Zum Inhalt der Seite

Shortstories

(Kurzgeschichten/Gedichte)
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Seelenspiegel

Er starrte in das Glas vor ihm.

Die Flüssigkeit darin war durchsichtig wie Wasser und spiegelte sein Gesicht.

Leere Augen starrten ihm aus seinem Getränk entgegen.

Seine Hand zitterte.

Schatten lagen auf seinem Gesicht, umspielten seine markanten Züge.

Er konnte den Anblick nicht länger ertragen und stürzte die Flüssigkeit in einem Schluck hinunter.

Das Glas landete mit einem leisen PLONK wieder auf dem Tisch.

Schwindel erfüllte ihn und in seinem Kopf breitete sich eine angenehme Leere aus.

Dieselbe Leere, die eben noch in seinen Augen gestanden hatte.

Wieder starrte er in sein nun leeres Glas.

Er hatte das Gefühl, als sei alle Wärme aus ihm gewichen.

Sein Körper fühlte sich steif und kalt an.

Sein Herz schien immer schwächer zu schlagen.

Kaum noch spürte er dieses warme, glühende, von Lebendigkeit zeugende Pochen in seiner Brust.

Stattdessen fühlte er sich, als habe er Watte im Kopf, die ihm schon zu den Ohren herauskam und seine Glieder waren schwer wie Blei.

Ohne sich weiter Gedanken zu machen, nahm er die Flasche zu seiner rechten und füllte das Glas wieder auf.

Zum zweiten Mal sah er in sein hageres, ausgezehrtes Gesicht.

Der verlorene Schlaf der letzten Tage, hatte deutliche Spuren hinterlassen.

Seine Mundwinkel deuteten mürrisch nach unten und seine Augen waren dunkel und

geschwollen und vor Schwermütigkeit halb geschlossen.

Ein leichter Schauer durchfuhr ihn und plötzlich durchströmte ihn eine gewaltige Hitze, die die Kälte verdrängte.
 

Das Gesicht, das ihm aus dem Glas entgegenblickte ließ ihn vor Hass erzittern.

Wütend packte er das Glas, verschüttete dabei den halben Inhalt und trank den Rest hastig aus, sodass ihm ein kleines Rinnsal zwischen den Lippen entfloh, sein Kinn hinablief und von dort auf sein Hemd tropfte.

Doch das Brennen in ihm wurde nicht weniger. Im Gegenteil:

Das Getränk entfachte ein Feuer von solcher Hitze in ihm, dass er sich krümmte.

Das Gesicht verzerrt und die eine Hand in sein Hemd gekrallt, griff er mit zitternden Fingern abermals nach der Flasche, setzte sie mit zitternden Fingern an die Lippen und nahm einen großen Schluck.

Schlagartig verschwand das Brennen und er sank erschöpft auf seinem Hocker zurück.

Einige Zeit verstrich, in der er seine Umgebung wie durch einen tiefen Nebel wahrnahm.

Um diesem Gefühl der Unwirklichkeit zu entrinnen, wandte er sich wieder seinem Glas zu und schenkte sich erneut von der klaren Flüssigkeit ein und starrte trübsinnig darauf hinab.

Diesmal jedoch war es nicht sein eigenes Gesicht, dass ihm da entgegenblickte.

Es war das Antlitz eines jungen Mädchens.

Nicht älter als fünfzehn. Nur zwei Jahre jünger als er selbst.

Ihre Haut war offenbar zart.

Hell und glatt leuchtete es in seinem Glas und zeigte keine Spur von Falten.

Doch ihr Mund und ihre Augen waren weit aufgerissen und vor Angst verzerrt.

Aus ihrer Nase rann Blut und ihre Haare standen ihr zu Berge.

Es schüttelte ihn, als fürchtete er, das Mädchen könne plötzlich seine Hand ausstrecken und ihn zu sich auf den Grund des Glases ziehen.

Rache üben.

„Ich habe dich nicht getötet“, stammelte er.

„ich sollte es tun, aber ich hab es nicht über mich gebracht, was willst du von mir?“

Das weinende Mädchen starrte ihn aus leuchtend grünen Augen an.

Schon gellte ein Schrei in seinen Ohren.

Während er noch zusammenfuhr und die Hände auf die Ohren presste, legte sich plötzlich grob eine Hand auf seine Schulter und der Schrei erstarb.

„Ich glaub, du hast genug gehabt“, grunzte der Wirt, zerrte ihn von seinem Hocker und führte ihn zum Ausgang.

Dort riss er sich los, drückte dem Mann Geld in die Hand und machte sich taumelnd auf den Heimweg.

Während er versuchte trotz des Schwindelgefühls in seinem Inneren dem Verlauf des Gehwegs zu folgen, bemerkte er den Regen kaum, der sein Gesicht benetzte und seine Kleidung durchnässte. Das Wasser lief ihm über den Körper und schien mit ihm zu verschmelzen.

Sein ohnehin schon glasiger Blick, wurde nun durch den dichten Regen noch stärker eingeschränkt und sein bleischwerer Körper schien mit jedem Regentropfen an Gewicht zuzunehmen. So stürzte er, als er die Straße überquerte und vor lauter Trunkenheit und Müdigkeit den Fuß nicht heben konnte und über den Bordstein stolperte.

Den Aufprall nahm er gar nicht erst wahr, auch nicht den Riss auf seiner Stirn oder das Blut, das ihm ins linke Auge lief.

So blieb er einfach reglos liegen und starrte mit müden Augen in den Regen.

Es mussten Stunden vergangen sein, jedenfalls kam es ihm so vor, als über ihm eine Straßenlaterne plötzlich in grellem Licht erstrahlte.

Er blinzelte und drehte sich mühsam zur Seite um bloß nicht ins hellgelbe Licht blicken zu müssen, das ihn blendete.

So blieb er mit dem Blick an einer Pfütze hängen, die sich neben ihm, unterhalb der Bordsteinkante gebildet hatte.

Sie spiegelte das Licht der Laterne wider und war jetzt, da der Regen verebbt war, glatt wie ein Spiegel. Er setzte sich auf und bereute jäh sein kleines Päuschen auf dem harten Stein.

Seine Glieder waren nun eiskalt und ganz steif geworden.

Es kostete ihn einige Mühen sich aufrecht hinzusetzen.

Mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt ließ er den Blick über seine Umgebung schweifen.

Die Straße lag leer und still vor ihm.

Nicht einmal eine streunende Katze war in der Nähe.

Eine unheimliche Stille umfing ihn und er fragte sich, wie spät es wohl war.

Da endlich sah er hinab auf die Pfütze vor ihm, die noch immer unberührt dalag.

In dem Wasser blickte er abermals in das Gesicht des Mädchens.

Diesmal lächelte es.

Seine dunkelblonden Haare lagen glatt und ordentlich an seinem Kopf.

Ihre grünen Augen strahlten freundlich und es sprangen goldene Sprenkel darin.

Er blickte sich um, ob das Mädchen hinter ihm sei. Doch da war niemand.

Er wandte sich wieder der Pfütze zu und erkannte, dass er kein Spiegelbild hatte.

Nur das Gesicht des Mädchens lächelte ihm aufmunternd zu.

Er beugte sich vor, langsam, um das Bild genauer zu betrachten.

Je näher er der Wasseroberfläche kam, desto mehr veränderte sich das Bild darauf.

Das Lächeln des Mädchens schwand zusehends. Darauf erschien Überraschung darauf und schließlich – als seine Nase das Wasser fast berührte – riss es den Mund weit auf zu einem stummen Schrei.

Er zuckte zurück und im gleichen Moment veränderte sich das Bild.

Ein anderes Gesicht erschien.

Sein eigenes und dahinter – es war das eines Mannes in mittlerem Alter. Schwarzes Haar fiel ihm in die Stirn, in seinen hellblauen Augen stand ein Lächeln und sein Kinn war bedeckt mit einem zarten Bart. Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter, legte den Kopf schief und nickte ihm freundlich zu.

Bei der Berührung zuckte Ryan zusammen und tastete nach der Hand des Mannes, die noch immer auf seiner Schulter ruhte.

Doch da war nichts.

Nur der Stoff seines feuchten Hemdes unter seinen steifen Fingern und da spürte er auch endlich wie kalt es war.

Verwirrt blickte er noch einmal die Straße auf und ab, dann erhob er sich mit einem Frösteln und lief dann mit schweren Schritten in Richtung zu Hause.

In der Pfütze zurück blieb das Spiegelbild des Lichtkegels über ihr.

Allein und verlassen in der Dunkelheit.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Thuja
2012-06-02T19:27:32+00:00 02.06.2012 21:27
Ausdrucksstark und bewegend
Danke, dass ich so etwas Tolles lesen durfte
Ausdruck: 1+++++++++++++++++
Inhalt 1++++++++++++++++++++++++++++
Absolute Bestnoten für diese tolle Geschichte
sehr bildhaft hast du alles be- und geschrieben
Er wollte seine Sorgen in Alkohol ertränken. Aber geholfen hat es nicht. Immer wieder sah er dieses Madchen, diejenige, die er töten sollte. In dee Flüssigkeiten sieht er den Spiegel seiner Seele, das, was in ihm vorgeht und ihn beschäftigt
Ein treffender Titel



Zurück