Zum Inhalt der Seite

James Norrington

Ⅰ. Ankerlichtung
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

I. Fremdsprachen

„Soyez le bienvenu, je suis heureux de vous rencontrer. Comment allez-vous?“

James stand vor dem großen Fremden in dem besten Rock wie ein kleiner Soldat und wartete mit glitzernden Augen auf ein Lob des Admirals. Niemand hatte geahnt, dass die ersten Worte zwischen Vater und Sohn ausgerechnet in Französisch fallen würden. Lawrence Norrington verabscheute die Franzosen, er verabscheute die Spanier und die Holländer ebenso wie alle anderen, die nicht englischer Abstammung waren oder wenigstens in Großbritannien lebten. Er war nicht misanthropisch, als militärischer Befehlshaber einer ganzen Flotte jedoch mochte ein gewisser Nationalismus fast vorausgesetzt sein.

Die Familie und das entbehrliche Hausgesinde hatten sich im Salon zusammengefunden, um den Hausherrn zu empfangen. Alle standen auf, als er nach beinahe zwei Stunden des Wartens im Rahmen der Doppeltür erschien. Die Bediensteten, einschließlich mir, verneigten sich auf ihren Plätzen, dann schritt Lady Elizabeth voran, ihn sehr formal zu empfangen, aber ich spürte das leidenschaftliche Glück, welches sie der Rückkehr ihres Gemahls gegenüber empfand. Anschließend löste sich James aus seiner Position, begab sich bar jeder Schüchternheit, doch mit gehörigem Respekt an jene Stelle, welche seine Mutter ihm frei machte, und entrichtete besagte französische Grüße. Und da standen sie nun. Stille folgte auf die unenglischen ersten Worte, die zumindest mir äußerst unbequem war, niemand rührte sich. James hielt den Blickkontakt, nach welchem er selbst zielstrebig gesucht hatte, aufrecht. Der Lord schien den Buben vor sich ausgiebig zu begutachten, wie er es wohl mit jenen Infanteristen zu tun pflegte, die er auf sein Schiff musterte, um in die nächste Schlacht zu ziehen. Dann erhob er eine Augenbraue. „Er ist ja recht mager. Isst er denn gut?“

Lady Elizabeths Blick wurde scharf. „Was man ihm auftischt.“

„Und bleich ist er. Mag die Sonne wohl nicht gerne sehen.“

„Abda führt ihn jeden Tag eine Stunde spazieren.“

Ein Diener brachte ihm die Tabakrollen, welche er bestellt haben musste, bevor er in das Salonzimmer gekommen war. „Und? Wie macht er sich im Fechten?“

„Lawrence.“ Elizabeths Stimme war eisig.

„Permettez-moi de vous montrer ma chambre.“

Ruhe!“ Der um Aufmerksamkeit Bemühte zuckte zusammen, als Lawrences Blick wie ein Blitz aus dem verfinsterten Himmel auf ihn niederschoss. „Du prahlst mit dem Wissen eines Fünfjährigen, Junge? Hat man dir keine Tugenden gelehrt? Statt mir etwas Sinnvolles zu präsentieren.“

Das war der Augenblick, in dem Lady Elizabeth die Dienerschaft zu gehen anschickte. Auch James, der plötzlich ganz lethargisch dastand, sandte sie fort, er kam dem unverzüglich nach. „Abda“, hielt sie mich zurück, da ich gerade zur Tür hinaus wollte, „du bleibst.“ Ich folgte wider meinen Willen. Natürlich lag es mir fern, Lady Elizabeth allein zu lassen, andererseits wusste ich um die Intensität der Diskussionen zwischen Mister und Misses Norrington und um meine eigene Ohnmacht bezüglich derselben. Mein Einfluss beschränkte sich auf die unsichtbare Stärkung des Muts der stolzen Frau, der das Herz des Admirals gehörte. Um mehr bat sie mich auch nicht.

„Ein wenig sonderbar, der Junge. Er unterhält doch nicht etwa Kontakt mit diesem Gartenarbeiter?“ Der Lord zog kräftig an seiner Zigarre.

„James sieht dich heute zum ersten Mal. Wie konntest du ihm gegenüber derart abweisend sein? Du weißt nicht, wie freudig er den Zeitpunkt dieses Treffens erwartet hat.“

„So?“ Er blies den Rauch hinaus, dass der sein markantes Gesicht bedrohlich umgab, als sei es soeben aus den Schwaden gestiegen und nicht umgekehrt. „Mir scheint, er ist zu überhaupt keiner Gefühlsregung fähig.“

„Von wem mag er das wohl haben…?“, murmelte sie mit einem unüberhörbaren Vorwurf.

„Ich habe dir seine gesamte Erziehung überlassen, Elizabeth. Damit sollte klar sein, wer für sein Verhalten verantwortlich ist.“

„Gerade durch dein Fehlen hast du ihn entscheidend geprägt, Lawrence. Was, erwartest du, kann aus einem Jungen werden, der seinen Vater entbehren muss?“

„Was wird aus einem Jungen, frage ich dich, der seinen Vater nur daheim herumlungern sieht?“ Er zerdrückte den Stummel der Zigarre in seiner bloßen Hand. Die knochige Faust, aus dem breiten Aufschlag des Admiralrocks herauslugend, war mit sich dick und hell hervorhebenden Narben alter Schlachten versehen, die seine Haut scheinbar gegen die Glut immunisierten. Lady Elizabeth funkelte ihn an, ihre Arme in eine leichte Verschränkung geschlossen. Sicherlich hatte sie sich und vor allem ihrem Sohn ein friedliches Wiedersehen gewünscht, doch gerechnet nie mit einem anderen denn genau diesem. Sie kannte ihn – und auch sich selbst – zu gut. Die geborene Defoe, Tochter eines recht einflusslosen Gutsherrn, hatte in die damals kaum mächtigere Familie Norrington eingeheiratet und es war aus Liebe geschehen. Der Triumphzug des Seewolfes Lawrence Norrington, Admiral des karibischen Meeres, erst hatte den Namen mit dem heutigen imposanten Klang versehen, welcher die Winde noch über die Ozeane hinaus kalte Schauer über die Rücken all seiner Feinde laufen ließ – und davon gab es reichliche. Man fürchtete seinen blauen Marinerock mit den großen, goldenen Aufschlägen, sein von Wunden, Salzwasser und großer Erfahrung gezeichnetes Gesicht, das eine markante Nase und zwei außergewöhnlich helle Iriden unverwechselbar machten; man fürchtete die Flagge seiner HMS Victory, die ihrem Namen alle Ehre bereitete, und er selbst fürchtete nur den Zorn seiner Frau. Da Lord Norrington aber nun einmal ein Mann des Kampfes war, scheute er nicht, seine Furcht immer wieder zu provozieren. Wiewohl ihm bewusst war, dass er diese eine niemals würde überwinden können, aus dem einen Grund, dass er es gar nicht wollte. Er liebte Elizabeth Grace Defoe, wie sie war, gerade weil sie so war, und sie liebte Lawrence Richard Norrington wie am Tage, da ihre Liebe zueinander mit dem größten Geschenk belohnt wurde, allein verschlossen sie nicht nur den physischen Akt ihrer tiefen Zuneigung hinter den Türen ihrer gemeinsamen Gemächer. Doch wer sie so diskutieren hörte, der durfte zu Recht an irgendeiner Art von Innigkeit zweifeln. Das komplizierte Kunstwerk Liebe bedurfte des Gefühls für Harmonie, für Verständnis, und es konnte ja so leicht und schnell geschehen, mit einem einzigen Abrutschen die Arbeit der ganzen schweren Mühe zu zerstören. Aus diesem Grund feilten Lady Elizabeth und Lord Norrington viele Jahre an der Skizze, ehe sie über die Reife zu verfügen meinten, sie mit Koloration und Tiefe zu gestalten und das Werk letztlich öffentlich zur Schau zu stellen. Es fiel einfacher, eine Vorzeichnung zu verändern oder aufzugeben statt eine Pinselarbeit fortzuwerfen, die bereits Farbe und Kraft gekostet hatte. Die beiden waren sich dessen durchaus gewahr. Obwohl es dieses Mal um mehr ging als um die Personalbelegung oder Lawrences ewige Abwesenheiten: Zum ersten Mal handelte ein Streit von dem gemeinsamen Kind. Nie zuvor war Lady Elizabeth dermaßen zwiegespalten gegenüber der Rückkehr ihres Gatten gewesen, denn sie wusste, dass er sie nicht mehr allein verlassen würde: Im Laufe des sich entzündenden Streits bestätigte sich die Vermutung, die mich nicht mehr überraschte seit dem Lesen des Briefes an den Earl von Dalton.

„Du und deine elende Schifffahrerei!“ Lady Elizabeths Angewohnheit, ihre Sätze in verführerischem Hauch zu kleiden, rächte sich nun, da sie schrie. „Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, Lawrence, noch nicht! Du wirst gehen, wie du gekommen bist und wie du es am liebsten hast: Allein! Hast du verstanden!“

Meiner Ansicht nach verstand niemand irgendetwas. Solange das Streitthema James hieß, zeigte sich Elizabeth nicht länger einsichtig, sie ging nicht einmal auf die Argumente des Lords ein, welche nur sporadisch waren, da er seine Position prinzipiell durch die gekonnte Darstellung eines unbeweglichen, steinkalten Monuments zu untermauern bevorzugte. Fand ein Wortwechsel statt, dann schossen sie aneinander vorbei, als sprächen sie zwei verschiedene Sprachen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wie zu erwarten war, räumte schließlich Elizabeth das Feld, denn gegen die sturstarre Wortarmut ihres Mannes, der schon in seinen frühen Offiziersjahren brachiale Anfuhren über sich ergehen zu lassen lernte, war gerade sie zwar nicht machtlos; es war nur der falsche Weg – und das war ihr klar – ihn mit ihrer Überzeugung besiegen zu wollen. Sie stapfte also davon und nur ich und mein Herr blieben in der drückenden Wärme des Salons. Irgendwann kehrte auch sein Geist, der bisher versucht hatte, seiner Gattin zu folgen, in jenes Zimmer zurück, und dann sah er mich an. „Ist es denn verkehrt, den Jungen auf seine Zukunft vorzubereiten, ehe es zu spät ist und er wohlhabend, sorgenfrei und dumm wie faul in den Wänden dieses Hauses krepiert?“

Er wartete offensichtlich auf eine Antwort von mir, was mich unsicher machte, denn ich wollte mir nicht anmaßen, meine Gedanken in die Angelegenheiten meiner Vorgesetzten einzumischen. Allein mit Lady Elizabeth redete ich frei, weil sie es eines Tages von mir verlangt hatte und aus dem Befehl eine Freundschaft geworden war. Mit Seiner Lordschaft? Nicht doch. Ich war nicht Elizabeth.

„Mein Vater war in der Navy“, setzte er nach dieser Pause im Ton eines Monologs erneut an, und wenn er bewegt war von meiner Sprachlosigkeit, so ließ er sich das nicht anmerken. „Sie wissen, Abda, es ist kein Geheimnis, dass ich und mein Vater seinerzeit… nicht immer derselben Ansicht waren. Als Gott ihn an Seine Seite rief, hinterließ er mir Gut, Geld und all den wertlosen Ramsch seiner eigenen Vorfahren. Aber das Wichtigste, das Teuerste, meine Gute“ – er beugte sich vor und stach mit seiner lädierten Hand, die schon wieder eine Zigarre umgriff, einige Male in die großzügige Luft zwischen uns – „das vererbte er mir bereits zu seinen Lebzeiten. Wenn ich ihm etwas zu verdanken habe, dann ist es der Acker, den er umgrub, bepflanzte und wässerte, völlig frei der Illusion vom Eigennutzen und in dem Wissen, dass es Jahre brauchen würde, bis die Keime reiften und dass ich und niemand sonst die Früchte seiner Arbeit ernten würde. Ich dürfte nicht älter gewesen sein als der Junge heute, als ich das verstand. Ich verstand, für was ich vorgesehen war, ich sammelte die Ernte ein. Man muss es rechtzeitig tun, man darf nicht warten. Sonst geht sie ein und die ganze Arbeit war umsonst. Und sehen Sie mich an: Habe ich Anlass, die Entscheidung, die mein Vater – nicht ich – für mich, für mein Leben traf, in Frage zu stellen? Ich bin Lawrence Norrington, Befehlshaber der karibischen Flotte Seiner Majestät und festes Glied der Admiralität, Diener des Vaterlandes, Ehegatte und Vater, ich liebe meine berufliche Pflicht und meine familiären, ich bereue nichts. Ich verkaufte die Ernte meines Vaters gewinnbringend und nun ist es an der Zeit, dass ich mit diesem Umsatz einen neuen Acker anlege. Und kein Grund unserer Welt ist so fruchtbar, so sicher wie die Royal Navy.“

„Doch was ist, wenn er es nicht kann?“ Ich konnte den vorsichtigen Einwurf nicht zurückhalten.

Er prüfte mich aus den Schatten seiner Augenbrauen. „Ja, stecke ihn in ein Kleid und lass ihm die Haare lang, dann könnte er glatt ein Mädchen sein, nicht wahr?“

Er hatte mich falsch verstanden. Ich war versucht, ihn aufzuklären, da fiel er mir schon in den Atem: „Doch selbst ein Mädchen, Abda, kann einen Garten ziehen, wenn man es darin zu unterrichten weiß. Er mag wie ein Schürzenkind wirken, und vielleicht war es mein Fehler, ihn ganz seiner Mutter zu überlassen, aber er ist vor allen Dingen ein Norrington; es steckt ihm also im Blut, es weit zu bringen. Mein Vater war in der Navy, ich bin es und er wird es sein. Merken Sie sich das, dann wird er Sie nicht erschrecken und Sie werden ihn nicht durch Ihren plötzlichen Schreck kränken.“

Damit war die zweite Zigarre ausgeraucht. Ich war nicht seiner Ansicht, nicht in allen Belangen, aber objektiv hatte er vermutlich Recht. Nichts und niemand konnte widerlegen, dass Lord Norrington ein weiser Mann war, der nicht vom Aufstieg träumte; der die leichtlebige Realität an den Schultern fasste und jede Illusion aus ihr herausschüttelte. Leider verkannte er in all seinem realitätsnahen Denken, dass die Brise seiner berechnenden Einstellung unstet war, mal ein müßiger, nichtsnutziger Windzug, mal ein unerbittlich starker Sturm, und dass es aber einen Rumpf brauchte, Masten und Segel, um von ihm angetrieben, vor ihm beschützt zu werden, ihn auch einmal schlicht genießen zu können – ein Schiff aus den eigenen Zielen und Auffassungen, Vorlieben und Abneigungen.

„So. Und jetzt will ich meinen Sohn sehen“, verkündete der Admiral feierlich und marschierte auf die Tür zu. James saß in dem Wohnzimmer und las, wie Burgund sein Bündnis mit England löste und der französische König Charles VII. Bordeaux zurückeroberte. Lady Elizabeth streichelte ihm durch das Haar und weinte leise über seine fehlende Reaktion. Er setzte zwei Schritte vorwärts, um aus ihrer Reichweite zu fallen, wo sein Vater ihn stattdessen ergriff und über die Planke auf den Rücken des furchterregenden Monsters schob. Dieses breitete seine weißen Flügel mit dem kräftigen Wind und stieß sich aus dem Hafen und hinaus in das Blau der endlosen Weite, in welche sie ihm nicht mehr folgen konnte. Bis der beginnende Abend das Schiff auf dem Rand des Horizonts verschluckte, windete sich Elizabeth zwischen all diesen winkenden, rufenden, verwunderten feinen Zurückbleibenden in einem ungehaltenen Weinkrampf und an meiner verständnisvollen Schulter. Bon voyage, petit James. Danach weinten wir beide.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Daikotsu
2011-03-02T15:35:11+00:00 02.03.2011 16:35
Ein sehr rührendes kapitel.
Spätestens jetzt hat man sich "Eingelesen" und kommt mit der Ausdrucksweise klar.
Der Vater von James wirkt beinahe (oder grade) wie der erwachsene James.
Die Unterhaltung zwischen ihm und Abda ist sehr interessant und ebenso der Schluss, der ein neues Ufer (oder Kapitel) freigibt.
Ich bin gespannt, wie es weiter geht.


Zurück