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Far Away

von

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26

Mit einem Stöhnen fuhr ich mir durch die Haare. Dieser Senat konnte einem so dermaßen auf den Keks gehen, das ging auf keine Kuhhaut.

„Warum so niedergeschlagen?“ trällerte Rhia und wirbelte so gutgelaunt durchs Zimmer, dass ich ihr am liebsten ein Bein gestellt hätte. Warum musste sie so fröhlich sein, wenn ich so schlechte Laune hatte?

„Der Senat hat meinen Vorschlag rigoros abgelehnt!“ ich ließ meinen Kopf mit einem weiteren Seufzer auf den Tisch fallen.

„Ach, das wird schon!“ sie stellte einen Krug mit Saft vor mir ab und drehte eine weitere Pirouette.

„Lach lieber und freu dich mit mir!“

„Hast wohl gute Laune Flocken gefrühstückt, was?“ fragte ich sarkastisch.

„Nö, ich bin bloß schwanger!“ mein Kopf schnellte von Tisch hoch, als hätte mir jemand einen elektrischen Schlag verpasst.

„Wie schwanger? Schwanger im Sinne von: du kriegst ein Baby?“ Rhia blickte mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

„Natürlich kriege ich ein Baby! Oder kennst du noch eine andere Art von Schwangerschaft?“

Eine Antwort erhielt sie nie, denn ich sprang kreischend auf und fiel ihr um den Hals, meine schlechte Laune war vergessen.

„Oh mein Gott! Ich freue mich so für euch! Weißt du schon was es wird? Ach was, blöde Frage. Hast du es schon Horace erzählt?“ die Worte sprudelten nur so aus mir heraus, ich hatte nicht gewusst, dass ich so aufgeregt sein würde.

Siamun und Horace hörten mein Gekreische in Nebenzimmer und lachten in sich hinein.

„Das scheint ihre Laune ja beträchtlich gebessert zu haben, sie seit drei Tagen schaut sie wie sieben Tage Regenwetter!“ bei diesen Worten musste mein Leibwächter lachen.

„Stimmt! Das diese Trottel von Beraterstab aber auch so taktlos sein mussten…“

„Kannst du ihr nicht helfen?“ fragte Horace seinen besten Freund.

„Ich würde gerne, aber wenn ich mich einmische wird das mehr schaden als nutzen, das habe ich auch Etienne schon erklärt.“

„Kannst du mir nicht wenigstens einen Tipp geben?“ fragte ich und lehnte mich an den Türrahmen.

„So schlecht war meine Idee doch gar nicht, oder?“ ich setzte meinen Hundeblick auf und siehe da, was meinen Vater so oft zum Schmelzen gebracht hatte wirkte auch bei meinem hoffentlich bald Verlobten.

„Na gut!“ er strich sich das schulterlange Haar aus dem Gesicht und ich fragte mich kurz, warum er es auch bei dieser Affenhitze offen trug.

„Deine Idee an sich ist nicht schlecht, aber du musst bessere Argumente finden. Ansonsten wirst du niemanden überzeugen. Und wie Neriman immer sagt: selbstsicheres Auftreten ist der halbe Weg zum Ziel!“

„Okay, Selbstbewusstsein und Totschlagargumente, wenn es weiter nichts ist…“

Mitten in der Nacht fuhr ich plötzlich aus dem Schlaf hoch.

„Ich hab es!“

„Das ist ja toll!“ grummelte mein schläfriger Bettnachbar.

„Können wir jetzt weiter schlafen?“

„Sorry!“ ich kuschelte mich wieder an ihn und lauschte seinem regelmäßigen Herzschlag, bis ich wieder einschlief.

Zwei Tage später war mein nächster Termin beim Beraterstab. Unruhig tigerte ich in meinem Zimmer auf und ab.

Meine Ideen waren gut, die Argumente überzeugend, warum war ich also so aufgeregt? Ich trabte noch eine Runde durchs Zimmer.

Was machte ich mir eigentlich vor? Es waren die abwertenden Blicke der meisten Senatoren gewesen, die mir jedes bisschen Selbstbewusstsein geraubt hatten.

Im Gegensatz zu den anderen Adeligen, die sich über mich bei Siamun einschleimen wollten, hatten sie das nicht nötig und das ließen sie mich deutlich spüren.

Ich blieb vor meinem Spiegel stehen und musterte mein Abbild mit zusammengekniffenen Augenbrauen.

Mein Kleid war einfach, ohne Verzierungen oder Schmuck und mit meinem Pferdeschwanz im Nacken und dem ungeschminkten Gesicht sah ich jung und unerfahren aus.

Kein Wunder nahm mich niemand ernst! Wenn ich diese Männer überzeugen wollte, musste ich ihnen als Gleichwertig gegenübertreten, nicht als ehemalige Küchenmagd!

Mit diesem Gedanken stürmte ich zu meinem Ankleidezimmer, riss die Tür auf und das erstbeste Galakleid vom Regal, während ich lauthals nach Rhia schrie.

Sie kam in dem Moment zur Tür herein, als ich gerade die breite Schnalle um meine Taille schloss, die das Kleid zusammenhielt.

„Was ist denn los?“ meine Freundin blickte erstaunt drein, schließlich mochte ich diese formellen Flatterkleider nicht besonders, da ich mir in ihnen so verkleidet vorkam.

„Kannst du mir beim Schminken helfen?“ fragte ich während ich mich durch meine Schmuckschatulle wühlte, bis ich eine Haarspange fand, die mir gefiel.

Silber wäre mir zwar lieber gewesen als Gold, aber ich wollte ja schließlich ein paar versnobte Adelige überzeugen, da musste man schon andere Register auffahren.

Mit diesem Gedanken drückte ich Rhia die Spange in die Hand, setzte mich auf den Stuhl an meinem Schminktisch und begann, mir die Bürste durchs Haar zu ziehen, welche mir prompt abgenommen wurde.

„Was bewirkt den diesen plötzlichen Sinneswandel?“

„Feuer bekämpft man am besten mit Feuer und gegen arrogante Snobs kommt man am besten an, wenn man selbst einer ist! Außerdem kann ich als Königin ja schlecht in den Klamotten eines Küchenmädchens herumlaufen, also dachte ich, dass ich mich besser gleich daran gewöhnen sollte.“

Zehn Minuten später war mein Haar zu einem eleganten Knoten im Nacken zusammengefasst und meine Augen mit Kajal bearbeitet worden.

Ich war zwar keine Schönheit, sah jetzt aber immerhin etwas älter aus. Dann konnte die Show ja losgehen!

Der Unterschied wurde schon beim Betreten des Raumes sichtbar. Die Blicke schwankten jetzt auf der Skala von abwertend über fassungslos bis hin zu erfreut.

Am unteren Ende des Tisches blieb ich stehen und räusperte mich.

„Meine Herren, da mein Vorschlag zur Lösung des Steuerproblems auf so viel Widerstand gestoßen ist, habe ich ihn noch einmal gründlich durchdacht und überarbeitet!“

„Soll das heißen, wir bekommen noch einmal denselben Vorschlag, nur anders formuliert? Dann hätten wir uns dieses Treffen ja sparen können!“ Das war natürlich Erjon, wer sonst?

Ich widerstand dem Drang die Augen zu verdrehen. Mit dieser Reaktion hatte ich zum Glück gerechnet und daher eine Antwort parat.

„Könnten Sie mir vielleicht erst einmal zuhören, bevor Sie anfangen dagegen zu wettern? Oder wollten Sie mir durch die Blume mitteilen, dass mein Plan abgelehnt wird, egal wie gut er ist?“

Das verschlug dem Vorsitzenden kurz die Sprache und ich nutze die Gelegenheit um weiter zu machen. Siamuns aufmunterndes Nicken stärkte mir den Rücken.

„Wie Sie wissen, habe ich einige Zeit bei den Bürgern dieser Stadt verbracht. Daher weiß ich, dass die meisten ihre Steuern zahlen würden, wenn sie könnten.“

Ich ließ den Blick über den Tisch schweifen. Alle hörten zu. Sehr gut.

„Das Problem ist schlicht und ergreifend, dass insbesondere die Bauern nicht genügend ernten konnten um ihre Steuerabgaben zu zahlen, erneut auszusähen und sich und ihre Familien zu ernähren.“

Im Saal herrschte inzwischen Totenstille, nicht einmal Erjon sagte etwas.

„Wie ich das sehe haben wir drei Möglichkeiten. Die erste wäre, dass wir auf das Geld und die Nahrungsmittel bestehen. Das hätte allerdings zur Folge, dass die Menschen wählen müssten zwischen verhungern oder einer noch geringeren Ernte im nächsten Jahr. Ich denke wir sind uns alle einig, dass uns das keinen Schritt weiter bringt. In spätestens einem Jahr säßen wir wieder hier.“

Zustimmendes Gemurmel und vereinzeltes Kopfnicken.

„Die zweite Möglichkeit wäre die Steuern für dieses Jahr einfach um etwa zwei Drittel zu senken. Ich habe mich erkundigt: in den Vorratsspeichern sind genügend Lebensmittel eingelagert um auch mit geringeren Einnahmen sämtliche Adelsfamilien zu ernähren, ohne dass jemand hungern müsste.

Möglichkeit drei: der volle Steuersatz wird eingezogen und wir öffnen die Speicher um den Inhalt an die Bürger zu verteilen. Das ist in meinen Augen aber nur eine wesentlich arbeitsreichere Variante von Möglichkeit zwei.“

Ich schwieg und blickte die Männer erwartungsvoll an. Tamer war der erste der reagierte.

„Im Grunde hat sie Recht. Mit allem anderen würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden!“

Juhuu, genau darauf hatte ich hinausgewollt. Und da es von einem Senatsmitglied ausgesprochen wurde, konnte keiner groß etwas dagegen sagen. Noch nicht einmal Mr. Spitznase, der mit unglücklichem Gesichtsausdruck auf seiner Unterlippe herumkaute, während ein Kollege nach dem anderen seine Zustimmung gab.

„Dann ist es jetzt beschlossen! Die Steuern werden dieses Jahr um zwei Drittel gesenkt!“ mit diesen Worten erhob sich der König, dieses Thema war der letzte Punkt auf der Tagesordnung gewesen.

„Und? Wie habe ich das gemacht?“ ich war in diesem Moment so glücklich, dass es mir vorkam als würde ich über dem Boden schweben. Ich warf sogar einen Blick nach unten um zu überprüfen, ob meine Füße den Boden berührten.

„Das hast du gut gemacht!“ eine große Hand legte sich sanft auf meinen Kopf. Die Wärme der Berührung beruhigte mich etwas. Trotzdem war ich für den Rest des Tages total überdreht.
 

Zwei Wochen später wünschte ich fast ich wäre gescheitert. Diese Hochzeit raubte mir noch den letzten Nerv.

Hofschneider, Gärtner und Goldschmiede wuselten unentwegt um mich herum, beratschlagten über Schnitte, Farben und Blumen ohne sich wirklich um meine Meinung zu kümmern. Ein Teil des Brautschmucks war ja zum Glück schon vorhanden, jetzt musste der Rest nur noch dazu passen.

Irgendwann einigte man sich schließlich darauf, dass man den Stoff für das Kleid leicht bläulich einfärben wollte und dass der Blumenschmuck weiß sein sollte.

Daraufhin fing der Schneider an mich auszumessen, während Sacha sämtliche weißen Blumen aufzählte, die es so gab.

Es war ein einziges heilloses Durcheinander, bei dem ich kaum noch verstand, wer was sagte.

„Brustumfang: siebenundachtzig Zentimeter… Orchideen, Lilien… Taille: einundsiebzig… Margeriten, Gänseblümchen…“ in meinen Kopf wurde alles zu einem riesigen Wortknäul. Unmöglich, da noch irgendetwas zu verstehen.

„RUHE!“ sofort wurde es totenstill im Raum.

„Könnte Ihr Assistent etwas näher kommen? Dann müssten Sie nicht durch den gesamten Raum brüllen!“ meinte ich zu Ayman, der mich entsetzt anblickte.

„Und Sacha? Meine Lieblingsblumen sind Orchideen.“

Daraufhin wurde es zu meiner Freude etwas ruhiger.

Am Abend kam der nächste Schock. Ich wollte mit Rhia in den Garten um nach dieser Tortur etwas frische Luft zu schnappen und stieß gerade schwungvoll die Tür auf, als mich die Wache beinahe zu Tode erschreckte.

„Lady Etienne Allen!“ dieser Ruf wurde ein paarmal wiederholt, bis schließlich jeder wusste, dass ich im Garten war.

Verwirrt zog ich die Brauen hoch.

„Wird das normalerweise nicht nur bei weiblichen Mitgliedern der Königsfamilie gemacht?“

„Du bist mit dem König verlobt, gehörst also schon so gut wie dazu!“

Dieser Brauch war noch aus der Zeit, in der Frauen das Kämpfen nicht gestattet gewesen war. So wussten die Wachen immer, wann sie besonders aufmerksam sein mussten. Auch nachdem das Gesetzt von Siamuns Großvater abgeschafft worden war, hatte sich das Ankündigen hartnäckig gehalten.

„Tja, da werde ich mich wohl dran gewöhnen müssen.“
 

Weitere drei Wochen später war es dann endlich soweit. Nervös kaute ich auf meinem Daumennagel herum, während Rhia es irgendwie schaffte, mein Haar mitsamt weißer Orchideen in eine elegante Hochsteckfrisur zu verwandeln, bei der mir ein paar Strähnen in Gesicht und Nacken fielen, während Neriman an meinen Kleid herumzupfte und meine Armbänder richtig drapierte.

Den letzten Schliff bildete das Collier, das mir meine Schwiegermutter in spe vor etwa zwei Monaten gezeigt hatte.

Während ich mich im Spiegel betrachtete klopfte es an der Türe und Siamun steckte seinen Kopf herein.

„Könnte ich mich kurz mit Etienne unterhalten?“ Da es keinerlei Bräuche gab die es verbaten, die Braut vor der Hochzeit in ihrem Kleid zu sehen hatte keine der beiden Frauen etwas dagegen.

„Ähm… ich… du siehst wunderschön aus!“ ich wurde knallrot.

„Du hast die Anderen bestimmt nicht weggeschickt um mir das zu sagen!“

„…Nein! ...Ich habe die ganzen letzten Wochen über etwas Wichtiges vergessen. Ich habe dich einfach vor den Senat gezerrt und als meine Braut präsentiert…“

Oh mein Gott! Er wollte es sich anders überlegen! Vor lauter Panik biss ich mir auf den Daumen und zuckte bei dieser schmerzhaften Empfindung zusammen.

„…ohne dich zu fragen, ob du auch willst!“ mir fiel die Kinnlade runter.

„Moment mal! Du kommst hier rein und verpasst mir den Schreck meines Lebens, nur um mich nicht mal eine Stunde vor unserer Hochzeit zu fragen, ob ich überhaupt will?“

Siamuns Wangen färbten sich rosa.

„Das... trifft zu, ja!“ ich stieß einen erleichterten Seufzer aus.

„Glaubst du etwa ich wäre hier, wenn ich nicht wollte?“ ich schüttelte sanft den Kopf um meine Frisur nicht zu ruinieren.

„Natürlich will ich!“ ich hatte noch nicht fertig gesprochen, da hatte mich Siamun hochgehoben und wirbelte mit mir einmal um die eigene Achse.

„Ich verspreche dir, den Verlust deiner Familie wirst du nicht bereuen! Ich werde dich verhätscheln und verwöhnen und dich wie eine Prinzessin behandeln!“

Darauf lächelte ich nur.
 

Den Rest des Tages durchlebte ich wie in Trance.

Ich bekam kaum mit, was Banu sagte, was ich antwortete oder was Siamun und ich uns schworen.

Ich bemerkte ebenso wenig das Kitzeln des Pinsels, mit dem Rhia mir Siamuns Namen auf die Brust schrieb, die Glückwünsche der Leute um mich herum oder das Essen nach der Zeremonie. Ich hätte genauso gut auf Papier und Chilischoten herumkauen können.

Erst als wir abends einen Spaziergang durch den Garten machten und die Wachen mich mit „Königin Etienne Terupin“ ankündigten, sank die Wahrheit langsam in mein Bewusstsein.

Ich war verheiratet und Königin. Und das mit gerademal achtzehn Jahren.

In diesem Moment wurde mir noch etwas anderes bewusst: Meine Eltern würden einen Anfall kriegen!



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