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Mississippi Dreams

von

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Manchmal kommt alles anders als Man(n) denkt

Kapitel 06
 

Manchmal kommt alles anders als Man(n) denkt
 


 

In den nächsten Wochen kristallisierte sich auf der Plantage ein Alltagstrott heraus, der äußerlich reibungslos abzulaufen schien. Doch unter der Oberfläche brodelten die Spannungen. Cecile versuchte sich abwechselnd bei Logan einzuschmeicheln, nur um dann ihren Hass wieder lautstark Luft zu machen. Beides schien jedoch von dem Dunkelhaarigen abzuprallen. Er schien nahezu gegen jede Laune Ceciles immun zu sein.

Falls in dieser Ehe je von Liebe die Rede gewesen war, musste sie sich schon kurz nach der Hochzeit in Luft aufgelöst haben. Sämtliche Hausangestellten wusste, dass Mr. Logan sich von Ceciles Bett beharrlich fernhielt. Und wenn die Hausangestellten etwas wussten, dauerte es nicht lange, bis June etwas davon erfuhr, ob er es nun wissen wollte, oder nicht.

Die Vorstellung, dass Cecile und ihr Mann sich entfremdet hatten, war ihm peinlich, da er auch von den Einzelheiten zu hören bekam. Gleichzeitig musste er sich jedoch schamvoll eingestehen, dass er es tröstlich fand. Vielleicht lag es daran, dass er sich seitdem immer besser mit Logan verstand.

Er war ihm in der letzten Zeit viel sympathischer geworden und June fand ihn von Tag zu Tag attraktiver und anziehender. Er sehnte sich sogar schon nach den kleinen Berührungen, wenn Logan ihm lächelnd durch die Locken wuschelte, oder ihn einfach nur flüchtig am Arm berührte. June war nie klar gewesen, wie sehr er einen Menschen vermisst hatte, der nett zu ihm war. Logan behandelte ihn jetzt immer freundlich – wenn es auch seltsam sein mochte, dass jemand, der Cecile geheiratet hatte, überhaupt nett sein konnte – und sein Umgang mit June war zwanglos und liebevoll. June sog diese Zuneigung so sehr in sich auf, wie ein trockener Schwamm. Er half sogar bei der Arbeit auf den Feldern mit, damit er dem anderen nahe sein konnte.

Nachdem sich heraus gestellt hatte, dass die Ehe einer Katastrophe glich, ergoss sich Ceciles Erbitterung wie ätzende Säure über alle, die auf der Plantage lebten. In Logans Gegenwart zügelte sie ihr böses Mundwerk, doch wenn er nicht da war, war June ihr liebstes Opfer.

Unter diesen Umständen verbrachte June das bisschen Zeit, was er sonst zu Hause gewesen war ebenfalls außerhalb des Hauses. Er ritt mit Firefly und Jasper täglich aus, half am Nachmittag auf den Feldern aus und ritt nach ein paar Stunden noch ein bisschen durch die Kiefernwälder. Er achtete im Allgemeinen darauf nicht vor dem Abendessen zurück zu sein und dann nahm er das Essen zusammen mit den Dienstboten in der Küche ein, denn angesichts der frostigen Atmosphäre, die allabendlich im Esszimmer herrschte, gab June sich gerne damit zufrieden, in der Küche die Reste zu essen.

Nach Angaben von Sissie, die die undankbare Aufgabe hatte, die Herrschaften zu bedienen, saßen der Herr und die Herrin einander an den Kopfenden des langen Tisches gegenüber und sagten beim Essen nicht mehr als unbedingt erforderlich war. Nur das Zischen des Ventilators und das Klappern des Geschirrs durchbrachen die unangenehme Stille, die schwer wie ein Schleier aus Blei über den Anwesenden lag.

Oft kam June zum Mittagessen gar nicht erst nach Hause, da Logan eh nie zu Tisch erschien und Cecile nur darauf wartete, sich auf ihren Stiefsohn zu stürzen wie eine ausgehungerte Spinne auf eine Fliege. Stattdessen gewöhnte sich June an einen Apfel und eine Scheibe Brot mitzunehmen und stellte fest, dass ihm das genauso ausreichte, als wenn er zu Mittag ein wenig etwas Warmes gegessen hätte.

Diese veränderten Essgewohnheiten und die vielen Stunden im Sattel und auf den Feldern hatten eine günstige Wirkung auf Junes Figur. Er nahm nicht ab, jedoch wurde er ein wenig kräftiger und seine helle Haut bekam durch das viele Draußensein einen goldenen Schimmer.

Jeden Morgen arbeitete Logan mit Mr. Graydon im Büro der Plantage. An den Nachmittagen riss er meistens umher und machte sich mit alles Arbeiten vertraut. Pharaoh, der Vorarbeiter der Sklaven, der jahrelang unter Brantley gearbeitet hatte, war gewöhnlich an Logans Seite. Pharaoh war groß gewachsen, so dunkel wie Ebenholz und sehr muskulös. Er kannte sich mindestens so gut mit den Arbeiten auf der Plantage aus wie Brantley es getan hatte. Wäre er kein Sklave gewesen, hätte die Plantage sicher keinen neuen Aufseher gebraucht.

Während Logan sich mit den verzwickten Einzelheiten in der Leitung der Plantage vertraut machte, war Mr. Graydon der offizielle Aufseher. Doch er begab sich nur äußerst selten in die glühende Hitze hinaus, die auf den Feldern herrschte.

June bekam wenig von dem adretten neuen Aufseher zu sehen, doch umso mehr hörte er von den Hausangestellten. Cecile verbrachte anscheinend auffallend viel Zeit damit, ihrem Cousin bei der Eingewöhnung behilflich zu sein. Da er Cecile kannte, behagte June das gar nicht. Dennoch hoffte er, dass selbst Cecile nicht so weit gehen würde, ihren Mann direkt unter seiner Nase mit einem Aufseher zu betrügen, der noch dazu ihr Cousin ersten Grades war.

Oder doch? Wenn sie derart verwerflich war, konnte June nur inbrünstig hoffen, dass sie diskret vorging. Der große Knall, zu dem es unweigerlich kommen würde, wenn Logan sie bei ihrem Liebesspiel ertappte, war zu erschreckend um ihn sich näher auszumalen. Bei all seiner Freundlichkeit, die June in den letzten Wochen erfahren hatte, war Logan doch sehr männlich, und Cecile war seine Frau, ob er sie nun leiden konnte, oder nicht.

June wusste nur allzu gut, dass Logan kein Mann von der Sorte war, die man ungestraft lächerlich machen konnte. Er hatte ihn selbst schon erlebt, wenn er aufbrauste. Wenn Cecile ein falsches Spiel mit ihm trieb und er dahinter kam, würde seine Stiefmutter die Konsequenzen noch bereuen, daran zweifelte June nicht.

Manchmal konnte June der Versuchung nicht widerstehen, und er ritt mit Jasper im Gefolge von Logan durch die Felder. Er nahm ihn und den großen Hund hin, ohne sich dazu zu äußern. Des öfteren stellte er June auch Fragen, die sich um die Bodenbeschaffenheit oder um die Ballen Baumwolle drehten, die ein Feldarbeiter täglich pflücken sollte. June staunte selbst darüber, wie viel er wusste. Logans meiste Fragen konnte er einigermaßen ausreichend beantworten.

»Solltest du nicht einen Hut tragen?«, fragte er June eines Tages, als seine Aufmerksamkeit auf die kleine gerötete Nase und die rötlichen Wangen fiel. Es war ein heißer Augusttag und die Sonne brannte erbarmungslos herunter. Soweit das Auge sehen konnte, erstreckten sich die Felder und die Sonne spiegelte sich auf der flauschigen weißen Baumwolle. Die Feldarbeiter hockten gebückt da und pflückten die Baumwolle mit blitzschnellen Bewegungen. June war viel langsamer, dachte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Aber ihm machte es einfach Spaß öfter mal mitzuarbeiten. Der leise, melodische Gesang der Männer gehörte ebenso sehr zum Sommer wie das Surren der Bienen und der Blondschopf fühlte sich einfach nur wohl in dieser Umgebung.

»Ich trage nie einen Hut«, erwiderte June verspätet und zuckte mit den Achseln.

»Mir wäre es lieber, wenn du es dir angewöhnen könntest. Fürs erste kannst du den hier haben. Wenn du nicht aufpasst bekommst du Sommersprossen, und das würde dir überhaupt nicht stehen. Deswegen dürfen wir das nicht zulassen.«

Bevor June überhaupt plinkern konnte, wurde ihm auch schon Logans breitkrempiger Strohhut auf den Kopf gedrückt und er verzog das Gesicht. Von der Geste war June zwar ein bisschen gerührt, wunderte sich aber gleichzeitig, denn er war es nicht gewohnt, dass jemand für ihn auf etwas verzichtete. Zweifelnd kaute er aus seiner Unterlippe herum und griff dann zögerlich nach dem Hut, um ihn Logan zurückzugeben.

»Ich brauche keinen Hut. Ich bin die Sonne gewohnt, wirklich. Und ich kriege keine Sommersprossen.«

Doch Logan hielt ihn mit einer Geste davon ab und beachtete den Hut gar nicht weiter, sodass June ihn sich kapitulierend wieder auf den Kopf setzte und dabei leise seufzte.

»Trag ihn. Du hast wunderschöne Haut. Es wäre ein Jammer sie zu ruinieren.«

Als er dieses unerwartete Kompliment hörte, riss June weit die Augen auf. Aber Logan sah ihn nicht mehr an, sondern ließ seinen Blick über die Felder schweifen. Sein Ausdruck war undefinierbar. Hatte der andere das eben ernst gemeint? June schüttelte unmerklich den Kopf und obwohl er sich eigentlich über das Kompliment freuen sollte, kam er sich blöd vor. Er war sich absolut sicher, dass Logan es so gemeint hatte, wie er es gesagt hatte, aber er war ein junger Mann und normalerweise bekamen nur Frauen solche Komplimente. Seine Gedankengänge wurden immer wirrer und zum Schluss gab June es auf, aus dem anderen schlau zu werden und nahm sich vor, sich einfach nur über die Geste zu freuen. Er bildete sich das alles bestimmt nur ein.

Dann fiel sein Blick wieder auf Logan.

Dessen Haut war viel dunkler als seine und sicher brauchte er den Hut viel mehr als June. Schließlich war er nicht sein Leben lang an die glühende Augusthitze in Mississippi gewöhnt. Aber es jagte June einen angenehmen Schauder über den Rücken und in seinem Bauch kribbelte es leicht, weil es ihm gefiel, etwas zu tragen, was Logan gehörte.

»Danke.. ist gleich viel angenehmer«, seufzte der Blondschopf nach einer Weile des Schweigens schließlich mit matter Stimme, denn er wusste, dass es nicht viel brachte dem Mann jetzt noch zu widersprechen und eigentlich wollte er das auch gar nicht.

»Bitte, gern geschehen…«

Er sah ihn jetzt wieder an, und er lächelte nicht, wie June das sonst kannte. Seine Augen nahmen sich gegen das schwarze Haar leuchtender aus, als der wolkenlose Himmel. Seine ausgeprägten Gesichtszüge waren so gleichmäßig, dass sie eine Münze hätten zieren können. Seine breiten Schultern in dem weißen Leinenhemd bezeugten seine verborgene Kraft. Junes Blick glitt über den offenen Kragen, die glatte haarlose Brust und die langen kräftigen Beine, ehe er sich wieder auf sein Gesicht richtete. Sein Mund zog Junes Blicke an. Er war deutlich gezeichnet, die Unterlippe war ein wenig voller als die Oberlippe und June war wie gebannt von diesem unwahrscheinlich schönen Mund. Er starrte ihn an wie hypnotisiert, ohne es selbst zu merken und er leckte sich kurz unbewusst mit seiner rosa Zunge über seine plötzlich trockenen Lippen, als ihm ein kleiner Schauder über den Rücken lief.

Jasper rannte kläffend hinter einem Kaninchen her, und dieser unerwartete Lärm ließ June wieder zu sich kommen. Ihm wurde klar, dass er ganz unverholten den Mund eines Mannes angestarrt hatte… des Mannes, der mit seiner Stiefmutter verheiratet war und in größer Verlegenheit riss er gewaltsam seine Blicke los und schaute mit roten Wangen auf seine Finger, die über dem Sattelknauf lagen. June schämte sich so sehr, und wusste mit dem eben passierten überhaupt nicht richtig umzugehen. Wie konnte er nur einen Mann derart anziehend finden und ihn so unverblümt anstarren? Wenn er das bei einer Frau getan hätte, gut, aber nicht bei einem Mann! Und schon gar nicht bei Logan, der ja nun verheiratet war!!

»Dir kann nicht kalt sein.«

Die Worte kamen plötzlich und rissen June aus seinen fieberhaften Überlegungen.

»Nein.« Trotz seiner Verlegenheit sah er Logan überrascht an. June konnte nur vermuten, dass er zusammengezuckt war, als ihm der Schauder über den Rücken gelaufen war – aber Logans Aufmerksamkeit war auf sein Oberteil gerichtet.

Verwundert folgte June seiner Blickrichtung. Ihm fiel nichts an seiner Kleidung auf, was seinen Gesichtsausdruck hätte er klären können, und sah ihn fragend an.

»Dein Oberteil ist zu eng.« Logans Worte klangen missbilligend und ebenso unfreundlich wie seine Stimme, sodass June erneut leicht zusammenzuckte.

»Nein, ganz bestimmt nicht«, wehrte der Blondschopf ab. Shirt und Hose waren ihm vor einer Weile zu eng geworden, aber jetzt saß zumindest das Shirt lose und war sehr bequem.

»Oh doch«, erwiderte Logan und diesmal war seine Stimme so grimmig, dass June die Augen weit aufriss. Wieso war er plötzlich so wütend auf ihn? Was hatte er denn getan? Erneut sah der Blondschopf an sich hinunter und bemerkte, was der Grund für seine Missbilligung war. Glühende Röte stieg ihm in die Wangen und er versuchte sofort den vor Schweiß feuchten Stoff ein bisschen von seiner Brust zu ziehen, denn auf seiner feuchten Haut schmiegte sich das Leinen sehr gut an. Aber das schlimmste von allem, das Beschämende war, dass seine Brustwarzen sich aufgestellt hatten und sich deutlich sichtbar durch den dünnen hellen Stoff abzeichneten.

In all seiner Unschuld wusste June doch gut genug über seinen eigenen Körper bescheid, um sich klar zu machen, was das bedeutete. Dieser angenehme Schauder, der ihn überlaufen hatte, als er Logans Mund angestarrt hatte, hatte eine unerfreuliche Nebenwirkung gezeigt und die war schrecklich klar zu erkennen. Der Kleine schämte sich immer noch, verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Schultern vor, um seine Schande zu verbergen.

»Sieh mich nicht so an!«, fauchte er mit erstickter Stimme, was sich zu seiner Frustration sehr kläglich anhörte. Genauso wie June sich gerade fühlte. Wenn er nämlich wusste, was die Reaktion seine Körpers zu bedeuten hatte, musste Logan es auch wissen und das machte ihn noch verlegener.

»Wann hast du das letzte Mal was neues zum Anziehen bekommen?«, fragte Logan und klang überaus gereizt. Vielleicht war er sich doch nicht über die grässliche Bedeutung des Anblicks im klaren, der sich ihm geboten hatte. Vielleicht glaubte er wirklich, dass Junes Knospen immer so aussahen und er es erst jetzt gemerkt hatte, weil sein Oberteil zu eng anlag.

Lieber Gott, lass es das sein, was er glaubt, betete June stumm und wäre am liebsten im Erdboden versunken, so peinlich war es ihm. Bestimmt musste Logan jetzt sonst was von ihm denken!

»Ähm… den Anzug, den du mir gekauft hast…«, stammelte der Blondschopf peinlich berührt. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Vielleicht konnte er das Schlimmste ja doch noch abwenden und Logan davon überzeugen, dass die Reaktion nicht auf ihn bezogen gewesen war.

»Und davor?«, unterbrach die gereizte Stimme nun seine Gedanken.

»Mit… mit vierzehn… vor drei Jahren.«

Logan presste die Lippen zusammen, als er June wieder ansah. Der Blondschopf hielt den Atem an und versuchte sein Gegenüber furchtlos anzuschauen, obwohl er die Arme weiterhin vor seiner verräterischen Brust verschränkte.

»Cecile war nachlässig. Ich werde dafür Sorgen, dass du bekommst, was du brauchst.«

June wollte etwas darauf erwidern, doch ehe er ein Wort heraus brachte, kam Pharaoh auf sie zugeritten und Logans Aufmerksamkeit richtete sich auf den kräftigen Vorarbeiter.

»Mr. Logan, es wird Regen geben. Wir sollten sehen, dass wir die gepflückte Baumwolle in Sicherheit bringen.«

Logan nickte. »Kümmern Sie sich darum. Ich komme sofort nach.«

Pharaoh ritt weiter und Logan sah June wieder an. »Du reitest jetzt nach Hause und ziehst dich um!« Es war nicht zu überhören, dass es ein strikter Befehl war, der keine Widerworte duldete.

June nickte nur mit gesenktem Kopf und hatte nichts anderes im Sinn, als Logans stechendem Blick zu entgehen. Dieser musterte June mit zusammengekniffenen Augen, bevor er seinem Pferd die Fersen in die Flanken presste und in einer Staubwolke davon ritt.

Das ferne Donnergrollen kündigte den nahenden Sturm an. June saß auf seinem Pferd und sah dem anderen nach, als er fortritt. Dann zog er an den Zügeln und wendete sein Pferd in Richtung nach Hause und machte sich auf den Heimweg, während seine Wangen immer noch vor Scham glühten.
 

Zwei Tage später kamen Miss Flora und Miss Laurel zu Besuch. Cecile hatte in paar spezielle Freundinnen eingeladen, die bereits mit ihr im Wohnzimmer saßen und Eistee tranken. Doch als die Tanten ihres Mannes vorfuhren, entschuldigte sie sich und lief eilig hinaus, um sie mit einem strahlenden Lächeln zu begrüßen.

June, der mit Jasper im Obstgarten gespielt hatte und sich ausgerechnet diesen unglücklichen Moment ausgesucht hatte, um einen Stock zu werfen, dem sein treuer Freund auf dem Rasen vor dem Haus hinterher jagte, sah, wie Ceciles Lächeln verschwand und ihr Gesicht bedrohlich finster wurde, während sie den alten Damen zuhörte.

June war sofort nervös, denn er nahm an, Jaspers kläffendes Auftauchen hätte etwas mit Ceciles schlechter Laune zu tun. Er rief den Hund mit einem leisen Pfiff zurück.

Jasper hob den Kopf, wedelte mit dem Schwanz und sprang in langen Sätzen auf sein Herrchen zu. Nicht nur Ceciles Blick, sondern auch der der beiden Tanten folgte dem Hund, bis alle drei Augenpaare auf June lagen, der immer noch zwischen den dichten Bäumen stand.

»June, mein Lieber, komm her«, trällerte Miss Flora.

June seufzte. Es ließ sich nicht ändern. Seine Hose hatte Grasflecken und Schlammspritzer, weil er mit Jasper gespielt und sich dabei hingekniet hatte. Und sein Haar… das war völlig zerzaust. Während er auf die beiden Tanten zuging, versuchte er es noch ein wenig mit den Fingern glatt zu kämmen, aber vergebens. Seine Lockenmähne ließ sich einfach nicht bändigen.

»Guten Tag, mein Lieber«, grüßte Miss Laurel, die nicht zu bemerken schien, wie ungepflegt June aussah.

»Guten Tag, Miss Flora, guten Tag Miss Laurel«, grüßte June und drückte pflichtbewusst einen Kuss auf die beiden Wangen, die ihm hingehalten wurden. Resigniert fügte er sich in dieses Zeremoniell. »Diese reizenden Damen haben dir einen… einen Vorschlag zu unterbreiten«, meinte Cecile und ihre Stimme klang dabei so zuckersüß, dass in June sofort die Alarmglocken zu schrillen begannen. Er konnte diesen speziellen Tonfall und der hatte, das wusste er aus Erfahrung, nichts Gutes zu bedeuten und ein Blick ins Gesicht seiner Stiefmutter sagte June überdeutlich, dass Cecile nicht, aber auch nichts von diesem Vorschlag hielt.

»Also, so was!«, empörte sich Miss Flora.

»Wir sind doch nur gekommen, um June nach Jackson mitzunehmen.«

»Der gute Logan sagte, dass der Junge nicht, aber auch nichts mehr zum Anziehen hat«, fiel Miss Laurel ein.

»Nach Jackson?!«

Voller Entsetzen sah June von einer der Damen zur anderen.

»Ich habe Ihnen natürlich gesagt, dass du unter keinen Umständen einfach deine Sachen packen und mitfahren kannst«, meinte Cecile daraufhin in ihrem üblich überheblichen Tonfall. June gestand es ungern ein, aber diesmal traf sich ihre Auffassung mit seiner Ansicht. Er wollte nicht weg, auch wenn er seiner Stiefmutter damit sicherlich eins auswischen konnte, weil sie derartig dagegen war. Aber ihm blieb gar keine Zeit zu protestieren. Gerade, als er den Mund aufmachte, um etwas zu sagen, ergriff Miss Flora wieder das Wort.

»Natürlich wird June mitkommen!«, legte sie bestimmt fest und war Cecile erneut einen empörten Blick zu, bevor sie sich wieder June zuwandte. »Lauf schnell ins Haus, zieh dich um und pack eine kleine Tasche, mein Lieber.«

»Mehr als eine Hose und ein Hemd brauchst du nicht. Wir werden dich in Jackson ausstatten«, fügte Miss Laurel lächelnd hinzu und alles schien beschlossene Sache zu sein.

June sah wieder von der einen zur anderen.

»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber ich kann wirklich nicht einfach…«, versuchte June das Unvermeidliche doch noch abzuwenden, doch Miss Flora brachte ihn mit einer Geste ihrer Hand zum Schweigen.

»Cecile hat viel zuviel damit zu tun sich wieder an das Eheleben zu gewöhnen, um sich im Moment um die Garderobe eines jungen Mannes zu kümmern, verstehst du? Und wir sind jetzt schließlich deine Tanten! Du kannst ruhig mit uns kommen, das ist nicht unschicklich.«

»Aber ich kann doch wirklich nicht…«

Junes Einwände verstummte, als er Miss Floras entschlossenen Blick sah. Da ließ sich wohl überhaupt nichts machen. Die Damen waren anscheinend hergekommen Ihren Willen durchzusetzen und wie es aussah, würden sie ihn auch bekommen, denn June wollte sich nicht mit ihnen streiten, auch wenn ihm das Kommende überhaupt nicht passte. Die Vorstellung, Miss Flora und Miss Laurel auf einem Einkaufsbummel zu begleiten, der sich über Tage hinziehen konnte, war so grauenhaft, dass er gar nicht daran denken durfte. Die alten Damen schienen es zwar gut mit ihm zu meinen, aber June kannte sie doch kaum. Er war sicher, dass es ihn um den Verstand bringen würde, Ihr Geplapper Stunden über Stunden anhören zu müssen. Der Gedanke neue Sachen zu bekommen, war zwar im ersten Moment verlockend, aber nicht, wenn er zu diesem Zweck nach Jackson fahren musste.

Die Wahrheit war die, dass June in seinem ganzen Leben noch nicht eine einzige Nacht außerhalb der Plantage verbracht hatte und sich bei der Vorstellung irgendwie fürchtete.

»Es ist längst alles entschieden«, sagte Miss Flora streng, als June immer noch zögerte.

»Der gute Logan hat uns gebeten, dich mitzunehmen«, fügte Miss Laurel hinzu und nichte bekräftigend, als sei damit alles geregelt.

Und so war es leider auch, egal ob es June nun gefiel oder nicht.

Trotz seiner Bedenken wurde es ein vergnüglicher Ausflug. Sie waren rund zwei Wochen unterwegs und die Zeit verging mit ihren Einkäufen wie im Flug.

Überrascht und erfreut stellte June fest, dass Miss Flora einen untrüglichen Blick für die Farbe und den Schnitt von Kleidung besaß. June, der sich in keiner Hinsicht auf sein eigenes Gespür verlassen hätte, überließ Miss Flora die Entscheidung, was er brauchte. Das einzige, was er selbst aussuchte, war ein Reitanzug, dessen strengen Schnitt wiederum Miss Flora bestimmte, und bei der letzten Anprobe vor der Abreise stellte sich heraus, dass ihm nichts je besser gestanden hatte.

Miss Flora hatte beschlossen, June zwar in ziemlich dunklen, aber auch edlen Farben einzukleiden. Insgeheim hatte June das Urteilsvermögen der alten Dame in Frage gestellt, doch die Ergebnisse waren überzeugend.

Als June sein Spiegelbild betrachtete, fand er seine Haut gar nicht mehr so schlimm blass, was sicherlich von den vielen Ausritten herrührte. Der dunkelgrüne Freizeitanzug stand ihm ausgezeichnet, genau wie der schwarze Abendanzug davor und die marineblauen Hosen. Bei den vielen Anproben hatte June außerdem festgestellt, dass er nicht mehr so dürr und schlaksig war, sondern durch die vielen Stunden auf dem Pferd hatte er ein paar mehr Muskeln bekommen, die seinen kleinen Körper nicht mehr ganz so kindlich erscheinen ließen. Anfangs hatte er noch gedacht, die Schneiderinnen besaßen irgendwelche speziellen Spiegel, damit sich ihre Sachen besser verkaufen ließen, doch irgendwie hatte er es im Laufe des Sommers geschafft eine annähernd gute Figur zu bekommen.

»Meine Güte, mein kleiner June… aus dir ist ein richtig hübscher junger mann geworden…«, sagte Miss Laurel mit glänzenden Augen.

»Ich wusste, dass es so kommt«, erwiderte Miss Flora voller Zufriedenheit. »Er ist das Abbild seiner Mutter. Erinnerst du dich denn nicht mehr, dass Elizabeth Hodge Freier von überall abgewiesen hat, sogar auf New Orleans, ehe sie sich für Thomas Lindsay entschieden hat?«

»Richtig! Genauso war es«, nickte Miss Laurel.

June lächelte Miss Flora und Miss Laurel unsicher an.

»Sehe ich wirklich aus wie meine Mutter?« Es war ihm irgendwie peinlich, denn er war ja keine Frau, auch wenn ihn wahrscheinlich die meisten eher mädchenhaft fanden wegen seiner langen blonden Locken. Außerdem hatte er seine Mutter eher als dunkelhaarige Schönheit in Erinnerung. Er konnte sich unmöglich vorstellen, dass er jetzt so aussah.

»Jeder, der Elizabeth gekannt hat, würde in dir auf der Stelle ihren Sohn erkennen«, antwortete Miss Flora sanft. Zu seinem Verdruss verspürte June einen dicken Kloß im Hals. Plötzlich sehnte er sich so sehr nach seiner Mutter wie schon seit Jahren nicht mehr.

»Aber genug davon«, meinte Miss Flora abrupt, da sie die plötzliche Gefühlsregung bei dem Jungen gespürt hatte.

»Steh still, Kindchen, damit wir uns dein Haar ansehen können. Eine Verbesserung ist es ganz bestimmt. Jetzt hängt es dir wenigstens nicht mehr ins Gesicht!«

June war dankbar für diese Ablenkung, die gerade noch rechtzeitig gekommen war, ehe er sich in der Öffentlichkeit blamiert hätte, indem ihm Tränen über die Wangen gelaufen wären. Er hatte schon ewig nicht mehr geweint und er hätte sich in Grund und Boden geschämt, wenn er es jetzt getan hätte.

Er blieb gehorsam stehen und drehte seinen Kopf nach allen Seiten, um sich von seinen Tanten ausgiebig betrachten zu lassen.

»Gefällt es euch denn wirklich?«, fragte er zweifelnd, während er unsicher auf seiner Unterlippe herum kaute. Entgegen den Ratschlägen der Friseuse hatte er darauf bestanden, dass sein Haar lang blieb. Es reichte ihm auch jetzt noch recht weit über die Schultern, aber die gesamte unbändige Mähne war in Form gebracht und ausgedünnt worden, und kurze Löckchen umspielten sein Gesicht. Madame Fleur, die, trotzdem er ein junger Mann war und ihre Vorschläge die Länge betreffend zum Anfang gänzlich anders gewesen waren, war letztendlich doch begeistert von seinen blonden Locken gewesen und hatte ihm gezeigt, wie er sein Haar ganz einfach frisieren konnte, ohne, dass er allzu weiblich aussah und ohne, dass er sich viel anstrengen musste.

»Du siehst einfach reizend aus, ähm… na du weißt schon wie wir das meinen!«, sagte Miss Laurel strahlend, nachdem sie Junes Frisur von allen Seiten bewundert hatte. »Ja, diese Frisur ist äußerst kleidsam«, stimmte Miss Flora zu.

Auf dem Rückweg zum Hotel warf June häufig einen Blick in die vorbeiziehenden Schaufensterscheiben und kam beruhigt zu dem Schluss, dass die beiden Tanten Recht hatten. Jetzt sah er zwar auch noch ein wenig aus wie ein Mädchen, obwohl das auch mit an seiner schmalen, zarten Statur lag, aber er fühlte sich einfach total wohl, was vorher nicht oft der Fall gewesen war.

Trotz seiner vorherigen Bedenken hatte June so viel Spaß in Jackson, dass er es fast bedauerte, wieder aufbrechen zu müssen. Doch je näher die Kutsche der Plantage kam, desto eiliger hatte er es, wieder nach Hause zu kommen. Auf den allerletzten Meilen befiel ihn dann das Heimweh, vor dem er sich insgeheim beim Aufbruch schon ein bisschen gefürchtet hatte und June konnte es kaum erwarten wieder zu Hause zu sein. Es war schwer zu sagen, wen oder was er am meisten vermisst hatte: Trudi oder Sissie, Firefly oder Jasper oder gar… Logan?

Als die Kutsche jedoch vor dem Haus hielt, stellte June zu seinem eigenen Erstaunen fest, dass ihm die Tanten fehlen würden. Und das sogar sehr!

»Wir kommen nicht mit, mein Lieber«, sagte Miss Flora abrupt. June sah erst sie an und dann Miss Laurel, und plötzlich fühlte er sich irgendwie schrecklich sie von den beiden zu trennen. Impulsiv beugte er sich vor, um Miss Flora an sich zu drücken und dann zog er Miss Laurel fest an sich.

»Ich danke ihnen beiden sehr«, sagte er mit einem Kloß im Hals und er meinte es völlig ernst.

Miss Flora legte einen Finger auf den Mund, um ihn zum Schweigen zu bringen, und Miss Laurel klopfte June auf die Schulter.

»Vergiss nicht, dass wir jetzt zur Familie gehören!« Die beiden Damen nickten mit gewichtiger Miene. »Du musst uns unbedingt besuchen kommen«, sagte Miss Laurel und June musste über den leicht befehlenden Unterton, den er so lieben gelernt hatte lächeln. »Ich werde es nicht vergessen«, versprach June.

Als Ben, der ältere Kutscher von Miss Flora und Miss Laurel, der sie sicher nach Jackson und wieder zurück gebracht hatte, die Tür öffnete, lächelte June die beiden noch ein letztes Mal an und stieg aus.

»Auf Wiedersehen, June.«

»Auf Wiedersehen!«

Thomas und Fred hoben bereits Dutzende von Schachteln auf, die Ben von der Kutsche abgeladen hatte. Beide begrüßten June mit einem Wortschwall. June erwiderte ihren Gruß und freute sich aufrichtig, sie zu sehen und wieder zu Hause zu sein, doch innerlich war er zerrissen.

Er, der Gefühlsregungen hasste und für eine Schwäche hielt, kämpfte gegen den gewaltigen Drang zu Weinen an, als die Kutsche, die seine neuen Tanten fortbrachte die Auffahrt hinunter fuhr und auf die Straße einbog, die nach Tulip Hill führte. June spürte, dass seine Augen brannten und wenn Jasper nicht gewesen wäre, der ungestüm an ihm hochsprang und ihn damit ablenkte, wäre es ihm vielleicht nicht gelungen, die drohenden Tränen zurück zu halten.
 

Tbc…
 

© by desertdevil
 

Hallo ihr Lieben,

da bin ich mal wieder mit einem neuen Kappi, allerdings war es ja nicht allzu lang und besonders viel ist auch nicht passiert, aber das ist nur der Auftakt zu den nächsten Desastern die unweigerlich kommen müssen ^^

Ich hoffe ihr hattet genauso viel Spaß beim Lesen, wie ich beim Schreiben

Viele Grüße an alle

*Schälchen mit Gummibärchen hinstell*



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  me-luna
2010-09-05T06:03:01+00:00 05.09.2010 08:03
Ok, das war jetzt sozusagen die Ruhe vor dem Sturm. ^^
Und jetzt bin ich natürlich gespannt, was da noch kommen wird.
Ich würde so gerne mal Mäuschen spielen und erfahren, was der gute Logan so über seinen Stiefsohn denkt. ^^
Und eine kleine Frage am Rande hätte ich auch noch: Ich weiß, es ist eine Geschichte, aber ist June eigentlich jemals in eine Art Schule oder so etwas gegangen?

lg
me-luna
Von:  Tshioni
2010-09-01T19:03:05+00:00 01.09.2010 21:03
das ist eine echt gute FF!
Ich mag sie!
Der Junge ist echt süß :) ich bin schon gespannt was da noch mit Logan passiert!!
Freue mich schon auf ein neues Kapitel!
lg
Tshioni


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