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K.O.M.A.

Komm ohne mich aus
von

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Was würdest du tun

Stetiges Monotones Piepen erfüllt den Raum und spielt seine ganze eigene Melodie. Individuell kommen die Töne, in Höhen und tiefen, mal kurz, mal lang. Welches Lied die Decke ihm vorgaukelt, kann er nicht sagen, aber er ist dankbar für die Veränderung, auch, wenn sie nur vorgestellt ist. Ja, immer und immer wieder das gleiche. Er würde nicht mal wissen, welcher Tag es ist, würde es ihm nicht immer irgendwer sagen, wenn er wach auch. Auch, wenn sie nicht wussten, dass er wach war. Keiner wusste, wo er war, oder wie es war. Es war warm und weich, dunkel und hell, und ebenso rau und kalt. War er auf einer Reise in sich selbst? Zumindest konnte er so in Ruhe nachdenken. Über sich. Seine Situationen. Über seine Freunde und seinem Familie. Über seine Freundin, mit der er noch nicht solang zusammen war. Über seine Fans. Über alle, die er kannte.

Hätte er seufzen können, so hätte er geseufzt. Hätte er sich bewegen können, so hätte er sich bewegt. Ja, er bekam etwas von außen mit. Er hörte Stimmen und sah die Decke. Und wenn sich jemand vor die Decke schlich, wurde es dunkel.

Locked-in-Syndrom. Davon hatte er mal gelesen. Vielleicht lag er ja nicht im Wachkoma, wie die Ärzte immer behaupteten, sondern war nur in seinem Körper gefangen. Was war eigentlich der unterschied zwischen Wachkoma und Locked-in-Syndrom? Vielleicht, weil er ohne Geräte Atmen konnte. Weil er den Kopf drehen konnte, wenn er wollte. Doch, er tat es nicht. Viel lieber blieb er in dieser Welt, wo alles besser war. Wie im Mutterleib.

Es war schwarz und warm. Kuschelig. Und er war mit all denen zusammen, die er liebte. Seine Familie und seine Freunde. Und David. Er war wieder der kleine fast fünfjährige Junge, der den damals vierjährigen im Kindergarten ausversehen umgerannt hatte und sich tausendmal entschuldigt hatte. Und dann hatten sie zusammen gespielt und auf ihre Mütter gewartet. So war dass dann ein paar Wochen bis zu seinem fünften Geburtstag gegangen. Und sie waren Freunde geworden. Sie wurden älter und hatten allerhand ausprobiert. Und ihre Geheimnisse hatten sie bewahrt. Sie lernten Jan und Chris kennen, Frank und Juri. Ihre Freundinnen. Und ihre Freunde. Sie verletzten und wurden verletzt. Und doch, war ihm der kleine vierjährige David von damals so im Gedächtnis geblieben, wie, als hätte er ihn erst gestern kennen gelernt. Sie hatten sich früher nie gestritten. Niemals…
 

Ein ruheloser Schlaf hatte ihn gefangen genommen. Ruhelos und voller Alpträume. Unheimlicher, gefährlicher Alpträume. Was genau drin vorkam konnte er nicht sage, nur, dass sie immer gleich ausgingen. Entweder Timo oder er starben. Wie oft er in dieser Nacht schweiß gebadet aufgewacht war, konnte David hinterher nicht mehr sagen. Zu oft jedenfalls. Die erste Nacht wieder zu Hause und schon voller Alpträume. Vielleicht sollte er sein Bett verstellen, vielleicht sollte er auch gleich einen Geisterjäger holen. Oder er sollte sich bei Timo entschuldigen, zumindest per Brief und diesen ihm vorlesen. Denn immer starb einer im Traum, ohne dass er sich entschuldigen konnte. Obwohl er genug Gelegenheiten hatte. Viele. Die ungenutzt verstrichen.

Er legte eine Hand an seine Stirn und er fühlte sich heiß an. Vielleicht wurde er krank oder er vertrug die Medikamente doch nicht so gut, wie er gedacht hatte. Oder vielleicht hätte er doch noch eine Nacht bleiben sollten. Es war erst vier Uhr morgens. Vier Uhr und er war um Zehn Uhr todmüde ins Bett gefallen.

David seufzte und stand auf. Das Schlafshirt, das er trug, hatte einst Timo gehört. Überhaupt erinnerte ihn vieles hier, an seinen besten, oder ehemaligen besten, Freund. Duschen. Eine gute Idee. Vielleicht eine der wenigen, die er noch hatte, in letzter Zeit. Ja, er wusste, dass er sich verändert hatte. Aber auch Timo hatte sich verändert. Warum das so war? Vielleicht wegen all dem, was sie erlebt hatten. Vielleicht wegen ihren Freundinnen. Vielleicht aber auch nur, weil jeder sich veränderte, immer und kontinuierlich. Vielleicht aber auch, wie sie nicht still stehe wollten. Hatten sie sich wirklich in so unterschiedliche Richtungen entwickelt, dass sie sich schon wegen eines T-Shirts stritten? Ja, es war verletzend gewesen, als sie beide sich getroffen hatten, dasselbe an hatten und dann sich deswegen gezofft hatten. Eigentlich hätten sie darüber lachen müssen und hätten Scherze gemacht, dass sie nicht wie Freunde, sondern eher wie Zwillinge sind. Und doch, hatten sie sich angezickt und gestritten. Und dann hatten sie sich getrennt und das nächste Mal, dass er Timos Namen hörte war, als Jan ihn anrief und ihn zum Krankenhaus bestellte.

Wie schnell er plötzlich rennen konnte und wie weit dieses Krankenhaus plötzlich entfernt lag. Wie weit Wege sein konnten, wenn es um Leben und Tod ging. Um Freundschaft. Um jemanden, den man liebte. Timo war einfach ein Teil seiner Familie geworden. Wie ein großer Bruder, der auf einen aufzupassen versuchte, obwohl man selber auf ihn viel mehr aufpachte und acht gab. Ja, sie hatten schon eine besondere Beziehung. Das Grinsen, dass sich auf das Gesicht des Gitarristen schlich, als die ersten Wassertropfen auf seinen Oberkörper vielen, war entspannt und genießerisch.

Er liebte da Wasser so, wie Timo das Feuer faszinierte. Er wusch seine Haare, seifte seinen Körper ein und spülte ihn ab. Dann stieg er aus der Dusche.
 

Kein unnatürliches Geräusch störte die Stille, als die Sonne über dem See aufging. Die Vögel sangen ihr Morgenlied, die Tiere tranken noch in der Dämmerung und ein kleines Rehkitz wagte sich sogar bis fast an die Person heran, die dort am Ufer saß und still nachdachte. Es war schön hier, und alles, was schlecht war, war einfach weg. Die Umwelt war einfach wunderbar. Und die Decke des Himmels zeigte ihm täglich neue Wunder. Wie lange er schon hier war, wusste er nicht. Es war aber schön hier. Kein laut drang über seine Lippen, als sich ein Vogel auf seinem Kopf niederließ und sich putze. Eine perfekte Welt, mit perfekten Menschen. Eine Welt zum Glücklich sein. Zum Frieden finden.

Er hatte alles, was er sich je gewünscht hatte. Erfolg, wahre Freunde, eine liebe Familie. Eine Frau, die ihn liebte, wie er war. Die Luft war frisch und das klare Wasser bezaubernd. Wieso sollte er hier weg wollen? „Timo? Kommst du rein? Mama macht Frühstück.“ David rannte auf ihn zu, während das Rehkitz erschrocken zu seiner Mutter rannte. Ja, David war sein kleiner Bruder. Ein bisschen jünger als er, aber lieb. Und er passte auf ihn auf. Oder besser gesagt, sie passten gegenseitig auf sich auf. „Nicht so laut, du erschreckst die armen Tiere.“ Entschuldigend wandte sich der Jüngere an den Älteren „Tut mir Leid. Kommst du?“ Ein Lachen erfüllte den kleinen Wald, als die Brüder nach Hause gingen.
 

So ein mist. Was man alles wegen diesen Medikamenten beachten musste. Der Pianist verzog das Gesicht. Schweinerei war das. Keine Schokolade, keinen Kakao. Erst wieder in einer Woche. Seine Eltern waren übervorsichtig geworden. Aber wer konnte es ihnen verübeln?

Er sicherlich nicht. Seufzend trank er sein Wasser. Trotzdem war das eine Gemeinheit. Und die Gitarre hatten sie auch erstmal weggeschlossen. ‚Zu deiner eigenen Sicherheit‘. Pah. Aber den Flügel konnten sie ihm nicht nehmen. Nein, sie ermutigten ihn sogar zu spielen. Schöne, ruhige Lieder. Wobei lieber ruhig als schön hier die Devise war. Wieso hatte er auch diesen dummen Herzfehler bekommen? War der von Anfang an da? Lag es daran, dass er einen Herzstillstand gehabt hatte? Oder gar an etwas ganz anderen?! Wer wusste das schon, wenn nicht mal Ärzte das genau sagen konnten. Allerdings so genau hatte er nicht nachgefragt. Vielleicht hätte er das tun sollen. Vielleicht aber auch nicht. Und was sollte er heute machen, wo seine Zeit nur noch so knapp bemessen war, voraussichtlich? Das komische an dieser Situation war, dass er es nicht wusste.

Was wollte er tun? Was Timo tun würde, wusste er. Aber er selber? Gitarre spielen? Lieder komponieren? Spazieren gehen? Den Brief an Timo schreiben, wo er sich entschuldigte? Wenn er es gewusst wie hätte, hätte er es gemacht. So aber ließ er wertvolle Zeit verstreichen. Wie schon so oft, in seinem Leben. Er schloss die Augen und genoss die vermeidliche Stille um in. Die Ruhe, die nun seinen Atem bestimmte.

Ja, was sollte er tun? Darüber hatten sie schon einen Song veröffentlicht. Und trotzdem hatte er keine Antwort darauf. Zu viel, was er wollte und zu wenig Zeit, die da war. ‚Was würdest du tun?‘ „Nichts.“, flüsterte er. „Einfach nichts.“
 

Nichts tun – war das nicht auch etwas? Geb es so was sie ‚Nichts tun‘ überhaupt? Oder nicht? Die berühmten Sprüche, die einen zum grübeln bringen fangen meistens mit ‚was wäre wenn‘ an und die Überlegungen führen zu nichts. Doch warum überlegt man dann? Warum dachte man daran ewig leben zu können, wenn man genau wusste, dass man es nicht konnte. Nicht, dass es langweilig werden würde, aber der Schmerz und die Gefühle, würden einen irgendwann zerreißen. Man könnte seelisch nicht mehr. Und deshalb müssen Menschen sterben. Um sie zu schützen. Um sie zu bereinigen von allem Leid. Und dann, dann sind sie bereit für neues Leben. Wenn es so etwas geben sollte. Dennoch: „Wer ewig Leben will, will auch Sterblich sein. Denn der Ewige wünscht sich weg von dem Schmerz und dem Pein, während der Sterbliche alles erleben will. Und Wünsche bleiben niemals still.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2009-12-31T15:17:32+00:00 31.12.2009 16:17
was würdest du tun... wie oft habe ich über dieses Lied gegrübelt... schön, wie du es eingebracht hast...
gefällt mir mal wieder alles sehr gut!
mal sehen, was als nächstes passiert...


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