseits verstehe ich auch die Bedenken des Senats. Daher würde ich ihr gerne eine Aufgabe stellen.“

„Eine Ausgezeichnete Idee!“ meinte der Mann, von dem ich glaubte dass er Tamer hieß.

„Wenn sie die besteht hat keiner von uns einen Grund die Wahl seiner Majestät anzuzweifeln. An was für eine Aufgabe habt Ihr denn gedacht?“

Sharina trank einen Schluck Wein.

„Nun, dieses Jahr war, wie Sie alle wissen, sehr trocken, daher können viele ihre Steuern nicht zahlen. Etienns Aufgabe wird sein, dafür eine Lösung zu finden.“

Erschrocken schnappte ich nach Luft.

„Nun, Lady Etienne, wollt ich euch an dieser Aufgabe… versuchen?“ Erjon grinste mich nur gehässig an, er war sich absolut sicher, dass ich scheitern würde.

‚Na warte Freundchen! Dir werde ich es zeigen!‘

„Es ist mir eine Ehre!“ antwortete ich mit einem kleinen Knicks und lächelte den Kerl mit der Spitzen Nase so gelassen an, wie es mir im Moment möglich war.

26

Mit einem Stöhnen fuhr ich mir durch die Haare. Dieser Senat konnte einem so dermaßen auf den Keks gehen, das ging auf keine Kuhhaut.

„Warum so niedergeschlagen?“ trällerte Rhia und wirbelte so gutgelaunt durchs Zimmer, dass ich ihr am liebsten ein Bein gestellt hätte. Warum musste sie so fröhlich sein, wenn ich so schlechte Laune hatte?

„Der Senat hat meinen Vorschlag rigoros abgelehnt!“ ich ließ meinen Kopf mit einem weiteren Seufzer auf den Tisch fallen.

„Ach, das wird schon!“ sie stellte einen Krug mit Saft vor mir ab und drehte eine weitere Pirouette.

„Lach lieber und freu dich mit mir!“

„Hast wohl gute Laune Flocken gefrühstückt, was?“ fragte ich sarkastisch.

„Nö, ich bin bloß schwanger!“ mein Kopf schnellte von Tisch hoch, als hätte mir jemand einen elektrischen Schlag verpasst.

„Wie schwanger? Schwanger im Sinne von: du kriegst ein Baby?“ Rhia blickte mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

„Natürlich kriege ich ein Baby! Oder kennst du noch eine andere Art von Schwangerschaft?“

Eine Antwort erhielt sie nie, denn ich sprang kreischend auf und fiel ihr um den Hals, meine schlechte Laune war vergessen.

„Oh mein Gott! Ich freue mich so für euch! Weißt du schon was es wird? Ach was, blöde Frage. Hast du es schon Horace erzählt?“ die Worte sprudelten nur so aus mir heraus, ich hatte nicht gewusst, dass ich so aufgeregt sein würde.

Siamun und Horace hörten mein Gekreische in Nebenzimmer und lachten in sich hinein.

„Das scheint ihre Laune ja beträchtlich gebessert zu haben, sie seit drei Tagen schaut sie wie sieben Tage Regenwetter!“ bei diesen Worten musste mein Leibwächter lachen.

„Stimmt! Das diese Trottel von Beraterstab aber auch so taktlos sein mussten…“

„Kannst du ihr nicht helfen?“ fragte Horace seinen besten Freund.

„Ich würde gerne, aber wenn ich mich einmische wird das mehr schaden als nutzen, das habe ich auch Etienne schon erklärt.“

„Kannst du mir nicht wenigstens einen Tipp geben?“ fragte ich und lehnte mich an den Türrahmen.

„So schlecht war meine Idee doch gar nicht, oder?“ ich setzte meinen Hundeblick auf und siehe da, was meinen Vater so oft zum Schmelzen gebracht hatte wirkte auch bei meinem hoffentlich bald Verlobten.

„Na gut!“ er strich sich das schulterlange Haar aus dem Gesicht und ich fragte mich kurz, warum er es auch bei dieser Affenhitze offen trug.

„Deine Idee an sich ist nicht schlecht, aber du musst bessere Argumente finden. Ansonsten wirst du niemanden überzeugen. Und wie Neriman immer sagt: selbstsicheres Auftreten ist der halbe Weg zum Ziel!“

„Okay, Selbstbewusstsein und Totschlagargumente, wenn es weiter nichts ist…“

Mitten in der Nacht fuhr ich plötzlich aus dem Schlaf hoch.

„Ich hab es!“

„Das ist ja toll!“ grummelte mein schläfriger Bettnachbar.

„Können wir jetzt weiter schlafen?“

„Sorry!“ ich kuschelte mich wieder an ihn und lauschte seinem regelmäßigen Herzschlag, bis ich wieder einschlief.

Zwei Tage später war mein nächster Termin beim Beraterstab. Unruhig tigerte ich in meinem Zimmer auf und ab.

Meine Ideen waren gut, die Argumente überzeugend, warum war ich also so aufgeregt? Ich trabte noch eine Runde durchs Zimmer.

Was machte ich mir eigentlich vor? Es waren die abwertenden Blicke der meisten Senatoren gewesen, die mir jedes bisschen Selbstbewusstsein geraubt hatten.

Im Gegensatz zu den anderen Adeligen, die sich über mich bei Siamun einschleimen wollten, hatten sie das nicht nötig und das ließen sie mich deutlich spüren.

Ich blieb vor meinem Spiegel stehen und musterte mein Abbild mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

Mein Kleid war einfach, ohne Verzierungen oder Schmuck und mit meinem Pferdeschwanz im Nacken und dem ungeschminkten Gesicht sah ich jung und unerfahren aus.

Kein Wunder nahm mich niemand ernst! Wenn ich diese Männer überzeugen wollte, musste ich ihnen als Gleichwertig gegenübertreten, nicht als ehemalige Küchenmagd!

Mit diesem Gedanken stürmte ich zu meinem Ankleidezimmer, riss die Tür auf und das erstbeste Galakleid vom Regal, während ich lauthals nach Rhia schrie.

Sie kam in dem Moment zur Tür herein, als ich gerade die breite Schnalle um meine Taille schloss, die das Kleid zusammenhielt.

„Was ist denn los?“ meine Freundin blickte erstaunt drein, schließlich mochte ich diese formellen Flatterkleider nicht besonders, da ich mir in ihnen so verkleidet vorkam.

„Kannst du mir beim Schminken helfen?“ fragte ich während ich mich durch meine Schmuckschatulle wühlte, bis ich eine Haarspange fand, die mir gefiel.

Silber wäre mir zwar lieber gewesen als Gold, aber ich wollte ja schließlich ein paar versnobte Adelige überzeugen, da musste man schon andere Register auffahren.

Mit diesem Gedanken drückte ich Rhia die Spange in die Hand, setzte mich auf den Stuhl an meinem Schminktisch und begann, mir die Bürste durchs Haar zu ziehen, welche mir prompt abgenommen wurde.

„Was bewirkt den diesen plötzlichen Sinneswandel?“

„Feuer bekämpft man am besten mit Feuer und gegen arrogante Snobs kommt man am besten an, wenn man selbst einer ist! Außerdem kann ich als Königin ja schlecht in den Klamotten eines Küchenmädchens herumlaufen, also dachte ich, dass ich mich besser gleich daran gewöhnen sollte.“

Zehn Minuten später war mein Haar zu einem eleganten Knoten im Nacken zusammengefasst und meine Augen mit Kajal bearbeitet worden.

Ich war zwar keine Schönheit, sah jetzt aber immerhin etwas älter aus. Dann konnte die Show ja losgehen!

Der Unterschied wurde schon beim Betreten des Raumes sichtbar. Die Blicke schwankten jetzt auf der Skala von abwertend über fassungslos bis hin zu erfreut.

Am unteren Ende des Tisches blieb ich stehen und räusperte mich.

„Meine Herren, da mein Vorschlag zur Lösung des Steuerproblems auf so viel Widerstand gestoßen ist, habe ich ihn noch einmal gründlich durchdacht und überarbeitet!“

„Soll das heißen, wir bekommen noch einmal denselben Vorschlag, nur anders formuliert? Dann hätten wir uns dieses Treffen ja sparen können!“ Das war natürlich Erjon, wer sonst?

Ich widerstand dem Drang die Augen zu verdrehen. Mit dieser Reaktion hatte ich zum Glück gerechnet und daher eine Antwort parat.

„Könnten Sie mir vielleicht erst einmal zuhören, bevor Sie anfangen dagegen zu wettern? Oder wollten Sie mir durch die Blume mitteilen, dass mein Plan abgelehnt wird, egal wie gut er ist?“

Das verschlug dem Vorsitzenden kurz die Sprache und ich nutze die Gelegenheit um weiter zu machen. Siamuns aufmunterndes Nicken stärkte mir den Rücken.

„Wie Sie wissen, habe ich einige Zeit bei den Bürgern dieser Stadt verbracht. Daher weiß ich, dass die meisten ihre Steuern zahlen würden, wenn sie könnten.“

Ich ließ den Blick über den Tisch schweifen. Alle hörten zu. Sehr gut.

„Das Problem ist schlicht und ergreifend, dass insbesondere die Bauern nicht genügend ernten konnten um ihre Steuerabgaben zu zahlen, erneut auszusähen und sich und ihre Familien zu ernähren.“

Im Saal herrschte inzwischen Totenstille, nicht einmal Erjon sagte etwas.

„Wie ich das sehe haben wir drei Möglichkeiten. Die erste wäre, dass wir auf das Geld und die Nahrungsmittel bestehen. Das hätte allerdings zur Folge, dass die Menschen wählen müssten zwischen verhungern oder einer noch geringeren Ernte im nächsten Jahr. Ich denke wir sind uns alle einig, dass uns das keinen Schritt weiter bringt. In spätestens einem Jahr säßen wir wieder hier.“

Zustimmendes Gemurmel und vereinzeltes Kopfnicken.

„Die zweite Möglichkeit wäre die Steuern für dieses Jahr einfach um etwa zwei Drittel zu senken. Ich habe mich erkundigt: in den Vorratsspeichern sind genügend Lebensmittel eingelagert um auch mit geringeren Einnahmen sämtliche Adelsfamilien zu ernähren, ohne dass jemand hungern müsste.

Möglichkeit drei: der volle Steuersatz wird eingezogen und wir öffnen die Speicher um den Inhalt an die Bürger zu verteilen. Das ist in meinen Augen aber nur eine wesentlich arbeitsreichere Variante von Möglichkeit zwei.“

Ich schwieg und blickte die Männer erwartungsvoll an. Tamer war der erste der reagierte.

„Im Grunde hat sie Recht. Mit allem anderen würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden!“

Juhuu, genau darauf hatte ich hinausgewollt. Und da es von einem Senatsmitglied ausgesprochen wurde, konnte keiner groß etwas dagegen sagen. Noch nicht einmal Mr. Spitznase, der mit unglücklichem Gesichtsausdruck auf seiner Unterlippe herumkaute, während ein Kollege nach dem anderen seine Zustimmung gab.

„Dann ist es jetzt beschlossen! Die Steuern werden dieses Jahr um zwei Drittel gesenkt!“ mit diesen Worten erhob sich der König, dieses Thema war der letzte Punkt auf der Tagesordnung gewesen.

„Und? Wie habe ich das gemacht?“ ich war in diesem Moment so glücklich, dass es mir vorkam als würde ich über dem Boden schweben. Ich warf sogar einen Blick nach unten um zu überprüfen, ob meine Füße den Boden berührten.

„Das hast du gut gemacht!“ eine große Hand legte sich sanft auf meinen Kopf. Die Wärme der Berührung beruhigte mich etwas. Trotzdem war ich für den Rest des Tages total überdreht.
 

Zwei Wochen später wünschte ich fast ich wäre gescheitert. Diese Hochzeit raubte mir noch den letzten Nerv.

Hofschneider, Gärtner und Goldschmiede wuselten unentwegt um mich herum, beratschlagten über Schnitte, Farben und Blumen ohne sich wirklich um meine Meinung zu kümmern. Ein Teil des Brautschmucks war ja zum Glück schon vorhanden, jetzt musste der Rest nur noch dazu passen.

Irgendwann einigte man sich schließlich darauf, dass man den Stoff für das Kleid leicht bläulich einfärben wollte und dass der Blumenschmuck weiß sein sollte.

Daraufhin fing der Schneider an mich auszumessen, während Sacha sämtliche weißen Blumen aufzählte, die es so gab.

Es war ein einziges heilloses Durcheinander, bei dem ich kaum noch verstand, wer was sagte.

„Brustumfang: siebenundachtzig Zentimeter… Orchideen, Lilien… Taille: einundsiebzig… Margeriten, Gänseblümchen…“ in meinen Kopf wurde alles zu einem riesigen Wortknäul. Unmöglich, da noch irgendetwas zu verstehen.

„RUHE!“ sofort wurde es totenstill im Raum.

„Könnte Ihr Assistent etwas näher kommen? Dann müssten Sie nicht durch den gesamten Raum brüllen!“ meinte ich zu Ayman, der mich entsetzt anblickte.

„Und Sacha? Meine Lieblingsblumen sind Orchideen.“

Daraufhin wurde es zu meiner Freude etwas ruhiger.

Am Abend kam der nächste Schock. Ich wollte mit Rhia in den Garten um nach dieser Tortur etwas frische Luft zu schnappen und stieß gerade schwungvoll die Tür auf, als mich die Wache beinahe zu Tode erschreckte.

„Lady Etienne Allen!“ dieser Ruf wurde ein paarmal wiederholt, bis schließlich jeder wusste, dass ich im Garten war.

Verwirrt zog ich die Brauen hoch.

„Wird das normalerweise nicht nur bei weiblichen Mitgliedern der Königsfamilie gemacht?“

„Du bist mit dem König verlobt, gehörst also schon so gut wie dazu!“

Dieser Brauch war noch aus der Zeit, in der Frauen das Kämpfen nicht gestattet gewesen war. So wussten die Wachen immer, wann sie besonders aufmerksam sein mussten. Auch nachdem das Gesetzt von Siamuns Großvater abgeschafft worden war, hatte sich das Ankündigen hartnäckig gehalten.

„Tja, da werde ich mich wohl dran gewöhnen müssen.“
 

Weitere drei Wochen später war es dann endlich soweit. Nervös kaute ich auf meinem Daumennagel herum, während Rhia es irgendwie schaffte, mein Haar mitsamt weißer Orchideen in eine elegante Hochsteckfrisur zu verwandeln, bei der mir ein paar Strähnen in Gesicht und Nacken fielen, während Neriman an meinen Kleid herumzupfte und meine Armbänder richtig drapierte.

Den letzten Schliff bildete das Collier, das mir meine Schwiegermutter in spe vor etwa zwei Monaten gezeigt hatte.

Während ich mich im Spiegel betrachtete klopfte es an der Türe und Siamun steckte seinen Kopf herein.

„Könnte ich mich kurz mit Etienne unterhalten?“ Da es keinerlei Bräuche gab die es verbaten, die Braut vor der Hochzeit in ihrem Kleid zu sehen hatte keine der beiden Frauen etwas dagegen.

„Ähm… ich… du siehst wunderschön aus!“ ich wurde knallrot.

„Du hast die Anderen bestimmt nicht weggeschickt um mir das zu sagen!“

„…Nein! ...Ich habe die ganzen letzten Wochen über etwas Wichtiges vergessen. Ich habe dich einfach vor den Senat gezerrt und als meine Braut präsentiert…“

Oh mein Gott! Er wollte es sich anders überlegen! Vor lauter Panik biss ich mir auf den Daumen und zuckte bei dieser schmerzhaften Empfindung zusammen.

„…ohne dich zu fragen, ob du auch willst!“ mir fiel die Kinnlade runter.

„Moment mal! Du kommst hier rein und verpasst mir den Schreck meines Lebens, nur um mich nicht mal eine Stunde vor unserer Hochzeit zu fragen, ob ich überhaupt will?“

Siamuns Wangen färbten sich rosa.

„Das... trifft zu, ja!“ ich stieß einen erleichterten Seufzer aus.

„Glaubst du etwa ich wäre hier, wenn ich nicht wollte?“ ich schüttelte sanft den Kopf um meine Frisur nicht zu ruinieren.

„Natürlich will ich!“ ich hatte noch nicht fertig gesprochen, da hatte mich Siamun hochgehoben und wirbelte mit mir einmal um die eigene Achse.

„Ich verspreche dir, den Verlust deiner Familie wirst du nicht bereuen! Ich werde dich verhätscheln und verwöhnen und dich wie eine Prinzessin behandeln!“

Darauf lächelte ich nur.
 

Den Rest des Tages durchlebte ich wie in Trance.

Ich bekam kaum mit, was Banu sagte, was ich antwortete oder was Siamun und ich uns schworen.

Ich bemerkte ebenso wenig das Kitzeln des Pinsels, mit dem Rhia mir Siamuns Namen auf die Brust schrieb, die Glückwünsche der Leute um mich herum oder das Essen nach der Zeremonie. Ich hätte genauso gut auf Papier und Chilischoten herumkauen können.

Erst als wir abends einen Spaziergang durch den Garten machten und die Wachen mich mit „Königin Etienne Terupin“ ankündigten, sank die Wahrheit langsam in mein Bewusstsein.

Ich war verheiratet und Königin. Und das mit gerademal achtzehn Jahren.

In diesem Moment wurde mir noch etwas anderes bewusst: Meine Eltern würden einen Anfall kriegen!

27

Zwei Jahre später:
 

Das kalte Wasser verursachte mir Gänsehaut, aber ich tauchte trotzdem unter, lies das Wasser mein langes Haar durchnässen um es beim Auftauchen wieder kräftig auszuschütteln.

„Eure Hoheit!“ kreischte die Tempeldienerin, als einige Wassertropfen sie trafen.

„Das ist eine rituelle Reinigung, hört also auf herum zu planschen!“

Brav schwamm ich zum Beckenrand und kletterte nach draußen. Geduldig hielt ich still während Lillia, in ein weißes Tuch gewickelt, mich mit einer duftenden Paste einrieb, die angeblich Körper und Geist reinigte.

Was nutzte mir das bitte, wenn ich sowieso erfror? Diese Frage konnte mir leider niemand beantworten, da meine Begleitung gerade damit beschäftigt war, eine Schale mit Quellwasser zu füllen, nur um sie anschließend über mir auszuleeren.

„Verdammt!“ kreischte ich, als das eisige Wasser über meine Haut lief und den Schaum wegschwemmte.

„Warum kann diese Reinigung nicht in einer heißen Quelle stattfinden?“ grummelte ich leicht verstimmt.

„Weil es kein Entspannungsbad ist!“ war die prompte Antwort der jungen Frau mit den kurzen schwarzen Haaren, die gerade eine weitere Schale des kühlen Nasses in Schräglage brachte.

Etwa zwanzig Minuten später war die Sache geschafft und ich rubbelte mir mit einem Tuch so lange über die Haut, bis sie wieder trocken und warm war.

„Hoheit, Eure Kleider liegen bereit!“ mit einem Seufzer legte ich mein Handtuch beiseite und strich eine vorwitzige feuchte Strähne aus meinem Gesicht.

Es war soweit. Heute wurde das Ritual vollzogen, dass aus einer Schülerin eine Priesterin machte.

Allein schon bei dem Gedanken daran wurde mir ganz anders und ich legte eine Hand auf meinen Bauch, in der verzweifelten Bemühung, mein Mittagessen bei mir zu behalten.

„Ist Euch nicht gut?“ Statt einer Antwort stürmte ich aus dem Raum und schaffte es gerade noch bis zur nächsten Toilette, bevor ich meinen gesamten Mageninhalt wieder von mir gab.

„Mir geht es gut!“ versuchte ich Lillia zu beruhigen, während ich meinen Mund mit Wasser ausspülte.

„Mein Magen ist in letzter Zeit öfter etwas gereizt, ist wahrscheinlich die Aufregung!“

Mein Gegenüber zog skeptisch eine Augenbraue nach oben.

„Seid Ihr sicher?“ die Frage verwirrte mich.

„Natürlich, an was sollte es denn sonst liegen?“ mit diesen Worten verlies ich den kleinen Raum um mich anzuziehen.
 

Zwei Stunden später lief ich alleine durch das große Tor des Haupttempels.

Direkt hinter der Tür erwarteten mich vier Gestalten in weiten, weißen Roben, die jeweils eine Schale in den Händen hielten.

Ich kannte keine von ihnen, wusste aber, dass es sich um die vier Hohepriester beziehungsweiße oberste Priester handelte.

Als erstes trat ein Mann Mitte vierzig auf mich zu, die silberne Brosche mit dem Onyx wies ihn als obersten Scoahpriester aus. Einen Hohepriester gab es zurzeit nicht.

„Empfangt aus meinen Händen Scoahs Segen!“ bei diesen Worten begann der Inhalt seiner Schale schwarz zu glühen und ich tauchte meine Finger hinein um die Flüssigkeit auf meine Stirn, meine Brust und meine rechte Hand zu tupfen.

Dieses Vorgehen wiederholte ich bei der grün glühenden Schale der Hohepriesterin von Peroka, der blauen des obersten Tegispriesters und zu guter Letzt tauchte ich meine Finger in das weiße Leuchten des obersten Ronugpriesters, der Malikas Nachfolger war.

Dann folgte ich ihnen zur nächsten Tür, die noch größer war als die erste.

Der Raum dahinter war riesig und dir Decke wurde von vier Säulen gestützt, der Boden ein gigantisches Mosaik aus grünen, schwarzen, weißen und blauen Fliesen.

„Etienne Terupin!“ meldete sich die junge Hohepriesterin zu Wort.

„Ihr seid hier, um Euer können und Eure Macht unter Beweis zu stellen. Ich frage Euch daher ein einziges Mal: seid Ihr gewillt, dieses Ritual hier und jetzt abzulegen und den Euch vorbestimmten Platz im Kreis der Priester einzunehmen?“

Ach, ich hatte eine Wahl? Das war ja mal ganz was Neues! Warum hatte mir das vorher keiner gesagt?

Leider hatte ich das ungute Gefühl, das ein ‚Nein‘ nur eine Verschiebung des Ereignisses zur Folge hätte und ich würde garantiert kein zweites Mal in dieser heiligen Eiswasserquelle baden!

„Ja!“ kaum hatte ich meine Antwort ausgesprochen, da schwang die hintere Wand einfach auf und ich trat nach draußen.

Da der Tempel auf der der Stadt zugewandten Seite des Palastes lag hatte ich freie Sicht auf die Stadt und die dort versammelte Menschenmenge hatte ebenso freie Sicht auf mich.

Na super! Auch noch Publikum!

Mit einem letzten nervösen Seufzer trat ich in die Mitte des Podests.

Kühler Wind bauschte meinen weiten Rock und meine weiten Ärmel auf. Auf der bloßen Haut meines Bauches und meiner Schultern fühlte er sich angenehm an.

Den ganzen Tag über war es drückend heiß gewesen aber jetzt ging die Sonne unter und in spätestens zwei Stunden würde es klirrend kalt sein.

‚Okay Etienne konzentriere sich! Denke einfach an das, was Moses dir erklärt hat!‘

Ich schob sämtliche Gedanken Temperaturen, Menschenmassen und schöne Sonnenuntergänge beiseite, schloss die Augen und hob meine rechte Hand Richtung Himmel, die Handfläche nach oben.

Vor meinem inneren Auge sah ich, wie die Magie durch meinen Körper floss, sich in meiner Handfläche sammelte und in die vier Kristalle in den vier Ecken des Podests floss.

Laut Moses würden diese anfangen zu glühen. Das hatte zwei Bedeutungen: erstens hatte ich die Prüfung bestanden und zweitens bestimmte die Stärke des Glühens meinen zukünftigen Rang.

Je stärker das Licht, desto stärker die Kräfte und desto höher stand man in der Hierarchie. So einfach war das.

Also irgendwie war diese Stille unheimlich. Sollte nicht irgendjemand etwas sagen?

Stattdessen war es so still, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.

War vielleicht irgendetwas schief gegangen?

Ich öffnete meine Augen einen Spalt, riss sie dann ganz auf, nur um sie wieder fest zuzukneifen und anschließend wieder aufzureißen.

Die Kristalle glühten nicht!

Sie leuchteten! Wie gottverdammte Taschenlampen!

Ich stoppte den Energiefluss und senkte den Arm, doch die blöden Dinger leuchteten munter weiter.

Vielleicht waren sie ja kaputt?

Ich hörte Schritte hinter mir und drehte mich zum obersten Scoahpriester um.

Das schon leicht ergraute Haar wirkte im schwarzen Licht wieder fast einfarbig und der Blick mit dem er mich ansah war für mich undeutbar.

„Ich v…verstehe nicht was schiefgegangen ist! Keine A..ahnung wie das passieren konnte!“ stammelte ich und wäre am liebsten in das nächste Loch gekrochen.

Es war nur Leider keines in Sicht. Nur Fliesen in vier Farben soweit das Auge reichte.

Doch zu meiner Verblüffung sanken die drei obersten Priester auf die Knie, während sich die Hohepriesterin leicht verneigte.

Okay, was zur Hölle war jetzt los?

Noch bevor ich mich von diesem neuen Schock erholt hatte nahm die Perokapriesterin meine Hand, zog mich zum Podest Rand und rief in einer Lautstärke sie ich ihr nie zugetraut hätte:

„Seht Scoahs neue Hohepriesterin!“

Den aufkommenden Applaus hörte ich wie durch Watte, in meinem Kopf lief ein einziges Wort in Dauerschleife: ‚Hohepriesterin‘.
 

„HOHEPRIESTERIN? Ich?“ ich tigerte eine weitere Runde durch das Wohnzimmer. Der Boden hatte bestimmt schon eine Furche!

„Das kann ich nicht!“

„Ach, papperlapapp!“ meinet Rhia und schlug mir auf den Rücken.

„Das hast du am Anfang auch über deinen Job als Königin gesagt und jetzt frisst dir der Senat aus der Hand!“

„Du hast gut reden!“ schnaubte ich während meine beste Freundin sich kichernd mit der Hand über den Bauch fuhr, der sich wieder beachtlich wölbte.

Ihr zweites Kind sollte in drei Monaten zur Welt kommen.

„Dande Tienne Arm?“ ihre erste Tochter Kassy, benannt nach meiner jüngeren Schwester Kassiopeia, tapste leicht schwankend auf mich zu und ich bückte mich, um sie hochzuheben.

„Für ihre knapp eineinhalb Jahre spricht sie aber schon gut! Sie wird bestimmt mal Lehrerin!“ meinte ich, während mir ein feuchter Schmatzer auf die Wange gedrückt wurde.

„Ja!“ seufzte die werdende Mutter.

„Wir müssen höllisch aufpassen was wir sagen weil sie alles wiederholt. Erst vor kurzem hat sie jeden den sie traf fröhlich lachend einen ‚Idit’ genannt. Zum Glück hat keiner erraten, dass sie ‚Idiot‘ meinte!“

Wie aufs Stichwort begann das kleine Mädchen auf meinem Arm sofort „Idit! Idit!“ zu kreischen und klatschte dabei begeistert mit den Händen, was uns alle zum Lachen brachte.

„Mach dir keine Sorgen!“ Siamun legte einen Arm um meine Taille und zog mich mitsamt meiner Fracht an sich.

„Ich bin sicher, du wirst eine großartige Hohepriesterin! Und selbst wenn nicht: Seit deiner Steuersenkungs-Idee liebt dich sowieso jeder im Land! Außer vielleicht ein paar Adelige, aber man kann es ja nicht allen recht machen!“

Ich schmiegte meinen Kopf an seine Brust und atmete seinen Geruch tief ein.

„Danke!“

„Gosartig! Gosartig!“

„Ich glaube, unser kleiner Abendstern hier war in einem früheren Leben ein Papagei!“ meinte Moses lachend, nachdem er verstanden hatte, dass Kassy ‚großartig’ gemeint hatte.

„Abaei!“

Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass ich plötzlich auch ein Kind wollte.
 

Ich spülte meinen Mund aus und schob den Nachttopf wieder unters Bett. In Kürze würde sowieso ein Dienstmädchen hier aufräumen.

Diese ständige Übelkeit nervte mich langsam aber sicher. Das ging schon über eine Woche so.

Höchste Zeit zum Arzt zu gehen!

Doktor Arton runzelte die Stirn, als ich ihm mein Problem schilderte.

„Plötzlich auftretende Übelkeit, besonders morgens?“ er überlegte kurz.

„Seid Ihr in letzter Zeit öfters Erschöpft?“ fragte er.

„Ja, schon. Ich hatte viel Stress!“

„Und wie steht es mit Eurem Appetit? Esst Ihr mehr wie sonst, habt Heißhunger auf Speisen die Ihr eigentlich nicht mögt oder anders herum?“

In letzter Zeit hatte ich eine extreme Vorliebe für Bananen entwickelt, daher nickte ich. Auch wenn ich keine Ahnung hatte, was das mit meinem Gesundheitszustand zu tun hatte.

„Und Eure letzte Monatsblutung? Wann war die?“

Ich grübelte nach und kam zu dem Schluss, dass ich keine Ahnung hatte.

„Das ist… ewig her!“ plötzlich fiel der Groschen.

„Meinen Sie etwa… ich bin schwanger?“ der Arzt lächelte.

„Es deutet zumindest einiges darauf hin! Ich hole die Palsathebamme, sie kann das genau sagen.“

Die Hebamme, eine kleine Frau die fast so breit wie hoch war, hieß Sulamith.

Sie legte mir ihre grün glühende Hand auf den Bauch und strahlte mich ein paar Minuten später wohlwollend an.

„Ich darf gratulieren! Ihr seid schwanger!“ mit einem verzückten Kreischen fiel ich ihr um den Hals.

Doch ein Gedanke dämpfte meine Euphorie: wie sage ich es Siamun?
 

Ich knetete nervös meine Finger, während ich im Schlafzimmer auf und ab lief.

Das wurde so langsam echt zu meinem neusten Hobby!

Ich betete darum dass mein Mann bald kam und hoffte gleichzeitig, er würde nicht kommen.

Vielleicht machte er ja Überstunden oder so?

„Etienne? Ist irgendetwas?“ die samtig tiefe Stimme lies mich herumfahren.

„N..Nein! Nichts! Was sollte denn sein?“ die Antwort kam viel zu hastig und Siamun glaubte mir ganz offensichtlich kein Wort.

„Wirklich Kleines? Du wirkst nervös!“

„Es ist nur… ich… wir… du…“ ich brach ab.

„Ja?“

„Ichbinschwanger!“ So! Jetzt war es raus! Allerdings schien er mein Genuschel nicht zu verstehen.

„Ich bin schwanger!“ hey, beim zweiten Mal war es viel einfacher!

Mein Göttergatte starrte mich aus riesengroßen, samtig schwarzen Augen an.

„Wir… werden Eltern?“ noch bevor ich antworten konnte hatte er mich gepackt und begann, mich im Kreis zu schwenken.

Allerdings wurde ich genauso schnell wieder abgesetzt.

„Und was, wenn es mich nicht mag?“ beinahe hätte ich losgelacht. Ich schaffte es gerade noch halbwegs, einen Hustenanfall vorzutäuschen.

„Siamun! In der Regel lieben Kinder ihre Eltern! Da müsstest du schon ziemlich viel falschmachen!“

„Und was wenn das passiert?“ eine schwarze Strähne seines langen Haares war ihm in die Stirn gefallen und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um sie nach hinten zu streichen.

„Darüber denken wir nach, wenn es soweit ist!“
 

Vor dem Einschlafen legte Siamun ein Ohr auf meinen Bauch.

„Schläft es? Man spürt gar nichts! Horace hat erzählt, man könne die Bewegungen des Kindes im Bauch spüren!“

„Jetzt noch nicht! Das dauert noch ein paar Monate!“ eine große Hand begann, sanft über meinen Rücken zu streicheln.

„Hoffentlich wird es ein Mädchen! Obwohl, ein Junge wäre auch nicht schlecht! Oder noch besser: Zwillinge!“

„In Ordnung! Du darfst nachts aufstehen!“ antwortete ich schläfrig. In diesem Moment war ich einfach nur Glücklich.

Epilog

Sechs Jahre später:
 

„Öffnet das Tor, Ihre Hoheit ist zurück!“ kaum war dieser Ruf verklungen, da schwang das große Palasttor auf um mich und meine Begleiter durchzulassen.

Im Hof angekommen wurden mir sofort etliche Hände entgegengestreckt, um mir beim Aussteigen zu helfen.

Tja, eine Frau in meinem Zustand konnte alleine eben nur noch essen und schlafen und selbst da wurde sie noch überwacht!

„Also wirklich! Ich bin weder krank noch irgendwie Gehbehindert, ich kann also sehr gut selbst aus der Kutsche klettern!“

Dieser Tadel brachte die meisten Leute dazu ihre Hände zu senken.

Kaum auf dem sicheren Boden angekommen sah ich mich schon der nächsten Angriffswelle gegenüber.

Drei Kinder im Alter von fünf und drei Jahren stürmten lauthals kreischend auf mich zu.

„Mama! Mama!“

Lachend ging ich in die Hocke, breitete meine Arme aus und prompt hing mein Ältester an meinem Hals, dicht gefolgt von den Zwillingen.

„Himmel Kinder, man könnte meinen, ihr wärt im Stall aufgewachsen!“ diese Tatsache hielt mich allerdings nicht davon ab, die Kinder fest an mich zu drücken und jedem einen Kuss zu geben.

„Sagt mal Kinder… habt ihr nicht etwas vergessen?“ kam aus dem Hintergrund drohend freundlich die Stimme meines Mannes.

„Nö, was denn?“ fragte Sky, der seinen Namen seinen blauen Augen zu verdanken hatte, frech.

„Wie wäre es mit: ‚Könige und Ehemänner kommen vor Prinzen und Kindern?“ mit diesen Worten pflückte er die Kinder von mir herunter, hob mich hoch und drückte mir einen Kuss auf den Mund, den die Kinder mit einem lauten „Buäh!“ quittierten.

„Und, wie geht es euch beiden?“ fragte er leise, während er mit einer Hand über meinen schon leicht gerundeten Bauch strich.

„Also ich fühle mich prächtig! Obwohl… ich bin kurz vor dem verhungern… ich hoffe doch, es hat genügend Bananen für zwei hungrige Mäuler?“

Das brachte Siamun zum Lachen.

„Als ob der Palastkoch es wagen würde keine da zu haben, wenn du schwanger bist“

„Kein Wunder, so wie ich letztes Mal ausgerastet bin…“

Arm in Arm schlenderten wir in den Palast, die Kinder wuselten um uns herum.

Das waren die Momente, in denen ich einfach nur glücklich war.

Zwar vermisste ich meine Familie immer noch sehr, womit ich vermutlich auch nie aufhören würde, aber ich hatte mir hier ein neues Leben und eine neue Familie aufgebaut, die ich für nichts in der Welt eingetauscht hätte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Geschafft! Meine erste komplette Fanfic!
Danke an alle die das hier lesen bzw. lesen werden und natürlich an alle die kommentiert haben bzw. werden, sowie dirjenigen bei denen ich auf der Favoritenliste gelandet bin! :)
Ein beonderes Dankeschön auch an shinichi_san, die zwar länger nicht mehr kommentiert hat, mir aber trotzdem sehr geholfen hat Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (18)
[1] [2]
/ 2

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Mina93
2015-07-22T15:50:28+00:00 22.07.2015 17:50
Hab deine Ff heute gelesen und ich finde sie echt klasse!
Antwort von:  Zuckerschnute
22.07.2015 19:39
Freut mich, dass es dir gefällt!
Von:  shinichi_san
2011-12-31T16:53:32+00:00 31.12.2011 17:53
Oh, ich fand es ja voll geil und toll!!! Weiter bitte!!!^^
und auch so verdammt niedlich und trollig!
Sorry, weiter weiß ich grad nicht, aber mal wieder ein sehr sehr schönes Kapitel und ich freue mich auf das nächste!
LG und auch dir einen guten Rutsch!
Von:  shinichi_san
2011-12-19T12:59:22+00:00 19.12.2011 13:59
WTF????
Wie jetzt? Wen hast du umgebracht?
Habe ich etwas verpasst????
Ach ja: Hallo, erstmal! Schön wieder weiterlesen zu können!!!
Aber wie kannst du so ein tolles und verdammt süßes Kapitel mit so einem schrecklichen Cliffhanger enden lassen????
Aber wie gesagt: trotzdem ein schönes Kapitel! Ich freue mich auf das nächste!!!
LG
Von:  shinichi_san
2011-11-19T13:24:07+00:00 19.11.2011 14:24
Hallo erstmal und etschuldige, dass ich erst jetzt zum lesen gekommen bin...
Als zweites: hast du nicht auch heute Geburtstag? Alles Gute dazu!!!
drittens: Ein sehr schönes Kapitel mit viel Gefühlen!!! Erst etiennes Geburtstag, dann noch der Heiratsantrag von Horace... sehr süß und die Krankheit Siamuns war auch sehr, sehr passend getroffen!!!
Alles in allem war es ein bisschen viel für ein einzelnes Kapitel, aber es hat gepasst und ich habe mich wie immer tierisch gefreut, etwas von dir zu lesen...^^
ich freu mich auf das nächste Kapitel und bin echt gespannt, wie es weitergeht!^^
Hoffentlich mehr von Siamun und Etienne^^
LG
Von:  shinichi_san
2011-10-26T20:57:30+00:00 26.10.2011 22:57
Arwwwwwwwwwwwwwwwww!!!
So trolliges und tolles Ende dieses Kapitels.
Sehr schöne Erklärungen von dem bebenden Boden und den schwarzen Flammen. Auch sehr schönes Gespräch zwischen den Geschwistern.
Im Allgemeinen wieder ein supi Kapitel mit wunderbaren Passagen und Szenen!
Mehr davon!
Und es tut mir Leid, dass ich erst jetzt schreibe. Aber ich bin einfach nur fertig mit jedem und Allem.
Von:  shinichi_san
2011-10-04T22:29:12+00:00 05.10.2011 00:29
Es vergeht also mal wieder viel Zeit... kay...
Oioioi, die Schwester erzählt jetzt also mal alles! Finde ich sehr gut!!! Endlich mal Schritte in die richtige Richtung! Boah, war ja kaum noch auszuhalten XD
Okay, also ein paar Gemeinsamkeiten...
Den Dolch finde ich ganz praktisch! Die Zeuberformel für sowas hätte ich auch gerne, dann könnt ich ein paar Leute endlich mal töten ...
Und wie sie sich fühlt, fühl ich mich auch, weil ich voll depri bin, aber egal, um mich gehts nicht^^
Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.^^ Kennst du das? Passt gerade^^ Wer ist des denn bitteschön? Kan ja nicht sein, dass die da so einfach mir nichts, dir nichts auftaucht und sich an den armen, kleinen, verbitterten und nichtswissenden Siamun hängt!!!
Aber das Scharlatan das Zimmer verwüstet, dafür kann Etienne ja nix, und wenn sie das Blatt findet auch nicht... Blöder Trottel!
Und was hat es mit dem Erdbeeben auf sich?
Und woher will Etienne eigentlich wissn, dass er sie nicht liebt? Hm? Ach, alles viel zu kompliziert! Naja, stimmt, so wie das Leben nun mal selbst auch zu uns ist! Gut gemacht!
Von:  shinichi_san
2011-10-04T11:13:58+00:00 04.10.2011 13:13
Hallöchen und entschuldige, dass ich erst jetzt reviewe...
Hatte vorher nie Zeit oder Marketingaufgaben zu erledigen... Egal.

Heyhey, Scharlatan tritt auf! Oder?
hahaha... nein, sie ist gar nicht in ihn verliebt, wäre gar nicht möglich!!!^^
Arwwwww!!!! Soooooo süüüüüüüüüüß!!! Und dass er dann auch noch rot wird! Zum reinbeißen^^
Und und und! Oh mann, ich kann nicht mehr! Ich bin so fertig! jetzt hilft sie Horace und Rhia auch noch!Und bringt sie dabei auch noch fast um!^^ Oh mann, ich kann echt nicht mehr!
Und dann kommt auch noch Banu! Oh mann, mann, mann!!! Ich bin mal wieder von dem Kapitel fasziniert und ich freue mich, es lesen zu dürfen!
Danke, und bis zum nächsten Kapitel!
hdl
Von:  shinichi_san
2011-09-17T14:55:20+00:00 17.09.2011 16:55
Moin moin!!!

OH MEIN GOTT! Wie verdammt knuffig! Wie Etienne zu Siamun ins Bett gekrabbelt kommt... Du hättest mich erleben müssen, wie ich hier kreischend vor dem Laptop saß und zwischendurch immer wieder freudig geseufzt hatte XD
Und die beiden Diener fand ich auch nur zu süß, wie sie ihn einfach nur angegrinst hatten
Der Prinz hilft in der Küche aus? Nur weil Etienne nichts essen will? Sagte ich noch nicht genug, dass es einfach nur zu süß ist, was da zwischen den Beiden angeht?!
Und das die beiden sich über ihre Familiensituationen unterhalten, finde ich richtig toll, zwar ist es ein bisschen mies, dass siamun einfach geht, weil sie etwas falsches angesprochen hat, aber es passt ganz gut und hey!!! Die Schwester! Kam die schon mal vor? Ich kann mich da grade nicht dran erinnern...
Und ja!!!! Das Tier! Das Tier! Das Tier!
Ich freu mich auf das nächste Kapitel!
LG
Von:  shinichi_san
2011-09-14T11:12:11+00:00 14.09.2011 13:12
Okay... das ging echt schnell und ich hab echt das Gefühl, dass du mich töten willst... Aber gut, manche Stories haben mehr Wörter pro Kapitel...
So, fangen wir mal an...Sie weiß also auch noch nicht wo sie ist, und diese Art zu quälen ist echt mies und erniedrigend...
So Detektei Siamun hat dann wohl mal ein paar vermutungen angestellt, aber anscheinend kriegen sie so auch nichts raus, was mich dann doch verwundert, weil der Prinz doch eigentlich ein kluges Köpfchen ist (außerdem will ich, dass er sie findet und kein ANDERER!!!)
Oh, oh... langsam kommen sie ja doch noch dahinter! Heyheyhey... aber was will diese Esra denn von Ihr? Was bringt Ihr das denn???
Okay, also wenn sie selbst anwesend ist, kann sie ja schlecht noch Etienne irgendwie beherbergen, oder?
Wie süß! Plötzlich sind alle so knuffig und drohen ihr! So toll, was Siamun sagt! Ich könnt ihn echt knuddeln^^
OI! ALOS? Gut, damit hatte ich jetzt wirklich nicht gerechnet, aber er passt ganz gut in das Bild, das du ihm gegeben hast...
Ich finds ja ganz toll, dass sie sich wehren will, aber ich finds nicht gut, dass es nichts hilft -.-
Der Kerl ist echt widerlich! Aber das mit dem auf die Zunge beißen kommt mir recht bekannt vor ^^ Geklaut? XD
Oh und da kommt schon der Ritter in der glänzenden Rüstung, wenn ich da einmal zittieren darf^^ Sehr schön, dass er durchdreht, gefällt mir, Daumen hoch!!!
Ja, kümmer dich mal um deine Angebetete!^^ Hach, so süß... Ich bin am schmachten und sabbern und gleichzeitig so am feiern...
Und ja... Schau mir in die Augen, Kleines.. Wo hab ich das nur das letzte mal gehört???
Und dieses Versprechen... Ich freu mich drauf!!!
Von:  shinichi_san
2011-09-13T08:36:37+00:00 13.09.2011 10:36
Moin moin!
Es ist da!!!!*freu*
Pizza!!!Will ich auch, ich hab so Hunger... Und Pfannkuchen XD Ich find es toll, wie du das alles beschreibst!
Und ich mag Siamun! Und ich mag ihre Fähigkeiten... Und ich fands echt cool, wie sie die Männer platt gemacht hatte.
Ich will nicht, dass Malika und Siamun heiraten. Nein, das will ich nicht!!! Nein, nein, nein!!!
Und ja, der Prinz soll ihr ein Leckerli geben, wäre sicherlich ein tolles, knuffiges Bild^^
Den Leibwächter finde ich auch ganz toll!!! Vorallem, dass das andere Mädchen auf ihn steht lol
Okay, sie ist mal wieder verschwunden! Herzlichen Glückwunsch, Etienne! Aber die anderen werden sie schon wieder finden, dessen bin ich ich mir absolut sicher!!!
Schreib bald weiter!
hdl


Zurück