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Der Schülerlotse

von

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„Gratuliere, Frederic!“ Der Angesprochene sah mit einem Stirnrunzeln an sich herab und betrachtete seine neue Uniform, zu der ihm sein Ausbilder gratulierte. Über seiner weißen Tunika trug der junge Engel eine gelbe Leuchtweste und auch zwischen den Federn seiner Flügel waren Leuchtstreifen angebracht. Mit einem Lächeln drückte Ralf, Oberausbilder des Schutzengelcorps, seinem Schüler eine rote Warnkelle in die Hand, auf der groß „Achtung!“ stand. „Nun bist du offiziell ein Schutzengel!“

Frederic hob die Schwingen, als wollte er mit den Achseln zucken, und verzog das Gesicht in einer Mischung aus Ekel und Skepsis. „Muss dieser Aufzug wirklich sein?“, fragte er und sein Gegenüber musste lachen.

„Seit Jahren ist das Schutzengelcorps stolz auf die Uniformen, die wir alle tragen.“ Ralf setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wies den jungen Engel mit einer Handbewegung an, sich ihm gegenüber hinzusetzen. „Nun, Frederic, du weißt, was auf dich zukommt. Während deiner Ausbildung durftest du bereits einige Leute schützen, doch ab heute bist du ganz auf dich alleine gestellt. Heute kriegst du deinen eigenen Schützling, ich hoffe, du weißt, welche Verantwortung damit auf deinen Schultern liegt.“ Innerlich seufzte Ralf, als er sah, wie der Engel gelassen mit den Schultern zuckte, aber er schob seine Zweifel beiseite. Vielleicht täuschte er sich ja mit seiner Annahme … „Sieh es als eine Art letzter Test an“, sagte er schließlich und überreichte Frederic einen weißen Umschlag. „Und denk immer daran, was du in deiner Ausbildung gelernt hast. Du wirst es brauchen.“

Frederic, der die ganze Unterhaltung über eher desinteressiert aus dem Fenster gesehen hatte, nahm den Umschlag entgegen und richtete sich auf. „Ja wohl, Oberausbilder!“, sagte er, mehr aus Gewohnheit als dass er wirklich mit Ralf übereinstimmte, und verließ dann das Zimmer.

Diesmal seufzte Ralf laut, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Er hatte den Jungen durch die Ausbildung begleitet und er hatte eine große Begabung entwickelt. Eigentlich war er zu gut für den Schutzengelcorps, das wusste der Oberausbilder, aber das wusste Frederic auch. Und eben da lag das Problem. Ihm fehlte jeglicher Respekt vor dieser einfachen, aber nichtsdestotrotz verantwortungsvollen Arbeit. Deswegen hatte man ihn nicht sofort aufsteigen lassen, sondern ihn im Corps behalten. Und ihm zusätzlich noch einen schwierigen Schützling gegeben. Das würde ihm hoffentlich den nötigen Respekt einflößen, doch es konnte auch nach hinten losgehen … Es blieb Ralf nichts anderes übrig, als das Beste zu hoffen.
 

Frederic schlenderte eine Weile über die Wolken und brachte genügend Abstand zwischen sich und das Büro des Oberausbilders. Dann setzte er sich an den Rand einer Wolke, ließ die Beine baumeln und öffnete den Umschlag. Darin befand sich ein Papier, auf dem eine Reihe Zahlen stand und darunter der Name Rebecca. Kurz sah der Engel auf die Erde herab, kniff dabei die Augen zusammen, als würde er etwas suchen, bis er schließlich wieder aufsah. Mit einem resignierenden Seufzer hob er die Warnkelle, streckte den rechten Arm aus und war im nächsten Moment von der Wolke gesprungen.

Mit einer geschmeidigen Bewegung landete Frederic in einem irdischen Zimmer, steckte seine Kelle weg und sah sich um. Das Zimmer war leer; Rebecca selbst war nicht da und auch die spärlichen Gegenstände sagten nicht viel über sie aus. Sie musste Tänzerin sein, denn auf der Kommode standen einige Trophäen. Ansonsten ließ sich nichts über seinen Schützling erahnen. Doch gerade, als der Engel durch die Türe gehen wollte, um seinen Schützling zu suchen, wurde sie mit einem Knall aufgestoßen und ein junges Mädchen stürmte hinein. Sie packte die Sporttasche, die auf ihrem ungemachten Bett lag, und sprach dabei ununterbrochen mit irgendjemandem am Telefon. Als sie durch Frederic hindurch trat, hielt sie einen Moment inne, fast so als hätte sie ihn gespürt, doch dann schüttelte sie sich nur kaum merklich und verließ das Zimmer wieder. Noch bevor sie die Türe zu donnern konnte, schlüpfte der junge Schutzengel hinter ihr durch und folgte ihr durch das Haus.

Sie war neunzehn, das hatte Frederic aus dem Zahlenstrang entnehmen können; das und der Name waren die einzigen Informationen, die er bekommen hatte. Den Rest sollte er selbst herausfinden, zu seinem Unverständnis. Warum sollte man groß etwas über seinen Schützling erfahren, wenn man sowieso keine persönliche Beziehung zu ihm aufbauen sollte? So sinnlos es ihm auf vorkommen mag, er wusste, dass Ralf ein Auge auf ihn haben würde, deshalb tat er, wie ihm aufgetragen wurde, und sah sich gründlich um, während er Rebecca folgte.

Da er weder auf den Fotos, die an der Wand hingen, noch im Esszimmer, in dem ihre Eltern saßen, irgendwelche anderen Kinder entdecken konnte, schloss Frederic, dass sie ein Einzelkind war. Ihr Vater trug einen Anzug und ihre Mutter ein Kostüm, also machten beide Elternteile Karriere, was wahrscheinlich bedeutete, dass Rebecca viel Zeit alleine verbrachte. Sie verabschiedete sich nur mit einem knappen Winken von den beiden, dann ging sie durch eine Türe in die Garage, schloss Kopfhörer an ihr Telefon an, und schwang sich auf den Sattel eines violetten Fahrrads. Mit einem Knopfdruck öffnete sich das Garagentor und ohne einen Blick nach links oder rechts zu werfen, raste das Mädchen aus der Ausfahrt auf die befahrene Straße.

Frederic musste sich beeilen, damit er mit seiner Schutzbefohlenen Schritt halten konnte, und er bestaunte dabei die Rücksichtslosigkeit, mit der sich Rebecca durch den Verkehr arbeitete. Sie schien davon überzeugt zu sein, dass sie zu gut für Regeln und dergleichen war …

Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Engels, als er seine eigenen Gedanken hörte. Wenn die Arbeit schon nicht anspruchsvoll war, dann würde sie vielleicht wenigstens amüsant werden. Es kam ganz darauf an, wie sehr sich das Mädchen zu seinem Gefallen entwickelte.
 

„Nein, das werde ich sicher nicht tun“, sagte Rebecca und verzog dabei das Gesicht. „Ich bin mitten in der Vorbereitung für das große Vortanzen in Lausanne, ich habe keine Zeit, um ein paar Kindern bei ihrer Aufführung zu helfen.“ Eine Weile lang war sie still, schien ihrem Gesprächspartner zuzuhören, als plötzlich eine weiße Katze vor ihre Füße sprang und sie zum Anhalten zwang. Etwas irritiert blieb sie stehen und betrachtete die Katze eingehend- wieder einmal. Das war jetzt schon einige Male passiert, dass diese Katze in ihren Weg gesprungen war. Das erste Mal hatte sich Rebecca fürchterlich erschreckt, doch inzwischen war sie eher argwöhnisch. Was war das bitte für ein seltsames Tier?

Das Mädchen wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein Auto viel zu schnell an ihr vorbei rauschte, dabei das Stopschild übersah und die anderen Autos auf der Kreuzung hupend auf die Bremsen traten. „Wie bitte? Nein, mir ist nichts passiert, so ein Idiot hat beim Stopschild nicht angehalten und hätte fast einen Unfall verursacht. Hör zu, ich ruf dich zurück, ich muss jetzt wirklich los.“ Ohne ein weiteres Wort legte Rebecca auf und sah wieder die Katze an, bevor ihr Blick auf die Straße vor ihr fiel. Sie war nur einige Meter vor dem Zebrastreifen und der Autofahrer eben schien genau so abgelenkt gewesen zu sein wie sie. Ob er sie selber genauso wie das Stopschild übersehen hätte? Dem Mädchen fröstelte es einen Moment lang, als sie daran dachte, was hätte passieren können, bis sie spürte, wie sich die Katze an ihre Füße schmiegte.

„Dankeschön, mein Kleiner“, murmelte sie und streichelte den Kopf der Katze, die glücklich miaute, bevor sie wieder in der Böschung verschwand, aus der sie aufgetaucht war. Schon seltsam … Rebecca wusste, das ein Schutzengel über sie wachte, schon seit sie ein kleines Kind war. So weit sie zurück denken konnte, war ihr nie etwas Schlimmes passiert, nicht mal ein Kratzer, und das nur, weil ihre Mutter ihr damals diese kleine Engelsstatue geschenkt hatte, mit dem Versprechen, dass sie immer auf sie aufpassen würde. Aber als Katze hatte sie ihn noch nie gesehen … Mit einem Schulterzucken tat sie den Gedanken ab und überquerte mit einem kurzen Blick zur Seite die Straße.

Frederic kicherte leise, gab eine Sekunde lang dem Impuls nach, seinen eigenen Schwanz zu jagen, bevor er wieder seine Engelsgestalt einnahm und sich den Staub vom Gewand klopfte. Sie wusste also von ihm, das war ein schönes Gefühl, wie er zugeben musste. Inzwischen glaubte er auch, Ralf völlig durchschaut zu haben. Rebecca war ein schwieriger Fall, sie war sehr unvorsichtig und leichtsinnig, aber er konnte ihr Verhalten verstehen; mehr noch, wäre er das an ihrer Stelle, würde er genau so handeln. Der Oberausbilder würde staunen, wenn er sehen würde, was für ausgezeichnete Arbeit er leistete, obwohl er viel zu qualifiziert für diesen Job war. Immerhin hatte er jetzt doch den nötigen Anreiz bekommen: Er mochte Rebecca, das war mal ein guter Anfang, Regel hin oder her. Es konnte ja nicht allzu gefährlich sein, deren Grenzen auszutesten.
 

Im Himmel indes schüttelte Ralf leicht den Kopf, anstatt sich wie sein Schüler meinte, über seine Mühe zu freuen. Er hatte ihn über einen Monitor beobachtet, der langsam wieder in seinem Schreibtisch verschwand, als er auf einen Knopf drückte. Hinter ihm räusperte sich jemand leise und Ralf musste ein Seufzen unterdrücken. „Ihr wisst, dass er zu viele Regeln übergeht und nicht nachdenkt, Ralf. Langsam wird es gefährlich …“, sagte einer seiner Ausbilder und der Engel konnte nur nicken, wenn auch widerwillig.

„Ich weiß, aber ich kann nichts tun, diese Erfahrung muss er selbst machen, sonst wird er es nie lernen. Und du weißt genau so gut wie ich, dass er es lernen muss. Auch wenn er gerade sehr falsch unterwegs ist, habe ich noch Hoffnung, dass er sich eines Besseren besinnt.“

„Ihr wart schon immer ein optimistischer Mann“, sagte der Engel und Ralf antwortete ihm mit einem traurigen Lächeln.

„Gebt ihm noch zweiundsiebzig Stunden, dann könnt ihr sie haben“, sagte er und sah an dem Engel vorbei auf eine in schwarz gehüllte Gestalt, die voller Ungeduld mit den Fingern auf die Sanduhr trommelte, die sie in der Hand hielt. Schließlich nickte sie und verschwand mit einem unheilvollen Rauschen aus dem Büro, während sich der Oberausbilder ans Fenster stellte und seinen sorgenvollen Blick über die Erde gleiten ließ, die sich blau unter ihm erstreckte.
 

Er hatte einen Augenblick nicht aufgepasst, nur einen Augenblick, doch genau der schien alles aus dem Fugen zu werfen. Rebecca war gerade bei den Proben zu einem wichtigen Vortanzen. Was genau es war, wusste Frederic nicht, er wusste nur, dass es für sie sehr wichtig war. Doch auf den ersten Blick hatte der Engel keine lebensbedrohlichen Gefahren ausmachen können, also hatte er seine Wachsamkeit schleifen lassen- bis zu genau diesem Moment. Er spürte noch ehe er sah, wie das Mädchen ausrutschte und mit dem Nacken gegen die Stützstange, die an jeder Seite des Raums befestigt war, zu prallen drohte. Eine Sekunde lang überschlug er die Zahlen in seinem Kopf- durfte er überhaupt eingreifen?- doch dann entschied er, sich über die Regeln hinweg zu setzen. Wenn er es nicht tat würde sie ihren Nacken schwer verletzen, oder sogar sterben. Panik kam in Frederic auf, als er merkte, dass es fast zu spät war und er improvisieren musste. Rasch löste er seine Gestalt auf und verwandelte sich in einen Windstoß, der Rebecca so heftig traf, dass sie zur Seite geschleudert wurde, weg von der Stange.

Es krachte laut, als das Mädchen mit einem Aufschrei auf dem Boden aufkam. Sie wand sich vor Schmerzen und griff sich an den Fuß. Ihre Trainerin kam schnell zu ihr geeilt und sah ihn sich besorgt an. „Rebecca, ich habe dir tausend Mal gesagt, du kannst das so nicht machen, sonst passiert eben genau das! Du hast noch einmal Glück gehabt, dass du dir nicht den Kopf angeschlagen hast, wer weiß, was da hätte schief laufen können.“ Sie zwang das Mädchen, ihre Hand von ihrem Knöchel zu nehmen und betrachtete ihn kritisch. Er war geschwollen, zu stark, als dass es nichts Ernstes sein konnte … Rebecca spürte, wie ihr Herz sich zusammen zog, als ihre Trainerin ihren Blick auf sie richtete, mit einem Bedauern in den Augen, das nur eines bedeuten konnte.

„Geht schon …“, sagte sie und noch bevor ihre Trainerin sie davon abhalten konnte, sprang sie auf die Beine und versuchte erfolglos einen Schritt zu gehen. Sofort knickte sie wieder zusammen und schrie erneut unter Schmerzen.

„Wir müssen dich sofort ins Krankenhaus bringen“, sagte die Trainerin neben ihr, doch Rebecca vernahm sie kaum. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, als vor ihren Augen ihre ganzen Träume zerbrachen.
 

„Mein Leben ist vorbei!“, schrie Rebecca, als ihre Mutter an der Tür erschien, um ihr etwas zu essen anzubieten, und in einer hellen Wut packte sie die weiße Engelsstatue, die auf ihrem Nachttisch stand und schleuderte sie an die Wand neben der Türe. Sie zerbarst in tausend Stücke und Rebeccas Mutter sah einen Moment schockiert zu den Scherben, bevor sie das Zimmer wortlos verließ. „Du hast dein Versprechen gebrochen …“, murmelte sie leise und Frederic lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, als sie in das Eck starrte, in dem er stand. Zwar wusste er, dass sie ihn nicht sehen konnte, dennoch brannte ihr Blick wie Feuer. Das habe ich nicht!, wollte er rufen, doch stattdessen starrte er die Scherben auf dem Boden an. Es wäre schlimmer gekommen … Sie sollte froh sein, dass es nur der Fuß war und nicht das Genick! Er, Frederic, hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen! Und trotzdem wand er sich unter dem anklagenden Blick, den sie ihm schenkte.

„Du hast mich im Stich gelassen“, murmelte sie wieder und Frederic schüttelte den Kopf. Das war nicht fair, er konnte ihr doch gar nicht erklären, wie es wirklich war, dieses Mädchen nahm einfach an, dass er ihr etwas Schlimmes wollte.

„Du hast mich verraten …“

„Das habe ich nicht!“ Aus einem Impuls, den die Kränkung ihrer Worte gebar, machte sich der Engel vor den Augen seiner Schutzbefohlenen sichtbar. Er hatte diesen Blick nicht mehr ertragen können. „Hättest du dir nicht den Fuß gebrochen, wärst du gestorben. Ich habe dich gerettet!“

Schockiert starrte das Mädchen Frederic an und er sah in ihrer Miene, dass sie einen Moment lang an dem zweifelte, was sie sah. Doch dann trat wieder der Vorwurf in ihre Augen. „Ich wäre lieber gestorben, als dieses Vortanzen zu verpassen“, sagte sie mit einer Bitterkeit und vor allem einem Ernst, den Frederic viel mehr traf, als er zugeben wollte. „Das war die Chance meines Lebens, an einer namhaften Tanzschule aufgenommen zu werden!“ Verwirrt sah der Engel Rebecca an und ihr dämmerte, dass er kein Wort von dem verstand, was sie sagte. „Verstehe, du hattest nie eine Leidenschaft, für die du lieber sterben würdest“, sagte sie leise und ihr Blick wurde dabei keine Spur sanfter. „Und ich würde es bevorzugen, wenn du mich jetzt alleine lässt.“

Wenn Frederic vorher das Gefühl hatte, dass ihm die Situation entglitt, dann wusste er jetzt, was es wirklich hieß, die Kontrolle zu verlieren. Eine Sekunde zu spät bemerkte er, dass eine Regel zu viel gebrochen hatte, als ein dunkler Schatten hinter dem Mädchen auftauchte mit einer Sanduhr in der Hand, die unerbitterlich zu ihrem Ende rann. Gleichzeitig mit dem Erscheinen dieses Boten spürte er auch einen Ruf von oben und er warf noch einen letzten Blick auf Rebecca, die demonstrativ in eine andere Richtung starrte, bevor er verblasste und schließlich verschwand.
 

Fassungslos schüttelte Ralf den Kopf. Frederic saß ihm gegenüber zusammen gesunken im Stuhl und hatte noch einmal im Detail beschrieben, was er selbst schon von oben aus beobachten konnte. „Du hast das Schicksal dieses jungen Mädchens besiegelt, Frederic“, sagte er schließlich und auch wenn der junge Engel es bereits wusste, waren die Worte seines Ausbilders wie ein Messerstich. „Du hast dich gegen fast jede Regel widersetzt, die du als Schutzengel hast. Und nicht nur Regelbrüche hast du begangen, du hast auch das Gesetz gebrochen! Hast du denn nur eine Sekunde lang nachgedacht?“ Ralf besah den Jüngeren mit einem strengen Blick und fuhr mit einem Seufzen fort, als dieser nichts sagte. „Wir wahren Distanz zu unseren Schutzbefohlenen, damit eben so etwas nicht passiert, es ist nie gut, zu viele Gefühle für einen Schützling zu entwickeln. Das trübt dein Urteilsvermögen und du triffst dumme Entscheidungen. Entscheidungen, die du später bereuen wirst.“ Wieder machte er eine Pause, doch der junge Engel schien noch viel zu schockiert, um sich irgendwie zu rechtfertigen. „Ich werde dir deine Aufgabe als Schutzengel nicht nehmen. Du gehörst weiterhin zum Corps, aber du bist unter strengster Beobachtung. Auf dich kommen zusätzliche Stunden im Unterrichtsraum zu und du wirst nur noch erfahreneren Schutzengeln zur Hand gehen, bis du die nötige Reife erlangt und bewiesen hast, um alleine auf jemanden aufzupassen. Ich bin sehr enttäuscht, Frederic, ich hatte mehr von dir erwartet.“

Ungläubig starrte Frederic zum Oberausbilder. Er wurde nicht entlassen? „Aber …“, begann er, doch Ralf schnitt ihm ungnädig das Wort ab.

„Stellst meine Urteilskraft in Frage, junger Engel?“, donnerte er und Frederic schüttelte sofort den Kopf. „Du hast auf die harte Tour lernen müssen, was es bedeutet, im Corps zu arbeiten, und ich hoffe, du erbringst uns und unsrer Arbeit nun den gebührenden Respekt.“ Er sah seinen Gegenüber an und reichte ihm nach einer langen Pause schließlich seine Warnkelle. „Wenn wir uns nicht an die Regeln halten, verletzen wir unschuldige Menschen, Frederic. Denk immer daran.“

Mit diesen Worten und einer herrischen Handbewegung entließ der Oberausbilder Frederic aus seinem Büro, doch sein Blick schien ihm immernoch zu folgen, nachdem er den Ruam bereits verlassen hatte. Denk immer daran. Wir sind nur die Diener des Herren, es steht uns nicht zu, an seiner Stelle zu entscheiden. Auch wenn es schwer ist …

Auf irgendeiner Ebene schienen diese gedachten Worte Frederic. Denn er hob seufzend den Blick, bevor er ihn reumütig wieder senkte, die Hände vor seiner Brust faltete und leise etwas murmelte. Dann richtete er sich wieder ganz auf und betrat das Klassenzimmer zu seiner Rechten.



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