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Fotos

Momente, die entscheiden.
von

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Gedanken an S.

Manche sagten, sie wäre hübsch. Andere sagten, sie wäre furchtbar hässlich, unattraktiv. Es gab auch Menschen, denen wäre sie gar nicht aufgefallen, hätte sie nicht gerade um Aufmerksamkeit gebettelt mit ihrem tiefen Ausschnitt und der stetig rutschenden Jeans, die freien Blick auf ihren String ließ, wenn sie sich nur ein wenig nach vorne beugte. Sie saß an der Theke, fuhr mit dem Finger über den Rand ihres Weinglases, sodass ein heller Klang zu hören war und sah sich verholen um, wie ein Schwerverbrecher auf der Flucht, der Angst hatte, dass ihm die Polizisten im Nacken saßen. Ungeduldig blickte sie auf ihre Armbanduhr, sah sich wieder um und nippte an ihrem Wein.
 

Schon seit einer Viertelstunde saß sie hier, dabei würde sie ihn erst in zehn Minuten treffen. Eilig hatte sie sich aus dem Haus gestohlen. Zu einer Freundin wollte sie gehen, das hatte sie zumindest ihren Eltern erzählt. Die Lüge fiel ihr nicht schwer, es war nicht die erste. Dabei hatte sie nicht mal Freunde. Nur Bekannte; Scheinfreunde, die über sie lachten, sobald sie ihnen den Rücken zuwandte. In der Schule kursierten viele Gerüchte um sie, in der Klasse galt sie als Schlampe. Den Ruf hatte sie sich schon mit dreizehn Jahren zugezogen, als sie ihre Unschuld an einen Jungen aus der neunten Klasse verloren hatte. Ab da ging es bergab mit ihr. Trennung von ihrem Freund. Mehrere Kurzbeziehungen. Rauchen. Sex. Alkohol. Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ein Kumpel hatte sie hierher gebracht mit der Hoffnung auf eine Gegenleistung. Doch das einzige, was er bekam, war ein kurzer Kuss auf den Mund.
 

Und nun saß sie hier. In der Bar eines kleinen Hotels in einer kleinen Stadt. Nur ein paar Meter weiter oben auf der Straße lag ihre Schule. Am Wochenende brannte dort kein Licht. Sie war jetzt zehnte Klasse. In zwei Jahren machte sie ihr Abitur. Danach wollte sie zum Rettungsdienst gehen. Menschen retten. „Bittere Ironie“, hatte mal ein Mädchen aus ihrer Klasse gesagt, „dass ausgerechnet DIE Menschenleben retten will, wo sie ihr eigenes so kaputt gemacht hat.“ Sie war damals schulterzuckend an dem Mädchen vorbei gegangen und hatte arrogant die Haare zurückgeworfen. Zu Hause hatte sie geweint. Sie dachte, sie wären Freunde gewesen.
 

Sie blickte sich wieder um. Trank den Wein aus. Die zehn Minuten waren um. Er müsste gleich kommen. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie hatte ein wenig Angst. Dann klingelte ihr Handy. Sie holte es aus ihrer Handtasche heraus und blickte auf das Display. Eine SMS. „Tut mir leid, Baby. Es ist was dazwischenzukommen. Ich sehe dich dann nächsten Samstag. Träum süß.“ Erleichtert atmete sie aus. Sie war froh. Der Barkeeper bekam sein Geld und sie verließ das Hotel. Ihr Kumpel würde sie abholen, doch diesmal würde er keinen Kuss bekommen, sondern das Geld für das Benzin. Und morgen würde sie Schluss machen. Sie musste sich dringend Nikotinpflaster besorgen.

Und sie musste Schluss machen. Sie, Stefanie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Schatten_des_Lichts
2010-10-24T16:43:08+00:00 24.10.2010 18:43
Eine wirklich gut Kurzgeschichte, dein Schreibstil gefällt mir, er ist angenehm zu lesen.
Von:  littlpinkunicorn
2010-10-11T08:32:34+00:00 11.10.2010 10:32
Diese Geschichte gefällt mir richtig gut! Da passt alles, von Anfang bis Ende.
Besonders schön find ich die Einleitung und den dritten Abschnitt.
Ich hab nichts zu bemängeln, die Kurzgeschichte ist richtig, richtig gut =)
lG


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