Zum Inhalt der Seite

Thirteen Steps Leading Up to the Gallows

Der Gärtner ist immer der Mörder.
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Step 3

„Was'n hier los?“ Mit vom Wind zerzausten, braunen Haaren brachte ein junger Herr ein wenig Schlamm von draußen auf den dunklen Holzfußboden des Salons. Albrecht konnte es nicht sehen, weil er damit beschäftigt war, den Neuankömmling anzustarren, aber für den Bruchteil einer Sekunde verdüsterte sich Henriettes Blick, bis sie mit dem Kind auf den Armen einige beinahe stolpernde Schritt auf den Mann zutat.
 

„Paul! Ich dachte, du wärst tot! Gott sei Dank hat er dich nicht erwischt.“ Diesmal konnte Albrecht sie nicht hören und kein Urteil darüber abgeben, wie verflucht gelogen jede einzelne Silbe war. Diesmal hing sein Blick auf den blauen, grenzenlos weiten Augen des anderen, und alle Erinnerungen kehrten zurück, die ihn jahrelang gequält und gleichzeitig das Paradies in Aussicht gestellt hatten.
 

Paul. Paul von und zu Albrecht, zweiter Sohn der verarmten Herzogs Gilbert von und zu Albrecht – der Mann, der ihn aus dem Waisenhaus geholt hatte und seinen beiden Söhnen als Spielmaterial überlassen hatte. Das waren die schrecklichsten Jahre in Albrechts Leben gewesen. Er hatte für diese beiden verzogenen, rotzfrechen Bengel den Aufpasser spielen müssen, und für jede Dummheit, die einer von ihnen angestellt hatte – und Paul und Eitel hatte es nie an Ideen zu Dummheiten gemangelt – war er bestraft worden. Zudem hatte er seinen kleinen Bruder im Waisenhaus zurücklassen müssen, und bis heute hatte er nicht herausfinden können, wo Nikolai war – ob er überhaupt noch lebte. Darüber hatte er nie nachdenken wollen. Und dann, als Paul erwachsen geworden war, und als Eitel die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, da hatte man ihn einfach entlassen, hatte ihm die Tür vor der Nase verschlossen und hatte ihm gesagt, dass man ihn nie wieder sehen wollte. Nur Paul hatte eine Gardine zurückgeschoben, und Albrecht hatte sich eingebildet, dass er ihm durch elendig hängende Wimpern bekümmert nachgesehen hatte.
 

Aber das bedeutete heute nichts mehr. Heute war Albrecht Partner des bedeutendsten und erfolgreichsten Detektivs der Hauptstadt. Heute hatte er seine Kindheit hinter sich gelassen; heute war er ein Mann, und auch Paul war ein Mann, und sie begegneten sich auf Augenhöhe. Mit der Ausnahme, dass Albrecht nie darüber hinweggekommen war, dass Paul ihm niemals mit den gleichen Gefühlen entgegengekommen war wie er sie für ihn hegte und pflegte und nicht abtöten konnte, so sehr es sich auch wünschte.
 

Albrecht schluckte, und er ging einen stolpernden Schritt zurück, und dann klammerte er sich an dem erstbesten fest, was er zum Festklammern fand, und das war ganz zufälligerweise der Anzug des Chefbutlers, der ihm daraufhin einen angewiderten Blick zuwarf, aber nicht im Geringsten reagierte, sondern wieder nach vorne starrte. Paul hob abwehrend die Hände, denn Henriette war von der Rolle als besorgte Ehefrau in die Rolle einer ziemlich angesäuerten Ehefrau gewechselt, die ihren Ehemann böse ansah, weil er es gewagt hatte, ihr Sorgen zu bereiten. Dann schien sie sich daran zu erinnern, dass sie ein Gesicht zu wahren hatte, und ging mit stolzen Schritten zurück in die Mitte des Raumes, ihren Gemahl mit einem zuckersüßen Lächeln zu sich winkend.

„Wie es aussieht, ist Otto tot.“

Paul fiel vor Schreck die Zigarre aus den Mundwinkeln, die er aus Gewohnheit immer im Mund trug, ob sie nun angezündet war oder nicht. Sein dünner Schnurrbart, der es im Gegensatz zu den Schnurrbärten von Fritz oder Bernd niemals zu stattlicher Größe geschafft hatte, erzitterte. „Otto? Der kleine Bursche? Warum, was ist denn mit ihm los?“ Überrascht schien Paul erst in diesem Moment zu bemerken, dass irgendetwas seltsam war an der Versammlung der Menschen in diesem Raum, und er blickte alle Anwesenden mit einem misstrauisch-forschenden Blick an.

„Was macht ihr alle hier? Und warum ist hier so ein Dete-“ Augenkontakt zwischen ihm und Albrecht wurde hergestellt, und er verschluckte sich an seiner Sprache. Wiedererkennen glomm in seinen Augen auf, und in einer reflexartigen Reaktion wollte er das Gesicht unter der dünnen, braunen Mütze auf seinem Kopf verstecken, aber er behielt dann doch den Augenkontakt bei.
 

Seine Stimme war rau, kratzig und niemand hätte diese Stimme wiedererkannt, wenn nicht jeder beobachten würde, dass sie aus Pauls Mund stammte. „Du?“ war das einzige, was er sagte, und dann schien er sich gefangen zu haben, und er lächelte und legte eine Hand auf Albrechts Schulter, die innerhalb eines Sekundenbruchteils abgeschüttelt wurde. Albrecht drehte sich weg und ging mit einigen staksenden Schritten an die Seite seines Partners, der von allen vergessen worden war.
 

Daher war ihm Henriette bekannt vorgekommen. Er hatte ihr Gesicht gesehen auf dem Bild, das ihr Vater – ein schwerst neureicher Kaufmann – den Adeligen gesendet hatte in der Hoffnung auf die Vermählung mit einem der beiden Söhne der Familie. Und als die Entscheidung gefallen war, dass Paul sich ihrer würde annehmen müssen, war Wut auf diese Frau in ihm aufgekommen, Wut und schrecklicher Neid, den Albrecht Fontane sich weder erklären konnte noch wollte.
 

„Du weißt doch, dass Maria fort ist. Und nun sind diese beiden Detektive angekommen, und Otto ist tot.“ Henriettes Stimme war kühl. „Also-“

„Was, hä, Otto? Otto der Fischjunge??“ Roland war zu seinem Vater gerannt und hatte die dünnen Arme um das Bein das Mannes geschlungen. „Wie, tot? Tot wie Großmutter?“ Er sah seinen Vater aus hilflosen, großen Augen an, und Paul, noch immer schwer verwirrt von allen Ereignissen, die sich hier überschlugen, konnte nur matt nicken. Roland Griff wurde enger und schmerzhaft. „Aber er ist doch nicht weg!“ Unfähig, dieses Kind zu trösten, das anfing, voller Unverständnis zu weinen, wanderte Pauls Blick von einem zum anderen, bis er bei Albrecht hängen blieb. „Alb-- ka-, kannst du nicht- dass er nicht mehr-“

Bevor Albrecht irgendetwas tun konnte, hatte Henriette seufzend den Kopf geschüttelt und war mit klappernden Schritten auf Paul zugegangen. Sie strich mit einer freien Hand ihrem Sohn über das Haar, und augenblicklich wandte er ihr seine Aufmerksamkeit zu. Pauls Blick lag weiterhin hilflos und überfordert auf Albrecht, dann jedoch schien sich ein Schalter umzulegen und seine Augen erhielten den Glanz, der Albrechts Herz immer davor bewahrt hatte, abzusterben.
 

Der Hausherr entfernte sich von seiner Familie und kam auf die Detektive zu. „Guten Tag, es ist schade, Sie unter solch tragischen Umständen- ach, ist doch auch egal, ich bin Paul, meine Frau und Kinder haben Sie ja schon kennengelernt, und ich war spazieren, wie jeden Tag. Mann, ist der Junge ehrlich tot?“ Dabei ruhte sein Blick stur auf Albrecht, der es nicht wagte, ihn zu erwidern, sondern ein Bild auf der gegenüberliegenden Seite der Wand verschwommen fixierte. Also war Fritz dazu gezwungen, zu reden, und da er nicht reden wollte, erhielt Paul keine Antwort.
 

Er drehte sich um und blickte einen nach dem anderen seine Angestellten an. „Ach kommt schon, als hätte einer von denen Otto umgebracht, das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ rief er aufgebracht aus und ließ sich dann mit überkreuzten Beinen auf einer Chaiselongue nieder.

Erst zu diesem Zeitpunkt sah sich Fritz gezwungen, zu sprechen.
 

„Stehen Sie auf. Auch Sie sind verdächtig.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  moi_seize_ans
2010-09-02T16:06:37+00:00 02.09.2010 18:06
„Wie es aussieht, ist Otto tot.“

Oh man.
Und die Kinder hast du auch gleich mal traumatisiert.
Es ist echt keiner vor die sicher, meine Liebe.

Und natürlich ist auch Paul verdächtig, gerade Paul. Jeder, der mit von Wind zerzausten Haaren einen Raum betriit, hat irgendwas zu verbergen.


Zurück