Anders

Eins

1. Kapitel
 

Und wieder einmal hatten sie ihn in der Pause abgefangen. Was sollte das eigentlich jeden verdammten Tag? Er hatte ihnen doch gar nichts getan. Wieso verprügelten sie ihn also ständig? „Schwuchtel“ beschimpften sie ihn. Wie sie überhaupt darauf kamen, dass er schwul wäre, war ihm immer noch ein Rätsel. Okay, er hatte vielleicht nicht das „männlichste“ Erscheinungsbild und achtete wohl etwa so viel auf sein Aussehen, wie es meist nur Mädchen taten, aber deswegen stand er doch nicht auf Männer.

Er hatte noch nie etwas mit einem Mann gehabt... zwar auch noch nie richtig etwas mit einer Frau, aber das war unwichtig. Die Mädchen gingen ihm nun mal lieber aus dem Weg. Viele fanden sein Äußeres zwar anziehend, doch wollte man nichts mit ihm zu tun haben, wenn er ständig verhauen wurde. Sonst könnte man ja riskieren selbst noch eins auf die Fresse zu kriegen.

Er seufzte und wischte sich das Blut von den Lippen. Dass nicht einmal die Lehrer etwas dagegen taten war eine Schande. Natürlich wussten die Lehrer davon, dass er fast täglich von diesen Typen misshandelt wurde! Aber wahrscheinlich hatten sie selber Angst, deswegen handelten sie nicht. Er grummelte leise vor sich hin. Er war kein Schwächling, er konnte sich durchaus wehren. Aber was konnte er schon alleine gegen drei, vier oder mehr anrichten? Also hieß es dann doch meist für ihn: Augen zu und durch! Einfach über sich ergehen lassen, abwarten bis es vorbei war und dann ab ins Krankenzimmer.

Wenigstens die alte Schulärztin kümmerte sich dort um ihn. Das war das einzig „Erfreuliche“ daran, verprügelt zu werden. Sie war bereits um die 60 Jahre alt und genau so, wie man sich seine Traum-Oma vorstellte. Liebevoll, etwas rundlich und immer mit einem herzlichen Lächeln auf den Lippen. Sie machte sich immer Sorgen um ihren kleinen Saga. Eigentlich hieß er ja Takashi Sakamoto, aber nach langem Hin und Her, hatte er die alte Dame von seinem Spitznamen „Saga“ überzeugen können. Klang einfach um einiges besser als „Taka - chan“. Auch heute war er auf dem Weg zu ihr.

Ein bisschen Desinfektionsspray und ein paar Pflaster, schon war alles wieder gut. Eigentlich brauchte er das nicht, aber er ging trotzdem oft zu Haruka-san. Sozusagen als seelisches Pflaster. Es tat einfach gut, mit jemandem ganz normal reden zu können, immerhin hatte er sonst keine Freunde. Zumindest nicht an seiner Schule.

Schnellen Schrittes ging er zum Krankenzimmer und öffnete die Tür. „Hallo, Haruka-san!“, rief er freudig, als er sie sah. Doch er erschrak: sie war nicht alleine. Ein junger, schwarzhaariger Mann war bereits bei ihr. Er hatte ein etwas längliches Gesicht, markante Züge und rehbraune Augen. Wer das wohl war? Es konnte kein Schüler sein, denn er wirkte wie Mitte 20. Er trug eine einfache, dunkle Jeans und ein schwarzes Oberteil mit einem leichtem V-Ausschnitt. Und er sah verdammt gut aus.

Hatte er das gerade wirklich gedacht? Einfach ignorieren. Hmm, Haruka würde ihm schon erklären wer das war und was er hier wollte, wenn er denn schon kein Schüler war. Wäre er ein neuer Lehrer, würde er sicherlich auch nicht gleich das Krankenzimmer aufsuchen. Also musste es irgendeinen anderen Grund haben.

„Ahh, hallo Saga-kun! Haben sie dich mal wieder erwischt, hm?“, begrüßte sie ihn. „Ich hol dir gleich ein wenig Spray und ein paar Pflaster“, sprach sie und entschuldigte sich kurz bei dem jungen Mann.

Dann suchte sie Saga die Sachen zusammen und behandelte ihn. Er grinste sie an, als sie ihm eine Creme auf seine blauen Flecken schmierte. Sie desinfizierte die offenen Schrammen und klebte schließlich ein Pflaster darüber. Auf sie war nun mal immer Verlass.

„Ach, Saga-kun... das wird wohl heute das letzte Mal sein, dass ich dich behandle!“, eröffnete sie ihm schließlich. Wie bitte? Hatte er da gerade richtig gehört? Er blickte sie schockiert an. „Was, warum?“ war das einzige was er herausbrachte. „Nun ja, du weißt doch, ich bin nicht mehr die Jüngste...“, lachte sie auf. Nein, nein, nein. Er wusste was nun kommen würde. Es war ihm egal wie alt sie war! Sie sollte ihm doch nur jeden Tag ein paar Pflaster auf die Schürfwunden kleben und sich ein wenig mit ihm unterhalten, mehr verlangte er doch gar nicht!

„Ich gehe in Rente, Saga... tut mir wirklich Leid! Heute ist mein letzter Tag... ich wollte es dir nicht früher sagen, sonst wärst du doch nur noch trauriger gewesen!“, versuchte sie ihm zu erklären. Als ob es ihm jetzt besser gehen würde, wenn sie ihn so ohne Vorwarnung einfach hier stehen ließ. Er starrte sie nur entsetzt an. „Ach, komm, Saga, du schaffst das schon ohne mich! Du bist doch ein starker Junge!“, knuffte sie ihm vorsichtig in die Seite.

Seine Sprachlosigkeit verunsicherte sie wohl gerade. Sein Gehirn arbeitete gerade auf Hochtouren. Was sollte er jetzt jeden Tag machen? Mit wem sollte er sich in den Pausen unterhalten, wenn seine Lieblingskrankenoma nicht mehr da war? Er hatte doch keine Freunde hier an der Schule. Und ja, es war ihm egal wie armselig er gerade rüberkam so an einer alten Dame zu kleben. Er hing nun mal an ihr, war das denn so schlimm?

„Und wer... wer wird dann hier arbeiten?“, stotterte er, als er seine Sprache wiederentdeckte. Ah, verdammt. Dieser Typ. „Nun ja... Saga, das hier ist Shinji Amano. Er wird meine Stelle übernehmen. Und weißt du was, er ist sogar richtiger Arzt! Er hat richtig studiert, nicht so wie ich. Er wird sich genau so gut um dich kümmern! Vertrau mir, ich hab einen wirklich guten Eindruck von ihm“, versicherte sie ihm und zeigte auf den Schwarzhaarigen, der sich nun leicht verbeugte und ihn angrinste. Ahh, dieses Grinsen. Warum war dieser Kerl so attraktiv? Nein, Saga, nicht ablenken lassen.

So wie er Haruka-san kannte, hatte sie diesen Amano schon längst eingeweiht. Er wusste sicherlich, dass Saga ständig Prügel von den anderen Schülern hier bezog. Sein Verdacht bestätigte sich im nächsten Moment, als der junge Arzt das Wort ergriff: „Keine Sorge! Haruka-san hat mir schon deine Situation erklärt, du kannst gerne zu mir kommen, falls nochmal etwas passieren sollte.“ Natürlich würde nochmal etwas passieren! Als ob man aufhören würde, ihn zu verprügeln, nur weil seine Krankenschwester nicht mehr hier war und ihren armen kleinen Saga nicht mehr pflegen konnte! Wobei das natürlich praktisch gewesen wäre, dann würde er vielleicht eher ohne Haruka klar kommen.

Dann hörte er die Schulglocke. Das Zeichen zum Ende der Pause. „Also Saga-kun, ich muss jetzt leider gehen... du kommst schon ohne mich klar, das weiß ich.“, versuchte sie ihm nochmal Mut zuzusprechen und nahm ihn schließlich in die Arme. Okay, sie erdrückte ihn eher. So wie es sich nun mal für eine richtige Oma gehörte. „Ich wünsch dir noch viel Glück in der Schule!“, sagte sie noch zu ihm und verließ schließlich den Raum. Er konnte nicht mehr viel darauf erwidern, war er doch noch zu schockiert. Doch er war sich sicher: Haruka hatte geplant, den Überraschungseffekt zu nutzen und sich schnell aus dem Staub zu machen. Hätte sie das nicht getan und ihn vorgewarnt, würde er jetzt wohl heulend an ihr kleben und sie nicht mehr loslassen bis sie ihm versprach ihn bis zu seinem Schulabschluss weiter zu versorgen.

Aber was sollte er jetzt tun? Haruka war weg und er war nun in Zukunft auf sich alleine gestellt. Nein, zu diesem neuen Arzt konnte er unmöglich gehen, auch wenn er noch so gut aussah. Das war doch viel zu peinlich. Der hielt ihn doch bestimmt schon für ein Weichei. Wer weiß was Haruka alles über ihn ausgeplaudert hatte...

„Also, wie gesagt. Ich bin Shinji Amano! Das wird schon, du kannst immer hierher kommen... mit Pflastern, Desinfektionsspray und dem ganzen Zeugs kann ich dich versorgen!“, zwinkerte er Saga charmant zu und streckte ihm seine Hand entgegen. Dieses bezaubernde Lächeln zierte wieder seine Lippen. Verdammt, wie sollte man in einem Krankenzimmer denn gesund werden, wenn man ständig weiche Knie bekam? Und nein, er war nicht schwul. Nein, nein. Aber dieses Grinsen, also bitte! Da musste man doch schwach werden und Knie wie Wackelpudding bekommen. Das ging gar nicht anders.

„Ähm, ja... ich werd' bestimmt drauf zurückkommen. Ich bin Takashi Sakamoto, aber normalerweise werde ich Saga genannt...“, brachte er schließlich heraus. Er schüttelte die Hand seines Gegenübers etwas nervös, zog dann aber seine eigene rasch wieder zu sich. „Also...die Pause ist aus. Muss wieder zurück in den Unterricht. Freut mich sie kennen gelernt zu haben!“, und weg war er. Eine Sekunde länger in diesem Zimmer und er wäre umgekippt. Das war einfach zu viel gewesen für eine einzige Pause.

Erst Prügel, dann keine Haruka mehr und dann noch dieser mega-geile Arzt. Nein, er hatte gerade nicht die Worte „mega“ und „geil“ verwendet und das auch nicht in Kombination. Niemals.
 

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So, das war das erste Kapitel. Hoffe ihr hattet Spaß beim Lesen ^^

Und würd mich wirklich sehr über ein paar Kommentare freuen, nicht nur Favos XDD

Will mich ja immerhin auch verbessern <3
 

Wir sehen uns dann im nächsten Kapitel ^^