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Leben Liebe Tod

Ein Modernes Märchen. Von der Vergangenheit in die Gegenwart.
von

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Pubertät

Mit dem Wechsel von der fünften Klasse Hauptschule in die fünfte Klasse Realschule. Ich hatte mich entschlossen diese Klasse lieber noch einmal zu machen, damit ich mit dem Englischstoff nicht hinterherhinkte. Und ich war Klassen-Zweite in diesem Fach und verdammt stolz auf mich.
 

Bisher war mein Leben in ruhigen und geordneten Zügen verlaufen. Ich interessierte mich für Puppen und fürs Schminken - meine Mutter hatte meine Cousine und mich oft erwischt, als wir ihre Schminke benutzt hatten – und für meinen Körper.

Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu Stephanie gehabt. Wir waren zusammen in Italien im Urlaub. Ich habe ihr alles erzählen können und wir haben jeglichen Scheiß zusammen gemacht. Wir haben Fotos gemacht, auf denen wir halbnackt zu sehen waren. Wir hatten uns gegenseitig massiert und damals fand ich es schon komisch, wenn sie mich angefasst hatte. Es war nicht unangenehm komisch, ganz im Gegenteil, doch ich konnte diese Gefühle nie richtig einordnen. Als wir älter wurden, legten sich die gemeinsamen Aktivitäten ziemlich schnell.
 

Die Realschule war ein Ort voller Menschen. Einer unterschiedlicher als der andere. Wir haben Tutoren bekommen. Es waren fünf junge Leute aus der zehnten Klasse. Sie sollten uns betreuen uns bei Problemen helfen und uns helfen uns in der neuen Schule zu Recht zu finden und uns wohl zu fühlen. Sie unternahmen mit uns eine Menge. Eisessen oder Eislaufen im Winter. Dinge, die einen kleinen Menschen noch sehr freuten. Wir hatten alle Respekt vor den älteren. Himmelten sie regelrecht an und sie waren, allem Anschein nach, ziemlich in uns ´Kleine´ vernarrt.

Es war ein neues Schulsystem: Die sechsstufige Realschule. Das hieß, das nun auch schon Fünftklässer auf die Realschule gehen konnten, nicht wie zuvor erst ab den Achten. Für die Lehrer war es neu, weil sie nicht wussten, wie sie mit uns Kiddies umgehen sollten und für die älteren Schüler war es genauso schwer, eben aus demselben Grund.

Die fünfte Klasse war noch sehr angenehm. Ich hatte, zu meiner eigenen Verwunderung, richtig gute Noten in Englisch. Mathe ging mir relativ gut von der Hand und in Deutsch war ebenfalls… alles rosa. Ich hatte einen tollte Lehrerin, die ich in dem darauf folgenden Schuljahr ebenfalls hatte. Diesmal auch im Geschichtsunterricht. Wir hatten viele Projekte. Unter anderem auch Buchprojekte. Entweder haben wir ein Buch gemeinsam gelesen – ich kam aus dem Vorlesen gar nicht mehr heraus, da ich eine der wenigen war, die sich nicht ständig verhaspelten – oder aber wir mussten uns ein Buch aussuchen, über das wir referieren sollten.

Ich hatte mich damals für nichts anderes als Harry Potter Band Vier entschlossen. Ja, für eine 13-jährige ein ziemlicher Schinken und ich ein paar Monate davor schon gut eine Woche vor dem Buch. Mich hatte der Harry-Potter-Wahn eingeholt. Das Lustige an der Geschichte war jedoch, dass meine Lehrerin eben genau diesen Wahn mitmachte. Sie mochte die Bücher der Potter-Reihe sehr gerne. Kannte sich gut aus und war umso gefesselter, als ich Knirps vor der Klasse stand und ein 45-minütiges Referat gehalten hatte, obwohl wir eigentlich nicht länger als 15 Minuten hätten halten sollen.

In der sechsten Klasse ging der eigentliche Wahnsinn erst richtig los.
 

Ich hatte es als kleines, schüchternes Mädchen nicht unbedingt einfach in einer Klasse, in der die Gleichaltrigen die tollsten Klamotten und Elektronikgeräte besaßen. Obwohl: die Elektronik war es gar nicht, die mich geärgert hatte, sondern die Anziehsachen.

Ich bin die jüngste von drei Mädels und da ist es klar, dass das Geld, was die Eltern nach Hause bringen, eben nicht dafür ausreicht, drei jungen Mädchen das zu kaufen, was sie vielleicht gerne hätten. Wie gesagt, ich bin die Jüngste und die jüngsten trifft das Schicksal eben immer doppelt und dreifach. Ich konnte es verstehen, dass ich keine angesagten Jeans von Levi’s oder ähnlichen Designern bekommen hatte, doch ständig die getragenen, zwar noch intakten, Klamotten meiner Schwestern zu tragen, ging mir schon ziemlich auf den Senkel. Kein Wunder also, dass mich der Rest der Klasse immer so von der Seite angesehen hatte. Es war schon zum kotzen, ständig der Außenseiter zu sein und das nur, weil man nicht ´in´ war? Hab ich nicht verstanden. Musste ich aber glaube ich auch nicht, denn ich hatte eine wunderbare Freundin. Ich die ´Uncoole´ und Tati, die doch eher zu den ´cooleren´ in der Klasse gehörte. Sie war liebenswert, ein wenig kompliziert und leider Gottes wahnsinnig selbstzweifelnd. Und dennoch, sie nahm mich eben nun mal so, wie ich als kleines, graues Mäuschen war. Ja, ich kann schon sagen, dass sie meine beste Freundin war. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt immerhin schon seit drei Jahren.

Wie man mit süßen dreizehn nun mal ist, hatten wir wirklich jeglichen Blödsinn miteinander gemacht. Wir überlegten uns, wie wir uns am besten die Beine rasieren sollten. Im Nachhinein denke ich, dass das vollkommen schwachsinnige Gedanken waren, aber hey, wir waren jung. Blöd nur, dass wir uns wahnsinnig geschämt haben, uns überhaupt einen Rasierapparat zu kaufen. Wir dachten, dass die Verkäuferin an der Kasse sonst etwas denken mochte. ´Viel zu jung´, ´die fangen vielleicht früh an´. Nur so schwer war es dann doch wieder nicht und die Gedanken, die wir uns gemacht hatten, dass wir vielleicht ausgelacht würden, waren unnötig, aber wohl doch irgendwo verständlich.

Das waren die Dinge, über die man sich in meinem Alter Gedanken gemacht hatte.
 

Ein bisschen später war die erste Zigarette im Umlauf. Weihnachtsbasar in der Schule. Langweilige Sache. Es bestand Anwesenheitspflicht, die Chormitglieder sangen irgendwelche öden Weihnachtslieder, die ich mittlerweile schon nicht mehr hören beziehungsweise auswendig konnte. Wir zwei Mädels hatten uns dann irgendwann aus dem Staub gemacht. Wir hatten uns von ihrem Bruder eine Zigarette geklaut. Streichhölzer hatten wir auch noch irgendwo auftreiben können und so standen wir, mit unseren dreizehn Jahren irgendwo hinter den Mülltonnen und haben gezittert vor Kälte, Aufregung und Angst. Angst, dass unsere Eltern es mitbekommen würden. Unser Puls schoss nach oben und wir waren voll gepumpt mit Adrenalin. Natürlich haben wir nicht sofort auf Lunge geraucht. Ich glaub, sonst wäre uns wohl die Lunge aus dem Rumpf geflogen! Aber das erste Mal ´Paffen´ war aufregend, aber ich muss zugeben… es war eklig und dennoch haben wir, dummerweise, nicht aufgehört. Man wollte ja irgendwie dazugehören. Der Versuch, das ´rauchen´ vor unseren Eltern geheim zu halten scheiterte kläglich. Die waren halt nun doch nicht so dumm, wie wir immer gedacht haben. Sie hatten natürlich alles mitbekommen, aber auch wirklich alles! Nur gesagt hatten sie nie etwas. Also wiegten wir uns in Sicherheit. Kauften uns irgendwann eine komplette Schachtel Marlboro. Nein, sie waren nicht stark, überhaupt nicht! Wir waren einem halben ´Lungenanfall´ nahe. Haben gehustet wie Asthmatiker und haben trotz allem nicht aufgehört. Irgendwann haben wir uns sogar Feuerzeuge gekauft, weil Streichhölzer ja total uncool waren. Blöd nur, wenn einem mitten im Winter der Anzünder in den Schnee fällt. Tja, das war es dann mit dem Rauchen vorerst gewesen. Aber auch nur für die Zeit, bis wir ein neues Feuerzeug in die Finger bekommen hatten.

In diese Zeit waren wir oft im Juze. Ein Freizeitheim, von christlichen Mitarbeitern geleitet. Eigentlich eine nette Sache. Wir hatten unsere Ruhe vor unseren Eltern, sind nicht irgendwo herumgestreunt und hatten Ansprechpartner, wenn uns etwas auf der Seele gelegen hatte. Franzi und ich haben uns die Zeit mit dem Einstudieren von Tänzen und Tischtennisspielen vertrieben.

Walkmann angeschaltet, Stöpsel oder Kopfhörer aufgesetzt und losging es. Zwei Stunden, drei Stunden. ´Ping, Pong, Ping, Pong´. Uns wurde es nie zu langweilig und wir hatten wirklich unsere Gaudi, weil wir die Platte ständig blockiert hatten.
 

Nur irgendwann verändert sich jeder Mensch. Wir waren beide in der Pubertät. Ein wundervoller Abschnitt im Leben eines jeden Menschen. So voll gestopft mit Trotz. Widerwillen. Aggression. Man will seinen eigenen Kopf durchsetzen und hört auf nichts, was die Eltern einem sagen. Man ist im Großen und Ganzen einfach unausstehlich. Und so wie sich der Körper verändert, verändert sich auch das Wesen. Es ist eben der erste Schritt ins Erwachsenwerden.

Meine beste Freundin und ich waren wirklich unzertrennlich. Und plötzlich war er da. Ein Streit. Mitten in der Schule. Wir haben nicht mehr miteinander geredet, haben uns, wenn, dann angezickt. Und das war ausschlaggebend. Wenn man bedenkt ein normaler Streit, was hat das schon zu bedeuten? Man schreit sich an, redet vielleicht gar nicht miteinander, verträgt sich wieder und gut ist. Aber dem war leider nicht so.
 

Ich war sauer. Wütend und traurig zugleich. Warum streitet man sich wegen einer Lappalie wie eine aus Versehen eingerissene Hose! Gut, sie war neu, aber wenn sie zu blöd zum Rollschuh fahren ist, kann ich doch nichts dafür, oder? Wir stritten und ich… ja was tat ich? Mitten in meiner Trotzphase und der ´lasst-mich-doch-alle-einfach-in-Ruhe´ Phase. Ich nahm meinen Kugelschreiber, riss den Klipp ab und betrachtete das schöne gezackte, scharfe Ende. Und ich tat es. Zum ersten Mal. Es war ein komisches Gefühl, als das Metall in meine Haut schnitt. Es blutete nicht. Es war nur ein kleiner Teil der obersten Hautschicht. Die Schnitte schwollen an. Blinkten mich weis und rot an und ich konnte nicht anders, als lächelnd aus dem Fenster zu sehen. Es war in dem Moment einfach befreiend. Ich wusste selbst nicht was ich tat. Ich tat es einfach und ich merkte dass es mir gut tat. Der erste Schritt oder sollte ich sagen, Schnitt, in ein anderes Leben war getan.

Ich habe versucht die Verletzungen zu verdecken und doch gibt es im Leben immer wieder unvorsichtige Momente. So auch bei mir.

Der Blick meiner Mutter war so unsagbar verletzend wie nichts anderes, was ich davor erlebt hatte. Mal abgesehen vom Tod meiner Opas. Sie wollte mir nur eine Creme zeigen, die sie gekauft hatte und sie an meinem Arm ausprobieren. Und ich hatte einfach nicht mehr daran gedacht, dass da etwas in eben diesen geritzt war. Ich hatte es ganz einfach vergessen. ´Ja, das kennen wir ja schon´. Das war alles, was sie dazu gesagt hatte. Doch wie sich mich angesehen hatte. Nicht vorwurfsvoll. Nicht böse oder gar drohend. Sondern einfach tief verletzt. Ich wusste nicht, was sie für einen Aufstand veranstaltete und dann erinnerte ich mich wieder. Meine älteste Schwester hatte sich selbst auch schon verletzt gehabt. Und da wusste ich auch, warum ich mit diesem Blick gestraft wurde. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt hatte ich den Kugelschreiberklipp oder meinen Zirkel, in dieser Art und Weise, nie wieder verwendet. Und dann fing es an...



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